Europäiſche Völkerrecht
der Gegenwart.
Verlag von E. H. Schroeder.
Unter den Linden 23, im Jagor'ſchen Hauſe.
[][[I]]
Dem
Königlich Preußiſchen Geheimen Cabinets-Rath
Herrn
Carl Chriſtian Müller,
Doctor der Rechte und Ritter ꝛc. ꝛc.
widmet
an ſeinem funfzigjährigen Dienſtjubiläum
dieſes Buch
mit Sohnes Liebe
der Verfaſſer.
[[II]][[III]]
Vorrede.
Bereits vor mehreren Jahren regte mein verſtorbener Col-
lege und Freund, Gans, den Gedanken an, eine gemein-
ſchaftliche Bearbeitung des Völkerrechts zu unternehmen. Er
wählte den Krieg und überließ mir den Frieden. Sein Tod
hat die Ausführung dieſes Planes verhindert und mich län-
gere Zeit hindurch von der eigenen alleinigen Behandlung des
Gegenſtandes abgehalten. Durch verſchiedene Anläſſe bin ich
indeß darauf zurückgeführt worden; ich habe die früheren Ar-
beiten wieder aufgenommen und, — ſtrenge Selbſtprüfung
läßt mich hoffen, durch eine treue kritiſche Zergliederung des
Stoffes, den ich mir ſeit Anfang meines academiſchen Lebens
zu Eigen gemacht habe, einigermaßen erſetzen zu können, was
er durch die Mitthätigkeit des geiſtreichen Freundes gewon-
nen haben würde. Vielleicht, daß in Kurzem die Herausge-
ber ſeines Nachlaſſes wenigſtens eine Blumenleſe aus ſeinen
glanzvollen Vorträgen über das öffentliche Recht erſcheinen
laſſen. Ich ſelbſt habe von ihnen keine nähere Kenntniß er-
halten. Nur wenige Puncte haben wir mit Einander durch-
geſprochen. Gern aber nenne ich ihn als den erſten Urheber
dieſes Werkes. Ehre ſeinem Andenken!
[IV]Vorrede.
Ob es nun gerade jetzt zeitgemäß ſei, an das Daſein ei-
nes Völkerrechts und vorzüglich an manche Unvollkommenhei-
ten der Staatenpraxis in dieſem Gebiete zu erinnern? kann
vielleicht für ſolche Staaten weniger in Frage zu ſtellen ſein,
die im Stande ſind, ihren Eigenwillen gegen den Widerſpruch
anderer zu behaupten oder als Geſetz ihnen aufzudringen, wo-
bei ſie höchſtens eines Scheines des Rechtes bedürfen und ſich
daher ſchon mit einigen alten publiciſtiſchen Autoritäten und
einſeitigen Präcedentien begnügen: mehr dagegen für diejeni-
gen, welche ſtets für ihre Exiſtenz oder doch für ein gewiſſes
Gleichgewicht zu kämpfen haben, niemals wenigſtens der Will-
kühr anderer verfallen wollen. Sind nun noch Principien
feſtzuſtellen und Schutzwehren für dieſelben zu erſtreben, ſo
iſt gerade die Zeit des Friedens dazu die geeignetſte; verge-
bens würde man jenes von einer Zeit des Unfriedens erwar-
ten. Und waren in dem noch andauernden Friedensſtande
die Nationen vielfach mit ſich ſelbſt in ihrem Innern beſchäftigt:
ſo hat die meiſtens erfolgte Grundſteinlegung und der fernere
Aufbau der Verfaſſungen bereits wieder geſtattet den Blick
nach Außen hin zu richten und einen ſtets regeren Verkehr mit
anderen Völkern zu ſuchen; es haben endlich ſchon wiederholent-
lich Wolken am politiſchen Horizont die Regierungen und Völ-
ker gemahnt, daß die Wirklichkeit eines ewigen Friedens, wenn
überhaupt beſchieden, noch keinesweges ſo nahe ſei. Bis dahin
bleibt gewiß das Bewußtſein von einem gemeinſamen Rechts-
zuſtande unter allen oder doch gewiſſen Nationen der einzige
Nothanker, um nicht in die Barbarei eines ewigen Krieges
zurückzuſinken. In der That verkündigen einige Erſcheinungen
am literariſchen Horizont hin und wieder, daß das Bedürfniß
einer Wiederanfriſchung der völkerrechtlichen Studien, für
[V]Vorrede.
welche in Deutſchland ſeit Klüber nichts Erhebliches geleiſtet
worden iſt, noch anderweitig begriffen werde. 1
Ueber die Auffaſſung des Stoffes habe ich nur wenig
vorauszuſchicken.
Zuförderſt nenne ich das Völkerrecht noch immer bei ſei-
nem alten Namen, nicht, wie es manche mit fremder Zunge
zu nennen angefangen haben: internationales Recht; ich vin-
dicire ihm eine Subſtanz, welche unter die letztere Benennung
nicht genau paßt, wohl aber unter den alttechniſchen Begriff
des Völkerrechts, des jus gentium der Alten; ich vindicire
ihm die allgemeinen Menſchenrechte, deren Anerkennung kein
Volk verweigern kann, die Rechte nämlich, welche jeder Ein-
zelne, auch der außer dem Staate Lebende, dennoch in der
menſchlichen Geſellſchaft fordern darf.
Aus welchem Geſichtspunct ſodann das Völkerrecht über-
haupt zu behandeln ſei, ſteht bei mir längſt unerſchütterlich
feſt. Ich ſehe darin weder eine bloße Staatenmoral oder ein
Aggregat politiſcher Maximen, welchem darum der Character
eines Rechtes zu verweigern wäre, weil ſich dafür noch keine
Zwangsform der Geltendmachung gefunden hat; noch auch
ein fragmentariſches willkührliches Recht, welches nur auf ei-
nem beliebigen Herkommen oder auf Verträgen beruht; Er-
ſteres nicht, weil es durchaus nicht an Mitteln zu ſeiner Rea-
liſirung gebricht, ſelbſt nicht an Mitteln, um einen unparteii-
ſchen Urtheilsſpruch zu erlangen, wenn man ihn nur haben
will und ſich mit keinem Geheimniß umſchließt; ja einen un-
[VI]Vorrede.
parteiiſcheren und gerechteren Urtheilsſpruch, als ihn der höchſte
Richterſtuhl eines Landes abgeben kann —; Letzteres nicht,
weil die bloß äußerliche Willkühr kein Rechtsprincip zu er-
ſchaffen vermag, wenn ihr keine höhere Weihe zur Seite ſteht.
Den tieferen Grund alles Völkerrechts finde ich in dem ver-
nünftigen, d. h. auf der Nothwendigkeit des Gedankens be-
ruhenden Willen der Menſchen, ſobald er in ein gemeinſa-
mes Bewußtſein tritt, welches ſich nicht blos in dem Ein-
zelſtaate als Satzung geltend zu machen ſucht, und das Ge-
ſetz zu ſeinem Diener auffordert, ja ſich wohl ſelbſt an die
Stelle des Geſetzes ſetzt, ſondern auch unter Nationen, die
mit einander in Verkehr, in ein geſellſchaftliches Verhältniß
treten, auf gleiche Weiſe als Bedingung davon erhebt. Wo
eine Geſellſchaft iſt, da iſt auch ein Recht; der Staat ſelbſt
iſt der vernünftige Menſch der Gattung; treten mehrere iſo-
lirte Nationen zuſammen, ſo können ſie nur auf dieſer Baſis
mit einander exiſtiren; Ungleichartigkeiten in dem Bildungs-
grade, in dem Grade der Herrſchaft, welche die Vernunft
über die Sinnlichkeit zu erlangen im Stande iſt, werden zwar
die vollſtändige Entwickelung hemmen und einſtweilen Modi-
ficationen erzeugen, aber die letzte und immerfort zu erſtre-
bende Norm bleibt dasjenige, was wir als Inhalt der menſch-
lichen Freiheit im Verhältniß zu einander, unſerer Natur und
ihrer Entwickelung in dem Staate gemäß, erkennen müſſen.
Vielleicht konnte man von dem Völkerrecht des vorigen
Jahrhunderts ſagen, daß es mehr nur in politiſchen Maximen
der Regierungen beſtand, die man nach Convenienz als Rechts-
grundſätze aufſtellte, aber auch wieder nach den Umſtänden ver-
leugnete oder modificirte. Darin aber iſt ein großer Um-
ſchwung im jetzigen Jahrhundert eingetreten. Es ſind nicht
[VII]Vorrede.
mehr die Regierungen allein, welche in allen oder in den
meiſten Staaten, wie früher, das Recht nach eigener Ueber-
zeugung ſetzen und dafür auch das Blut ihrer Unterthanen
verhaftet glauben. Die Völker ſelbſt ſind in vielen Staa-
ten durch die Verfaſſung zur Theilnahme an dem Rechte des
Staates gelangt, und ſogar da, wo es formell in unantaſtbarer
Weiſe nicht geſchehen iſt, wird doch nur ſelten die Ueberzeu-
gung der Völker von Recht oder Unrecht in der Politik ganz
bei Seite geſtellt werden können. Dadurch iſt dem Völker-
recht eine feſtere Baſis gegeben worden. Wenn ſchon früher
unter der alten Regierungsweiſe wenigſtens als Lehre behaup-
tet und auch wohl von vielen Regierungen berückſichtigt ward,
daß jeder Schritt derſelben mit dem Wohl des Ganzen, mit
dem Heil des Volkes in Uebereinſtimmung ſein müſſe, ſo
giebt es nun auch organiſche Vermittelungen um die Inter-
eſſen der Völker nach ihrer eigenen Ueberzeugung kennen zu
lernen; das Rechtsbewußtſein kann ſich gegenwärtig allgemei-
ner ausſprechen, und in ſeiner Verallgemeinerung kann es
eben kein anderes ſein, als dasjenige, was der menſchlichen
denkenden Natur überhaupt entſpricht. Irrthum, nationale
Befangenheit und Vorurtheile werden zwar noch ferner das
reine Rechtsbewußtſein trüben, aber ſie können es ohne Unter-
drückung der öffentlichen Meinung, dieſes Inſtinctes und Be-
gleiters des wahren politiſchen Gedankens, nicht immer.
Macht dieſes Werk nun auch keinen Anſpruch eine ſchul-
philoſophiſche Durchführung des Völkerrechts zu ſein, ſo wird
es ſich doch als eine aus dem Leben des Staates gegrif-
fene und von ſeinem Begriff aus durchdachte Grundlegung
der politiſchen Praxis geltend machen können. Es iſt nicht
leichtſinnig als Recht angenommen, was Einmal oder ſelbſt
[VIII]Vorrede.
öfters wirklich geſchehen iſt; es iſt kein bloßes Repertorium
der Staatspraxis unter der Prätenſion damit das Recht ſelbſt
anzuzeigen; es hat daher nicht alles und jedes wiederholen
mögen, was die letzten Publiciſten der deutſchen hiſtoriſchen
oder practiſchen Schule zuſammengetragen haben: ſondern es
hat die Criterien der Richtigkeit der Praxis aufſuchen ſollen.
Schwer war die Arbeit noch immer genug! Ob ſie einen
Publiciſten von heut leichter werden möchte, muß ich anheim-
geben. Mein Ziel war ein wirkliches Recht, mit menſch-
lichem und nationalem Character; ſtrenge Wahrheit ohne
Schminke. Ein ſpecielles Eingehen in noch ſchwebende Fra-
gen der Tagespolitik lag jedoch außer dem Plan. Die Grund-
ſätze zu ihrer Entſcheidung wird man leicht finden.
Den Anhang — ein Bruchſtück von politiſchem Teſtament
— gebe ich, wie er mir zugekommen iſt, mit einigen Weg-
laſſungen und Bedenken. Es iſt bei allem Streben nach Ob-
jectivität dennoch viel Subjectives darin, wofür keine Ver-
tretung übernommen werden darf. Gewiß regt das Studium
des Völkerrechts und der Politik auch zu Blicken in die Zu-
kunft an.
[[IX]]
Inhalts-Ueberſicht.
- Seite
- Einleitung.
- Bedeutung und Exiſtenz eines Völkerrechts. §. 1. 1
- Grundlage und Sanction des Völkerrechts. §. 2. 2
- Zufällige Garantie des Völkerrechts: das Gleichgewicht der Staaten. §. 3. 3
- Inhalt des Völkerrechts und Verhältniß zur Politik. §. 4. 4
- Geſchichtliche Geneſis und Fortentwickelung des Völkerrechts. §. 5. 6
- Giltigkeitsgebiet des Europäiſchen Völkerrechts. §. 6. 11
- Natur der Völkergeſetze. §. 7. 12
- Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechts, insbeſondere: die Europäiſchen
Staatshändel und Verträge. §. 8. 14 - Die Theorie und Literatur des Völkerrechts. §. 9. 17
- Thatſächlicher Regulator der Staatenverhältniſſe. §. 10. 22
- Quellen der Specialrechte einzelner Staaten. §. 11. 23
- Erſtes Buch.
Völkerrecht im Zuſtand des Friedens. - Erſter Abſchnitt.
Die Subjecte des Voͤlkerrechts und ihre Grundverhaͤltniſſe. - Ueberhaupt. §. 12. 26
- Erſte Unterabtheilung. Der Menſch und ſein Recht. §. 13—15. 27
- Zweite Unterabtheilung. Die Staaten.
- I. Ihre Natur und Verſchiedenheiten. §. 16—25. 29
- II. Grundverhältniſſe der Staaten als ſolcher. §. 26. 43
- Gleichheit der Staaten. §. 27. 44
- Eigenthümliche Rangverhältniſſe der Staaten. §. 28. 45
- Seite
- Special-Rechte:
- 1. Recht eines ſelbſt beſtimmten Daſeins. §. 29—30. 49
- 2. Recht auf Achtung der Staatsperſönlichkeit. §. 31. 53
- 3. Recht auf gegenſeitigen Verkehr. §. 32. 56
- 4. Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit. §. 33. 58
- Insbeſondere in Betreff der Juſtizverwaltung. §. 35. 61
- a. Strafrechtspflege. §. 36. 63
- b. Bürgerliches Recht. §. 37—39. 65
- Verhältniß der Staatsgewalten zu auswärtigen ſpirituellen Mächten, insbe-
beſondere zum römiſchen Stuhl. §. 40—41. 72 - Recht der Exterritorialität. §. 42. 78
- Staatsdienſtbarkeiten. §. 43. 81
- Interventionsrechte. §. 44—46. 85
- III. Specialrechte einzelner Staaten unter einander. §. 47. 89
- Dritte Unterabtheilung. Die Souveräne, ihre perſönlichen und
Familien-Verhältniſſe. §. 48. 90 - Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen. §. 49. 91
- Erwerbungsarten. §. 50. 94
- Initiirung der Souveränetät. §. 51. 95
- Zweifache Perſönlichkeit des Souveräns. §. 52. 96
- Völkerrechtliche Stellung der Souveräne. §. 53—54. 96
- Völkerrechtliches Verhältniß der Familie des Souveräns. §. 55. 101
- Privatrechtliches Verhältniß der ſouveränen Famlilie. §. 56. 103
- Verluſt der perſönlichen Souveränetät. §. 57. 104
- Vierte Unterabtheilung. Die internationalen Rechtsverhältniſſe
der Staatsangehörigen. - Categorien. §. 58. 105
- Völkerrechtliche Natur des Unterthanen-Verhältniſſes. §. 59. 106
- Rechtsverhältniſſe der Ausländer überhaupt. §. 60. 108
- Rechtsverhältniß der Forenſen. §. 61. 110
- Rechtsverhältniſſe der Fremden in einem auswärtigen Staatsgebiet. §. 62. 111
- Recht der Auslieferungen. §. 63. 113
- Zweiter Abſchnitt.
Recht der Sachen. - Arten derſelben. §. 64. 116
- Das Staatsgebiet. §. 65. 118
- Grenzen der Staatsgebiete. §. 66. 119
- Bedeutung des Staatsgebietes. §. 67. 120
- Staatspertinenzien und Colonien. §. 68. 121
- Seite
- Erwerbsarten des Staatseigenthums. §. 69. 123
- Insbeſondere: Occupation. §. 70. 125
- Verfügungen über das Staateneigenthum. §. 71. 126
- Verluſt des Staatseigenthums. §. 72. 128
- Eigenthumsunfähige Sachen; insbeſondere das Meer. §. 73. 130
- Das Meereseigenthum überhaupt. §. 74. 131
- Angebliche Eigenthumsmeere. §. 75. 133
- Schutzrechte über die Küſtengewäſſer. §. 76. 135
- Nationale Flußgebiete. §. 77. 136
- Die Schiffe und Rechte der Schiffahrt. §. 78—80. 138
- Dritter Abſchnitt.
Das Recht der Verbindlichkeiten. - Erſte Unterabtheilung. Die öffentlichen Verträge.
- Völkerrechtliche Verbindlichkeit der Verträge überhaupt. §. 81. 143
- Ueberſicht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts. §. 82. 145
- Weſentliche Bedingungen internationaler Verträge.
- a. Eine zuläſſige causa. §. 83. 147
- b. Dispoſitionsfähigkeit der Contrahenten. §. 84. 150
- c. Willensfreiheit. §. 85. 152
- Entſtehung der Verträge. §. 86. 153
- Subſtanzielle Form. §. 87. 154
- Mitwirkung dritter bei der Vertragsſchließung. §. 88. 156
- Modalitäten der Verträge. §. 89. 158
- Specielle Gegenſtände und Arten der Verträge. §. 90. 158
- Geſellſchaftsverträge. §. 91. 160
- a. Freundſchaftsbündniſſe oder Alliancen. §. 92. 161
- b. Vereinsverträge oder Conföderationen. §. 93. 164
- Allgemeine Wirkungen der Verträge. §. 94. 165
- Auslegung der Verträge. §. 95. 167
- Verſtärkung der Vertragsverbindlichkeiten. §. 96. 168
- Garantieverträge. §. 97. 170
- Anfechtung der Verträge und Beſeitigung der Einreden. §. 98. 172
- Erlöſchung der Vertragsverbindlichkeiten. §. 99. 174
- Zweite Unterabtheilung. Verbindlichkeiten ohne Vertrag.
- A. Aus erlaubten Thatſachen. §. 100. 176
- B. Aus unerlaubten Handlungen. §. 101—103. 178
- Allgemeine ahndungswürdige Verletzungen des Völkerrechts. §. 104. 182
- Zweites Buch.
Das Völkerrecht im Zuſtande des Unfriedens oder die völker-
rechtlichen Streitigkeiten. - Erſter Abſchnitt.
Von den voͤlkerrechtlichen Streitigkeiten und deren Erledigung
uͤberhaupt. - Seite
- Veranlaſſungen derſelben. §. 105. 184
- Mittel zur Beiſeitigung überhaupt. §. 106. 184
- Gütliche Verſuche. §. 107. 185
- Beſondere Vereinigungsmittel bei zweifelhaften Puncten. §. 108. 186
- Compromiß. §. 109. 187
- Anwendung von Gewaltmaaßregeln; insbeſondere Repreſſalien. §. 110. 189
- Retorſion unbilliger Rechtsgrundſätze und Maaßregeln. §. 111. 191
- Recht des Embargo und der Blocade. §. 112. 193
- Zweiter Abſchnitt.
Der Krieg und ſein Recht. - Rechtsbegriff des Krieges. §. 113. 194
- Kriegführende Theile. §. 114. 196
- Verbündete Mächte. §. 115—117. 197
- Das Kriegsfeld. §. 118. 200
- Eigentliches Kriegsrecht. Kriegsmanier. Kriegsräſon. §. 119. 201
- Anfang des Krieges. §. 120. 203
- Maaßregeln vor oder bei Anfang des Krieges. §. 121. 204
- Unmittelbare rechtliche Wirkungen der Kriegseröffnung. §. 122. 206
- Subjecte des Kriegsſtandes. §. 123. 208
- Erlaubte Mittel der Kriegführung. §. 124. 209
- Behandlung feindlicher Perſonen. §. 125. 211
- Kriegsgefangenſchaft. §. 126—128. 213
- Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Perſonen. §. 129. 217
- Recht auf einzelne feindliche Sachen überhaupt. §. 130. 218
- Fortſetzung. §. 131. 220
- Wirkliche Staatspraxis. §. 132. 222
- Recht auf unbewegliche Sachen. §. 133. 224
- Unkörperliche Sachen. §. 134. 225
- Beuterecht an beweglichen körperlichen Sachen. §. 135—136. 227
- Appropriation im Seekriege. §. 137—139. 231
- Seite
- Recht der Kriegführenden auf feindliche Sachen im eigenen Territorium.
§. 140. 236 - Verträge während des Krieges. §. 141—143. 238
- Dritter Abſchnitt.
Die Neutralen und ihre Rechte. - Ueberhaupt. §. 144. 243
- Grund und Ende der Neutralität. §. 145. 244
- Bedingungen der Neutralität. §. 146. 245
- Im Einzelnen. §. 147. 246
- Ausdehnung auf die Unterthanen. §. 148. 248
- Rechte der Neutralen. §. 149—150. 249
- Rechte der Neutralen in Anſehung des Handels. §. 151. 252
- Entwickelung der Praxis. §. 152. 253
- Darlegung der einzelnen Fragen. §. 153. 255
- Blocaderecht. §. 154—156. 257
- Uebermäßige Ausdehnung des Blocaderechts. §. 157. 262
- Verkehr mit Contrebande. §. 158. 264
- Juriſtiſche Idee der Kriegscontrebande. §. 159. 266
- Gegenſtände der Kriegscontrebande. §. 160. 267
- Thatbeſtand und Folgen der Contrebande. §. 161. 270
- Analoge und zweifelhafte Fälle eines neutralen Handelsverkehrs. §. 162—163. 271
- Beſchränkungen des Frachtverkehrs zur See. §. 164. 275
- Frei Schiff, unfrei Gut, und umgekehrt. §. 165. 276
- Frei Schiff, frei Gut. §. 166. 279
- Durchſuchungsrecht. §. 167—169. 282
- Schutzmittel gegen die Durchſuchung durch Convoiirung. §. 170. 286
- Recht der Beſchlagnahme und Wegführung. §. 171. 289
- Priſengerichtsbarkeit gegen Neutrale. §. 172—173. 291
- Außerordentliche Maaßregeln der Kriegführenden zum Nachtheil der Neu-
tralen und deren Rechte hiergegen. §. 174. 293 - Rückblick auf die Rechte der Neutralen. §. 175. 295
- Vierter Abſchnitt.
Die Beendigung des Krieges; die Uſurpation und das Poſtliminium. - I. Ende des Krieges. §. 176. 298
- a. Allſeitige Aufhebung der Feindſeligkeiten. §. 177. 299
- b. Völlige Unterwerfung des feindlichen Staates. §. 178. 299
- c. Friedenſchlüſſe. §. 179—181. 300
- Seite
- Beſondere Friedensclauſeln. §. 182. 305
- Anfangspunct der Wirkſamkeit. §. 183. 305
- Vollziehung und Aufhebung der Friedensſchlüſſe. §. 184. 306
- II. Die Zwiſchenherrſchaft und Uſurpation. §. 185—186. 307
- III. Das Poſtliminium. §. 187. 310
- Poſtliminium der Völker und Staatsgewalten. §. 188. 311
- Poſtliminium der Privatperſonen und Privatverhältniſſe. §. 189. 314
- Poſtliminium bei einzelnen Rechtsverhältniſſen. §. 190. 316
- Recht der Wiedernehmung bei Schiffen. §. 191—192. 319
- Drittes Buch.
Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres, oder die Staaten-
praxis in auswärtigen Angelegenheiten, ſowohl im Kriege wie
im Frieden. - Einleitung. §. 193. 323
- Erſter Abſchnitt.
Allgemeine Cerimonialrechte im Verkehr der Nationen und ihrer Sou-
veraͤne bei perſoͤnlichen Annaͤherungen. - Ueberhaupt. §. 194. 323
- Recht auf einen beſtimmten Ehrenplatz. §. 195. 326
- Courtoiſie. §. 196. 327
- Seecerimonial. §. 197. 329
- Zweiter Abſchnitt.
Der diplomatiſche Verkehr der Staaten. - Einleitung. §. 198. 331
- Erſte Unterabtheilung. Die Organe des diplomatiſchen Verkehres.
- Geſchichte und natürliches Princip. §. 199. 331
- Actives und paſſives Recht zu diplomatiſchen Miſſionen. §. 200. 333
- Categorien der diplomatiſchen Organe. §. 201. 334
- Rechtsverhältniſſe der diplomatiſchen Perſonen überhaupt. §. 202. 335
- Die Rechte fremder Abgeordneter im Auslande im Allgemeinen. §. 203. 336
- Seite
- Unverletzbarkeit. §. 204. 336
- Exemtion von fremder Staatsgewalt. §. 205. 338
- Pflichtverhältniß der diplomatiſchen Perſonen im fremden Staate u. Rechte
deſſelben gegen ſie. §. 206. 339 - Verhältniß zu dritten Staaten. §. 207. 341
- I. Arten und Rechtsverhältniſſe der characteriſirten Geſandten. §. 208. 343
- Modalitäten der Ernennung. §. 209. 345
- Beglaubigung und Sicherſtellung des geſandtſch. Characters. §. 210. 346
- Rechte der geſandtſchaftlichen Perſonen überhaupt. §. 211. 347
- Rechte der Geſandten zufolge der Exterritorialitätsfiction.
- a. Vollkommene Unverletzbarkeit. §. 212. 348
- b. Recht der eigenen Religionsübung. §. 213. 350
- c. Befreiung von der Strafgerichtsbarkeit d. ausw. Staates. §. 214. 351
- d. Befreiung von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit. §. 215. 353
- e. Selbſtgerichtsbarkeit. §. 216. 354
- Beſondere Immunitäten. §. 217. 356
- Cerimonialverhältniſſe. §. 218. 357
- Specielle Rangrechte. §. 219. 358
- Beſondere Vorrechte der Geſandten erſter Claſſe. §. 220. 359
- Familie und Gefolge der Geſandten. §. 221. 360
- II. Agenten und Commiſſarien. §. 222. 362
- III. Die Conſuln. §. 223. 364
- Rechtsverhältniſſe der heutigen. §. 225. 226. 366
- Beendigung und Suspenſion der diplomatiſchen Functionen. §. 227. 369
- Wirkungen der Suspenſion oder Beendigung diplomatiſcher Sendungen.
§. 228—230. 371 - Zweite Unterabtheilung. Die diplomatiſche Kunſt.
- Ihr Weſen. §. 231. 374
- Entſtehung und Ausbreitung der diplomatiſchen Kunſt. §. 232. 375
- Diplomatiſche Charactere. §. 233. 377
- Politik der Diplomatie. §. 234. 380
- Schule der Diplomatie. §. 235. 382
- Specielle diplomatiſche Befähigung und Verantwortlichkeit. §. 236. 383
- Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler. §. 237. 385
- Dritte Unterabtheilung. Die Form der Staatsverhandlungen.
§. 238. 386 - Sprache der Verhandlungen überhaupt. §. 239. 387
- Diplomatiſcher Styl. §. 240. 389
- Correſpondenz der Souveräne ſelbſt. §. 241. 390
- Specielle Arten diplomatiſcher Schriften. §. 242. 392
- Seite
- Diplomatiſche Verhandlungsweiſe. §. 243. 392
- Congreſſe. §. 244. 393
- Dritter Abſchnitt.
Gebrauch von Kundſchaftern. L’Espionnage. §. 245.395 - Militäriſche Kundſchafter. §. 246. 396
- Politiſche Kundſchafter. §. 247. 397
- Anhang. 401
Einleitung.
Bedeutung und Exiſtenz eines Völkerrechts.
1. Völkerrecht, jus gentium, in ſeiner antiken und weiteſten Be-
deutung, welche die Römiſche Jurisprudenz feſtgehalten hat, 1 iſt
alles in gemeinſamer Völkerſitte begründete Recht, welches nicht al-
lein unter den Nationen im gegenſeitigen Verkehr ſelbſt gilt, ſon-
dern auch jedes Rechtsverhältniß einzelner Perſonen in ſich ſchließt,
was nach allſeitigem Einverſtändniß überall gleiche Bedeutung, glei-
chen Charakter hat und nicht in den Inſtitutionen einzelner Staa-
ten ſeinen eigenthümlichen Grund oder ſeine eigenthümliche Ge-
ſtaltung empfangen hat. Es umfaßt demnach zwei Beſtandtheile,
nämlich
- I. die allgemeinen Menſchenrechte und Privatverhältniſſe der
Einzelnen, welche die Staaten auch den zu ihnen nicht ge-
hörigen Individuen anerkennen; - II. die Verhältniſſe der Staaten unter einander ſelbſt in ihren
gegenſeitigen Berührungen.
Dieſer letztere Beſtandtheil hat in der neuen Welt allein den Na-
men Völkerrecht, droit des gens, jus gentium behauptet. Rich-
tiger bezeichnet man ihn durch äußeres Staatenrecht im Ge-
genſatz des inneren Staatsrechts der Einzelſtaaten, jus inter gen-
tes,2droit international. Der erſtere Beſtandtheil des antiken
1
[2]Einleitung. §. 2.
Völkerrechts hat ſich dagegen in dem innern Rechtsſyſtem der Ein-
zelſtaaten verloren oder damit amalgamirt, ohne ſeine Selbſtändigkeit
dagegen behaupten zu können; in dem heutigen Völkerrecht kommt
er nur noch in Betracht, als gewiſſe Menſchenrechte und Privat-
verhältniſſe zugleich auch unter die Tutel oder Gewährleiſtung der
Nationen gegenſeitig geſtellt ſind.
Giebt es nun ein ſolches äußeres Staatenrecht überhaupt und
überall? In der Wirklichkeit gewiß nicht für alle Staaten oder
Völker des Erdballs. Immer hat es nur einen Theil derſelben um-
faßt; nur in Europa und in den von hier aus gegründeten Staa-
ten iſt es in das allgemeine Bewußtſein getreten, ſo daß man ihm
den Namen eines Europäiſchen gegeben hat und mit Recht noch
immer geben darf. Die Staaten ſelbſt und ihre Angehörigen als
ſolche ſind darin die Perſonen oder Rechtsſubjecte.
Grundlage und Sanction des Völkerrechts.
2. Recht im Allgemeinen iſt die äußere Freiheit der Perſon.
Vereinzelt ſetzt es der Menſch ſich ſelbſt, indem er ſeinen Willen zur
That in der Außenwelt macht und ihn wiederum bindet, wo es die
innere Ueberzeugung gebietet oder der äußere Nutzen anräth. In
geſelliger Verbindung mit Andern wird es durch den gemeinſamen
Willen oder durch denjenigen geſetzt, welcher die Uebrigen ſeinem
Recht unterworfen hält; es wird hier die geſellſchaftliche Ordnung.
Entweder iſt es nun ein garantirtes Recht, welches unter den
Schutz und Zwang einer dazu ausreichenden Macht geſtellt iſt, oder
ein freies Recht, welches der Einzelne ſelbſt ſchützen und ſich er-
halten muß. Das Völkerrecht gehört in ſeiner Urſprünglichkeit zur
letzteren Art. Der einzelne Staat in ſeiner Perſönlichkeit ſetzt ſich
zunächſt ſein Recht gegen Andere ſelbſt; giebt er die Iſolirung auf,
ſo bildet ſich im Verkehr mit den anderen ein gemeinſames Recht,
wovon er ſich nicht wieder losſagen kann, ohne ſeine Exiſtenz und
ſeinen Zuſammenhang mit anderen aufzuopfern oder doch in Ge-
fahr zu bringen. Mit der Bildungsſtufe der Völker hat dieſes Recht
eine bald engere bald weitere Umfaſſung. Es beruht zuerſt nur
auf äußerer Nothwendigkeit oder äußerlichen Nutzen. In höherer
Entwickelung ſchließt es aber auch die ſittliche Nöthigung, den ſitt-
2
[3]§. 3. Einleitung.
lichen Nutzen in ſich; es ſtößt das Unſittliche allmählig von ſich
aus und fordert ein in dieſen Grenzen gehaltenes Handeln. In
der That beruht es daher auf einem allſeitigen ausdrücklichen oder
doch mit Gewißheit vorauszuſetzenden Einverſtändniß (consensus),
auf der Ueberzeugung, daß jeder Theil unter gleichen Umſtänden die-
ſelbe Nöthigung ſo und nicht anders zu handeln empfinden werde,
es ſeien nun die Beweggründe äußerliche, oder moraliſche. Fremd
iſt dagegen dem Völkerrecht eine legislative von höherer Gewalt
ausgehende Geſtaltung, 1 da die Staaten in ihrer Unabhängigkeit
keiner gemeinſamen irdiſchen Obrigkeit unterworfen ſind. Es iſt das
freieſte Recht welches exiſtirt, ſo wie es auch in der Anwendung
einer organiſchen Richtergewalt mangelt. Aber ſein Organ und Re-
gulator iſt die öffentliche Meinung und das letzte Gericht iſt die
Geſchichte, welche als Dike das Recht beſtätigt und als Nemeſis
das Unrecht ahndet. Seine Sanction iſt die Weltordnung, welche,
indem ſie den Staat ſchuf, dennoch nicht die menſchliche Freiheit
in Einzelſtaaten gebannt und damit abgeſchloſſen, ſondern dem Men-
ſchengeſchlecht den ganzen Erdball erſchloſſen hat; ſeine Beſtimmung:
der allſeitigen Entwickelung des Menſchengeſchlechts in dem Ver-
kehr der Nationen und Staaten eine ſichere Baſis zu geben, wozu
jeder Einzelſtaat nur Ein Hebel iſt, ohne daß er ſich deshalb von
dem großen Ganzen losſagen darf. 2
Zufällige Garantie des Völkerrechts: das Gleichgewicht der Staaten.
3. Ausgeſetzt der Ebbe und Fluth der menſchlichen Leidenſchaf-
ten ſowohl Einzelner wie ganzer Nationen, vorzüglich dem Reize der
Macht, über Andere zu herrſchen oder ſie ſich dienſtbar zu machen,
iſt das Völkerrecht, ſelbſt wo ſich ein ſolches im freien Verkehr ge-
bildet hat, ſteten Gefahren und Verletzungen blos geſtellt. Zu ſei-
1*
[4]Einleitung. §. 4.
nem Schutz kann indeſſen ein gewiſſes Gleichgewicht der Staaten
und Nationen unter einander weſentlich beitragen. Dieſes Gleich-
gewicht beſteht im Allgemeinen darin, daß jeder Einzelſtaat, indem
er ſich zu einer Verletzung des Völkerrechts an Anderen entſchließt,
eine gleichkräftige Reaction des Bedrohten oder ſelbſt der übrigen
zu erwarten hat, welche an demſelben völkerrechtlichen Syſtem Theil
nehmen. Praktiſch iſt es daher entweder als ein materielles Gleich-
gewicht der einzelnen Staaten gegen einander denkbar, welches in-
deſſen geſchichtlich nur ſelten exiſtirt hat und wenn ja zuweilen vor-
handen, dennoch einer ſteten Veränderung unterworfen iſt, da die
Nationalkraft ſich nicht in allen Staaten gleichmäßig entwickelt,
fortſchreitet und ſinkt; oder es iſt ein moraliſches Gleichgewicht,
nämlich eine moraliſche Geſammtbürgſchaft, worin alle Staaten nach
dem nämlichen Recht zu einander und zum gemeinſamen Schutz
deſſelben gegen die Uebermacht Einzelner treten, ſich wenigſtens mo-
raliſch zur Mitabwehr derſelben verpflichtet halten. Natürlich darf
aber auch hier die erforderliche phyſiſche und moraliſche Kraft der
Uebrigen zur Abwehr des Mächtigſten nicht fehlen, ſonſt wird die-
ſem gegenüber das Völkerrecht ein leerer Schall. An und für ſich
aber iſt die Idee eines politiſchen Gleichgewichts der Staaten durch-
aus keine Chimäre, wofür ſie Manche erklärt haben, ſondern eine
höchſt natürliche für Staaten, die ſich zu demſelben Recht beken-
nen wollen; nur die Anwendung, welche davon zu manchen Zei-
ten gemacht iſt, und die Folgerungen, die darauf gebaut wurden,
ſind verwerflich.
Inhalt des Völkerrechts und Verhältniß zur Politik.
4. Nicht bloß der einzelne Menſch, auch die Nationen ſündi-
gen an ſich und unter einander. Die Sühne, die Emporhebung
aus dem Verſinken iſt der Krieg. Ein goldnes Zeitalter ohne ihn,
ohne ſeine Nothwendigkeit, wäre ein Zuſtand der Sündloſigkeit der
Völker. Gewiß erzeugt auch der Krieg geiſtige Bewegung, und
ſtählt Kräfte, welche im Frieden ſchlafen oder verſumpfen und ohne
[5]§. 4. Einleitung.
Erndte bleiben. 1 Immerhin iſt er die Vorbereitung des Friedens,
ein Schutz gegen das Unrecht und gegen Störungen der Freiheit
des vernünftigen Völkerwillens. So kann ihn alſo auch das Völ-
kerrecht nicht ignoriren, vielmehr hat es ihm recht eigentlich das
Geſetz vorzuſchreiben. Es zerfällt daher ſelbſt weſentlich in zwei
Abſchnitte:
- I. in das Recht des Friedens, welches wir, wie andere
Gebiete des Rechts, in die Rechtsverhältniſſe der Perſonen,
Sachen und Obligationen zerlegen; 2 - II. in das Recht des Unfriedens, oder das Actionen-
recht,3 welches die Wege der internationalen Rechtsver-
folgung zeigt.
An beides ſchließt ſich ſodann noch
- III. die Darlegung und Feſtſtellung der äußeren Staats-
praxis, insbeſondere der Beziehungen und Formen des
diplomatiſchen Verkehrs.
Neben dem Völkerrecht und unter den Staatswiſſenſchaften am näch-
ſten ſteht die äußere Politik der Staaten oder die Klugheitslehre von
dem richtigen Verhalten eines einzelnen Staates gegen die anderen.
Ein Widerſpruch zwiſchen Völkerrecht und Politik, wenn er auch
in der Praxis öfters vorhanden iſt, kann naturgemäß nicht Statt
finden; es giebt nur Eine Wahrheit und keine ſich widerſprechen-
den Wahrheiten. Eine ſittlich correcte Politik kann niemals thun
und billigen, was das Völkerrecht verwirft, und andererſeits muß
auch das Völkerrecht gelten laſſen, was das Auge der Politik für
den Beſtand eines Staates ſchlechterdings als nothwendig erkennt.
Auf gleiche Weiſe iſt das Verhältniß der inneren Politik und des
Staatsrechts zu einander beſchaffen.
[6]Einleitung. §. 5.
Geſchichtliche Geneſis und Fortentwickelung des Völkerrechts. 1
5. Schon in der alten Welt finden ſich gewiſſe übereinſtim-
mende Völkergebräuche im wechſelſeitigen Verkehr, vornehmlich in
Betreff der Kriegführung, der Geſandtſchaften, Verträge und Zu-
fluchtſtätten; jedoch beruhte die Beobachtung dieſer Gebräuche nicht
ſowohl auf der Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit gegen an-
dere Völker, als vielmehr auf religiöſen Vorſtellungen und der da-
durch beſtimmten Sitte. Man hielt Geſandte und Flehende für
unverletzbar, weil ſie unter dem Schutz der Religion ſtanden und
mit heiligen Symbolen erſchienen; man ſtellte eben ſo die Verträge
durch Eide und feierliche Opfer unter jene Schutzmacht. An und
für ſich aber hielt man ſich keinem Fremden zu Recht verpflichtet;
„ewiger Krieg den Barbaren“ war das Schiboleth ſelbſt der ge-
bildetſten Nation des Alterthums, der Griechen; 2 auch ihre Phi-
loſophen erkannten einen rechtlichen Zuſammenhang mit anderen Völ-
kern nur auf Grund von Verträgen an. 3 Ein engeres Band und
ein dauerndes Rechtsverhältniß beſtand wohl unter ſtammverwandten
Völkerſchaften, jedoch hauptſächlich nur durch den Einfluß des ge-
meinſamen Götter-Cultus und der damit zuſammenhängenden po-
litiſchen Bundes-Anſtalten. 4
Kein höherer Standpunct zeigt ſich in dem Römerreiche. 5
Will man dieſes nun das Völkerrecht der alten Welt nennen,
ſo läßt ſich nicht widerſprechen; gewiß ſtand es auf einer ſehr ge-
[7]§. 5. Einleitung.
ringen Stufe; es war ein Theil des Religionsrechtes aller oder
doch beſtimmter Nationen. 1
Noch roher erſcheint die Völkerſitte im Mittelalter, nicht allein
in den Berührungen der Gläubigen mit den Ungläubigen, ſondern
auch ſelbſt unter chriſtlichen Staaten. 2
Dem Chriſtenthum war es indeß vorbehalten, die Völker auf
einen anderen Weg hinzuleiten. Seine Weltliebe, ſein Gebot: thue
auch deinen Feinden Gutes, konnte nicht mit einer ewigen Feind-
ſchaft der Nationen zuſammen beſtehen. Zur gegenſeitigen Annähe-
rung der Europäiſchen chriſtlichen Staaten und zur Anerkennung
wechſelſeitiger allgemeiner Rechte trugen beſonders folgende Um-
ſtände bei:
- I. die Vereinigung der abendländiſchen Kirche unter einem geiſt-
lichen Oberhaupt. Rom hat das Verdienſt, auf Abſtellung
vieler Barbareien im Völkerverkehr durch geiſtliche Macht hin-
gewirkt zu haben; 3 - II. das Ritterthum und die Kreuzzüge;
- III. die durchgängige Verbreitung des Römiſchen Rechts mit dem
Charakter eines für alle Chriſten giltigen Rechts. 4
Hierin lag der Anfang eines allgemeinen Europäiſchen Völkerrechts.
Seine poſitiven Grundlagen waren die Grundſätze des Chriſten-
thums und das Römiſche Recht, ſo weit es die Kirche nicht miß-
billigte; die für unantaſtbar, weil natürlich und göttlich, gehaltenen
Regeln des Privatrechts wurden nun auch auf die Völkerverhält-
niſſe übertragen, und ſelbſt die Glaubensſpaltung des ſechszehnten
Jahrhunderts konnte das neugeſchlungene Band nicht wieder auf-
löſen, da auch die reformatoriſchen Lehren daran feſthielten.
[8]Einleitung. §. 5.
Bei weitem mehr wurde die neue Pflanze gefährdet durch die
allmählige Verbreitung jener Staatskunſt, welche nur den eigenen
Vortheil kennend jedes fremde Recht und Intereſſe hintanſetzt, ohne
in der Wahl der Mittel bedenklich zu ſein; einer Politik, die in
Italien geboren und in Spanien mit beſonderem Erfolg geübt, faſt
bei allen Cabineten einwanderte und, wenn auch nicht zu gleich
poſitiven Beſtrebungen, doch zu ähnlichen Gegenbeſtrebungen auf-
forderte; einer Politik endlich, die indem ſie ſich der hergebrachten
Formen mit täuſchendem Schein bediente, jeden Grundſatz des
Rechts materiell verleugnete. Als Reaction hiergegen diente die
Idee des ſ. g. politiſchen Gleichgewichts, aufgefaßt als das Prin-
cip, daß jede Macht, ſei es für ſich allein, ſei es durch Coalitio-
nen, jede andere Macht an der Erlangung einer Uebergewalt zu
hindern habe, hergeleitet aus dem Recht der Selbſterhaltung, frei-
lich aber auch nicht ſelten gemißbraucht. Die praktiſche Durch-
führung dieſes Gedankens wurde nun die Hauptaufgabe der Euro-
päiſchen Politik; 1 in dieſem Mittelpunct concentrirt ſich ſeit dem
ſechszehnten Jahrhundert beinahe die Anregung und Entwirrung
aller Staatshändel. Das Recht der Nationen und Staaten trat
dabei freilich in den Hintergrund; es war faſt nur der wiſſenſchaft-
lichen Pflege überlaſſen, die ſich aber auch, wie früher in der Re-
formationszeit, ſo von Neuem aus den Gräueln des dreißigjähri-
gen Krieges und des ganzen ſiebenzehnten Jahrhunderts zu einer
Macht erhob, welcher ſich ſogar die Gewaltigen nicht ganz entziehen
konnten. Der Aufgangsſtern war Hugo Grotius, angehörig einer
kleinen neuentſtandenen aber thatenreichen Republik, wo das Sy-
ſtem der Toleranz und des Moderantismus herrſchte, die zugleich
auch der Heerd der Europäiſchen Diplomatie wurde. Groot rief
mit allgemein verſtändlicher Sprache die Grundſätze des Chriſten-
thums, die Lehren der Geſchichte, die Ausſprüche der Weiſen über
4
[9]§. 5. Einleitung.
Recht und Unrecht ins Gedächtniß zurück; ſein Werk wurde un-
vermerkt ein Europäiſcher von allen Confeſſionen gebilligter Völ-
ker-Codex. 1
Dennoch gelang es nicht das Recht auf den Thron zu heben,
welchen die Politik eingenommen hatte; ſie benutzte das wiſſenſchaft-
liche Recht mehr zur Färbung ihrer Anſprüche als ſie ſich demſel-
ben unterordnete; nur eine gewiſſe Mäßigung der Staatskunſt in
ihren Erfolgen, ein ſich Zufriedengeben mit billiger Ausgleichung
wird ſtatt des ſtrengen Rechts im vorigen Jahrhundert ſichtbar
(§. 8.). Völkerrecht und Gleichgewicht erlag indeß ſeit dem Aus-
gang dieſes Jahrhunderts dem Waldſtrom der Revolution und dem
von ihr gegründeten Kaiſerthum, 2 bis es der allgemeinen Coali-
tion gegen Frankreich gelang, jenen Strom in ſeine früheren Gren-
zen zurückzudrängen. Durch die Verträge von 1814 und 1815
wurden wenigſtens die germaniſchen Staaten Europa’s in ihrer
naturgemäßen Sonderung wiederhergeſtellt, und dadurch für’s Erſte
auch ein politiſches Gleichgewicht unter den Landmächten wieder
möglich gemacht. Sofort mußten nun auch die Grundſätze des
Völkerrechts in Anwendung treten, wenn die neue Schöpfung und
das wiederhergeſtellte Gleichgewicht von Beſtand ſein ſollte. 3 Bei-
nahe ſämmtliche chriſtliche Monarchen Europa’s gaben ſich in ih-
rer ſ. g. heiligen Alliance perſönlich das Wort, ſich und ihre Staa-
ten als Glieder einer großen chriſtlichen Familie betrachten zu wol-
len, 4 und erkannten dadurch eine der Hauptgrundlagen des Völ-
kerrechts an; ausdrücklich erklärten endlich die Bevollmächtigten der
fünf Europäiſchen Großmächte am Aachner Congreß 1818 den fe-
ſten Entſchluß ihrer Regierungen, ſich weder unter einander noch
auch gegen dritte Staaten von der ſtrengſten Beobachtung des Völ-
kerrechts für den Zweck eines dauernden Friedenszuſtandes entfer-
nen zu wollen. 5
[10]Einleitung. §. 5.
Seit dieſer Zeit und auf den Grund der damals getroffenen
Verabredungen bildeten jene Großmächte gewiſſermaßen ein Völker-
tribunal, wo die wichtigſten politiſchen Angelegenheiten, nicht nur
dieſer Staaten ſelbſt ſondern auch dritter Staaten, berathen und
feſtgeſtellt wurden. Die hierdurch unterſtützte Reaction gegen die
noch fortglimmende Revolution rief letztere im J. 1830 um ſo ent-
ſchiedener hervor, und natürlicher Weiſe kann weder das revolu-
tionaire Princip noch auch ſelbſt der baſirte nationale Conſtitutio-
nalismus mit einer derartigen regulatoriſchen Gewalt der Groß-
mächte ſich einverſtanden erklären. Das monarchiſche und popu-
läre Princip bewachen ſich ſeitdem gegenſeitig auch in der Europäi-
ſchen Politik. Keines derſelben verleugnet jedoch das Völkerrecht,
und nur in der richtigen Erkenntniß des letzteren liegt die Ver-
mittlung.
Als letztes Ergebniß für unſere Zeit ſprechen wir aus: Europa
huldigt gleich den aus ihm hervorgegangenen transatlantiſchen Staa-
ten einem gemeinſamen Recht. Dies aber iſt in vielen Stücken noch
eine bloße Auctoritätslehre ohne ein ſchon vollendetes allſeitiges Be-
wußtſein und ohne abſolute Sicherheit der Anwendung. Die unent-
behrliche Vorausſetzung für ſeine zunehmende Feſtigkeit iſt ein bleiben-
des Gleichgewicht der Staaten, beruhend auf Nationalkraft und ge-
genſeitiger Achtung. Ein ſolches Gleichgewicht findet ſich jedoch vor-
erſt nur unter den Landmächten, weniger zur See; daher iſt auch das
Völker-Seerecht noch die ſchwächſte Seite des internationalen Rechts.
Eben wenig haben die Verträge von 1814 und 1815 das Gleichge-
wicht zu Lande unter den Europäiſchen Mächten nach einer anderen
Seite hin ſo herzuſtellen vermocht, wie es das richtige Verhältniß
5
[11]§. 6. Einleitung.
gefordert hätte, und dadurch die Gefahr einer Verletzung nicht ge-
nügend entfernt. Sehr wahr bemerkte endlich ſchon Jean Paul:
„Ein ewiges Gleichgewicht ſetzt ein Gleichgewicht der vier
übrigen Welttheile voraus, welches man, wenige Librationen
abgerechnet, der Welt dereinſt verſprechen kann —“ (Hesperus)
ſollte auch letzteres eine ferne, vielleicht leere Hoffnung ſein.
Giltigkeits-Gebiet des Europäiſchen Völkerrechts.
6. Ein auf gegenſeitiger Anerkennung beruhendes Recht kann
nur unter denjenigen Staaten Geltung haben, unter welchen eine
Reciprocität der Anwendung geſichert iſt und demnach ein wechſelſei-
tiger Verkehr nach denſelben Grundſätzen beſteht oder vorauszuſetzen
iſt (commercium juris praebendi repetendique, Dikäodoſie).
Hierzu bedarf es nicht nothwendig einer ausdrücklichen vertragwei-
ſen Beſtimmung; es genügt ſchon die aus dem Charakter und den
Intereſſen der einzelnen Staaten ſo wie aus dem beſtehenden Ver-
kehr als Bedingung deſſelben hervorgehende Gewißheit, daß man
auf Reciprocität der Behandlung nach beſtimmten Regeln zu rech-
nen, oder im Fall der Verletzung einen Kampf oder Ausſchlie-
ßung von der Gemeinſchaft mit anderen zu erwarten habe. So
gilt denn auch das Europäiſche Völkerrecht ſeiner geſchichtlichen
Wurzel nach (§. 5.) weſentlich nur unter chriſtlichen Staaten, de-
ren Sittlichkeit durch ein Uebereinkommen in den höchſten Geſetzen
der Humanität und dem damit übereinſtimmenden Charakter der
Staatsgewalten verbürgt iſt. Es findet dagegen nur eine theil-
weiſe, ſorgfältig nach der zu erwartenden Reciprocität abgemeſſene
Anwendung gegen nicht chriſtliche Staaten, ſofern man nicht frei-
willig auch hier das ſittliche Princip zur Richtſchnur ſeiner Hand-
lungen machen will; 1 und auf gleiche Weiſe iſt das Verhalten
gegen neu entſtehende oder entſtandene Staaten, die noch keine all-
[12]Einleitung. §. 7.
ſeitige Anerkennung in dem Gebiete des Europäiſchen Völkerrechts
erlangt oder noch keinen ausgeſprochenen Charakter angenommen
haben, nämlich ein bloß durch die Politik und Sittlichkeit beſtimm-
bares.
Natur der Völkergeſetze.
7. Als Regulative des Europäiſchen Völkerrechts betrachten
Viele lediglich und allein die in Verträgen ſo wie in gegenſeitiger
gleichförmiger Behandlung deutlich ausgeſprochene Uebereinſtimmung
der Staatsgewalten nebſt der Analogie der hierdurch vereinbarten
Grundſätze. Andere ſetzen aber noch ein höheres, alle Staaten
verpflichtendes Geſetz hinzu, ein Naturrecht, welches ſie philoſo-
phiſch conſtruiren. Die Wahrheit iſt, daß für die Europäiſchen
und von Europa ausgegangenen Staaten ein giltiges Recht nur
durch gemeinſamen Willen (consensu) beſteht, daß es jedoch zu
ſeiner Giltigkeit weder einer ausdrücklichen Anerkennung in Ver-
trägen noch einer Beſtätigung durch Gewohnheit weſentlich bedarf,
vielmehr iſt dieſes nur Eine Art der formellen Erſcheinung des Völ-
kerrechts. Es giebt nämlich
- I. ein ſchon mit innerer Nothwendigkeit anzuerkennendes, alſo
auch anerkanntes gegenſeitiges Recht der Staaten, und ins-
beſondere der in einem beſtimmten Culturgrade mit freier Fort-
entwickelung begriffenen Staaten, Grundſätze nämlich, die kein
derartiger Staat verleugnen darf, wenn er dauernd und mit
Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr Theil nehmen
will (ius ex necessitate veniens, ein hypothetiſches Naturrecht
der Staaten); ein Recht, deſſen Anerkennung alſo auch jeder
bei dem anderen vorausſetzen muß, weil er ſonſt alle Verbin-
dung mit demſelben vermeiden und aufheben würde. So iſt
von ſelbſt in dem Friedlichzuſammenbeſtehenwollen das Recht
der freien Perſönlichkeit der einzelnen Staaten enthalten; ſo
in dem Wollen eines zuverläßigen Verkehrs das Recht der
Verträge; ſo in der Ausſchließung eines ewigen Kriegszuſtan-
des das Geſetz einer menſchlichen Kriegführung. Ein ſolches
ungeſchriebenes, von ſelbſt verſtandenes Recht verkennen wol-
len, hieße die Sittlichkeit der chriſtlichen Staaten auf die nie-
drigſte Stufe ſtellen. Daneben giebt es allerdings noch
[13]§. 7. Einleitung.
- II. ein durch deutliche Willenserklärungen ſanctionirtes Recht. Die-
ſes wird beurkundet:- a) durch allſeitige ſtillſchweigende oder ausdrückliche Aner-
kennung eines allgemeinen Grundſatzes in Einem gegebe-
nen Fall ohne Beſchränkung auf denſelben, dergleichen frei-
lich nur ſehr ſelten nachzuweiſen ſein wird; - b) durch den Inhalt und Geiſt der Staatenverträge, ſo weit
dieſe (was allerdings auch nur ſelten eintritt), allen Eu-
ropäiſchen Staaten gemeinſam ſind oder für alle ſchon
die Gelegenheit ſich ergeben hat, ſich wenigſtens verein-
zelt über einen beſtimmten Grundſatz auszuſprechen; - c) durch allgemeine gleichförmige Anwendung und Beobach-
tung des nämlichen Grundſatzes in gleichartigen Fällen,
wobei einerſeits die Meinung von einer Verpflichtung
gegen den Anderen, andererſeits deſſen Meinung von ei-
nem Forderungsrecht vorwaltet; — das Staaten-Her-
kommen, die Staaten-Obſervanz. Ihr Beweis wird vor-
züglich geführt und erleichtert durch das Daſein eines
gegenſeitigen gleichen Intereſſes und durch Reciprocität
der Behandlung. Verſchieden davon iſt das bloß einſei-
tige innere Staatsherkommen jeder einzelnen Macht wi-
der auswärtige Staaten und Unterthanen, die Beobach-
tung gewiſſer Maximen gegen Auswärtige, der eignen
inneren Ordnung gemäß oder aus bloßen Rückſichten der
Höflichkeit und Menſchenliebe, oder noch engeren rein ſub-
jectiven Rückſichten, wie die ſ. g. Staats-Galanterie, wo-
durch Anderen kein Recht eingeräumt werden ſoll.
- a) durch allſeitige ſtillſchweigende oder ausdrückliche Aner-
Neben dem in ſolcher Weiſe begründeten gemeinſamen Staaten-
recht einer beſtimmten Völker-Vereinigung kann es natürlich auch
beſondere Rechte gewiſſer Staaten unter einander geben, deren Er-
werbungsarten weiterhin nachgewieſen werden ſollen.
[14]Einleitung. §. 8.
Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechts: insbeſondere die Europäiſchen
Staatshändel und Völkerverträge.
8. Schon die Phyſiologie und die allgemeine Geſchichte der
Völkerſtaaten Europa’s, namentlich ihrer Sitten, bekräftigen das
Daſein eines gemeinſamen Völkerrechts (§. 5.). Als die vorzüg-
lichſte äußere Erkenntnißquelle des Europäiſchen Völkerrechts er-
ſcheinen jedoch die Europäiſchen Staatshändel und Völkerverträge,
in deren Geiſt und Buchſtaben ſich die Uebereinſtimmung der Na-
tionen oder ihrer Regierungen beurkundet findet. Im Alterthum
liegt darin faſt die einzige Manifeſtation eines gemeinſamen Rechts-
princips. Die Verträge der alten Welt ſtehen jedoch meiſt nur auf
einer geringen Stufe von Bedeutſamkeit; ſelten gehen ſie über die
nächſten actuellen Intereſſen hinaus; entweder tritt aus ihnen das
Wehe der Beſiegten entgegen oder die Gründung einer kürzeren oder
längeren Waffenruhe, zuweilen jedoch auch die Stiftung eines Han-
delsverkehrs und ſelbſt einer Dikäodoſie nach gleichen freundlichen
Rechten. 1
Auf einer faſt noch tieferen Stufe ſtehen politiſch die Staa-
ten- oder vielmehr Fürſtenverträge des Mittelalters. Der Staat
ſelbſt löſete ſich weſentlich in privatrechtliche Verhältniſſe und In-
tereſſen auf; man verfügte über Staaten und Völker wie über Pri-
vateigenthum; nur das Lehnsverhältniß und die Kirche genoß oder
gewährte hiergegen einigen Schutz, oft auch dieſen kaum. 2
Eine Vertragspraxis der politiſchen Intereſſen begann im fünf-
zehnten Jahrhundert, mit mancherlei Vor- und Rückſchritten, 3
[15]§. 8. Einleitung.
gleichzeitig mit der Entſtehung einer Europäiſchen Politik und im
Geiſte derſelben. Man ſchloß damals Verträge auf Verträge, oft
nur als Maske des Augenblicks, ſelten von allen Theilnehmern
ernſtlich gemeint; eben ſo leicht hob man ſie auf und verbündete
ſich mit dem Gegner des bisherigen Vertragsgenoſſen. 1 Wo es
etwas zu gewinnen und zu theilen gab, drängte man ſich dazu und
ſuchte man mitzugewinnen (le systême copartageant). Vermäh-
lungen und Ausſteuer ſpielten dabei eine wichtige Nebenrolle. 2
Höhere Intereſſen wurden durch die religiöſe Spaltung im ſechs-
zehnten Jahrhundert angeregt, zuerſt mehr intenſiv im Schooße der
Staaten ſelbſt; bald aber miſchte ſich die äußere Politik ein, um
durch Benutzung der inneren Religionshändel Vortheile zu erlan-
gen, ohne eben ängſtlich für das Intereſſe der eigenen Staatsreli-
gion beſorgt zu ſein. In demſelben Zeitalter gelangte auch die
3
[16]Einleitung. §. 8.
Handelspolitik zu einem großartigeren Einfluß auf die Europäi-
ſchen Angelegenheiten, ſie verflocht mit dieſen die Colonialintereſſen,
wie ſie, vorzüglich ſeit dem Abfall der vereinigten Niederlande von
der Spaniſchen Monarchie, den Krieg ſelbſt in entferntere Weltge-
genden hinüberſpielte.
Das ſiebenzehnte Jahrhundert brachte für’s Erſte die religiöſe
Aufregung zum Stillſtande. Die Politik der Machthaber feierte
ihren Triumph auf dem Weſtphäliſchen Friedens-Congreß. Er war
lange Zeit ihr Stolz, wenn gleich der Friedensſchluß ſelbſt in man-
cher Hinſicht ſich als verhängnißvolle Pandora demnächſt geoffen-
bart hat. Gewiß wurde er eine langdauernde Baſis des ſüdweſt-
lichen Europäiſchen Staatenbeſtandes und des Gleichgewichts darin.
Zugleich aber auch der Wendepunct zwiſchen der älteren und neue-
ſten Diplomatie. Bis dahin hatte man noch immer mindeſtens
einen Schein des Rechts zur Grundlage der Verhandlungen ge-
macht; der Friedens-Congreß zu Münſter und Osnabrück ließ es
ſchon weniger ſeine Aufgabe ſein, gekränkte Rechte wiederherzuſtel-
len, als vielmehr nach politiſchen Convenienzen zu verfahren und
ſogar Rechte zu vernichten, z. B. im Wege der Säculariſation und
Mediatiſirung. 1
Die nächſte Folge war eine überaus geſchäftige Politik, theils
um jeden äußeren Vortheil zu erlangen, theils um das mühſam
hergeſtellte Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Die ſ. g. Einmi-
ſchungspolitik kam zur vollen Blüthe, mit ihr die Praxis der all-
gemeinen Friedens-Congreſſe und Concerts, worin man bei dem
damals herrſchenden Regierungsſyſtem nach Unterdrückung der Feu-
dalſtände nicht ſehr gehindert war. Im Haag war gewiſſermaßen
der neutrale Heerd der Diplomatie, wo man die Karten miſchte
oder das Spiel zu endigen ſuchte, und ſich gegenſeitig auch bei
feindlichen Zuſtänden aufſuchen konnte.
Noch den größeren Theil des achtzehnten Jahrhunderts hin-
durch blieb die Europäiſche Vertragspraxis ein Syſtem des poli-
tiſchen Calcüls jede für das Gleichgewicht gefährliche Uebergewalt
möglichſt zu beſeitigen, wo nicht das Glück der Waffen oder die
Verwickelung der Umſtände einen Theil unrettbar in die Hand des
anderen gegeben hatte. Außerdem ließ man zwar nicht das ſtrenge
[17]§. 9. Einleitung.
Recht, wohl aber eine gewiſſe Mäßigung in den Staatshändeln
und bei deren Schlichtung vorwalten; es war vorzüglich der sta-
stus quo auf welchen man wieder zurückzukommen ſuchte; 1 eine
möglichſt farbloſe blaſſe Diplomatie.
Jedoch auch dieſer Geiſt der Mäßigung ſchwand eine Zeitlang
im Norden mit der Theilung Polens, im Weſten mit den Siegen
der Revolution. Der Sieger dictirte die Tractaten; was dem Be-
ſiegten blieb, war Gnade oder weiſe Schonung für den Augenblick;
Veränderungen des Beſitzſtandes wurden oft nur durch ein Sena-
tus-Conſult oder eine Proclamation angezeigt. Alle Verträge ſeit
dem Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts bis 1814 drehten
ſich beinahe um die Axe der Napoleoniſchen Herrſchaft oder ins-
geheim um den entgegengeſetzten Pol, bis der Widerſtand dagegen
offen aufzutreten vermochte und das Vertragsgewebe v. 1815 erſchuf.
Dieſer glückliche Erfolg führte die Praxis der Congreſſe zurück
und erweiterte ſie noch in Form und Richtung. Die letztere war
ein non plus ultra gegen die Revolution oder wo ſie nicht zu un-
terdrücken war, wenigſtens die Erhaltung eines möglichſt gefahrlo-
ſen status quo, während andrerſeits, wo die Revolution ſich in
den Conſtitutionalismus eingefriedigt hatte, Alliancen zur Selbſt-
entwickelung des inneren Staatenlebens geſchloſſen wurden.
Die großartigſten Gegenſtände von Staatenverträgen, welche
theils in Verbindung mit der Tagespolitik ſtanden, theils außer
derſelben abgehandelt wurden, waren in der zweiten Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts die Rechte der Neutralen zur See, ſodann im
gegenwärtigen das Napoleoniſche Continentalſyſtem, weiterhin die
Unterdrückung des Sclavenhandels, endlich der deutſche Zollverein.
Die Theorieen und Literatur des Völkerrechts.
9. Eine andere, wenn auch nur mittelbare Quelle des Euro-
päiſchen äußeren Staatenrechts iſt die wiſſenſchaftliche oder auch nur
referirende Darſtellung deſſelben in den Schriften der verſchiedenen
Entwickelungsſtadien. Wie in anderen Beziehungen hat auch hier
die Wiſſenſchaft und Preſſe theils beſtätigend, theils vorauseilend
und vorbereitend gewirkt; ſie iſt ein Zeugniß von der Wirklichkeit
ihrer Zeit oder von den darin Statt findenden Schwankungen.
2
[18]Einleitung. §. 9.
Die alte Welt bietet in dieſer Hinſicht kein zuſammenhängen-
des Werk dar. Die Juriſten des Mittelalters haben die völker-
rechtlichen Fragen ihrer Zeit nach romaniſtiſchen und canoniſtiſchen
Sätzen entſchieden. In den Anfängen der neuen Europäiſchen Zeit
trat an die Stelle des Rechts die raffinirende Staatsklugheit, de-
ren Vertreter und Lehrer vorzüglich Nicolo Macchiavelli wurde.
Seine Schrift vom Fürſten iſt ein Meiſterwerk der ſich über jede
objective Schranke hinausſetzenden ſelbſtſüchtigen Subjectivität, de-
ren es freilich zu mancher Zeit und für manche Völker bedurft hat,
um ſie zum Bewußtſein ihrer Verſumpfung und zu einer neuen
Erhebung zu bringen. 1 Weiterhin ſuchten im ſechszehnten Jahr-
hundert practiſche Juriſten ein Syſtem gegenſeitiger Forderungs-
rechte unter den chriſtlichen Staaten zu begründen; zuerſt nur mehr
für einzelne nahe liegende Fragen, 2 bis Hugo Groot, geb. 1583
† 1645, den ganzen in der bisherigen Staatspraxis ſich darbie-
tenden Kreis des internationalen Rechts umfaſſend, daſſelbe zu ei-
ner eigenen ſelbſtändigen [Wiſſenſchaft] erhob, welche bis auf den
heutigen Tag ununterbrochen gepflegt worden iſt. Er unterſchied
in ſeinem unſterblich gewordenen Buche vom Recht des Friedens
und des Krieges, welches 1625 vollendet ward, 3 ein doppeltes Völ-
kerrecht, ein unveränderlich natürliches und ein willkührliches aller
oder doch mehrerer Völker. Eine tiefere Grundlegung findet ſich
nicht, alſo auch keine innere Vermittlung des natürlichen und po-
ſitiven Rechts. Seine Hauptrichtung war, das wirklich ſchon, we-
nigſtens in einzelnen Fällen geübte Recht, ſo weit es der Sitt-
lichkeit entſpricht zu beſtätigen, für andere noch nicht entſchiedene
Fragen dagegen eine der Sittlichkeit entſprechende Löſung aus all-
gemeinen juriſtiſchen Regeln und ehrwürdigen Auctoritäten zu ge-
ben. Dieſe ſittliche Durchſichtigkeit verſchaffte dem Buche ſelbſt den
bleibendſten Beifall. Demnächſt aber haben ſich in der Grundan-
[19]§. 9. Einleitung.
ſicht und Behandlungsweiſe vorzüglich zwei Richtungen ergeben, de-
ren jede wieder ihre beſonderen Nüancen darbietet.
Die Eine Hauptrichtung iſt die naturrechtliche, ausgehend von
der Thatſache oder Fiction eines der menſchlichen Natur eingepflanz-
ten oder vorgeſchriebenen Vernunftgeſetzes, dem ſich kein menſchli-
ches Weſen und menſchlicher Verein entziehen dürfe. Dieſe Rich-
tung beginnt ſchon vor Groot; 1 ſie war der nothwendige Gegen-
ſatz, um die Herrſchaft der rein materiellen politiſchen Intereſſen
zu ſtürzen; aber auch in ihr ſelbſt fehlte es nicht an Gegenſätzen.
Auf der einen Seite gab es Manche, welche ein durch ſich ſelbſt
verbindliches poſitives, namentlich internationales Recht gänzlich
leugneten, und das vermeintlich allein wahre natürliche Recht ent-
weder auf die ſubſtanzielle Macht der Gewalt oder eines göttlichen
Auftrags der Herrſchaft über Andere, wodurch dann erſt das menſch-
liche Recht ſelbſt geſchaffen werde, gründeten, wie z. B. der Brite
Hobbes, geb. 1588 † 1679, der die Gewalt vergötterte, 2 in Frank-
reich noch in neuerer Zeit, wenn auch in anderer Weiſe Herr von
Bonald; 3 oder auf die ethiſchen Regeln der Gerechtigkeit für alle
Menſchen, wie Samuel v. Pufendorf, geb. 1631 † 1694, in
ſeinem ius naturae et gentium;4 ſodann Chriſtian Thomaſius
(1655—1728) in mehreren Schriften. 5
Je mehr dieſe Lehren aber gegen die Wirklichkeit anſtießen oder
der Willkühr der Macht das Feld ebneten, deſto mehr fanden ſie
Widerſtand. Der größere Theil der Rechtsgelehrten bewegte ſich
lieber auf dem bequemeren und praktiſchen Boden der Grootiſchen
Anſchauung, legte auch dem Poſitiven eine Verbindlichkeit bei und
betrachtete das ſ. g. natürliche Recht der Einzelnen und der Völ-
2*
[20]Einleitung. §. 9.
ker als das von ſelbſt vorherrſchende, wenigſtens als eine ſubſidia-
riſch giltige Quelle. In dieſem Sinne lehrte und ſchrieb zunächſt
nach Groot der Brite Richard Zouch (1590—1660). 1 Auch
die Philoſophen kamen bald hiebei zur Hilfe, vorzüglich Chriſtian
Friedrich v. Wolff (1679—1754), welcher ſich im Weſentlichen
mit Groot einverſtanden zeigte. 2 In dieſem Sinn dachten und
ſchrieben Hermann Friedrich Kahrel (1719—1787), Adolph Fried-
rich Glafey (1682—1754), 3 vorzüglich Emerich von Vattel,
ein Schweizer (1714—1767), deſſen Werk, 4 ganz dem Syſtem
Wolfs entſprechend, nur durch ſeine gefällige und praktiſche, ob-
gleich oft ſeichte Weiſe ſich einen Platz neben Groot in den Bi-
bliotheken der Staatsmänner verſchafft hat; außerdem T. Ruther-
ford, 5 J. J. Burlamaqui 6 und Gerard de Rayneval. 7
Noch weiter in dem Gegenſatz zu Pufendorf gingen die vor-
zugsweiſen Anhänger des hiſtoriſch-praktiſchen Rechts, unter denen
ſich wieder zwei Fractionen unterſcheiden laſſen: nämlich die rei-
nen Poſitiviſten, welche nur ein durch Herkommen oder Verträge
beſtätigtes internationales Recht anerkennen, ein Naturrecht oder
natürliches Völkerrecht aber ganz ignoriren oder dahingeſtellt ſein
laſſen, und andrerſeits diejenigen, welche zwar in dem Völkerwil-
len allein den Grund eines praktiſchen gemeinſamen Rechts finden,
denſelben jedoch nicht bloß in äußeren Manifeſtationen ſuchen, ſon-
dern in der Nothwendigkeit der Dinge, in den Standpuncten und
Verhältniſſen, worin die Nationen zu einander treten, als von ſelbſt
gegeben entdecken, ſomit zwar kein abſolut verbindliches ius natu-
[21]§. 9. Einleitung.
rale, wohl aber die naturalis ratio der Perſonen, Dinge und Ver-
hältniſſe, oder auch überhaupt das Wollen der Gerechtigkeit, in
den Willen der Nationen eingeſchloſſen betrachten.
Zur letzteren Fraction gehörte bereits Samuel Rachel (1628—
1691), der unmittelbare Gegner Pufendorfs; 1 ſodann Johann
Wolfgang Textor (1637—1701) mit einigen Andern. 2 Zur
Fraction der reinen Poſitiviſten hingegen, den Männern des Her-
kommens, der Geſchichte und Praxis: Cornelius van Bynkershoek
(1673—1743), 3 der Chevalier Gaspard de Real; 4 in Deutſch-
land J. J. Moſer (1701—1786), der ſich faſt nur an äußere
Thatſachen hielt; 5 ſodann beinahe die ganze neuere publiciſtiſche
Schule, nachdem Kant das Naturrecht geſtürzt, das Recht von der
Ethik und Speculation getrennt und lediglich der poſitiven Will-
kühr überwieſen hatte. In dieſem Sinn lehrte und ſchrieb Gr.
Friedr. v. Martens (1756—1821), der das gegenſeitige Recht
der Nationen weſentlich auf Verträge und die daſelbſt angenomme-
nen Grundſätze baute; 6 ferner Carl Gottlob Günther (geb. 1772);
ſpäterhin Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831), Joh.
Ludwig Klüber (1762—1835), Julius Schmelzing, Carl Hein-
rich Ludwig Pölitz (1772—1834) und Carl Salomo Zachariä
(1769—1843), bei denen überall das natürliche oder philoſo-
phiſche Völkerrecht höchſtens als influenzirendes Motiv des Poſiti-
ven, oder auch als ſubſidiariſches Recht im Fall der Noth ange-
ſehen wird, ohne daß man ſieht, wie es zu dieſer Ehre kommt,
worauf es ſich ſtützt und ohne daß die vorgetragenen Lehren durch-
gängig als poſitive dargethan werden können. Als Gegner dieſes
Syſtems iſt in neueſter Zeit Pinheiro Ferreira in ſeinen Commen-
[22]Einleitung. §. 10.
tarien zu v. Martens aufgetreten, 1 im Geiſt der zuvor erwähn-
ten Fraction, welche eine wiſſenſchaftliche Reflexion und Polemik
nicht entbehren kann, wogegen Mr. Wheaton 2 ſich weſentlich auf
die Seite der Praxis und Poſitiviſten geſtellt hat, ohne ſich der
Billigkeit und Critik aus den höheren Geſichtspuncten einer allge-
meinen Gerechtigkeit zu verſchließen.
Am entfernteſten von allen bisher geſchilderten Fractionen ſte-
hen diejenigen, welche das Völkerrecht nur von dem Intereſſe der
Staaten abhängig machen, ſei es von dem Egoismus der Indi-
vidual-Intereſſen jedes Einzelſtaats, oder von den allgemeinen In-
tereſſen aller Staaten, wie Montesquieu, 3 in neuerer Zeit Jere-
mias Bentham.
Auch die neueſte Philoſophie hat den Streit der Syſteme und
Principien noch nicht beſeitigt. Sie glaubt entweder mit Schel-
ling an eine Geſetz-Offenbarung des göttlichen Geiſtes für die Na-
tionen, oder ſie vindicirt mit Hegel auch das Völkerrecht der menſch-
lichen Freiheit, dem Willen, der ſich ſelbſt das Recht ſetzt oder in
Gemeinſchaft mit anderen bildet.
Unſere Ueberzeugung haben wir ſchon ausgeſprochen (§§. 2. 7.).
Thatſächlicher Regulator der Staatenverhältniſſe.
10. So weit nicht ein gemeines klar erweisliches Völkerrecht
ſeine Kraft äußert, iſt die Geſtaltung der Staatenverhältniſſe noch
allezeit der freien That, dem Willen der Einzelnen überlaſſen. Eben
deshalb müſſen wir, bevor wir zur Entwickelung der einzelnen Ge-
genſtände unſerer Wiſſenſchaft übergehen, noch eines thatſächlichen,
wenigſtens proviſoriſchen Regulators der Staatenverhältniſſe geden-
ken, der Macht des Beſitzes oder des gewöhnlich ſ. g. status quo.
Es iſt nämlich jeder Beſitz, den eine Perſon für ſich wiſſentlich er-
greift oder ausübt, als freiheitliche That die Satzung und Erklä-
rung eines ſubjectiven Rechts, welche zwar keine entgegenſtehenden
objectiven Rechte beſeitigen kann, dennoch aber deren Uebung hin-
dert, und ſich bis zum Ausbruch eines etwanigen Streites als Recht
[23]§. 11. Einleitung.
der freien Perſon geltend macht. Muß darum ſelbſt das geſetzliche
Recht im Innern der Staaten dem Beſitz einen gewiſſen Schutz
leihen, ſo verſteht ſich jene Geltung des Beſitzes um ſo viel mehr
nach dem freien Recht der Nationen unter ſich. Und auch für
Dritte außer den Betheiligten und deren Angehörigen iſt wenigſtens
einſtweilen der Beſitzſtand eine Thatſache, welche das Recht ſelbſt
vertritt und die unter ihm entſtandenen Rechtsverhältniſſe ſanctio-
nirt, als wären ſie von dem wirklich Berechtigten ausgegangen; 1
nur mag dem Willen und Rechtszuſtand deſſelben für die Zukunft
kein Zwang oder Eintrag angethan werden. Anwendungen dieſes
Satzes werden in der Folge ſich ergeben.
Die Natur des Beſitzes für ſich ſelbſt iſt übrigens im Völker-
recht keine andere, als im Privatrecht. Nur die näheren Bedingun-
gen zum richterlichen Schutz des Beſitzes kommen dort nicht in
Betrag: Es genügt die Thatſache des für ſich Selbſt-Beſitzens,
ausgenommen in Staatenſyſtemen, wo es eine unblutige Dikäo-
doſie der Genoſſen nach beſtimmten Geſetzen giebt, wie im Deut-
ſchen Bunde nach vormaligen gemeinen Reichsrechten. Nicht bloß
Sachen, ſondern auch Gerechtſame (iuris quasi possessio) kann
ein völkerrechtlicher Beſitzſtand ergreifen. Unwiſſend übt man kei-
nen Beſitz; 2 den Staat aber vertreten hier die Organe der Staats-
gewalt und deren Beauftragte.
In welchen Fällen der Beſitz auch ein wirkliches Recht giebt,
wird im Folgenden bemerkt werden.
Quellen der Specialrechte einzelner Staaten.
11. Rechtsverhältniſſe einzelner Staaten, die nicht ſchon nach
gemeingiltigen Grundſätzen des Völkerrechts exiſtiren, können nur ge-
gründet werden auf Verträge, ſodann auf Beſitzergreifung herren-
oder ſtaatloſer Gegenſtände, wovon weiterhin erſt im Zuſammen-
hang zu handeln iſt; außerdem aber noch auf unvordenklichen Be-
ſitz (vetustas, antiquitas, res quarum memoria non existit);
[24]Einleitung. §. 11.
endlich auf Beſitz einerſeits und ſtillſchweigende Aufgebung eines
bisherigen entgegenſtehenden Rechts andrerſeits. Von einer eigent-
lichen beſtimmten Verjährung kann dagegen in Ermangelung
poſitiver Normen unter den Nationen ſelbſt keine Rede ſein, 1 ſo
immanent auch an ſich jedem geſchloſſenen Rechtsſyſtem die Idee
oder Nothwendigkeit einer Verjährung iſt. 2 Die Dauer von Staa-
tenrechten, welche nicht durch Zweck und Convention auf beſtimmte
Zeit beſchränkt ſind, iſt daher an ſich von dem Verlauf gewiſſer
Jahre nicht abhängig; ſie beſtehen ſo lange, als der Berechtigte ſie
nicht aufgegeben oder in die Unmöglichkeit gekommen iſt, ſie fer-
ner geltend zu machen. Eine Aufgebung kann aber erfolgen ent-
weder im Wege des Vertrags oder durch einſeitige Dereliction,
wodurch dann von ſelbſt ein entgegenſtehender Beſitz jeder Anfech-
tung überhoben wird; eine Dereliction aber kann allerdings auch
aus einem langen Zeitverlauf zu erſchließen ſein, wenn der vor-
mals Berechtigte Gelegenheiten des Widerſpruchs oder der Wie-
derausübung ſeines Rechts hat vorübergehen laſſen. Immer jedoch
entſcheidet hier nur die Regel eines erkennbaren Verzichts. 3
Was den unvordenklichen Beſitzſtand betrifft, 4 ſo kann darun-
ter nur ein ſolcher gemeint ſein, wo der Beweis, daß es jemals
anders war, nicht geführt werden kann und demnach die Vermu-
thung entſteht, daß von Anfang an die Sache oder das Recht zu
dem beſitzenden Staat gehört habe. Der jetzige aber ſchon uralte
[25]§. 11. Einleitung.
Beſitzſtand iſt eine vollendete Thatſache, wogegen die Geſchichte
Nichts vermag.
Wie viele Staatenrechte, Grenzen und Beſitzungen würden
nach bloß theoretiſchen Rechtsgründen, oder wenn man nach den
Rechtstiteln früge, anzufechten ſein, wenn nicht das von der Ge-
ſchichte geborene Alter ſie niederſchlüge?
Außerdem muß freilich auch den Staaten geſagt ſein: hundert
Jahr Unrecht iſt noch kein Tag Recht.
[[26]]
Erſtes Buch.
Völkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Erſter Abſchnitt.
Die Subjecte des Völkerrechts und ihre Grundverhältniſſe.
12. Die Subjecte, auf welche ſich das Völkerrecht überhaupt
bezieht, ſind:
- I. der Menſch an ſich;
- II. die einzelnen, im gemeinſamen Rechtsſyſtem begriffenen Staa-
ten; - III. die Souveräne derſelben und ihre Familien;
- IV. die einzelnen Staatsangehörigen als ſolche, anderen Staaten
gegenüber.
Allen dieſen ſtehen ſchon als Vorausſetzungen oder Theilen der völ-
kerrechtlichen Verbindung gewiſſe unleugbare, gleichſam angeborene
(native) Rechte zu, dann aber auch nach dem Herkommen und durch
Verträge beſtimmte poſitive Rechtsanſprüche, welche bald nur die
Verwirklichung oder concrete Weiterführung der naturalis ratio,
eines nothwendigen Gedankens, eines nativen Rechts ſind, bald aber
auch rein willkührliche äußerliche Zugeſtändniſſe ohne innere Noth-
wendigkeit. Rechte dieſer Art bezeichnet die diplomatiſche Sprache
häufig durch Cerimonialrechte (droits cérimoniels ou de cérémo-
nie). Von ihnen wird hier zunächſt nur in ſo weit die Rede ſein,
als ſie in einer unmittelbaren Beziehung zu den Grundverhältniſſen
der Staaten und übrigen völkerrechtlichen Perſonen ſtehen.
Erſte Unterabtheilung.
Der Menſch und ſein Recht.
13. Hat ſchon der Menſch mit ſeiner Exiſtenz gewiſſe angebo-
rene Rechte, ſo muß ſie auch jeder Staat, weil er ſelbſt ein Theil
des Menſchengeſchlechts iſt, als giltig anerkennen und achten, das
Individuum gehöre zu ihm ſelbſt, oder zu einem anderen oder noch
zu gar keinem Staat. Freilich aber iſt das Daſein ſolcher Urrechte
oder allgemeiner Menſchenrechte bald geleugnet, bald in größerer
und kleinerer Ausdehnung behauptet worden. Gewiß ſind ſie nur
eine Wahrheit für Staaten, deren Geſetz die Sittlichkeit des Wil-
lens iſt, und jeder derſelben kann dann auch wenigſtens für ſeine
Unterthanen die Anerkennung dieſer Menſchenrechte in Anſpruch neh-
men, keiner die Achtung oder das Verbleiben in dem Kreiſe der
Uebrigen verlangen, wenn er dieſe Rechte ſelbſt an den ihm frem-
den Perſonen mißkennet oder zu Boden tritt.
14. Alle Rechte nun, welche nach der Sittlichkeit dem Indi-
viduum unabweislich zugeſtanden werden müſſen, concentriren ſich
in dem Begriff der Freiheit, von ihrer objectiven Seite betrachtet;
der Menſch iſt zum Menſchen geboren, d. i. der menſchlichen Na-
tur und ihrem Entwickelungsgange gemäß phyſiſch und ſittlich
zu exiſtiren; der Staat als Theil des Menſchengeſchlechts und für
daſſelbe, darf dieſe Exiſtenz nicht ſtören oder unterdrücken; vielmehr
hat er ihre freie Entwickelung durch Entfernung von Hinderniſſen
zu befördern; gegen den überhaupt oder vorübergehend zur Freiheit,
zu einem vernünftigen für ſich ſelbſt Handeln Unfähigen beſteht ſogar
die Verpflichtung Aller, mithin auch des Staates, ihn mit den
nothwendigſten Bedürfniſſen zu unterſtützen, zum vernünftigen Men-
ſchen zu erziehen, oder doch approximativ auf der Höhe und in der
Verbindung ſittlicher Menſchen zu erhalten. Aber kein Menſch kann
[28]Erſtes Buch. §. 15.
das Eigenthum eines Anderen, ſelbſt nicht des Staates ſein, kein
Staat darf Sclaverei dulden. 1
15. Zergliedert man den Inhalt der menſchlichen Freiheit, d. i.
der vernünftigen Exiſtenz des Individuums näher, ſo laſſen ſich
weiter folgende Einzelrechte darin erkennen:
Erſtens: Freie Wahl des Ortes der Exiſtenz. Kein Menſch
iſt zur Scholle eines beſtimmten Staates unabänderlich geboren.
Das gemeinſame Vaterland iſt die Erde; der Einzelne muß über-
all ſeine Heimath aufſchlagen können, wo er ſich am Meiſten in
ſeiner Freiheit zu bewegen vermag; ja es kann Pflicht ſein, ſich
nach einer anderen Stelle der Erde zu begeben, um ſeine Freiheit
zu retten. Das Recht der Auswanderung iſt alſo ein unentziehba-
res; nur ſelbſtauferlegte oder verſchuldete Verpflichtungen können
es beſchränken; 2 nur moraliſche, nicht äußere Bande machen ein
Land zum Vaterlande.
Zweitens: Erhaltung und Entwickelung der phyſiſchen Per-
ſönlichkeit; daher das Recht ſich die Natur für die nothwendigen
und nützlichen Bedürfniſſe des Lebens dienſtbar zu machen, Eigen-
thum zu haben, es zu erhalten und zu erweitern in freiem Aus-
tauſch mit anderen; ferner das Recht der Selbſtfortpflanzung durch
Ehe und Kinderzeugung; alles in den Schranken der Sittlichkeit.
Drittens: das Recht der geiſtigen Perſönlichkeit, als Menſch
auch geiſtig zu exiſtiren [und] zu entwickeln; ſich ein Wiſſen zu er-
[29]§. 16. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
werben und im Verkehr mit anderen zu berichtigen; endlich auch ein
religiöſes Bewußtſein über das Verhältniß zur unſichtbaren Welt
ſich anzueignen um darnach zu leben.
In dieſen Stücken beſteht das Privatrecht der Menſchen. Der
Staat ſchafft es nicht erſt, ſondern empfängt es als ein Gegebe-
nes; er hat ihm nur die Ordnung und richtigen Grenzen vorzu-
zeichnen, und die Mittel zu ſeiner Realiſirung zu gewähren. Ja,
er muß, wo dieſe nicht ausreichen, dem Einzelnen die Selbſtver-
theidigung ſeines Rechtsſtandes geſtatten, wie dieſe außer dem Staat
das einzige Mittel ſeiner Erhaltung iſt.
Nur durch Verbrechen, d. h. durch Auflehnung gegen das We-
ſentliche der Staatsordnung ſelbſt, kann es ganz oder theilweiſe
verwirkt werden.
Zweite Unterabtheilung.
Die Staaten.
I. Ihre Natur, Bedeutung und Verſchiedenheiten.
16. Staaten ſind die vereinzelten ſtetigen Verbindungen von
Menſchen unter Einem Geſammtwillen für die ſittlichen und äu-
ßeren Bedürfniſſe der menſchlichen Natur. Ihre gemeinſame Auf-
gabe iſt die vernünftige Entfaltung des Menſchen in ſeiner Frei-
heit. Denn der Staat an ſich iſt die praktiſche, das ganze Leben
umfaſſende Vernunft. Aber es giebt keinen Univerſalſtaat. Gäbe
es einen ſolchen, ſo müßten Alle dagegen kämpfen, um ihn wieder
in die nationalen Stoffe aufzulöſen, in den Bau von Einzelſtaa-
ten, in welchen ſich die menſchliche Kraft allein im gehörigen Maaß
und Gleichmaaß entwickeln kann. Zur Exiſtenz jener Einzelſtaaten
gehört nun:
- I. das Daſein einer Gemeinde mit den nöthigen Mitteln und
Kräften, um ſich in ihrer Vereinzelung zu behaupten;
[30]Erſtes Buch. §. 17.
- II. das Daſein eines ausſchließlichen organiſchen Geſammtwil-
lens — der Staatsgewalt — zur Führung und Vollendung
der Verbindung in der angedeuteten Richtung; - III. eine Stetigkeit der Verbindung (ein status), als natürliche
Bedingung ungehinderter naturgemäßer Entfaltung. Sie be-
ruhet weſentlich auf feſtem und zureichendem Landbeſitz, auf
Bildungsfähigkeit und auf Sittlichkeit der Gemeinde.
Wo Eines oder das Andere fehlt oder anders iſt, da ſind entwe-
der nur Embryonen oder Uebergänge zum Staat vorhanden, oder
Geſellſchaftsaggregate zu einzelnen beſtimmten Zwecken; Horden oder
Naturſtaaten, die ohne inneren Bildungsſtoff in ſich ſelbſt zergehen.
Auch die geſchichtliche oder Weltbedeutung der wirklichen Staaten
iſt bald nur eine vorübergehende mechaniſche (états de fait, de
circonstance), welche ſich entweder ganz wieder auflöſen oder der
Kern der anderen werden, bald aber auch eine bleibende natürliche,
auf Naturfülle und Nationaleinheit gegründete.
17. Außerweſentlich iſt für das Völkerrecht im Allgemeinen das
größere oder geringere Gewicht, welches ein Staat in die Wag-
ſchale der Völkerereigniſſe zu legen vermag. 1 Erheblicher iſt für
die internationalen Verhandlungen die innere Verfaſſung der Ein-
zelſtaaten, weil davon die Dispoſitionsfähigkeit der Regierungen ab-
hängig iſt, obgleich ihre Herſtellung nicht den Staaten unter ſich,
ſondern vielmehr jedem Staat in ſich ſelbſt weſentlich zuſteht. Von
dieſer Seite betrachtet giebt es zwei Hauptarten der Staaten, nämlich
- A. Monarchieen,
- B. Gemeinweſen,
[31]§. 17. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
deren jede ihre natürlichen haltbaren Unterarten hat. Nebenbei lie-
gen die Ausartungen (Parekbaſen von Ariſtoteles genannt) ſo wie
die Miſchungen.
Das Weſen der wahren Monarchie iſt die auf anerkannten Ge-
ſetzen oder anderen rechtlichen Grundlagen beruhende Alleinherrſchaft,
welche nach vernünftigen Geſetzen regiert. Hierunter iſt begriffen
die unbeſchränkte Monarchie, wo Wille des Herrſchers und der
Staat identiſch ſind (l’état c’est moi) und der Monarch formell
nicht Unrecht thun kann; dann:
die beſchränkte Monarchie, wo die Regierung ſelbſt auch be-
ſtimmten Geſetzen dem Volk gegenüber unterworfen und verantwort-
lich, das Volk ein Rechtsbegriff iſt.
Die Benennungen der monarchiſchen Staaten richten ſich her-
kömmlich nach den Titeln des Staatsoberhauptes. Dieſe aber ſind
der Königs- und Kaiſertitel, wovon jener der älteſte und
gewiſſermaßen urſprüngliche iſt, einen Herrn1bezeichnend, die-
ſer, der Imperatorentitel, der ſpätere, einen Befehlenden an-
deutend;
der Fürſtentitel, germaniſchen und ſlaviſchen Urſprungs, ur-
ſprünglich nur einen Erſten im Staat anzeigend, mit verſchie-
denen Abſtufungen aus dem Lehnſtaat des Mittelalters, Her-
zog, Fürſt, Graf u. ſ. w.
Als Mittelſtufe zwiſchen König und Fürſten hat ſich ſeit
dem 16ten Jahrh. der Titel eines Großherzogs2gebildet.
Neben der Monarchie liegt die Tyrannis oder Uſurpation, wenn
ein Einzelner nicht durch Recht ſondern durch Gewalt und Furcht
herrſcht.
Ein Gemeinweſen iſt überhaupt vorhanden, wo es keine bloß
Herrſchenden und gegenüber nur Gehorchende giebt, ſondern die Herr-
ſchenden zugleich auch gehorchen und beherrſcht werden. Hierunter
iſt begriffen:
die reine Demokratie, wo alle natürlich fähigen Glieder des Volks
zugleich an der Ausübung der Staatsgewalt Theil haben;
die Ariſtokratie, wo nur Bevorrechtete herrſchen, eine Selbſtre-
[32]Erſtes Buch. §. 18.
gierung des Volks mit Ungleichheit, bald Timokratie, bald Fami-
lienherrſchaft, bald Geldherrſchaft.
Eine Ausartung des Gemeinweſens iſt die Ochlokratie oder die
wandelbare Herrſchaft des augenblicklichen Willens der Maſſe.
Die hiſtoriſche Stufenfolge der Staatsverfaſſungen iſt:
- I. Der morgenländiſche Staat, ein Staat der Kindheit und
Knechtſchaft, eine Despotie oder Oligokratie mit Prieſterthum
in Verbindung. Seine durch Chriſtenthum und geiſtige Cul-
tur veredelte Form iſt der ſlaviſche Staat, mit oder ohne feu-
daliſtiſche Einrichtungen und Stände. - II. Der Europäiſche Staat, nämlich
- a) der klaſſiſche Staat der alten Welt, Anfangs ein heroiſches
Königthum unter Mitregierung der Geronten, dann Volks-
herrſchaft, ſelten ein reines Königthum, bis der römiſche
Imperatorenſtaat, ein Regieren bloß nach politiſcher Con-
venienz, Alles in ſich verſchlang; - b) der germaniſche Staat des früheſten Mittelalters, oder der
grundherrliche und Gemeindeſtaat; - c) der romaniſch-germaniſche, nach dem Typus der römiſchen
Imperatorenherrſchaft, beſchränkt durch Lehnsweſen und
Gemeindekraft; - d) der abſolute Staat, das jetzt ſ. g. ancien regime;
- e) der moderne conſtitutionelle Staat, oder die Baſirung der
Staatsgewalt auf die wirkliche Uebereinſtimmung des ge-
meinen Willens, wenigſtens der Majorität; gegründet bald
auf die Idee der Volksſouveränetät (Volksſtaat), bald auf
fürſtliche Machtvollkommenheit mit garantirten Rechten der
Unterthanen (der dynaſtiſch-conſtitutionelle Staat).
- a) der klaſſiſche Staat der alten Welt, Anfangs ein heroiſches
Den fruchtbarſten Boden hat das conſtitutionelle Princip im
Weſten, Süd- und Nordweſt Europa’s gefunden. Abgeſchloſſen wird
es gegen den ſlaviſchen und orientaliſchen Staat durch einen Gür-
tel der mannigfaltigſten Staatennüancirungen, der von Italien durch
das öſtliche und nördliche Deutſchland bis nach Dänemark ſich her-
überzieht. Nebenher ſtehen unter den monarchiſchen Staaten ver-
einzelte republikaniſche Gemeinweſen, theils von demokratiſcher theils
ariſtokratiſcher Färbung.
Nähere Betrachtungen hierüber gehören dem Staatsrecht an.
[33]§§. 18. 19. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
18. Das weſentlichſte Kennzeichen eines wirklichen Staates be-
ſteht in dem organiſchen Daſein einer eigenen vollkommenen Staats-
gewalt. Ihre Ausſchließlichkeit und Unabhängigkeit von äußerem
Einfluß iſt die völkerrechtliche Souveränetät der Staaten. Jedoch
iſt letztere nicht immer in gleicher Weiſe, weder factiſch noch recht-
lich vorhanden; unter den mancherlei Staatengebilden laſſen ſich in
dieſer Hinſicht folgende Categorien erkennen:
- I. Der einfache, freie, ſouveräne Staat, ohne ſonſtigen bleiben-
den Zuſammenhang mit anderen Staaten, außer dem allge-
mein völkerrechtlichen. - II. Der zuſammengeſetzte Staat, 1 in der weiteſten Bedeutung
des Worts, nämlich:- a) der halbſouveräne 2 Staat, in bleibender Abhängigkeit
von dem Willen eines anderen Staates, wenigſtens für
ſeine äußeren Verhältniſſe (§. 19.); - b) der Staatenverein (unio civitatum) oder die Vereini-
gung mehrerer an ſich getrennter Staaten mit einer ge-
meinſamen Staatsgewalt, wobei wieder vielfache Ver-
ſchiedenheiten vorkommen (§. 20.).
- a) der halbſouveräne 2 Staat, in bleibender Abhängigkeit
- III. Der Staatenbund (confoederatio civitatum) oder die blei-
bende Vereinigung mehrerer Staaten zur gegenſeitigen Er-
gänzung und Erreichung gemeinſamer Zwecke.
Ueberdieß kann ſelbſt der völlig ſouveräne Staat in ſeinen äu-
ßeren Beziehungen beſtimmten weſentlichen Beſchränkungen unter-
worfen ſein (§. 22.).
19. Halbſouveränetät iſt zwar ein überaus vager Begriff,
ja ein Widerſpruch in ſich, da der Ausdruck Souveränetät gerade
die abſolute Negation jeder äußeren Abhängigkeit bedeutet und eine
Beſchränkung dieſer Negation im Allgemeinen eine große, ja zahl-
loſe Menge von Abſtufungen zuläßt, welche ſich nicht auf Zahlen-
verhältniſſe zurückführen laſſen. In ſo fern jedoch die Souverä-
3
[34]Erſtes Buch. §. 20.
netät eine weſentlich doppelte Bedeutung und Wirkſamkeit hat, eine
äußere, anderen Staaten gegenüber, und eine innere, in dem Be-
reich des eigenen Staats, wovon letztere freilich auch regelmäßig
die Baſis der erſteren iſt, kann man, wo zwar dieſe Baſis vorhan-
den, jedoch die äußere Wirkſamkeit durch eine höhere Macht ent-
zogen iſt, das Verhältniß der Staatsgewalt eine Halbſouveränetät
nennen. Dieſem Verhältniß entſprach vormals 1 die deutſche lan-
desherrliche Gewalt, 2 vor ihrer letzten faſt maaßloſen Ausdehnung,
ſo lange es noch eine kräftige Reichseinheit gab. Beiſpiele in heu-
tiger Zeit ſind die Herrſchaft Kniphauſen in Norddeutſchland, mit
allen Rechten der inneren Landeshoheit, des Seehandels und einer
eigenen Flagge, unter dem Schutze des Deutſchen Bundes und un-
ter der Hoheit, welche Oldenburg anſtatt der ehemaligen Deutſchen
Reichsſtaatsgewalt, jedoch ohne das Recht der Geſetzgebung aus-
zuüben hat 3; ſodann die Republik Poglizza in Dalmatien unter
Oeſterreichiſcher Hoheit; endlich die Wahl-Fürſtenthümer der Mol-
dau und Wallachei und das Erb-Fürſtenthum Serbien unter Tür-
kiſcher Hoheit, 4 der Barbareskenſtaaten nicht zu gedenken.
Das Recht des vorgeſetzten Souveräns wird gewöhnlich Ho-
heit, Oberhoheit, auch suzeraineté genannt. 5
20. Staatenvereine (unirte Staaten) entſtehen 6 ent-
[35]§. 20. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
weder durch die zufällige Beherrſchung von einem und demſelben Sou-
verän (unio personalis), wobei aber jeder Staat dem anderen völ-
lig fremd bleiben und nur Bekriegung des einen durch den anderen
faſt undenkbar wird, wenn beide gleich ſelbſtändig ſind und beſonders
der Souverän beide gleich unabhängig regiert; oder die einzelnen
Staaten ſtehen mit einander ſelbſt in Verbindung, ſo daß ihre Schick-
ſale ganz oder theilweis gemeinſam werden (unio realis). Die ein-
zelnen Abſtufungen dabei ſind
- I. Der incorporirte Staat, wo einer nur das Nebenland (ac-
cessorium) des anderen iſt und der Hauptſtaat zugleich über
das Schickſal des Nebenſtaates völkerrechtlich mit entſchei-
det. In dieſem Verhältniß ſteht meiſtens der neuere Colo-
nialſtaat zu dem Mutterlande. - II. Die Vereinigung nach gleichem Rechte, es ſei nun
- a) bloß zu einem friedlichen Nebeneinanderbeſtehen und zu
gemeinſamer Kriegführung oder Erreichung anderer ein-
zelner Zwecke, wie z. B. Norwegen mit Schweden ver-
bunden iſt; oder - b) als Vereinigung unter einer und derſelben gemeinſamen
Staatsgewalt, welche wiederum auf verſchiedene Weiſe
in rein monarchiſch regierten Staaten erſcheint, z. B.
in den vereinigten Staaten des Oeſterreichiſchen Kaiſer-
hauſes, des Neapolitaniſch-Bourboniſchen Hauſes; an-
ders in conſtitutionellen Staaten, z. B. in dem Verhält-
niß der drei vereinigten Königreiche England, Schott-
land und Ireland; anders endlich in dem demokratiſchen
Bundes- oder Föderativſtaat, d. h. einer Vereini-
gung mehrerer Einzelſtaaten zu einem Geſammtſtaat, mit
einer das Ganze zuſammenfaſſenden, leitenden und re-
präſentirenden Regierung. Beiſpiele hierzu lieferte be-
reits die alte Welt, vorzüglich der Achäiſche Bund; 1
ſodann in neuerer Zeit der Nordamerikaniſche Freiſtaat, 2
3*
[36]Erſtes Buch. §. 21.
der Mexicaniſche Staatenbund. In dergleichen Unions-
verhältniſſen iſt ein beſonderes ſtaatliches Sein dem einzel-
nen mitvereinigten Staat nicht abgeſprochen, wenn auch
abhängig von der Centralſtaatsgewalt bis zu einer ver-
faſſungsmäßigen Grenze. Dieſe Centralgewalt wird aber
oft eine ſehr ohnmächtige den einzelnen Staaten gegen-
über, ſobald dieſe ihre eigene Kraft fühlen und ein cen-
trifugales Streben beginnen. Die nächſte Geburt iſt
dann meiſt ein Staatenbund.
- a) bloß zu einem friedlichen Nebeneinanderbeſtehen und zu
21. Sehr verſchieden von dem zuſammengeſetzten Staat iſt der
Staatenbund, bei welchem es keine gemeinſame oberſte Staats-
gewalt, ſondern nur Vertragsrechte und gemeinſame Organe zur Er-
reichung der vereinbarten Bundeszwecke giebt; eine bleibende Staa-
tengeſellſchaft mit eigenen organiſchen Einrichtungen für jene Zwecke.
Die einzelnen verbündeten Staaten bleiben hier in allen Beziehun-
gen ſouverän und ſind von dem gemeinſamen Willen des Vereins nur
in ſo weit abhängig, als ſie ſich demſelben vertragsweiſe unterge-
ordnet haben; im Bundesſtaat können ſie höchſtens nur halbſou-
verän ſein. Ein derartiger Staatenbund iſt meiſtens die erſte Pro-
greſſion der ſich ſelbſt aufgebenden und als ohnmächtig erkennen-
den Kleinſtaaterei, gewöhnlich auch zuſammenhängend mit nationa-
len Stammintereſſen; oder, wie bereits vorhin bemerkt, eine Auf-
löſung des Bundesſtaates. Wir finden ihn im Alterthum, in den
Verbindungen griechiſcher und lateiniſcher Städte (reine Schutz-
und Trutzvereine); in der neueren Zeit in der Schweitzeriſchen Eid-
genoſſenſchaft, in dem vormaligen Freiſtaat der ſieben vereinigten
Niederlande, endlich jetzt in dem Deutſchen Bunde. Der Einfluß
des Bundesverhältniſſes auf die einzelnen Staaten kann natürlich
ein ſehr verſchiedener ſein und daſſelbe ſich bald mehr bald weni-
ger einem Bundesſtaat annähern. Seine Hauptwirkſamkeit geht auf
das äußere Verhältniß der Verbündeten zu anderen Mächten; nur
in ſo fern iſt er ſelbſt auch eine völkerrechtliche Perſon. Als Haupt-
arten laſſen ſich unterſcheiden:
der dynaſtiſche Staatenbund, wo nur die Regierungen mit
einander verbündet ſind und in der Bundesmacht zugleich ihre
Anlehnung und Verſtärkung ſuchen; dann
der Völker-Staatenbund, welcher auch die beherrſchten
Stämme ſelbſt organiſch mit vereinigt.
[37]§. 22. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Nur der letztere kann auf längeren Beſtand rechnen; der reine
Regierungsbund iſt ein ephemeres Gebilde der Politik.
22. Die Modalitäten, deren die Staatsſouveränetät fähig
iſt, ohne ſich ſelbſt aufzugeben, ſind außer dem eben berührten Bun-
desverhältniß
- I. freiwillige Beſchränkungen einzelner Regierungsrechte zu Gun-
ſten anderer Mächte, 1 oder Zugeſtändniſſe beſtimmter Vor-
theile und dauernder Leiſtungen an andere Staaten, z. B.
einer Rente oder eines eigentlichen Tributs als Preiſes für
erlaſſene Nachtheile; - II. Pactirte Mediations- und Garantieverhältniſſe; 2
- III.Lehnsverhältniſſe, worin der Souverän eines Landes
zu einem anderen ſtehen kann, und wodurch dann allerdings
die aus dem Lehnscontract herfließenden Privatrechte und
Verbindlichkeiten zwiſchen Lehnsherrn (dominus feudi, su-
zerain) und Vaſallen begründet werden, namentlich die
Pflicht zu gegenſeitiger Lehnstreue. Darnach wird z. B. ein
Angriffskrieg des Einen gegen den Anderen ausgeſchloſſen und
es kann durch Lehnsuntreue das Vaſallenland verwirkt wer-
den. Den Herrſcherrechten des Vaſallen über ſein Land und
gegen andere Souveräne thut der Lehnsverband keinen Ab-
bruch. 3 Jetzt gehört er zu den Seltenheiten; 4 - IV. ein Schutzverhältniß (droit de protection), worin ein
kleinerer Staat zu einem oder mehreren größeren ſtehen kann.
Es findet ſich in allen Perioden der Staatengeſchichte, frei-
lich in ſehr ungleichartiger Geſtaltung, in der Anwendung
nicht ſelten ausgedehnt zu einem oberherrlichen, gebietenden
Verhältniß, wobei der kleinere Staat als halbſouverän oder
bloßes Nebenland erſcheint. 5 Dem natürlichen Wortbegriff
[38]Erſtes Buch. §. 23.
gemäß kann es eigentlich nur in dem Schutz der vollkom-
menen Unabhängigkeit des Schutzſtaats gegen andere Mächte
beſtehen, welchem aber ſelbſtredend die Pflicht deſſelben zur
Seite liegt, ſich in der äußeren Politik nicht von der des
ſchutzherrlichen Staates zu trennen, natürlich dann auch in
Beziehung auf ſein inneres Verhalten die Weiſungen des
Schutzherrn zu beachten, wenn daſſelbe zu Vermittlungen mit
dem Auslande führen könnte. Alles Nähere hängt von den
getroffenen Vereinbarungen und rechtmäßiger Obſervanz ab.
Ein freiwillig übertragener oder übernommener Schutz iſt an
ſich zu jeder Zeit widerruflich. 1
23. Die Entſtehung der Einzelſtaaten in ihren mancherlei Nüan-
cen iſt im Allgemeinen eine Thatſache des hiſtoriſchen, Proceſſes.
Bald ſind ſie hervorgegangen aus dem Familien- und ſtammgenoſ-
ſenſchaftlichen Leben, wie der alte patriarchaliſche Staat, bald aus
dem Einfluß religiöſer Vorſtellungen, wie der Prieſterſtaat; bald
aus der Thatkraft Einzelner, wie der alte Heroenſtaat, ſpäter der
Imperatoren- und Feudalſtaat; bald aus dem Willen Aller oder
doch einer kräftigen Majorität; im Altherthum vorzüglich auch durch
Coloniſation mit Aufgebung des Mutterſtaates; im Mittelalter durch
Uſurpation, Eroberung und Erbtheilungen; in neuerer Zeit durch das
Selbſtändigwerden bisheriger Nebenländer mit Losreißung vom bis-
herigen Ganzen oder vom Mutterlande. Vollendet iſt die Entſte-
hung als Thatſache, ſobald ſich die ſchon oben §. 16. angezeigten
Elemente vorfinden: Ein Wille und die Kraft, ſich als Staat zu
behaupten. Hiermit iſt dann freilich auch ſchon für Andere eine
Nöthigung verbunden, jenen neuen Staat als Staat für ſich be-
ſtehen zu laſſen; allein erſt dann iſt nach den Grundſätzen der Ge-
rechtigkeit, denen das chriſtliche Europäiſche Völkerrecht huldigt, die
5
[39]§. 23. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Entſtehung juriſtiſch correct und der neue Staat legitim, wenn durch
ſeine Schöpfung keine Rechte Anderer verletzt ſind (Neminem laede!),
oder ſobald die zugefügte Rechtsverletzung beſeitigt oder von dem
Verletzten aufgegeben iſt. Dieſer ſelbſt kann daher nicht allein die
Entſtehung des neuen Staates hindern, ſondern auch den bereits
entſtandenen auf den früheren Rechtsſtand zurückzuführen ſuchen oder
dafür Genugthuung fordern, und ſo lange der beiderſeitige Kampf
dauert, der ſein altes Recht vindicirende Staat nicht daſſelbe auf-
giebt oder nicht ganz außer Stand zu ſeiner ferneren Verfolgung
geſetzt wird, iſt kein Dritter verpflichtet oder berechtigt, den neuen
Staat anzuerkennen oder mit ihm als ſolchem einen politiſchen
Verkehr zu beginnen. Bloß der natürliche Verkehr der Völker, na-
mentlich der commercielle, kann durch jenen Kampf nicht gehin-
dert werden, ſo weit nicht der Kriegszuſtand hier Beſchränkungen
ſetzt. Ob ein Recht durch die neue Schöpfung verletzt werde,
liegt außerhalb der Comperenz dritter Staaten, die nicht ſelbſt
Parteien ſind; für ſie iſt jene Schöpfung nichts als eine Begeben-
heit, eine weltgeſchichtliche Revolution und deren Geſchehenlaſſen
oder Hemmung eine Frage der Politik und Sittlichkeit. Nur für
die bisher in Einem Staatsverbande begriffenen iſt ſie eine Rechts-
frage, worüber das innere Staatsrecht entſcheiden muß, nebenbei
für dritte Mächte, welche eine Integrität des bisherigen Staats-
verbandes ſich ſtipulirt oder aus anderen Rechtsgründen im eigenen
Intereſſe zu fordern, nicht aber bloß acceſſoriſch verbürgt haben.
Unter allen Umſtänden iſt der neue Staat ſchuldig, jede Verbind-
lichkeit, die ſeinen Theilen noch aus dem bisherigen Verhältniß
obliegt, zu erfüllen. Andrerſeits bedarf es für ihn keiner ausdrück-
lichen Anerkennung der ſchon beſtehenden Mächte zu ſeinem Da-
ſein; er iſt ein Staat weil er es iſt; und eben ſo wenig iſt ein
ſchon beſtehender Staat zu einer politiſchen Anerkennung oder zur
Eröffnung eines politiſchen Verkehrs mit dem neuen verpflichtet,
wenn nicht das Eine wie das Andere den politiſchen Intereſſen
zuträglich befunden wird. Die Anerkennung iſt eben nichts als
die Bekräftigung der völkerrechtlichen Exiſtenz und die Zulaſſung ei-
nes neuen Gliedes in das ſchon beſtehende völkerrechtliche Syſtem.
24. Staaten entſtehen, wachſen, altern und vergehen, wie der
einzelne Menſch; unſterblich iſt der Staat nur in ſeinem Begriff
und als Motif; unſterblich der Einzelſtaat höchſtens in dem Sinn,
daß er nicht von der phyſiſchen Exiſtenz beſtimmter Glieder abhän-
gig iſt, ſondern ſo lange beſteht, als ſich neue Glieder in ihm re-
produciren. 1 Im Uebrigen iſt er vergänglich wie alles Irdiſche,
und ſeine Macht nicht über ſich ſelbſt hinausreichend. Wann nun
ein Einzelſtaat aufhöre zu exiſtiren, iſt darum keine unpraktiſche Frage,
weil mit der Exiſtenz die davon abhängigen Rechtsverhältniſſe er-
löſchen müſſen. Als oberſter Grundſatz muß hier gelten:
Jeder ſouveräne Einzelſtaat beſteht ſo lange, als er noch un-
ter irgend einer Form die weſentlichen Bedingungen oder Ele-
mente eines Staatsverbandes (§. 16.) bewahrt, als mithin
eine für ſich ſeiende und dazu ferner fähige, ſich ſelbſt repro-
ducirende Gemeinde vorhanden iſt, gleichviel, ob ſie ſich aus
ſich ſelbſt durch Fortpflanzung oder anderswoher durch Ein-
wandrer forterzeugt.
Er erliſcht alſo völlig:
- durch gänzliches Ausſterben oder phyſiſche Vernichtung aller
Staatsgenoſſen;
[41]§. 25. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- durch völlige Auflöſung der ausſchließlichen Genoſſenſchaft, z. B.
mittelſt Auswanderung oder Vertreibung der Einzelnen in
andere Gegenden, wie dem Judenvolk widerfuhr; oder auch - durch Vermiſchung einer Staatsgemeinde mit einer anderen für
ſich ſeienden (unio per confusionem), wo entweder jede
ihre Beſonderheit aufgiebt, oder eine ſich der anderen unter-
ordnet. 1
Nur theilweis verliert er ſeine Exiſtenz durch Subſtanzverminde-
derung, nämlich:
- durch Dismembration oder Trennung in mehrere Einzelſtaaten;
- durch Avulſion oder Abtrennung eines Theils der Staatsge-
meinde und Verbindung derſelben mit einem anderen Staat; - durch Incorporation in einen andern oder durch Reducirung
auf Halbſouveränetät (§. 19.).
Dagegen bleibt es derſelbe Staat
wenn bloß in der Regierungsform oder im Subject der Staats-
gewalt eine Aenderung eintritt,2wohin auch der Fall einer
gleichen Vereinigung mit einem anderen Staat gehört; ſodann
bei Ueberſiedelung aus einem Territorium in ein anderes, wo-
bei Erſterer ganz aufgehoben wird,3
während die Staatsgemeinde ſelbſt in ihrer Ausſchließlichkeit und
Selbſtändigkeit verbleibt.
Durch Fälle der letzteren Art wird natürlich in den Rechtsver-
hältniſſen des bisherigen Staates Nichts geändert; ſie äußern nur
dann einen Einfluß auf letztere, wenn und ſo weit ſolche von der
unveränderten Beſchaffenheit der bisherigen Zuſtände abhängig ſind,
z. B. in Betreff der Verträge.
25. Hinſichtlich der Fälle eines gänzlichen oder theilweiſen Staa-
ten-Erlöſchens entſteht nun die Frage: ob und für wen dabei eine
[42]Erſtes Buch. §. 25.
Succeſſion in die Rechte und Pflichten des erloſchenen Staates Platz
greife. Man hat dabei geſtritten ob die Succeſſion eine univerſale
oder eine pärticuläre ſei 1 und ſo Begriffe des Privatrechts in das
öffentliche Recht übergetragen, deren Anwendung die einfache Er-
kenntniß des Princips nur ſtören kann.
Als Regel für den Fall einer gänzlichen Extinction muß ohne
Zweifel gelten:
daß alle öffentlichen Rechtsverhältniſſe der vormaligen Staats-
genoſſenſchaft, da ſie eben nur für dieſen begründet waren, als
erloſchen anzuſehen ſind, ſo weit nicht ihre Fortdauer auch in
dem neuen Zuſtande der Dinge möglich und vorbedungen iſt;
daß dagegen alle aus dem vormaligen Staatsverhältniß her-
rührenden Privatrechte der Einzelnen (iura et obligationes
singulorum privatae) mit Einſchluß der ſubſidiariſchen Ver-
pflichtungen der Einzelnen für den Staat,2ſie ruhen auf Per-
ſonen oder Sachen, als noch fortbeſtehend geachtet werden müſ-
ſen, wenn ſie nur irgendwo einen Gegenſtand oder Raum zur
Realiſirung haben.
Denn einmal entſtandene, auf keine Zeit beſchränkte Rechte ſind als
zeitloſe immer dauernd, ſo lange die Subjecte und Sachen exiſti-
ren, unter denen oder hinſichtlich derer ſie Statt finden.
Ganz daſſelbe iſt in Hinſicht auf Privatrechte bei theilweiſer Ver-
nichtung eines bisherigen Staatsverbandes zu behaupten; was aber
die öffentlichen Rechtsverhältniſſe der Staatsglieder betrifft, ſo müſ-
ſen ſich dieſelben denjenigen Veränderungen unterwerfen, welche durch
den nunmehrigen Zuſtand der Dinge nöthig werden, 3 oder welche,
wenn die Veränderung im Wege des Krieges ohne ſichernde Stipula-
tionen eingetreten iſt, der Sieger damit vorzunehmen für gut findet.
Vermögensrechte und Verpflichtungen eines ganzen aufgelöſeten
Staates werden ihm auch noch in ſeinem neuen Zuſtande verblei-
ben, nur die Verwaltung wird geändert; 4 bei Theilungen werden
[43]§. 26. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſie auf die einzelnen Theile verhältnißmäßig übergehen. 1 Wie es
jedoch in Fällen der letzteren Art mit dem unbeweglichen Staatsei-
genthum gehalten werde, ſoll im Sachenrecht ſeine Stelle finden
(Abſchn. 2.).
II. Grundverhältniſſe der Staaten als ſolcher unter einander.
26. Die Rechtsverhältniſſe der Staaten als ſolcher, d. h. in
ſo fern ſie dabei unmittelbar als Rechtsſubjecte betrachtet wer-
den, ſind:
- I. allgemeine, für alle Staaten giltige, es ſeien nun urſprüng-
liche, mit der Exiſtenz oder demnächſtigen Anerkennung jedes
Einzelſtaates gegebene oder durch das Herkommen daran ge-
knüpfte Rechte (§. 12.). - II. die von Einzelſtaaten gegen Andere erworbenen Specialrechte
(iura adquisita).
Wir haben vorab die allgemeinen urſprünglichen Rechte in Ver-
bindung mit der ihnen durch das Herkommen gegebenen cerimo-
nialen Geſtaltung und mit den zuläſſigen Beſchränkungen zu erörtern.
Es ſind weſentlich:
- a. das Recht eines ſelbſtbeſtimmten Daſeins, ſeiner Erhaltung
und Erweiterung — Recht der Perſönlichkeit an ſich; — - b. das Recht auf Achtung der Perſönlichkeit;
- c. das Recht auf gegenſeitigen Verkehr; endlich
- d. auf Freiheit und Unabhängigkeit im eigenen Staatsleben.
Als Grundprincip des gegenſeitigen Verhaltens ergiebt ſich aber
Gleichheit des Rechts aller ſouveränen Staaten, welches da-
her auch mit ſeinen poſitiven Modificationen jenen Specialrechten
voranzuſtellen iſt.
Ueberall iſt hier nur die Rede von wohlbegründeten Rechten
der Staaten unter einander, nicht auch von demjenigen, was je-
der Staat innerhalb ſeines eigenthümlichen Rechtskreiſes zu ſeiner
4
[44]Erſtes Buch. §. 27.
Selbſtentwickelung thun und unterlaſſen kann. Dies iſt Gegen-
ſtand des inneren Staatsrechts. Zwar iſt auch noch in der äu-
ßeren Staatenpraxis oft von einem ſ. g. Convenienzrecht (droit
de convenance) die Rede geweſen, als der Befugniß jedes Staa-
tes, im Fall collidirender Intereſſen gegen andere Staaten ſo zu
verfahren, wie es dem eigenen Intereſſe am angemeſſenſten erachtet
wird. Eine ſolche Befugniß hat man jedoch nur, ſofern kein wohl-
begründetes Recht des anderen Staates entgegenſteht, was begreif-
lich auch auf keinem einſeitigen politiſchen Intereſſe beruhen kann,
und es verſteht ſich dann das Handeln nach eigener Convenienz ganz
von ſelbſt. Außerdem läßt ſich ein ſolches Handeln und ein Recht
dazu nur nachweiſen
Einmal: im Zuſtande des Krieges, wo es mit der ſ. g.
Kriegsräſon identiſch iſt; und
Zweitens: im Fall eines wirklichen Nothſtandes, wo es
identiſch iſt mit dem ſ. g. Nothrecht oder äußerſten Recht der
Staaten, ſich in der Gefahr eines bevorſtehenden Verluſtes
der Exiſtenz oder eines einzelnen beſtimmten Rechtes, ſelbſt auf
Koſten und mit Verletzung Anderer, die Exiſtenz und unter-
ſcheidungsweiſe das gefährdete Recht zu retten.
Keine dieſer beiden Arten legitimer Convenienz iſt jedoch völlig
regellos, wie weiterhin gezeigt werden ſoll. 1
Gleichheit der Staaten.
27. Ein ſouveräner Staat iſt ſeinem Begriff nach überall der-
ſelbe und trägt daher eine vollkommene Rechtsgleichheit aller in ſich,
ganz abgeſehen von der verſchiedenen politiſchen Bedeutung jedes
einzelnen. Auch der kleinſte Staat kann ſonach, gleich dem größe-
ren, daſſelbe Recht mit dieſem in Anſpruch nehmen und ausüben,
und hat ſich keiner Ungleichheit der Behandlung von Seiten eines
[45]§. 28. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
anderen zu unterwerfen. Indeſſen ſind auch hier theils natürliche,
theils willkührliche Modificationen gegeben.
Zuvörderſt nämlich verſteht ſich das Geſetz der Rechtsgleich-
heit nur von allem demjenigen, was aus der Perſönlichkeit und
freien Selbſtändigkeit eines ſouveränen Staates von ſelbſt herfließt,
nämlich für einen ſolchen gehalten zu werden und alle Rechte der
Souveränetät, wie jeder andere Staat, nach eigenem Ermeſſen in-
nerhalb der allgemeinen völkerrechtlichen Schranken ausüben zu dür-
fen. Keineswegs aber kann ein Staat fordern, daß von dem an-
deren bei Ausübung der einzelnen Souveränetätsrechte das nämliche
Syſtem beobachtet werde, welches er ſelbſt in auswärtigen Be-
ziehungen befolgt, dafern kein beſtimmter Rechtstitel hierzu erlangt
iſt. So iſt kein Staat gehindert, ſeine eigenen Unterthanen mehr
zu begünſtigen als die Ausländer, insbeſondere jenen in Colliſions-
fällen mit letzteren beſtimmte Vorzüge einzuräumen. Es liegt darin
keine Illegalität, ſondern nur Iniquität, welche zur Retorſion be-
rechtigt (Buch 2.). So iſt ferner kein Staat gehindert, nur ge-
wiſſen Nationen beſondere Vortheile und Rechte zu gewähren, ohne
daß dritte ſich dadurch verletzt halten können, 1 wiewohl ſie auch
hier ein Gleiches thun und Retorſion üben dürfen.
Auf höchſt natürlichem Wege endlich bringt politiſche Macht-
ungleichheit auch eine gewiſſe Rechtsungleichheit mit ſich. Minder
mächtige Staaten können ſich meiſt nur durch Anlehnung an mäch-
tigere behaupten; es fehlt ihnen an Mitteln, ſich in allen Stücken
in gleicher Linie mit dieſen mächtigeren auf würdige Art zu behaup-
ten. Hieraus entſtehen Zugeſtändniſſe und Maximen des Verhal-
tens, die unter anderen im Europäiſchen Staatenſyſtem ein eigenes
Rangrecht erzeugt haben.
Eigenthümliche Rangverhältniſſe der Europäiſchen Staaten.2
28. Die conventionellen Regeln, welche ſich in Betreff des
Ranges der einzelnen Staaten und Staaten-Categorien gebildet ha-
ben, ſind in heutiger Zeitlage dieſe:
[46]Erſtes Buch. §. 28.
- I. Staaten, welchen für ſich oder ihre Souveräne Königliche
Ehren (Honores regii, honneurs royaux) zuſtehen, ha-
ben einen äußerlichen Vorrang vor denjenigen, welchen der-
gleichen Ehren nicht gebühren.
Als Königliche Ehren ſind aber anzuſehen:
der Gebrauch der Königlichen Titel, Krone und cor-
reſpondirenden Wappen;
das ausſchließliche Recht, Geſandte erſter Klaſſe zu
ſchicken;
gewiſſe andere Cerimonialrechte, welche weiterhin vor-
kommen ſollen.
Als berechtigt zu Königlichen Ehren werden außer Kaiſern
und Königen nur noch die Großherzoge, desgleichen, vermöge
früheren Herkommens, der Kurfürſt von Heſſen angeſehen;
eben darauf hatten früherhin auch Republiken Anſpruch, wie
z. B. Venedig und die Niederlande, jetzt unbedenklich die
Schweizeriſche Eidgenoſſenſchaft, der Nordamerikaniſche Frei-
ſtaat. Daß der Deutſche Staatenbund als ſolcher nicht da-
von ausgeſchloſſen werden könne, verſteht ſich von ſelbſt, da
die bedeutenderen ſeiner Glieder, aus deren Gebieten das Bun-
desgebiet ſelbſt wieder hauptſächlich beſteht, ſchon zu jenen
Vorrechten beanſprucht ſind. - II. Unter den Staaten einer jeden der beiden Hauptklaſſen be-
ſteht dem Princip nach eine vollkommene Rechtsgleichheit.
Insbeſondere gilt dies von den heutigen Kaiſer- und Kö-
nigstiteln, ſeitdem der vormals allgemein als Erſtes chriſtli-
ches Haupt anerkannte Römiſche Kaiſer nicht mehr exiſtirt.
Könige haben vorlängſt die rechtliche Gleichbedeutung mit dem
Kaiſertitel dadurch angezeigt, daß ſie den Namen eines Kaiſer-
reichs oder Imperators auch mit dem vorzugsweiſe geführten
Königlichen Titel verbinden, oder wenigſtens Krone und Rechte
des Souveräns kaiſerliche nennen. 1 Kaiſern und Königen
2
[47]§. 28. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſelbſt wird aber allerdings von denjenigen Souveränen, die
zwar Königliche Ehren, jedoch keinen Kaiſer- und Königsti-
tel haben, in cerimonieller Hinſicht ein Vorzug eingeräumt;
ebenſo von den jetzt beſtehenden Republiken, ohne daß deren
eigenes Verhältniß zu den übrigen Staaten mit Königlichen
Ehren genauer feſtſteht. - III. Staaten mit einer unvollkommenen oder Halbſouveränetät
werden allezeit wenigſtens demjenigen Staat nachſtehen, von
welchem ſie abhängig ſind. Eben ſo wird ein Schutzſtaat
dem ſchutzherrlichen Staat den Vorrang zu geſtatten haben,
ſofern das Verhältniß ein unbedingtes iſt und es ſich nicht
von Angelegenheiten handelt, welche ganz außerhalb eines ſol-
chen Verhältniſſes gelegen ſind. Gegen dritte Mächte kann
daſſelbe an und für ſich keine Zurückſetzung begründen; 1
ja es können ſelbſt halbſouveräne Staaten, ihrem anerkann-
ten Titel gemäß, nach Europäiſchem Herkommen einen Vor-
rang vor völlig ſouveränen haben. 2 - IV. Das Rangverhältniß kann unter einzelnen Staaten durch
Vertrag oder Obſervanz beſtimmt werden, 3 und auch dritte
Mächte haben ſolches alsdann zu beachten, wenn ihnen da-
von Mittheilung gemacht wird, ſofern es nicht zu ihrem ei-
genen oder der übrigen Mächte Präjudiz gereicht. 4 Denn im
Allgemeinen geben natürlich dergleichen einſeitige Verträge
kein Recht gegen dritte, ſo wenig als dieſe daraus Conſequen-
zen für ſich herzuleiten vermögen. Verträge, wodurch eine
Macht der anderen den Vorrang vor einer dritten oder allen
übrigen zugeſteht, ſind ohne Beitritt dieſer unverbindlich, weil
ſie eine Rechtsverletzung enthalten, ſofern ſie von der allge-
meinen Regel abweichen. Jeder Staat hat auch nur dieſe
1
[48]Erſtes Buch. §. 28.
im Fall des Conflicts zu befolgen, und es dürfen davon bei
wirklichen Staatsangelegenheiten keine Ausnahmen gemacht
werden. Selbſt verwandtſchaftliche Rückſichten berechtigen
außerhalb des Familienverkehrs nicht dazu, ſondern es iſt
die ſtrengſte Neutralität zu beobachten. 1 - V. Der Rang, den ein Staat und ſeine Repräſentanten einmal
erlangt haben, wird durch die etwa erfolgende Verfaſſungs-
änderung, namentlich in der Perſonificirung der höchſten
Staatsgewalt, in der Regel nicht verloren; 2 es müßte denn
eine Veränderung des Staatstitels damit verbunden ſein,
welche nach entſchiedenem Herkommen das Nachſtehen gegen
anders titulirte begründet (Nr. II.). - VI. Kein Souverän kann von anderen Staaten die Anerkennung
der von ihm verliehenen Standestitel und Würden erwar-
ten, welche ſeinen eigenen gleichen oder darüber hinausgehen. 3
Specialrechte:
29. Das Erſte Recht eines Staates iſt eben das, als beſon-
derer Staat für ſich zu beſtehen und ſich zu entwickeln. Jeder
Staat kann ſich demnach ſelbſt eine beſtimmte Form geben, zuerſt
alſo eine beſtimmte Regierungsform, da eine formloſe Staatsge-
walt ein Unding, mithin auch der Staat ſelbſt nicht vorhanden
wäre. In wie fern dabei Einmiſchungen anderer Mächte zuläſſig
ſind, wird ſich weiter ergeben. Unbedenklich iſt ferner, daß jeder
Staat auch ſich ſelbſt und ſeinen Auctoritäten einen beſtimmten
Namen und Titel geben, ſo wie gewiſſe äußere Inſignien, Wap-
pen 1 u. dergl. beilegen und gebrauchen kann. 2 Ein Widerſpruchs-
recht oder Urtheil ſteht rückſichtlich der Annahme ſolcher Wahrzei-
chen anderen Staaten an und für ſich nicht zu, wohl aber kann
dieſelbe unter folgenden Vorausſetzungen angefochten werden:
Erſtens, inſofern Tractaten oder hoheitliche Beziehungen zu
anderen Staaten (§. 18 f.) entgegenſtehen;
Zweitens, inſofern bereits anerkannte Wahrzeichen fremder
Staaten angenommen werden;
Endlich überhaupt, wenn andere Mächte zur förmlichen Be-
achtung des angenommenen Titels, Namens und der damit ver-
bundenen herkömmlichen Prärogativen verpflichtet ſein ſollen.
Eine ſolche Verpflichtung kann durch das eigene Handeln eines
Staates anderen nicht auferlegt werden. Es iſt alſo von ſelbſt die
Nothwendigkeit gegeben, ſich die Anerkennung wenigſtens derjeni-
gen Staaten zu verſchaffen, welche ein Intereſſe und auch wohl
die Macht haben, einen Widerſpruch geltend zu machen. Gleiches
gilt von Veränderungen bisheriger Titel, Wappen und anderer
Kennzeichen. 3
4
[50]Erſtes Buch. §. 30.
30. Mit dem Daſein iſt auch das Recht der Selbſterhal-
tung gegeben. Hierunter iſt begriffen:
[51]§. 30. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- a. die Benutzung der von Natur allen Menſchen ohne Be-
ſchränkung auf gewiſſe Räume dargebotenen Mittel und Hilfs-
quellen des Lebens, namentlich der ſ. g. res communes (S.
das Sachenrecht); - b. Vertheidigung und Kampf gegen jede, die Exiſtenz und da-
mit ferner gegebenen Rechte bedrohende wirkliche Gefahr 1;
ſo wie Ergreifung vorläufiger Sicherungsmittel gegen die
Möglichkeit einer ſolchen.
Die Gefahr kann entweder Naturgewalt und Complication der
Weltverhältniſſe ſein, oder menſchliche Vergewaltigung. Erſtere
geben an und für ſich kein Recht, andere Staaten und deren An-
gehörige in ihrer Exiſtenz, ihren Beſitzthümern und Rechten zu be-
ſchädigen; nur die äußerſte Noth entſchuldigt, ſeine eigene Exiſtenz
auf Koſten einer fremden, oder ſeine eigenen Rechte mit Hintan-
ſetzung der Rechte Anderer zu retten, ja auch dieſes nur, wenn
man nicht etwa ſelbſt die Gefahr herbeigeführt hat. 2
Gegen drohende oder bereits angefangene Vergewaltigung An-
derer tritt das Recht der Nothwehr bis zur völligen Abwendung
der Gefahr in Kraft, und jeder dritte ſogar iſt berechtigt dazu Bei-
ſtand zu leiſten, wenn der Bedrohte ihn nicht von ſich weiſet.
Weſentliche Vorausſetzung iſt jedoch Wirklichkeit der Gefahr und
Abſichtlichkeit auf Seite deſſen woher ſie kommt. Bis dahin kön-
nen rechtmäßiger Weiſe nur Sicherungsmittel, z. B. durch Coali-
tion mit Anderen, Befeſtigungen, Kriegsrüſtungen u. ſ. f. ergriffen
werden; mit dem erſten Moment der Gefahr iſt aber auch der Be-
drohte befugt, zuerſt thatſächlich einzuſchreiten und durch eigenen An-
griff den zu befürchtenden zu beſeitigen. 3
4*
[52]Erſtes Buch. §. 30.
Begreiflicher Weiſe läßt ſich in den Staatenverhältniſſen nicht
der engere Maaßſtab anlegen, wornach der Gebrauch der vorſte-
henden Grundſätze in Privatverhältniſſen beurtheilt werden muß.
Bei dem Geheimniß, worin ſich die Politik einhüllt, iſt es oft ſchwer,
die Abſichtlichkeit einer Richtung, das wahre Ziel einer Bewegung
zu erkennen. Zuweilen wird ſelbſt längere Beobachtung des ganzen
Syſtems eines Hofes doch nur Vermuthungen an die Hand geben
und ein Irrthum ſehr zu entſchuldigen ſein. Gewiß iſt aber auch
Vorſicht gegen Uebereilungen und gegenſeitige Offenheit geboten. 1
Daß der bedeutende, obwohl völlig legitime Anwachs einer ein-
zelnen Macht, weil ſie in der Folge einmal gefährlich werden könnte,
noch keinen Zuſtand der Nothwehr oder eines rechtmäßigen Krieges
hervorrufe, zeigt ſich in dem Mangel an den erforderlichen Bedin-
gungen der Nothwehr, hauptſächlich eines wirklich zu befürchtenden
unrechtmaͤßigen Angriffs. Auch kann das Coloſſale einer Macht noch
nicht als ein ſchon vorhandener Nothſtand für die Uebrigen angeſehen
werden. Unbedenklich liegt es aber in deren Befugniſſen, jeder fer-
neren Vergrößerung einer Macht, wozu ſie noch keinen unbeſtritte-
nen Titel hat, z. B. Vermaͤhlungen, Ceſſionen und dergl. zu verhin-
dern zu ſuchen, ohne daß darin an und für ſich eine Beleidigung
gefunden werden kann. 2
Auf ähnliche Weiſe verhält es ſich mit der Frage, ob bevor-
ſtehende oder ſchon eintretende Aenderungen des momentanen Gleich-
gewichts der Staaten den dadurch möglicher Weiſe in Gefahr ge-
rathenden ein Recht zum thatſächlichen Widerſtande geben. Be-
ruht die Veränderung auf bereits vorhandenen rechtmäßigen Titeln,
ſo wird jeder Widerſtand in der Regel unrechtmäßig ſein; außer-
dem aber kann die Präventivpolitik ihre ganze Thätigkeit zur Hin-
derung des Bevorſtehenden entwickeln. 3
Nur deutlich erkennbare Beſtrebungen einer Macht zu einer
Univerſalherrſchaft verſetzen unbedenklich alle übrigen in den Fall
eines Nothſtandes.
[53]§. 31. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
31. Will oder kann ein Staat nicht völlig iſolirt von allen
übrigen beſtehen, ſo muß er auch das Daſein derſelben in der Welt-
ordnung anerkennen, mithin ſie als derſelben angehörig achten, wie
bei dem einzelnen Menſchen das Recht auf Achtung ebenfalls ſchon
mit dem phyſiſchen Daſein beginnt. Verweigern kann ſie dem an-
deren Staat nur derjenige, welcher ſeine Legitimät beſtreitet und je-
der Verbindung mit ihm entſagt, wodurch freilich den Geſetzen der
Sittlichkeit und Humanität nicht abgeſagt werden kann.
Die dem Recht auf Achtung entſprechenden Verpflichtungen ſind
nun theils negativen theils poſitiven Inhalts. Im Weſentlichen
ſind es dieſe:
- I. Achtung des fremden Staates in ſeiner phyſiſchen Perſön-
lichkeit, als eines Theiles des Menſchengeſchlechts. Darum
darf keiner den anderen phyſiſch vernichten wollen, wo es nicht
die Selbſterhaltung gebietet (§. 30.); Unrecht wäre ein Aus-
hungerungsſyſtem gegen einen anderen vielleicht ganz enclavir-
ten Staat, der in ſich ſelbſt nicht genügende Subſiſtenzmit-
tel beſitzt, durch Verſchließung oder unerſchwingliche Bela-
ſtung jedes Handelsverkehrs, jeder Zufuhr. 1 - II. Achtung der rechtlichen Staatsperſönlichkeit, d. h. aller mit
dem Beſtehen eines Staates an ſich oder nach ſeiner beſon-
deren Categorie gegebenen Rechte, ſo lange ihre Ausübung
nicht die richtige Grenze überſchreitet oder mit den diesſeiti-
gen in Conflict geräth; daher alſo auch
Beobachtung der herkömmlichen Ehrenbezeigungen und Ce-
rimonial-Verpflichtungen; Unterlaſſung aller eigenmächtigen
Handlungen, wodurch Rechte des anderen uſurpirt oder ge-
hindert werden,2wiewohl ohne die Verbindlichkeit, ihre Aus-
übung zu befördern und zu unterſtützen; ſodann
[54]Erſtes Buch. §. 31.
Achtung für alles dasjenige, was ein anderer Staat durch
Gebrauch ſeiner Rechte in ſeinem eigenthümlichen Gebiet ge-
ſchaffen oder ſanctionirt hat,1in ſo weit daſſelbe in den
internationalen Verkehr eingreift, desgleichen alsdann, wenn
in dem anderen Staate ſelbſt Rechte geſucht oder vertheidigt
werden ſollen, ohne daß jedoch außerdem den ausländiſchen
Rechtsverhältniſſen eine gleiche oder überhaupt eine rechtliche
Wirkſamkeit zu geſtatten iſt.2 - III. Achtung der ſittlichen Würde, welche jedem Einzelſtaat als
Glied der Weltordnung gebührt, ſo fern er ſich dieſer Ach-
tung nicht durch illegitimes Handeln unwürdig macht.
Kein Staat darf ſomit den anderen auf eine geringſchätzende
verächtliche Weiſe behandeln, wiewohl er ihm auch keine hö-
here Bedeutung zuzugeſtehen hat, als in dem Weſen des Staa-
tes an ſich begründet iſt. Keine Nation hat das Recht, als die
größeſte, tapferſte, ruhmvollſte oder tugendhafteſte von den an-
deren anerkannt zu werden;3nur als rechtlich beſtehende und
handelnde, ſo lange ſie dieſes iſt. Natürlich wird jedoch durch
Eine unrechtliche Handlung der Anſpruch auf Achtung nicht
für immer verwirkt; nur der Tadel des Unrechtmäßigen ſelbſt
kann nicht dem freien Urtheil der anderen entzogen werden.4
Wo ſollte die Lüge aufhören, wenn ſie der Wahrheit nicht in
den Trägern der Weltgeſchichte Raum geſtatten müßte? Eben
deshalb kann auch jede Staatsgewalt fordern, daß ihren Wor-
ten und Erklärungen die ſie giebt, von anderen Mächten Glau-
ben beigemeſſen werde, ſo fern ſie auch ihrerſeits Treu und
Glauben bewährt.5
Was übrigens ein Staat oder ſeine Regierung ſelbſt gegen an-
dere Staaten zu beobachten und zu unterlaſſen hat, muß oder ſollte
[55]§. 31. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
er doch von ſeinen Angehörigen gleichfalls beobachten laſſen und
nicht dulden. Allein bis auf dieſen Augenblick hat ſich wenigſtens
die Geſetzgebung der Einzelſtaaten nur wenig oder gar nicht mit einer
Sicherſtellung anderer Staaten gegen mögliche Verletzungen beſchäf-
tigt. Einer wartet hier meiſt auf den anderen. Nur Bundesver-
hältniſſe führen von ſelbſt zur Berückſichtigung der Bundesgenoſ-
ſenſchaft. Die nähere Darſtellung der hiernach eintretenden Ver-
hältniſſe bleibt dem Capitel von den Verbindlichkeiten aus Rechts-
verletzungen vorbehalten.
[56]Erſtes Buch. §. 32.
32. Soll ein dem höchſten Ziel des Völkerrechts (§. 2.) ent-
ſprechender Verband unter Nationen beſtehen, ſo müſſen ſie ſich
auch einem gegenſeitigen Verkehr zum Austauſch ihrer geiſtigen und
materiellen Mittel öffnen, deren die menſchliche Natur zu ihrer Ent-
faltung bedarf. Das Princip einer Freiheit des Verkehrs iſt jedoch
kein unbedingtes. Die nächſte Grenze ſetzt ihm die Gerechtigkeit,
welche auf Gleichheit und richtiger Ausgleichung des Ungleicharti-
gen beruht, mithin auch keinen Staat verpflichtet, einen Verkehr
mit anderen zu führen, wobei er nur im Nachtheil und letztere al-
lein im Vortheil ſein würden; eine fernere Grenze auch die Selbſt-
erhaltung jedes Staates, welche nicht zugeben kann, ſich durch Ge-
ſtattung eines unbedingten Verkehrs in Abhängigkeit von anderen
Staaten zu ſetzen oder ſchädliche Einwirkungen von ihnen in ſich
aufzunehmen.
Welche Vorſichts-, Abwehr-, Ausgleichungs- oder Beförde-
rungsmaaßregeln nun in der einen oder anderen Beziehung zu er-
greifen, fällt allein der inneren Politik jedes Staates anheim. Ihr
ſteht es zu, ſchädliche Arten des Verkehrs und Handels in ihrem
Gebiet ganz zu verbieten, den Fremdenverkehr durch Paßvorſchrif-
ten und polizeiliche Anſtalten zu controliren, fremde Artikel der Aus-
gleichung halber mit Schutzzöllen zu belegen, die Stapelplätze und
Wege des Verkehrs zu beſtimmen, durch Handelsverträge, Errich-
tung von Freihäfen und ähnlichen Anordnungen den Verkehr zu be-
fördern, hierbei auch einzelne Nationen vor anderen zu begünſtigen,
ja ſelbſt Monopole zu ertheilen, wenn dergleichen noch in irgend
einer Hinſicht wahrhaften Vortheil gewähren könnten; endlich kann
eine Nation ſich freiwillig durch Vertrag gewiſſen Handelsbeſchrän-
kungen unterwerfen, wenn ſie nur ihre Exiſtenz nebſt dem Fortſchritt
der Entwickelung nicht aufgiebt.
Die Grundſätze, auf welche das Völkerrecht beſtehen muß, ſind
allein dieſe:
- I. Jede völlige Iſolirung eines Staates von dem Verkehr mit
anderen Nationen ſchließt vom Genuß des Völkerrechts aus. - II. Kein Staat kann, ohne eine Feindſeligkeit zu begehen, dem
[57]§. 32. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
anderen einen Verkehr mit ſolchen Artikeln abſchneiden, deren
dieſer Staat zu ſeiner Exiſtenz weſentlich bedarf (§. 30.). - III. Kein Staat kann ohne Feindſeligkeit einer anderen Nation
den unſchädlichen Gebrauch von Land- und Waſſerſtraßen in
ſeinem Gebiet verſperren, um dadurch von einem dritten Ort
die nöthigen geiſtigen oder leiblichen Bedürfniſſe zu beziehen
oder dahin zu führen. 1 - IV. Kein Staat kann ohne Beleidigung und Verletzung einen an-
deren Staat von der Verkehrsconcurrenz nach einem dritten
Staat ausſchließen, wenn dieſer nicht ſelbſt die Ausſchließung
will und geltend macht. 2 - V. Jede Nation muß, wenn und ſo weit ſie ſich dem Verkehr
öffnet, Treu und Glauben bewahren. Sie darf dieſe nicht
zu ihrem Vortheil mißbrauchen; 3 nur eine ſonſt unabwend-
bare Noth entſchuldigt. - VI. Jeder Handel und Verkehr, welcher den allgemeinen Men-
ſchenrechten zuwiderläuft, iſt geächtet. Niemand begeht ein
Unrecht, wer ihn ſtört oder vernichtet.
Dies iſt das Geſetz des Sclavenhandels. Die Beſtre-
bungen der Europäiſchen Nationen gegen ihn, vornehmlich
ſeit dem Wiener Congreß,4ſind bekannt, aber noch nicht
[58]Erſtes Buch. §. 33.
vollendet, und ſchwerlich zum Ziel zu bringen, ſo lange es
kein vollkommenes Gleichgewicht zur See giebt.
33. Aus dem Begriff der Staatsſouveränetät fließt endlich noch
das Recht der freien Bewegung und Unabhängigkeit, welches we-
ſentlich in einer freien inneren Selbſtentwickelung des Staates und
in der von keiner fremden Gewalt gehinderten Ausübung aller Macht-
befugniſſe der Staatsgewalt beſteht. Es zeigt ſich in ſeiner Vollen-
dung in der völligen Abſchließung eines eigenthümlichen Staatsge-
bietes (als ius territorii, Territorialprincip) und ſomit in der Zu-
rückweiſung jedes fremden Einfluſſes von den diesſeitigen Gebiets-
grenzen, in dieſer Beziehung auch Recht auf Integrität oder
Unverletzbarkeit der Staaten genannt. Keiner auswärtigen
Staatsgewalt, keinem einzelnen legislativen oder executiven Act der-
ſelben iſt man demnach im diesſeitigen Gebiet Raum zu vergön-
nen ſchuldig, keinem unter fremder Staatsauctorität entſtandenen
Rechtsverhältniß unmittelbare Vollziehbarkeit zuzugeſtehen. Natür-
lich findet aber auch das in Rede ſtehende Recht in der Integri-
tät und Unverletzbarkeit der anderen Staaten ſeine eigene Beſchrän-
kung. Es kann alſo
- I. kein Hoheitsrecht in die Grenzen eines anderen Staates hin-
ein und darüber hinaus geübt werden; keine Staatsanſtalt
ihre Wirkſamkeit in das fremde Gebiet hinein ausdehnen. 1
Nur gewiſſe natürliche Rückwirkungen finden hierbei Statt
(§. 34 ff.). - II. Keine Staatsgewalt darf unmittelbar oder mittelbar Urſache
geben, daß der Beſtand eines anderen Staates in ſeinen na-
türlichen Elementen vermindert werde. Sie darf alſo na-
mentlich nicht zu Auswanderungen ſeiner Unterthanen direct
4
[59]§. 33. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
oder indirect anreizen oder ſonſt eine Entvölkerung deſſelben
zu bewirken ſuchen; eben ſo wenig darf ſie die Losreißung
einzelner Theile von dem fremden Staat verurſachen, oder
deſſen Enclaven in ihrem Gebiet ſich eigenmächtig zueignen. 1
Dagegen iſt kein Staat verhindert Auswanderer bei ſich auf-
zunehmen oder im Allgemeinen den Auswandernden gewiſſe
Vortheile anzubieten, welche ſie für ihn beſtimmen können, 2
endlich auch ſelbſtändig gewordene Theile des fremden Ter-
ritoriums, nachdem ihre Trennung völkerrechtlich entſchieden
iſt (§. 23.), in ſich aufzunehmen. - III. Keine Staatsgewalt kann einem fremden Territorium entzie-
hen oder vorenthalten, was demſelben von Natur als Theil
angehört oder zufließt. Die natürlichen Verhältniſſe müſſen
unter den Nachbarſtaaten ſo erhalten werden, wie ſie ſich
ſeit ihrer Gründung ergeben haben, und was die Natur al-
len oder vielen zugleich beſtimmt hat, darf nicht von Einzelnen
als Eigenthum an ſich behalten werden. So darf kein Fluß,
kein Bach dem Nachbarlande abgeſchnitten, wohl aber im
eigenen Gebiet von jedem Staat zu ſeinem Nutzen gebraucht
werden, wenn ihm nur der natürliche Ausfluß an ſeiner frü-
heren Stelle gelaſſen wird. 3 - IV. Selbſt auf eigenem Gebiet darf kein Staat Anſtalten treffen
oder zulaſſen, welche einen ſchädlichen Rückſchlag auf ein
fremdes Territorium ausüben, dergeſtalt, daß dadurch die
natürlichen Verhältniſſe zum Nachtheil des anderen Staates
verändert werden. 4
[60]Erſtes Buch. §. 34.
Andere Verpflichtungen oder Beſchränkungen der Staatsgewal-
ten fließen, abgeſehen von den Grenzen, welche ihnen durch das in-
nere Staatsrecht geſetzt werden,
aus der anderen Staaten ſchuldigen Achtung (§. 31.), ſo
wie aus den Europäiſchen Rangverhältniſſen (§. 28.);
aus den allgemeinen Menſchenrechten, welche jeder Staat
ſelbſt den ihm nicht Angehörigen zugeſtehen muß;
aus den Verhältniſſen der Unterthanen zu auswärtigen ſpi-
rituellen Mächten, von welchen ſie in Betreff ihres Religions-
cultus abhängig ſind, wobei insbeſondere die Inſtitutionen
der Römiſch-katholiſchen Kirche in Betracht kommen;
aus dem Verhältniß der Exterritorialität;
aus der Beſtellung von Staatsſervituten;
endlich können in einzelnen Fällen Interventionsrechte An-
derer begründet ſein.
Von allen dieſen iſt, ſo weit es noch nicht geſchehen, der Reihe
nach zu handeln, nachdem zuvor noch das Verhältniß verſchiede-
ner Staatsgewalten in Colliſionsfällen, in Betreff einzelner Ge-
genſtände, erörtert ſein wird.
Verhältniß der Staatsgewalten zu auswärtigen Souveränetätsacten und Rechts-
verhältniſſen in Colliſionsfällen.
34. Unmöglich kann dem Territorialprincip und dem Recht auf
Unabhängigkeit die ausgedehnte Deutung gegeben werden, daß Sou-
veränetätsacte und Rechtsverhältniſſe fremder Staaten für einen an-
deren völlig gleichgiltig und ein Non ens ſeien. Schon das Recht
auf gegenſeitige Achtung würde ſich einem ſolchen Indifferentismus
widerſetzen; es giebt aber noch außerdem beſtimmte Gründe, welche
zur Berückſichtigung der Rechte fremder Staatsgewalten nöthigen;
namentlich
- I. im völkerrechtlichen Verkehr, inſofern die dabei concurriren-
den Perſonen oder Sachen verſchiedener Staaten in Anſehung
ihrer ſtaatsrechtlichen Eigenſchaften lediglich nach dem Recht
desjenigen Staates zu beurtheilen ſind, welchem ſie angehö-
ren. Eine Anerkennung dieſer Eigenſchaften kann nur ver-
verweigert werden, wenn ſie dem völkerrechtlichen Herkom-
4
[61]§. 35. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
men widerſprechen oder zum Präjudiz des concurrirenden
Staates gereichen; 1 - II.[inſofern] es bei Beurtheilung und Entſcheidung inländiſcher
Zuſtände auf Souveränetätsacte und Rechtsverhältniſſe des
Auslandes wenigſtens thatſächlich ankommt. Hierbei kann
natürlich nur auf die Zuſtände der auswärtigen Staaten ſelbſt
Rückſicht genommen werden, und es iſt dabei den Mitthei-
lungen der dortigen Staatsbehörden Glauben beizumeſſen,
wenn gegen deren Aechtheit und Competenz keine Ausſtel-
lung Platz greift. 2
Im Uebrigen ſteht es in der Willkühr jeden Staates, fremden
Regierungsacten auch in ſeiner Mitte beſtimmte Wirkungen beizu-
legen, wiewohl dieſes immer nur unter Bedingung der Reciproci-
tät oder mit ſtillſchweigender Vorausſetzung derſelben zu geſchehen
pflegt.
Haben endlich mehrere Staatsgewalten ein gleiches Beſtim-
mungsrecht hinſichtlich deſſelben Falles oder Gegenſtandes, ſo ver-
fährt jede unabhängig und die Priorität entſcheidet ſich allein nach
dem Geſetz der Prävention, d. h. des dermaligen Beſitzſtandes.
Insbeſondere in Betreff der Juſtizverwaltung.
35. Aus denſelben Geſichtspuncten des Rechts und der Con-
venienz iſt das Verhältniß der Juſtizverwaltungen verſchiedener Staa-
ten zu beſtimmen. 3 Denn auch die Juſtizhoheit, d. h. die Geſetz-
[62]Erſtes Buch. §. 35.
gebung und richterliche Gewalt über die Individualrechte der Staats-
angehörigen, welche ihnen als Privatperſonen zuſtehen ſollen, iſt
nur ein Theil der Staatsgewalt, mithin in keiner anderen Lage als
jedes andere Hoheitsrecht.
Als leitende Grundſätze ſind hierbei folgende an die Spitze zu
ſtellen:
- I. Jeder Staat iſt berechtigt, ſeinen Angehörigen die Regel ih-
res Verhaltens, ſo weit es nur der in ihm lebendige Be-
griff der perſönlichen Freiheit geſtattet, ſowohl im Inlande wie
im Auslande mit Rechtsverbindlichkeit für ſievorzu ſchreiben;
eben ſo dem Ausländer während ſeines Aufenthaltes im dies-
ſeitigen Staatsgebiet. - II. Jeder Staat iſt berechtigt, denjenigen Rechtsverhältniſſen,
welche in ſeinem Gebiet Wirkungen haben ſollen, die Bedin-
gungen ihrer Giltigkeit vorzuzeichnen, inſofern ſie in ihm ſelbſt
oder unter ſeinen Angehörigen im Auslande zur Entſtehung
kommen; den außerhalb ſeines Bereichs entſtandenen aber
entweder die Wirkſamkeit hier zu entziehen, oder ſie von be-
ſonderen zuſätzlichen Bedingungen abhängig zu machen. Aber
er kann keiner ihm fremden Perſon oder Sache, ſo lange ſie
dieſes iſt, ein Geſetz vorſchreiben. - III. Jeder Staat iſt allein befugt, über die ſtreitigen Rechtsver-
hältniſſe, welche in ſeinem Gebiet, ſei es gegen Sachen oder
Perſonen, in Anſpruch genommen werden, allein zu entſchei-
den und dabei die Regeln der Procedur vorzuzeichnen. - IV. Kein Staat iſt an und für ſich rechtlich verpflichtet, dem an-
deren die Ausübung der Rechtspflege zu erleichtern oder ihn
dabei zu unterſtützen. Jedoch bringt hier das Intereſſe Al-
ler ein wechſelſeitiges Entgegenkommen und dadurch die Ent-
ſtehung von ſelbſt allgemeinen Obſervanzen mit ſich.
Alles Uebrige gehört den beſonderen Zweigen der Rechtsverwal-
tung an. Vieles iſt hierbei der Convenienz der Staaten überlaſſen,
oder es iſt particuläres Herkommen mehrerer Staaten unter einan-
der geworden; jedoch darf die zufällige Uebereinſtimmung vieler oder
der meiſten bekannten Particularrechte von Einzelſtaaten noch nicht
3
[63]§. 36. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
als Beweis eines ſchlechthin verbindlichen unveränderlichen gemein-
ſamen Rechtsgrundſatzes gelten.
36. In Betreff der Strafrechtspflege ſind weſentlich die nach-
ſtehenden Grundſätze zu rechtfertigen:
- I. Dieſelbe kann ſich nur erſtrecken
- a. auf Verbrechen und Vergehungen, welche im Inlande
von irgend einer dort befindlichen Perſon, ſie ſei In-
länder oder Ausländer, begangen ſind; - b. auf Verbrechen, welche im Auslande von einem Unter-
than des ſtrafenden Staates gegen deſſen auch noch im
Auslande verpflichtenden Strafgeſetze begangen werden. 2
Während man in der Theorie oft nicht einmal den zwei-
ten Satz einräumt und dem Staat jedes Strafrecht bei aus-
ländiſchen Verbrechen abſprechen will, geht die Praxis der
Einzelſtaaten ſelbſt viel weiter und erlaubt einem jeden derſelben
faſt mit gemeinſamem Einverſtändniß, alle diejenigen Delicte,
welche gegen ſeine Exiſtenz und wichtigſten politiſchen In-
tereſſen von einem Ausländer begangen werden, ſelbſt zu be-
ſtrafen.3Manche Staaten halten ſich ſogar zur Beſtrafung
aller irgendwo verübten Verbrechen competent, wenn kein nä-
her Betheiligter die Beſtrafung übernimmt.4Die Ausübung
des Strafamtes für einen anderen, eigentlich competenten
[64]Erſtes Buch. §. 36.
Staat vermöge eines Auftrages deſſelben, würde zwar im
Allgemeinen nicht für unzuläſſig zu halten ſein,1jedoch ſteht
ihr der jetzt herrſchende Grundſatz der conſtitutionellen Staa-
ten entgegen, daß Niemand ſeinem natürlichen, d. h. verfaſ-
ſungsmäßigen Richter entzogen werden dürfe. - a. auf Verbrechen und Vergehungen, welche im Inlande
- II. Jeder Staat kann nur nach ſeinen eigenen Geſetzen und mit
Beobachtung ſeiner Procedurformen ſtrafen. 2 - III. Haben mehrere Staaten in demſelben Falle ein concurrirendes
Strafrecht, ſo iſt jeder gleichmäßig berechtigt ſein Strafamt,
ungehindert durch den anderen, auszuüben, keiner aber auch
verpflichtet, dem anderen die Priorität einzuräumen. Keine
auswärtige Litispendenz bindet die Staaten in Criminalſa-
chen. Selbſt wenn der eine geſtraft oder freigeſprochen hat,
könnte der andere auch noch ſeinerſeits ſtrafen, wenigſtens
noch das nach ſeinen Geſetzen fehlende Strafmaaß hinzufü-
gen, wenn er nicht lieber den Grundſatz chriſtlicher Milde:
Non bis in idem gelten laſſen will. 3 - IV. Kein Staat iſt ſchuldig, den anderen bei Ausübung des
Strafrechts zu unterſtützen, 4 oder auch die Straferkenntniſſe
des anderen als eine Wahrheit für ſich anzuerkennen und zu
vollziehen. 5 Selbſt Bundesverhältniſſe machen hierin ohne
[65]§. 37. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
beſtimmte Vereinbarung keine Ausnahme. 1 Da jedoch alle Staa-
ten ein gleich ſtarkes Intereſſe daran haben, die Unterdrückung und
alſo auch Ermittelung von Verbrechen zu befördern, ſo pflegt kei-
ner dem anderen auf gehörige Interceſſion ſeine Hilfe in polizei-
lichen oder gerichtlichen Unterſuchungshandlungen zu verſagen, falls
nicht der Verbrecher in Schutz gegen fernere Verfolgung geſtellt iſt,
welche zu gewähren kein Staat gehindert wird. 2 Die formelle Gil-
tigkeit auswärtiger Proceduracten beſtimmt ſich nach den dortigen
Geſetzen. 3
Von Recht und Pflicht der Auslieferungen wird weiterhin §. 63.
die Rede ſein.
37. Eine zum Theil ſehr verſchiedene Bewandtniß hat es mit
der Juſtizgewalt der Staaten in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten.
Ein allgemein giltiges Privatvölkerrecht (ius gentium priva-
tum), wovon ſich die Spuren im älteren Römerſtaat finden und
wonach man im Verkehr mit Fremden über Privatrechtsverhältniſſe
entſchied, iſt zu keiner ſelbſtändigen Entwickelung gediehen (§. 1.).
Eben ſo wenig hat ſich das Princip des germaniſchen Mittelal-
ters, den Fremden nach ſeinem Nationalrecht zu beurtheilen, in
die neuere Zeit in ſeiner Allgemeinheit fortgepflanzt; auch könnte
5
5
[66]Erſtes Buch. §. 37.
letzteres nicht jeden Conflict beſeitigen. Bei der heutigen Abſchlie-
ßung der Einzelſtaaten und Unterordnung des Privatrechts unter
dieſelben entſteht oder vollendet ſich wenigſtens jedes Rechtsverhält-
niß ſcheinbar nur relativ für den einen oder anderen, und es kann
dadurch die Anſicht entſtehen, als ob jeder Staat die Privat-Rechts-
verhältniſſe anderer Staaten, wie bei dem Strafrecht, als ihm völ-
lig fremd behandeln und ignoriren dürfe. Allein dadurch würde
er überhaupt alles Privatrecht außerhalb ſeines Gebietes negiren,
und ſomit die Freiheit der menſchlichen Perſon, was kein Staat
als einzelner Träger des Menſchengeſchlechtes kann. Ein Privat-
recht zu haben iſt ein allgemeines Menſchenrecht, zu deſſen Erhal-
tung und Gewährung jeder Staat beitragen muß; inſofern aber
ſeine nähere Entwickelung von der Sanction der Staatsgewalten
abhängig iſt, muß gewiß auch jeder Einzelſtaat die Schweſteraucto-
rität des anderen Staates, welchem jene Sanction anheimfällt,
nach dem Princip der Gleichheit und gegenſeitigen Achtung aner-
kennen. Die Schwierigkeit liegt allein in der Beſtimmung der Zu-
ſtändigkeit, worauf ſich der nachfolgende Verſuch bezieht; an ſich
aber iſt jedes unter Sanction des competenten Staates erwachſene
Rechtsverhältniß eine vollendete Thatſache für Jedermann, jedoch
kann dadurch wiederum keinem Staat die Verbindlichkeit auferlegt
werden, jener Thatſache dieſelben Wirkungen beizulegen, wie ſie der
andere zuläßt oder beſtimmt; jeder kann vielmehr die Wirkungen
der einzelnen Rechtsverhältniſſe nach ſeinem Ermeſſen geſetzlich be-
ſtimmen, oder noch von zuſätzlichen Bedingungen abhängig ma-
chen; ja er kann ihnen ſogar alle Wirkſamkeit in ſeinem Bereich
abſprechen. Iſt eine derartige geſetzliche Beſtimmung von ihm nicht
ertheilt, 1 ſo muß angenommen werden, daß er dem außerhalb zur
Exiſtenz gekommenen Rechtsverhältniß ſeine urſprüngliche Kraft und
Wirkſamkeit belaſſen wolle. Niemals kann jedoch einem anderen
Staat ein Rechtsverhältniß aufgedrungen werden, welches er ſelbſt
reprobirt; 2 nie können in ihm Wirkungen reclamirt werden, welche
[67]§. 38. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſeinem eigenen Rechtsſyſtem widerſprechen; 1 oder ſolche Wirkun-
gen, die er nur ſeinen inländiſchen Rechtsverhältniſſen zugeſteht;
nie iſt die bloß geſetzliche Fiction eines Staates auch für einen
anderen, der ſie nicht hat, verbindlich, 2 wiewohl die auf Grund
ſolcher Fiction im Auslande bereits eingetretenen fernerweiten Rechts-
verhältniſſe in ihrer Exiſtenz nicht negirt werden können. 3 Nie
kann aber auch das Syſtem beſtehen, daß ſelbſt Exiſtenz und Be-
dingungen eines Rechtsverhältniſſes, welches in einem auswärti-
gen zuſtändigen Staate erwachſen iſt, von jedem anderen, wo die
Wirkungen in Anſpruch genommen werden, nach ſeinem eigenen
Recht zu beurtheilen ſeien. Man würde dadurch dem eigenen Ge-
ſetz eine ultraterritoriale und ſelbſt retroactive Kraft geben.
38. Als leitende Grundſätze hinſichtlich der Zuſtändigkeit
der Rechtsſatzungen ergeben ſich dieſe:
- I. Jeder Staat iſt berechtigt, den bürgerlichen Stand ſeiner
Unterthanen, ſo wie die Rechte einer Perſon auf die andere
nebſt denen der perſönlichen Repräſentation und Succeſſion
zu beſtimmen (statuta personalia), ſei es auf rein legis-
lativem Wege oder mit Zuthun der Gerichtsbarkeit in ge-
miſcht freiwilligen und unfreiwilligen Angelegenheiten (ju-
risdictio voluntaria mixta), z. B. durch Anordnung von
Vormündern, Beiſtänden u. dergl. Die hierdurch begründe-
ten Rechtsverhältniſſe werden in Anſehung des Heimathſtaa-
tes hinſichtlich der hier neu entſtehenden oder daſelbſt wirk-
ſam ſein ſollenden anderweitigen Rechtsverhältniſſe, ſelbſt
durch einen Aufenthalt der Perſon im Auslande, nicht auf-
gehoben, ſo lange noch das bisherige Vaterland beibehalten
wird. 4 Ein fremder Staat kann dieſe Rechtsverhältniſſe
5*
[68]Erſtes Buch. §. 38.
zwar in der Anwendung auf Zuſtände, Perſonen und Sa-
chen ſeines Gebietes modificiren oder ganz bei Seite ſetzen; 1
thut er es aber nicht, ſo beläßt er es ſtillſchweigend bei dem
Heimathsrecht, 2 ein Princip, welches der Selbſtändigkeit
und Stetigkeit privatrechtlicher Verhältniſſe, ſo wie der an-
deren Staaten ſchuldigen Achtung am meiſten entſpricht, deß-
halb auch von jeher die meiſten Stimmen der theoretiſchen
und praktiſchen Jurisprudenz für ſich gewonnen und in dem
größten Theil der Geſetzgebungen Eingang erlangt hat. 3
Sollte ein Fremder verſchiedenen Staaten angehören, ſo
würde in dem dritten Staat dasjenige auswärtige Perſonal-
verhältniß anzunehmen ſein, womit das jetzt in Frage be-
fangene Rechtsverhältniß am beſten beſtehen kann; ſonſt ge-
hörte der Fall zu den unauflöslichen. 4 - II. In Beziehung auf Sachen, die ſich in ſeinem Territorium
befinden, kann jeder Staat beſtimmen, welche derſelben ihm
unabänderlich verbleiben und welche Rechtsverhältniſſe über-
haupt dabei zuläſſig ſein ſollen. Die poſitiven Geſetzgebun-
gen beſchränken ſich nun bei Ausübung dieſes Rechtes meiſt
auf unbewegliche Sachen die es ihrer Natur nach ſind, oder
damit in Verbindung ſtehen, oder eine Analogie damit ha-
ben; es kann ſogar jetzt als ein in den Europäiſchen Staa-
ten durchgängig herrſchender Satz angeſehen werden, daß
unbewegliche Güter allein nach dem Geſetz ihrer Lage beur-
theilt werden müſſen. 5 Von der weiteren Erklärung jedes
Staates und der ihn vertretenden Jurisprudenz hängt es
demnächſt ab, in wie fern die Ausſchließlichkeit ſeiner Sta-
tuten ſelbſt den im Auslande geborenen Status- und Re-
präſentationsrechten gegenüber gelten ſoll. Das Völkerrecht
entſcheidet dieſe Frage an und für ſich nicht. Es gewährt
nur die Maaßnahme- a) daß, ſo weit kein ausſchließliches einheimiſches Statut
[69]§. 38. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
für alle Realfragen beſteht, der Staat eben dadurch
auch die Giltigkeit der im Auslande nach dortigen all-
gemeinen Statuten 1 erworbenen Rechte an diesſeitigen
Sachen anerkennt, und nur etwa noch dasjenige hin-
zukommen muß, was nach dem einheimiſchen Statut
zur Vollendung oder Sicherſtellung der Erwerbung er-
fordert wird; - b) daß an ſolchen (beweglichen) Sachen, die von außer-
halb erſt in einen Staat hineingebracht werden, auch
noch diejenigen Rechtsverhältniſſe fortdauern, welche be-
reits im Auslande giltig daran conſtituirt waren, ſo
weit nicht ihrer dauernden Vollziehbarkeit ein excluſi-
ver Grundſatz des Staates, wo die Sachen ſich derma-
len befinden, entgegenſteht. 2
In der Beweglichkeit der Sachen und ihrer ſteten Abhän-
gigkeit von der Perſon liegt übrigens eine natürliche und faſt
unvermeidliche Veranlaſſung für alle Staaten, die Mobilien
dem perſönlichen Recht zu unterwerfen (mobilia ossibus in-
haerent, personam sequuntur), ſo daß nur wenige Ge-
ſetzgebungen auch hier die Realſtatuten (Geſetze der Ortslage)
entſcheiden laſſen.3 - a) daß, ſo weit kein ausſchließliches einheimiſches Statut
- III. Die Giltigkeit von Privatrechtsgeſchäften iſt zunächſt abhän-
gig von derjenigen Geſetzgebung, unter welcher dieſelben Wir-
kung äußern ſollen, falls und ſo weit jene ein excluſives Sy-
ſtem befolgt. Außerdem 4 iſt die Fähigkeit der Intereſ-
ſenten von ihrem Heimathsrecht, und nur das Subſtan-
tielle des Actes zur Erwerbung perſönlicher Zuſtandsrechte
(I) von der Geſetzgebung des Landes, wo der Act beſtimmte
Wirkungen äußern ſoll, abhängig. In jeder ſonſtigen Be-
ziehung entſcheidet weſentlich der Wille der handelnden Per-
ſonen (id quod actum est, die Autonomie der Privaten),
[70]Erſtes Buch. §. 38.
für deſſen Auslegung jedoch das Ortsgeſetz der Erklärung
eine nähere Bedeutung haben kann. Hinſichtlich der Form
hat ſich ſogar das wohl allgemeine Herkommen gebildet, ſel-
bige durch das Ortsrecht der Vollziehung beſtimmen zu laſ-
ſen, ein Herkommen, welches auf dem Bedürfniß beruht,
ſeinen Privatwillen allenthalben geltend zu machen, 1 vorbe-
haltlich deſſen, was etwa noch zur nachträglichen Vervoll-
ſtändigung der Form ausdrücklich gefordert wird. Verlangt
freilich ein Geſetz zur Giltigkeit oder Wirkſamkeit eines Acts
die Vornahme vor gewiſſen inländiſchen Behörden, was oft
nur wieder Sache der Interpretation iſt, ſo können jene
nicht durch ausländiſche, wenn ſchon gleichnamige Behörden,
vertreten werden. 2 - IV. Quaſi-Contracte werden in Betreff der Capacität der Per-
ſonen nach deren Perſonalſtatuten, hinſichtlich ihrer obliga-
toriſchen unmittelbaren Wirkung aber nach dem Ortsrecht
der Entſtehung regulirt. 3 - V. Delictsobligationen müſſen ebenfalls nach dem Recht ihrer
factiſchen vollendeten Entſtehung beurtheilt und auch ander-
wärts als wirkſam gegen den Verletzer angeſehen werden,
da die Verpflichtung deſſelben, ſich den Staatsgeſetzen ge-
mäß an dem Ort der Verletzung zu verhalten, von keinem
anderen Staat verkannt werden kann. 4
In allen Fällen verſteht ſich übrigens die Bedeutſamkeit aus-
ländiſcher Rechtsacte und Obligationen, nächſt den ſchon §. 37. ge-
machten allgemeinen Beſchränkungen, für andere Staaten nur von
den rein privatrechtlichen Wirkungen, nicht auch von ſolchen Ne-
[71]§. 39. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
benwirkungen, z. B. Hypotheken und Vorzugsrechten, welche ein
Staat lediglich den unter ſeinem Rechtsſyſtem entſtandenen Rechts-
verhältniſſen beilegt, ſofern nicht hierüber ein Einverſtändniß mit
anderen Staaten beſteht. 1
39. Hinſichtlich der richterlichen Entſcheidungsgewalt
laſſen ſich die nachſtehenden Sätze als gemeingiltig annehmen: 2
- I. Jeder Staat hat die, wenn gleich nicht ausſchließliche, Com-
petenz, über alle Privat-Rechtsverhältniſſe 3 zu entſcheiden,
welche in ihm, ſei es auch gegen einen Fremden, oder ge-
gen einen ſeiner Angehörigen, auf Veranlaſſung eines Intereſ-
ſenten 4 zur Vollſtreckung gebracht werden ſollen und einer
rechtlichen Entſcheidung bedürftig ſind. 5 - II. Das gerichtliche Verfahren beſtimmt ſich lediglich nach den
Geſetzen und Ordnungen des Staates, deſſen Gerichte die
Entſcheidung abgeben ſollen. Die Gerichte verſchiedener Staa-
ten pflegen ſich hierbei auf gehörige Requiſition einander zu
unterſtützen, ſofern nicht in ihre eigene Competenz einge-
griffen wird. Das Verfahren des requirirten Richters be-
ſtimmt ſich nach ſeinen eigenen Procedurgeſetzen; jedoch kann
auch die vom Requirenten gewünſchte Form beobachtet wer-
den, ſofern dieſelbe nicht gegen ein einheimiſches Verbot oder
gegen die einheimiſche Sitte ſchlechthin verſtößt. 6 - III. Die materielle Entſcheidung iſt aus den vorhin erörterten
Entſcheidungsquellen zu ſchöpfen. Auch die Beweisquel-
len beſtimmen ſich darnach, 7 desgleichen alle das Klage-
recht ſelbſt, nicht bloß die Procedur betreffenden Einreden. 8
[72]Erſtes Buch. §. 40.
- IV. Rechtskräftige Entſcheidungen haben zwar nur in dem eige-
nen Staatsgebiet, und wo durch Vertrag oder gegenſeitige
Obſervanz deshalb Zugeſtändniſſe gemacht ſind, Anſpruch
auf unbedingte Vollſtreckbarkeit; indeſſen ſollte wenigſtens
kein Staat dem rechtskräftigen Erkenntniß eines anderen Staa-
tes, welchem nicht überhaupt Competenz abzuſprechen iſt, die
Bedeutung einer gleichſam contractlichen Feſtſtellung unter
den Parteien verweigern, und ſomit auch, falls die nöthige
Erörterung hierüber Statt gefunden hat, die Vollſtreckbarkeit
bei ſich verordnen. Die Unterſuchung kann ſich aber nur
darauf beziehen, ob ein förmliches Verfahren vor einer nicht
durchaus unbefugten Behörde Statt gefunden und das Er-
kenntniß wirklich ſchon die Rechtskraft beſchritten habe. 1
In ähnlicher Weiſe ſind ſchiedsrichterlichen Urtheile zu be-
handeln.2
Endlich iſt wegen der Contractsnatur eines Privatrechtsſtreits auch
die Einrede der Rechtshängigkeit in jedem anderen Staate zu
beachten.3
Verhältniß der Staatsgewalten zu auswärtigen ſpirituellen Mächten, insbeſondere
zum Römiſchen Stuhl.
40. Verhältniſſe eigenthümlicher Art treten ein in Beziehung
auf auswärtige ſpirituelle Mächte, von denen alle oder ein Theil
der Staatsangehörigen vermöge ihrer religiöſen Ueberzeugung ab-
hängig ſind, insbeſondere zu dem Römiſchen Stuhl, in ſeiner Ei-
8
[73]§. 40. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
genſchaft als oberſten Regierers der abendländiſchen katholiſchen
Kirche.
Jeder Conflict zwiſchen einer derartigen Macht und den Staats-
gewalten würde nur gehoben werden, wenn entweder dieſe ſich ganz
den Beſtimmungen der erſteren auch in weltlichen Dingen unter-
werfen wollten, gleichſam als eine theokratiſch beherrſchte Staaten-
familie; eine Idee, die zwar im Mittelalter mit Conſequenz ver-
folgt, jedoch niemals durchgeſetzt wurde, und auch jetzt, nur von
einzelnen kirchlichen Eiferern empfohlen, ſchwachen Anklang ſelbſt
in katholiſchen Staaten gefunden hat, denn ſie vernichtet alle Na-
tionalität — oder zweitens, wenn die geiſtliche Gewalt ſich eben
nur auf die Grenzen eines ſpirituellen Wirkens beſchränken, nicht
etwa auch eine politiſche Form des Daſeins in Anſpruch nehmen
und jedem Einfluß auf das äußere Leben entſagen könnte oder
wollte.
So lange nun Kirchen- und Staatsgewalten in ihrer Freiheit
und Selbſtändigkeit beſtehen, wird es nöthig, das Rechtsverhältniß
beider zu einander zu beſtimmen. Die Entſcheidungsquellen aber
können keine anderen ſein, als diejenigen, welchen alle unabhängi-
gen Mächte oder Rechtsſubjecte, die mit einander Verbindung ha-
ben wollen oder zufällig haben, unterworfen ſind; nämlich:
- I. Das Weſen der ſich gegenüberſtehenden Subjecte ſelbſt. Kein
Staat, welcher katholiſche Unterthanen hat, kann in dem Rö-
miſchen Oberbiſchof eine Macht verkennen, worin die abend-
ländiſche Römiſch-katholiſche Kirche ihren Mittelpunct, ihre
Einheit und ihren Demiurgen findet, mit welchem ſie in ei-
nem untrennbaren Zuſammenhange ſteht, wider deſſen Wil-
len in der Kirche Nichts geſchehen darf und deſſen Urtheil
hierin über Recht und Unrecht entſcheidet, 1 eine Macht, de-
[74]Erſtes Buch. §. 40.
ren kirchliche Wirkſamkeit nicht ausgeſchloſſen werden kann,
ohne das Gewiſſen der katholiſchen Unterthanen zu verletzen
oder zu beunruhigen. Andererſeits kann die Römiſche Kirche
die Exiſtenz der Einzelſtaaten und deren Anſpruch auf Fort-
dauer, ihr Recht zur Selbſterhaltung und Selbſtentwickelung
nicht ignoriren; ſie muß jeder Staatsgewalt das Recht zu-
geſtehen, ſich in ihrer Sphäre zu behaupten.
Kein Theil aber kann dem anderen Geſetze vorſchrei-
ben; unabhängige Macht ſteht die eine der anderen gegen-
über. Auch der Staat gehört der göttlichen Ordnung der
Dinge an; auch die Kirche in ihrer Aeußerlichkeit iſt fehl-
bar wie der Staat. Zur Ausgleichung von Meinungsver-
ſchiedenheiten bleibt hier nur der Weg der Transaction. - II. Eine andere Rechtsquelle zwiſchen Staat und Kirche bil-
den die ausdrücklichen Conventionen, insbeſondere die Con-
cordate des Römiſchen Stuhles, 1 zum Theil auch Verträge
einzelner Prälaten mit den Staatsgewalten, innerhalb der
Grenzen ihrer amtlichen Befugniſſe. Sogar mit Ungläubi-
gen hat der Römiſche Stuhl contrahirt und nur mit an-
geblich ketzeriſchen Staatsgewalten vermeidet er die Form
öffentlicher Verträge. Nicht er ſelbſt, ſondern nur einzelne
allzu dienſtfertige Stimmen haben die Verbindlichkeit der ka-
tholiſchen Kirche zur treuen Haltung ſolcher Verträge mit
akatholiſchen Mächten zuweilen in Zweifel gezogen. - III. Eine fernere Rechtsquelle iſt das gegenſeitige Herkommen
oder die gleichförmige Befolgung einer Regel, um ihrer in-
neren Wahrheit oder äußeren Nothwendigkeit willen. Dieſe
Rechtsquelle nimmt auch die katholiſche Kirche an; alles
Herkommen iſt ſowohl für die ganze Kirche wie für einzelne
1
[75]§. 41. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Theile derſelben giltig, was ſich nicht gegen unabänderliche
Regeln und Einrichtungen der Kirche oder wider die Kirche
überhaupt geltend machen will. 1 So wie ihr nun ſelbſt
zuſtehen muß, aus ihrem Standpuncte die Zuläſſigkeit oder
Unzuläſſigkeit eines Herkommens zu prüfen und darüber ein
für ihre Glieder verbindliches Urtheil abzugeben, ſo unleug-
bar iſt das gleiche Recht des Staates, die auf ein angebli-
ches Herkommen von der Kirche gegründeten äußeren An-
ſprüche zu unterſuchen und ihnen, wenn ſie gegen den Staat
an ſich oder deſſen unabänderliche Einrichtungen ſind, die
Wirkſamkeit abzuſprechen. - IV. Nicht ſchon wirkliches, ſondern nur ein jeweiliges Herkom-
men (bloßer Beſitzſtand) iſt die Praxis zwiſchen Kirche und
Staat; aber ſie wird durch Unvordenklichkeit oder durch ſtill-
ſchweigende Duldung und fortgeſetzte Befolgung, obgleich
man zu widerſprechen vermochte und ein Intereſſe hatte, zu
einem wirklichen Recht (§. 11.), dem ſich hiernächſt weder
Kirche noch Staat ohne Ungerechtigkeit entziehen darf. Auch
ſind auf dieſem Wege den Staatsgewalten manche Befug-
niſſe zugefallen, die im Mittelalter von der Kirche geübt
oder doch beanſprucht wurden. 2
41. Die nähere praktiſche Geſtaltung der Verhältniſſe des Rö-
miſchen Stuhles, wie ſie ſich theils hiſtoriſch ergeben hat, theils
aus den vorangeführten Quellen begründet werden kann, iſt im
Allgemeinen dieſe:
- I. Der Römiſche Oberbiſchof iſt ſowohl eine ſpirituelle Macht
für die ſeiner Kirche zugehörigen Gläubigen, theils eine auf
das ſ. g. Patrimonium Petri durch Schenkungen Pipins und
Carls des Großen, 3 ſo wie durch ſpätere Acceſſionen fun-
[76]Erſtes Buch. §. 41.
dirte weltliche ſouveräne Macht, welche mit kirchlichen Ver-
faſſungsformen regierend, in allen äußeren Verhältniſſen an
den Rechten und Gebräuchen unabhängiger Nationen Theil
nimmt. Alle katholiſchen Mächte geſtehen dem Römiſchen
Stuhl den Vorrang zu und erweiſen ihm, als treuergebene
Söhne der Kirche, beſondere Ehrenbezeigungen. Akatholiſche
Mächte conteſtiren zwar den Vorrang, dulden ihn indeß um
des Friedens willen. 1 - II. In ſeiner Eigenſchaft als ſpirituelle Macht hat der Pabſt
in den Staaten, wo es eine anerkannte katholiſche Confeſ-
ſion giebt, alle diejenigen Befugniſſe auszuüben, welche aus
der hiſtoriſchen Bedeutung des Römiſchen Stuhles herflie-
ßen. Dieſes aber iſt nach einſtimmiger Ueberzeugung der
Römiſchen Kirche die Erhaltung ihrer Einheit in der feſtſte-
henden Lehre und canoniſchen Einrichtung, mithin auch Re-
gierung, Vertretung und Beaufſichtigung der Geſammtkirche
in all ihren gemeinſchaftlichen Intereſſen, dem feſtſtehenden
Glaubens- und Verfaſſungsſyſteme gemäß. 2 Geht die geiſt-
liche Macht über ihre unbeſtreitbaren Grenzen hinaus, ſo
hat der Staat das Recht des Widerſtandes, die Ausübung
des Hausrechts, ſo wie er ſchon im Voraus möglichen Ueber-
griffen entgegen Vorkehrungen treffen kann, ne quid de-
trimenti res publica capiat. Die in ſolcher Hinſicht zu-
läſſigen Mittel lehrt das innere Staatsrecht und die Po-
litik. 3 - III. Der kirchliche Staat iſt ein Wahlſtaat, die Pabſtwahl von
[77]§. 41. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
dem Cardinalcollegium nach der kirchlichen Verfaſſung ſeit
dem Mittelalter, jure humano, abhängig. Den katholiſchen
Nationen und ihren Regenten wird weder eine Mitwirkung
in der Leitung der allgemeinen Kirche noch auch ein Ein-
fluß auf die Pabſtwahl ausdrücklich zugeſtanden; indeſſen iſt
die Erkieſung beſonderer Schutzcardinäle (Cardinales Pro-
tectores nationum) von Seiten einzelner katholiſcher Re-
gierungen, hauptſächlich ſeit dem 15 ten Jahrh., üblich ge-
worden; auch haben einige Großmächte (Oeſterreich, Frank-
reich und Spanien) eine ſ. g. Excluſive gegen die Wahl des
einen oder anderen Candidaten vor der Wahl hergebracht,
welche indeß die dennoch getroffene Wahl nicht vernichten
würde. 1 Im Uebrigen beſtehen zwiſchen Rom und anderen
Staaten die gewöhnlichen diplomatiſchen Verbindungsmittel. - IV. Vermöge uralten Herkommens ſtand die Römiſche Kirche und
ihr Haupt unter dem Schutz der Römiſchen Kaiſerkrone bis
zur Auflöſung des heil. Röm. Reichs im J. 1806, wozu
die früheren Verhältniſſe Roms im Mittelalter, namentlich
ſeit Pipin [und] Carl d. Gr., den Grund gelegt hatten. 2
Ein neuer Beſchützer iſt für jetzt nicht gewählt, noch auch
von Rechtswegen an die Stelle des Römiſchen Kaiſers ge-
treten. 3
Alle übrigen Verhältniſſe der Römiſchen Kirchengewalt gehö-
ren dem particulären Staats- und Kirchenrecht an. Es gab eine
Zeit, wo Rom alle weltlichen Reiche auch in weltlichen Dingen
in Abhängigkeit von ſich zu ſetzen ſuchte. Es legte ſich ein Con-
firmationsrecht über Kaiſer, Könige und Fürſten bei, eine oberſte
Cenſur von Regierungshandlungen, Beſteuerungsrechte und derglei-
chen. Frankreich widerſtand zuerſt ſiegreich und die hochgeſpann-
ten Prätenſionen ſind ſeitdem verſchollen. 4 Würdig und natür-
lich für eine allgemeine Kirche erſcheint nur ein ſchiedrichterliches
[78]Erſtes Buch. §. 42.
Amt des gemeinſamen Oberbiſchofs, wenn es, um Frieden zu er-
halten, von den Parteien angerufen wird.
Recht der Exterritorialität. 1
42. Exterritorialität iſt im Allgemeinen die völkerrechtliche Exem-
tion gewiſſer Perſonen und damit in Verbindung ſtehender Sachen
von der Staatsgewalt desjenigen Territoriums, worin ſie ſich kör-
perlich befinden; man faßt ſie ſogar als eine Fiction auf, daß
jene ſich überhaupt nicht in fremdem, vielmehr in ihrem eigenen
Territorium befänden, wodurch dem Verhältniß eine viel weitere
Ausdehnung gegeben werden würde, als es wirklich hat und ſei-
nen Gründen nach in Anſpruch nehmen kann. 2 Der Grund ei-
nes ſolchen Rechts iſt nämlich kein anderer, als daß die Staats-
gewalt eines Territoriums entweder keine rechtliche Botmäßigkeit
über eine gewiſſe Perſon an ſich hat, oder daß er ſelbige wenig-
ſtens im Intereſſe des völkerrechtlichen Verkehrs ſuspendiren muß.
Welche Perſonen demnach hierzu allein befugt ſind, welche natür-
liche oder cerimonielle Ausdehnung dem Recht in der einen oder
anderen Hinſicht zuſtehe, wird erſt weiterhin vorkommen; nur fol-
gende allgemeine Sätze gehören unbeſtreitbar hierher:
- I. Die exterritoriale Perſon behält in der Regel ihr früheres
Domicil und wird mithin auch in allen davon abhängigen
Sachen nach dem Recht ihrer Heimath beurtheilt. Jedoch
iſt die Möglichkeit eines Domicils auch in dem fremden Staat
nicht völlig ausgeſchloſſen; ſie kann vielmehr ein ſolches noch
aus früherer Zeit haben und fortſetzen, 3 oder auch, ſofern
[79]§. 42. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſie vollkommene Selbſtändigkeit hat, ein ſolches wählen, 1
wodurch dann hinſichtlich ihrer Rechtsverhältniſſe, unbeſcha-
det ihres ſonſtigen völkerrechtlichen Charakters, die Zuſtän-
digkeit der fremden Staatsgewalten begründet wird. 2 - II. Die weſentliche Bedeutung der Exterritorialität beſchränkt ſich
darauf,
daß kein Recht der inneren Hoheitsgewalt, insbeſondere
kein Act der polizeilichen oder richterlichen Gewalt ge-
gen die exterritoriale Perſon oder Sache ausgeübt wer-
den darf,
wogegen alle übrigen Rechte, die dem Einzelſtaat gegen aus-
wärtige Staaten zuſtehen (§. 29 u. f.) unberührt bleiben. 3 - III. Selbſt die Ausübung der inneren Hoheitsgewalt iſt nicht
ausgeſchloſſen, inſofern die exterritoriale Perſon Befugniſſe
erwerben oder genießen will, welche die ſtaatsbürgerliche Ei-
genſchaft in dem fremden Staate vorausſetzen. 4 - IV. Sie iſt eben ſo wenig befreit von den Laſten, welche auf dem
Gebrauch einzelner, dem fremden Staat zugehöriger Sachen
haften, wofern nicht jener aus Gefälligkeit davon abſteht. 5 - V. Auch in Beziehung auf Privatrechte, welche ſie in dem frem-
den Staat erwirbt oder ertheilt, wird ſie der öffentlichen
Ordnung und dem dortigen Rechtsſyſtem unterworfen, na-
mentlich in Betreff aller Realrechte an unbeweglichen Sa-
chen, 6 ſo wie in Betreff der im fremden Staat eingegan-
genen obligatoriſchen Verhältniſſe, vorbehaltlich der nach den
Perſonalſtatuten des Exterritorialen zu beurtheilenden Fragen. - VI. Mit der Exterritorialität der Perſon iſt auch zugleich eine
[80]Erſtes Buch. §. 42.
Exterritorialität derjenigen anderen Perſonen und Sachen
verbunden, welche mit jener in einem ſtaats- oder familien-
rechtlichen Zuſammenhange ſtehen, oder zu ihrem öffentlichen
wie rein perſönlichen Dienſt und Gebrauch beſtimmt ſind;
es können jedoch dergleichen Perſonen oder Sachen aus dem
fremden Territorium der dortigen Staatsgewalt nicht gegen
ihren Willen oder gegen beſtehende Verträge entzogen wer-
den. 1 - VII. Die exterritoriale Perſon muß ſich der auswärtigen Gerichts-
barkeit in allen denjenigen Privatangelegenheiten unterwer-
fen, in welchen ſie, ſogar wenn ſie nicht anweſend wäre,
bei den Gerichten des fremden Staates Recht nehmen oder
geben müßte, indem deſſen Befugniſſe durch die Anweſenheit
der exterritorialen Perſon nicht geringer werden können als
ihm außerdem zuſtehen; indeſſen ſetzt ſich die Staatenpraxis,
wiewohl ohne Zwang, 2 meiſt engere Schranken, und übt
die Gerichtsbarkeit weſentlich nur bei Realklagen, ferner hin-
ſichtlich der Nebenpuncte, welche durch eine ſelbſteingeleitete
Procedur herbeigeführt ſind; 3 ſo wie in Betreff der fortge-
ſetzten Inſtanzen 4 jeder rechtmäßig wider ſie oder von ihr
eingeleiteten Procedur. Auch werden conſervatoriſche Maaß-
regeln erlaubt gehalten. 5
Ueberdies könnte die fremdherrliche Gerichtsbarkeit auch
noch durch freiwillige Unterwerfung der exterritorialen Per-
ſon begründet werden, ſofern ihr nicht das Recht dazu ent-
zogen iſt.6Endlich würde bei unbeſtreitbarem Domicil der
[81]§. 43. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
exterritorialen Perſon in fremdem Lande (II.) auch die hier-
auf gegründete Gerichtsbarkeit deſſelben nicht abzulehnen ſein.
Unter allen Umſtänden verſteht ſich jedoch von ſelbſt, daß
keine unmittelbare Gewalt an der exterritorialen Perſon oder
Sache geübt, mithin auch keine Execution hiergegen voll-
ſtreckt werden kann, und daß gegen die Exterritorialen die-
jenigen Formen zu beobachten ſind, welche wider eine Per-
ſon ſeines Standes, falls ſie ſich nicht anweſend befände,
beobachtet werden müßten.1 - VIII. Das Recht der Exterritorialität dauert nur ſo lange als ihr
Grund. Ein Aſylrecht iſt damit an ſich nicht verbunden. 2
Staatsdienſtbarkeiten. 3
43. Schon aus den natürlichen Verhältniſſen, in welchen meh-
rere Staaten neben einander aufgewachſen ſind, fließen gewiſſe Be-
ſchränkungen oder ſ. g. natürliche Staatsdienſtbarkeiten (servitu-
tes iuris gentium naturales), denen ſich ein Staat zu Gunſten
des anderen nicht entziehen kann, ohne ſich gegen die natürliche Be-
ſchaffenheit der Dinge aufzulehnen und die hiermit gegebene Regel des
friedlichen Nebeneinanderbeſtehens zu verletzen. 4 Dahin gehört z. B.
die Aufnahme des aus den Grenzen eines anderen Staates natür-
6
[82]Erſtes Buch. §. 43.
lich abfließenden Gewäſſers, 1 und andererſeits die freie Heraus-
laſſung eines fließenden Waſſers in den Nachbarſtaat (vergl.
§. 33.), worauf ſich unbedenklich auch die privatrechtlichen Vor-
ſchriften des Römiſchen Weltrechts anwenden laſſen.
Außerdem ſind aber noch gewiſſe poſitive Beſchränkungen der
Staatsgewalten denkbar durch gewillkührte Staatsdienſtbarkeiten
(servitutes iuris gentium voluntariae), d. i. durch jedes von
dem Willen eines Staates unabhängig geſtellte Recht eines ihm
nicht unterworfenen Subjects, wodurch jenem die freie Ausübung
ſeiner Hoheitsgewalt in Betreff eines oder des anderen Gegenſtan-
des entzogen wird.
Die dabei vorkommenden Subjecte ſind: ein berechtigter Staat,
zu deſſen Gunſten eine ſolche Beſchränkung der fremden Staatsge-
walt beſteht, oder, was jedoch nur ſelten der Fall ſein wird, ein
von dem verpflichteten Staat unabhängiges, durch das Völkerrecht
geſchütztes Individuum; 2 ſodann ein verpflichteter, an ſich ſelb-
ſtändiger Staat; auch kann eine und dieſelbe Dienſtbarkeit gegen-
ſeitig zuſtehen, z. B. in Betreff der Beſteuerung.
Die Gegenſtände, worauf ſich dergleichen Dienſtbarkeiten er-
ſtrecken, ſind lediglich und allein Rechte der Staatsgewalt, ſowohl
hohe wie niedere Regalien des verpflichteten Landes; überhaupt nur
öffentliches Eigenthum, nicht aber Privatrechte und Privateigen-
thum deſſelben oder ſeiner Unterthanen, wiewohl dieſe mittelbar
durch eine Dienſtbarkeit berührt werden können. 3
Die Wirkung einer Staatsdienſtbarkeit beſteht darin, daß ent-
weder der Berechtigte zu ſeinem Vortheil eine hoheitliche Befugniß
in dem fremden Staate als ſeine eigene übernimmt und unabhän-
[83]§. 43. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
gig von letzterem ausübt; 1 oder daß der fremde Staat zu Gun-
ſten des Berechtigten ſich der Ausübung einer gewiſſen Hoheitsge-
walt in ſeinen eigenen Grenzen bis zu einem beſtimmten Umfange
enthalten muß. Daher der Unterſchied von affirmativen und ne-
gativen Servituten auch im Völkerrecht Anwendung leidet. 2 Ob
der Vortheil dem Berechtigten unmittelbar und allein, oder ſeinen
von ihm vertretenen Angehörigen zukommt, ändert an dem Weſen
der Servitut Nichts. 3
Die äußerſte Grenze dabei iſt, daß der verpflichtete Staat in
keine völlige Abhängigkeit von dem Willen des Berechtigten ge-
ſetzt, ſondern immer nur in beſtimmten Hoheitsbefugniſſen beſchränkt
wird, und daher wenigſtens noch als halbſouveräner Staat beſte-
hen kann. 4
Eine Beſtellung iſt nur denkbar durch Vertrag, ſogar ſchon
ohne Tradition; 5 jedoch kann die rechtmäßige Erwerbung auch
durch einen unvordenklichen Beſitzſtand vertreten werden (§. 11.).
Ein anderer Beſitzſtand legt dem Verpflichteten keine Verbindlich-
keit auf, die Ausübung auch noch ferner zu geſtatten; vielmehr
kann er zu jeder Zeit erſt den Beweis der rechtmäßigen Beſtellung
fordern. 6 Die Präſumtion iſt für ihn.
Der Umfang des Rechts beſtimmt ſich bei Verträgen nach der
6*
[84]Erſtes Buch. §. 43.
deutlichen Conceſſion des Verpflichteten; 1 bei unvordenklichem Be-
ſitzſtande aus der bisherigen vollkommen gleichförmigen Ausübung. 2
Der Verpflichtete iſt im Zweifel nicht von der Ausübung derſelben
Befugniß ausgeſchloſſen, wenn dieſe nicht ihrer Natur nach eine
ausſchließliche, bloß von Einem Subject auszuübende, oder auf
Mitausübung verzichtet iſt. 3 Die Art der Ausübung kann übri-
gens nur eine möglichſt unſchädliche 4 und eine ſolche ſein, die
mit der Verfaſſung des fremden Staates im Einklange ſteht. 5
Eine entgegengeſetzte Conceſſion iſt undenkbar. —
Jede Staatsdienſtbarkeit iſt als ein dauerndes Realrecht ſo-
wohl für den Berechtigten wie für den Verpflichteten anzuſehen, 6
geht alſo auch auf jeden Succeſſor der einen und anderen Staats-
gewalt (activ und paſſiv) über. Dieſelben Gründe jedoch, welche
einen Staatenvertrag außer Kraft ſetzen, müſſen bei Staatsdienſt-
barkeiten gleichfalls ihre Anwendung finden. 7 Außerdem erlöſchen
ſie durch Dereliction und Conſolidation.
[85]§. 44. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Interventionsrechte. 1
44. Ob und in wie weit nun ein Staat ſich in die Angele-
genheiten eines fremden Staates einmiſchen dürfe, kann nach den
bisherigen Erörterungen nicht mehr zweifelhaft ſein. Es giebt im
Allgemeinen keine Befugniß dazu, weder in Anſehung deſſen, was
jedem Einzelſtaat ſelbſt vermöge ſeiner Freiheit und Unabhängigkeit
zu ordnen zuſteht, namentlich in Beziehung auf Verfaſſung, Re-
gierungsprincipien und Anwendung derſelben; noch auch in Anſe-
hung der beſonderen völkerrechtlichen Verhältniſſe, welche unter
mehreren fremden Staaten als Betheiligten Statt finden. Kein
Staat kann daher dem anderen eine beſtimmte Verfaſſung aufdrin-
gen, Veränderungen darin fordern oder denſelben entgegentreten; kei-
ner die Glieder der fremden Staatsgewalt eigenmächtig beſtimmen;
keiner demſelben Geſetze des Verhaltens vorſchreiben, die Annahme
beſtimmter Regierungsmaximen und Errichtung oder Aufhebung ge-
wiſſer Anſtalten fordern; keiner endlich den anderen zum Gebrauch
oder Nichtgebrauch ſeiner auswärtigen Hoheitsrechte nöthigen. Das
Princip der Nicht-Intervention iſt demnach allerdings die Regel,
eine Intervention die Ausnahme, und nur aus beſonderen Grün-
den zu rechtfertigen, wozu in der Praxis freilich nicht immer Rechts-
gründe, ſondern oft nur einſeitige oder vermeintliche Intereſſen ge-
dient haben. Im Völkerrecht kann nur von Rechtsgründen die
Rede ſein. Um genau zu verfahren, wird man nach dem Gegen-
ſtande unterſcheiden:
Einmiſchung in Verfaſſungsſachen
und
Einmiſchung in Regierungsangelegenheiten, wozu
auch Händel mit anderen Staaten gehören;
außerdem der Form nach:
eine eigentliche Intervention, wo die fremde Macht
[86]Erſtes Buch. §. 45.
ihre Entſchließungen als Hauptpartei, äußerſten Falls ſogar
mit Gewalt, durchzuſetzen trachtet;
ſodann:
eine bloße Cooperation mit einer Gewalt oder Partei in
dem fremden Staate ſelbſt1— eine acceſſoriſche Hilfeleiſtung;
ferner:
die Ergreifung von Vorbeugungsmitteln zur Abwendung
drohender Gefahren;
endlich:
freundſchaftliche Interceſſion für eigene oder fremde In-
tereſſen.
Gemeinſame Vorausſetzung iſt, daß der Gegenſtand, auf wel-
chen ſich die Einmiſchung bezieht, an und für ſich dem Ermeſſen
des von ihr betroffenen Staates zuſteht, daß eine Aenderung des
bisherigen Rechtszuſtandes beabſichtigt wird, jedoch noch nicht
vollendet iſt. Die Regierungsverfaſſung begründet keinen Unter-
ſchied in der Anwendung der völkerrechtlichen Grundſätze, wiewohl
in der älteren Staatspraxis die Eigenthümlichkeit der Wahl- und
Bundesſtaaten am meiſten ein Feld zu politiſchen Einmiſchungen
aller Art dargeboten hat. 2
45. Eine eigentliche Intervention, wobei man als
Hauptpartei handelt, findet in Verfaſſungs- und Regierungsange-
legenheiten eines fremden Staates nur Anwendung:
- I. wenn dieſer Staat ſelbſt das Recht dazu ertheilt hat, oder
letzteres bedingungsweiſe durch Vertrag vorbehalten worden
iſt; namentlich kraft übertragener Garantie einer beſtimmten
Verfaſſung oder gewiſſer Rechte, ſobald einer der Betheilig-
ten dieſe Garantie anruft. Auch kann ein unaufkündbares
ſchutzherrliches oder Bundesverhältniß 3 Grund abgeben, ſo-
[87]§. 45. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
wohl Veränderungen der Verfaſſung zu verhindern, wie auch
dergleichen zu veranlaſſen oder beſtimmte Regierungsmaaßre-
geln hervorzurufen, wenn außerdem der geſchützte Staat oder
das Bundesverhältniß ſelbſt nicht mehr zu erhalten wäre; - II. wenn durch Aenderungen der Verfaſſung oder durch Regie-
rungsmaaßregeln in einem Staate das wohlerworbene Recht
eines anderen Staates verletzt werden würde, z. B. wenn
einem auswärtigen Staate oder Souverän ein eventuelles
Succeſſionsrecht oder lehnsherrliche Anſprüche entzogen wer-
den ſollten.
Außerdem iſt unter Staaten, welche ein gemeinſames Recht
über ſich anerkennen und ſich einen gegenſeitigen humanen
Verkehr als Zweck ſetzen, unbeſtreitbar noch - III. die Befugniß gegründet, einem zielloſen Kriegszuſtande, wel-
cher im Inneren eines Landes oder unter verſchiedenen Mäch-
ten ſchwebt, mit gemeinſamer Zuſtimmung durch ge-
waltſames Einſchreiten ein Ziel zu ſetzen, um dadurch das ge-
ſtörte Band der Nationen wiederherzuſtellen und ſich von einer
dauernden Beunruhigung zu befreien, natürlich alſo auch ſchon
einem ſolchen zielloſen Zuſtand möglichſt vorzubeugen; ſo wie - IV. ein Einmiſchungsrecht gegen die unbefugte Intervention ei-
nes anderen Staates in die Angelegenheiten eines dritten
Staates, inſofern nämlich durch dieſe Intervention ein auch
für die übrigen oder beſtimmte Staaten rechtsverletzendes
Princip aufgeſtellt wird. 1
Andere Rechtstitel zu einer thatſächlichen Einmiſchung in fremde
Staatsangelegenheiten giebt es nicht, außer den vorſtehenden. Sie
beſtimmen zugleich die Richtung und Modalitäten der Interven-
tion. Ihr Zweck nämlich iſt Geltendmachung des zuſtehenden Rechts
oder Genugthuung für deſſen Verletzung. Das letzte Mittel iſt
der Krieg, wenn mildere Mittel nicht ſchon genügen ſollten.
Nur Vorbeugungs- und Schutzmittel oder gütliche Verhand-
lungen ſind dagegen zuläſſig, wenn Vorgänge oder Veränderungen
in einem Staate anderen Einzelſtaaten oder deren Intereſſen Ge-
3
[88]Erſtes Buch. §. 46.
fahr drohen. So kann der Ausbruch einer Revolution zur Auf-
ſtellung eines Grenzcordons, die Bildung einer Propaganda zur
Verbreitung aufrühreriſcher Grundſätze in einem Staate zu ſtren-
ger polizeilicher Abſchließung gegen denſelben, auch wohl zur For-
derung von Sicherheiten berechtigen; die ſchon wirkliche Verletzung
von Intereſſen anderer Staaten aber zu Retorſionsmitteln ver-
anlaſſen. Ungewöhnliche Kriegszurüſtungen im Inneren eines Staa-
tes ohne deutlich erkennbaren Zweck berechtigen die dadurch mög-
licher Weiſe bedrohten Staaten zu Anfragen über den Zweck und
zur Forderung beſtimmter Erklärungen, 1 welche ohne Beleidigung
nicht verweigert werden können (§. 30. 31.).
Kriegsunternehmungen eines Staates gegen einen anderen kön-
nen dritte Staaten zu politiſchen Maaßregeln ermächtigen, daß
nicht durch den Erfolg das bisherige Gleichgewicht geſtört werde,
indem durch freundſchaftliche Interpoſition der Zweck oder die
Grenze der Unternehmung beſtimmt wird, oder indem man durch
Defenſivbündniſſe mit anderen ein Gegengewicht zu bilden ſucht,
oder ſich ſelbſt zum Kriege rüſtet, um ſeine eigenen und gemeinſa-
men Rechte aller Staaten im Fall der Verletzung aufrecht zu er-
halten (La paix armée). Daß der deutlich ausgeſprochene Zweck
der Gründung einer Univerſalherrſchaft Kriegserklärung gegen Alle
ſei, ward ſchon oben §. 30 a. E. bemerkt.
46. So oft es ſich nun weder von drohenden Rechtsverletzun-
gen oder Gefahren handelt, kann ſelbſt die ſchreiendſte Ungerechtig-
keit, welche in einem Staate begangen wird, keinen anderen zu ei-
nem eigenwilligen Einſchreiten gegen den erſteren berechtigen; denn
kein Staat iſt zum Richter des anderen geſetzt. Indeſſen gebietet
und rechtfertigt die moraliſche Pflicht den Verſuch gütlicher In-
[89]§. 47. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
terceſſion zur Abwendung der Ungerechtigkeit, und wenn dennoch da-
bei beharrt werden ſollte, wenn vorzüglich eine Gewaltherrſchaft alles
Recht mit Füßen tritt, die völlige Abbrechung jeder Verbindung.
Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thatlichen Coopera-
tion, eröffnet ſich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirk-
lich ausgebrochen iſt und ein anderer Staat von dem im Recht
befindlichen oder widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe ange-
rufen wird. Es iſt ſchon das Recht jedes einzelnen Menſchen,
dem widerrechtlich Gekränkten zu ſeiner und ſeines Rechts Erhal-
tung beizuſtehen; es muß auch das Recht der Staaten ſein. 1 Der
Gebrauch darf nur kein leichtſinniger werden; denn das Urtheil
über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die
Hilfeleiſtung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen
in Anſpruch; es kann die Gefahr und der ſchlimmſte Erfolg auf den
Hilfeleiſtenden ſelbſt zurückfallen. Unter allen Umſtänden muß die
Cooperation in den natürlichen Schranken des Acceſſoriſchen blei-
ben; ſie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als
der Wille der Hauptpartei und muß aufhören, wenn dieſe ſelbſt
nicht mehr exiſtirt oder ſich unterwirft.
Nach dieſen Grundſätzen entſcheidet ſich unter anderm in wie
fern eine Einmiſchung in Religionsangelegenheiten eines fremden
Staates, namentlich bei religiöſen Verfolgungen und Maaßregeln
der Intoleranz zuläſſig ſei. 2
III. Specialrechte einzelner Staaten unter einander.
47. Die Befugniſſe, welche ein Staat an dem anderen, au-
ßer den allgemein völkerrechtlichen, durch giltige Titel (§. 11.) er-
werben kann (§. 26.), ſind theils ſchon bei Gelegenheit der all-
gemeinen Rechte der Perſönlichkeit vorgekommen, theils werden ſie
noch fernerhin im Sachen-, Obligationen- und Actionenrechte ihre
Stelle finden. Ein gemeinſames geſetzliches Erbrecht beſteht an
ſich nicht unter den Europäiſchen Staaten. Wohl aber kann
durch Verträge Einer Staatsgewalt die Succeſſion in die Rechte
[90]Erſtes Buch. §. 48.
der Anderen auf einen gewiſſen Fall zugeſichert und eröffnet wer-
den. Im Mittelalter waren dergleichen vertragsmäßige Erbſchaf-
ten nichts ſeltenes, 1 und auch noch in der Folge werden manche
Erbverträge aus älterer Zeit ihre Wirkſamkeit unter deutſchen Staa-
ten äußern können. 2 Ihre Giltigkeit iſt nach der Zeit ihrer Ent-
ſtehung zu beurtheilen; ihre Wirkſamkeit aber vielleicht in einzel-
nen Fällen durch neuere Staatsumwälzungen unmöglich gemacht.
Dritte Unterabtheilung.
Die Souveräne, ihre perſönlichen und Fami-
lien-Verhältniſſe.
48. Die zweite Categorie der völkerrechtlichen Perſonen bil-
den die Souveräne der Staaten, ihre Familien und unmittelba-
ren Vertreter. Souverän iſt die phyſiſche oder moraliſche Per-
ſon, welche die geſammte Staatsgewalt in ihren verſchiedenen Ver-
zweigungen vereinigt, und inſofern ein weſentlicher Theil des wirk-
lichen Staates. Auch ſein Recht heißt Souveränetät mit ei-
ner zweifachen Wirkſamkeit im Inneren und außerhalb des eige-
nen Staates. Sie iſt entweder eine volle, unbeſchränkte
Souveränetät, wie in der abſoluten Monarchie, oder eine ver-
faſſungsmäßig beſchränkte (conſtitutionelle) oder auch äu-
ßerlich nur eine Halbſouveränetät. In Hinſicht auf den In-
haber iſt ſie ferner entweder eine ſolitariſche, im Alleinbeſitz ei-
nes Einzigen ausſchließend befindlich, oder ſie iſt ein gemeinſa-
mes Recht Mehrerer, die zu ſeiner Ausübung entweder gleichmä-
[91]§. 49. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ßig in Collegialweiſe, oder in gewiſſen Verhältniſſen concurriren 1
oder auch wohl jeder es in solidum auszuüben haben. 2
Erwerbung der Souveränetät im Allgemeinen.
49. Hinſichtlich der Erwerbung der Souveränetät iſt dieſelbe
eine legitime, wenn die Erlangung ohne Verletzung eines bis da-
hin giltig geweſenen rechtlichen Zuſtandes und der daran Bethei-
ligten, oder doch mit deren Zuſtimmung erfolgt iſt; ſie iſt eine illegi-
time, uſurpirte, wenn ſie mit Verletzung früherer Rechte geſchahe;
ſie kann aber durch Zuſtimmung oder gänzliches Erlöſchen der frü-
her Berechtigten eine legitime werden. 3 Wo und ſo lange die
Erwerbung, insbeſondere die Legitimität derſelben beſtritten wird,
vertritt die Thatſache des Souveränetätsbeſitzes das Recht des-
ſelben, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, ſo weit er
jenem Beſitz thatſächlich unterworfen iſt, ſondern auch für aus-
wärtige Staaten, hinſichtlich ihrer Rechtsverhältniſſe zu jenem.
Auch die illegitime factiſche Souveränetät ſetzt den bisherigen Staat
fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für
die Zukunft, 4 unbeſchadet der Privatrechte des legitimen Souve-
[92]Erſtes Buch. §. 49.
räns. Freilich hat der nicht legitime Souverän gegen fremde Staa-
ten keinen rechtlichen Anſpruch auf Anerkennung als legitime
Gewalt und auf die damit verbundenen Befugniſſe, oder auf Un-
terhaltung einer öffentlichen völkerrechtlichen Verbindung; er ſelbſt
kann jedoch nicht bei einer derartigen Unterbrechung der Verhält-
niſſe dem ſich von ihm zurückziehenden Staate alle Vortheile ei-
nes ſolchen Verkehrs verſagen.
Unter allen Umſtänden gebietet Völkerrecht und Politik, ſo
lange der Streit über die Souveränetät in einem Staate dauert,
Beobachtung der ſtrengſten Neutralität von Seiten anderer Staa-
ten; in wie fern aber dabei ein Interventions- oder Cooperations-
recht begründet ſein könne, beurtheilt ſich nach den ſchon zuvor
(§. 44 f.) dargelegten Grundſätzen. Ein Entſcheidungsrecht ſteht
an ſich anderen Staaten nicht zu. Sie ſelbſt können jedoch ihrer-
ſeits während des Souveränetätsſtreites nach eignem rechtlichen
Ermeſſen hinſichtlich der mehreren Prätendenten handeln, ohne
daß die Begünſtigung des Einen vor dem Anderen als Rechtsver-
letzung zugerechnet werden mag. Erſt mit Eintritt eines beſtimm-
ten Beſitzſtandes ſind ſie thatſächlich bei Verhandlung von Staats-
intereſſen an den Beſitzer gewieſen, ohne daß der Gegenprätendent
hierin eine Beleidigung finden, noch auch ſeinem Recht dadurch
präjudicirt werden kann.
Erwerbungsarten.
50. Die Souveränetät oder Hoheitsgewalt über einen Staat iſt
keine ſubſtanzielle Macht, welche an und für ſich einem Gliede der
Staatsgemeinde oder dieſer ſelbſt in ihrem Ganzen beiwohnt; 1 ſie iſt
eine Gewalt, deren organiſche Erſcheinung und unabhängige Stel-
lung das Product eines eigenen Willensactes iſt, wodurch ſie das
Recht Einer oder mehrerer Perſonen in Gemeinſchaft wird. Ihre
Erwerbung oder Conſtituirung gehört demnach theils dem inneren
organiſchen Entwickelungsprozeß des Staates an, der eben ſowohl
zu einer Souveränetät des Volks wie zu einer dynaſtiſchen Herr-
ſchergewalt führen kann; theils unterliegt ſie äußeren oder völker-
rechtlichen Einflüſſen und kann insbeſondere durch das Recht des
Eroberers oder Siegers ganz unabhängig von dem Willen des
beſiegten Volkes werden. Eben ſo iſt die Vererblichkeit oder Nicht-
Vererblichkeit der Staatsgewalt keine ſich von ſelbſt verſtehende
Sache, ſondern abhängig von dem Conſtitutivgeſetz, oder in deſſen
Ermangelung von dem gemeinſamen Willen, oder, wo auch dieſer
ſich nicht geltend macht, von dem Willen des jeweiligen Machtha-
bers und ſeinen wie der Seinigen Mitteln ſich dabei zu behaup-
ten. Das Recht der Erbfolge kann demnach, wie in den Euro-
[95]§. 51. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
päiſchen Staaten meiſt der Fall iſt, entweder auf ein beſtimmtes
Geſchlecht beſchränkt ſein (successio gentilitia), oder ſie kann
auch auf Andere übertragen werden. 1 Letzteres verſteht ſich aber
gleichfalls ſo wenig von ſelbſt, 2 als in dem Begriff der Erblich-
keit der Staatsgewalt an ſich noch kein Eigenthum, d. h. ein freies
Dispoſitionsrecht über Land und Leute enthalten iſt, wo nicht auch
dieſes erworben und feſtgehalten ſein ſollte. 3
Initiirung der Souveränetät.
51. Mit der thatſächlichen Erwerbung der inneren (ſtaats-
rechtlichen) Souveränetät tritt auch die Ausübung der internatio-
nalen Souveränetätsrechte in Kraft; es bedarf dazu keiner Anerken-
nung anderer Mächte; es genügt, daß die Erwerbung dem inneren
(allgemeinen oder beſonderen) Staatsrecht entſpricht. Jedoch iſt
es üblich, wiewohl nur nach politiſcher Convenienz, anderen Staa-
ten und deren Vertretern Kenntniß von eingetretenen Regierungs-
wechſeln zu geben und die Fortdauer eines guten Vernehmens in
Erwartung der Gegenſeitigkeit zuzuſichern. 4 Bei beſtrittenem oder
zweifelhaftem Recht ſo wie bei neu erworbener, nicht ſchon an-
geerbter und verſicherter Souveränetät bewirbt man ſich auch wohl
um die ausdrückliche Anerkennung anderer Mächte. 5 Dieſe kann
[96]Erſtes Buch. §§. 52. 53.
zwar nicht als eine rechtliche Verpflichtung, wohl aber als Bedin-
gung internationalen Verkehrs in Anſpruch genommen werden.
Zweifache Perſönlichkeit des Souveräns.
52. Im Allgemeinen läßt ſich in der Perſon eines Souve-
räns ein zweifacher rechtlicher Charakter unterſcheiden, nämlich ei-
nerſeits die ſtaats- und damit verbundene völkerrechtliche Perſön-
lichkeit, andererſeits die privatrechtliche. Jedoch wird letztere alle-
zeit bedingt durch die erſtere und kann daher nie derſelben präju-
diciren. 1 So ſteht an ſich Nichts entgegen, daß der Souverän
eines Staates auch Privatrechte erwerbe, ausübe und gegen ſich
ertheile, daß er als Privatperſon Vaſall eines Anderen ſei, oder
in Civil- und Militärdienſte eines fremden Staates eintrete oder
auch ſelbſt in einem Unterthansverhältniß zu jenem ſtehe und ver-
möge deſſen ſtändiſche oder parlamentariſche Rechte darin aus-
übe. 2 Unzuläſſig würde dergleichen ſein:
- wenn die Verfaſſung des einen oder anderen Staates ſich
dagegen erklärt; und - wenn die Ehre oder Würde des Souveräns durch ein ſol-
ches Verhältniß gefährdet würde.
Bei eintretender Incompatibilität iſt das eine Verhältniß auf-
zugeben oder wenigſtens, ſo weit es möglich iſt, zu ſuspendiren;
allemal wird es dem Souverän zuſtehen, ſich im Fall des Con-
flicts ungehindert durch das etwanige Privatverhältniß in ſeine
perſönliche Souveränetät zurückzuziehen.
Völkerrechtliche Stellung der Souveräne.
53. Die Rechte der in einer beſtimmten Perſon verkörperten
Souveränetät ſind im Verkehr der Staaten unter dem Princip der
Gegenſeitigkeit und Gleichheit dieſe:
- I. Die unbeſchränkte Vertretung ihrer Staaten gegen andere
(ius repraesentationis omnimodae), ſo weit nicht durch
einzelne Verfaſſungen beſondere Grenzen geſetzt ſind; derge-
[97]§. 53. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſtalt, daß außerdem jede durch das Organ des Souveräns
abgegebene Erklärung als Erklärung des Staates ſelbſt gilt,
jede für den Staat erworbene Befugniß oder übernommene
Verpflichtung auch für dieſen ſelbſt giltig iſt. 1 Nur Per-
ſonen und Rechte der Unterthanen ſtehen nicht unter der di-
recten Vertretung der Souveräne, ausgenommen inſofern ſie
nach dem allgemeinen oder beſonderen Staatsrecht dem Staate
zum Opfer gebracht werden müſſen. - II. Anſpruch auf Achtung als Oberhaupt oder doch höchſter Re-
präſentant eines Staates, mithin als deſſen höchſtes Glied. - III. Vollkommene Pärſchaft aller Souveräne und, falls ihr Recht
erblich iſt, Ebenbürtigkeit ihrer Familien mit einander, je-
doch unbeſchadet desjenigen Ranges, welchen der einzelne
Staat nach dem Europäiſchen Cerimonialrecht und Rangre-
glement oder vertragsweiſe in der Reihe der übrigen, ſomit
auch der Souverän unter den übrigen einnimmt (§. 28. 41.). - IV. Das Recht auf diejenigen Titel und Prädicate, welche nach
dem Völkerherkommen dem Haupte eines gewiſſen Staates
der Categorie nach zuſtehen oder bisher unwiderſprochen von
ihm gebraucht worden ſind.
Die herkömmlichen Prädicate ſind:
bei dem Römiſchen Oberbiſchof: Sanctitas Sua;2
bei Königen und Kaiſern: der Majeſtätstitel;3
bei Großherzogen: Königliche Hoheit, Celsitudo regia, Al-
7
[98]Erſtes Buch. §. 53.
tesse royale, ausgedehnt auf den Churfürſten von Heſ-
ſen;1
bei Herzogen2und Fürſten: Durchlaucht, Serenitas, Al-
tesse3sérénissime.
Unbeſtimmter ſind die Titulaturen der Staaten- und Bun-
desſyſteme.4
Einige Monarchen haben überdies noch beſondere Ehren-
titel in Betreff ihres kirchlichen Verhältniſſes hergebracht.5
Auch gilt es als Ehrenrecht eines Monarchen, von ſich in
der Mehrheit: „Wir von Gottes Gnaden“ zu ſpre-
chen.6Die nähere Anwendung lehrt die Cerimonialpraxis
(Vgl. Buch III.).
Von Rangerhöhungen gilt das Obige (§. 29.). - V. Das Recht auf Haltung eines Hofſtaates, 7 theils zur Ver-
[99]§. 54. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
herrlichung der höchſten Stellung, theils zum perſönlichen
Dienſt für den Souverän und ſeine Familienglieder. - VI. Befreiung von jeder Art von Souveränetätsacten, insbeſon-
dere von der Gerichtsbarkeit des fremden Staates 1 während
des friedlichen Aufenthaltes im dortigen Territorium (§. 59.).
Nur das Betreten und der Aufenthalt ſelbſt können verſagt 2
und politiſche Sicherungsmittel ergriffen werden; auch unter-
liegt die privatrechtliche Perſönlichkeit des Souveräns dem
Urtheil der fremden Staatsgewalt in Anſehung der derſelben
untergeordneten Privatverhältniſſe, insbeſondere- hinſichtlich der im fremden Territorium liegenden Privat-
güter und Erbſchaften, desgleichen der darin zu erfül-
lenden Privatverbindlichkeiten; ſo wie - in Beziehung auf ein etwa beſtehendes Vaſallen- oder Dienſt-
verhältniß oder Privatdomicil;
jedoch kann die von der Privatperſönlichkeit untrennbare Per-
ſon des Souveräns niemals ſelbſt angegriffen oder gekränkt
und irgend einem Act der richterlichen oder ſonſtigen execu-
tiven Gewalt unterworfen werden; 3 ja ſogar eine freiwil-
lige Unterwerfung des Souveräns unter eine fremde Gerichts-
barkeit könnte ohne Aufgebung der Souveränetät ſelbſt keine
derartige Wirkung haben, weil der Würde des eigenen Staa-
tes zuwiderlaufend. - hinſichtlich der im fremden Territorium liegenden Privat-
Fortſetzung.
54. Betritt oder berührt ein Souverän ein fremdes Territo-
rium, ſo findet das Gaſtrecht Anwendung, d. h. einmal das her-
7*
[100]Erſtes Buch. §. 54.
kömmliche Cerimoniell des Empfanges und der Behandlung, gemäß
dem Range des fremden Souveräns, wenn dieſer nicht etwa aus-
drücklich oder ſtillſchweigend durch Annahme eines Incognito 1
oder eines Dienſtverhältniſſes verzichtet, oder wenn er nicht etwa
gegen den Willen der auswärtigen Staatsgewalt deren Gebiet be-
tritt; 2ſodann das Recht der Exterritorialität ſowohl für
ſich, wie für ſeine Begleiter und die zum perſönlichen Bedarf ge-
hörigen Sachen (§. 42.). Als darin eingeſchloſſen gilt die Be-
freiung von allen perſönlichen Abgaben an den fremden Staat;
ja ſogar eine eigene Gerichtsbarkeit über ſeine Angehörigen, frei-
lich aber bloß in demjenigen Umfange, in welchem er ſie in ſeinem
eigenen Staate ſelbſt ausüben, oder durch außerordentlich Beauf-
tragte ausüben laſſen könnte; überdem wohl nur ausnahmsweiſe
in dringenden Fällen, vorzüglich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 3
Unfehlbar gehört die Feſtſtellung dieſes Rechts der Exterrito-
rialität erſt dem neueren Völkerrecht an. Im Mittelalter findet
ſich kein beſtimmter derartiger Rechtsſtand der Souveräne; 4 ſo-
gar die Doctrin hat ihn noch längere Zeit in Zweifel gezogen. 5
Folgerichtig fließt derſelbe aus dem Princip der Gleichheit der
Souveräne (§. praes.)
[101]§. 55. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Ein Recht des Aſyls für dritte iſt, wenigſtens zugeſtandener
Maaßen, damit nicht verbunden.
Völkerrechtliches Verhältniß der Familie des Souveräns.
55. Auch die Mitglieder der Familie eines Souveräns haben
wenigſtens in Erbmonarchieen einen approximativen Antheil an
den Prärogativen des regierenden Familienhauptes. So theilt die
Gemahlin deſſelben bei vollgiltiger Ehe Rang und Titel 1 und be-
hält ſie auch als Wittwe, wiewohl ſie der Gemahlin des alsdann
Regierenden in cerimonieller Hinſicht nachſteht. 2 Welche Rechte
dem Gemahl einer Souveränin zuſtehen ſollen, iſt zunächſt Verfaſ-
ſungsſache eines jeden Staates. 3
Alle übrigen Mitglieder einer ſouveränen Familie führen durch-
gängig gewiſſe Titel und Prädicate, welche dieſer Stellung entſpre-
chen, gewöhnlich aber, wenigſtens in Kaiſerlichen und Königlichen
Häuſern, etwas geringer ſind als die des Regierenden ſelbſt,
nämlich
- die Prinzen und Prinzeſſinnen in Kaiſerhäuſern das Prädicat:
Kaiſerliche Hoheit, - die Prinzen und Prinzeſſinnen in Könighäuſern: Königliche
Hoheit,
ſo weit ſie ſelbſt ſchon von Kaiſern und Königen abſtammen, oder
jene Prädicate beſonders erworben haben; in Großherzoglichen
Häuſern und im Heſſiſchen Curhauſe: Hoheit, wiewohl in jenen
dem präſumtiven Erbfolger aus der Descendenz des regierenden
Großherzogs als Erbgroßherzog häufig ſchon das väterliche Prädi-
cat: „Königliche Hoheit“ gegeben wird und gegeben werden darf. 4
Alle Glieder herzoglicher und fürſtlicher Familien von bereits fürſt-
licher Abkunft führen das Prädikat Durchlaucht.
[102]Erſtes Buch. §. 55.
Es erleidet auch die Führung dieſer Prädicate dadurch keinen
Abbruch, wenn ſchon den einzelnen Familiengliedern noch beſon-
dere, ſelbſt geringere Titel beigelegt ſein ſollten, als die auf ihre Ab-
ſtammung unmittelbar bezüglichen. 1 Die weiblichen Mitglieder be-
halten bei ſtandesmäßigen Vermählungen ihre angeſtammten Titel
und Prädicate und vereinigen ſie mit denen des Gemahls, die
höheren voranſtellend. 2
Die Mitglieder aller ſouveränen Familien, ſo weit ſie ſucceſ-
ſionsfähig ſind oder wenigſtens mit dieſen gleiche Herkunft haben,
ſind einander dem Stande nach gleich oder ebenbürtig, ohne daß
jedoch hierdurch den einzelnen Staaten und ſouveränen Häuſern
ein Zwang auferlegt iſt, bei dieſer allgemeinen Grenze fürſtlicher
Ebenbürtigkeit in Betreff der davon abhängigen Rechtsverhältniſſe
ſtehen zu bleiben; 3 vielmehr entſcheidet hierüber allein das beſon-
dere Staats- und Familienrecht.
Alle Familienglieder, 4 ſelbſt die Gemahlin 5 des Regierenden,
ſind Unterthanen des Staats- und Familienhauptes. Die nähere
Beſtimmung ihrer Rechtsverhältniſſe iſt demnach auch nur von
der verfaſſungsmäßigen Staatsgewalt oder der daneben beſtehen-
den Familienverfaſſung und Autonomie abhängig, und jeder frem-
den Einmiſchung, außer im Wege der Interceſſion oder wegen
verletzter eigener Rechte, entzogen. 6
[103]§. 56. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Das Recht der Exterritorialität in fremden Staaten ſteht, wenn
ein allgemeines Herkommen berückſichtigt wird, den Mitgliedern
ſouveräner Familien als ſolchen nicht zu, wiewohl ſie ſich eines
beſonderen Gaſtcerimoniells zu erfreuen haben und gewöhnlich auch
den Thronfolgern eine beſondere Aufmerkſamkeit erwieſen, ja ſelbſt
Exterritorialität zugeſchrieben und bewilligt wird. 1
Einem wirklichen Mitregenten oder ſouveränen Reichsverweſer
gebühren mit Ausnahme der Titel gleiche Rechte wie dem eigent-
lichen Souverän ſelbſt.
Privatrechtliches Verhältniß der ſouveränen Familien.
56. In privatrechtlicher Beziehung ſind zunächſt die Mitglie-
der der ſouveränen Familie, außer dem regierenden Haupte ſelbſt,
dem allgemeinen Recht des Landes ſo wie den einſchlagenden Lo-
calrechten gleich anderen Unterthanen unterworfen, wofern nicht
beſondere Ausnahmen zu ihren Gunſten in den Geſetzen gemacht
ſind oder ein eigenthümliches Familienrecht, wie dieſes in Deutſch-
land hergebracht iſt, zu ihren Gunſten beſteht. 2 Hinſichtlich des
Souveräns iſt zwar eine Abhängigkeit von privatrechtlichen Ge-
ſetznormen in ſo fern nicht zu behaupten, als gegen ſeine Perſon
niemals ein rechtlicher Zwang ausgeübt werden darf; nichts deſto
weniger aber iſt, 3 wenn es ſich um Ertheilung oder Erwerbung
6
[104]Erſtes Buch. §. 57.
und Verfolgung reiner Privatrechte handelt, auch der Souverän
an die unter Privatperſonen anwendbaren Rechtsnormen gebun-
den; er kann ſich ſelbſt auch davon nur dispenſiren, ſo weit er
einen Unterthan davon dispenſiren könnte, nicht aber, wo dies der
Sitte des Staates ſchlechthin widerſprechen würde. 1
Verluſt der perſönlichen Souveränetät.
57. Die perſönliche Souveränetät hört auf mit dem Erlöſchen
der Perſon 2 und mit dem Verluſt der Staatsgewalt, letzteres für
immer, ſobald der Verluſt auf einem legitimen Staats- oder völ-
kerrechtlichen Wege eingetreten iſt; oder aber vorübergehend, mit
dem Vorbehalt des Poſtliminium, wenn jener durch einen illega-
len Zwang herbeigeführt wird, z. B. durch Uſurpation. 3 Ob ei-
nem abgetretenen Souverän noch die früheren internationalen Rechte
und Ehren verbleiben ſollen, hängt lediglich von der Convenienz
der anderen Mächte ab; 4 einem bloß gehinderten kann ſie wenig-
ſtens derjenige Staat nicht verſagen, welcher ein Recht deſſelben
auf Wiederherſtellung ausdrücklich anerkennt, wofern nur noch eine
Möglichkeit dazu in Ausſicht geſtellt werden kann.
Daß übrigens die Acte der Staatsgewalt eines früheren Herr-
ſchers, welche der Verfaſſung des regierten Staates entſprechen,
auch für den Nachfolger verbindlich ſind, kann gewiß nach inter-
nationalem Recht in keinen Zweifel gezogen werden. 5
[105]§. 58. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Vierte Unterabtheilung.
Die internationalen Rechtsverhältniſſe der
Staatsangehörigen.
Categorien.
58. Die der Staatsgewalt eines beſtimmten Staates unter-
worfenen Perſonen ſind es entweder in jeder Beziehung (eigent-
liche Staatsgenoſſen oder Unterthanen), oder nur in gewiſſer
Hinſicht.
Eigentliche Staatsgenoſſen oder Unterthanen ſind
nach völkerrechtlichen Grundſätzen:
- die in einem Lande Domicilirten, d. h. jeder, der darin eine
feſte häusliche Einrichtung für ſich getroffen hat (Land-
ſaſſen im weiteſten Sinne des Wortes), es ſeien nun
Eingeborene oder Herübergezogene; - die in Militär-, Civil- oder Schiffsdienſte eines Landes ohne
Vorbehalt eingetretenen Perſonen; - die Ehefrauen der Vorgenannten;
- die Ehekinder eines inländiſchen Vaters oder die unehelichen
Kinder einer ſolchen Mutter und deren fernere Descen-
denz, auch die im Auslande geborenen, 1 ſo lange ſie nicht
anderwärts mit Bewilligung ihrer Privatvorgeſetzten ein
Domicil genommen haben; - die Findlinge im Lande, wenn kein anderes Vaterland ermit-
telt wird. 2
Nur in einzelnen Beziehungen ſind der Staatsge-
walt unterworfen (subditi secundum quid):
- auswärtige Unterthanen, welche im diesſeitigen Staatsgebiet
Grundbeſitzungen oder andere Berechtigungen haben, rück-
ſichtlich deren ſie den inländiſchen Unterthanen gleich ge-
achtet werden (Forenſe); 3
[106]Erſtes Buch. §. 59.
- Fremde, welche das diesſeitige Staatsgebiet auf längere oder
kürzere Zeit betreten. 1
Völkerrechtliche Natur des Unterthanen-Verhältniſſes.
59. Das Unterthans-Verhältniß kann in Staaten, welche
ihre Beſtimmung in der Weltordnung und demnach für die Ent-
wickelung des Menſchengeſchlechtes in ſeiner Freiheit nicht verkennen,
nur ein freiwilliges ſein, welches durch Auswanderung wieder auf-
zuheben iſt. 2 Sie ſind nur nicht verbunden, den Austritt früher
zu geſtatten, bevor nicht allen bisher ſchon eingetretenen verfaſ-
ſungsmäßigen Verpflichtungen genügt iſt, und dürfen daher vorhe-
rige Anzeige des Entſchluſſes zur Prüfung der noch zu erfüllenden
Verbindlichkeiten und Sicherſtellung derſelben fordern, ſo wie die
Unterlaſſung mit Strafen ahnden. 3
Unterthan mehrerer Staaten zugleich kann man nur durch Dul-
dung derſelben ſein. 4 Jeder Staat kann eine derartige Duplici-
tät verbieten und die Aufgebung des ausländiſchen Unterthans-
Verhältniſſes fordern oder eine Wahl ſtellen.
So lange nun das Unterthans-Verhältniß nicht durch Aus-
bürgerung aufgehoben iſt, ſtehen der heimathlichen Staatsgewalt
folgende Befugniſſe in internationaler Beziehung zu:
- a. Die Befugniß, ja Verpflichtung, ſelbſt den einzelnen Un-
terthan bei gerechten Anſprüchen an ausländiſche Staaten
oder gegen deren Angehörige, ſo wie in ſeiner rechtmäßigen
Vertheidigung gegen ausländiſche Angriffe auf völkerrechtli-
[107]§. 59. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
chem Wege zu unterſtützen, auch ſeine Vertretung zu über-
nehmen und eine etwanige Rechtsverletzung zu beſeitigen. 1 - b. Jeder Staat kann ſeine im Auslande befindlichen Untertha-
nen nach ſeinem Ermeſſen zurückrufen (ius avocandi), ohne
daß er jedoch zur Bewirkung der Rückkehr ein Vindications-
recht gegen den ausländiſchen Staat oder in demſelben hat,
oder auf ſonſtige Unterſtützung deſſelben hierbei einen An-
ſpruch machen darf. 2 - c. Ein Unterthan bleibt auch noch im Auslande der Hoheits-
gewalt des heimathlichen Staates, insbeſondere der Gerichts-
barkeit und allen geſetzlichen Verpflichtungen unterworfen
von deren Erfüllung die unverkümmerte Erhaltung der ſtaats-
bürgerlichen Rechte, ſo wie die Erwerbung und Erhaltung
von Privatrechten im Vaterlande abhängig iſt.
Nur über ausländiſche Rechtsverhältniſſe der Unterthanen
kann ſich die Hoheitsgewalt des heimathlichen Staates ſelbſt
nicht erſtrecken,3ausgenommen, inſofern dieſelben für die
inländiſchen Verhältniſſe präjudiciell ſind, oder die daraus
entſtandenen Verbindlichkeiten in ihm realiſirt werden ſollen
(§. 35 ff.). - d. Kein Unterthan kann ſich unter den Schutz einer fremden
Macht begeben oder dieſelbe als Richter gegen ſeinen vater-
ländiſchen Staat anrufen, wofern nicht ein ſolches Recht
[108]Erſtes Buch. §. 60.
verfaſſungsmäßig beſteht. Nur freundſchaftliche Interceſſio-
nen dürfen von Seiten fremder Mächte für den auswärti-
gen Unterthan einer anderen Statt finden. 1
Rechtsverhältniſſe der Ausländer überhaupt.
60. Unterthanen auswärtiger Staaten ſtehen an und für ſich
in keiner Abhängigkeit von einer fremden Staatsgewalt und kön-
nen auch durch dieſelbe keine politiſchen oder ſtaatsbürgerlichen Rechte
in ihrem eigenen oder einem dritten Staat ohne deren Zuſtimmung
erwerben. 2
Eine Abhängigkeit von fremden Staaten tritt nur ein:
- wenn ein Ausländer in dem Bereiche derſelben Rechte er-
werben oder genießen will; insbeſondere - wegen ſeines dort befindlichen Grundbeſitzes (§. 61.); endlich
- wenn er ein fremdes Staatsgebiet betritt (§. 62.).
In Betreff des erſten Puncts ſteht es zwar in der Macht je-
des Staates, die Bedingungen zu beſtimmen, unter welchen den
Ausländern ein rechtlicher Verkehr in ſeinem Bereiche geſtattet ſein
ſolle und ſie vornehmlich von politiſchen und ſtaatsbürgerlichen Be-
fugniſſen auszuſchließen; es ſollte jedoch, wenn ſich ein Staat ein-
mal dem Verkehr mit fremden Nationen öffnet, nie den Angehö-
rigen derſelben der Genuß des Privatrechts (§. 14.) nach gleichem
Fuße mit den eigenen Unterthanen, bei völliger Gleichheit der Ver-
hältniſſe, verſagt werden 3 und eine Zurückſetzung derſelben gegen
[109]§. 60. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
die einheimiſchen Bürger nur dann Platz greifen, wenn die aus-
wärtige Nation ſelbſt ein Syſtem der Ungleichheit befolgt.
Völlig von allem Grunde entblößt erſcheint eine Gerichtsbar-
keit über Ausländer, welche ſich gar nicht einmal in dem Gebiet
des fremden Staates befinden oder Vermögen daſelbſt beſitzen, wo-
ran die daſſelbe betreffenden Anſprüche in Vollzug geſetzt werden
könnten; 1 indeß kein Staat ſein richterliches Amt einem Frem-
den wider einen anderen Fremden verſagen ſollte, wenn ein An-
ſpruch des erſteren an den letzteren dadurch auf demſelben Wege
realiſirt werden könnte, als es gegen den eigenen Unterthan zuläſ-
ſig ſein würde. 2
Andererſeits können Verträge, welche eine Staatsgewalt ſelbſt
als Partei mit auswärtigen Unterthanen geſchloſſen hat, nicht ih-
rer eigenen Willkühr unterworfen werden; vielmehr ſtehen dieſe un-
ter dem Schutz des Völkerrechts; 3 es kann endlich in Privat-
3
[110]Erſtes Buch. §. 61.
Angelegenheiten ausländiſcher Unterthanen alsdann kein unbeding-
tes Entſcheidungsrecht ausgeübt werden, wenn dabei ein inter-
nationales Rechtsverhältniß zu ihrem heimathlichen Staat ſelbſt
in Frage kommt und dieſer auf politiſchem Wege intervenirt, der
Streit folglich aufhört ein privatrechtlicher zu ſein. 1
Rechtsverhältniß der Forenſen. 2
61. Forenſe Beſitzer von Grundſtücken oder denſelben gleich-
geachteten Real-Berechtigungen in einem anderen Staate werden
dieſem lediglich nur in Bezug auf jene Beſitzungen unterworfen,
insbeſondere alſo
- dem Gerichtsſtand der gelegenen Sache, oder wenn es ein Lehn
iſt, auch der Lehnsgerichtsbarkeit; - der Beſteuerung; 3
- der Polizei.
Blos zu den Eigenthümlichkeiten einzelner Staaten gehört es,
daß an die Erwerbung gewiſſer Beſitzungen oder eines Anrechts
daran die Bedingung der vollſtändigen perſönlichen Unterwerfung,
mittelſt Leiſtung eines Unterthan-Eides, geknüpft iſt (ein ſ. g. vol-
ler Landſaſſiat), ſo daß der Erwerber nunmehr auch für ſeine
Perſon, verſteht ſich ohne ſeine im Auslande befindliche Familie
und Vermögensbeſtandtheile, in ein vollkommenes Unterthansver-
hältniß eintreten ſoll. 4 Weder der Heimathſtaat eines ſolchen
Forenſen, noch auch ein dritter Staat, ſind indeſſen verpflichtet,
dieſem Verhältniß eine gleiche Bedeutung mit dem wahren perſön-
lichen Unterthansverhältniſſe zuzugeſtehen; namentlich kann jener
wegen Unverträglichkeit die Aufhebung einer ſolchen Duplicität in
[111]§. 62. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Wahl ſtellen. 1 Es iſt eine vertrocknete Reliquie des Lehns-
weſens.
Rechtsverhältniſſe der Fremden in einem auswärtigen Staatsgebiet.
62. In Bezug auf Fremde, welche ein anderes Staatsgebiet
betreten wollen oder wirklich ſchon betreten, hängt es zuvörderſt
von der dortigen Staatsgewalt ab, ob und wie lange ihnen ein
Aufenthalt geſtattet werden ſoll. Sie können aus Rückſichten des
öffentlichen Wohls einzeln oder in Maſſe zurückgewieſen werden, 2
ſo weit man nicht durch Verträge gebunden iſt, und kein Staat
kann ſich weigern, ſeine Staatsgenoſſen wieder bei ſich aufzuneh-
men. 3 Nur gänzliche Ausſchließung einer Nation vom perſönli-
chen Verkehr würde im Europäiſchen Staatenſyſtem eine Beleidi-
gung ſein. (§. 32.)
Während des Aufenthaltes im fremden Territorium, er ſei aus-
drücklich geſtattet oder erſchlichen, treten, nächſt den ſchon in §. 60.
bemerkten, folgende Grundſätze in Anwendung:
- I. Alle Ausländer ſtehen unter dem Schutze der Staatsgewalt, 4
ſind aber auch in Betreff ihres perſönlichen Verhaltens an
die Beobachtung der Criminal- und Polizeigeſetze des Lan-
des gebunden und der dortigen Strafgerichtsbarkeit unter-
[112]Erſtes Buch. §. 62.
worfen (§. 36.); ebenſo den Civilgeſetzen des Landes, in-
ſofern ſie darin Rechte erwerben oder ertheilen wollen, und
der Civilgerichtsbarkeit, inſofern daſelbſt die Erfüllung ſchon
beſtehender Rechtsanſprüche von ihnen gefordert werden kann
(§. 37. 39.). Exterritorialität, Verträge und Herkommen
begründen eine Ausnahme; 1 auch können den Fremden be-
ſondere Begünſtigungen in Anſehung des Gerichtsſtandes und
der Procedur zugeſtanden werden. 2 - II. Weder der Finanz- noch Militärhoheit des fremden Staa-
tes wird der Ausländer gleich einem Inländer unterworfen.
Sein dortiges bewegliches Vermögen und ſeine Perſon dür-
fen nur im Fall der höchſten Staatsnoth für die öffentli-
chen Bedürfniſſe mitbenutzt werden; auch muß er die auf
einzelne zu ſeinem Bedarf dienende Sachen oder auf geſtat-
tete ſtaatsbürgerliche Befugniſſe gelegten Abgaben entrich-
ten. 3 - III. Der Ausländer behält ſeinen heimathlichen Civilſtand (§. 37 f.).
Sein öffentlicher Stand hat in dem fremden Staate keine
rechtliche Geltung, weder zu ſeinem Vortheil noch zu ſei-
nem Nachtheil 4, wofern er nicht für den vaterländiſchen
Staat handelt (§. 34. I.); jedoch wird in cerimonieller Hin-
ſicht nach der Staatenpraxis nicht leicht auswärtigen Rang-
verhältniſſen die Anerkennung unter den eigenen, ohne Be-
einträchtigung der letzteren, verſagt. 5
[113]§. 63. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- IV. Weder der Perſon des Ausländers darf nach Erfüllung al-
ler Verbindlichkeiten der Wegzug verſagt, 1 noch ſein Ver-
mögen ihm oder ſeinen Erben vorenthalten werden. Jeder
entgegenſtehende Gebrauch iſt unſittlich, wie das ehemalige
Pfälziſche Wildfangsrecht 2 und das Heimfallsrecht bei Ver-
laſſenſchaften der Fremden 3 (Ellendigen, Albani, Aubains).
Recht der Auslieferungen.
63. Jeder Staat gewährt vermöge ſeiner Unabhängigkeit mit
ſeinem Territorium nicht bloß den eigenen Unterthanen, ſondern
auch dem Fremden, der es betritt, ein natürliches Aſyl gegen aus-
ländiſche Verfolgungen. Ob die Staatsgewalt aber auch befugt
und verpflichtet ſei, es jederzeit zu gewähren, ob ſie es nicht ver-
weigern oder wieder aufheben, namentlich anderen Staaten flüch-
tige Verbrecher ausliefern dürfe, ja müſſe, iſt von jeher eine nicht
ganz ſtreitloſe Frage geweſen. 4
Nach älteſtem Völkerrecht lieferte man den bei den Göttern des
Landes um Schutz flehenden Fremdling niemals aus, wenn er an-
derwärtsher mit Schuld beladen kam; höchſtens den Fremdling, welcher
ſich im Lande ſeines Aufenthalts ſelbſt an Fremden vergangen hatte; 5
den eigenen Mitbürger wohl nur dann, wenn ſein Verſchulden gegen
einen fremden Staat ſo groß war, daß er deſſen Rache geopfert
werden mußte. 6 — Das Kirchenthum des Mittelalters erſchuf
zahlloſe Zufluchtſtätten, übte dann aber ſelbſt ein Gericht aus; 7
8
[114]Erſtes Buch. §. 63.
unter den weltlichen Mächten beſtand keine Regel, als der Wille des
Stärkeren. Die neuere Staatenpraxis iſt vermöge der ſelbſtändigen
Abſchließung der Staaten zu folgenden richtigen Ergebniſſen ge-
langt:
- I. Kein Staat liefert der Regel nach ſeine eigenen Unterthanen
aus; 1 auch iſt kein Bedürfniß dazu vorhanden, wenn er
ſelbſt die Verbrechen ſeiner Unterthanen, welche ſie im Aus-
lande begehen, nicht ſtraflos läßt (§. 34.), es müßte denn
das Verbrechen ſchon vor der Naturaliſirung eines Frem-
den zum Unterthan von ihm begangen ſein. Oefterer wer-
den ſich die Staaten, welche ein anderes Syſtem befolgen,
in einzelnen Fällen zur Auslieferung eines Unterthans be-
wogen finden können, um eine ſchreiende Strafloſigkeit aus
ihrer Mitte zu beſeitigen. 2 - II. Ob ein Ausländer ausgeliefert werden ſolle, iſt lediglich eine
Sache der Staaten-Conventionen, außerdem aber von dem
Gewiſſen und dem politiſchen Ermeſſen des Zufluchtſtaates
abhängig. Er wird ausliefern, wenn ihm oder der ganzen
menſchlichen Geſellſchaft an der Beſtrafung eines Verbre-
chers gelegen ſein muß und ſich keine Ungerechtigkeit des
Staates, von welchem die Auslieferung verlangt wird, be-
fürchten läßt. Aber es giebt keine unbedingte Rechtsverpflich-
tung zur Auslieferung; 3 ſo wenig als die Art des Verbre-
chens eine Ausnahme begründet. 4
[115]§. 63. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- III. Der ordentliche Weg, um zu einer Auslieferung zu gelan-
gen, iſt der Weg der Requiſition, worin Recht und Inter-
eſſe an der Beſtrafung dargelegt wird. Verlangen mehrere
Staaten die Auslieferung deſſelben Individuums, ſo hat der
Zufluchtsſtaat die freie Wahl unter ihnen, welche ſich da-
für entſcheiden wird, wo das meiſte allgemeine Intereſſe
und die größeſte Sicherheit für gerechte Behandlung gege-
ben iſt. - IV. Iſt der Auszuliefernde dem Zufluchtsſtaat ſelbſt noch mit
öffentlichen Verbindlichkeiten verhaftet, ſo braucht er ihn
nicht eher zu entlaſſen, bevor jenen genügt iſt. 1 Es kann
aber auch die Auslieferung mit Vorbehalt der Wiederablie-
ferung oder unter ſonſtigen Bedingungen geſchehen. - V. Die Entſcheidung über eine Auslieferung iſt ein Gegenſtand
der hohen Polizei und gehört daher in der Regel der höch-
ſten Verwaltungsinſtanz an, wofern nicht ein für allemal
für gewiſſe Categorien ſchon untergeordneten Behörden ein
Auftrag ertheilt iſt. 2 - VI. Die Auslieferung erfolgt gewöhnlich an den Grenzen des
Staatsgebietes an die auswärtige Behörde, gegen Erſtat-
tung der Koſten, wenn nicht ein Anderes vereinbart iſt.
Man nimmt darüber eine Verhandlung auf, und läßt ſich
Gegenſeitigkeit verſprechen, wofern dieſe nicht ſchon tracta-
tengemäß feſtſteht. Zur Durchführung durch ein drittes
fremdes Gebiet gehört die Einwilligung der dortigen Staats-
gewalt. - VII. Der Ausgelieferte darf nur derjenigen Behandlung unter-
worfen werden, welche der Zweck der Requiſition war oder
von dem Ausliefernden zur Bedingung gemacht iſt. Eine
Ausdehnung auf andere Puncte würde das gegenſeitige Aſyl-
recht der Staaten und die bei jeder Auslieferung zu unter-
ſtellende völkerrechtliche Convention verletzen. 3
8*
[116]Erſtes Buch. §. 64.
- VIII. Hat ſich ein Individuum in den Schutz einer exterritorialen
Perſon geflüchtet, z. B. in deren Wohnung oder Caroſſe,
ſo kann, weil in jenem Verhältniß kein Aſylrecht begründet
iſt (§. 42.), die Auslieferung nicht verweigert werden; nur
iſt auf eine den völkerrechtlichen Charakter des Exterritoria-
len ſchonende Weiſe zu verfahren. 1 - IX. Kein Staat iſt verbunden, eine angebotene Auslieferung an-
zunehmen, wenn er ſich nicht dazu verpflichtet hat. 2 Will
der Zufluchtsſtaat ſich eines ihm läſtigen Fremden entledi-
gen, ſo muß er denſelben in das Gebiet ſeines Heimathſtaa-
tes herüberverſetzen, ohne daß ihm die Wiederannahme auf-
gedrungen werden kann.
Einige Staaten liefern niemals aus, wenn ſie ſich nicht durch
Verträge gebunden haben und gewähren in einzelnen Fällen höch-
ſtens einer fremden Regierung die Möglichkeit, ſich der Perſon ei-
nes Verbrechers zu bemächtigen. 3
Zweiter Abſchnitt.
Recht der Sachen.
Arten derſelben.
64. Auch in völkerrechtlicher Hinſicht ſind die Sachen, d. i.
die Gegenſtände der Rechte entweder körperliche oder unkörperliche,
[117]§. 64. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
und jene theils unbeweglich, theils beweglich. Ferner ſind ſie ent-
weder im Eigenthum eines beſtimmten Staates, oder ſie ſind die-
ſes nicht (res nullius), und dann bald eigenthumsfähig, nur für
jetzt herrnlos (adespota), bald ſolche, die ſich in Niemandes Ei-
genthum befinden, wohl aber zum gemeinſamen Gebrauch oder
Nutzen vorübergehend dienen (res communes). Alles kommt hier-
bei auf den richtigen Begriff des Staats-Eigenthums an.
Wir nennen aber Staats- oder Staaten-Eigenthum diejenige Herr-
ſchaft, welche eine Staatsgewalt über beſtimmte Sachen 1 in ih-
rem Bereich mit Ausſchließung jeder auswärtigen Gewalt ausüben
und vermöge deren ſie unabhängig nach eigener Macht dem inne-
ren Staatsrecht gemäß verfügen kann. Ein ſolches völkerrechtli-
ches Eigenthum hat nur im Verhältniß zu anderen Staaten den-
ſelben Charakter, wie das Privateigenthum, nämlich den Charakter
der Ausſchließlichkeit und freien Verfügung. Unter ſeinem Schutz
ſteht in den einzelnen Staaten das Privateigenthum, nicht aber
zur unbedingten Dispoſition der Staatsgewalten, wofern es nicht
von letzteren mit dieſem Vorbehalt übertragen iſt, oder die Noth-
wendigkeit es erheiſcht. Omnia rex imperio possidet, singuli
dominio.2 Ja, der Staat ſelbſt ſo wie der Souverän, kann Pri-
vateigenthum haben und erwerben, und zwar nicht bloß inländi-
ſches, ſondern auch ausländiſches in fremden Staatsgebieten, wel-
ches ſich aber dann der Herrſchaft der auswärtigen Geſetzgebung
und Gerichtsbarkeit nicht entziehen kann, wofern nicht in dieſer
Hinſicht beſondere Berechtigungen, z. B. Staatsſervituten, erwor-
ben ſind. Dergleichen ausländiſches Eigenthum iſt, wofern es nicht
zum Familiengut der landesherrlichen Familie gehört, 3 ein wirk-
liches Pertinenzſtück des Eigenthumsberechtigten Staates. Kein
Staat iſt indeſſen die Erwerbung von Grundeigenthum in ſeinem
[118]Erſtes Buch. §. 65.
Gebiet andern Staaten oder deren Souveränen zu geſtatten ſchul-
dig, ja es kann auf Veräußerung des etwa ſchon von ihnen Er-
worbenen gedrungen werden, wenn dadurch die Unabhängigkeit ge-
fährdet oder die Verfaſſung des Landes zerſtört werden könnte. 1
Das Staatsgebiet.
65. Ein Hauptgegenſtand des völkerrechtlichen Staats-Eigen-
thums iſt das Territorium oder das ausſchließliche Gebiet je-
des Einzelſtaates innerhalb derjenigen Grenzen, welche ihn von an-
dern Staaten ſcheiden. 2 Ob daſſelbe ein in ſich völlig zuſammen-
hängendes oder zerſtückeltes, vielleicht von andern Staaten ganz
umſchloſſenes iſt, ändert nichts an der Unabhängigkeit und an den
Rechten der Staatsgewalt. Auch kann ein Staat ein oder meh-
rere von ihm abhängige Staatsgebiete (territoria subordinata),
ſelbſt mit eignen Unterlandesherrn oder bevorrechteten Grundherrn,
in ſich ſchließen, welche dann aber auswärtigen Mächten gegenüber
nur als Theile des Hauptgebietes (territorium principale) anzu-
ſehen ſind. 3 Einzelne Gebiete können überdies der Hoheit meh-
rerer Staatsgewalten unterworfen ſeyn 4 (Condomonate). Endlich
kannte man in der ältern Zeit geſchloſſene und ungeſchloſſene Ter-
ritorien (t. clausa et non clausa), in deren Erſteren eine Einzige
in ſich zuſammenhängende und compacte Staatsgewalt die Herr-
ſchaft übte, während in den Letzteren das durchgehende Walten der
[119]§. 66. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Einen durch entgegenſtehende Rechte und Exceptionen von der Ter-
ritorialgewalt durchbrochen war. 1
Alle Staatsgebiete ſind in ihrer Ausdehnung etwas künſtli-
ches, natürlich nur in ihrem Kern. Wie weit ſich jene naturge-
mäß für jede geſchloſſene Nationalität erſtrecke, iſt bisher noch
nicht gelungen zu beſtimmen. Ein fremdes Clima, eine fremde Tel-
lus kann ein Volk denationaliſiren. Auch ſind Uebergangsſtaaten
unter ſcharf geſchnittenen Nationalitäten natürlich und indicirt, wie
Belgien und die Schweiz zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, die
Nord-Niederlande zwiſchen Deutſchland und Britannien. Dies
ſind natürliche Barrièren. 2
Grenzen der Staatsgebiete.
66. Die Grenzen eines Territoriums oder die Staatsgren-
zen3 ſind theils phyſiſche, theils intellectuelle. Zu jenen gehören
allein freie Meere, unüberſteigbare Berge, Steppen, Sandbänke,
ſofern ſie nicht rings von demſelben Gebiet umſchloſſen ſind; 4
die intellectuellen Grenzen beſtehen in bloß gedachten Linien, welche
aber meiſt durch äußere Zeichen, wenigſtens punctweiſe, kenntlich
gemacht werden, z. B. durch Pfähle, Erdhaufen, Graben, befeſtigte
Tonnen, Dämme und dergl. Sie beruhen theils auf ausdrücklichen
Verträgen mit den Grenznachbarn, theils auf unvordenklichem un-
angefochtenen Beſitz. Zweifelhafte Grenzen geben Veranlaſſung zu
[120]Erſtes Buch. §. 67.
Grenz-Commiſſionen und Grenzverträgen; 1 iſt die wahre Grenze
nicht mehr zu ermitteln, ſo muß das zweifelhafte Gebiet entweder
getheilt oder in gemeinſchaftlichem Beſitz behalten werden, oder man
erklärt es für neutral bis zur ferneren Entſcheidung. 2 Bei Grenz-
flüſſen iſt die Mittellinie derſelben die eigentliche Grenze, wofern
nicht andere Beſtimmungen dieſerhalb getroffen ſind. 3 Verändert
der Fluß von ſelbſt ſeinen Lauf, ſo bleibt es dennoch bei der bis-
herigen Grenzlinie in dem alten Fluß. Wegen der Rechte, welche
der nun von dem neuen Flußbett ausgeſchloſſene Nachbarſtaat auf
die Benutzung des Fluſſes, namentlich in Betreff der Schiffahrt
hatte, werden wegen Veränderung der Umſtände nach Beſchaffen-
heit derſelben neue Regulirungen nöthig. 4 Von Landſeen an den
Staatsgrenzen gilt Aehnliches, ganz wie nach Civilrecht. 5 Grenzt
ein Staat an das offene Meer, ſo finden die weiterhin (§. 73.)
folgenden Grundſätze Anwendung.
Bedeutung des Staatsgebietes.
67. Von Allem was ſich in, unter und auf dem Staatsge-
biet befindet oder ereignet, gilt die Vermuthung, daß es auch der
dortigen Staatsgewalt unterworfen ſei. Quicquid est in terri-
torio, est etiam de territorio.6 Die Staatsgrenze iſt aber auch
die Hoheitsgrenze, welche die einzelne Staatsgewalt durch ihre Re-
[121]§. 68. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
gierungsacte nicht überſchreiten kann, 1 und in welche von aus-
wärtigen Gewalten nicht herübergegriffen werden darf (§. 33.),
ſollte ſich darin auch Einiges befinden, was zur Zeit noch nie ſpe-
ciell in Beſitz genommen war. 2 Was auf der Grenzlinie ſelbſt
ſich befindet oder begiebt, gehört den zuſammengrenzenden Staaten
gemeinſchaftlich an. 3 Ausnahmen von der Ausſchließlichkeit des
Territorialprincips entſtehen nur durch die Rechte der Exterritoria-
lität (§. 42.) und in Folge von Staatsſervituten (§. 43.). Da-
gegen ſind ſelbſt herrenloſe aber des Privateigenthums empfängliche
Sachen, z. B. frei herumſchweifende Thiere, ſo lange ſie ſich in
einem Territorium befinden, in einem wenngleich nur vorüberge-
henden Staatseigenthume (dominium transiens), welches wieder
aufhört, ſobald ſie das Staatsgebiet verlaſſen, und eine Vindica-
tion derſelben von einem Staate zum andern findet natürlich nicht
ſtatt. Nach Groot gehören ſie zum dominium generale der Men-
ſchen, oder der einzelnen ſich abſchließenden Staaten. 4
Staatspertinenzien und Colonien.
68. Auswärtige Zubehörungen 5 eines Staates ſind zu-
nächſt: auswärtige Berechtigungen der Staatsgewalt, z. B. active
Staatsſervituten, Grundeigenthum, lehnsherrliche und nutzbare Rechte
unter den ſchon früher angezeigten Rechtsverhältniſſen (§. 43 u.
64.). Die Pertinenzeigenſchaft entſteht von ſelbſt dadurch, daß die
[122]Erſtes Buch. §. 68.
Staatsgewalt eines Landes als ſolche dergleichen Rechte erworben
hat. Sodann: die Zubehörungen des Landes ſelbſt, d. h. alle die-
jenigen Diſtricte, welche, wenn auch außerhalb des hauptſächlichen
Gebietszuſammenhanges gelegen, ohne eigene Selbſtändigkeit unter
derſelben Verfaſſung und Regierung mit jenem ſtehen und daher auch
unter derſelben Benennung mit begriffen werden, nicht minder die
ausdrücklich incorporirten Lande (§. 20. I.) Sonſt aber kann ein
Land als ſolches, ohne ausdrückliche Conſtituirung, keine auswär-
tigen Zubehörungen haben; es folgt insbeſondere nicht, daß, wenn
einmal mit der Regierung eines gewiſſen Landes auswärtige Rechte
und Beſitzungen in Verbindung geſtanden haben, ſolche auch Per-
tinenzen des Landes ſeien und auf jeden Nachfolger in Beſitz des
letzteren übergehen müſſen, wie die franzöſiſche Reunionspraxis im
ſiebzehnten Jahrhundert durchzuſetzen ſuchte. 1 — Nur was einer
Staatsgewalt oder dem Staatsoberhaupt als ſolchem, nicht für ſich
als Privatperſon oder für ſeine Familie, zugeſtanden hat, wird auf
jeden Succeſſor in der Staatsgewalt über den ganzen bisherigen
Staat übergehen; bei einer nur theilweiſen Succeſſion wird es von
der Natur und dem Inhalt des Succeſſionstitels abhangen, welche
Pertinenzien der noch theilsweis fortdauernden bisherigen Staats-
gewalt verbleiben oder der neuhinzutretenden zu Theil werden ſol-
len. Im Zweifel würden ſie in Gemeinſchaft verbleiben müſſen. 2
Colonien3 aus einem Lande in einem fremden Lande ge-
ſtiftet, ſind nicht ſofort Zubehörungen des Erſtern oder der dorti-
gen Staatsgewalt. Werden ſie durch auswandernde Unterthanen
nach Aufgebung des Mutterlandes auf einem völlig freien, Nie-
mandes Gewalt untergebenen oder doch von ihr erworbenen Gebiet
mit eigenen Kräften und Mitteln gegründet, ſo kann dadurch ein
eigener Staat entſtehen. 4 Bleiben ſie unter der Autorität und
[123]§. 69. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
dauernden Botmäßigkeit des Heimathſtaates, ſo ſtellen ſie ein Zube-
hör der Staatsgewalt dar, welches von dieſer ſeine eigene Verfaſſung
erhält und regiert wird. Es kann aber auch eine Colonie unter
der Botmäßigkeit eines auswärtigen Staates, wo die Niederlaſſung
erfolgt, entſtehen und verbleiben, während zugleich die Coloniſten
ihr heimathliches Bürgerrecht beibehalten und den Schutz des Mut-
terlandes genießen. 1 Die nähere Beſtimmung des rechtlichen Ver-
hältniſſes der Colonien macht beſonders in Gegenden, wo noch
keine ausgebildete Staatsgewalt organiſirt iſt, und dritten Staa-
ten gegenüber, manche Schwierigkeit. 2 Der Beſitzſtand wird hier
oft die alleinige Entſcheidungsnorm ſein.
Erwerbsarten des Staatseigenthums.
69. Völkerrechtliche Erwerbsarten eines neuen Staatseigen-
thums können allein ſolche Handlungen und Begebenheiten ſein,
wodurch die ausſchließliche unmittelbare Verfügung über eine be-
ſtimmte Sache, insbeſondere über ein gewiſſes Gebiet dem Willen
einer Staatsgewalt (oder auch verſchiedenen Staatsgewalten in Ge-
meinſchaft) bleibend unterworfen wird, ohne Verletzung eines ſchon
vorhandenen ausſchließlichen Verfügungsrechtes; nämlich
- I. vertragmäßige Succeſſion in das Recht des bisherigen Ei-
genthümers, ſie ſei nun auf friedlichem Wege oder durch
Krieg begründet worden. Das Eigenthum tritt hier jedoch
erſt in Kraft, ſobald die Möglichkeit und der Wille des Er-
werbenden vorhanden iſt, über die Subſtanz der Sache, un-
mittelbar und körperlich zu verfügen. Vorher beſteht nur
ein Eigenthumsanſpruch, deſſen Realiſirung, wenn es ſonſt
an den rechtlichen Bedingungen des Titels nicht fehlt, von
Niemand gehindert werden kann, der aber ſelbſt noch nicht
4
[124]Erſtes Buch. §. 69.
dem Eigenthum gleichſteht, da er die Wirkungen eines frem-
den Zwiſchenbeſitzes nicht auszuſchließen vermag; 1 - II. jeder natürliche Zuwachs und jede natürliche Umgeſtaltung
einer ſchon im Eigenthum befindlichen Sache, namentlich
eine neu entſtandene Inſel in dem bisherigen Land- und
Waſſergebiet einer Nation, 2 ſo wie die unmittelbare An-
ſetzung neuen Landes an das bisherige Gebiet; 3 wogegen
ſich ein Fruchterwerb des bloßen zum Eigenthum nicht be-
rechtigten Beſitzes nach internationalem Recht nicht verthei-
digen läßt; 4 - III. die Occupation einer herrenloſen Sache (§. 70.).
In wie fern überdies die Verjährung, vorzüglich ein unvor-
denklicher Beſitzſtand die Stelle einer giltigen Erwerbung vertreten
kann, 5 iſt ſchon an einem andern Ort erörtert (§. 12.).
[125]§. 70. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Insbeſondere: Occupation.
70. Die Erwerbung neuen Staatseigenthums, oder der Rechte
der Staatsgewalt über beſtimmte Sachen iſt im Wege der Occu-
pation von folgenden Bedingungen abhängig:
- I. Sie iſt nur zuläſſig an ſolchen Sachen, welche ſich, obwohl
eigenthumsfähig, noch in keines Menſchen ausſchließlicher
Herrſchaft befinden, und darf nicht auf Menſchen ſelbſt aus-
gedehnt werden. 1 Die Herrſchaft über dieſe iſt allein durch
freiwillige Unterwerfung oder im Wege eines gerechten Krie-
ges zu erlangen. Es findet alſo die Occupation hauptſäch-
lich nur Anwendung auf unbewohnte, nicht ſchon vollſtän-
dig von Andern in Beſitz genommene Gegenden und Inſeln;
aber es giebt keine Befugniß der Einzelſtaaten, ihre Herr-
ſchaft auch noch ſo rohen Völkern oder ſelbſt nur einzelnen
feſten Bewohnern beſtimmter Erdſtriche aufzudringen; ſie kön-
nen blos Verkehr mit denſelben ſuchen, im Fall der Noth
bei ihnen verweilen, das eben Unentbehrliche ſich verſchaffen
und durch freiwillige Abtretung Grund und Boden zur Co-
loniſation zu erwerben ſich bemühen. 2 - II. Jede Occupation erfordert die beſtimmte Abſicht, eine her-
renloſe Sache ſeiner eigenen Herrſchaft bleibend zu unterwer-
fen. Wider Wiſſen und Willen wird kein Eigenthum er-
langt. - III. Es muß auch eine wirkliche Beſitzergreifung vor ſich gehen,
wodurch die Abſicht einer dauernden Aneignung dargelegt
wird, und womit Anſtalten zur Ausübung einer ausſchließ-
lichen Herrſchaft zu verbinden ſind. Iſt dieſes einmal ge-
[126]Erſtes Buch. §. 71.
ſchehen, ſo hebt auch die blos einſtweilige und als vorüber-
gehend erklärte Unterbrechung der Herrſchaft das ſchon er-
langte Eigenthum nicht wieder auf Bloß wörtliche Erklä-
rungen dagegen und vergängliche lebloſe Zeichen einer beab-
ſichtigten Aneignung ſind rechtlich ungenügend, weil der That-
ſache widerſprechend und die Abſicht in Zweifel ſtellend, ob-
gleich man in der früheren Staatspraxis auch derartige Mit-
tel geltend gemacht hat. 1
Eine Beſitzergreifung kann übrigens durch Bevollmächtigte,
ſowohl auf Grund allgemeiner 2 wie ſpecieller Vollmachten vollzo-
gen werden, und giebt dann vom Augenblick der Vollziehung dem
Machtgeber das Eigenthum. Sie kann ſelbſt vermöge einer Ge-
ſchäftsführung für einen andern Herrn mit hinzukommender Rati-
habition deſſelben vor ſich gehn, in welchem Fall Beſitz und
Eigenthum für dieſen jedoch erſt mit der Genehmigung, alſo erſt
nach erlangter Kenntniß beginnt. 3 Haben mehrere zugleich für
ſich Eigenthumsbeſitz von derſelben Sache ohne Beſchränkung auf
einzelne Theile ergriffen, ſo entſteht dadurch ein Miteigenthum. 4
Verfügungen über das Staaten-Eigenthum.
71. Die rechtlich möglichen Verfügungen über einzelne Gegen-
ſtände des Staatseigenthums ſind im Allgemeinen dieſelben, wie
über Privateigenthum und Vermögensrechte. Zu den bemerkens-
werthern gehört, nächſt den eigentlichen Veräußerungen (§. 72.)
- I. die Conſtituirung einer bleibenden Rente zu Gunſten eines
[127]§. 71. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
auswärtigen Staates oder ſonſtigen völkerrechtlichen Sub-
jects. 1 Eine derartige Rente haftet in Ermangelung an-
derer Beſtimmungen an der ganzen Subſtanz der belaſteten
fruchttragenden 2 Sache, und erliſcht nur mit dem gänzlichen
Untergang oder mit der Unmöglichkeit, eine Rente daraus
ferner zu gewinnen; bei theilweiſem Untergang verhältniß-
mäßig 3 bis zur Wiederherſtellung des Ganzen; - II. die Beſtellung eines Lehnes zu Gunſten Auswärtiger. 4 In
wie weit dergleichen zuläſſig ſei, beſtimmt die Verfaſſung je-
des Staates; ebenſo entſcheidet ſein eigenes Lehnrecht über
die durch die Verleihung entſtehenden Rechtsverhältniſſe, aus-
genommen bei Lehnen in fremden Territorien (feuda extra
curtem), wo das lehnherrliche Recht den dortigen Geſetzen
und Obſervanzen unterworfen iſt. 5 - III. Die Beſtellung eines Pfand- oder Hypothekrechts, ſelbſt ei-
ner Antichreſe an einem Theile ja an dem Ganzen des Staats-
gebietes zur Selbſtausübung der Hoheitsgewalt von Seiten
des Gläubigers. Pfandſchaften dieſer Art waren vormals
nicht ſelten und dem gemeinen Recht unterworfen; 6 noch
[128]Erſtes Buch. §. 72.
jetzt dauern einige derſelben fort. 1 Ueblicher ſind aber h.
z. T. ſpecielle Hypothekbeſtellungen an einzelnen Staatsgütern,
Renten und Einkünften zu Gunſten der Staatsgläubiger, wo-
bei, wenn ſie privatrechtliche Wirkſamkeit haben ſollen, die
Geſetze des Landes zu beobachten ſind. Außerdem wird je-
doch überhaupt jede Schuld, die für ein gewiſſes Land, oder
einen Theil deſſelben ausdrücklich oder durch eine nützliche
Verwendung contrahirt worden iſt, als auf dem Ganzen oder
beziehungsweiſe auf dem Theile hypothekariſch haftend (dette
hypothéquée) im diplomatiſchen Sprachgebrauch behandelt,
obwohl dadurch nur die bleibende Verbindlichkeit des Staa-
tes in ſeiner Geſammtheit oder ſeinem Theile, nicht aber eine
privatrechtliche Hypothek ausgedrückt werden ſoll. 2
Ob die Staatsregierung für die Schulden des Staates auch
das Privatvermögen der Unterthanen giltig verpfänden könne, iſt
eine Frage des innern Staatsrechts, der Regel nach aber nur im
Fall der Noth zu bejahen. 3
Verluſt des Staatseigenthums.
72. Das völkerrechtliche Eigenthum an Sachen hört auf
- I. an ſolchen Sachen, die ſich blos vorübergehend darin be-
fanden (§. 67.) und nicht occupirt oder ihrer natürlichen
Freiheit wieder überlaſſen worden ſind, mit dem Heraustre-
ten aus dem Territorium; - II. in Anſehung des Staatsgebietes oder einzelner Theile davon
6
[129]§. 72. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.- a) durch eine nicht vindicirte Abſchwemmung, ſo lange die
Zurückbringung noch möglich war (§. 69. II.); - b) durch Dereliction und unvordenklichen Beſitzverluſt (§. 11.);
- c) durch freiwillige, verfaſſungsmäßig erlaubte, oder im Wege
des Krieges herbeigeführte Abtretung des bisherigen Herr-
ſcher- oder Eigenthumsrecht an einen Andern.
- a) durch eine nicht vindicirte Abſchwemmung, ſo lange die
Solcher Veränderungen ungeachtet beſtehen regelmäßig alle auf
dem abgetretenen Staatseigenthum haftenden Verbindlichkeiten un-
ter dem neuen Erwerber fort (§. 25.), da Niemand mehr Rechte
an einer Sache auf einen Andern zu übertragen vermag, als ihm
ſelbſt daran gebühren, und kein wohlerworbenes Recht dritter durch
einſeitigen Willen aufgehoben werden kann. 1 Erſtreckt ſich die
Veräußerung nur auf einen Theil, ſo werden die Laſten des Gan-
zen in Ermangelung anderer Beſtimmungen verhältnißmäßig auf
den einzelnen Theilen verbleiben, 2 mit Ausnahme der objectiv un-
theilbaren, wozu indeß Hypotheken im diplomatiſchen Sinn des
Wortes nicht gerechnet werden können.
So lange übrigens das Staatseigenthumsrecht nicht verloren iſt,
kann es gegen jeden, ſelbſt in gutem Glauben befindlichen Beſitzer
verfolgt werden, ohne daß dieſem wiedererſtattet zu werden braucht,
was er für die Erwerbung der Sache gegeben hat. 3 Dagegen
ſind ihm die nützlichen Verwendungen, welche nicht aus der Sache
ſelbſt genommen ſind, zu vergüten und auch die vor der Rückfor-
derung bezogenen Früchte zu belaſſen, wenn es an dem eigentlich
Berechtigten gelegen hat, ſein Recht an der Sache ſchon früher zu
vindiciren. 4
9
[130]Erſtes Buch. §. 73.
Eigenthumsunfähige Sachen; insbeſondere das Meer.
73. Zu den des Privateigenthums unfähigen Sachen gehört
anerkanntermaaßen der Luftzug und das frei fließende Waſſer, na-
mentlich das Meer, indem eine ausſchließliche dauernde Beſitzergrei-
fung wenigſtens für Einzelne unter die Unmöglichkeiten zu rechnen
iſt. Wegen gleichmäßiger Wichtigkeit für alle Menſchen ſchreibt
man daher auch allen Individuen ein gleichmäßiges Recht der freien
Benutzung daran zu, ſo daß nur der augenblicklich ſie Nutzende für
jetzt jeden andern davon ausſchließt. 1 Minder ausgemacht iſt, ob
nicht ein Staateneigenthum an jenen Sachen, vorzüglich am Meere
oder an einzelnen Theilen deſſelben zuläſſig und wirklich begründet
ſey. 2 Das Mittelalter ſchrieb ein ſolches dem Römiſchen Kaiſer
zu. 3 Spanien und Portugal reclamirten ein Eigenthum der von
ihnen entdeckten Meere. 4 Großbritannien eignete ſich die Sou-
veränetät über die vier, die Brittiſchen Inſeln umſchließenden Meere
(the narrow-seas) an, ohne daß jedoch die Grenzen dieſer Prä-
tenſion jemals nach allen Seiten genau beſtimmt worden ſind. 5
Venedig reclamirte das Adriatiſche Meer, Genua das Liguriſche.
Alle dieſe Anſprüche ſind beſtritten und in neuerer Zeit nicht mehr
[131]§. 74. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ernſtlich behauptet. Nur das Recht auf Flaggengruß iſt von Groß-
britannien ſtets in ſeinen Engmeeren reclamirt worden. 1 Zuge-
geben wird überdies von den Meiſten, daß das Staatseigenthum
oder, was gleichbedeutend iſt, die Souveränetät jedes Landes ſich
noch ausdehnt
- a) auf die darin befindlichen Flußſtrecken;
- b) auf Meerbuſen, Buchten, Rheden und Hafen, welche ſich im
Schutz des Landes befinden, und von da aus andern Na-
tionen durch Vertheidigungs-Anſtalten verſchloſſen werden
können; 2 - c) auf das ganze Küſtenmeer, ſo weit es von der Küſte aus
oder durch ſtets gegenwärtige Seemacht und Vertheidigungs-
Anſtalten in einem ausſchließlichen Beſitz gehalten werden
kann (quousque mari e terra imperari potest); ja es
ſcheint hierüber ein gewiſſes Einverſtändniß der Nationen
im Princip zu beſtehen, wenn auch die Ausdehnung der
Seegrenze nicht von allen auf völlig übereinſtimmende Weiſe
angenommen wird. 3
Das Meeres-Eigenthum überhaupt.
74. Bleibt man bei den natürlichen Verhältniſſen der Menſchen
unter einander und zu den Kräften der lebloſen Schöpfung ſtehen,
ſo iſt wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk
oder mehrere in Gemeinſchaft im Stande ſein würden, allen übri-
gen die Mitbenutzung eines beſtimmten Meeres, ja ſelbſt des ſ. g.
großen Weltmeeres zu verſchließen, oder doch dieſelben bei der Mit-
benutzung von dem Willen des herrſchenden Theiles abhängig zu
machen. Allein abgeſehen von den endloſen Schwierigkeiten, womit
eine alleinige oder Oberherrſchaft zu kämpfen haben würde, die zu
9*
[132]Erſtes Buch. §. 74.
beſiegen bisher wohl noch kein einziges Volk der Erde bei ernſtem
Gegenſtreben der Uebrigen vermocht hätte, müßte jene Herrſchaft
gewiß allezeit als eine rechtloſe erſcheinen, da ſie den allgemeinen
Menſchenrechten zuwider läuft, mit welcher Milde ſie auch immer
ausgeübt werden möchte. Das Geſetz des Meeres und ſeiner Be-
nutzung wäre nämlich ein allen übrigen Menſchen außer der herr-
ſchenden Nation wider Willen aufgedrungenes, rückſichtlich eines
Elements, welches den einzigen möglichen Verbindungsweg unter
den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdthei-
len darbietet, folglich auch nicht der freien Begegnung verſchloſſen
werden darf; welches ferner in ſeiner ſich ſtets bewegenden Sub-
ſtanz und in dem Inhalt derſelben an Fiſchen, Foſſilien und dgl.
einen reichen Naturſchatz zu einer gleichartigen Benutzung für alle
Menſchen umfaßt, woran kaum für gewiſſe Diſtricte durch Tita-
nenarbeit ein ausſchließendes Privateigenthum erlangt werden könnte.
Da nun an und für ſich kein Menſch in der natürlichen Herrſchaft
eines andern ſteht, ſo bald er ſich zur ſittlichen Selbſtändigkeit des
Willens erhoben hat: ſo wird auch das Geſetz eines einzelnen Vol-
kes über eine gemeinſame Sache Aller kein verbindliches Geſetz für
die Uebrigen ohne deren freie Annahme ſein, vielmehr zu jeder Zeit
und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat
ſich auch ein Widerſpruch dagegen erhoben, und es giebt daher nach
dem poſitiven Europäiſchen Völkerrecht durchaus keine geſetzliche
Oberherrſchaft über das Weltmeer oder deſſen einzelne Theile, ſo
fern ſie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich
und nicht entgegenſtehende Zugeſtändniſſe ausdrücklich oder ſtillſchwei-
gend gemacht ſind, wozu inbeſondere in Betreff einzelner Waſſerge-
biete der gemeinſame Nutzen führen kann, indem man die Schiff-
fahrts- und Handels-Intereſſen unter den regulatoriſchen Schutz
des nächſtgelegenen Küſtenſtaates ſtellt und ihm eine gewiſſe Geſetz-
gebung und Polizeigewalt, oder auch noch größere Rechte, ſo wie
gewiſſe Nutzungen, geſtattet, und dafür den Vortheil einer deſto
ungehinderteren Benutzung der Gewäſſer genießt. Außerdem fließen
auch noch gewiſſe Staatenrechte über beſtimmte Theile des Waſ-
ſergebietes ganz von ſelbſt aus der Befugniß der Selbſterhaltung
(§. 76.).
Dagegen iſt die privative Erwerbung eines auch noch ſo klei-
nen Theiles des großen gemeinſamen Meergebietes für einen Staat
[133]§. 75. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
oder deſſen Angehörige im Wege der Occupation wenigſtens recht-
lich unmöglich. Selbſt die Einpferchung eines beſtimmten Meer-
gebietes durch Schutz- und Abwehrungs-Anſtalten aller Art würde
immer nur einen factiſchen Zuſtand begründen, der ohne deutliches
Zugeſtändniß anderer Nationen kein Eigenthum geben, vielmehr mit
dem Verfall jener Anſtalten von ſelbſt wieder aufhören würde. So-
gar ein unvordenklicher Beſitzſtand, wenn er nicht ein freiwilliges
Zugeſtändniß anderer Nationen deutlich erkennen läßt, vermag keine
ausſchließlichen Befugniſſe bei einer ſolchen res merae facultatis
zu ertheilen. 1
Angebliche Eigenthumsmeere.
75. Nach dem vorangeſtellten Princip giebt es im Allgemeinen
keine andere Naturgrenze für die freie gemeinſame Benutzung des
Weltmeeres als das Land, und es kann an und für ſich keine
Ausnahme in Betreff derjenigen beſondern Theile des großen Meer-
ſyſtems gemacht werden, welche durch noch ſo ſchmale Verbindungs-
ſtraßen zwiſchen angrenzenden Länderſtrecken hindurch mit dem Ocean
zuſammenhangen. Wahre Ausnahmen, weil natürliches Zubehör
des Landes, bilden nur
- a) alle Seeeinbrüche in das frühere Landgebiet, ſo lange ſie in
einer ausſchließlichen Herrſchaft behalten werden; 2 - b) alle Häfen, Buchten und Landungsplätze, ſie ſeien künſtliche
oder natürliche, als Zugänge des Landes; 3 - c) die von einem oder mehreren Staatsgebieten völlig umſchloſ-
ſenen ſeewärts unzugänglichen Binnenmeere (§. 77.).
Rückſichtlich der ſeewärts allgemein zugänglichen Meere könnte
dagegen die Eigenſchaft eines unter der ausſchließlichen Herrſchaft
eines Territoriums ſtehenden Binnenmeeres lediglich durch eine that-
ſächliche, nicht mehr zu beſeitigende Vernichtung des Verbindungs-
weges oder durch ausdrückliches oder ſtillſchweigendes Einverſtänd-
[134]Erſtes Buch. §. 75.
niß aller andern Nationen (§. 74.) hervorgebracht werden. In
dieſer Hinſicht hat man vormals, wenigſtens von Seiten einzelner
Nationen, als gleichſam unter beſonderer Herrſchaft ſtehend, vor-
züglich folgende Meere und Meerestheile betrachtet: das Schwarze
Meer, das Aegeiſche, das Mar di Marmora, unter Türkiſcher Ho-
heit, den Bothniſchen Meerbuſen von der Oſtſee unter Schwediſcher
Hoheit, 1 ſodann mehrere unter dem Schutz eines Landes und ſei-
nes Inſelgebietes unmittelbar ſtehende kleine Meergewäſſer, z. B.
das Alte Haff, das Friſche und Curiſche Haff und dgl. Von den
zuerſt genannten kann jedoch der Bothniſche Meerbuſen wenigſtens
nicht mehr wie ſonſt als ein Schwediſches Eigenthumsmeer gel-
ten, 2 auch iſt das Schwarze Meer vom Mittelländiſchen Meer her
und nach demſelben hin für die Schiffahrt der Nationen 3 geöff-
net worden.
Was die natürlichen Verbindungsſtraßen zwiſchen den verſchie-
denen Theilen des Weltmeers ſelbſt anbelangt, ſo gehören ſie, wenn
auch noch ſo eng und in dem unmittelbarſten Bereich eines Küſten-
landes gelegen, dennoch an ſich zu den freien Gewäſſern, hinſicht-
lich deren bloß die nämlichen Rechte, wie bei den Küſtengewäſſern
überhaupt in Anſpruch genommen werden können (§. 76.), ſofern
keine größeren Zugeſtändniſſe von Eigenthums- und Hoheitsrechten
darüber Seitens anderer Nationen gemacht ſind.
Was nun im freien Meer befindlich iſt, ſteht dem freien Ge-
nuß und der Occupation Aller offen. Nur was auf den Küſten
oder auf den mit ihnen noch zuſammenhängenden Klippen und
Sandbänken ſich darbietet, gehört noch zum Lande und deſſen Ober-
herrſchaft.
Iſt eine ſolche über einen Theil des Meeres ſelbſt begründet:
ſo begreift ſie in ſich das Recht der Gerichtsbarkeit, Polizei und
Beſteuerung, ſo wie die Aneignung aller Vortheile des Meeres,
[135]§. 76. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
wenn nicht auch andern Nationen Rechte der Art zugeſtanden
ſind. 1
Schutzrechte über die Küſtengewäſſer.
76. Ein unmittelbares Intereſſe und Recht haben unbeſtreitbar
alle Küſtenſtaaten, zur Sicherſtellung ihres Landgebietes gegen un-
erwartete Ueberfälle, ſo wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-,
Steuer- und Verkehrſyſtems, nicht nur jede Annäherung von der
Seeſeite her zu beobachten, ſondern auch Anſtalten zu treffen, 2
daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Auf-
nahme darin verweigert werden kann, ſo wie daß die hierzu erfor-
derlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher
auch, wenn er nicht durch entgegenſtehende Verträge gebunden iſt,
eine eigene Küſtenbewachung und Küſtenpolizei einrichten, und nach
den beſondern Verhältniſſen der Küſte ſo wie der Gewäſſer die er-
forderliche Ausdehnung beſtimmen; 3 jeder Fremde, der in den Be-
reich dieſer Anſtalten kommt, iſt demnächſt verbunden, ſich den
getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder ab-
ſichtlich dahin gelangt ſein. Zu den an ſich erlaubten Maaßregeln
gehört hierbei auf Seiten des Küſtenſtaates:
- das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu ver-
langen, und im Fall ihrer Verweigerung oder bei entſtehen-
dem Verdacht einer Unrichtigkeit ſich unmittelbar Kenntniß
von dem Zweck zu verſchaffen, auch einſtweilige Maaßregeln
gegen Gefahren zu ergreifen;
[136]Erſtes Buch. §. 77.
- das Recht, Friedensſtörungen in dieſen Gewäſſern zu verhindern
und dagegen factiſch zu interveniren; - das Recht, die Benutzung der Küſtengewäſſer, z. B. in Betreff
der verſchiedenen Arten der Fiſcherei zu reguliren; - das Recht des Embargo (Buch II. Tit. 1.) und die Aufſtel-
lung von Kreuzern gegen den Schleichhandel. 1
Dagegen kann ein bloßes Hereinkommen in dieſe Polizeigrenze we-
der die Gerichtsbarkeit noch ein Beſteuerungsrecht von Seiten des
Küſtenſtaates begründen; dieſe Befugniſſe treten vielmehr erſt in
Kraft mit dem wirklichen Ueberſchreiten der eigentlichen Gebiets-
grenze und mit dem Eintritt der ſonſtigen Bedingungen, von de-
nen Gerichtsgang und Beſteuerung der Fremden überhaupt abhän-
gig iſt (§. 79.).
Nur Zugeſtändniſſe anderer Nationen können auch hierin grö-
ßere Rechte verleihen. Einzig in ſeiner Art iſt in ſolcher Bezie-
hung der Sundzoll der Krone Dänemärk. 2
Nationale Flußgebiete.
77. Flüſſe, welche ſich in das Meer ergießen, gehören bis zu
ihrer Ausmündung, d. h. wo ſie die äußerſte Linie zwiſchen ihren
letzten Uferpunkten verlaſſen, zum Gebiet des oder derjenigen Staa-
ten, welche ſie durchfließen und zwar, wenn ſie die Grenze zweier
Länder bilden, in dem ſchon oben §. 66. angegebenen Verhältniß,
außerdem zu dem Gebiet jedes Einzelſtaates, welchen und ſoweit
ſie ihn durchſtrömen. Sie ſind Zubehör des Landes, da ſie dieſem
unmittelbar entquellen und der elementariſchen Selbſtändigkeit er-
mangeln, welche das Meer darbietet. Jeder Staat kann alſo von
ſeinem Stromgebiet bis zur Grenzſcheide mit andern Staatsgebie-
ten, welche unverändert belaſſen werden muß (§. 33. III. IV.),
alle Vortheile ſich und den Seinigen allein zueignen und andere
Nationen davon ausſchließen. Nur wenn ein Fluß eine unent-
behrliche Verkehrſtraße für die Subſiſtenz einer andern Nation wäre
(§. 32. III.), könnte ſie derſelben nicht verſchloſſen werden. 3 In-
[137]§. 77. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
zwiſchen hat die größere Annäherung der Nationen in neuerer Zeit
zu weniger excluſiven Principien geführt. Durch Verträge, zu wel-
chen faſt alle Europäiſchen Staatsgewalten concurrirt haben 1 oder
beigetreten ſind, 2 hat man ſich verſtändigt:
- daß die Schiffahrt auf Strömen, welche das Gebiet mehrerer
Staaten durchfließen, mit allen Nebenſtrömen vom Anfangs-
punkt ihrer Schiffbarwerdung bis zu ihrer Ausmündung in das
Meer 3 durchaus frei, und in Beziehung auf den Handel Nie-
mand unterſagt ſein ſoll; - daß zwar jedem Uferſtaat ſeine Hoheitsgewalt über das Flußge-
biet innerhalb ſeiner Grenzen verbleibt, die Schiffahrt ſelbſt
aber ſo wenig als möglich in ihrer Freiheit gehemmt werden
ſoll; daher insbeſondere keine Stapelplätze und gezwungener
Umſchlag ferner eingerichtet und nur da beibehalten werden dür-
fen, wo ſie ſich für den Schiffahrtsverkehr oder Handel ſelbſt
als nützlich ergeben; - daß die Schiffahrtsabgaben unabhängig von dem Werth und
der Beſchaffenheit der Waaren beſtimmt werden ſollen, jedoch
niemals über den Betrag vom Juni 1815; - daß eine und dieſelbe Schiffahrtpolizei für die ganze gemeinſame
Schiffahrtſtrecke durch gemeinſames Einverſtändniß hergeſtellt
werden ſoll; jeder Uferſtaat aber für die Unterhaltung der
Leinpfade, Treppelwege und die nothwendige Vertiefung des
Strombettes zu ſorgen hat.
Dieſe Grundſätze ſind bei mehreren Europäiſchen Hauptflüſſen
3
[138]Erſtes Buch. §. 78.
demnächſt durch beſondere Conventionen in Anwendung gebracht
worden. 1
Die Schiffe und Rechte der Schiffahrt.
78. Die Schiffe, welche die Nationen aus ihren Gewäſſern in
das freie Meer entſenden, ſind gewiſſermaaßen ihre wandelnden
Gebietstheile, 2 welche ſelbſt in fremden Gewäſſern ihre Nationa-
lität nicht verlieren, ſo lange das Eigenthum des Schiffes keinem
Fremden übertragen iſt. Die darauf befindliche Mannſchaft bildet
eine eigenthümliche Genoſſenſchaft unter dem Schutze des Staates,
von welchem ſie ausgeht, ſo wie ſie ſeinen Geſetzen auch außer-
halb des eigenen Waſſergebietes unterworfen bleibt. Jedes von
einem Unterthanen auf dem Schiff geborene Kind iſt daher auch
Unterthan des ſchiffsherrlichen Staates. 3
Die beſonderen Rechte, welche jeder Staatsgewalt in Betreff
der Schiffarth zuſtehen, ſind:
- I. die Benutzung der freien Waſſerſtraßen für die National-
ſchiffahrt und den Handel; 4 - II. das Recht der Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit über das
Verhalten ſeiner Staatsgenoſſen, ſowohl in ſeinen Eigen-Waſ-
ſern wie auf freien Gewäſſern; 5 - III. das Recht, zum Schutz der Nationalſchiffahrt Anſtalten und
Maaßregeln zu treffen, insbeſondere auch in fremden Hafen-
3
[139]§. 79. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
und Handelsplätzen Conſuln mit Genehmigung der dortigen
Staatsgewalt zu unterhalten; 1 - IV. das Recht den Nationalſchiffen eine eigene Flagge vorzu-
ſchreiben, dieſelbe zu ſchützen und in Friedenszeiten deren Ge-
brauch auch den Schiffen anderer Nationen zu geſtatten,
wodurch dieſe des nämlichen Schutzes und derſelben Freihei-
ten theilhaftig werden. Jedoch können dadurch keine Vor-
theile übertragen werden, welche herkömmlich oder vertrags-
mäßig nur den Nationalſchiffen zugeſtanden ſind, und über-
haupt darf die Geſtattung der Flagge nie zum Präjudiz ei-
nes Dritten gereichen.
Jeder unerlaubte Gebrauch einer fremden Flagge iſt ahndungs-
werth, ſowohl in Anſehung des Staates, deſſen Flagge gemißbraucht
iſt, wie der Drittbetheiligten. 2
79. In Hinſicht auf das Verhältniß der Einzelſtaaten zu frem-
den Schiffen, deren Bemannung und Zwecke, neigt ſich das heutige
Völkerrecht, wiewohl noch mit einigen Schwankungen, im Allge-
meinen zu folgenden Grundſätzen:
- I. Es hängt von jeder Nation ab, die Bedingungen zu beſtim-
men, unter welchen ſie auswärtigen Nationen einen Schif-
fahrtsverkehr mit ihrem Lande und in ihren eigenen Gewäſ-
ſern geſtatten wolle. 3 Nur darf der Verkehr durch die Laſt
der Bedingungen nicht unmöglich gemacht werden; niemals
auch einem in Seegefahr befindlichen Schiffe und deſſen
Mannſchaft die Rettung nach dem Lande und Benutzung
der dortigen Hilfsanſtalten verſagt werden. 4 Das Gegen-
theil von dem Allen wäre ein inhumanes und unnationales
Verhalten. (§. 32.)
[140]Erſtes Buch. §. 79.
- II. Keine Nation, kein Individuum derſelben hat das Recht,
ſich ein von der Mannſchaft verlaſſenes Schiff einer frem-
den Nation anzueignen, ſofern nicht eine Eigenthumsdere-
liction dem Eigenthümer gegenüber erweislich oder der-
ſelbe durch Klageverjährung ausgeſchloſſen iſt. 1 Im Fall
der Wiedererlangung iſt er dem Retter einen Findungs-
und Rettungslohn ſchuldig. 2 - III. Keine Nation und kein Individuum darf ſich gegen die Per-
ſonen und Güter der Schiffbrüchigen vergreifen. Das ſ. g.
Strandrecht iſt ein Schandrecht. Nur ein Anſpruch für
Rettung und Bergung iſt begründet; 3 ein Eigenthum an
den geſtrandeten Sachen erſt durch Ablauf der Verjährung
zu gewinnen. Dennoch wird hierin der kalten Immora-
lität der Küſtenbewohner noch Vieles nachgeſagt. 4 - IV. Jedes in das Waſſergebiet eines fremden Staates zugelaſſene
Schiff darf ſich auch der Anſtalten und Mittel bedienen,
welche zur Sicherheit der Schiffahrt und zur Verbindung
mit dem Lande für einen erlaubten Verkehr beſtimmt ſind. 5
[141]§. 80. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- V. Jedes fremde Schiff, welches in Häfen oder andere eigen-
thümliche Gewäſſer eines Staates kommt, wird der dortigen
Schiffahrtspolizei, den Schiffsabgaben und der Gerichtsbar-
keit des Landes unterworfen. 1 Eine Ausnahme machen al-
lein in beiderlei letzter Hinſicht- die Schiffe, worauf ſich fremde Souveräne oder deren
Vertreter befinden, und welche zu deren Beförderung
ausſchließlich beſtimmt ſind, - die Kriegsſchiffe fremder Nationen, ſofern man ihnen
überhaupt eine Annäherung geſtatten will, was aber
auch in Friedenszeiten nur mit Vorſicht zu geſchehen
pflegt; 2 - die Schiffe, welche nur vorüberfahren 3 oder wider Wil-
len der Führer genöthigt werden, in einem Territo-
rium anzulanden. 4
- die Schiffe, worauf ſich fremde Souveräne oder deren
80. Gegen fremde Schiffe auf offnem freien Waſ-
ſer hat kein Staat irgend ein Recht in friedlichen Zeiten, außer
dem Recht der Selbſthülfe wider einen unrechtmäßigen Angriff und
wegen zugefügter rechtswidriger Beſchädigungen; denn es beſteht dort
kein gemeinſames Geſetz und keine Auctorität zur Handhabung deſ-
ſelben. Indeſſen wird der hiermit verbundene Uebelſtand dadurch
möglichſt beſeitigt,
[142]Erſtes Buch. §. 80.
- daß jede Nation ihren Angehörigen das Verhalten zur See ſelbſt
gegen Auswärtige geſetzlich vorzeichnet, und die daraus entſte-
henden Rechte und Verbindlichkeiten anerkennt; - daß man ebenermaaßen auch Fremde wenigſtens den eigenen
Staatsgenoſſen gegenüber nach gleichen Grundſätzen beur-
theilt; - daß die meiſten Staaten ſogar unter Fremden ſelbſt, wenn ſie
darum angerufen werden, Recht ertheilen; - daß endlich unter den Seerechten der verſchiedenen Länder ſtets
eine große Uebereinſtimmung von Altersher beſtanden hat,
ſo daß ein Recht der Selbſthilfe, außer dem Fall unabwendbarer
Noth, auf offener See von den Staaten nicht mehr anerkannt
wird, diejenigen aber, welche ſich jedem Geſetz und Recht entziehen,
wie z. B. die Piraten, von allen Nationen als rechtloſe (outlaws)
behandelt werden. 1
Dagegen hat kein Staat außerhalb ſeiner Eigenthumsgewäſſer
und Polizeigrenze gegen fremde Nationalſchiffe ein Recht ſie anzu-
halten, zu durchſuchen und in Beſchlag zu nehmen, wenn dieſes
auch zu einem an ſich erlaubten Zweck geſchehen ſollte, wofern
nicht ausdrücklich und beſtimmt ein derartiges Zugeſtändniß von
einer Nation der andern gemacht iſt. Aufgetaucht iſt dieſe Frage
in Beziehung auf die Unterdrückung des Sclavenhandels, und er-
wartet hier ihre fernere Löſung. 2
Ein freies und gleiches See- und Handelsrecht würde erſt dann
ſich entwickeln, wenn die Nationen ſich entſchließen könnten, von
ihren Entſcheidungen in ſtreitigen Fällen mit andern Staaten eine
Berufung auf des unparteiiſche Urtheil eines dritten Staates nach
dem Vorbild der Alten zuzulaſſen. 3
[143]§. 81. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Dritter Abſchnitt.
Das Recht der Verbindlichkeiten.
Erſte Unterabtheilung.
Die öffentlichen Verträge.1)
Völkerrechtliche Verbindlichkeit der Verträge überhaupt.
81. Zu allen Zeiten ſind Verträge ſowohl unter rohen wie un-
ter gebildeten Völkern auch ohne gemeinſames Geſetz als rechtliche
3
[144]Erſtes Buch. §. 81.
Bindungsmittel benutzt worden, und dennoch hat man ihnen nicht
immer allein vertraut; vielmehr hat man in älterer Zeit die Macht
der Religion und die Furcht vor dem Ueberſinnlichen zu Hilfe ge-
nommen, um ihnen größere Haltbarkeit zu verleihen; ſeitdem aber
auch jenes Mittel ſich oft als unzureichend für dieſen Zweck erge-
ben, iſt wohl der nackte Glaube an eine Selbſtgiltigkeit der Ver-
träge übrig geblieben und durch das Chriſtenthum, wie durch das
poſitive Recht, endlich auch durch die Philoſophie gekräftigt wor-
den; aber nicht ſelten hat ihm die Praxis Hohn geſprochen und
noch immer hat man ſich nicht darüber verſtändigt, ob, warum
und wie weit ein Vertrag durch ſich ſelbſt verpflichte. 1
Schwerlich wird man darüber eine andere Anſicht vertheidigen
können, als die, daß ein Vertrag (duorum vel plurium in idem
consensus) an ſich nur durch die Einheit des Willens ein Recht
ſetze, folglich auch nur ſo lange dieſe Einheit dauert; und daß im
Fall der Willensänderung eines Theiles der Andere nur berechtigt
iſt, die Wiederherſtellung des vorigen Zuſtandes zu fordern mit
Einſchluß des Schadens, den er durch redliches Eingehen in den
Willen des Mitcontrahenten in ſeinen bisherigen Rechten erduldet
hat. Nur der allgemeine Wille, geſtützt auf gleiches Intereſſe und
gleiche ſittliche Geſinnung, kann außerdem nach dem Vertrag Ein-
zelner eine Verpflichtung zur directen dauernden Erfüllung desjeni-
gen hinzufügen, was verſprochen worden iſt. Dazu beſitzt indeſſen
bloß der Staat in ſich ſelbſt für die Individuen die Mittel; für
das internationale Recht fehlt es an einer ſolchen Zwingmacht;
der Vertrag hat demnach hier nur die angegebene natürliche Kraft
und Bedeutung; eine beſondere Stütze findet er bloß im gegenſei-
tigen Intereſſe, durch ſeine Vermittelung fortdauernd im Verkehr
mit andern Staaten zu bleiben und neue Rechte zu erwerben; eine
noch größere Garantie erhält er im Staatenſyſteme, wie das Eu-
ropäiſche iſt, welches an ſich auf Gegenſeitigkeit und Willensüber-
einſtimmung beruht, dem man folglich nur angehören kann,
wenn man diejenigen Grundſätze von der verpflichtenden Kraft der
1)
[145]§. 82. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Verträge anerkennt, welche den Intereſſen Aller entſprechen, ohne
welche überhaupt kein Vertrauen und Verkehr denkbar iſt. Aller-
dings ſind daher die Völkerverträge Etwas, wenn ihnen auch die
Sanctionen des Privatrechts abgehen. Pacta sunt servanda
bleibt dennoch ein oberſter Grundſatz des Völkerrechts; 1 nur die
Gegenſtände geben dem internationalen Vertragsrecht eine gewiſſe
Beſonderheit, auch beſteht in ihm eine größere Ungebundenheit der
Erfüllung, wie nun näher darzuſtellen iſt.
Ueberſicht der Verträge im Bereiche des Völkerrechts.
82. Nimmt man das Völkerrecht im weiteſten, §. 1. dar-
gelegten Sinn, für das natürliche allen Menſchen in ihrer Freiheit
zuſtändige Recht, ſo ſind der Herrſchaft deſſelben alle Verträge un-
terworfen, welche und ſo weit ſie nicht unter das Geſetz der Ein-
zelſtaaten fallen. Es gehören alſo dahin
alle Verträge unter denjenigen Perſonen, welche von gar kei-
ner Staatsgewalt, keinem Staatswillen abhangen, z. B. in
Gegenden, wo noch keine Staatsgenoſſenſchaften beſtehen,
und dieſe werden nur durch den ſubjectiven Willen eine Bedeutung
haben; gewiſſermaaßer auch
die conſtitutiven Verträge der Staatsgewalten mit den eige-
nen Völkern über Gegenſtände des öffentlichen innern Rechts,
welchen aber der ſittliche allgemeine Wille eines jeden Volkes und
das dem ſchon geſchloſſenen Staat einwohnende Intereſſe der Ste-
tigkeit eine dauernde Garantie und Haltbarkeit bis zur gemeinſa-
men Willensänderung verleihet.
Von beiden vorſtehenden Categorien wird im Nachfolgenden
keine weitere Rede ſein, da ſie in andern Gebieten erörtert werden,
ſondern nur von denjenigen, welche dem eigentlichen internationa-
len Recht untergeben ſind. Dieſes ſind:
- I. Verträge mehrerer Staaten (oder ihrer Repräſentanten), wo-
durch einer gegen den andern oder auch wechſelſeitig über
Rechte und Beſitzungen der Staatsgewalt dergeſtalt verfügt,
10
[146]Erſtes Buch. §. 82.
daß ihm die fernere eigene Verfügung darüber entweder gänz-
lich entrückt oder doch beſchränkt wird, oder wodurch Einer
ſich in ſeiner Geſamtheit als Schuldner darſtellt (eigent-
liche Staatenverträge); - II. Verträge ſouveräner Fürſten unter Einander, über ſolche Ge-
genſtände, hinſichtlich deren ſie keinem innern Staatsgeſetz
und Richter unterworfen ſind (vgl. §. 52.), z. B. wegen
gegenſeitiger perſönlicher Unterſtützung oder Garantirung ih-
rer Rechte, 1 desgleichen wegen ihrer eigenen ganz unab-
hängigen Beſitzungen außerhalb des beherrſchten Staatsge-
bietes.
Dahingegen liegen dem Kreiſe des Völkerrechts überhaupt ſo
wie insbeſondere des internationalen Vertragsrechtes fremd:
- a) Verträge mehrerer Staaten oder Souveräne über reine
Privatrechte, welche dem Einen im Bereiche des andern
entweder ſchon zuſtändig ſind oder conſtituirt werden ſol-
len, ohne daß die Rechte der Staatsgewalt in ihrem ei-
genen Gebiet dadurch aufgehoben oder ſervitutmäßig be-
ſchränkt werden; z. B. Ueberlaſſung von veräußerlichen
Domänen oder eines Bergwerks an einen ausländiſchen
Staat oder an deſſen Souverän zu bloßem Privatbeſitz; - b) Vertragsverpflichtungen eines Souveräns über Privatver-
hältniſſe, rückſichtlich deren er dem Geſetz ſeines eigenen
Staates und einer richterlichen Inſtanz darin unterwor-
fen iſt, gegen auswärtige Staaten oder deren Souveräne; - c) Verträge einer Staatsgewalt mit ihren eigenen Untertha-
nen über Gegenſtände des Privatrechts, desgleichen - d) Verträge zwiſchen einem Staat oder ſeinem Souverän
und einem auswärtigen Unterthan, wenn ſie ihrem Ge-
genſtand nach bloße Privatverträge ſind.
Hier wird überall das Privatrecht 2 entſcheiden, und zwar be-
ziehungsweiſe nach den oben (§. 37 f.) erörterten Grundſätzen der
[147]§. 83. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Colliſion verſchiedener Staatenrechte. Sollte dagegen der Vertrag
eines Staates oder Souveräns mit einem Fremden in Hinſicht
auf den Gegenſtand keinem Staatsgeſetz und Richter unterworfen
ſein, ſo würden auch hier nur die völkerrechtlichen Grundſätze der
Verträge Anwendung leiden. 1
In allen vorſtehenden Fällen a—d können endlich die von
der Herrſchaft des internationalen Rechts eximirten Verträge durch
Rechtsverweigerung Gegenſtand völkerrechtlicher Verhandlungen und
Maaßregeln werden, ſo wie durch Verbindung völkerrechtlicher Ver-
träge mit Privatverträgen eine Art gemiſchter Verträge ent-
ſtehen kann. Alsdann werden, es mag nun der eine Vertrag die
Bedingung des andern ſein und damit in weſentlicher Verbindung
ſtehen, oder jeder für ſich ein ſelbſtändiges, von dem andern trenn-
bares Geſchäft bilden, auf einen jeden die ihm eigenthümlichen
Rechtsgrundſätze, unabhängig von dem andern, zur Anwendung
kommen, jedoch die völkerrechtlichen ſich nie den privatrechtlichen
unterordnen.
Weſentliche Bedingungen internationaler Verträge.
a.Eine zuläſſige causa.
83. Das erſte weſentliche Erforderniß eines völkerrechtli-
chen Vertrages iſt eine zuläſſige causa. Wir verſtehen hierunter
die Möglichkeit einer übernommenen Verbindlichkeit an ſich. 2 Nur
das phyſiſch und ſittlich Mögliche kann Gegenſtand eines Vertrags
ſein. 3 Unmöglich iſt z. B. jede Verbindlichkeit, die der ſittlichen
Weltordnung widerſpricht, namentlich auch der Beſtimmung der
Einzelſtaaten zur Entwickelung der menſchlichen Freiheit, ſo daß
10*
[148]Erſtes Buch. §. 83.
alſo Einführung oder Aufrechthaltung von Sclaverei niemals gil-
tig verſprochen werden kann, ſo wenig als eine Verſchließung des
Verkehrs der Nationen für ihre gegenſeitigen ſittlichen oder phyſi-
ſchen Bedürfniſſe. Niemals kann auch ein Treubruch wider noch
beſtehende Verbindlichkeiten gegen Dritte zur Pflicht gemacht wer-
den, wiewohl derjenige Theil, welcher eine ſolche Pflicht gegen ei-
nen Andern von dem Widerſpruch nicht Unterrichteten übernimmt,
für das Intereſſe des nicht in Ausführung zu ſetzenden Vertrages
haftet. Niemals kann ferner eine Handlung oder Unterlaſſung wi-
der unbeſtreitbare Rechte eines Dritten, oder dasjenige, was man
bereits einem Dritten ausſchließlich bewilligt hat, 1 Gegenſtand ei-
ner Vertragsverbindlichkeit ſein, ſo wenig als eine Handlung oder
das Recht eines Dritten, worüber man keine Botmäßigkeit oder
Verfügungsgewalt hat. 2 Jedoch darf man ſich zu einer thätigen
Verwendung (Intercessio im weitern Sinne) bei einer dritten Per-
ſon verpflichten, daß dieſelbe in ein gewiſſes Rechtsverhältniß ein-
trete, und zwar entweder durch Anwendung freundlicher Dienſte
(bona officia), indem man den Dritten im Wege der Unterhand-
lung für den beabſichtigten Zweck zu gewinnen und zu entſprechen-
den Gewährungen zu veranlaſſen ſucht, oder durch eigentliche In-
terceſſion mit Anwendung aller den Umſtänden entſprechender er-
laubter Mittel, jedoch mit Ausſchluß der Waffengewalt, wofern
man nicht auch hierzu ein Recht hat, und eine ſ. g. bewaffnete
Interceſſion ausdrücklich übernommen iſt. Für die wirkliche Er-
reichung des Zweckes haftet man jedoch nur dann bis zum Be-
trage des Intereſſe, wenn man auch in dieſer Ausdehnung ſich
verbindlich gemacht hat. 3 — Man kann außerdem ſich darüber ver-
ſtändigen, welche Maaßregeln einem Dritten gegenüber ergriffen
werden ſollen. Sonſt aber kann ein Vertrag nur ein Rechts-
verhältniß unter den Contrahenten zum Gegenſtand haben und her-
vorbringen, nicht auch einem Dritten ein Recht oder Verbindlichkeit
erzeugen; 4 ausgenommen
[149]§. 83. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
vermöge eines vorherigen Auftrags,
bei einer unbedingten oder doch beziehungsweiſe Statt finden-
den Abhängigkeit des Dritten von dem Willen eines oder al-
ler Contrahenten;
ſodann
indem ein Contrahent im eignen Intereſſe dem andern die
Verpflichtung auferlegt, einer dritten Perſon etwas zu leiſten,
was dieſelbe ohnehin ſchon zu fordern berechtigt iſt, und da-
durch die Verpflichtung verſtärkt;
endlich
indem man dem Dritten ſeinen Beitritt vorbehält und dadurch
die Giltigkeit der Stipulation oder des Verſprechens für ihn
bedingt, was ſich bei jeder directen Vertragsbeſtimmung für
einen Dritten von ſelbſt verſteht.
Bis zur Erklärung des Dritten bleibt im letztern Fall das Rechts-
verhältniß deſſelben zu den andern aufgeſchoben; es kann auf den
ihm beſtimmten Vortheil von dem Stipulanten verzichtet werden,
wenn er ſich nicht gegen den andern Contrahenten gebunden hat,
die Erklärung abzuwarten. 1
Im Uebrigen kennt das internationale Recht keine Beſchrän-
kung der Vertragsfreiheit auf beſtimmte Arten von Verträgen, wie
etwa das Privatrecht; keinen Unterſchied von klagbaren und nicht
klagbaren Conventionen. Ohne Grund behauptete man auch, es
gehöre zu allen völkerrechtlichen Verträgen eine beſondere causa
debendi, mit andern Worten, ſie könnten nur auf Leiſtung und
Gegenleiſtung beruhen; jede Bewilligung ſetzte ein Aequivalent vor-
aus. Wem indeß eine freie Verfügung über ſein Vermögen zuſteht,
dem kann auch die Befugniß zu rein freigebigen Verfügungen nicht
abgeſprochen werden, da ſie nur in einer an ſich erlaubten Auf-
gebung von Eigenthum beſtehen, wovon zu Gunſten eines andern
[150]Erſtes Buch. §. 84.
Gebrauch gemacht wird. 1 Eben ſo wenig kann die Nichterkenn-
barkeit eines Nutzens für den ſtipulirenden Theil die Giltigkeit ei-
ner Paction aufheben, 2 oder die Behauptung einer enormen Lä-
ſion, wenn nicht andere Reſciſſionsgründe damit in Verbindung
treten. 3
Unverbindlich würde jedoch vorzüglich im Zuſtand des Friedens
eine bleibende vertragsmäßige Unterwerfung unter den Willen eines
Andern oder Dritten ſein, wodurch die Fortexiſtenz einer freien
Perſönlichkeit für immer unmöglich gemacht und nicht vielmehr ein
Schutz derſelben erlangt würde. 4
b.Dispoſitionsfähigkeit der Contrahenten.
84. Die zweite weſentliche Vorausſetzung zu einem giltigen
Vertrage iſt Dispoſitionsfähigkeit der Contrahenten. Dieſe haben
- I. für eigentliche Staatenverträge (§. 82. I.) die machtvollkomm-
nen actuellen (ſelbſt uſurpatoriſchen) Repräſentanten der con-
trahirenden Staatsgewalten (§. 49.), ſo weit deren Befug-
niſſe in auswärtigen Beziehungen nicht durch ein Abhän-
gigkeitsverhältniß zu andern Staaten 5 oder durch die der-
mahlige außer Streit befindliche Verfaſſung des Staates 6
beſchränkt werden, während der nicht im Beſitz befindliche
obwohl rechtmäßige Souverän nur für den Fall der effec-
tiven Wiedererlangung ſeiner Rechte Verträge für den Staat
[151]§. 84. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
eingehen kann. — Sogar Rechte der Unterthanen unterliegen
der Dispoſition des Souveräns, 1 wofern ſie nicht durch
die Verfaſſung des beſondern Staates für unverletzbar er-
klärt ſind und ſofern nicht etwa ihre Verletzung der Sitt-
lichkeit ſchlechthin widerſtrebt. 2 Wie weit der einzelne Bür-
ger oder ſein Eigenthum dem Staatswohl mit oder ohne
Entſchädigung geopfert werden könne, iſt Gegenſtand des
innern Staatsrechts. - II. für Verträge der Souveräne über ihre eigenthümlichen vom
Staate unabhängigen Rechte ſind ſie allein dispoſitionsbe-
rechtigt. Jedoch erſtreckt ſich ihre Fähigkeit keineswegs auch
auf die eigenthümlichen Rechte der ganzen Familie, deren
Haupt ſie ſind; ihre Handlungen können ohne ein hierzu
berechtigendes Familiengeſetz den übrigen Familiengliedern
nicht präjudiciren, 3 wiewohl ſolche im Fall der Noth ebenſo
wie die Rechte der Unterthanen durch einen Staatsvertrag
geopfert werden können.
Von den bei öffentlichen Verträgen etwa concurrirenden Pri-
vatperſonen gelten die Grundſätze ihres Heimathsrechtes.
Statt der vorgenannten Perſonen können nur ausdrücklich au-
toriſirte Stellvertreter giltig für dieſelben contrahiren; und, was
ein unbefugter Stellvertreter oder freiwilliger Geſchäftsführer con-
trahirt hat, kann erſt durch nachherige Ratification des Berechtig-
ten Giltigkeit erlangen. Insbeſondere gilt dies von den ſ. g.
Sponſionen oder Verſprechungen, welche der Unterthan eines
Staates einem andern Staat ohne Autoriſation des Erſtern macht. 4
Hieraus kann weder für den ungehörig vertretenen Staat irgend
eine Verbindlichkeit entſtehen, noch auch für den Spondirenden
ſelbſt, wofern er nicht ganz beſtimmt für ſeine Perſon übernommen
hat, die Genehmigung oder Vollziehung der Sponſion zu bewir-
[152]Erſtes Buch. §. 85.
ken, in welchem Fall er für das Intereſſe haftet; 1 auch muß im
Zuſtand des Friedens der ungehörig vertretene Staat die Vortheile
wieder herausgeben, welche ihm durch die Sponſion bereits zuge-
floſſen ſind. Alles Uebrige iſt den Geſetzen der Ehre und Staats-
klugheit namentlich im Kriege anheimgegeben. — Eine ſtillſchwei-
gende Vollmacht kann nur denjenigen Staatsdienern zugeſchrieben
werden, welche vermöge ihres Amtes gewiſſe Zwecke nach eigenem
Ermeſſen zu verfolgen haben, wobei ſie mit auswärtigen Mächten
in Berührung kommen, jedoch verſteht ſich von ſelbſt, lediglich
zu Abſchließung von Verträgen über ſolche Gegenſtände, welche
zur Dispoſition des Staatsdieners vermöge ſeines Amtes geſtellt
ſind, ſo daß jede weiter gehende Verfügung einer Ratification der
Staatsgewalt bedarf, außerdem aber hinfällig wird. Anwendung
von dieſen Grundſätzen wird beſonders im Kriegsrecht gemacht
werden.
c.Willensfreiheit.
85. Eine dritte weſentliche Vorausſetzung giltiger Verträge iſt
Freiheit des Willens der Contrahenten und ſomit Abweſenheit ſol-
cher Zuſtände, wodurch jene aufgehoben wird. Irrthum, Hinter-
liſt und Zwang haben demnach denſelben Einfluß auf den Rechts-
beſtand der Verträge, wie derſelbe ſchon längſt in allen Privatrech-
ten feſtgeſtellt iſt. Als wahres Hinderniß der Willensfreiheit kann
inzwiſchen nicht jede Art von preßhaften Zuſtänden gelten, welche
die Wahl eines Entſchluſſes nur erſchweren, vielmehr iſt ein Zwang
erforderlich, wodurch ſelbſt ein kräftiger beharrlicher Muth erſchüt-
tert werden kann, welches allemal der Fall ſein wird, wo Gefahr
für die phyſiſche oder moraliſche Exiſtenz eintritt, mithin die Pflicht
der Selbſterhaltung ein Nachgeben gebietet, und nicht etwa das
Beſtehen der Gefahr durch höhere Pflichten geboten wird. Für
einen Staat wird eine ſolche Gefahr vorhanden ſein, wenn ſeine
eigene Exiſtenz als ſelbſtändiger Staat auf dem Spiele ſteht; für
den Souverän oder Unterhändler, wenn ſein Leben, ſeine Geſund-
heit, Ehre oder Freiheit ernſtlich bedroht wird, und die Ausfüh-
rung der Drohung wirklich in der Macht des Drohenden ſteht.
Nur kann ein ſchon vorhandener rechtmäßiger Zuſtand des Zwan-
[153]§. 86. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ges oder der Unfreiheit den zur Beſeitigung deſſelben geſchloſſenen
Vertrag nicht vitiiren, z. B. eine rechtmäßige Kriegsgefangenſchaft
oder die bereits erfolgte Eroberung eines ganzen Staates, wovon
der Vertrag eine Befreiung gewähren ſoll. 1
Entſtehung der Verträge.
86. Zu jedem Vertrag gehört ſeinem Weſen nach alſo auch
völkerrechtlich zunächſt eine Willenseinigung durch Promiſſion und
Acceptation mit deutlicher Erklärung deſſen, wozu der Eine dem
Andern gebunden und dieſem ein beſtimmtes Recht auf Erfüllung
gegen Jenen gegeben ſein ſoll. Bloß einſeitige Verſprechungen
(Pollicitationen) geben daher vor erfolgter Annahme dem andern
Theil noch kein Forderungsrecht, ſelbſt wenn mit ihrer Erfüllung
bereits der Anfang gemacht wäre, ſofern nicht in der Annahme
der Erfüllung einer Acceptation des Ganzen zu erkennen iſt; fer-
ner ſelbſt dann nicht, wenn ſie in Form religiöſer Gelübde (vota)
gegeben oder durch Eid bekräftigt wären. 2 Eben ſo wenig iſt
ſchon ein Vertrag verhanden, ſo lange nur ſ. g. Tractaten Statt
gefunden haben, d. h. vorläufige Verabredungen über einen dem-
nächſt abzuſchließenden Vertrag, auch wenn man bereits über ein-
zelne Puncte einverſtanden iſt, die jedoch nur Theile des Ganzen
ſein ſollen, ſo lange nicht die beſtimmte Abſicht gegenſeitig erklärt
iſt, ſich durch das ſchon Vereinbarte gebunden halten zu wollen,
wie der Fall ſein kann bei ſ. g. pactis de contrahendo, welche
bereits Alles zum Geſchäft gehörige enthalten und nur noch den
vollſtändigeren formellen Ausdruck des Vertragswillens vorbe-
halten. 3
In keinem Fall wird man die bloße Beruhigung eines Thei-
les bei Handlungen des Andern ſchon als vertragsmäßige Ge-
nehmigung anſehen können. Sie zeigt höchſtens die Geneigtheit
dazu nicht aber ſofort die beſtimmte Abſicht, ein Recht aufgeben
oder dem andern zugeſtehen zu wollen. Dagegen läßt ſich von
[154]Erſtes Buch. §. 87.
präſumirten Conventionen reden, wenn im Völkerverkehr
ein Theil nach einer gewiſſen Regel verfährt, lediglich in der Vor-
ausſetzung, daß der andere Theil nach derſelben Regel oder nach
Analogie derſelben verfahren werde, letzterer auch die Anwendung
der Regel im Bewußtſein von jener Vorausſetzung geſchehen läßt.
Es beruhet hierauf im Allgemeinen das Cerimonialrecht der Staa-
ten obligatoriſch alſo auch nur, ſo lange die Vorausſetzung der
gegenſeitigen gleichartigen Handlungsweiſe beſteht. Das Völker-
recht im Ganzen hat man darauf zu gründen keine Urſache, wenn
ſich jede Nation wie der Einzelne ſchon an das Geſetz des ſittli-
chen Willens gebunden hält.
Eine andere Bewandniß hat es mit ſtillſchweigenden Ver-
trägen oder Vertragsbeſtimmungen, welche in einem ſchon beſte-
henden Vertragsverhältniß als nothwendige Vorausſetzungen oder
Folgen mitenthalten ſind, wovon weiterhin bei den Wirkungen der
Verträge mitzuhandeln iſt. 1
Subſtanzielle Form.
87. Eine beſtimmte äußere Form der Willenserklärung iſt bei
völkerrechtlichen Verträgen nicht weſentlich zur Perfection, vielmehr
iſt dieſe als vorhanden anzunehmen, ſobald ein Theil eine beſtimmte
Zuſage gemacht hat, mit dem Willen, ſich durch die Acceptation
des andern gebunden zu halten und ſobald dieſe Acceptation eben
ſo beſtimmt erfolgt iſt. 2 Vorſicht und Herkommen bringt aller-
dings ſchriftliche Abfaſſung mit ſich; ſie iſt insbeſondere eine na-
[155]§. 87. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
türliche Vorausſetzung bei Verträgen, welche durch Bevollmächtigte
geſchloſſen werden; dennoch würde ſich keine Nichtigkeit des Ver-
trags behaupten laſſen, wenn nichtsdeſtoweniger von den Staats-
gewalten eine andere Form der Abſchließung beliebt worden wäre. 1
In demſelben Fall der Abſchließung durch Bevollmächtigte iſt auch
unter den Staatsgewalten ſogar ohne ausdrücklichen Vorbehalt
die gegenſeitige Ratification des abgeſchloſſenen Vertrags und
die Auswechſelung derſelben für die Bündigkeit des Vertrages her-
gebracht. 2 Sie iſt die Beglaubigung, daß der Bevollmächtigte die
Grenzen ſeines Auftrags nicht überſchritten hat, worüber es an
einem beſondern Richterſtuhl fehlt; ſie ſuspendirt daher auch nur
die Execution des geſchloſſenen Vertrags, und ihre Ertheilung ſetzt
ihn rückwärts in volle Kraft, ſofern nicht Anderes verabredet iſt. 3
Moraliſch kann ſie freilich nicht verweigert werden, wenn der Ver-
trag der dem andern Theile vorgezeigten ausdrücklichen Vollmacht
entſpricht; allein ein Zwangsrecht iſt dem Herkommen nach nicht
anzunehmen, auch wenn ſchon ein Theil ſeine Ratification erklärt
hat. 4 Die grundloſe Verweigerung iſt nur eine Incorrectheit,
[156]Erſtes Buch. §. 88.
welche das Vertrauen des andern Theiles verletzt und eine Mißſtim-
mung deſſelben rechtfertigt, ſo wie unter Umſtänden eine Entſchä-
digungsforderung für die im Vertrauen auf den Umfang der Voll-
macht getroffenen Maaßregeln und für den gemachten vergeblichen
Aufwand. Unentbehrlich iſt die Ratification wenn ſie ausdrücklich
vorbehalten iſt, oder eine Sponſion (§. 84.) Rechtsverbindlichkeit
für den Betheiligten erlangen ſoll, obwohl auch in dieſen Fällen
der Anfangspunct der Giltigkeit in den Zeitpunct der Abſchließung
zu verſetzen iſt, ſobald die Ratification wirklich erfolgt. Endlich
giebt bei bloß impliciten Vollmachten (§. 84 a. E.) die Ratification
des Vertretenen erſt die volle Gewißheit über den Umfang der er-
theilten Berechtigung. Gewiß kann ſie aber auch in allen Fällen
durch concludirte Handlungen, namentlich durch ſtillſchweigende
Vollziehung der getroffenen Vereinbarung erklärt werden. 1
Mitwirkung Dritter bei der Vertragsſchließung.
88. Zu den Zufälligkeiten bei der Abſchließung völkerrechtlicher
Verträge gehört
- 1) die gütliche Verwendung (bona officia) einer dritten
Perſon oder Macht, es ſei nun bloß zur erſten Einleitung
der Unterhandlung unter den eigentlichen Intereſſenten oder
zu ihrer Wiederaufnahme, wenn ſie in Stocken gerathen ſind,
was ſowohl aus freiem Antrieb, wie auch auf Anſuchen
oder vermöge vertragsmäßiger Verpflichtung geſchehen kann
(§. 83.), wodurch indeß kein beſonderes Rechtsverhältniß
hervorgerufen wird, es müßte denn für eine beſtimmte Raths-
ertheilung (consilium) eine Verantwortlichkeit ausdrücklich
übernommen worden ſein. - 2) die eigentliche Vermittlung (mediatio), wenn ein
Dritter mit Genehmigung der Intereſſenten an den Verhand-
lungen fortgeſetzten Antheil bis zu Ende nimmt und die ge-
4
[157]§. 88. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
genſeitigen Erklärungen nur in ſeinem Beiſein gemacht wer-
den oder durch ſeine Hände gehen. 1 Von ſelbſt kann ſich
Niemand zum Vermittler aufdringen; wird er aber ange-
genommen, ſo iſt es an ihm, billige Vorſchläge zu thun oder
die von einer Partei gemachten mit ſeinem Gutachten zu be-
gleiten, oder unbillige Vorſchläge ſofort zurückzuweiſen. Ge-
walt darf er nicht anwenden; eine ſ. g. bewaffnete Vermitt-
lung widerſpricht dem freien Vertragsrecht, ſie iſt die Eröff-
nung eines Kriegszuſtandes. 2 Sein Amt erliſcht mit dem
Abſchluß des Vertrages, ohne daß er deſſen Gewährleiſtung
(§. 97.) zu übernehmen von ſelbſt berechtigt oder verpflich-
tet iſt; desgleichen mit dem gänzlichen Abbruch der Verhand-
lungen von Seiten eines Hauptintereſſenten.
Zu einem bereits abgeſchloſſenen Vertrag kann überdies noch
hinzukommen der Beitritt eines dritten Intereſſenten durch aus-
drückliche Acceſſionserklärung, 3 entweder auf vorausgegangene Ein-
ladung der Hauptparteien oder ohne ſolche. Die einzelnen Arten
davon ſind:
- a) Beitritt als Hauptpartei, inſofern der Vertrag für den Drit-
ten Stipulationen enthält oder Veränderungen in ſeinen
Rechtsverhältniſſen bezweckt. Hierdurch wird der Dritte un-
mittelbarer Vertragstheilhaber. - b) Beitritt zur Genehmhaltung derjenigen Beſtimmungen, welche
dem Dritten nachtheilig ſein könnten, wodurch insbeſondere
auf die etwanigen Einwendungen dagegen verzichtet wird. - c) Ein cerimonieller Beitritt aus Höflichkeit, inſofern dadurch
dem Vertrage bloß eine gewiſſe Feierlichkeit oder ein Zeug-
niß ſeines Beſtandes gegeben werden ſoll, was beſonders
dann der Fall iſt, wo man ihn durch eine höhere dritte Per-
ſon, oder welcher man eine gewiſſe Pietät ſchuldig iſt, be-
ſtätigen läßt. Hieraus entſteht ſchlechterdings keine Verbind-
[158]Erſtes Buch. §§. 89. 90.
lichkeit für den Dritten; nur kann er ſich nicht auf Unwiſ-
ſenheit über den Inhalt des Vertrages berufen.
Modalitäten der Verträge.
89. Der Inhalt völkerrechtlicher Verträge kann in gleicher Weiſe,
wie bei Privatverträgen, von möglichen Bedingungen, Zeit- und
Zweckbeſtimmungen abhängig gemacht werden. Mit Hinſicht auf
größere oder geringere Bedeutung einzelner Verträge laſſen ſich dem-
nächſt Präliminar- und Definitivverträge unterſcheiden, von welchen
die Erſteren meiſt nur pacta de contrahendo ſind oder einen pro-
viſoriſchen Zuſtand feſtſetzen; 1 die letzteren dagegen zerfallen wie-
der in Haupt- und Nebenverträge, wovon dieſe öfter unter andern
Intereſſenten geſchloſſen ſein können als jene. Bei der Redaction
der ſchriftlichen Verträge pflegt die Artikelform beobachtet zu wer-
den, wobei man ebenfalls Haupt- und Nebenartikel unterſcheiden
kann, auch werden dem Tenor des eigentlichen Vertrags häufig
noch Zuſätze, desgleichen Separatartikel beigefügt, bald offen, bald
insgeheim, wiewohl dieſes Alles ohne Einfluß auf die Giltigkeit
der einzelnen Stipulationen iſt.
Specielle Gegenſtände und Arten der Verträge.
90. Ihrem Gegenſtande nach haben die dem Völkerrecht un-
terworfenen Verträge entweder nur beſtimmte Leiſtungen einer Sache
oder eines Rechts, ſo wie die Feſtſtellung eines ſolchen zum Zweck;
oder ſie gehen auf die Gründung eines dauernden Geſellſchaftsver-
hältniſſes hinaus; natürlich können aber auch beiderlei Zwecke in
der Form Eines Vertrages, es ſei nun in weſentlicher oder außer-
weſentlicher Verbindung mit Einander verknüpft werden. 2
Zu dem Erſten Geſchlecht gehören jene zahlloſen Verträge
der Staaten oder Souveräne über politiſche Intereſſen, wodurch
von Einem Theile dem Andern ein gewiſſes einzelnes Recht auf
[159]§. 90. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ähnliche Weiſe, wie im privatrechtlichen Verkehr, ſei es einſeitig
oder gegenſeitig, mit oder ohne entſprechendem Aequivalent bewil-
ligt, oder ein ſchon beſtehendes Rechtsverhältniß der Art beſtätigt,
genauer beſtimmt oder aufgelöſet wird; vornehmlich
Abtretungs- und Verzichtsverträge mittelſt Kaufs, Tauſches
oder ſchenkungsweiſe vollzogen;
Grenzverträge;
Theilungsverträge;
Schuldverträge;
Beſtellung von Staatsdienſtbarkeiten;
Lehnsverträge, ſoweit nicht dabei ein ius curiae eingreift;
Erbverträge und dergleichen.
Bei allen dieſen dürfen im Weſentlichen wohl dieſelben Grund-
ſätze in Anwendung gebracht werden, welche ſich, zumeiſt auf der
Grundlage des Römiſchen Rechts, in dem Rechtsſyſtem aller civi-
liſirten chriſtlichen Europäiſchen Staaten gleichförmig entwickelt
und behauptet haben, jedoch freilich mit Abſonderung aller der-
jenigen Grundſätze, welche dem Privatrecht durch das innere Staats-
intereſſe eingepflanzt ſind und z. B. die Formen der Rechtsgeſchäfte
betreffen, oder wodurch mit Hinſicht auf die Moralität der Indi-
viduen gewiſſe Geſchäfte ganz verboten ſind. 1 So iſt denn ins-
beſondere bei denjenigen Verträgen, wodurch ein Theil dem andern eine
Sache oder ein Recht gegen ein beſtimmtes Aequivalent abtritt,
auch eine Evictionsverpflichtung gegen Anſprüche Dritter und eine
Vertretung der Mängel, deren Abweſenheit bei dem Vertrage Vor-
ausſetzung war, begründet 2 nicht aber ein Widerruf des Vertrags,
wenn höhere Gewalt und Zufall den Verluſt oder die Mängel erſt
nachmals herbeigeführt haben. 3
Eine genauere Erörterung, wie ſich in allen ſolchen Vertrags-
verhältniſſen das Völkerrecht zum Privatrecht der Einzelſtaaten ver-
[160]Erſtes Buch. §. 91.
halte, erſcheint theils wegen der heutigen größeren Seltenheit von
völkerrechtlichen Acten der obigen Art, theils wegen der Vorſicht,
womit ſie in den Verträgen ſelbſt behandelt werden, unnöthig.
Geſellſchaftsverträge.
91. Von meiſt größerer Bedeutung ſind die Geſellſchaftsver-
träge der Staaten und Souveräne, wodurch eine bleibende Ver-
bindung unter ihnen zu beſtimmten Zwecken gegründet wird, weit
über die Zwecke bloßer Privatgeſellſchaften hinausgehend. Das
Völkerrecht der alten Welt unterſchied hier amicitia, hospitium,
foedus.1 In der neueren Staatenpraxis laſſen ſich unterſcheiden 2
Freundſchafts-Bündniſſe (alliances) in der weitern
Bedeutung des Wortes, wodurch das politiſche Verhalten
mehrerer Staaten und Souveräne entweder unter ſich oder
gegen andere Staaten, ſei es in gegenſeitigem oder einſeitigem
Intereſſe, mit gleichen oder ungleichen Mitteln, allgemein oder
nur auf gewiſſe Fälle beſtimmt wird,
und
Conföderationen oder eigentliche Geſellſchaftsverträge,
welche die fortgeſetzte Erreichung eines oder mehrerer ge-
meinſamer Zwecke mit gemeinſamen bleibenden Anſtalten
zum Zweck haben.
Von beiden Arten iſt nachſtehend zu handeln. Nichtig würde
nur derjenige Geſellſchaftsvertrag ſein, wo Ein Theil allen Vor-
theil, der Andere alle Laſt ohne den mindeſten Vortheil nach der
Natur der übernommenen Verbindlichkeit und nicht bloß durch zu-
fällige Umſtände hätte. Denn dieſes wäre eine Löwengeſellſchaft
und der Natur eines ſocialen Verhältniſſes ganz zuwider; es müßte
denn bei deutlicher Vorausſicht einer ſolchen ungleichen Stellung
mit dem ſchenkungsweiſen Vertrage, von dem andern Theile keinen
Beitrag zu den Laſten zu fordern eingegangen ſein. 3
[161]§. 92. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
a.Freundſchaftsbündniſſe oder Alliancen.
92. Zu den Freundſchaftsbündniſſen oder Alliancen im weitern
Umfang dürfen wir rechnen:
- I. Verträge, welche lediglich ein friedliches und freundſchaftli-
ches Verhalten gegen Einander zum Zweck haben und eine
gegenſeitige Dikäodoſie nach den Grundſätzen des Völkerrechts
ausdrücklich oder ſtillſchweigend mit ſich führen.
So ſchloß man in der älteren Zeit eigene Verträge, ſich gegenſeitig
nicht zu beleidigen und für etwanige Verletzungen Genugthuung
zu geben; 1 aus der neueren Praxis laſſen ſich dahin die Aner-
kennungsverträge rechnen, wodurch man neue oder veränderte
Staatsgeſtaltungen und Titel als rechtgiltige annimmt und für die
Zukunft im gegenſeitigen Verhalten als Norm gelten läßt. Bei-
ſpiele von umfaſſenderer Art und eigenthümlichen Inhalt ſind die
bereits S. 9. angeführte h. Alliance 2 und die Aachener Congreßer-
klärung von 1818.
- II. Verträge, wodurch man ſich einen beſtimmten Verkehr oder
gewiſſe Begünſtigungen dabei, oder Gemeinſamkeit gewiſſer
Rechte einräumt.
11
[162]Erſtes Buch. §. 92.
Von dieſer Art waren in der alten Welt ſchon die Zugeſtändniſſe
des Bürgerthums und Connubiums unter befreundeten Völkern, 1
ſodann in alter wie in neuerer Zeit die Handels- und Schif-
fahrtsverträge der Nationen, 2 welche ſich ſogar auf den Fall
einer gegenſeitigen Bekriegung zuweilen ausdehnen und während
dem giltig bleiben können; desgleichen Münz-, Maaß- und Ge-
wichtsconventionen, wodurch man ſich über ein gemeinſames Sy-
ſtem zur Erleichterung des Nationalverkehrs verſtändigt, und der-
gleichen.
- III. Bündniſſe oder Alliancen wegen eines gewiſſen politiſchen
Verhaltens gegen Dritte. 3 Sie können eingegangen werden- zur Erhaltung eines Friedensſtandes gegen Dritte oder
unter denſelben, letzteres, wo das Recht der Interven-
tion begründet wäre; - zur Erhaltung der Neutralität in Beziehung auf eintre-
tende Kriegszuſtände; - zur Bewachung einer gewiſſen Grenze (Barrière-Ver-
träge); - zur Abwehr ungerechter Angriffe (Defenſiv-Alliancen);
- zur Durchſetzung gerechter Anſprüche im Wege des
Krieges (Offenſiv-Alliancen).
- zur Erhaltung eines Friedensſtandes gegen Dritte oder
Die Verpflichtung iſt entweder eine gegenſeitige oder nur einſeitige,
ferner eine dem Maaß nach gleiche oder ungleiche, ohne daß davon
die Giltigkeit des Vertrags weſentlich abhängig iſt (§. 83. a. E.); ſie
beſteht jedoch bloß für den deutlich erklärten casus foederis, der ſich
bald nur auf eine gewiſſe Begebenheit oder Gefahr erſtreckt, bald
aber eine Allgemeinheit von Fällen begreifen kann. 4 Gewinn und
[163]§. 92. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Verluſt theilen ſich zwar, wenn ein Anderes nicht ausgemacht wor-
den, nach dem Verhältniß der für den Zweck anzuwendenden Lei-
ſtungen; 1 wenn jedoch der Zweck der Verbindung nur ein be-
ſtimmter Vortheil des einen oder anderen Theiles iſt, ſo fällt ihm
auch der Vortheil oder der dabei eintretende Nachtheil allein zu;
lediglich die Vortheile welche nebenbei errungen worden ſind, ge-
hören dann bei gemeinſchaftlichem Handeln den Verbündeten ver-
hältnißmäßig an; bei einſeitigem Handeln dem Einzelnen allein,
ſo wie jeden auch ohne ausdrückliche Beſtimmung ein erlittener
Zufall allein trifft. 2
- IV. Verträge, welche die Aufrechthaltung eines gewiſſen Rechts-
oder Beſitzſtandes zum Zweck haben.
Hierunter gehört zuförderſt ein freier Schutzvertrag, wodurch
ſich ein Staat der ſchützenden Macht eines Andern unterwirft, mit
der bereits §. 22. dargelegten Bedeutung; ſodann
der für ſich beſtehende Garantievertrag, wodurch ſich ein
Theil gegen den Anderen für die Erhaltung oder Erlangung gewiſ-
ſer Sachen oder Rechte, ja des ganzen Inbegriffs deſſelben ver-
pflichtet, 3 was weſentlich die Bedeutung hat, daß der Spondent
die ihm zu Gebot ſtehenden Mittel auf Anruf des Stipulators an-
wenden muß, um demſelben die verſicherten Rechte gegen unrecht-
mäßige Anfechtungen und Angriffe zu erhalten oder gegen derar-
tigen Widerſpruch durchzuſetzen. Nicht aber iſt er im Fall einer
dennoch eintretenden Entziehung für den Schaden zu haften ver-
bunden, 4 es müßte denn zugleich eine Evictionspflicht (§. 90.)
begründet ſein. 5
Schließlich bedarf es kaum einer Bemerkung, daß ein Vertrag
mehreren der vorſtehenden Categorien zugleich angehören kann,
4
11*
[164]Erſtes Buch. §. 93.
wovon unter Andern der Bourboniſche Familienvertrag vom 15.
Aug. 1761 ein merkwürdiges Beiſpiel gewährt. 1
b.Vereinsverträge oder Conföderationen.
93. Staatenvereinsverträge oder Conföderationen haben das
Eigene, daß ſie nicht etwa bloß die Sonderintereſſen einzelner
Staaten, ſondern ein Allen gemeinſames, freilich meiſt auch wie-
der in Sonderintereſſen aufzulöſendes, mit gemeinſamen bleiben-
den Anſtalten zum Zweck haben. Ihre Wirkſamkeit kann ſich
ſowohl auf ausländiſche wie auf inländiſche Angelegenheiten in
dem ganzen Umfang der ſittlichen und rechtlichen Intereſſen er-
ſtrecken; ihre Rechtmäßigkeit 2 beruhet auf der ſocialen Natur des
Menſchengeſchlechts, auf der Verpflichtung des Staates, das Wohl
der Einzelnen durch möglichſte Entwickelung und Vereinigung phy-
ſiſcher und ſittlicher Kräfte zu fördern. Es bedarf alſo auch zur
Giltigkeit ſolcher Vereine gar nicht erſt der Anerkennung anderer
Staaten, ſondern jene haben das Recht, mit den einzelnen bereits
anerkannten Staaten als deren Ausdehnung zu beſtehen, und ge-
meinſame Bevollmächtigte der verbündeten Staaten oder vereinigte
Erklärungen derſelben können von dritten Staaten ohne Rechts-
kränkung nicht zurückgewieſen oder als eines völkerrechtlichen Cha-
racters entbehrend behandelt werden.
Von einer ſolchen Beſchaffenheit iſt nun die Schließung eines
eigentlichen Staatenbundes in größerer oder engerer Ausdehnung
(§. 21.), ferner der deutſche Zollverein und jeder andere Verein,
der etwa zur Einführung eines gemeinſamen Handels- und Ge-
werbeſyſtems mit gemeinſamen Mitteln geſtiftet werden könnte.
Ihr Geſetz erhalten dergleichen Vereine zunächſt durch den aus-
drücklichen Willen der ſich vereinigenden Staatsgewalten; in deſſen
Ermangelung treten bei den ſchon beſtehenden Vereinen die allge-
meinen Grundſätze des Völkerrechts, insbeſondere die aus dem
oberſten Grundſatz der Gerechtigkeit, d. i. der Gleichheit und Aus-
gleichung des Ungleichen, herfließenden Regeln menſchlicher Geſell-
ſchaften in Anwendung. Es ſind vorzüglich dieſe:
Die Rechte und Pflichten der Vereinsglieder ſind einander
[165]§. 94. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
gleich; der Antheil eines jeden an den Vortheilen und Laſten des
Vereins muß ſich aber nach dem Maaße der Fonds und Kräfte
beſtimmen, womit er dem Verein beigetreten iſt.
Keine Veränderung in der Bundesverfaſſung kann gegen den
Widerſpruch auch nur Eines Bundesgliedes von der Mehrheit
durchgeſetzt werden; kein Bundesglied kann aber auch die Ausfüh-
rung der Vereinsgrundſätze auf dem verfaſſungsmäßigen Wege, ſo
lange der Verein beſteht, durch ſeinen Widerſpruch verhindern;
auch iſt es keine Verletzung der Vereinspflichten, wenn einzelne
Glieder für ſich eine Maaßregel in Ausführung bringen, welche
der Grundverfaſſung nicht widerſtreitet und keinem andern Ver-
einsgliede ſchadet. 1
Selbſt wo das Princip der Stimmenmehrheit entſcheidend iſt,
kann dennoch hierdurch keinem Einzelnen oder mehreren derſelben
eine Leiſtung auferlegt werden, die nicht ſchon in den grundverfaſ-
ſungsmäßigen Verpflichtungen enthalten iſt, und noch viel weniger
eine Beſtimmung getroffen werden, welche ſich auf die vom Verein
unabhängigen Rechtsverhältniſſe der Einzelnen bezieht, ohne freie
Zuſtimmung der Betheiligten. 2
Allgemeine Wirkungen der Verträge. 3
94. Alle Verträge verpflichten zur vollſtändigen redlichen Er-
füllung 4 deſſen, was dadurch zu leiſten übernommen worden, und
zwar nicht bloß desjenigen, was dadurch buchſtäblich verſprochen,
ſondern auch desjenigen, was dem Weſen eines jeden Vertrages,
ſo wie der übereinſtimmenden Abſicht der Contrahenten gemäß iſt
(dem ſ. g. Geiſt der Verträge). — Die Verpflichtung, welche der
dispoſitionsfähige Repräſentant für den Staat, ſelbſt in einem ge-
[166]Erſtes Buch. §. 94.
miſchten Vertrage (§. 82. a. E.) eingegangen, ruht auf dem ganzen
Staat (ſie iſt in rem) und dauert bis zur Erfüllung, ſo lange
als der Staat ſelbſt noch beſteht (§. 24.), wenn auch mit verän-
dertem Beſtande und mit veränderter Verfaſſung; mit Vorbehalt
der aus der Veränderung der Verhältniſſe ſich ergebenden Modifi-
cationen oder der gänzlichen Aufhebung bei völlig geänderten Um-
ſtänden (§. 98.). Verpflichtungen des Souveräns in Beziehung
auf ſeine Souveränetätsrechte eingegangen, werden, als den Staat
ſelbſt auch treffend, regelmäßig auf jeden Regierungsfolger über-
gehn; Privatverpflichtungen nur auf ſeine Privatnachfolger, ſofern
nicht in beiden Fällen nur ein rein perſönliches Factum verſpro-
chen ſeyn ſollte. 1 Staatenverträge (in rem) welche die Unter-
thanen und deren individuelle Verhältniſſe betreffen, haben, wenn
ſie überhaupt giltig eingegangen und publicirt ſind, die Natur der
Staatsgeſetze. 2
Nie kann ein völkerrechtlicher Vertrag Staaten oder Souve-
räne als die Repräſentanten und Traͤger des Rechts, zu einem
Unrecht gegen ewige Grundſätze des Rechts und der Sittlich-
keit, worin auch die religiöſen Intereſſen eingeſchloſſen ſind, ver-
pflichten. Bei der Vollziehung iſt Schonung und Billigkeit zu
beweiſen, ſo wie jeder von dem andern ſelbſt behandelt ſein wollte,
wenn ihm das Forderungsrecht zuſtände; es ſind daher auch
angemeſſene Friſten zu geſtatten, damit ſo wenig als möglich
der Verpflichtete im Nachtheil verſetzt wird oder in ſeinem Rechts-
beſtande eine Verminderung erleidet. Es darf auch der Verpflich-
tete bei ſolchen Leiſtungen, welche nicht ſchon ganz beſtimmt an
einen beſtimmten Zeitpunct unaufſchiebbar geknüpft ſind, vorerſt
die Aufforderung des Berechtigten erwarten, ehe er für die Nach-
[167]§. 95. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
theile des Verzuges zu haften hat, welche ſich auch im Völkerrecht
in das Intereſſe der rechtzeitigen Leiſtung auflöſen.
Welche Folgen die Nichterfüllung eines Vertrags haben könne,
lehrt das Actionenrecht (Buch II.).
Dritten Parteien kann ein Vertrag an ſich keinen Vortheil noch
Nachtheil bringen. Inſofern jedoch letzteres unmittelbar oder mit-
telbar und widerrechtlicher Weiſe der Fall ſein würde, können ſie
dagegen conſervatoriſche Maaßregeln ergreifen, vorläufig auch ſich
durch Proteſtationen verwahren. Indeſſen hindern dieſe an und
für ſich nicht die Giltigkeit und Vollziehung eines rechtmäßigen
Vertrages unter den Intereſſenten ſelbſt. 1
Auslegung der Verträge.
95. Die Auslegung der Verträge 2 muß im Fall des Zwei-
fels nach der erkennbaren gegenſeitigen Abſicht, dann aber
nach demjenigen geſchehen, was dem Einen Theil von dem Andern
nach den dabei gebrauchten Worten des letztern, bei redlicher und
verſtändiger Geſinnung vorausgeſetzt werden darf. So kann denn
vorab niemals als bewilligt gelten, worüber der fordernde Theil
ſich gar kein beſtimmtes Verſprechen hat ertheilen laſſen, 3 oder bei
unklarer Faſſung die dem Rechtsſtand des Promittenten, ſeinem und
ſeines Volkes Wohl nachtheiligere Deutung entſcheiden; iſt ein
Recht verſchiedener Abſtufungen fähig, ſo darf zunächſt nur die
geringſte Stufe als zugeſtanden angenommen werden; 4 iſt eine
Sache im Allgemeinen verſprochen (im genus), ſo muß im Zwei-
fel das gewöhnliche, insbeſondere eine mittlere Qualität gemeint
[168]Erſtes Buch. §. 96.
ſein. 1 Nur was nothwendig und untrennbar mit der ausdrück-
lich bewilligten Leiſtung verbunden iſt, darf als ſtillſchweigend
in dieſer mitenthalten gefordert werden. — Eine vollkommen ver-
bindliche Auslegung können nach internationalem Recht natürlich
nur die Intereſſenten ſich ſelbſt geben oder durch einen Schieds-
richter geben laſſen; alle Interpretationsregeln der Verträge dienen
außerdem bloß zur einſeitigen Unterſtützung von Anſprüchen oder
Einwendungen.
Verſtärkung der Vertragsverbindlichkeiten. 2
96. Zur Bekräftigung und Verſtärkung giltiger Vertragsver-
bindlichkeiten haben im internationalen Verkehr alter und neuerer
Zeit, außer den jetzt nicht mehr üblichen religiöſen Feierlichkeiten
bei Schließung der Verträge ſelbſt 3 und außer den Anerkennungs-
acten, wodurch dieſelben Contrahenten oder deren Nachfolger die
noch fortdauernde Giltigkeit eines Vertrages erklären, hauptſächlich
folgende Mittel gedient:
- I. Der Eid der Contrahenten oder eines einzelnen Promitten-
ten, wodurch einer übernommenen Verbindlichkeit zugleich
noch eine religiöſe Verpflichtung hinzugefügt werden ſoll. 4
Dieſe iſt jedoch an ſich nur etwas Subjectives, das Gewiſ-
ſen des Verſprechenden allein Bindendes, woraus dem Pro-
miſſar kein größeres Recht erwächſt, als was ihm ohnehin
ſchon zuſteht, und wodurch ihm kein Recht ertheilt wird,
wenn ihm ein ſolches überhaupt nicht zuſteht. Auch kann
[169]§. 96. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
auf dieſem Wege weder ein rechtlich unmögliches Rechtsver-
hältniß begründet noch das entgegenſtehende Recht eines Drit-
ten beſeitigt werden. - II. Die Beſtellung von Unterpfändern (§. 71.), gewöhnlich aber
nur mit wirklicher Beſitzeinräumung. 1 - III. Die Verpflichtung zu einer Conventionalſtrafe im Fall der
Nichterfüllung, ohne alle poſitive Beſchränkung. 2 - IV. Das in alten Zeiten übliche Einlager oder Einreiten des
Schuldners, jus obstagii.3 - V. Die Beſtellung von Privatbürgen für eine Geldſchuld. 4
- VI. Die Ueberlieferung von Geißeln, d. h. einzelner Perſonen,
welche der Gläubiger bis zu ſeiner völligen Befriedigung zu-
rückbehalten kann. Sie ſind entweder freiwillige oder von
einer rechtmäßigen Gewalt gezwungene Geißeln; ſie haften
nicht für die Schuld ſelbſt, ſondern der Gläubiger erhält nur
das Recht ihre körperliche Freiheit bis zu jenem Zeitpuncte
zu beſchränken; ſogar der eingetretene Verfalltermin der
Schuld giebt ihm nach geſittetem Völkerrecht keine größere
Befugniß gegen ihre Perſon. Für den Unterhalt müſſen frei-
willige Geißeln ſelbſt, für unfreiwillige der Schuldner ſorgen.
Entfliehen ſie, ſo kann der Gläubiger ihre Rücklieferung
von dem der ſie vertragsweiſe gegeben hat, oder einen Er-
ſatz für die verlorenen fordern. Der Tod einer Geißel bringt
aber die Verbindlichkeit zur Stellung eines Subſtituten nicht
von ſelbſt mit ſich. Iſt die Hauptverbindlichkeit getilgt, ſo
iſt eine weitere Zurückbehaltung der Geißeln, ausgenommen
wegen ihrer perſönlichen Handlungen und contrahirten Ver-
pflichtungen, nicht zuläſſig. 5 - VII. Die Beſtellung von Vertragsgewähren (§. 97.).
[170]Erſtes Buch. §. 97.
Garantieverträge. 1
97. Als ein beſonders wirkſames, obwohl der That nach im-
mer ſehr unſicheres Mittel hat man oft im internationalen Verkehr
die Stellung von Gewährsmännern für übernommene Verbindlich-
keiten benutzt. In der älteren Zeit ließ der Promittent Vaſal-
len oder Unterthanen als Gewähren (warrandi, garants, conser-
vatores pacis) dafür einſtehn und ſich verpflichten, daß dem Ver-
trage Folge gegeben werden ſolle; 2 in der neueren Zeit iſt die Ab-
ſchließung acceſſoriſcher Garantieverträge mit dritten Mächten üb-
licher geworden, wodurch dieſe die Verbindlichkeit übernehmen,
für die Aufrechthaltung eines geſchloſſenen Hauptvertrages ſowohl
unter den Contrahenten ſelbſt wie gegen die Eingriffe Anderer mit
den ihnen zu Gebot ſtehenden Mitteln thätig ſein zu wollen; eine
Anwendung des ſchon §. 92. IV. erwähnten Garantievertrages auf
das obligatoriſche Band, welches unter zweien oder mehreren
Hauptparteien beſteht.
Dergleichen Garantien können nicht aufgedrungen werden, ſon-
dern nur auf freiwilliger Annahme der Hauptintereſſenten beruhen. 3
Die Annahme muß eine beſtimmte ſein und von allen, unter
denen die Gewährſchaft gelten ſoll, zugeſtanden werden; ſie fließt
nicht von ſelbſt aus einem bloßen Acceſſionsvertrage ſo wenig wie
aus dem Amte des Vermittlers, 4 auch iſt bei einem unter mehr
als zwei Parteien geſchloſſenen Vertrage nicht etwa jeder Theilneh-
5
[171]§. 97. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
mer in Betreff der die Anderen individuell betreffenden Stipulatio-
nen als Gewährsmann zu betrachten, 1 wenn nicht auch dieſes
verabredet worden. 2
Die Uebernahme der Gewährſchaft geſchieht entweder bei der
Schließung des Hauptvertrages ſelbſt oder in einem acceſſoriſchen
Vertrage oder durch Abgabe der dem Dritten vorbehaltenen Garan-
tieerklärung. Sie iſt entweder eine allgemeine, ſämmtliche Ver-
tragsverbindlichkeiten umfaſſende, oder eine ſpecielle für gewiſſe
Stipulationen; und geht bald auf die ganze Dauer der Haupt-
verbindlichkeit, bald nur auf eine beſtimmte Zeitdauer.
Die Wirkung der acceſſoriſchen Garantie beſteht im Weſent-
lichen darin, daß der Gewähre, wenn er dazu von einem der
Hauptintereſſenten aufgefordert wird 3 und der Fall der Garantie
wirklich vorhanden iſt, dem Vertrage diejenige Wirkſamkeit zu ver-
ſchaffen bemüht ſein muß, welche ihm nach völkerrechtlichen Grund-
ſätzen zukommt. Unaufgefordert darf er ſich nicht einmiſchen; auch
darf er dem Vertrage keine andere Auslegung und Bedeutung ge-
ben, als worüber die Hauptparteien einig ſind, und wenn ſie dies
nicht ſind, wenigſtens in keinem andern Sinn, als welchen der
ihn allein anrufende Theil damit verbunden haben will. Iſt der
Gewährsmann hierüber anderer Meinung, ſo muß er ſeinen Bei-
ſtand verſagen. Wird er von beiden Theilen angerufen, ſo hat er
das Recht der Auslegung, nur nicht über die beiderſeitige, wenn
auch verſchiedene Auffaſſung hinaus.
Eine Abänderung des Vertrages, ſo wie eine Entlaſſung des
Gewähren vor ſeiner Verbindlichkeit durch Einverſtändiß der
Hauptparteien kann er niemals verhindern, wenn er nicht ſelbſt
auch als ein Intereſſent an dem Hauptvertrage Theil genommen
hat oder darin begriffen iſt. Eben ſo wenig wird der Gewähre
eines Vertrags, worin ein anderer früherer Vertrag als noch fort-
dauernd unter den Hauptparteien anerkannt und beſtätigt wird,
ſofort der Gewähre dieſes früheren Vertrages in ſeinen einzelnen
[172]Erſtes Buch. § 98.
Beſtimmungen, ſondern er wird es im Weſentlichen nur für die
Giltigkeit der Anerkennung, wenn nicht ein Mehreres unter den
Vertragſchließenden beabſicht worden iſt. 1
Anfechtung der Verträge und Beſeitigung der Einreden. 2
98. Ein Vertrag kann nach Völkerrecht als nichtig angefoch-
ten werden, wenn ihm die ſchon oben §. 83. u. f. angezeigten
weſentlichen Vorausſetzungen und Erforderniſſe abgehen; insbe-
ſondere
- wegen einer abſoluten, oder doch beiden Theilen bekannten re-
lativen Unmöglichkeit der eingegangenen Verpflichtung zur Zeit
ihrer Entſtehung; - wegen eines thatſächlichen Irrthumes, wodurch ein wirkliches
Einverſtändniß unter den Contrahenten unmöglich gemacht war,
ſo daß entweder eine Verwechſelung hinſichts der Natur des
Geſchäfts oder hinſichts der Perſon eines Contrahenten oder hin-
ſichts des Gegenſtandes Statt gefunden hat. 3
In Fällen ſolcher Art exiſtirt ganz eigentlich gar kein Vertrag.
Eine einſeitige Anfechtung iſt überdem zuläſſig
- wegen mangelnder Dispoſitionsfähigkeit;
- wegen eines rechtswidrigen, perſönlichen, irgendwoher ausge-
übten, zur Eingehung des Vertrages beſtimmenden Zwanges; 4 - wegen eines von dem andern Contrahenten verübten, zur Ab-
ſchließung des Vertrages beſtimmenden Betruges;
[173]§. 98. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
jedoch nur von Seiten desjenigen Theiles, in deſſen Perſon der
Mangel eines freien Conſenſes Statt fand.
Nicht minder kann ſich der Promittent der übernommenen Ver-
bindlichkeit entziehen:
- wegen einer erſt ſpäter eingetretenen aber noch andauernden,
obwohl nur relativen, ihn betreffenden Unmöglichkeit der Erfül-
lung,
insbeſondere wegen eines Conflicts mit Pflichten gegen ſich ſelbſt,
mit den Rechten und dem Wohle des Volkes, oder mit den
Rechten Dritter, wenn z. B. das frühere ſchon zur Zeit des Ver-
trages vorhandene Recht eines Dritten verletzt werden würde; ob-
gleich hier der Promittent, welchem die Unmöglichkeit bereits zur
Zeit des Vertrages bekannt war, für das Intereſſe haftet; 1 ferner:
- wegen einer Veränderung derjenigen Umſtände, welche zur
Zeit des geſchloſſenen Vertrages ſchon vorhanden oder vorher-
zuſehen, und nach der erkennbaren Abſicht des Verpflichteten die
ſtillſchweigende Bedingung des Vertrages waren. 2
Als eine ſolche Veränderung iſt diejenige zu betrachten, wobei der
Verpflichtete ſeine bisherige politiſche Stellung nicht behaupten
könnte und ſich namentlich in eine Ungleichheit gegen andere Staa-
ten verſetzen würde, die zur Zeit des Vertrages nicht exiſtirte, auch
nicht beabſichtigt war; 3 ferner wenn ein gewiſſes Ereigniß oder
Verhältniß das Motiv des eingegangenen Vertrages war, ſelbiges
aber entweder gar nicht eingetreten iſt oder wieder aufgehört hat,
z. B. eine Familienverbindung als Veranlaſſung einer Staatenal-
liance, wo jene die ſtillſchweigende Bedingung der letztern war.
Steht die Unmöglichkeit der Erfüllung oder die eingetretene Ver-
änderung der Umſtände nur einem Theile der übernommenen Ver-
tragsverpflichtungen entgegen, ſo kann auch nur eine Modification
[174]Erſtes Buch. §. 99.
derſelben, nicht die Auflöſung des ganzen Vertrages gefordert
werden. 1
Unbedenklich iſt endlich, daß, wenn Ein Contrahent die Erfül-
lung des Vertrages beſtimmt verweigert, und nicht bloß ein Grund,
wie vorſtehend, zu einer Vertragsmodification vorliegt, auch der
andere Theil ſich davon ſchlechthin losſagen kann, ſollte gleich die
Verweigerung der Erfüllung ſich nur auf einen vereinzelten Punct
oder Artikel des Vertrages beziehen. Denn die Grundlage jeder
Vertragsverbindlichkeit iſt vollkommene Willenseinheit über Alles,
worüber man ſich erklärt hat, deren Verletzung in Einem Stücke
auch eine Verletzung der übrigen befürchten läßt und einen Zuſtand
der Ungleichheit mit ſich führt. 2
Alle vorſtehend bemerkten Einreden können übrigens beſeitigt
werden theils durch vorherigen Verzicht, theils durch ausdrückliche
oder ſtillſchweigende Beſtätigung des an ſich möglichen Vertrages,
insbeſondere durch Vollziehung deſſelben, nachdem das Hinderniß
der Giltigkeit gehoben iſt.
Erlöſchung der Vertragsverbindlichkeiten. 3
99. Vertragsverbindlichkeiten erlöſchen von Rechtswegen
- durch die wirkliche Erfüllung, wenn ſie nur auf gewiſſe ein-
mal zu vollziehende nicht fortdauernde Leiſtungen gehen; 4
[175]§. 99. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
- durch Eintritt einer Reſolutivbedingung und durch Ablauf der
vorbeſtimmten Zeit; - durch einſeitige gehörig bekannt gemachte Aufkündigung, wenn
ſolche vorbehalten war; - durch einen gehörig erklärten Verzicht des allein Berechtigten; 1
- durch wechſelſeitige Aufhebung eines Bilateralvertrages, welche
ſelbſt kein Dritter zu hindern vermag; 2 - durch gänzlichen Untergang des Gegenſtandes, worüber con-
trahirt war, ſofern dabei keinem Theil ein Verſchulden zur Laſt
fällt; - durch Erlöſchen des berechtigten oder verpflichteten Subjects,
ohne daß ein anderes von Rechtswegen oder nach Vertragsana-
logie an deſſen Stelle tritt. 3
Endlich entſteht, wenn auch nicht immer eine völlige Aufhebung,
doch Suspenſion von Vertragsverbindlichkeiten durch den Eintritt
eines allgemeinen nicht bloß partiellen Kriegszuſtandes unter den
Contrahenten, ohne daß der Vertrag ausdrücklich auch für die
Dauer des erſteren geſchloſſen iſt; eine Conſequenz, die ſich aus der
näheren Betrachtung der rechtlichen Bedeutung des Krieges im fol-
genden Buche rechtfertigen wird. 4
Jeder an ſich erloſchene Vertrag kann übrigens durch eine aus-
drückliche oder ſtillſchweigende Erneuerung 5 wieder ins Leben ge-
rufen werden; nur die Erneuerung ſelbſt aber wird hier das Ge-
ſetz für die Zukunft und iſt daher an die Vorausſetzungen und
Bedingungen giltiger Verträge allenthalben gebunden. Eine ſtill-
ſchweigende Erneuerung muß demnach auch vollkommen erkennbare
und unzweideutige Merkmale für ſich haben, woraus die Abſicht
4
[176]Erſtes Buch. §. 100.
der Parteien hervorgeht, den früheren Vertrag überhaupt und in
allen ſeinen Beſtimmungen fortleben zu laſſen. Sonſt wird eine
fortgeſetzte Leiſtung und Annahme deſſen, was aus dem früheren
Vertrage gefordert werden konnte, nur wie ein einzelnes für ſich
beſtehendes Factum zu betrachten ſein.
Zweite Unterabtheilung.
Verbindlichkeiten ohne Vertrag.
A. Aus erlaubten Thatſachen.
100. Ohne Vertrag, aber nach Art der Vertragsverbindlich-
keiten (quasi ex contractu) entſtehen 1 in ähnlicher Weiſe wie
nach Civilrecht, ſo auch nach öffentlichem Recht vertragsartige
Wirkungen aus folgenden erlaubten Handlungen und Verhältniſſen:
- I. Mit nur einſeitiger Verpflichtung zur Erſtattung:
- a. aus der freiwilligen Annahme einer Zahlung oder Lei-
ſtung zu einem beſtimmten rechtlichen Zweck, deſſen Exi-
ſtenz jedoch entweder eine irrthümliche auf Seiten des
Leiſtenden war, oder deſſen Erreichung demnächſt un-
terblieben iſt, überhaupt in den Fällen der civilrechtli-
chen Condictio sine causa und deren Unterarten; 2 - b. aus jeder Handlung, welche dem Vermögen eines An-
deren einen noch vorhandenen Vortheil gewährt hat,
ohne daß demſelben ein Recht darauf zuſtand und die
[177]§. 100. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
andererſeits das Vermögen des Verwendenden vermin-
dert hat, ohne daß die Abſicht einer Liberalität dabei
vorwaltete. 1
- a. aus der freiwilligen Annahme einer Zahlung oder Lei-
- II. Mit gegenſeitiger Verpflichtung zur Rechenſchaft und Schad-
loshaltung:- a. aus jeder nützlichen Geſchäftsführung für einen Anderen,
welcher derſelben nicht beſtimmt widerſprochen hat; - b. aus der Uebernahme und Führung einer Vormundſchaft
für einen Andern, dergleichen auch unter völlig unab-
hängigen Perſonen vorkommen kann, 2 z. B. wenn ei-
nem Souverän oder einer republicaniſchen Staatsge-
walt eine Regierungsvormundſchaft über einen minder-
jährigen oder regierungsunfähig gewordenen Souverän
übertragen worden wäre; - c. aus einer zufällig entſtandenen Gemeinſchaft (commu-
nio rei vel iuris), z. B. wenn mehreren Staaten oder
Souveränen eine Erbſchaft zugefallen, oder ſie eine
Sache gemeinſchaftlich erworben haben, ohne daß das
Privatrecht eines Staates darauf anwendbar iſt. Hier
werden die Grundſätze, welche wir ſchon oben bei dem
Geſellſchaftsvertrage als leitend erkannten, ihre An-
wendung finden müſſen; nämlich gleiches Recht und
gleiche Laſt, oder nach den vorherbeſtimmten Verhält-
niſſen; ungehinderter Genuß der Sache für jeden Theil-
haber, ſoweit er dem Anderen nicht ſchadet; keine einſei-
tige Dispoſition über das Ganze, wenn der Andere wi-
derſpricht, wohl aber über den eigenen Rechtsantheil.
Eine Auflöſung der Gemeinſchaft wird nur im Wege
des Vertrages oder durch Zufall erfolgen können.
- a. aus jeder nützlichen Geſchäftsführung für einen Anderen,
12
[178]Erſtes Buch. §. 101.
B. Aus unerlaubten Handlungen. 1
101. Kennt auch das Völkerrecht keine Verbrechen in dem
Sinne des inneren Staatsrechtes, d. h. mit der Bedeutung rechts-
widriger Handlungen oder Unterlaſſungen, wofür man von einer
gewiſſen Autorität zur Rechenſchaft und Strafe gezogen werden
kann: ſo giebt es doch auch nach Völkerrecht unerlaubte Handlun-
gen oder Verletzungen des Völkerrechts ſelbſt, wenn eine unter ſei-
nem Schutz ſtehende Perſönlichkeit an dieſer oder an den damit
zuſammenhängenden weſentlichen Rechten, welche überall dieſelbe
Bedeutung haben, namentlich an Freiheit, Ehre und Eigenthum
gekränkt wird, ohne daß dem Verletzenden ſelbſt ein Rechtsgrund
hierzu zur Seite ſteht. Jede ſolche Verletzung verpflichtet den
rechtswidrig Handelnden zu einer Genugthuung des Gekränkten;
denn überall, wo durch Willkühr eine Ungleichheit hervorgebracht
iſt, muß es auch eine Wiederausgleichung geben; dies iſt das Ge-
ſetz der Gerechtigkeit.
Die Genugthuung beſteht in der Zufriedenſtellung des Verletz-
ten in den Schranken der Sittlichkeit. Zunächſt alſo in der Er-
ſtattung des zugefügten materiellen, d. i. äußerlich erkennbaren und
ſchätzbaren Schadens oder angerichteten Nachtheiles, ferner aber auch
des intellectuellen Schadens, welcher der Würde des Gekränkten
in ſeinem eignen und der Anderen Bewußtſein zugefügt wird. Die
Verminderung dieſes Rechtsbeſtandes iſt wenigſtens immer durch ent-
ſprechende Handlungen oder Leiſtungen des Beleidigers wieder aus-
zugleichen, und das Intereſſe, welches der Beleidigte an der In-
tegrität ſeines Rechtsſtandes hat, zu gewähren; 2 ſonſt iſt dieſer
befugt die Genugthuung zu erzwingen oder ſelbſt zu nehmen, und
zwar in einer der zugefügten Kränkung analogen nicht an ſich un-
[179]§. 102. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ſittlichen Weiſe. 1 Mit Ausnahme einiger Handlungen, welche
den Rechten aller Nationen gleichmäßig zuwider ſind und daher
auch von allen vindicirt werden können (§. 104.), hat der Regel
nach nur der Beleidigte oder ſein Rechtsnachfolger in der gekränk-
ten Perſönlichkeit ein Recht auf Genugthuung wider den Beleidi-
ger, wobei ſich aus der Subjectivität und den allgemeinen Rechts-
verhältniſſen die nachfolgenden Unterſcheidungen ergeben.
102. Wird ein Staat oder deſſen Souverän durch eine aus-
wärtige Staatsgewalt in ſeiner völkerrechtlichen Perſönlichkeit und
den davon abhängigen Rechten verletzt, und befindet ſich das ver-
letzende Organ nicht in dem Bereiche des beleidigten Theiles, ſo
bleibt nichts übrig, als im Wege der Reclamation eine Genug-
thuung zu fordern, oder wenn ſie verweigert wird, durch Selbſt-
hilfe zu ſuchen. Auch mächtige Staaten pflegen bei wirklichem Un-
recht eine Genugthuung dem minder mächtigen nicht zu verſagen.
Man giebt ſie außer dem Erſatz eines etwa materiellen Schadens
durch ſolenne Geſandſchaften und Erklärungen. 2
12*
[180]Erſtes Buch. §. 102.
Sollte ein auswärtiger Souverän in einem fremden Staate wi-
der dieſen ſelbſt oder die darin geheiligte Rechtsordnung eine Ver-
letzung unternehmen oder begehen, ſo fällt zwar nach dem Grund-
ſatz der Exterritorialität (§. 42. 53.) die Ausübung einer förm-
lichen Strafgerichtsbarkeit weg; wohl aber iſt der angegriffene
Staat berechtigt, nicht nur der erſt unternommenen aber noch nicht
ausgeführten Rechtsverletzung mit Gewalt entgegenzutreten, ſondern
auch, wenn ſie bereits vollendet iſt, ſich der Perſon des Verletzenden
zu bemächtigen und ſie bis zu erlangter Genugthuung zurückzubehal-
ten, ja bei einem ſchlechthin feindſeligen Attentat wider die Exiſtenz
und Integrität des angegriffenen Staates ſogar das Recht des
Krieges auszuüben! 1
Daſſelbe gilt von untergeordneten Repräſentanten einer aus-
wärtigen Staatsgewalt, ungehindert durch ihren exterritorialen Cha-
racter, wenn ſie im Gebiet des fremden Staates, wo ſie beglau-
bigt ſind, ein Verbrechen verüben, 2 ſie mögen dieſes nun für ſich
allein aus eigenem Antrieb oder auf Befehl ihrer Regierung un-
ternommen haben. 3
Beſteht unter den betheiligten Staaten ein Lehnsverhältniß, ſo
kann überdies die Feloniefrage eintreten; im Allgemeinen aber
hat die Verfeinerung der Sitte und der Einfluß der öffentlichen
2
[181]§. 103. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Meinung in unſerer Zeit an Fragen der vorſtehenden Art im Gan-
zen nur noch ein geringes practiſches Bedürfniß übrig gelaſſen.
103. Auch bei Verletzungen, welche ein Privatmann oder auch
ein Agent der Regierung ohne deren Autoriſation 1 einem frem-
den Staate, es ſei direct oder indirect an deſſen Angehörigen, zu-
fügt, kommt es darauf an, ob dieſes im Gebiete des Letzteren ſelbſt
geſchieht oder außerhalb deſſelben. Im erſteren Fall macht er ſich
nach den Strafgeſetzen des fremden Staates ſelbſt verantwortlich
(§. 36.) und verfällt auch der dortigen Strafgerichtsbarkeit, dafern er
ſich im Bereiche derſelben fortdauernd befindet oder wiederbetreten
läßt. In allen übrigen Fällen hingegen läßt ſich nur ein An-
ſpruch des verletzten Staates an denjenigen denken, deſſen Botmä-
ßigkeit der Beleidiger dermalen unterworfen iſt, nämlich darauf
hinzuwirken, daß dem Beleidigten die gebührende Genugthuung ge-
geben werde, ſei es auf dem geeigneten Civil- oder Criminalwege,
oder durch Auslieferung oder endlich in einer ſonſtigen, dem recht-
lichen Intereſſe des Verletzten entſprechenden Weiſe. 2 Denn un-
möglich kann unter befreundeten, im Verhältniß der Dikäodoſie zu
Einander ſtehenden Staaten eine Genugthuung für Beeinträchtigung
weſentlicher Staaten- oder Menſchenrechte verſagt werden, indem,
wenn bei zugefügten Beſchädigungen an wohlbegründeten Rechten
der Anſpruch auf Schadenserſatz geleugnet oder willkührlich abge-
lehnt werden dürfte, das Recht ſelbſt ein Unding oder ohne Rea-
lität ſein würde. Allerdings kann jedoch von einer Verpflichtung
der anderen Staaten, eine Genugthuung dem Verletzten zu gewäh-
ren oder zu vermitteln, nur, wie ſchon wiederholentlich bemerkt ward,
bei weſentlichen Rechten, die überall eine Nothwendigkeit und den-
ſelben Werth haben, die Rede ſein, nicht auch bei ſolchen Rechts-
verhältniſſen, welche erſt durch den beſondern Willen der Staaten
ihre Entſtehung und Geſtaltung empfangen, ſelbſt wenn dabei eine
zufällige Gleichheit unter mehreren Staaten Statt finden ſollte. 3
[182]Erſtes Buch. §. 104.
Allgemein ahndungswürdige Verletzungen des Völkerrechts.
104. Zu den Verletzungen des Völkerrechts, welche alle Na-
tionen unter der Herrſchaft eines gleichen ſittlichen Rechtes gleich-
mäßig betreffen, und ſie ſämmtlich zu einer Unterdrückung oder Beſei-
tigung gleichmäßig berechtigen, gehört überhaupt jede thatſächliche ab-
ſolute Verleugnung der Rechte aller Menſchen und Nationen, eine
Rechtlosſtellung derſelben überhaupt oder in gewiſſen Beziehungen,
welche ſich wenigſtens ſchon in Einer Handlung als beſtimmte Ten-
denz mit dazu geeigneten Mitteln Kund gegeben hat; insbeſondere
- ein planmäßiges Streben zur Gründung einer Univerſalherr-
ſchaft mittelſt Vernichtung der einzelnen Staaten, oder auch
nur über ein allen Nationen gemeinſames Gebiet, dergleichen
das Weltmeer iſt (§. 16. 30. a. E. 74.); - Verletzungen der Rechte der Staatenrepräſentanten, deren Hei-
lighaltung eine weſentliche Stütze des Völkerverkehrs iſt; 1 - Rechtsverweigerung bei allgemein giltigen Anſprüchen; 2 oder
Aufſtellung rechtswidriger Prinzipien gegen Alle und Durch-
ſetzung derſelben gegen Einen; 3 - Beunruhigung und Störung des gemeinſamen Verkehrs auf
offenen Land- und Seeſtraßen.
Eine Art hiervon iſt die Seeräuberei (Piraterie), beſtehend in
gewaltſamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalſchiffen oder
des darauf befindlichen Eigenthums, um ſich damit zu bereichern,
ohne dazu den Auftrag einer ſich dafür verantwortlich machenden
Staatsgewalt nachweiſen zu können. 4 Dergleichen Beginnen gilt
als eine Feindſeligkeit gegen alle Menſchen, wenn es entweder ſchon
ein habituelles geworden iſt oder doch als beabſichtigt erkannt wer-
den kann. Werden Seeräuber in der That ſelbſt begriffen und ma-
[183]§. 104. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
chen ſie von Waffen Gebrauch, ſo hat der Sieger Recht auf Le-
ben und Tod (es geht mit ihnen an die Raa); jeder Staat, der
ſich ihrer bemächtigt, iſt befugt, ſie nach ſeinen Geſetzen zu richten. 1
Nicht in dieſelbe Categorie hat man aber bisher die Schiffe
und Angehörigen der Barbareskenſtaaten, ſo wie anderer osmani-
ſcher Ufervölker geſtellt, ſondern ſich wegen der Verhältniſſe mit
der Pforte nur auf einen Vertheidigungsfuß gegen ſie geſetzt oder
durch Verträge und Geſchenke Sicherung verſchafft. Hoffentlich
iſt die Zeit einer ſo traurigen Connivenz vorüber. 2
Wäre bereits von allen Europäiſchen Völkerrechtsgenoſſen die
Sclaverei der Neger aufgegeben und aller Schutz ihr entzogen, ſo
würde auch die Zufuhr derſelben auf offener See von jedem Staat
als ein Verbrechen gegen die allgemeinen Menſchenrechte behandelt
werden dürfen. Für jetzt kann jede Nation nur, wenn ſie ſelbſt
die Sclaverei verwirft, den, wenn auch nur durch Zufall in ihr
Gebiet gekommenen Sclaven eine Zuflucht gewähren, und die Aus-
lieferung ihren unnatürlichen Herrn verſagen, thatſächlich alſo je-
nen das geben, was ſie nie verlieren konnten.
[[184]]
Zweites Buch.
Das Völkerrecht im Zuſtande des Unfriedens;
oder
die völkerrechtlichen Streitigkeiten.
Erſter Abſchnitt.
Von den völkerrechtlichen Streitigkeiten und deren Erledigung
überhaupt.
Veranlaſſungen derſelben.
105. Völkerrechtliche Conteſtationen oder Streitigkeiten entſtehen
im Allgemeinen über Anſprüche, deren Erledigung dem verfaſſungs-
mäßigen Rechtsgang eines beſtimmten Staates nicht angehört, oder
wegen willkührlicher von Seiten der dortigen Staatsgewalt entge-
gengeſtellter Hinderniſſe daſelbſt nicht erreicht werden kann; folglich
nicht allein über Anſprüche der Staatsgewalten und Souveräne
an Einander, ſondern auch über Privatanſprüche eines Unterthans
an einen auswärtigen Staat oder deſſen Unterthanen, wenn jenem
das Recht von dem fremden Staat verweigert wird und ſich der
Staat des in ſeinem Recht gekränkten Unterthans vermöge des
ihm zuſtehenden Repräſentationsrechtes (§. 53.) gegen den frem-
den Staat annimmt. Eine Einmiſchung dritter Mächte iſt allein
unter den Bedingungen des §. 45 f. zuläſſig.
Mittel zur Beſeitigung überhaupt.
106. Völkerrechtliche Anſprüche haben der Regel nach keine
andere Garantie für ſich, als die Macht der Wahrheit und den
[185]§. 107. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die
eigne Gewiſſenhaftigkeit und die öffentliche Meinung. Es gebührt
demnach zunächſt den Betheiligten, ſich unter Einander über die
Entſcheidung zu verſtändigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht
zu bewirken wäre, ſich durch eigene Kraft in dem einſeitig erkann-
ten Recht zu behaupten oder daſſelbe zu erſtreben. Das äußerſte
Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchſetzung des
Rechts gegen Widerſpruch iſt demnach Gewalt oder Selbſthilfe,
und zwar entweder eine defenſive gegen bevorſtehende Gefähr-
dungen des Rechts oder der ganzen Exiſtenz, oder eine aggreſ-
ſive Selbſthilfe wegen Rechtsverweigerung. Die Erſtere geht
ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Siche-
rung gegen fernere Beeinträchtigung, die Letztere auf Erlangung
vollſtändiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des
Gegners iſt bis zur Erreichung dieſer Zwecke nicht ausgeſchloſſen,
wiewohl dieſelbe nie als das ſofortige unmittelbare Ziel mit Recht
betrachtet werden darf. Das Daſein eines hinreichenden Grundes
zur Selbſthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche
durch den Zweck beſtimmt werden, entſcheidet zugleich über die Ge-
rechtigkeit der Selbſthilfe. Außerdem iſt ſie eine tadelnswerthe und
unrechte. Tadelnswerth erſcheint ſie insbeſondere, wenn außer dem
Fall unmittelbarer Gefahr ohne Verſuch gütlicher Mittel, ohne
Vorbringung und gehörige Unterſtützung eines vermeintlichen An-
ſpruchs ſogleich zu dem letzten Mittel gegriffen wird. Denn es iſt
dieſes an und für ſich ein unzuläſſiges Mittel, gerecht nur als
Noth mittel.
Gütliche Verſuche.
107. Zweckdienliche Mittel um den Andern von ſeinem Unrecht
zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu beſtimmen, welche auch
nicht unverſucht bleiben dürfen, ſo lange keine unmittelbare Gefahr
eines Rechtsverluſtes bevorſteht, ſind dieſe:
- zuerſt diplomatiſche Unterhandlungen mit dem andern Theile
oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß ſein
kann, namentlich auch Mittheilung von entſcheidenden Ac-
tenſtücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen; - ſodann öffentliche Verbreitung von Deductionen oder Memoi-
res mit ausdrücklichem oder ſelbſtverſtandenem Anruf der
[186]Zweites Buch. §. 108.
öffentlichen Meinung, wenn eine Verſtändigung im Wege
der gegenſeitigen Correſpondenz nicht zu bewirken geweſen
oder dieſelbe bereits abgebrochen iſt; - ferner die Annahme der bona officia einer dritten Macht,
welche als Verſöhnerin zu wirken hat; oder eine von allen
ſtreitenden Theilen angenommene Vermittelung einer dritten
Staatsgewalt.
In dieſem Letzteren liegt mehr als im vorhergehenden. Die Ver-
mittlung ſuspendirt die Feindſeligkeiten, ſo lange nicht das Amt
des Vermittlers aufgehört hat, von Rechtswegen. Freundliche
Dienſte haben nur eine moraliſche Bedeutung.
Befindet ſich ein Theil gar nicht in der Gefahr eines wirkli-
chen Rechtsverluſtes, könnte ſeine Handlung oder ſein Stillſchwei-
gen nur einer rechtsnachtheiligen Deutung verfallen: ſo genügt zur
Erhaltung des Rechts gegen etwanige Anfechtung ſchon eine bloße
Proteſtation, wenn ſie nicht den bereits für den Proteſtirenden ein-
getretenen wohlbegründeten Rechtsverhältniſſen oder den gleichzeiti-
gen Handlungen deſſelben zuwider iſt, eine protestatio facto con-
traria.
Beſondere Vereinigungsmittel bei zweifelhaften Puncten.
108. Iſt ein Rechtsverhältniß an ſich feſtſtehend und nur noch ei-
ner näheren Regulirung bedürftig, wie z. B. eine noch nicht ſpeciell ge-
zogene oder in Unklarheit gerathene Landesgrenze, oder iſt es wegen der
einem Anſpruch entgegengeſetzten Rechtsgründe ein zweifelhaftes und
findet darüber unter den Parteien ſelbſt keine Einigung ſtatt, ſo muß
vorab auf die Erlangung einer unparteiiſchen Entſcheidung hinge-
wirkt werden. Hierzu eignet ſich in einzelnen Fällen das Loos,
ſei es, um jedem Intereſſenten einen beſtimmten Antheil an einer
ſtreitigen Sache zuzutheilen, ſei es um an die Stelle eines völlig
ungewiſſen Zuſtandes für immer oder auch nur vorläufig eine Ge-
wißheit durch den zufälligen Ausſchlag des Loſes zu ſetzen. 1 Al-
les hängt hier begreiflich von der Vereinigung der Betheiligten ab.
Auch der Zweikampf iſt als ein Waffenloos zuweilen in Antrag
gebracht, ſelten aber angenommen worden oder zu einem Ausſchlag
[187]§. 109. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
gelangt, 1 und gewiß nicht zu bevorworten. Das billigſte, wie-
wohl auch nicht immer entſprechende Mittel iſt die Unterwerfung
unter einen Schiedſpruch. 2
Compromiß.
109. Soll durch Auftragsertheilung von Einem oder mehre-
ren Dritten ein völkerrechtlicher Streit entſchieden werden, ſo be-
darf es dazu einer ausdrücklichen Convention der Betheiligten mit
den auserſehenen Schiedsperſonen ganz nach den Grundſätzen der
völkerrechtlichen Verträge. Ein ſolches Compromiß geht dann ent-
weder nur dahin, ein ſchon durch Vereinbarung feſtſtehendes Prin-
cip in Beziehung auf einen gewiſſen Gegenſtand unter den Par-
teien in Ausführung zu bringen (arbitratio), z. B. eine Grenz-
berichtigung oder Theilung nach gewiſſen Maaßen oder Proportio-
nen zu vollziehen, 3 oder auch eine Streitfrage ſelbſt erſt zu erör-
tern und nach Recht und Billigkeit zu entſcheiden (eigentliches
arbitrium). Das Compromiß muß die näheren Modalitäten be-
ſtimmen, an welche die Ausführung des Schiedsauftrags gebun-
den ſein ſoll, aber es bedarf dazu keiner Pönalſtipulation. Sowohl
Privatperſonen 4 wie auch Souveräne können zu Schiedsrichtern
gewählt werden; Erſtere können nur in Perſon handeln, Letztere
können ſich bei der Erörterung durch Delegirte vertreten laſſen oder
ſich dabei ihrer Räthe bedienen, wenn ſie nur den endlichen Aus-
[188]Zweites Buch. §. 109.
ſpruch ſelbſt thun. 1 Sind mehrere Schiedsrichter ohne nähere
Beſtimmung erwählt, ſo kann keiner ohne den Andern giltig ver-
fahren oder ein Urtheil ſprechen. 2 Bei Meinungsverſchiedenheiten
iſt unſtreitig die Stimmenmehrheit als entſcheidend zu betrachten; 3
im Fall einer Stimmengleichheit oder völligen Diſſonanz würde
nur durch Zutritt der Betheiligten ein fernerer Ausweg zu gewin-
nen ſein. 4 Iſt wegen des Verfahrens nicht beſtimmt, ſo ſteht
dem Schiedsrichter zu, eine Zeit feſtzuſtellen, bis wohin die gegen-
ſeitigen Ausführungen und Beweiſe vorgelegt werden ſollen, worauf
er dann ohne weiteren Aufenthalt zur Vollendung ſeines Auftrags
ſchreiten kann. Zwangsrechte ſtehen ihm gegen keinen Theil zu. 5
Sein Amt erliſcht durch neue Conventionen der Hauptparteien,
durch Ablauf der ihm geſetzten Zeit, durch den Tod oder eingetre-
tene Unfähigkeit des Schiedsmannes, endlich mit dem Entſcheid
ſelbſt. Dieſer hat für die Intereſſenten die Bedeutung eines gilti-
gen Vergleiches. 6 Er kann nur angefochten werden a) wegen
Ungiltigkeit des Compromiſſes; b) wegen abſoluter Unfähigkeit des
Schiedsmannes; c) wegen Unredlichkeit deſſelben oder der Gegen-
partei; d) wegen mangelhaften oder gänzlich verweigerten Gehörs;
e) wegen Ueberſchreitung der Grenzen des Compromiſſes; f) we-
gen abſoluter Rechtswidrigkeit der in dem Entſcheid getroffenen
Verordnungen, welche daher auch keine zuläſſige Cauſa eines Ver-
trags (§. 83.) abgeben könnten, wogegen bloße Verſtöße in der
Beurtheilung des beſonderen Falles, ſofern ihnen nicht etwa Par-
[189]§. 110. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
teilichkeit zum Grunde liegt, keinen Grund zur Anfechtung darbie-
ten. 1 Nur bei der eigentlichen Arbitratio iſt der Nachweis einer
thatſächlichen Unrichtigkeit und darauf beruhenden Unbilligkeit ſtets
vorbehalten. 2
Zu allen Zeiten iſt der ſchiedsrichterliche Weg in verſchiedenen
Formen benutzt worden. Bei den Griechen durch Berufung auf
eine dritte befreundete Stadt; 3 bei den Römern in älterer Zeit
durch die Reciperatio. 4 Einen feſteren faſt ſtaatsrichterlichen Cha-
racter haben die Bundesgerichte in Bundesſtaaten und Staaten-
vereinen; ſo ſchon in den griechiſchen Staatenvereinen 5 und ge-
genwärtig die Austrägal-Inſtitution des deutſchen Bundes für die
ſouveränen Glieder deſſelben 6, oder Statt deren das Bundesſchieds-
gericht. 7 Hier tritt die vollziehende Macht des Bundes ſelbſt
hinzu.
Anwendung von Gewaltsmaaßregeln; insbeſondere Repreſſalien.
110. Sind gütliche Verſuche vergebens angewandt, oder ge-
ſtattet das Dringende der Gefahr überhaupt keinen ſolchen Verſuch,
ſo beginnt das Recht der Selbſthilfe und zwar bei Forderungen
beſtimmter Gegenſtände, durch Wegnahme derſelben wo man ſie
findet, oder durch Aneignung eines Aequivalents aus den Gütern
des ſchuldigen Theiles, welche man in ſeiner Gewalt hat, außer-
dem aber durch Anwendung von Repreſſivmitteln gegen das Un-
recht des andern Theiles, und zwar entweder mit Eröffnung eines
eigentlichen Kriegszuſtandes (Abſchn. 2.) oder vorerſt mit Anwen-
[190]Zweites Buch. §. 110.
dung von einzelnen Repreſſalien1 (von reprendere) d. h. ſol-
chen Gewaltmaaßregeln, wodurch Perſonen oder Sachen der an-
deren Partei der einſtweiligen Verfügung des ſein Recht verfolgen-
den oder vertheidigenden Theiles unterworfen werden, um dadurch
Erſtere zur Nachgiebigkeit oder zur Leiſtung ſchuldiger Genugthuung
zu veranlaſſen. Hierunter gehört in weiterer Bedeutung:
die Retaliation derſelben rechtswidrigen Handlung oder Un-
terlaſſung, deren ſich der andere Theil ſchuldig gemacht hat, an
Perſonen oder Objecten, welche demſelben angehören, ſo weit
ein ſolches Verfahren mit den Geſetzen der Menſchlichkeit zu-
ſammen beſtehen kann;2
ſodann
die Innebehaltung und Beſchlagnahme von Perſonen, Sachen
und Forderungen des anderen Theiles, welche ſich im Bereiche
des verletzten Theiles befinden; eine Art von Arreſt oder Pfän-
dung, wodurch jedoch weder ein Recht auf Leben und Tod
der gepfändeten Perſonen, noch auf Appropriation der gepfän-
deten Sachen begründet wird. Erſt wenn das Mittel bei
dem Gegner ſeinen Zweck nicht erreicht, können jene Sachen
zur Genugthuung für die verletzten Intereſſen verwendet wer-
den. Die Perſonen aber ſind als Geißeln zu behandeln.3
[191]§. 111. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Einen zureichenden Grund zu derartigen Repreſſalien gewährt jede
völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung oder Verweigerung des
Rechtes durch Eigenmächtigkeit der zum Recht verpflichteten Par-
tei, es ſei nun im legislativen, gerichtlichen oder Verwaltungs-
wege. 1 Nur unabhängige Mächte können von jenen Mitteln Ge-
brauch machen, jedoch dürfen ſie auch Einzelnen ihrer Angehörigen
die Ausübung überlaſſen; 2 dritte Mächte ſind hingegen weder
ſchuldig auf etwanige Requiſition ſich der Ausübung zu unterzie-
hen, noch auch berechtigt, Repreſſalien im Intereſſe einer andern
Macht anzuwenden, wofern kein legitimer Fall einer Intervention
vorliegt, wie bei Staatenvereinen insbeſondere eintreten kann, 3
oder eine allgemeine Verletzung des Völkerrechts, um einem un-
menſchlichen abſolut rechtswidrigen Verfahren ein Ziel zu ſetzen.
Denn die Staaten ſind die Vertreter der Menſchheit.
Retorſion unbilliger Rechtsgrundſätze und Maaßregeln.
111. Erlaubt ſich eine unabhängige Macht gegen andere
Mächte oder deren Angehörige zwar keine Ungerechtigkeit, wohl
aber eine Unbilligkeit, d. h. eine ungleiche Behandlung fremder
Staaten oder der Ihrigen innerhalb des eigenen Rechtskreiſes, in-
dem ſie dieſelben entweder von gewiſſen Vortheilen ganz ausſchließt,
welche ſie ihren eigenen Unterthanen bewilligt, oder ſie doch zu
Gunſten der letztern oder auch gegen andere bevorzugtere Natio-
nen zurückſtellt, oder endlich indem ſie auswärtige Nationen bei
der Einräumung gewiſſer Vortheile auf ungewöhnliche Weiſe be-
laſtet: ſo finden keine eigentlichen Repreſſalien Statt, ſondern es
3
[192]Zweites Buch. §. 111.
tritt das Recht der Retorſion1 in Kraft, d. h. die Rückan-
wendung deſſelben Princips gegen die ſolchergeſtalt handelnde Macht,
um ſich in Gleichheit mit derſelben zu ſtellen oder zu erhalten, bis
die Unbilligkeit gehoben iſt, eine retorsio iuris, geheiligt in dem
Rechtsſatz: quod quisque in alterum statuerit ut ipse eodem
iure utatur, um den Egoismus oder die Einſeitigkeit des Andern
ihm ſelbſt fühlbar zu machen. 2
Einer Anwendung dieſer Maxime iſt nicht allein dann erſt Raum
gegeben, wenn eine Macht von dem für eine andere Nation be-
ſchwerlichen Grundſatz ſchon in einem oder dem anderen Falle Ge-
brauch gemacht hat, ſondern es genügt dazu ſchon die Aufſtellung
des Grundſatzes als eines fortan giltig ſein ſollenden. Ungenügend
iſt hingegen eine bloße Verſchiedenheit der Geſetze verſchiedener
Länder, wonach zufällig bei einzelnen Ereigniſſen der Ausländer nicht
daſſelbe Recht erlangen kann, welches er in ſeinem eigenen Vater-
lande unter gleichen factiſchen Vorausſetzungen haben würde, ohne
daß aber das von dem einheimiſchen abweichende ausländiſche Ge-
ſetz gegen die Fremden berechnet iſt; z. B. wenn ein Staat bei
der Inteſtaterbfolge andere Erbqualificationen oder Claſſificationen
aufſtellt, als ein anderer Staat.
Niemals verſteht ſich ſodann die Ausübung der Retorſion ge-
gen fremde Staaten ganz von ſelbſt als ein Recht der einzelnen
Staatsgenoſſen, ſondern es bedarf dazu eines legislativen Beſchluſ-
ſes der Staatsgewalt und einer Autoriſation für die Behörden
oder die Einzelnen. 3 Jene allein hat auch zu beſtimmen, in wel-
cher Form und in welchen Grenzen die Retorſion beſtehen, wem
endlich der Vortheil davon zuwachſen ſoll. Dies iſt Sache des
inneren Staatsrechts.
Kann nach der Natur des Falles nicht genau an denſelben
Gegenſtänden oder in derſelben Form eine Retaliation deſſelben ge-
[193]§. 112. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſchehen, was der andere Staat gegen das Ausland ſtatuirt, ſo iſt
eine analoge Anwendung des Princips nach den dieſſeits gegebe-
nen Verhältniſſen durchaus unverfänglich und gerecht. 1
Recht des Embargo und der Blocade.
112. Als eine bald conſervatoriſche bald präparatoriſche Maaß-
regel erſcheint unter den Staatenactionen das Embargo (ſpan. em-
bargar, anhalten), ein vorläufiger Arreſt auf die in den Häfen oder
Territorialmeeren eines Staates eben befindlichen Schiffe einer oder
mehrerer Nationen, um das Auslaufen derſelben zu verhindern,
eine Britiſche Erfindung, dann aber auch von andern Nationen
übernommen. 2
Eine derartige Maaßregel iſt entweder die unmittelbare Beglei-
terin eines eintretenden Kriegszuſtandes, oder eine vorſorgliche in
der Erwartung eines ſolchen Zuſtandes, die ſich bei dem Eintritt
deſſelben in eine definitive mit den Wirkungen verwandelt, 3 wel-
chen feindliche Güter und Perſonen rechtmäßig unterworfen wer-
den können, wovon im nächſten Abſchnitt; oder ſie iſt auch nur
eine ſtaatspolizeiliche für die inneren Intereſſen des ſie verhängen-
den Staates; insbeſondere
- um zu verhindern, daß gewiſſe Nachrichten von inneren Zuſtän-
den anderswohin gebracht werden; - um eine polizeiliche oder gerichtliche Nachforſchung anſtellen zu
können;
oder auch ſelbſt
- um im Fall dringender Noth von den Schiffen, ihrer Beman-
nung und Ladung einen für den Nationalſtaat derſelben nicht
feindſeligen Gebrauch gegen eine dafür zu leiſtende volle Ent-
ſchädigung zu machen.
Endlich kann auch das Embargo ein Mittel oder eine Vorbereitung
ſpecieller Repreſſalien ſein.
13
[194]Zweites Buch. §. 113.
In ähnlicher Weiſe kann ein Blocadezuſtand, d. h. die
effective Abſperrung einer fremden Küſte, eines oder mehrerer Hä-
fen, gegen allen Verkehr von Außen durch bewaffnete Macht zu
verſchiedenen Zwecken angewandt werden. Nämlich:
- entweder bei Eröffnung eines wirklichen Krieges wider den frem-
den Staat, wovon in dem nächſtfolgenden Abſchnitte das Nä-
here; (§. 121.) - oder auch ſchon vorher und ohne eine vollſtändige Kriegseröff-
nung, ſei es um Repreſſalien zu üben, oder um eine bevor-
ſtehende Rechtsverletzung zu hindern, z. B. das Auslaufen ei-
nes Geſchwaders oder die Zuführung eines Succurſes für
einen Feind, ehe der fremde Staat ſich über ſeine Abſichten
beſtimmt erklärt hat, die inzwiſchen Verdacht erregen können.
Zwar erſt die neueſte Geſchichte liefert Beiſpiele der letzteren Art
von Blocaden, nämlich in der Geſtalt von Repreſſalien; 1 es kann
jedoch kein Bedenken haben, daß dieſe Anwendung eine vollkom-
men rechtmäßige ſei, und daß ſelbſt neutrale Mächte, unter den im
dritten Abſchnitt dieſes Buches darzulegenden Bedingungen und
mit den daſelbſt näher zu erörternden Bedingungen daran gebun-
den ſind. Auch Blocaden ganzer Küſten beſtreitet man vergebens.
Zweiter Abſchnitt.
Der Krieg und ſein Recht.2
Rechtsbegriff des Krieges.
113. Krieg iſt ſeiner äußeren Erſcheinung nach ein feindſeli-
ges Verhältniß unter verſchiedenen Parteien, worin man ſelbſt die
[195]§. 113. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
äußerſten Gewaltthätigkeiten gegen Einander erlaubt hält. Dies
iſt jedoch bloß eine thatſächliche Erklärung. Ein Rechtsbegriff
wird der Krieg erſt, wenn man ſich ihn als Anwendung des äu-
ßerſten ſelbſt vernichtenden Zwanges wider einen Andern denkt,
zur Realiſirung rechtlicher Zwecke bis zur Erreichung derſelben.
Er iſt mit anderen Worten die äußerſte Selbſthilfe. Wie dieſe iſt
er daher entweder ein Vertheidigungskrieg zur Abwehrung eines
ungerechten Angriffs, womit man bedroht wird, ohne daß man
ſelbſt den Angriff erſt abzuwarten hat, wenn nur eine wirkliche
Kriegsgefahr von Seiten des Andern droht, 1 oder er iſt ein An-
griffskrieg, wegen ſchon erlittener Rechtsverletzung und zum Zweck
der Genugthuung. Eben dadurch wird ſofort auch die Gerechtig-
keit eines Krieges beſtimmt. Er iſt nur gerecht, wann und ſo
weit Selbſthilfe erlaubt iſt, 2 wiewohl auch der ungerechte Krieg
in ſeinen Wirkungen dem gerechten thatſächlich gleichſteht. 3 Denn
es giebt keinen irdiſchen Richter, von welchem ein Ausſpruch über
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges mit Unfehlbarkeit
zu erwarten wäre; Zufälligkeiten würfeln ihn oft zuſammen und
machen ihn meiſt zu einem Spiel, deſſen Schwankungen nie zuvor
zu berechnen ſind; er ſetzt ein Chaos an die Stelle der Ordnung,
aus welchem dieſe erſt wieder neu erſtehen muß. Gewiß aber wer-
den die moraliſchen Nachwirkungen des ungerechten Krieges an-
dere ſein, als die des gerechten, und niemals werden bloße Gründe
des politiſchen Nutzens oder moraliſch gute Zwecke ohne das Da-
ſein einer bevorſtehenden oder ſchon zugefügten Rechtsverletzung
2
13*
[196]Zweites Buch. §. 114.
die Ungerechtigkeit eines Krieges beſeitigen können. Alle abſtracten
Fragen, ob Religionskriege, ob Strafkriege, ob Kriege zur Erhal-
tung des politiſchen Gleichgewichts gerecht ſeien? ſind daneben
überflüſſig und beantworten ſich aus den vorangeſchickten Erörte-
rungen der völkerrechtlichen Verhältniſſe ganz von ſelbſt. 1
Kriegführende Theile.
114. Ein Kriegsſtand kann rechtmäßiger Weiſe nur unter Par-
teien eintreten, unter welchen der äußerſte Grad der Selbſthilfe
erlaubt und möglich iſt, hauptſächlich alſo unter völlig freien von
einander unabhängigen, keiner gemeinſamen höheren Gewalt unter-
worfenen Parteien; 2 insbeſondere ein Staatenkrieg unter ſouverä-
nen Staaten ſo wie gegen ſtaatenlos Lebende: z. B. Freibeuter,
Flibuſtier, Seeräuber und dgl. Ein innerer Krieg politiſcher Par-
teien deſſelben Staates kann höchſtens nur als ein Nothkrieg An-
ſpruch auf Rechtmäßigkeit haben; er kann auch nie einen eigent-
lichen Kriegsſtand, wie unter fremden Staatsgewalten, hervorbrin-
gen. 3 Private Fehden oder Kriege auf eigene Fauſt unter Per-
ſonen deſſelben oder verſchiedener Staaten hat die neuere Entwicke-
lung des Europäiſchen Staatslebens völlig unterdrückt. 4 Selbſt
Aſſociationen vieler Privaten, wie z. B. kaufmänniſche Genoſſen-
ſchaften, würden ohne Zulaſſung ihrer Staatsgewalten keinen Krieg
zu führen berechtigt ſein, ſo lange ſie ſich nicht, wie einſt die
[197]§. 115. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Hanſa, 1 mit ſteinernen und hölzernen Mauern zu einer nicht mehr
gehorchenden Macht erhoben haben ſollten. 2
Unter den kriegführenden Theilen ſind nun zu unterſcheiden die
Hauptparteien und Nebenparteien, welche jenen Kriegshilfe leiſten.
Verbündete Mächte. 3
115. Zu den Nebenparteien gehören im Allgemeinen diejeni-
gen, welche der einen oder andern in Krieg gerathenden Macht
Hilfe leiſten. Eine ſolche Kriegshilfe iſt entweder eine allgemeine,
ungemeſſene, mit allen der Hilfsmacht zu Gebot ſtehenden Kräften
und Mitteln, oder eine particuläre, gemeſſene, welche nur in qua-
litativ und quantitativ beſtimmten Leiſtungen oder Vergünſtigungen
beſteht; namentlich in Stellung eines beſtimmten Hilfscorps, in
der Zahlung von Subſidien, Einräumung eines Waffenplatzes,
Hafens; überhaupt in der Gewährung beſtimmter Vortheile, wo-
durch das Angriffs- oder Vertheidigungsſyſtem einer kriegführen-
den Macht gegen die andere verſtärkt wird, mit dauernder Ver-
bindlichkeit dafür bis zur Erreichung eines gewiſſen feindſeligen
Endzwecks. Dieſes iſt der entſcheidende Punct. Nur dadurch
tritt man aus der ſtrengen Neutralität heraus. (Vgl. Abſchn. III.)
Die Leiſtung der Kriegshilfe iſt ſelten eine ganz aus einſeiti-
gem Antriebe im Wege der Intervention übernommene; gewöhn-
lich eine ausdrücklich verabredete und ſtipulirte; der casus foede-
ris bald ein Angriffs- bald ein Vertheidigungskrieg; 4 entweder
mit Gegenſeitigkeit oder auch ohne ſolche. Es gelten dabei die
allgemeinen Grundſätze und Auslegungsregeln der Verträge, deren
Anwendung jedoch hier oft Schwierigkeiten und Conflicte erzeugt.
Gebieteriſche Rückſichten auf das eigene Wohl, ältere Verpflichtun-
[198]Zweites Buch. §. 116.
gen gegen den zu bekämpfenden Feind ſetzen der verſprochenen Hil-
feleiſtung oft unabweisbare Hinderniſſe entgegen; 1 in jedem Falle
bleibt auch dem Verbündeten die Prüfung vorbehalten, ob der
Krieg, an welchem er Theil nehmen ſoll, ein gerechter Krieg ſei. 2
Nichts trügeriſcher und unſicherer alſo, als das Vertrauen auf ge-
ſchloſſene Alliancen, wo nicht ein vollkommen gleichartiges und
bleibendes Intereſſe vorwaltet, wie in Staatenvereinen!
116. Das Verhältniß unter den Verbündeten ſelbſt, ſofern es
nicht genau in anderer Weiſe durch den Bundesvertrag beſtimmt
iſt, wird ſich der Natur der Sache und der Praxis gemäß im
Weſentlichen dahin feſtſtellen:
- I. Bei allgemeiner Kriegshilfe treten die Grundſätze des Ge-
ſellſchaftsvertrages (§. 92.) in Anwendung, welchen zufolge
jeder Theilhaber gleiche Rechte und Verbindlichkeiten mit
dem andern übernimmt, mithin auch zur Erreichung des ge-
meinſchaftlichen Zweckes in gleichem Verhältniß beitragen
muß, ſofern ihm dazu die nöthigen Mittel zu Gebot ſtehen,
alſo im Verhältniß derſelben. Fände keine Vereinigung Statt,
ſo würde kein Verbündeter für ſich wider den Willen des
Andern eine Kriegsunternehmung ausführen können; Keiner
kann thun, was dem andern ſchädlich iſt, mithin auch keinen
einſeitigen Frieden oder Waffenſtillſtand mit dem Feinde
ſchließen, 3 es ſei denn dem Zweck des Bündniſſes gemäß,
oder dieſer nicht mehr zu erreichen, oder die Fortſetzung des
Bündniſſes eine Unmöglichkeit geworden, oder daſſelbe von dem
andern Verbündeten ſelbſt verletzt worden. Keiner der Ver-
bündeten kann ſich endlich auf Koſten des andern bereichern,
ſondern es muß vielmehr jeder dem andern herausgeben,
was demſelben von Rechtswegen gehört, z. B. auch das
dem Feinde wieder abgenommene Eigenthum des Bundes-
genoſſen, wobei ein Poſtliminium zuläſſig iſt, ihn auch an
[199]§. 117. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
dem gemeinſchaftlichen Gewinn verhältnißmäßigen Theil neh-
men laſſen. Zufällige Schäden, welche das Spiel des
Krieges immer mit ſich bringt, bleiben zur Laſt deſſen, den
ſie betroffen haben; nur was der Eine dem Andern durch
ſein ihm ſonſt nicht gewöhnliches Verhalten Nachtheiliges
zugefügt hat, muß er erſtatten. - II. Particuläre Kriegshilfe wird ganz zur Dispoſition der krieg-
führenden Hauptpartei geſtellt, wenn keine beſondere Verab-
redung dieſelhalb getroffen iſt. Beſteht ſie in Mannſchaften,
ſo hat der Hilfsleiſtende ihre Ausrüſtung zu beſorgen, ſie
auch vollzählig zu erhalten, wie er ſie bei eigenen Unterneh-
mungen vollzählig erhalten würde und zu erhalten im Stande
iſt; 1 der Kriegsherr hat dagegen für Unterhalt und Verpfle-
gung zu ſorgen; er darf nicht unredlicher Weiſe die Hilfs-
mannſchaft mit Schonung ſeiner eigenen Truppenmacht
blosſtellen. Ueberhaupt muß derſelbe ſo viel als möglich
jeden Schaden von dem Hilfsverbündeten abzuwenden ſu-
chen, worin der Letztere durch die Erfüllung ſeiner Bundes-
pflicht gerathen kann, ihm Beiſtand leiſten, wenn der Feind
ſich auf ihn wirft, vorzüglich auch bei Beendigung des Krie-
ges ihn gegen alle Anſprüche des Feindes ſicher ſtellen und
ihn daher in den Friedenszuſtand einſchließen. Zuwiderhand-
lungen berechtigen den Hilfeleiſtenden zur Aufhebung des
Bündniſſes; dagegen aber hat er kein Recht auf die errun-
genen Vortheile, mit Ausnahme der Beute ſo wie eines be-
ſchränkten Poſtliminiums, wovon unten.
117. Sieht man auf das Verhältniß des Feindes zu den Kriegs-
verbündeten ſeines Gegners, ſo kann jenem unmöglich zugemuthet
werden, ſich eine derartige Verſtärkung der Kriegsmacht des Letz-
teren ohne Weiteres gefallen zu laſſen und der Verbündeten zu
ſchonen, ſofern ſie ihm nicht unmittelbar entgegentreten. Es iſt
unleugbar, daß auch ſie an den Feindſeligkeiten gegen ihn Theil
nehmen, und daher auch unbedenklich, daß er ſich ihrer zur un-
gehinderten Durchſetzung ſeiner Kriegszwecke zu entledigen befugt
ſein muß.
Während dieſe Befugniß nun von Allen zugegeben wird, inſo-
[200]Zweites Buch. §. 118.
fern eine Kriegshilfe erſt während eines ausgebrochenen Kriegszu-
ſtandes oder mit Hinſicht auf einen beſtimmt bevorſtehenden Kriegs-
zuſtand übernommen wird, ſo meint man andererſeits ſie beſtrei-
ten zu dürfen, wenn eine Macht der anderen ſchon im Voraus
für die von ihr zu führenden Kriege, es ſei überhaupt oder wegen
eines gewiſſen Gegenſtandes, eine particuläre Kriegshilfe ganz all-
gemein ohne Deſignation eines beſtimmten Feindes zugeſagt hat,
ja ſelbſt eine allgemeine Kriegshilfe für einen zu führenden Ver-
theidigungskrieg. 1 Demungeachtet kann der Gegner hierdurch
nicht gezwungen ſein, den Hilfsmächten Neutralität zuzugeſtehen,
und ſie nur da feindſelig zu behandeln, wo ſie ihm unmittelbar
gegenüberteten, wenn ihm nicht die Politik ein ſolches Verfahren
anräth; vielmehr darf er jede ihm nachtheilige Ligue zu ſprengen
ſuchen; er darf dem Verbündeten daher die Wahl ſtellen, entwe-
der von der ihm feindſeligen Kriegshilfe abzuſtehen, oder den Krieg
ſelbſt ganz und gar anzunehmen. 2 Gerechtfertigt iſt die Stellung
einer ſolchen Alternative freilich erſt dann, wenn der Verbündete
des Gegners ſich anſchickt, die verſprochene Kriegshilfe zu leiſten;
ſo lange dieſes zweifelhaft iſt, ſteht nur das ſchon früher (§. 30.
45.) erwähnte Fragerecht zu; wird aber die Antwort unter be-
denklichen Umſtänden verweigert oder verzögert, ſo iſt der Bedrohte
unfehlbar befugt, ſogar das Prävenire zu ſpielen. 3
Das Kriegsfeld.
118. Sein natürliches Feld findet der Krieg zu Lande in den
Staatsgebieten der feindlichen Parteien; der Seekrieg in den feind-
lichen Territorialgewäſſern wie auf der offenen See. Neutrales
Gebiet darf nur im Fall der Noth ohne Feindſeligkeit betreten
werden; das nähere Verhalten dabei zeichnet das Recht der Neu-
tralität vor. Das Verhältniß einer Hilfsmacht, auch wenn ihre
Neutralität zugeſtanden iſt, ſchließt wenigſtens den Feind von der
Verfolgung der geſtellten Hilfstruppen in ihr eigenes Gebiet nicht
[201]§. 119. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
aus; iſt ſie völlig in den Kriegsſtand eingetreten, ſo theilt ſie das
Loos der kriegenden Hauptparteien.
Beſchränkungen des Kriegsfeldes können nur durch Conventio-
nen oder Politik herbeigeführt werden. Die Geſchichte liefert Bei-
ſpiele von bloß particulären Kriegsoperationen gegen einen beſtimm-
ten Theil eines Gebietes, anſtatt eines ſonſt die Regel bildenden
allgemeinen Kriegszuſtandes der feindlichen Territorien, und zwar
vorzüglich bei Interventionen im Intereſſe des Europäiſchen Friedens. 1
Eigentliches Kriegsrecht. Kriegsmanier. Kriegsräſon.
119. Auch der Krieg hat ſeine beſtimmten Rechte und Formen.
Dieſes iſt das eigentliche ius belli. Schon die Alten hatten ein
ſolches; 2 aber es ſetzte der ungebundenen Willkühr nur wenige
Schranken. Erſt im Mittelalter ſtreiften ſich manche Härten ab,
theils durch den Einfluß des Chriſtenthums, theils auch durch den
Geiſt des Ritterthums. 3 Die letzten Jahrhunderte haben nach
manchen Schwankungen die Menſchlichkeit, das Bewußtſein der
Gattung, als Regulativ angenommen. Civiliſirte Völker erkennen
in dem Kriege nur einen Nothſtand, ein unvermeidliches Uebel;
welches nicht weiter ausgedehnt werden darf, als die Noth es er-
fordert; wo nicht der Menſch gegen den Menſchen zu ſeiner Ver-
nichtung und ſo gegen ſich ſelbſt, ſondern Staat gegen Staat mit
den einem jeden zu Gebot ſtehenden Kräften und Mitteln kämpft,
und ſeinen Willen durch Angriff und Vertheidigung durchzuſetzen
ſucht. 4
[202]Erſtes Buch. §. 119.
Daher iſt auch ſein oberſter Grundſatz, geheiligt eben ſo ſehr
durch Recht und Humanität (Menſchenliebe), wie durch den eigenen
Nutzen: füge Deinen Feinden auch im Kriege nicht mehr Uebel zu,
als es für die Durchſetzung des Zweckes unvermeidlich iſt; wäh-
rend das alte Kriegsrecht den Grundſatz befolgte: füge dem Feinde
ſo viel Uebel zu als Du kannſt und nützlich findeſt. Die von
der Sitte im Einzelnen beſtimmte rechte Weiſe des Krieges iſt die
ſ. g. Kriegsmanier, auf deren gleichmäßige Beobachtung jeder
bei dem anderen rechnet; ſie zeichnet die erlaubten Mittel und äu-
ßerſten Grenzen vor; ſie verbannt und ächtet mit dem Fluch der
Geſchichte jede Unmenſchlichkeit und Barbarei. Ihre Ueberſchrei-
tung berechtigt jede Nation, alle Verbindung mit der fehlenden ab-
4
[203]§. 120. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
zubrechen. Nur außerordentliche Umſtände, nämlich entweder die
äußerſte Noth oder die Erhaltung der Gleichheit des Kampfes und
der Regel ſelbſt, können als ſ. g. Kriegsräſon zu Ueberſchreitun-
gen der gewöhnlichen Sitte berechtigen. 1 Regellos iſt daher ſchon
an ſich jeder Krieg wider Horden und Banden, welche kein Geſetz
der Menſchlichkeit über ſich anerkennen. Strenger endlich und ver-
nichtender als der Landkrieg iſt der Seekrieg; die Maximen deſſel-
ben haben ſich bei dem Mangel eines gehörigen Gleichgewichtes
der Seemächte, noch bei Weitem nicht zu einer gleichen Parallele
mit dem des Landkrieges erhoben; zur Hälfte iſt er noch immer
ein Raubkrieg, wie ſich weiterhin ergeben wird.
Anfang des Krieges.
120. Ehe zu wirklichen Feindſeligkeiten geſchritten wird, muß,
wenn bisher ein gegenſeitiger freundſchaftlicher Verkehr beſtand,
dem Gegner, welchen man mit Krieg überziehen will, eine Kriegs-
erklärung gemacht werden. Es würde keine Treue und Glauben
unter den Nationen Statt finden, ſondern ein Syſtem der Iſoli-
rung und Furcht Platz greifen, wenn eine unerwartete Kriegsüber-
ziehung in jedem Augenblicke befürchtet werden müßte. Das Al-
terthum beobachtete dabei beſonders feierliche Formen; 2 der rit-
terliche Geiſt des ſpäteren Mittelalters hielt dergleichen ebenfalls
für erforderlich; 3 die Gewohnheit feierlicher Kriegserklärung dauerte
bis in das ſiebenzehnte Jahrhundert. Seit dieſer Zeit aber hat
man ſich ganz von beſtimmten Formen entbunden. Man begnügt
ſich, jeden diplomatiſchen Verkehr mit dem Gegner abzubrechen 4
und auf einem der Publicität nicht entzogenen Wege, z. B. durch
ſ. g. Kriegsmanifeſte, die Abſicht einer Kriegsunternehmung zu er-
klären, oder ſofort zu einer ſolchen factiſch zu ſchreiten, ohne eine
unmittelbare Benachrichtigung des Gegners noch für nöthig zu
[204]Zweites Buch. §. 121.
halten, wiewohl ſie immer etwas geziemendes ſein wird. 1 Gewiß
bedarf es nach der Natur der Sache keiner näheren Erklärung
bei Vertheidigungskriegen wider einen beſtimmt ſchon erklärten
oder doch wahrſcheinlichen Angriff des Gegners. Recht und Bil-
ligkeit fordern nur, daß eine plötzliche Schilderhebung nicht etwa
gegen Privatperſonen und deren Eigenthum, ſo wie gegen Dritte,
namentlich gegen Neutrale, gemißbraucht werde, um ſich dadurch
Vortheile anzueignen, welche das Beſtehen eines legalen Kriegszu-
ſtandes dem Kriegführenden darbietet. In dieſer Hinſicht kann ſich
kein Staat, ohne Treue und Glauben zu verletzen, entbrechen, be-
ſtimmte Erklärungen, Bekanntmachungen und Friſten Statt finden
zu laſſen, und dadurch den Betheiligten Gelegenheit zu geben, ſich
und das Ihrige gegen einen unvorhergeſehenen Verluſt zu ſichern.
Noch iſt indeſſen die neueſte Staatenpraxis nicht ganz auf dieſem
Wege, und mit wenigem Erfolg hat man ſchon längſt die Aneig-
nung ſolcher Vortheile bei dem erſten Anfang der Feindſeligkeiten
ohne vorherige Ankündigung derſelben als illegal angefochten. 2 In
der That iſt ſie Raub. Specielle Anwendungen dieſes Princips wer-
den weiterhin vorkommen. (§. 139.)
Sobald übrigens unter den Hauptparteien der Kriegszuſtand ein-
getreten iſt, ſo tritt er auch für die Bundesgenoſſen mit den §. 117.
gemachten Unterſcheidungen ein, ſobald dieſelben anfangen, ihrer
Bundespflicht zu genügen. 3
Maaßregeln vor oder bei Anfang des Krieges.
121. Maaßregeln, welche der Eröffnung eines vollſtändigen
Kriegszuſtandes, d. h. eines ſolchen Zuſtandes, wo die Integrität
und Selbſtändigkeit eines Staates mit Waffengewalt bedroht wird,
noch vorangehen können, ohne ſelbſt ſchon einen Kriegsanfang noth-
wendig darzuſtellen, ſind
das Embargo
und die Verhängung einer Blocade (§. 112.).
[205]§. 121. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
Beide begründen vorerſt nur ein Beſchlagnahmerecht, welches aber,
wofern die Maaßregel ſelbſt durch ſchon zuvor exiſtirende Gründe
gerechtfertigt war, nach wirklich eröffnetem Kriege in eine Aneig-
nung der in Beſchlag genommenen, und jener nach Kriegsrecht un-
terworfenen Sachen verwandelt werden kann. 1
Fernere Maaßregeln ſind:
die Erlaſſung von Manifeſten, worin die Urſachen des Krieges
öffentlich dargelegt werden; nebenbei auch wohl die Verbreitung
beſonderer Rechtsausführungen, zur Beglaubigung der weſentlichen
Thatſachen und Grundſätze. Die Würde der Staaten gebietet hier-
bei gemeſſene Haltung, insbeſondere eine zurückhaltende Schonung
der Perſönlichkeit des Feindes; die Thatſachen allein müſſen ſpre-
chen. — Sodann:
die Erlaſſung von Abberufungspatenten an die im feindlichen
Lande befindlichen Unterthanen; 2
die Erlaſſung von Martialgeſetzen, Unterſagung eines jeden
oder doch beſtimmten Verkehrs mit dem Feinde;
eine Benachrichtigung der neutralen Mächte von dem bevor-
ſtehenden oder ſchon eingetretenen Kriegszuſtande; endlich auch
wohl
Austreibung der feindlichen Unterthanen aus dem dieſſeitigen
Gebiete zur Vermeidung der etwanigen Nachtheile, welche aus dem
ungeſtörten Verweilen feindlicher Staatsangehörigen entſpringen
könnten. 3
Alle dieſe Maaßregeln ſind jedoch dem politiſchen Ermeſſen der
einzelnen kriegführenden Theile lediglich und allein überlaſſen.
[206]Zweites Buch. §. 122.
Unmittelbare rechtliche Wirkungen der Kriegseröffnung.
122. Die nächſte Wirkung einer Kriegseröffnung iſt die that-
ſächliche Suspenſion jedes friedensrechtlichen Verhältniſſes und
Verkehrs unter den kriegführenden Mächten; denn es fehlt nun an
der Möglichkeit einer Dikäodoſie, auch nimmt der Krieg alle Mit-
tel und Kraftanſtrengungen für ſich in Anſpruch. Dagegen kann
nicht behauptet werden, wenigſtens nicht nach den Principien des
neueren Kriegsrechtes, daß der Krieg jedes rechtliche Band unter
den ſtreitenden Parteien von Rechtswegen auflöſe und ein ſolches
erſt durch den Frieden von Neuem entſtehen laſſe, weil der Krieg
Alles, ſogar die Exiſtenz eines Staates auf das Spiel ſetze. 1 Die
bloße Möglichkeit eines Unterganges ſteht noch nicht dem wirkli-
chen Untergang ſelbſt gleich.
Eine fortdauernde Giltigkeit haben zunächſt diejenigen Verpflich-
tungen, welche ausdrücklich auf den Fall eines Krieges übernom-
men oder ausgedehnt ſind, ſo lange kein Theil ſich einer Verletzung
ſchuldig macht und den andern dadurch zur Aufhebung der Ver-
bindlichkeit oder wenigſtens zur Suspenſion derſelben als Repreſ-
ſalie berechtigt; 2 denn bis dahin beſteht präſumtiv eine Einheit
des Willens, die Grundlage der Vertragsverbindlichkeiten. Eben
ſo müſſen auch diejenigen Rechtsverhältniſſe in Kraft bleiben, welche
durch frühere ſchon in Vollzug geſetzte Verträge in das Leben ge-
treten, folglich ſchon vollendete rechtliche Thatſachen ſind, voraus-
geſetzt, daß nicht im künftigen Friedensſchluß eine ausdrückliche
Aenderung damit vorgenommen wird. 3
[207]§. 122. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Ferner treten ſelbſt die allgemeinen friedensrechtlichen Verhält-
niſſe der Staaten während des Krieges nur inſoweit außer Kraft,
als es Abſicht und Nothwendigkeit der Kriegführung erfordert.
Das Recht auf Achtung kann ſelbſt dem Feinde nicht abgeſprochen
werden und wird im neueren Kriegsgebrauch beſonders unter den
Souveränen nicht bei Seite geſetzt. Treue und Glauben darf man
auch unter den Waffen fordern.
Vertragsverbindlichkeiten, deren Erfüllung noch nicht geleiſtet
iſt, werden theils ſchon durch den Krieg, wenigſtens für die Dauer
deſſelben, unmöglich gemacht, wenn ihre Vorausſetzung ein Frie-
denszuſtand iſt; theils können ſie überhaupt nicht als fortwirkend
gelten, weil ihr Giltigkeitsgrund, nämlich eine dauernde Willensein-
heit, und die Möglichkeit einer Verſtändigung nach gleichem freien
Recht durch den Krieg unterbrochen iſt, außerdem auch kein Völ-
kergebrauch zur Erfüllung früherer Verträge dem Feinde gegenüber
verbindet, vielmehr ſie als aufgehoben oder ſuspendirt zu betrach-
ten ſcheint. Ob und welche davon mit dem künftigen Frieden wie-
deraufleben, wird ſich im vierten Abſchnitte dieſes Buches heraus-
ſtellen. Iſt die Erfüllung eines Vertrages bereits vor oder wäh-
rend des Krieges fällig geworden, ſo kann ſich der glückliche Feind
freilich das Object oder Aequivalent davon mit eigener Willkühr
anzueignen ſuchen. Allein die Willkühr wird dadurch noch keine
rechtliche Thatſache; erſt durch den Frieden kann ſie dieſen Cha-
racter erlangen.
Allgemeine Menſchenrechte der Einzelnen werden an ſich durch
den Krieg nicht aufgehoben. Sie unterliegen nur den Zufälligkei-
ten der Kriegsgeißel, welche ohne Wahl trifft, auch müſſen ſie ſich
den Beſchränkungen 1 unterwerfen, welche die kriegführenden Mächte
dem Verkehr ihrer Unterthanen unter Einander oder mit Neutra-
len zu ſetzen für gut finden. So weit dies nicht ausdrücklich ge-
ſchieht, darf in den Privatrechten der Einzelnen, ja ſelbſt in der
Rechtsverfolgung derſelben in Feindesland nach neuerem Kriegs-
recht keine Veränderung vermuthet werden. 2
[208]Zweites Buch. §. 123.
Subjecte des Kriegsſtandes.
123. Obgleich im Allgemeinen ein eigentlicher ſowohl activer
wie paſſiver Kriegsſtand nur unter den feindlichen Staatsgewal-
ten, deren Hilfsmächten und unter den zur Ausübung von Feind-
ſeligkeiten beſtimmten Perſonen nach der Kriegsweiſe civiliſirter Völ-
ker beſteht: ſo treten doch auch alle übrigen Unterthanen daneben
wenigſtens in einen paſſiven Kriegsſtand, inſofern ihr Zuſammen-
hang mit der Staatsgewalt, ſo wie Art und Zweck des Krieges,
eine Mitleidenheit unvermeidlich macht. 1 Aber nur mit dem Wil-
len der eigenen Staatsgewalt tritt der Einzelne auch in einen ge-
regelten activen Kriegsſtand ein, 2 ſei es durch Berufung in die re-
gulären Truppen oder in einen organiſirten Landſturm oder durch
Einrolirung in ein autoriſirtes Freicorps, oder endlich durch das
Aufgebot der ganzen Nation, wenigſtens der waffenfähigen, zu
feindſeligen Handlungen. Endlich iſt, wenn der Feind ſelbſt ei-
nen Vernichtungskrieg erklärt oder factiſch führt, oder wenn ein-
zelne Glieder des feindlichen Staates ſich nicht nach Kriegsſitte be-
tragen, jedem Einzelnen auch das Recht des activen Widerſtandes
gegeben. Außerdem aber iſt jede feindſelige Handlung an Perſo-
nen und Eigenthum der feindlichen Partei nicht bloß eine Ver-
letzung der Kriegsſitte, die der Feind ahnden kann, ſondern ſogar
eine Uebertretung der eigenen Staatsgeſetze, wodurch Verletzungen
von Perſonen und Sachen als den Bürgerpflichten zuwider ver-
pönt werden, und ſie verfällt entweder dem einheimiſchen ordentlichen
Strafgeſetz 3 oder beſondern Martialgeſetz.
[209]§. 124. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Erlaubte Mittel der Kriegführung.
124. Was die Mittel der Kriegführung betrifft, ſo iſt im All-
gemeinen nicht blos offene Gewalt ſondern auch Liſt für zuläſſig
zu halten, um den Zweck des Krieges zu erreichen. Nur die Ehre
und Humanität ſetzen den Nationen gewiſſe Schranken, welche ent-
weder nie, oder doch nur ausnahmsweiſe aus Kriegsräſon über-
ſchritten werden dürfen.
Als unbedingt verboten, weil unmenſchlich, betrachten wir Ver-
breitung von Giftſtoffen und Contagionen in feindlichem Lande, 1
den Gebrauch vergifteter 2 und ſolcher Waffen, wodurch unnöthige
Schmerzen und beſonders ſchwer zu heilende Wunden zugefügt wer-
den, z. B. das Schießen à la mitraille, oder mit zackigen oder von
Glas und Kalk durchmiſchten Kugeln, oder mit doppelten oder hal-
birten Kugeln, gewiß auch Brandraketen gegen Perſonen; endlich
ein allgemeines Schlachten derer, welche keinen Widerſtand leiſten
oder dazu ganz unfähig ſind. Sogar ein erlaubter Vernichtungs-
krieg gegen einen Staat kann dazu nicht berechtigen oder nöthigen.
Regelmäßig unzuläſſig, jedoch zur Rettung aus ſonſt unabwendba-
rer Gefahr oder als Repreſſalie erlaubt, iſt nach Kriegsgebrauch jede
Verheerung des feindlichen Gebietes, Zerſtörung der Aerndten, Ein-
3
14
[210]Zweites Buch. §. 124.
äſcherung der Wohnungen, wo ſie nicht ſchon die Durchführung
einer Kriegsoperation mit ſich bringt; 1
ſodann die Anwendung von Vertilgungsmitteln, welche mit
Einem Act maſchinmäßig ganze Maſſen von Feinden niederſchleu-
dern, wodurch der Menſch zu einem thatenloſen Object herabge-
ſetzt und entwürdigt auch wohl das Blutvergießen unnöthig ver-
größert wird; z. B. der Gebrauch von Kettenkugeln im Landkriege
oder von glühenden Kugeln und Pechkränzen im Seegefecht um
feindliche Schiffe mit ihrem ganzen Inhalt auf Einmal zu vernichten. 2
Unter den Mitteln der Liſt erſcheinen zunächſt alle diejenigen
rechtlich unzuläſſig, welche die vom Feinde dem Feinde ſelbſt gege-
bene Treue verletzen; 3 Ehre und eigenes Intereſſe verbieten ſo-
dann den Meuchelmord am Feinde und Aufreizung dazu, ferner
Aufforderungen der Unterthanen zum Abfall von ihrer rechtmäßi-
gen Staatsgewalt. Dagegen kann Sparung von Menſchenleben
und ein ſchneller zu erreichendes Ziel des Krieges Anreizungen Ein-
zelner zum Verrath durch Beſtechung und ähnliche Vortheile das
Unſittliche des Mittels einigermaßen entſchuldigen. 4
Unverſagt iſt die Annahme und Benutzung aller freiwillig von
der feindlichen Seite her dargebotenen Vortheile, wenn ſie nicht
wieder zu einer an ſich unerlaubten oder verdammenswerthen Hand-
lung hinführen, z. B. zum Meuchelmord; ſo die Annahme von
[211]§. 125. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Deſerteurs, ſelbſt von Verräthern; allgemein zugeſtanden der Ge-
brauch von Kundſchaftern. 1 Jedem Theile ſtehet aber zu gegen
Liſten und Verrath kräftige Reaction zu gebrauchen; 2 geht die
Liſt zu offenem Kampf über, ſo muß die Verſtellung aufhören. 3
Wendet der Feind nun unerlaubte Mittel der Bekämpfung an,
ſo darf auch er rechtlos behandelt werden. Er unterliegt dem Ge-
ſetz der Wiedervergeltung, wenn nur eine ſolche möglicher Weiſe
den Schuldigen treffen kann.
Behandlung feindlicher Perſonen.
125. In Hinſicht auf die Behandlung feindlicher Perſonen
kannte das alte Kriegsrecht gar keine oder doch nur wenige Schran-
ken. Es überließ ſie der Willkühr des Siegers, mit der Wahl
zwiſchen Tödtung oder Knechtung. Das neuere Kriegsrecht chriſt-
licher Nationen iſt auch hierin, ſeinem obigen Princip gemäß, hu-
maner; es beſchränkt ſich auf das Unvermeidliche und unterſchei-
det die verſchiedene Beſtimmung ſo wie das Verhalten der feind-
lichen Perſonen in folgender Weiſe:
- I. Nur gegen Perſonen des feindlichen Wehrſtandes, welche
zum Gebrauch der Waffen verpflichtet und berechtigt ſind
(ſ. g. Combattanten), es ſeien regulaͤre oder irreguläre
Truppen, gilt das eigentliche Kriegsrecht auf Leben und Tod,
werden alle von der Kriegsmanier erlaubte Mittel der Ver-
nichtung angewendet. 4 Schonung einzelner Menſchenleben
muß nur in dem Fall Statt finden, wenn der Andere ſich
dadurch ſelbſt in keine Gefahr bringt oder die Erreichung
der Kriegszwecke dadurch nicht verhindert wird. Es wird
daher auch unter ſolchen Umſtänden der Pardon dem Ein-
zelnen nicht leicht verweigert, ſofern nur der Feind ſelbſt eine
gleiche menſchliche Schonung beobachtet und nicht durch ein
entgegengeſetztes Verfahren zu Repreſſalien Anlaß giebt, um
14*
[212]Zweites Buch. §. 125.
eine Gleichheit des Kampfes zu erhalten. — Nicht-Com-
battanten, welche blos zum Troß oder zur Ausrüſtung der
Truppen gehören, als Feldprediger, Wundärzte, Marketen-
der, Quartiermeiſter, werden zwar vereinzelt am Leben ge-
ſchont, theilen aber natürlich im Gemenge die Schickſale der
Combattanten und verfallen in Kriegsgefangenſchaft, wenn
ſie nicht ausdrücklich in allgemeinen Verträgen oder in Capi-
tulationen ausgenommen ſind. Verwundete, welche ſelbſt
nicht mehr die Waffen gebrauchen oder zu gebrauchen im
Stande ſind, müſſen nach den Grundſätzen der erlaubten
Selbſthilfe, welche auch die Grundſätze des Krieges ſind, mit
weiteren Angriffen auf ihre Perſon verſchont werden. Dem
Looſe der Kriegsgefangenſchaft ſind ſie nicht entzogen; die
Sorge für ihre Heilung iſt zwar nur der Menſchlichkeit und
Großmuth des Siegers anheimgeſtellt, allein ſie darf bei der
hierin beſtehenden Gegenſeitigkeit ſogar erwartet werden, nach-
dem der Sieger für ſeine eigenen Verwundeten und Kran-
ken zu ſorgen im Stande geweſen iſt. Tödtung der feind-
lichen Verwundeten und Kranken kann im Allgemeinen nie
und in keiner Hinſicht gerechtfertigt werden, höchſtens an
denjenigen, von denen man die beſtimmte Kenntniß hat, daß
ſie ſelbſt ſich auf gleiche Weiſe vergangen haben. — Parla-
mentirende Militärperſonen, wenn ſie mit den herkömmlichen
Zeichen ſich nähern, müſſen als unverletzbar gelten und auch
zur Rückkehr Zeit und Sicherheit erlangen. - II. Perſonen, welche nicht zur feindlichen Heeresmacht gehören,
mit Einſchluß der blos zur Erhaltung der inneren Sicher-
heit und Ordnung dienenden obſchon bewaffneten Perſonen,
ſtehen unter dem Schutze des Kriegsrechtes und werden, ſo
lange ſie ſelbſt keine Feindſeligkeiten begehen, mit perſönlicher
Vergewaltigung verſchont. Zur Schändung von Perſonen
kann auch der Feind niemals ein Recht haben. 1 Natür-
lich ſind demſelben Sicherungsmaaßregeln jeder Art zuſtän-
dig, z. B. Abforderung oder Wegnahme von Waffen oder
Geißeln. Befinden ſich feindliche Unterthanen bei dem Aus-
bruche des Krieges in des anderen Theiles Gebiet, oder wer-
den ſie dorthin durch einen Zufall während des Krieges ver-
[213]§. 126. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
ſchlagen, ſo muß ihnen Zeit zur Entfernung gelaſſen werden.
Nur eine Sequeſtration kann durch die Umſtände gerecht-
fertigt ſein, theils um Zuträgereien, theils auch um Verſtär-
kungen der feindlichen Macht zu verhindern. 1 - III. Eine vorzügliche Schonung erweiſet die neuere Kriegsſitte
dem feindlichen Souverän und den Gliedern ſeiner Familie,
ſelbſt wenn ſie an den Kriegsoperationen unmittelbar Theilneh-
men. Man richtet abſichtlich kein Geſchütz nach ihnen; nur
einer Kriegsgefangenſchaft unterliegen auch ſie. Jedoch wer-
den Frauen und Kinder meiſtens in ihrer bisherigen Lage
ungeſtört gelaſſen und ſogar gegen Beunruhigung geſchützt;
auch werden hergebrachte Höflichkeiten während des Krieges
nicht völlig unterlaſſen. Natürlich aber ſind auch hier Si-
cherungsmittel gegen den Mißbrauch ſolcher Schonung und
Repreſſalien nicht ausgeſchloſſen. - IV. Ganz außer dem Schutze des Kriegsrechts und der Kriegs-
manier ſtehen:- a) diejenigen, welche auf eigene Fauſt und ohne Erlaub-
niß des Souveräns einen ſ. g. kleinen Krieg führen,
wovon die autoriſirten Freicorps, welche ſich durch
ſchriftliche Ordres der Militärbefehlshaber legitimiren
können, wohl zu unterſcheiden ſind; 2 - b) diejenigen Militärperſonen und Nicht-Combattanten,
welche ſich ſelbſt nicht nach Kriegsſitte betragen, z. B.
Maraudeurs, ohne zur Maraude von ihren Befehls-
habern commandirt zu ſein; - c) die Ueberläufer, welche beim feindlichen Heere gefun-
den werden.
Alle dieſe ſind der Willkühr des andern feindlichen Theiles
bloß geſtellt. - a) diejenigen, welche auf eigene Fauſt und ohne Erlaub-
Kriegsgefangenſchaft.
126. Dem Looſe der Kriegsgefangenſchaft waren nach altem
Völkerrecht alle feindlichen Perſonen unterworfen, die der Sieger
[214]Zweites Buch. §. 127.
in ſeine Gewalt bekam. Er konnte mit ihnen nach Belieben ver-
fahren, wenn er ſich nicht durch Vertrag zu einer beſtimmten
Schonung verpflichtet hatte — und auch dieſer ſchützte nicht im-
mer; er konnte ſie tödten, mißhandeln, oder in Knechtſchaft ge-
ben. 1 Nur bei einzelnen Völkerſtämmen finden ſich theilweis
mildere Grundſätze, obgleich ſie nicht immer befolgt wurden. So
das Geſetz der Amphictyonen, die in die Tempel geflüchteten nicht
zu tödten; 2 oder der angeblich allgemeine Brauch der Hellenen,
ſolche die ſich freiwillig übergeben und um ihr Leben flehen, am
Leben zu ſchonen, 3 oder, was bei den Römern beobachtet zu ſein
ſcheint, das Leben der Belagerten zu ſchonen, wenn ſie ſich noch vor
dem Berennen der Mauern mit dem Belagerungsgeſchütz überlieferten. 4
Im Mittelalter trat zwar die Kirche vermittelnd für gewiſſe
Claſſen durch Gottesfrieden ein, 5 allein es blieb die willkührlichſte
ja ſelbſt grauſame Behandlung der feindlichen Unterthanen und
Kriegsgefangenen in ungehinderter Uebung; 6 nur die Ausſicht auf
Löſegeld und ritterlicher Sinn führten zu Schonung, auch ſetzte
die Kirche allmählig jede Sclaverei chriſtlicher Kriegsgefangener
unter chriſtlichen Nationen außer Gebrauch. 7
127. Nach heutigem Kriegsrecht 8 unterliegen der Kriegsge-
fangenſchaft, wie ſchon angedeutet ward, nur der Souverän mit
den waffentragenden oder waffenfähigen Gliedern ſeiner Familie,
ſodann alle zur bewaffneten activen Macht gehörigen Perſonen.
Ausnahmsweiſe hat man auch noch in einzelnen Fällen die in
Feindesland befindlichen Unterthanen des anderen Staates als
Kriegsgefangene behandelt. (§. 125. II.)
[215]§. 128. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Ihren Anfang nimmt nun die Kriegsgefangenſchaft in dem
Augenblick, wo eine feindliche dem Kriegsrecht unterworfene Per-
ſon entweder unfähig zu fortgeſetztem Widerſtand in des anderen
Theiles Gewalt geräth, und ihres Lebens geſchont werden kann,
oder wo ſie ſich freiwillig, ſei es mit, ſei es ohne Bedingung als
Kriegsgefangen übergiebt.
Weder in dem einen noch anderen Falle kann nach Rechtsregeln
dem Gefangenen noch das Leben genommen werden; denn jede
erlaubte Gewalt endigt, wenn der Gegner widerſtandlos geworden
iſt und berechtiget blos zu weiteren Sicherungsmitteln. Nur wo
dieſe unter den vorwaltenden Umſtänden nicht zur Hand liegen
und ergriffen werden können, würde die Noth der Selbſterhaltung
und der ferner zu verfolgenden Kriegszwecke eine Zurückweiſung
der angebotenen Uebergabe und ſelbſt eine Vernichtung des wider-
ſtandloſen, jedoch noch widerſtandfähigen gefangenen Feindes ent-
ſchuldigen. Iſt die Uebergabe auf Treue und Glauben geſchehen
und angenommen, ſo fällt auch dieſe Entſchuldigung weg, es
müßte denn ein Treubruch des Gefangenen oder eine neue durch
ſein Daſeyn verſtärkte Gefahr hinzugetreten ſein.
Sollte ſich ein Gefangener, der ſich nicht auf beſtimmte Be-
dingungen ergeben hat, vorher einer Verletzung der Kriegsmanier
ſchuldig gemacht haben, ſo würde zwar dem Sieger ein Recht der
Ahndung, innerhalb der Grenzen menſchlicher Wiedervergeltung,
nicht beſtritten werden können; 1 verdammenswürdig aber wäre
jede Rache an einem Feinde, der nur ſeine Pflicht als Krieger ge-
than hat, wie z. B. die Tödtung eines tapferen und ausdauern-
den Vertheidigers einer Feſtung, ſollte man ihn auch zuvor mit
Rache bedroht haben. 2 Die Annalen der künftigen Geſchichte
werden dergleichen unter chriſtlichen Mächten hoffentlich nicht re-
produciren.
128. Das Weſen der heutigen Kriegsgefangenſchaft beſteht le-
diglich in einer thatſächlichen Beſchränkung der natürlichen Frei-
heit, um die Rückkehr in den feindlichen Staat und eine fernere
Theilnahme an den Kriegsunternehmungen zu verhindern. Mit-
glieder der ſouveränen Familie werden zwar bewacht, jedoch rück-
ſichtsvoll behandelt, und vorzüglich, wenn ſie ihre Treue verpfän-
[216]Zweites Buch. §. 128.
den, von drückenden perſönlichen Beläſtigungen befreit. Ebenſo
geſtattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere
Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Auf-
ſicht gehalten und zu angemeſſenen Arbeiten gebraucht, um einen
Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat in deſſen
Gewalt ſie ſich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Erſtattung
oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich iſt der
Gefangene waͤhrend der Dauer der Gefangenſchaft der Gerichts-
barkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbeſondere der
Strafgerichtsbarkeit wegen der daſelbſt von ihm begangenen Ver-
brechen. Eine willkührliche Behandlung durch Mißhandlung und
Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Noth-
wendigkeit des Krieges; nur wenn die Gefangenen ſelbſt die ge-
ſetzten Beſchränkungen überſchreiten oder den auswärtigen Staat
auf gefährliche Weiſe bedrohen, finden Zuchtmittel und ſtrengere
Reactionen gegen ſie Anwendung; nicht aber ſollten an ihnen,
wegen der von ihnen ſelbſt nicht verſchuldeten Thatſachen Repreſ-
ſalien an ihrer Perſon gebraucht werden, obgleich dies ſonſt als
Kriegsräſon in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt,
oder wenigſtens gedroht worden iſt. 1 Zwang zum Eintritt in
feindliche Militärverhältniſſe iſt unerlaubt.
Geendet wird die Kriegsgefangenſchaft:
- mit dem Frieden;
- durch freiwillige Unterwerfung unter den ſie annehmenden
feindlichen Staat; - durch bedingte oder unbedingte Loslaſſung;
- durch Selbſtranzionirung.
Geräth ein Selbſtranzionirter von Neuem in Feindesgewalt,
ſo wird dies ungeahndet gelaſſen; denn der Gefangene hat nur
dem natürlichen Triebe zur Freiheit und zum Vaterlande Folge ge-
geben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer geſtellten Bedin-
gung der Loslaſſung z. B. nicht mehr gegen den andern Staat
dienen zu wollen, berechtigt zu einer entſprechenden Ahndung durch
eine ſchlimmere als die ſonſt gewöhnliche Behandlung.
[217]§. 129. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Einfluß des Krieges auf den Handelsverkehr feindlicher Perſonen. 1
129. Muß man es gleich als Recht jedes Erdenbürgers be-
trachten, die Verbindungswege der Völker zum Verkehr mit den-
ſelben, folglich auch zum Handel zu benutzen, und müßte dieſes Recht
an und für ſich wie jedes andere Privatrecht ſelbſt unter den Waf-
fen fortbeſtehen: ſo darf es doch nicht in Widerſpruch mit den
Intereſſen der Staaten geübt werden, unter deren Schutze es ſteht;
der Handel kann ſich leicht mit ſeinem gewaltigen Nerv zu einer
unabhängigen, die Staaten ſelbſt bedrohenden Macht erheben, wie
die Geſchichte bereits an dem Beiſpiel der Hanſe gezeigt hat; er
würde in ſeiner Freiheit zuletzt der Beherrſcher der Staaten wer-
den, deſſen ſpeculative Einſeitigkeit viele edlen Elemente erdrücken
könnte; zuverläſſig aber würde er ſchon bei einzelnen Kriegen eine
große Abhängigkeit der kriegführenden Mächte von ſich herbeifüh-
ren, eine gewiſſe Zweideutigkeit in das ſtreng geſchiedene Verhält-
niß derſelben hineinlegen und die Durchführung der Kriegsunter-
nehmungen vielfach durchkreuzen, ja dem Feinde ſelbſt oft zu Gun-
ſten dienen, wenn man ſogar unter den ſtreitenden Nationen einen
unbeſchränkten Handelsverkehr zu geſtatten hätte. Denn der Han-
del hat keinen Feind außer demjenigen, welcher ihn ſtört, und ſein
natürliches Princip iſt Eigennutz ohne Vaterland; auch ſein groß-
artiges Verdienſt um die Civiliſation ordnet ſich dieſer Triebfeder
unter. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein unge-
ſtörter Handelsverkehr zwiſchen den Unterthanen der ſtreitenden
Theile nicht zugelaſſen werden kann, vielmehr jeder kriegführende
Staat zur Verhinderung derſelben Maaßregeln zu ergreifen befugt
iſt. Deshalb darf er nicht allein ſeinen eigenen Unterthanen mit
Androhung von Strafen und Confiscationen die gänzliche Unter-
laſſung oder gewiſſe Beſchränkungen vorſchreiben, ſondern er kann
auch thatſächlich jeden feindlichen Unterthan von ſolchem Verkehr
zurückweiſen und Reactionen dagegen gebrauchen, wovon das Nä-
here in Betreff des Seehandels bei der Seebeute vorkommen wird;
er kann feindlichen Handelsforderungen die Klagbarkeit verſagen,
[218]Zweites Buch. §. 130.
z. B. den Verſicherungen feindlicher Güter, 1 ſo wie er anderer-
ſeits durch Ertheilung ſpecieller Licenzen einen beſtimmten Ver-
kehr erlauben mag, wodurch aber natürlich dem feindlichen Theile
keine Verbindlichkeit zur Beachtung der Licenz auferlegt wird. 2
Keineswegs läßt ſich übrigens behaupten, daß eine abſolute Han-
dels- und Handelsgeſchäftsſperre unter feindlichen Staaten die
Selbſtfolge der Kriegseröffnung ſei, wenn ſie gleich das Geſetz ein-
zelner Staaten iſt. Es bedarf vielmehr deutlicher Erklärungen je-
der Staatsgewalt über dieſen Gegenſtand, wenigſtens eines aus-
drücklichen allgemeinen Handelsverbotes, 3 indem die Handelsfrei-
heit der Einzelnen nicht erſt von dem Staate kommt, ſondern von
demſelben nur ſeine Beſchränkungen zu empfangen hat, der Krieg
aber an ſich ein abſolutes natürliches Hinderniß des Handelsver-
kehrs unter Einzelnen nicht darſtellt. 4 Eben ſo wenig kann ein
Alliirter dem andern Alliirten eine abſolute Prohibition, wenn ſie
nicht ſchon durch Vertrag feſtſteht, zur Pflicht machen wollen;
nur offenbare Handelsbegünſtigungen des feindlichen Theiles von
Seiten eines Alliirten darf der Andere unterſagen und thatſächlich
dagegen durch Beſchlagnahme einwirken. 5
Recht auf einzelne feindliche Sachen überhaupt. 6
130. Nach dem Geiſte des älteren Kriegsrechtes, welches je-
den Krieg als Vernichtungskrieg, und jeden Feind als rechtlos
betrachtete, war es eine natürliche Conſequenz, daß auch alles
feindliche Eigenthumsrecht an Sachen, welche in die Gewalt des
[219]§. 130. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
andern Theiles geriethen, hinfällig und wirkungslos wurde, und
dem Sieger die Aneignung dieſer Sachen mit allen Wirkungen
des Eigenthums zufiel. 1 Ja, man hielt das dem Feinde abge-
nommene Gut für das ſicherſte und gerechteſte Eigenthum! 2 Was
man nicht behalten wollte, unterlag willkührlicher Zerſtörung.
Nichts hatte auf Schonung Anſpruch; Verwüſtungen des feindli-
chen Landes, der Städte und Wohnungen, ja ſelbſt der Tempel
waren wenigſtens der Regel nach nicht ausgeſchloſſen; noch in
der römiſch-chriſtlichen Zeit wurden die ſonſt ſo heilig gehaltenen
Grabmäler, worin Leichen der feindlichen Staatsangehörigen ge-
borgen waren, nicht als unverletzbar geachtet. 3 Auch was ſich
beim Ausbruche des Krieges in Feindesland befand, verfiel dem
Feinde als Beute. 4
Hinſichtlich der Perſon des Erwerbers beſtand nicht überall ein
gleiches Recht. Im Römerreiche beobachtete man hauptſächlich
den Unterſchied, daß alles feindliche unbewegliche Gut durch die
Wegnahme des Siegers (occupatio bellica) Eigenthum des ſie-
genden Staats ward, wogegen das bewegliche Gut der Feinde als
Beute (praeda bellica) den beſitzergreifenden Einzelnen anheim
fiel, die in Gemeinſchaft gemachte Beute aber in gewiſſen Ver-
hältniſſen unter den Theilnehmern, auch wohl mit beſtimmten Abzü-
gen für den Staatsſchatz und die Tempel getheilt ward. 5
Ein ganz anderes Recht mußte ſich aus der Idee des neueren
Kriegsrechtes ergeben, die wir bereits oben dargelegt haben. Der
Krieg iſt nicht nothwendig, ſondern nur ſoweit als nothwendig
eine That der Vernichtung und eine Auflöſung aller Rechtsver-
hältniſſe; es iſt kein ewiger Krieg unter ſittlichen Nationen, ſon-
dern ſein immer im Auge behaltenes Ziel iſt der Frieden. Dieſer
iſt nur einſtweilen ſuspendirt; jener, eine vorübergehende Thatſache,
[220]Zweites Buch. §. 131.
welche jeder Theil, wie ihn das Glück mehr oder weniger begün-
ſtigt, zu ſeinem Vortheil als glücklicher Beſitzer für die rechtlichen
Zwecke des Krieges benutzen kann, ohne einer Dikäodoſie deshalb
unterworfen zu ſein. Immer findet jedoch dieſer Beſitzſtand we-
ſentlich nur gegen die feindliche Staatsgewalt Statt, gegen die
Angehörigen derſelben blos in ſo weit, als ſie derſelben unterwor-
fen ſind, oder als die Nothwendigkeit dazu treibt. Man ſieht dieſe
Idee des neueren Kriegsrechtes ſeit Groot immer entſchiedener her-
vortreten; ſie kann gegenwärtig jede Schüchternheit ablegen; denn
ſie findet überall in den geſitteten Völkern Europas einen Nach-
hall. 1
Fortſetzung.
131. Als unmittelbare Folgerungen aus dem vorſtehenden
neueren Kriegsprincip ergeben ſich die nachſtehenden Sätze:
- I. Der eindringende Feind tritt nicht ſofort durch die bloße
Beſitzergreifung des anderſeitigen Gebietes oder eines Thei-
les deſſelben an die Stelle der bisherigen Staatsgewalt, ſo
lange der letzteren noch eine Fortſetzung des Krieges, mit-
hin auch eine Umkehr des Kriegsglückes möglich iſt. Erſt
wenn eine vollſtändige Beſiegung der bekriegten Staatsge-
walt (debellatio) eingetreten und dieſelbe zu fernerem Wi-
derſtande unfähig gemacht iſt, kann ſich der ſiegreiche Theil
auch der Staatsgewalt bemächtigen, und nun ein eigenes,
[221]§. 131. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
wiewohl uſurpatoriſches, Staatsverhältniß mit dem beſieg-
ten Volke beginnen, ein Verhältniß welches weiter unten
(Abſchn. IV.) ſeine nähere Erklärung erhalten wird. Bis
dahin findet lediglich eine thatſächliche Beſchlagnahme der
Rechte und des Vermögens der inzwiſchen ſuspendirten bis-
herigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu ſeiner
Schadloshaltung alle Vortheile benutzen, welche das bisher
beſtehende Staatsverhältniß darbietet, ſoweit ſie thatſächlich
realiſirt werden können; er darf ſich in den Beſitz der
Staatseinnahmen ſetzen, ja, er darf Anſtalten treffen, welche
dazu dienen, um ſich das eroberte Gebiet bei der künftigen
Beendigung des Krieges zu ſichern; ein Mehreres aber,
nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen
Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juriſtiſch
nicht ſofort gefolgert zu werden. 1 - II. Privateigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße
Kriegsinvaſion an und für ſich keine Veränderung; allein der
Sieger kann dieſelben allerdings für die ihm an den feindli-
chen Staat zuſtehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt,
zur Mitleidenheit ziehen, und daraus ſeine Befriedigung ſu-
chen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht bloß der An-
ſpruch, welcher die Veranlaſſung zum Kriege gegeben hat,
ſondern auch eine Entſchädigung für die auf den Krieg ver-
wendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererſeits
iſt nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten
Staates für deſſen Verbindlichkeiten aufkommen, und wie
ſie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anſpruch ge-
nommen werden könnten, ſo auch dem Feinde unmittelbar
für ſeine Befriedigung haften. Derſelbe kann demnach Con-
tributionen ausſchreiben und beitreiben, Naturallieferungen und
perſönliche Dienſtleiſtungen fordern, auch im Falle der Noth
oder des Widerſtandes, die erforderlichen Mittel ſelbſt weg-
nehmen, indem er dem künftig wieder geordneten Staats-
[222]Zweites Buch. §. 132.
verhältniß die etwanige Ausgleichung überläßt. Eine be-
ſtimmte Grenze des Nehmens kann freilich nicht vorgeſchrie-
ben werden; es giebt im Kriege keine Dikäodoſie; etwani-
ges Uebermaaß kann nur durch Retaliation oder bei geän-
dertem Kriegsglück durch nachtheiligere Bedingungen des
Friedens compenſirt werden. - III. Sachen feindlicher Unterthanen, die ſich beim Ausbruch des
Krieges im eigenen Gebiet des andern kriegführenden Thei-
les befanden und deſſen Schutz bisher genoſſen, müſſen ih-
ren Eigenthümern auch ferner verbleiben, und dürfen ohne
Verletzung von Treue und Glauben nicht weggenommen, ſon-
dern höchſtens einer Beſchlagnahme unterworfen werden,
wenn aus ihrer freien Verabfolgung der feindlichen Staats-
gewalt ein Vortheil in Betreff der Kriegführung erwachſen
könnte, ſo wie im Fall der Noth einer Benutzung zum ei-
genen Vortheil. Weniger Rückſicht iſt man ſolchen Privat-
ſachen ſchuldig, welche erſt während des Krieges dem anderen
Theile in die Hände fallen. Letzterer kann damit eben ſo ver-
fahren, wie wenn ſie ſich im occupirten feindlichen Lande
befänden. - IV. Reine Zerſtörungen und Beſchädigungen feindlichen Eigen-
thums gehören an ſich nicht zu den Befugniſſen des Sie-
gers, wenn ſie nicht, wie ſchon früher bemerkt wurde, durch
die Kriegsräſon gerechtfertigt werden. (§. 124.) Selbſt Re-
preſſalien ſollten wohl unter gebildeten Völkern in einer ſol-
chen Weiſe nicht geübt werden.
Wirkliche Staatenpraxis.
132. Muß man auch der neueren Kriegspraxis das Zeugniß
ertheilen, daß ſie auf dem Wege ſei, die vorſtehenden Grundſätze
zur Richtſchnur ihres Verhaltens zu nehmen, ſo hat ſie ſich den-
noch bisher zur keiner vollkommenen Folgerichtigkeit erhoben und
noch manchen Reſt des älteren Kriegsgebrauches beibehalten, auch
in der Theorie, vorzüglich der rein hiſtoriſchen Schule, ſtets ei-
nige Unterſtützung gefunden.
Was zuförderſt die Rechte und das Vermögen der beſiegten
Staatsgewalt betrifft, ſo hat man in der Praxis des letzten Jahr-
hunderts noch immer ſehr häufig das Recht der bloßen Invaſion
[223]§. 132. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
mit dem der völligen Debellation (ultima victoria) verwechſelt
und jenem zugeſchrieben, was erſt in dem letzteren enthalten ſeyn
kann. Es war nichts Seltenes, daß der Sieger ſich ſofort bei
der Beſetzung eines Gebietes oder Gebietstheiles von den dortigen
Unterthanen huldigen ließ; man ſchrieb ferner dem Sieger, der vor-
läufig verdrängten Staatsgewalt gegenüber, ein Confiscationsrecht
zu, geleitet durch die Anſicht des älteren Kriegsrechts, welche ſich
auch noch bei vielen Publiciſten erhielt, daß die Sachen des Fein-
des res nullius ſeien und als ſolche behandelt werden könnten.
Man disponirte ſogar zuweilen über occupirte Länder wie über
wirkliches Eigenthum. 1 Indeß iſt dieſe Praxis nicht auch noch
in den Kriegen des jetzigen Jahrhunderts bleibend befolgt worden,
ſondern man hat ſie in der That nur im Fall einer Debellation
und einer damit verbundenen totalen Beſitznahme der ganz außer
Kraft geſetzten bisherigen Staatsgewalt geübt, in der Zwiſchenzeit
aber ſich mit der thatſächlichen Benutzung aller Mittel und Hilfs-
quellen der bis dahin beſtandenen Regierung begnügt.
Ebenſo hat man ſich im Landkriege hinſichtlich des Privatei-
genthums der Angehörigen des occupirten Landes im Weſentlichen
auf ein Contributions- und Requiſitionsſyſtem beſchränkt, und für
das augenblickliche Bedürfniß eine disciplinirte Maraude in An-
wendung gebracht; man hat ferner Zerſtörungen von Sachen we-
nigſtens von Seiten der Kriegsvorgeſetzten ſoviel als möglich ver-
mieden, und nur als exceptionelle Maaßregel zu vertheidigen ge-
ſucht. Dagegen hat man im Seekriege noch immer ein das Pri-
vateigenthum ſchwer verletzendes Syſtem befolgt (ſ. unten), nicht
minder im Landkriege das Recht der Kriegsbeute (praeda bellica)
binnen gewiſſer Grenzen beibehalten; endlich ſind auch noch über
einzelne Gegenſtände ſowohl des öffentlichen wie Privatvermögens
ſelbſt von den Publiciſten der neueren Zeit manche Grundſätze be-
hauptet worden, welche mit den aus der rechtlichen Natur des
Krieges fließenden nicht vereinigt werden können. Alle dieſe Punkte
ſind nun noch im Einzelnen zu erörtern.
[224]Zweites Buch. §. 133.
Recht auf unbewegliche Sachen.
133. In Anſehung der unbeweglichen Sachen iſt man
im Allgemeinen ſchon ſeit längerer Zeit einverſtanden, daß dieſelben
wenigſtens dann, wenn ſie feindlichen Unterthanen gehören, durch
Invaſion und Landesbeſitznahme von Seiten der anderen Kriegs-
partei, ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in
älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen. 1 Es folgt
daraus von ſelbſt, daß jede von demſelben vorgenomme Verände-
rung eine rechtlich unhaltbare iſt, nur thatſächliche Wirkungen her-
vorbringen kann und durch das Poſtliminium hinfällig wird. Sollte
ſich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und
es zu dem Seinigen machen, ſo würde er freilich auch dem mit-
beſiegten Unterthan ein Geſetz vorſchreiben können, welches der that-
ſächlichen Veräußerung einen juriſtiſchen Character zu geben im
Stande wäre. Ganz auf dieſelbe Weiſe verhält es ſich mit dem unbe-
weglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er
nicht als Souverän beſitzt; 2 ja auch von dem öffentlichen unbe-
weglichen Staatseigenthum wird, ſo lange nicht die Staatsgewalt
ſelbſt wenigſtens interimiſtiſch auf den Sieger übergegangen iſt,
ein Anderes nicht zu behaupten ſein. 3 Natürlich wird in beider-
lei Hinſicht dem Sieger eine vorläufige Beſchlagnahme und die
Beziehung der Einkünfte zu ſeinem Vortheil freiſtehen.
[225]§. 134. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Unkörperliche Sachen. 1
134. Eine beſondere Streitfrage hat ſich auch noch in neue-
rer Zeit in Betreff der unkörperlichen Sachen fortgeſponnen, in
wie fern nämlich dieſe ein Gegenſtand der Kriegsoccupation ſind,
und von dem Sieger als ſein mit rechtlicher Wirkung behandelt
werden dürfen. Die meiſten Publiciſten haben ſich in langer Rei-
hefolge für ein ſolches Verfügungsrecht ausgeſprochen, dergeſtalt,
daß ein Poſtliminium des urſprünglichen Forderungsberechtigten
ausgeſchloſſen ſei und der Schuldner durch den Sieger giltig li-
berirt werde; ja man hat behauptet, daß dieſes auch auf ſolche
Forderungen Anwendung leide, deren Schuldner ſich in dritten
neutralen Staaten befinden. Zur Begründung dieſer Anſicht hat
man ſich hauptſächlich auf die traditionelle romaniſtiſche Lehre von
der Unbedingtheit der occupatio bellica bezogen; auf das vermeint-
lich darin begründete Confiscationsrecht, unter welchem Titel auch
in vielen früheren Kriegen die Einziehung ausſtehender feindlicher
Forderungen betrieben worden iſt. Man hat ſich auf verſchiedene
Friedensſchlüſſe berufen, worin dergleichen ſogenannte Confiscatio-
nen beſtätigt worden ſind; 2 man hat ſogar eine vermeintliche
Entſcheidung der Amphictyonen in Beziehung auf ein Schuldver-
hältniß der Theſſalier gegen Theben in Bezug genommen, wonach die
Schuldforderung der Thebaner an die Theſſalier durch eine Schen-
kung aufgehoben worden ſei, welche Alexander den Letzteren bei der
Zerſtörung Thebens mit der Schuldverſchreibung gemacht habe. 3
15
[226]Zweites Buch. §. 134.
Dennoch aber muß dieſe Theorie und Praxis aus dem Stand-
punct des Rechts ſehr beſtritten, wenigſtens modificirt werden.
Wird doch ſchon auf allen Seiten zugegeben, daß durch Zahlung des
Schuldners an einen Andern außer dem wahren Gläubiger, oder
durch eine ſonſtige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht
des wahren Gläubigers ſtreng juriſtiſch nicht aufgehoben werde!
Vor allen Dingen muß man von den unkörperlichen Sachen
diejenigen abſondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als
bloße Acceſſorien perſönlicher Forderungen beſtehen; jene haben
die Natur des unbeweglichen Eigenthums, mit welchen ſie auch
vielfach zuſammen hängen, wie z. B. Servituten, und theilen da-
her auch das Schickſal des unbeweglichen Eigenthums im Kriege,
wovon zuvor gehandelt worden iſt. Unter den perſönlichen For-
derungen giebt es ſodann einige, welche das Surrogat von Ei-
genthumsnutzungen ſind, wie z. B. Pachtgelder. Bei dieſen mag
nicht beſtritten werden, daß ſie dem Feinde verfallen, welcher ſich
der fruchttragenden Sache bemächtigt hat, weil es nur allein von
ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner geſtatten wolle
und durch die factiſche Fortbelaſſung derſelben ein eigener Pacht-
oder Miethsvertrag zwiſchen dem Feinde und dem bisherigen Ge-
brauchsberechtigten geſchloſſen wird. 1 Dagegen widerſtreitet es
der Natur aller anderen perſönlichen Forderungen durchaus, ſich
dieſelben als Gegenſtand einer thatſächlichen Beſitzergreifung, wie
doch die occupatio bellica an ſich iſt, zu denken; ſelbſt der zu-
fällige Beſitz der Schuldverſchreibungen giebt, wie man allgemein
einverſtanden iſt und ſein muß, kein Recht auf Einziehung der
Schuld; 2 eine perſönliche Forderung iſt eben etwas unkörperliches,
beſteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwiſchen Gläubiger
und Schuldner; das Recht des Erſteren kann auf einen Dritten
nur mit ſeinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Ge-
walt übertragen werden, wofür, wenigſtens ſo lange der Krieg mit
ſeinen wandelbaren Schickſalen ſchwebt, eine feindliche Gewalt nicht
gehalten werden kann. Nöthigt ſie den Schuldner zu zahlen, ſo
3
[227]§. 135. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
iſt dies ein Unglück, welches ihn trifft; 1 aber es kann ihm daraus
nur eine Einrede oder eine Forderung wegen nützlicher Verwendung
aus Billigkeit gegen den wahren Gläubiger oder einen Dritten zu-
ſtehen, der dadurch ſelbſt von einer Zahlung an den Feind befreit
worden iſt. Ein Anderes wird ſich nur im Falle einer Debella-
tion oder vermöge ausdrücklicher friedensgeſetzlicher Beſtimmungen
behaupten laſſen; namentlich, wenn die Schuldner unter der Bot-
mäßigkeit des occupirenden Feindes ſtehen, der jedoch dritten Mäch-
ten keine desfallſige Verbindlichkeit auferlegen kann. 2
Unbedenklich darf dagegen den Forderungen feindlicher Unter-
thanen an dieſſeitige Unterthanen und Anſtalten die Klagbarkeit im
Wege der Repreſſalien oder Retorſion verſagt werden, wenn nicht
etwa hierauf vertragsmäßig verzichtet iſt. 3
Beuterecht an beweglichen körperlichen Sachen. 4
135. Ein allenthalben anerkanntes Aneignungsrecht findet in
Landkriegen bei eigentlicher Kriegsbeute Statt. Gegenſtände der-
ſelben ſind unbeſtritten alle beweglichen körperlichen Sachen, welche
dem feindlichen Heere oder einzelnen dazu gehörigen Individuen von
rechtmäßigen Streitern der Gegenpartei, oder ausnahmsweiſe denje-
nigen Staatsangehörigen abgenommen werden, deren Plünderung
von dem Befehlshaber der Gegenpartei erlaubt worden iſt, z. B.
bei Erſtürmung einer Feſtung oder eines anderen hartnäckig ver-
theidigten Platzes. Nur in erſterer Hinſicht verſteht ſich das Beu-
terecht ohne weitere Erlaubniß; die kriegführenden Theile geben
gleichſam wechſelſeitig dem Spiel des Krieges dasjenige preis, was
ſie bei ihrem Zuſammentreffen bei ſich führen; in dem zweiten oder
Ausnahmefall erſcheint die Beute als eine eigenmächtige Compen-
ſation für dasjenige, was man bei einer ſo beſonderen Gelegenheit
auf das Spiel zu ſetzen genöthigt geweſen iſt, wobei man die Wie-
derausgleichung den betroffenen feindlichen Unterthanen mit ihrer
15*
[228]Zweites Buch. §. 135.
eigenen Staatsgewält überläßt. Daß es großartiger und edler
iſt, ſolche Ausnahmen nicht zu geſtatten, da es beſonders mit der
Wiederausgleichung des den Einzelnen zugefügten Schadens ſehr
mißlich ſteht, und durch eine ſolche Gewaltmaaßregel gewöhnlich
nur Unſchuldige betroffen werden, iſt in neueſter Zeit ſogar in der
Praxis nur ſelten verkannt worden. — Sollte außer den obigen
Fällen einem feindlichen Unterthan von ſeiner perſönlichen Habe
durch einen Krieger der Gegenpartei Etwas weggenommen wer-
den, ſo iſt dieſes zwar aus dem Geſichtspunct der heutigen Mi-
litärdisciplin eine ungiltige Beute und der Wegnehmende kann ſich
ſeinem Vorgeſetzten gegenüber der Herausgabe an den bisherigen
Eigenthümer nicht entziehen; wird dieſe jedoch nicht erlangt, ſo wer-
den dergleichen Sachen nichtsdeſtoweniger mit dem Friedensſchluſſe
die Natur giltiger Kriegsbeute annehmen. Daß ſich dagegen auch
ein Privatmann einem feindlichen Unterthan und ſogar Krieger
gegenüber, deſſen Habſeligkeiten jener ſich ohne beſondere Autori-
ſation zugeeignet hat, auf ein Recht der Beute berufen könne, wird
aus dem heutigen Standpunct gewiß beſtritten werden dürfen. 1
In Beziehung auf die Perſon des Erwerbers unterſcheidet der
allerdings durch kein Völkergeſetz gebundene aber gewöhnliche Ge-
brauch der Staaten einerſeits diejenigen Sachen, welche zur Aus-
rüſtung eines Kriegsheeres gehören und zu kriegeriſchen Operatio-
nen dienen, ohne dem einzelnen Krieger einen unmittelbaren Ge-
brauch oder Nutzen zu gewähren; andererſeits ſolche Sachen,
welche einen unmittelbaren Werth für den Einzelnen haben. Letz-
tere, wie z. B. Geld, einzelne Armaturſtücke und Koſtbarkeiten wer-
den regelmäßig dem beutemachenden Krieger oder dem dabei ge-
meinſchaftlich concurrirenden Truppentheil überlaſſen; erſtere hinge-
gen, z. B. ſchweres Geſchütz, ganze Convois, Magazine und dgl.
behalten ſich die Kriegsherren gewöhnlich ſelbſt vor, allenfalls
gegen eine Vergütigung an die Beutemachenden. 2 Jedoch bleibt
[229]§. 136. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
dieſes den eigenen Regulativen jedes Kriegesherren anheimgeſtellt. —
Seltſam war der frühere Kriegsgebrauch, wornach die Glocken eines
eroberten Platzes dem Chef der Artillerie verfielen, wenigſtens dann,
wenn ſie während der Belagerung in Benutzung geblieben waren. 1
136. Bei näherer Erwägung läßt ſich nun eine Appropriation
von Beutegegenſtänden nicht etwa aus der Fiction rechtfertigen,
daß dieſelben res nullius ſeien, was ſie in der Wirklichkeit nicht
ſind, und eben ſo wenig kann der Mangel einer Dikäodoſie im
Kriege einer eigenmächtigen Beſitzergreifung ſchon den Character
einer Eigenthumserwerbung wider Jedermann verleihen. Nur wenn
die Dikäodoſie unter chriſtlichen Staaten überhaupt noch etwas
willkührliches wäre und ſein dürfte, wie in der alten Welt, ließe
ſich darauf die Idee der ſicherſten Eigenthumserwerbung gründen;
jetzt, wo der Kriegſtand ein nur vorübergehender iſt, kann dieſe
Vorſtellungsweiſe nicht Statt finden. Vielmehr wird man folge-
richtig mit den heutigen Begriffen einen Eigenthumsübergang bei
der Beute überhaupt nicht annehmen dürfen, ſondern dem Beute-
machenden nur die ungehinderte Befugniß zu allen thatſächlichen
nach den Umſtänden möglichen Verfügungen über Nutzen und
Subſtanz der Sache zuſchreiben müſſen, ohne daß darüber von
ihm oder demjenigen, welchem er ſie überträgt, Rechenſchaft zu ge-
ben iſt, ſo lange noch der Kriegsſtand dauert und der Beſitzer dem
Eigenthümer feindlich gegenüberſteht. Der letztere wird dagegen
ſein Recht an der Sache allezeit wieder verfolgen dürfen, wenn
er dieſelbe an einem dritten friedlichen Ort, z. B. in neutralem Ge-
biet findet, oder in eigenem Lande außerhalb der feindlichen Ge-
walt, oder endlich nach wiederhergeſtelltem Frieden, wenn nicht
darin Aufgebung aller Anſprüche für entzogenes Privateigenthum
oder in Betreff von Beutegegenſtänden insbeſondere ſtipulirt wäre.
Kurz das von jedem Staat garantirte und unter der Geſamtbürg-
ſchaft aller Staaten ſtehende Civileigenthum wird nur einſtweilen
ſuspendirt und ſeiner Gemeingiltigkeit beraubt; der Beſitzſtand tritt
inzwiſchen an die Stelle des Rechts, das Heute mir, Morgen Dir,
des Krieges. Von jedem einzelnen Staat hängt es demnächſt ab,
ob und wie weit er während des Krieges oder nach Beendigung
2
[230]Zweites Buch. §. 136.
deſſelben dem früheren Eigenthümer einen Rechtsanſpruch auf Wie-
dererlangung des weggenommenen Gutes gegen den Beſitzer zuge-
ſtehen wolle, welcher ſeiner Gerichtsbarkeit unterworfen iſt; aber
es exiſtirt durchaus kein alle Staaten verpflichtender Grundſatz,
eine unter gewiſſen Umſtänden gemachte Beute als unwiderrufli-
ches Eigenthum des Beutemachenden und ſeiner Nachfolger im Beſitz
gelten zu laſſen, wenn nicht Friedens- und andere Verträge dem
Beſitzſtand einen ſolchen Character ertheilen.
So giebt es denn auch kein allgemeines völkerrechtliches Ge-
ſetz, mit welchem Zeitpunct das Eigenthum auf den Beutemachen-
den übergeht, weil die Statuirung des Eigenthums ſelbſt nur auf
der Auctorität der Einzelſtaaten beruhet. 1 In älterer Zeit galt
dem Römiſchen Völkerrecht gemäß für die meiſten Europäiſchen
Völker als Zeitpunct der vollendeten Kriegsappropriation kein an-
derer als der der vollendeten ausſchließlichen Beſitzergreifung ſelbſt,
welche nicht mehr durch den bisherigen Eigenthümer oder ſeine
Hilfsgenoſſen verhindert wird, mithin ſobald das erbeutete Gut in
Sicherheit gegen eine unmittelbare Wiedernahme gebracht iſt, und
die letztere nur durch eine völlig neue Kraftanſtrengung oder durch
unabhängige Zufälligkeiten bewirkt werden mag. Die Beute iſt
dagegen noch nicht gemacht, ſo lange dieſelbe Action noch fort-
dauert und ein ohne Unterbrechung fortgeſetzter Kampf das Ver-
lorene wiedergeben könnte. 2 Denſelben Zeitpunct haben auch noch
manche neuere Codificationen beihehalten. 3 Wegen der Schwie-
rigkeit ſeiner Feſtſtellung hat man auch wohl eine vierundzwanzig-
ſtündige Dauer des Beſitzes als maaßgebend und entſcheidend für
den Eigenthumsübergang wie bei der Seebeute angewendet 4 und
[231]§. 137. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
empfohlen; 1 allein es läßt ſich ſchlechterdings nicht behaupten,
daß dieſer, ohnehin auch nicht alle Schwierigkeiten beſeitigende
Termin, ein gemeiner Völkergrundſatz geworden ſei. In Ländern
des franzöſiſchen Civilrechtes entſcheidet der auf kriegeriſche Zuſtände
vorzüglich paſſende Grundſatz: En fait de meubles la possession
vaut titre.2
Appropriation im Seekriege.
137. Dehnt der Krieg ſein Gebiet auch auf die See aus, ſo
ſind nicht allein die Schiffe der feindlichen Staatsgewalten gegen-
ſeitig dem Recht der Eroberung und Aneignung unterworfen, wenn
ſie bis zum Frieden behauptet werden können, ſondern man legt
ſich auch eine unbedingte Appropriationsbefugniß gegen feindliche
Privatſchiffe und Güter bei, 3 wovon man nur etwa die Fahr-
zeuge und Geräthſchaften der Fiſcher an den Küſten menſchenfreund-
lich ausnimmt, 4 desgleichen ſchiffbrüchige und verſchlagene Güter. 5
Wenigſtens bis zur letzten allgemeinen Pacification Europas
war der Seekrieg, wie wir ihn ſchon nannten, noch immer vor-
zugsweiſe ein Raubkrieg gegen den Seehandel, worin auch ſo lange
keine Aenderung zu erwarten iſt, als Habſucht, Geld und Krä-
merintereſſen den vorzüglichſten Einfluß auf Entſtehung und Füh-
rung der Kriege äußern werden.
Der bisherige Grundſatz war: alles feindliche Gut zur See,
es gehöre dem Staat oder dem Einzelnen, iſt gute Priſe der ſich
[232]Zweites Buch. §. 137.
deſſelben bemächtigenden Gegenpartei, dafern nicht etwa Rechte der
Neutralen hiebei verletzt werden, auf deren Darſtellung weiterhin
zu kommen iſt. Das Priſenrecht beginnt mit dem Ausbruch der
Feindſeligkeiten, ſogar gegen ſolche Schiffe, die hiervon noch nicht
unterrichtet ſein konnten. 1 Jede kriegführende Seemacht übt es
nicht allein durch die von ihr ſelbſt unmittelbar zum Seekriege
ausgerüſteten Schiffe, ſondern ſie überläßt die Ausübung auch an
Corſaren oder ſ. g. Privatcaper (Armateurs), denen ſie zu ihrer
Legitimation Caper- oder Markebriefe ausfertigt. 2 Keine Nation
hat zur Zeit darauf ganz verzichtet. 3
Dieſe für den kleinen Seekrieg beſtimmten patentirten Seeräu-
ber werden als Theil der bewaffneten Macht angeſehen. Sie ſte-
hen unter den Befehlen der Admiralität, bei welcher ſie auch eine
Caution für die gehörige Beobachtung und Erfüllung ihrer Oblie-
genheiten ſtellen müſſen; 4 ſie werden nach Kriegsgebrauch auch
vom Feinde behandelt, ſo lange ſie ſich ſelbſt darnach verhalten.
Das Recht zur Ausfertigung gebührt indeſſen nur den wirk-
lich kriegführenden Hauptparteien. Eine Auxiliarmacht hat das
Recht nicht, ſo lange ſie ihren Character als bloße Hilfspartei be-
haupten will; eben ſo können Privatſchiffe, die blos zur Verthei-
digung armirt ſind, nur unter Autoriſation ihrer Staatsgewalt mit-
telſt ſ. g. lettres de commission Seebeute machen; 5 ſonſt gehört
das etwa bei glücklicher Vertheidigung eroberte feindliche Schiffs-
gut dem Fiscus des Staates. Auffallender Weiſe können übri-
gens nicht allein die eigenen Unterthanen eines Kriegsherrn, ſon-
dern auch fremde Unterthanen neutraler Staaten, dem Gebrauche
gemäß, und ſofern keine Verträge mit einer kriegführenden Macht
[233]§. 138. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
entgegenſtehen, als Caper angenommen werden. Außer dem Kriegs-
recht ſtehen nur, den Piraten gleich,
- diejenigen, welche auf eigene Hand ohne Legitimation Cape-
rei treiben, ſo wie - diejenigen, welche von den gegenüber ſtehenden Kriegsherrn
Caperbriefe annehmen. 1 —
Von ſelbſt verſteht ſich endlich, daß Seebeute auch durch Land-
truppen, z. B. durch Eroberung eines Hafenplatzes gemacht wer-
den kann, wobei dann die Beſchränkungen auf die Grundſätze der
Landbeute nicht Statt finden. 2
138. Hinſichtlich des Zeitpunctes, wo die Seebeute als ge-
macht anzuſehen iſt, richtete man ſich vormals nach demſelben
Grundſatz des Römiſchen Rechts, der bereits oben als entſchei-
dend bei der Landbeute angezeigt ward. Noch der Conſolato del
Mar iſt im Art. 287 ff. darauf gegründet. Späterhin erſt wurde
durch Landesgeſetze und Verträge vielfach eine vierundzwanzigſtün-
dige Beſitzdauer als maaßgebend angenommen, und das Recht des
Eroberers ſo wie die Möglichkeit einer poſtliminiſchen Wiedererobe-
rung für den Eigenthümer davon abhängig gemacht. 3 Jedoch iſt
auch dieſes noch zur Zeit kein gemeines Völkerrecht geworden. 4
Außerdem beſteht die Einrichtung, 5 daß der Nehmer des Schiffes
ſich bei einem competenten Priſengericht über die Rechtmäßigkeit
der gemachten Priſe ausweiſen und den Eigenthumserwerb daſelbſt
beſtätigen laſſen muß, obgleich ſolcher nicht erſt hierdurch bewirkt
werden ſoll. Und nicht bloß Caper, ſondern auch ſelbſt Schiffe
der Staatsmarine ſind dieſen Förmlichkeiten unterworfen; 6 ſo
wie andererſeits den Capern in neuerer Zeit gewöhnlich das Recht
[234]Zweites Buch. §. 138.
entzogen worden iſt, genommene Schiffe nach eigenem Gutfinden
gegen ein Löſegeld freizulaſſen. 1
Als competent betrachtet man in der Staatenpraxis die eige-
nen Gerichtshöfe oder eigends dazu angeordneten Priſengerichte und
Commiſſionen des Staates, zu deſſen Seemacht der Wegnehmende
gehört. Die Anwendung dieſer Priſengerichtsbarkeit hält man le-
diglich dann für unzuläſſig:
wenn die Priſe innerhalb der Land- und Seegrenzen eines
neutralen Staates gemacht ſein ſollte,
oder
wenn durch bewaffnete Schiffe, die innerhalb eines neutralen
Gebietes ausgerüſtet ſind;
in welchen Fällen nur allein die Gerichtsbarkeit des neutralen
Staates als begründet angeſehen oder doch ſeine Reclamation beach-
tet wird. 2 Es wird ſogar eine etwanige Conſulargerichtsbarkeit,
die der kriegführende Theil innerhalb eines neutralen Gebietes in
ſeinen Angelegenheiten auszuüben hat, nicht für berechtigt gehalten
in Priſenſachen dort zu entſcheiden. 3 Wohl aber hält man die
Priſe ſchon für hinreichend geborgen und geſichert, wenn ſie ſich
auch nur erſt in einem neutralen Hafen befinden ſollte und dann ein
Erkenntniß der heimathlichen Priſengerichte für zuläſſig. 4
Das Verfahren bei dieſen Priſengerichten, dem Führer eines un-
beſtreitbar feindlichen Schiffes gegenüber, iſt ein höchſt ſummariſches,
jede Vertheidigung ausſchließend und lediglich nur eine Rechtfer-
tigung des Fanges von Seiten des Erbeuters bezielend; ein Re-
clamverfahren, 5 d. i. ein Streitverfahren über die Giltigkeit der
Priſe wird es nur dann, wenn der Weggenommene die feindliche
Nationalität des Schiffes 6 beſtreitet oder ſich auf ein beſonderes
Schutzprivilegium berufen kann, und als Kläger die Herausgabe
deſſelben fordert. Die Priſengerichte erkennen übrigens allein nach
den Geſetzen und Reglements ihres Staates, von welchen auch
[235]§. 139. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
die Vertheilung des erbeuteten Gutes abhängt. Ungeachtet der
Principienloſigkeit einer ſolchen Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit
hat man ſich doch in der langen Praxis der letzten Kriege ſchon
gewöhnt, das Eigenthum der weggenommenen Schiffe für verloren
und confiscirt zu halten, ſobald von einem competenten Priſenge-
richt die Erbeutung als rechtmäßig erklärt worden iſt. Selbſt
Großbritannien reſpectirt hierin die gleiche Berechtigung anderer
Staaten, 1 freilich wohl, um deſto weniger in der ihm ſelbſt den
meiſten Vortheil bringenden Praxis angefochten zu werden.
139. Bei näherer Betrachtung wird man ſich unmöglich ent-
ſchließen können die vorher bemerkten Maximen der Europäiſchen
Staaten in Betreff der Seebeute ſchon als ein unſtreitiges feſtge-
gründetes Völkerrecht anzuerkennen. Geſetzt auch, alle der großen Eu-
ropäiſchen Staatenfamilie einverleibten Regierungen befolgten ohne
die geringſte Verſchiedenheit dieſelben Maximen, ſo würde jede doch
nur als für ſich handelnd und durch politiſchen Intereſſen dazu
beſtimmt erſcheinen, namentlich als geleitet durch das äußerliche
Princip der Reciprocität und weil es zur Zeit zu keiner allgemei-
nen freien Verſtändigung über die hier in Rede ſtehenden Fragen
gekommen iſt. Es fehlt dabei an einer inneren Nöthigung jene
Maximen als wahr anzunehmen; es fehlt dabei gewiß die ſitt-
liche Zuſtimmung der Völker, welche ſich unmöglich mit ei-
nem Syſtem reiner Willkühr befreunden kann. Wodurch ſoll es
gerechtfertigt werden, daß die bloße Wegnahme einer Sache und
ein mehrſtündiger, beliebig 24ſtündiger Beſitz, das Eigenthum einer
fremden Sache, beſonders einer Privatſache zu geben im Stande
ſei! Welche Kraft kann das Urtheil einer Behörde äußern, die
für das Intereſſe des an dem Fange und ſeinen Vortheilen allein
betheiligten Staates niedergeſetzt iſt, und an deſſen eigene Satzun-
gen gebunden iſt! Fürwahr ſchon längſt iſt es ausgeſprochen,
freilich nur von einzelnen Männern der Wiſſenſchaft und Verthei-
digern der Humanität, daß ein ſolches Syſtem einer chriſtlich er-
leuchteten Zeit unwürdig ſei. Es wird auch dies allmälig immer-
mehr in das Bewußtſein der Völker treten, je würdiger ſie werden
und im Stande ſind, die Anforderungen der Gerechtigkeit denen
gegenüber zu vertheidigen und durchzuſetzen, welche bisher in einem
ſolchen Willkührſyſtem vorzüglich die Beförderung ihrer Intereſſen
[236]Zweites Buch. §. 140.
gefunden haben und darum auch ferner daſſelbe fortzuſetzen geneigt
ſein möchten. Es kann allerdings nicht die Tendenz ſein, einer
kriegführenden Macht die Wegnahme von feindlichen Staats- und
ſelbſt Privatſchiffen mit den darauf befindlichen Gütern unterſagen
zu wollen. Es kann ihr nicht zugemuthet werden dem feindlichen
Staat eine ungeſtörte Benutzung der Waſſerſtraßen zu geſtatten,
um ſich die Mittel zu einer fortgeſetzten Kriegführung zu verſchaf-
fen und einen Verkehr zu treiben, welcher dem eigenen Handel je-
ner anderen kriegführenden Macht verderblich werden kann. Ein
ſolches Syſtem würde allerdings mit gutem Grunde für eine
fromme Chimäre zu erklären ſein. Wenn man aber einmal ſitt-
liche Rechtsprincipien will, keine politiſchen oder bloße Fictionen,
ſo wird man ſich endlich zu der Anſicht bequemen müſſen:
Die Wegnahme eines feindlichen Schiffes giebt niemals dem
Erbeuter ein Eigenthum auf daſſelbe und das darin befind-
liche Gut, ſondern lediglich und allein das Recht der Be-
ſchlagnahme und einer factiſchen Dispoſition darüber wäh-
rend der Dauer des Krieges, um ſich dadurch für deſſen
Nachtheile und wegen ſeiner Forderungen an den Feind zu
entſchädigen. Erſt der Friede oder eine gänzliche Zerſtörung
des feindlichen Staates giebt demjenigen, was ſolchergeſtalt
geſchehen und verfügt worden iſt, den Character eines fort-
hin giltigen Verhältniſſes, ſoweit man nicht genöthigt oder
veranlaßt iſt, in dem Friedensſchluß das Weggenommene ganz
oder theilweiſe herauszugeben.
Bis dahin findet denn auch das Recht der Wiedernahme einer Priſe
zu Gunſten des Eigenthümers Statt, von deſſen bisheriger Praxis
erſt weiterhin (Abſchn. IV. dieſes Buches) gehandelt werden kann.
Rechte der Kriegführenden auf feindliche Sachen im eigenen Territorium.
140. Sachen eines im Kriege befindlichen Staates, welche
ſich im Gebiete des Feindes befinden, unterwarf das ältere Völ-
kerrecht dem feindlichen Appropriationsrecht durch Beſitzergreifung,
gleich anderer Beute. 1 Das heutige Völkerrecht kann dieſen
Satz nicht mehr adoptiren; die Praxis der Staaten aber hat bis-
[237]§. 140. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
her noch immer ziemlich daſſelbe Ziel zu erreichen gewußt, indem
man nämlich dergleichen Sachen unter dem Titel von Repreſſalien
ſogleich im Anfange des Krieges, ja ſogar oft ohne ausdrückliche
Kriegserklärung, mit Beſchlag belegt und dann confiscirt. 1 Die-
ſes Schickſal betrifft vorzüglich die feindlichen Schiffe, welche ſich
zufällig zu dieſer Zeit in den Häfen eines Kriegstheiles befinden
und mit einem Embargo beſtrickt werden können. Es trifft fer-
ner die Waaren, welche ein Unterthan des feindlichen Staates in
dem anderen Staate gekauft und für ſeine Rechnung liegen hat,
ferner die Waaren und ſonſtiges Eigenthum von feindlichen Un-
terthanen, die ſich bisher ſogar längere Zeit hindurch friedlich für
ihren Geſchäftsverkehr in dem auswärtigen Gebiet aufgehalten ha-
ben. Die Priſengerichte mächtiger Staaten haben dann kein Be-
denken gefunden durch ihre gelehrten Richter mit großer Scrupu-
loſität die Heimathseigenſchaft ſolcher Verkehrstreibenden unterſu-
chen zu laſſen, wobei man nicht verfehlt hat, wenn nur der ge-
ringſte Verdacht obwaltete, ob dieſelben noch feindliche Unterthanen
ſeien oder ihr Domicil dieſſeits genommen, eine Confiscation aus-
zuſprechen. 2 Selbſt lang etablirte Handelshäuſer und Comptoirs
feindlicher Unterthanen in des anderen Theiles Gebiete ſind dieſem
Schickſal nicht entgangen. 3 Nur ſpecielle Vertragsſtipulationen,
dergleichen ſich in den meiſten neueren umfaſſenden Handelsverträ-
gen finden, können hiergegen ſchützen und die Möglichkeit einer
ungehinderten Herausziehung von Perſonen und Gütern aus feind-
licher Botmäßigkeit gewähren. 4
Auf der andern Seite hat man gewöhnlich vermieden, die un-
beweglichen dieſſeitigen Güter feindlicher Unterthanen unter einen
ſolchen Beſchlag zu legen und Repreſſalien daran auszuüben, um
nicht eine Retaliation der Maaßregel von Seiten des Feindes und
dadurch ebenſo viele oder ſelbſt noch größere Nachtheile für die
dieſſeitigen Unterthanen hervorzurufen. 5
[238]Zweites Buch. §. 141.
Man erkennt hieraus leicht, daß es beſonders die Handelsin-
tereſſen ſind, welche das Verfahren kriegführender Mächte beſtim-
men; die Abſicht, den Handel des feindlichen Staates zu zerſtören,
wo möglich zum Vortheil des eigenen. Wie ſollte man alſo wohl
ein Rechtsprincip im Hintergrunde und eine folgerichtige Anwen-
dung deſſelben erwarten! Immerhin mag es erlaubt ſein, wie ſchon
öfter wiederholt ward, dem Feinde zu ſchaden, ſeine Hülfsquellen
zu verſtopfen, vorzüglich alſo ſeinen Handel anzugreifen; allein es
folgt daraus nicht, wenn es wirklich ein ſittliches Princip in dem
neueren Kriegsrecht giebt, daß Schiffs- und Waareneigenthum
feindlicher Privaten einer Confiscation mit der Wirkung einer ſo-
fortigen Eigenthumsübertragung unterworfen werden darf; alles
kann ſich nur auf eine Beſchlagnahme, desgleichen auf eine vor-
läufige Verwendung deſſelben ſtatt der Angreifung des eigenen Ca-
pitals beſchränken; das Verwendete aber und noch Vorhandene muß
bei eintretendem Frieden wieder herausgegeben, oder gegenſeitig dar-
über, es ſei ausdrücklich oder ſtillſchweigend, im Friedensſchluß dar-
über abgerechnet werden.
Verträge während des Krieges. 1
141. Daß ſelbſt unter feindlichen Parteien und während des
Krieges ein gegebenes und angenommenes Wort verpflichte, d. h.
nach Treue und Glauben zu erfüllen ſei, ſo lange die Möglichkeit
dazu gegeben iſt; daß vorzüglich auch das vom Feinde bewieſene
Vertrauen nicht zu ſeinem Nachtheile gemißbraucht werden dürfe,
iſt eine heutzutage von allen chriſtlichen civiliſirten Völkern aner-
kannte Regel, deren Verletzung den Gegner zur entſchiedenſten Ge-
nugthuung berechtigen, und vor dem allgemeinen Völkertribunal
der öffentlichen Meinung infamiren würde. 2
Dergleichen im Kriege vorkommende Conventionen haben ent-
weder ein dauerndes Verhältniß zum Zweck oder nur gewiſſe vor-
[239]§. 142. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
übergehende Leiſtungen. Zu der erſteren Art allgemeineren Inhal-
tes gehören
Erſtens: die Cartels wegen des Poſtverkehrs zwiſchen den
kämpfenden Staaten; wegen der Bezeichnung und Behandlung der
etwanigen Parlamentärs; wegen der Couriere und Päſſe;
wegen des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs gewiſſer Waffen; we-
gen der Behandlung der Kriegsgefangenen u. dergl. mehr.
Zweitens: etwanige Neutralitätsverträge, wodurch be-
ſtimmte Gebiete, Plätze und Perſonen eines Territoriums oder
ganze Categorien von Unterthanen 1 außerhalb des Kriegsſtandes
geſtellt werden, mit denſelben Wirkungen, welche die Neutralität
überhaupt gewährt, es ſei nun in jeder Hinſicht oder nur in ge-
wiſſen Beziehungen. 2
In naher Verwandtſchaft ſteht damit die Ertheilung von
Sauvegardes (salva guardia), wenn einer feindlichen Perſon
oder Sache ein ausdrücklicher Freibrief gegen feindliche Behand-
lung von Seiten der Partei des Ertheilers oder ein lebendiger
Schutz durch Militairperſonen gegeben wird, in welchem Falle die
letztern, ſo lange ſie ſich ſelbſt friedlich und ihrer Beſtimmung ge-
mäß verhalten, bis zu ihrer Rückkehr zu den Ihrigen, ſogar
von der Gegenpartei als unverletzbar geachtet werden müſſen; 3
ferner
die Ertheilung eines ſicheren Geleites für beſtimmte Perſonen,
um einen ihnen ſonſt verbotenen oder gefährlichen Ort beſuchen
zu können. 4
142. Specielle Kriegsverträge ſind:
a) Die Contributionsverträge, welche mit feindlichen
Unterthanen abgeſchloſſen werden und wodurch dieſelben die Zahlung
beſtimmter Summen oder gewiſſe Lieferungen übernehmen; ferner die
Ausſtellung von Schuldbekenntniſſen Statt zu leiſtender baarer Zah-
lung. Verpflichtungen dieſer Art eignen ſich zwar zu einer Einkla-
gung bei den Gerichten des feindlichen Landes ſelbſt nur in ſo
[240]Zweites Buch. §. 142.
weit, als letztere ſich im Bereich des forderungsberechtigten Occu-
panten befinden; natürlich kann dieſer aber auch ſelbſt im Wege
der Gewalt die Realiſirung herbeiführen. — In wie weit derglei-
chen Verpflichtungen auch nach vorübergegangener Occupation noch
fortdauern, wird durch die Grundſätze des Abſchn. IV. beſtimmt.
b) Loslaſſungs- oder Ranzionirungs-Verträge bei
der Seecaperei, wenn der von einem feindlichen Caper genom-
mene Schiffer ſeine Loslaſſung gegen ein beſtimmtes Löſegeld mit-
telſt Ausſtellung eines billet de rançon und Beſtellung einer oder
der anderen Geißel erhält; üblich etwa ſeit dem Ausgang des
17ten Jahrhunderts. Soweit dergleichen Ranzionirung nicht durch
neuere Staatsgeſetze den Capern verboten iſt, entſteht daraus ei-
nerſeits die unbedingte Verpflichtung zur Bezahlung des Löſe-
geldes, ſofern die Priſe ſelbſt nur rechtmäßig gemacht war, eine
Verpflichtung, welche ſogar von den Gerichten des Schuldners ge-
handhabt werden muß; andererſeits ein Recht auf Schutz des
feindlichen Staates, dem das Löſegeld zufließen ſoll, gegen fernere
Angriffe bis zu dem angewieſenen Ziele der Reiſe unter der Be-
dingung jedoch, daß der Losgelaſſene davon nicht willkührlich ab-
weicht. Das billet de rançon wird übrigens ſelbſt wieder ein
Gegenſtand der Beute, wenn der Caper ſeinerſeits genommen wird.
Gehört der Unternehmer des Caperſchiffs zu dem Staate des Ran-
zionſchuldners, ſo hängt es von den dortigen Geſetzen ab, ſo-
wie von den weiterhin darzuſtellenden Grundſätzen der Wiedernahme
oder des Poſtliminiums, inwiefern der Schuldner von ſeiner Ver-
bindlichkeit befreit wird. 1
c) Auswechſelungsverträge wegen der Gefangenen.
Dieſe kamen vorzüglich erſt in der zweiten Hälfte des 17ten Jahr-
hunderts in lebendigeren Gebrauch. 2 Es werden dabei die ver-
ſchiedenen Categorien der Militairperſonen berückſichtigt und ge-
wiſſe Verhältnißzahlen bei der Ausgleichung zum Grunde gelegt.
Die Ausgleichung des plus oder minus geſchieht entweder durch
Geld oder in ſonſtigem Aequivalent. 3
[241]§. 142. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
d) Capitulationen1 von Truppentheilen oder Waffen-
plätzen. Sie werden bedingt 2 oder unbedingt geſchloſſen; die Ver-
tragsform beſteht meiſtens in der ſchriftlichen Propoſition der Be-
dingungen von Seiten des Capitulirenwollenden und in der ſchrift-
lichen Erklärung des andern Theiles auf jene Propoſition.
e) Waffenſtillſtandsverträge3 wegen Unterbrechung
der Feindſeligkeiten. Sie ſind entweder allgemeine, für die feindli-
chen Parteien an allen Puncten giltig, oder nur beſondere für ge-
wiſſe Truppen, Gegenden und Linien, und werden bald auf be-
ſtimmte bald auf unbeſtimmte Zeit eingegangen. Sie ſind für
die Staatsgewalten verbindlich mit dem verabredeten Anfangspunct,
Einzelne hingegen dafür nur verantwortlich von dem Tage der er-
haltenen Kenntniß an. Den hierdurch dem anderen Theile er-
wachſenen Nachtheil müſſen die Staatsgewalten wieder ausglei-
chen. Natürliche Bedeutung jedes Waffenſtillſtandes iſt Erhaltung
des status quo in Bezug auf die gegenſeitige kriegeriſche Stellung,
ohne weitere Ausdehnung derſelben zum Schaden des Gegners. Zur
Befeſtigung und Sicherung der bisherigen kann jeder Theil thun was
ihm gut dünkt. 4 — Die Wiedereröffnung von Feindſeligkeiten
pflegt, wenn die Friſt keine ganz momentane iſt, geziemender Weiſe
wenigſtens durch eine vorherige Aufkündigung angezeigt zu wer-
den, 5 bei dem unbeſtimmt eingegangenen Waffenſtillſtand iſt ſie
16
[242]Zweites Buch. §. 143.
ſogar weſentlich, wenn nicht durch einen anderen beſtimmten Grund
der Vertrag ſeine Exiſtenz bereits verloren hat.
143. Von allen vorſtehend bemerkten Verträgen gelten im All-
gemeinen die nämlichen Grundſätze, wie auch im Frieden, ja,
die kriegeriſche Ehre gebietet eine um ſo ſtrengere Beobachtung
jener Grundſätze. Befugt zur Abſchließung ſolcher Conventionen
iſt von Amtswegen jeder Truppenbefehlshaber ſoweit das Bedürf-
niß derſelben in ſeinen beſonderen Wirkungskreis eingreift, ohne
daß es dazu der Ratification des Souveräns bedarf.
Nur in ſofern als die übernommenen Verpflichtungen über je-
nen Wirkungskreis hinausgehen, ſind dieſelben als perſönliche Spon-
ſionen zu betrachten und daher ohne Ratification nicht giltig, ſon-
dern einer Reſciſſion unterworfen. (§. 84.)
Als Verſtärkungsmittel und zur größeren Sicherheit der aufer-
legten Verpflichtung dienen die ſchon oben (§. 96.) angegebenen,
mit Ausnahme der reinprivatrechtlichen für einen Feind nicht
realiſirbaren, namentlich alſo die Beſtellung von Geißeln, deren
Rechtsverhältniß auch im Kriege kein anderes ſein kann, als im
Frieden, ferner die Einräumung von Waffenplätzen, endlich auch
die Ueberlieferung von Fauſtpfändern, woran ſich der Feind im
Falle der Nichterfüllung factiſch gleichſam im Wege der Repreſſa-
lien halten kann.
Jede Contravention des andern Theiles berechtigt zur ſoforti-
gen Aufhebung des Vertrages ohne weitere Aufkündigung. 1 Es
machen daher Verträge dieſer Art eine vorzüglich ſorgfältige Ab-
faſſung nothwendig und eine ſofortige Erfüllung ohne einigen Ver-
zug räthlich. 2
[243]§. 144. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Dritter Abſchnitt.
Die Neutralen und ihre Rechte. 1
a.Ueberhaupt.
144. Nichts iſt ſo wichtig für den Beſtand einer freien ſittli-
chen Staatengeſellſchaft, als das Verhältniß der Neutralität.
Neutral (medius in bello) iſt in der weiteren Bedeutung je-
der Staat, welcher an einem Kriege nicht als Hauptpartei Theil
nimmt; der allgemeine Character dieſes Verhältniſſes iſt: Fortbe-
ſtand aller Rechte des Friedens mit Parteiloſigkeit und ohne Feind-
ſeligkeit gegen die Kriegführenden. Hierbei finden allerdings Ab-
ſtufungen ſtatt.
Es giebt eine vollkommene oder ſtrenge Neutralität,
welche ſich jeder Art von Theilnahme zu Gunſten einer Kriegspar-
tei enthält. Es giebt aber auch eine unvollſtändige Neutra-
lität, welche innerhalb der Grenzen einer erlaubten Hilfeleiſtung
zu Gunſten eines Kriegführenden beſteht. Ein ſolcher Fall tritt ein:
Einmal bei derjenigen Macht, welche vor dem jetzigen Kriege
und ohne Hinſicht auf denſelben eine particuläre Kriegshilfe oder
auch ſelbſt eine angemeſſene Defenſivhilfe zugeſagt hat, ſo lange ſie
nicht in einen Angriff übergeht und der Gegner ſich dabei beru-
higt (§. 117.), im Uebrigen auch die Grenzen der Neutralität be-
obachtet werden. 2
16*
[244]Zweites Buch. §. 145.
Zweitens: wenn ein Staat allen kriegführenden Theilen die-
ſelben Vergünſtigungen gewährt; oder zwar nur dem einen Theile,
jedoch vermöge früherer Verträge; oder mit ausdrücklicher Geneh-
migung des anderen Theiles; oder auch nur vorübergehend und
bona fide im Drange der Umſtände.
Außer dieſer qualitativen Verſchiedenheit der Neutralität giebt
es auch eine quantitative, indem ſie nämlich ſowohl eine allge-
meine, dem Staat in ſeiner Geſamtheit zuſtehende oder nur eine
partielle, auf gewiſſe Theile oder Perſonen deſſelben beſchränkte
ſein kann. 1
Grund und Ende der Neutralität.
145. Das Recht der Neutralität verſteht ſich von vorn herein
bei jedem Theilnahmloſen ganz von ſelbſt. Es kann aber auch ein
durch Verträge beſonders garantirtes ſein und dadurch ſeine eigen-
thümliche Grenzen erhalten, ja die Neutralität kann ſelbſt eine noth-
wendige, durch Verträge auferlegte ſein. Im letzteren Falle befin-
den ſich z. B. nach den Verträgen von 1815 die Schweiz 2 und
die Stadt Cracau; 3 ferner nach neuerer Regulirung das König-
reich Belgien 4 gegen alle andere Staaten auf immerwährende
Zeiten. Wiederum giebt es Staaten, denen unter Umſtänden die
Annahme oder Beibehaltung der Neutralität unmöglich gemacht
iſt, wie z. B. denjenigen die durch eine Familien-Alliance zu einer
vollſtändigen ſelbſt offenſiven Kriegshilfe zu Gunſten eines anderen
Staates verpflichtet ſind, desgleichen denjenigen, welche zu einer
Staatenconföderation gehören, wenn dieſe einen Krieg unternimmt, 5
oder aber welche in dem Verhältniß einer Realunion zu einem an-
2
[245]§. 146. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
deren Staate ſtehen, ſie ſei nun eine gleiche oder ungleiche Ver-
bindung; 1 wogegen eine nur perſönliche Union mehrerer Staaten
unter einem gemeinſchaftlichen Oberhaupte ohne Realverband die
Möglichkeit einer Neutralität nicht ausſchließt.
Unläugbar iſt jeder Staat berechtigt die Annahme und Erhal-
tung der Neutralität mit den Waffen in der Hand zu ſchützen und
jede Beeinträchtigung durch Vertheidigungsmaaßregeln, die ſich auf
jenen Zweck beſchränken, zurückzuweiſen. Dies iſt die bewaffnete
Neutralität, zu deren Erhaltung ſelbſt auch wieder Bündniſſe ge-
ſchloſſen werden können.
Jede Neutralität endigt mit einer Kriegserklärung, welche an
den neutralen Staat oder von ihm an einen der kriegführenden
Theile ergeht, oder mit einer ſofort factiſchen Kriegseröffnung. Da-
gegen kann der Ablauf einer vertragsmäßig der Neutralität vor-
beſtimmten Zeit jene noch nicht von ſelbſt in einen Kriegsſtand
verwandeln. 2
Bedingungen der Neutralität.
146. Die Bedingungen unter welchen man allein auf Aner-
kennung und Achtung der Neutralität Anſpruch machen kann, ſo-
weit nicht eine Relaxation davon in den Fällen unvollkommener
Neutralität ſtattfindet, ſind weſentlich dieſe: 3
Erſtlich: die Nichtduldung von unmittelbar feindlichen Hand-
lungen einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des
neutralen Gebietes.
Zweitens: die Unterlaſſung jeder poſitiven Begünſtigung eines
kriegführenden Theiles, wodurch deſſen Angriffs- oder Vertheidi-
gungsſyſtem verſtärkt wird, desgleichen die Nichtgeſtattung von Be-
fugniſſen, welche der einen Partei einen beſonderen Vortheil vor
der andern gewähren, ſollte man auch bereit ſein, die nämlichen
Befugniſſe der letzteren einzuräumen.
Wird dieſen Bedingungen zuwider gehandelt, ſo ſind die Krieg-
führenden berechtigt ſich einer ferneren Beachtung der Neutralität
[246]Zweites Buch. §. 147.
zu entheben und entweder Repreſſalien zu gebrauchen oder aber
eine Kriegserklärung ergehen zu laſſen.
Iſt die Neutralität eine unvollkommene, ſo ſind ihre Grenzen
der ſtrengſten Auslegung unterworfen. Es kann auch, wenn durch
vorausgegangene Verträge einem kriegführenden Theile gewiſſe vor-
theilhafte Zugeſtändniſſe gemacht ſind, der hierdurch benachtheilig-
ten Partei das Recht nicht abgeſprochen werden, dieſe Vergünſti-
gungen durch Reactionen zu paralyſiren, wenn nicht darauf von
ihm verzichtet iſt. 1 Keinesweges kann er aber präciſe von dem
Neutralen dieſelbe Vergünſtigung als ein Recht fordern. 2
Im Einzelnen.
147. In der erſten Hinſicht des vorigen Paragraphen darf
kein neutraler Staat zugeben, daß eine Kriegspartei in ſeinem Ge-
biete eine unmittelbar feindſelige Handlung gegen Perſonen oder
Sachen der anderen Partei vornehme oder auch fortſetze, wenn er
es zu hindern im Stande iſt. Vermag er dies nicht, ſo darf er
wenigſtens keine Billigung zu erkennen geben, wodurch er fernere
Handlungen der Art legaliſiren würde. Er muß demnach den ver-
folgten Theil, ſo viel er ohne eigene Gefahr und Nachtheil vermag,
in Schutz nehmen, und das ihm etwa ſchon Entzogene von dem
anderen Theile wieder herausgeben laſſen. 3 Damit hängt zuſam-
men, daß ein Neutraler keiner Partei die Ausübung der Priſenge-
richtsbarkeit gegen die andere in ſeinem Gebiete erlauben darf, ſo
wenig als er eine ſolche zu Gunſten des einen Theiles gegen die
andere ſelbſt auszuüben berechtigt iſt, es ſei denn in denjenigen
Fällen, wo überhaupt einem Neutralen zuſteht, über die Rechtmä-
ßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Priſe zu erkennen. 4 — Völlig
unverfänglich iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht, jede Beihilfe, welche
einzelnen Nothleidenden der einen oder anderen Kriegspartei aus
Menſchlichkeit geleiſtet wird.
In der zweiten Hinſicht des vorigen Paragraphen darf der
[247]§. 147. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
neutrale Staat einer kriegführenden Partei weder Mannſchaften
noch auch Schiffe für ihre Kriegsunternehmungen zur Dispoſition
ſtellen, auch keine Waffenplätze oder Schiffsſtationen für feindliche
Unternehmungen einräumen, noch endlich Geldmittel zum Fortbe-
triebe des Krieges zufließen laſſen. Für erlaubt hielt man ehedem
zwar die Vermiethung ja gewiſſermaßen Seelenverkäuferei von Trup-
pen an einen kriegführenden Theil, ſelbſt ohne einen dem Kriege
vorausgegangenen Vertrag; theils machen jedoch die conſtitutio-
nellen Rechte der Völker dergleichen heut zu Tage unmöglich; theils
wird auch, wenn es noch vorkäme, 1 keine Kriegspartei durch ein
feſtes Herkommen gebunden, gegen einen ſolchen Truppenlieferanten
nach ſeinem politiſchen Intereſſe zu handeln. — Nicht ſo unbe-
dingt verboten kann beim erſten Anblick erſcheinen, wenn ein neu-
traler Staat einer kriegführenden Macht geſtattet, ſein Gebiet für
ihr Angriffs- und Vertheidigungsſyſtem zum Schaden des Gegners
vorübergehend zu benutzen, falls man dieſem ſelbſt auch das Näm-
liche zu erlauben bereit iſt, z. B. einen Durchzug von Truppen,
oder die Durchführung von Schiffen durch das neutrale Waſſer-
gebiet, ferner die Anhäufung von Magazinen, Ausrüſtung von
Truppen, Kriegsſchiffen und Capern; und noch entfernter von ei-
nem parteiiſchen feindſeligen Verhalten liegt im Allgemeinen, wenn
der Neutrale einzelnen Perſonen der einen Kriegspartei den Auf-
enthalt in ſeinem Gebiet, ſowie das einſtweilige Einlaufen von
Kriegs- und Handelsſchiffen in ſeinen Häfen, ferner die Wieder-
inſtandſetzung derſelben 2 bewilligt; allein unbedingt laſſen ſich den-
noch dieſe Vergünſtigungen nicht mit dem Weſen der Neutralität
in jedem Falle vereinbaren. Sind nämlich die Umſtände ſo gear-
tet, daß aus ſolchen Geſtattungen ein wirkliches Präjudiz für die
andere Partei wenigſtens mit Wahrſcheinlichkeit entſtehen kann;
[248]Zweites Buch. §. 148.
iſt die Lage eines neutralen Landes für die eine Kriegspartei gün-
ſtiger als die andere, und ihre Benutzung von Seiten der Einen
wirkliche Förderung ihrer feindlichen Zwecke gegen die andere Par-
tei: ſo iſt es gewiß auch Pflicht des Neutralen dergleichen Vergün-
ſtigungen nicht zu geſtatten; er muß ſich wenigſtens mit dem anderen
Theile hierüber verſtändigen. 1 — Vortheile, welche ein Kriegfüh-
render über den anderen bereits definitiv errungen hat, z. B. Beute
und Capergut, deſſen Appropriation eine völkerrechtlich bereits un-
antaſtbare geworden iſt, kann ein neutralen Staat unbedenklich
erwerben oder den Verkauf erlauben. 2 Anzufechten wäre dagegen
die Geſtattung eines eigentlichen dem einen beſonders vortheilhaft
gelegenen Depots zur Unterbringung ſolcher Gegenſtände; feindlich
auch, die Annahme und Erwerbung von Eroberungen, welche erſt
durch den Frieden einer legitimen Dispoſition des Siegers unter-
worfen werden. (§. 132.)
Ausdehnung auf die Unterthanen.
148. Durch das Vorſtehende ſind mit Berückſichtigung der
wichtigſten Fälle die engſten Grenzen gezogen, innerhalb deren ſich
die Unparteilichkeit der neutralen Staatsgewalten halten muß. Was
dieſe nicht zu thun berechtigt ſind, kann im Allgemeinen auch ih-
ren Unterthanen nicht geſtattet werden. Inzwiſchen kann dadurch
die Freiheit der Einzelnen nicht ſo völlig beſchränkt werden, als
es für die Staatsgewalt ſelbſt, mithin auch für die Maße der Na-
tion Geſetz der Neutralität iſt. Es kann daher keine Regierung,
den Fall ausdrücklicher Vertragsverbindlichkeit ausgenommen, 3 da-
[249]§. 149. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
für verantwortlich gemacht werden, wenn einzelne ihrer Untertha-
nen freiwillig in der einen oder der anderen Weiſe an einem frem-
den Kriege Theil nehmen, wenn ſie ſich mit einer Kriegspartei in
Lieferungs- und Darlehn-Geſchäfte einlaſſen, oder in die Truppen-
reihen derſelben eintreten, 1 einem kriegeriſchen Drange oder be-
ſonderen moraliſchen Intereſſen an der Sache dieſer Partei nach-
gehend. Im äußerſten Fall würden hier nur die Grundſätze von
der Auswanderung der Unterthanen zur Anwendung kommen. Sollte
freilich die Theilnahme der Unterthanen eine maßenhafte werden,
dadurch die Aufmerkſamkeit und Bedenklichkeit der Gegenpartei er-
regen, demnach Repreſſalien derſelben befürchten laſſen: ſo wird es
von dem politiſchen Ermeſſen der betheiligten Staatsgewalt abhän-
gen, ob und wie weit ſie dagegen einſchreiten wolle, jedoch nicht
aus Pflicht gegen den kriegführenden Theil, ſondern lediglich aus
Rückſicht auf das eigene Staatswohl.
Rechte der Neutralen.
149. Hinſichtlich der Rechte der neutralen Staaten iſt das all-
gemeine Princip aufzuſtellen, daß ihnen auch im Kriege alle dieje-
nigen Rechte verbleiben und ungekränkt erhalten werden müſſen,
welche ihnen im Friedensſtande gebühren, ſoweit ſie nicht durch
die vorausgeſchickten Bedingungen der Neutralität eine Modifica-
tion erleiden. Es folgt daraus insbeſondere:
Erſtlich die Unverletzbarkeit des Gebietes und die un-
geſtörte Ausübung aller Hoheitsrechte in dem Innern
deſſelben.
Das neutrale Gebiet iſt ein Aſyl, welches man auch einzelnen
3
[250]Zweites Buch. §. 149.
Gliedern und Angehörigen der fremden Kriegsmächte zu öffnen und
zu geſtatten nicht gehindert iſt. 1 Es kann daher ſelbſt die Auf-
nahme einer verfolgten Kriegsſchaar oder Marine der feindlichen
Partei noch kein Recht zur Verfolgung der flüchtigen Schaar in
das neutrale Gebiet hinüber geben; nur muß die neutrale Staats-
gewalt verhindern, daß die aufgenommene Truppen- oder Schiffs-
macht ſich hier von Neuem ſammle und das Aſyl zu einem An-
griffsplatze wider den Gegner benutze. Man hat ſie mit einem
Worte nur als Einzelne und Private zu behandeln, nur Pflichten
der Menſchlichkeit zu erfüllen und lediglich zu ihrem weiteren unge-
kränkten Fortkommen über die Landesgrenzen, ohne ſie den Angrif-
fen des Feindes wehrlos bloszuſtellen, nicht aber zu einer Wieder-
vereinigung mit der bewaffneten Macht, wozu ſie bisher gehörten,
oder zu einer unmittelbaren Offenſive die Hand zu bieten. 2 —
Wird das neutrale Gebiet wirklich zu einem Angriff oder Gefecht
zu Waſſer oder zu Lande benutzt, ſo hat die dortige Staatsgewalt
das Recht eines thatſächlichen Einſchreitens zur Verhinderung der
Gebietsverletzung. Der Kampf iſt in Hinſicht ihrer ein durchaus
illegaler, dem ſie alſo auch keine rechtlichen Wirkungen zuzugeſte-
hen verpflichtet iſt; befinden ſich demnach die ſtreitigen Parteien
in ihrem Bereiche und unter ihrer Botmäßigkeit, ſo kann ſie ſelbſt
dem Sieger die Früchte des illegalen Kampfes wieder entziehen
und z. B. Gefangene und Beute wieder frei machen. 3 Thut ſie
es nicht, obgleich ſie es ohne Gefahr und Kampf vermöchte, ſo
würde dieſes eine Verletzung der Bedingungen der Neutralität dar-
ſtellen. (§. 147.) Hat der Neutrale ein Hilfscorps einem krieg-
führenden Theile geſtellt, ſo kann er ſich natürlich über eine Ver-
letzung des Gebietes nicht beklagen, wenn jenes von dem ſiegrei-
chen Feinde dorthin verfolgt und der Kriegsſchauplatz gegen daſ-
ſelbe nun dahin verlegt wird. (§. 118.)
[251]§. 150. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Fortſetzung.
150. Zweitens. Jeder neutrale Staat kann, ſo lange er
ſelbſt Treue und Glauben bewahrt, die ihm auch im Frieden gebüh-
rende Achtung vor ſeiner Perſönlichkeit, ſeinen Hand-
lungen und Erklärungen fordern. Er hat die Präſumtion
für ſich, daß er den Character der Neutralität ſtreng bewahre und
nicht etwa Erklärungen oder ſonſtige Handlungen zum Deckmantel
einer Ungerechtigkeit gegen den einen kriegführenden Theil zu Gun-
ſten des anderen, oder auch beiden gegenüber in gleicher Weiſe be-
nutzen werde. Wichtig iſt dies vorzüglich in Anſehung der von
einer neutralen Gewalt ausgeſtellten Päſſe, Commiſſionen und Be-
glaubigungen. Kein Neutraler kann
Drittens vermöge der ihm zuſtehenden Unabhängigkeit und
Gleichheit mit anderen Staaten von den Kriegführenden oder
Einem derſelben in Beziehung auf ſein Verhalten, Geſetzen oder
einer Gerichtsbarkeit unterworfen werden, welche nicht in Verträ-
gen mit ihm oder in allgemeingiltigen Grundſätzen des Völker-
rechts ihre Stütze finden. Er darf, wo dieſe nicht Platz greifen,
innerhalb ſeines Rechtsgebietes ganz nach eigenem Ermeſſen ver-
fahren und hat dagegen keiner kriegführenden Macht die Hand
zur Ausführung einſeitiger Maximen derſelben zu bieten; vielmehr
iſt er berechtigt, innerhalb ſeines Gebietes einer Kriegspartei ſeinen
Schutz gegen offenbares Unrecht zu ertheilen, vorzüglich auch ſeine
eigenen Unterthanen in der Ausübung ihrer völkerrechtlichen Be-
fugniſſe und Sicherſtellung gegen die Willkühr der Kriegführenden
kräftig zu handhaben.
Viertens. Alles was dem neutralen Staate außerhalb ſeines
Gebietes gehört, verbleibt ihm als unantaſtbares Eigenthum
ſelbſt dann, wenn es ſich bei einer kriegführenden Partei oder im
Gemenge mit den Sachen derſelben befindet. Das Beuterecht findet
daran nicht Statt. Eine Ausnahme tritt herkömmlich nur ein, in ſo-
fern das neutrale Eigenthum zur unmittelbaren Unterſtützung eines
kriegführenden Theiles bei den Kriegsunternehmungen dient und dem-
ſelben ausdrücklich zur Dispoſition geſtellt iſt, namentlich wenn es
zur Kriegsconterbande gehört, deren Begriff noch weiterhin feſtzu-
ſtellen iſt, in welchem Falle auch das neutrale Gut der Beſchlag-
nahme und Aneignung von Seiten des ſiegenden Gegners, ſo we-
nig als feindliches Gut überhaupt entgeht. —
[252]Zweites Buch. §. 151.
Unbewegliches Gut eines neutralen Staates oder ſeiner Unter-
thanen in Ländern der kriegführenden Staaten kann natürlich der
Mitleidenheit an den Kriegslaſten nicht entzogen werden. Dage-
gen iſt es höchſtens nur als eine Maaßregel der höchſten Noth
zu entſchuldigen und nur gegen vollſtändige Entſchädigung zulaͤſſig,
wenn ein kriegführender Theil neutrale Sachen, z. B. Schiffe in
Beſchlag nimmt und zu ſeinen Zwecken verwendet, 1 oder neutrale
Waaren, Magazine, Getreide und dgl. was ſich zufällig in ſeinem
Gebiete befindet oder auf offener See angetroffen wird, für ſeine
Zwecke gebraucht, wenngleich gegen Vergütung des Werthes ver-
mittelſt eines ſogenannten Vorkaufs. 2
Daſſelbe gilt von der Wegnahme und dem eigenmächtigen Ver-
brauch der Matroſen oder Schiffsführer eines neutralen Staates.
Rechte der Neutralen in Anſehung des Handels.
151. Welche Uebereinſtimmung auch im Ganzen über die vor-
ausgeſchickten Grundſätze obwaltet, ſo mißlich ſteht es mit der An-
wendung derſelben auf das Recht des freien Verkehrs der Nationen,
insbeſondere auf den Seehandel. Zwar findet, was den Verkehr
der Neutralen unter einander ſelbſt betrifft, kein Bedenken
über die unbedingte Freiheit deſſelben Statt; nur die Signaliſirung
oder Kenntlichmachung eines ſolchen Verkehrs und die Abwehrung
einzelner Plackereien, welche der Kriegsſtand unter anderen Natio-
nen nach der bisherigen Praxis mit ſich gebracht hat, macht noch
die Feſtſtellung gewiſſer Principien auf die Zukunft nothwendig,
welche jedoch wieder mit der Hauptfrage zuſammenhängen, ob und
was für Beſchränkungen nämlich der neutrale Handelsverkehr mit
den kriegführenden Theilen ſelbſt ſich auferlegen laſſen müſſe. Dieſe
Frage nun iſt ſchon ſeit Jahrhunderten ein Apfel der Eris für
die Staaten geworden; ſie iſt es, welche am meiſten den Mangel
eines Staatencodex oder doch Staatentribunals fühlbar macht; bei
ihrer Entſcheidung tritt in der Praxis vorzüglich das Recht des
[253]§. 152. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Stärkeren und die Rechtloſigkeit der Schwächeren hervor. Und
nicht bloß in der Staatenpraxis ſtreitet man über die Frage, ſon-
dern auch die Theorie iſt es, welche noch nicht zu einer Verſtän-
digung über die Principien gelangt iſt. Zwar iſt es ihnen gelun-
gen ſich in die Hülle von geſetzlichen Vorſchriften und von Rich-
terſprüchen in einzelnen Landen einzukleiden und dadurch eine ge-
wiſſe imponirende Auctorität zu erlangen; dennoch ſind dieſe Ge-
ſetze und Urtheilsſprüche nichts als Acte der Politik einzelner Staa-
ten, nicht bindend für die andern, ausgenommen wenn ſie der
ſchwächere Theil ſind und die Vollziehung jener Geſetze, ihrer Un-
gerechtigkeit ungeachtet, zu befürchten haben.
Nirgends ſieht die Wiſſenſchaft des Völkerrechts eine unge-
bahntere Straße vor ſich; keine Uebereinſtimmung der Praxis und
Verträge, keine der Denker! und doch kann es auch hier an all-
gemein giltigen Grundſätzen für die Staaten, womit ſich unſer
Syſtem beſchäftigt, nicht fehlen, wenn überhaupt ein Recht unter
ihnen beſtehen ſoll, wenn die Rechtsverhältniſſe unter ihnen, wie
ſie bisher feſtgeſtellt wurden, in ſich wahr ſind und der Wirklich-
keit entſprechend. Aus dieſer wollen wir daher auch jetzt die Lö-
ſung der einzelnen Streitfragen vorzüglich ſchöpfen, indem wir die
in der Staatenpraxis gegenſeitig und allgemein angenommenen
Grundſätze als Geſetz des gemeinen Willens gelten laſſen, und nur
wo ein ſolcher nicht erweislich iſt, eine Löſung aus dem vorange-
ſchickten Ganzen verſuchen.
Entwickelung der Praxis. 1
152. Die Geſchichte unſerer Frage beginnt vorzüglich erſt mit
dem ſechzehnten Jahrhundert, ſeitdem nämlich der Seehandel nicht
mehr bloß in den Händen einiger weniger begünſtigter thatenrei-
cher Nationen, Geſellſchaften und Städte verblieb, ſondern eine
allgemein anziehende Kraft auf jede Nation ausübte, als eine Haupt-
quelle des Wohlſtandes der Nationen erkannt und von den Re-
gierungen befördert. Der Wettkampf der Intereſſen, welcher hier-
durch hervorgerufen ward, erzeugte in den Staaten, die dazu Ge-
legenheit hatten, ſowohl eine Vermehrung der Handels- wie auch
der Kriegsmarine und einen eiferſüchtigen Kampf der Nationen
[254]Zweites Buch. §. 152.
mit einander, aus welchem nur Ein Staat nach ungeheueren An-
ſtrengungen mit einer Größe und Bedeutung hervorgegangen iſt,
wie ihn in bleibender Geſtalt weder die alte noch neue Welt bis-
her geſehen hat. Mit Hinſicht auf ihn hat ſich die ganze neuere
Seekriegspraxis geſtaltet. Scheinbar dem alten einfachen Recht
früherer Jahrhunderte anhängend, Abweichungen davon nur der
Vertragswillkühr zuweiſend, hat der gedachte Staat nicht der Mit-
tel ermangelt bei Anwendung ſeiner Grundſätze ſein Uebergewicht
allen anderen Staaten fühlbar zu machen, ja zuweilen jene zu einer
unerträglichen Strenge auszudehnen, wodurch eine Reaction unver-
meidlich und nothwendig ward. Eine ſolche trat vornehmlich ſeit
dem ſiebzehnten Jahrhundert während der oftmaligen Kriege Groß-
britanniens mit Spanien und Frankreich hervor; die letztere Macht
unter Ludwig XIV. ſchuf ſich ſelbſt, mit Losſagung von dem bis-
herigen gemeinſamen und dem Aufblühen des Handels verderbli-
chen Syſteme einen neuen Seecodex in dem Meiſterwerk der Or-
donnanz von 1681, deren Grundſätze 1 allmälig immer größeren
Beifall fanden. Noch compacter ward die Reaction gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts, während des Nordamericaniſchen und Fran-
zöſiſchen Revolutionskrieges. Einer nordiſchen Minerva entſprang
unter Panins Beihilfe das Syſtem der bewaffneten Neutralität,
unterſtützt von dem Anſchluß mehrerer Seemächte, zur Handhabung
beſtimmter Grundſätze 2 dem Britiſchen Dreizeck gegenüber, wodurch,
[255]§. 153. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
wenn auch die Verbindung in ihrer urſprünglichen Integrität wieder
gelöſet ward, dennoch Großbritannien einige vertragsmäßige Zuge-
ſtändniſſe abgezwungen ſind. 1 Den letzten Kampf wider das Bri-
tiſche Syſtem führte Napoleon durch Aufſtellung des Continental-
ſyſtems, 2 was gewiß, wenn es mit Strenge nach Außen und mit
weiſer Mäßigung gegen die Verbündeten durchgeführt worden wäre,
wenn es eine wahre innige Vereinigung aller Continentalmächte
geworden wäre, das rechte Kampfmittel war und nur durch ſeine
häßliche, parteiiſche, ja verkäufliche Vollziehung, durch gleichzeitige
Erdrückung aller Freiheit im Leben des Continents eine ſchlechte
Geſtalt in der Geſchichte bildet. Aber die Idee war die eines
großen Mannes! Es giebt vielleicht kein anderes Mittel, Eng-
lands Seeherrſchaft zu zügeln.
Darlegung der einzelnen Fragen.
153. Da im Allgemeinen den Neutralen das Recht des Han-
dels im Kriege nicht beſtritten wird, ſondern nur die Begrenzung
deſſelben: ſo kommt es hauptſächlich auf Unterſuchung folgen-
der Puncte an, die ſich aus einer Colliſion der Rechte der Krieg-
führenden mit dem Handel der Neutralen ergeben:
- I. Welche Rechte ſtehen den Kriegführenden gegen die Neutra-
2
[256]Zweites Buch. §. 153.
len im Falle einer Blocade feindlicher Gebiete oder Ge-
bietstheile zu? - II. Welche Art von Handel kann ein kriegführender Theil
den neutralen Staaten oder deren Unterthanen mit dem Feinde
unterſagen? - III. Welche Rechte hat ein kriegführender Theil auf feindliche
Güter die ſich auf neutralen Transportmitteln befinden, ſo
wie im umgekehrten Falle auf neutrale Güter welche auf
feindlichen Transportmitteln angetroffen werden.
Endlich - IV. welche formalen Rechte ſtehen den kriegführenden Staaten
gegen die Neutralen zur Handhabung und Vollſtreckung ih-
rer materiellen Rechte zu?
Zum Theil ſtehen dieſe Fragen unter einander ſelbſt wieder in
weſentlicher Verbindung, ſo daß ſie erſt vollſtändig durch eine Be-
leuchtung aller beantwortet werden können.
In den publiciſtiſchen Erörterungen derſelben iſt man meiſt
von einem vorangeſtellten allgemeinen Princip ausgegangen. Die
Einen von dem Princip abſoluter Unabhängigkeit der neutralen
Staaten, die Anderen von einem Coordinationsſyſtem oder von
den Regeln der Rechtscolliſionen. Es wird ſich aus dem Nach-
folgenden ergeben, ob es ſolcher Anlehnungen bedürfe und nicht
vielmehr die ſchon vorgetragenen einfachen Grundſätze über die
Rechtsverhältniſſe der Staaten unter Einander genügen.
Blocaderecht. 1
154. Schon oben (§. 112. u. 121.) iſt das Recht der Blo-
cade gegen feindliche Häfen, Feſtungen, ja, ganze Küſten als ein
legitimes Recht der Kriegführenden unter einander aufgeſtellt wor-
den; alle Mächte, die dazu die Mittel haben, üben es; auch Neu-
tralbleibende können es daher den wirklich Kriegführenden nicht
17
[258]Zweites Buch. §. 154.
ſtreitig machen und müſſen folglich die Rückwirkungen dieſes Rechts
auf ſich ſelbſt anerkennen. Es iſt ein Act der Occupation eines
Theiles des feindlichen Gebietes; auf offener See aber ein Act der
Prävention, den ein ſpäter Kommender ohne Kränkung nicht ſtören
darf. (§. 73.) In der That beſteht nun darüber nicht der min-
deſte Zweifel, daß ein effectiver Blocadeſtand, d. h. in ſofern ein
im Kriegsſtand begriffenes Gebiet durch feindliche Kriegsmacht
wirklich eingeſchloſſen iſt, es ſei zur See oder zu Lande, den Neu-
tralen die Verbindlichkeit auferlegt, ſich jeder Störung dieſer krie-
geriſchen Maaßregel und der darin begriffenen Zwecke zu enthal-
ten; 1 der weſentliche Zweck iſt aber die Abſchließung des blokirten
Ortes von jedem auswärtigen Verkehr und von jeder auswärtigen
Unterſtützung, welche nicht nur durch Zufuhren von Lebensmitteln,
ſondern auch durch Mittheilung von Nachrichten und Verſendun-
gen nach Außen geleiſtet werden kann. 2 Wer dennoch hiergegen
handelt, es ſei durch Ein- oder Auslaufen, ſtört nicht nur die
Aufmerkſamkeit der blokirenden Kriegsmacht, ſondern läßt auch eine
Vereitelung der Blocadezwecke befürchten, oder macht ſich offenbar
zu einem Gehülfen des Feindes; er kann ſich alſo dann keiner
anderen Behandlung getröſten, als dem Feinde ſelbſt zu Theil wer-
den würde. Wegnahme der Schiffe oder ſonſtiger Transport-
mittel mit allem darauf Befindlichen, und dann ferner nach Um-
ſtänden eine Appropriation dieſer Gegenſtände, ſo wie Repreſſalien
gegen die Führer und Mitſchuldigen erſcheinen demnach im Allge-
meinen ganz als eine kriegsrechtliche Conſequenz, welche ſich auch
die Staaten bisher und wechſelſeitig ohne allen Einſpruch zuge-
ſtanden haben. Dennoch fehlt es in der Ausübung dieſes an ſich
unſtreitigen Rechts nicht an Zweifeln und Controverſen. 3
[259]§. 155. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
155. Als erſter Streitpunct erſcheint die Frage: von welchem
Moment an die Blocade den Neutralen gegenüber als wirklich vor-
handen anzunehmen ſei. 1 Der Natur der Sache nach gehört
dazu die wirkliche Einſchließung des blokirten Ortes, wodurch jeder
Zugang von Außen her, es ſei nun auf allen Seiten oder doch
auf derjenigen Seite, von woher die Annäherung eines neutralen
Transportmittels erfolgt, wenn auch nicht unmöglich gemacht, doch
aber ſo erſchwert wird, daß die Verbindung mit dem blokirten
Orte nicht bewirkt werden kann, ohne die Blocadelinie zu zerſchnei-
den, und ohne ſich der Gefahr auszuſetzen von der Blocademacht
aufgehalten oder mit Kriegsgeſchoſſen betroffen zu werden. In
mehreren Staatenverträgen ſind ausdrückliche Beſtimmungen in die-
ſem Sinne, 2 zuweilen ſelbſt in der Art getroffen worden, daß man
bei Blocaden zur See die Zahl der Schiffe eines Blocadegeſchwa-
ders feſtgeſetzt hat, 3 was indeß nicht zur Regel geworden iſt. In
welcher Nähe ſich die blokirende Macht bei dem blokirten Platze
zu befinden habe, muß natürlich von den Umſtänden abhängen.
Gewiß muß es ſchon genügen, wenn ein Geſchwader dergeſtalt ſta-
tionirt iſt, daß es den Zugang zu dem blokirten Orte beobachten
und nach gewöhnlicher Berechnung einem ſich annähernden frem-
den Schiffe noch zuvor oder beikommen kann.
17*
[260]Zweites Buch. §. 156.
Nach allgemeinem Einverſtändniß, welches wieder auf der an
ſich unabhängigen Stellung der Neutralen beruht, kann indeſſen
die bloße Gegenwart einer Kriegsmacht vor einem feindlichen Platze
noch keine Gewißheit darüber geben, daß eine Blocade oder Ab-
ſperrung der Zweck davon ſei, namentlich bei Blocaden zur See.
Es wird deshalb noch immer eine beſondere Bekanntmachung an
die Neutralen für nöthig erachtet, welche entweder an Ort und
Stelle einem ſich Annähernden oder ſchon unterwegs durch Kreutzer
u. ſ. w. gegeben wird, oder auch allgemein auf dem Wege diplo-
matiſcher Mittheilung an die neutralen Staatsgewalten, welche nicht
verfehlen ihre Angehörigen davon weiter in Kenntniß zu ſetzen. Iſt
eine ſolche Notification geſchehen, ſo nimmt man an, daß ſelbſt
eine momentane Entfernung der Blocademacht aus zufälligen Urſa-
chen den Blocadeſtand noch nicht aufhebt, vielmehr ebenſo reſpec-
tirt werden muß wie der effectiv vorhandene, 1 und gewiß iſt hier-
gegen ein Bedenken weder nach juriſtiſchen Analogien noch nach
der wirklichen Staatenpraxis zu erheben; die von den Neutralen
angenommene und den Unterthanen mitgetheilte Notification ver-
tritt die Stelle eines Geſetzes für die letzteren. 2 Dieſelbe verliert
jedoch ihre Verbindlichkeit bei wirklichen Unterbrechungen der Blo-
cade durch Zurückziehung oder Vertreibung des Geſchwaders oder
der Belagerungstruppen, wobei für jetzt die Fortſetzung der Ein-
ſchließung aufgegeben wird. 3 Es kann daher auch zu gänzlicher Auf-
hebung des Blocadeſtandes keiner ausdrücklichen Notification an die
Neutralen bedürfen; er dauert wenigſtens für den Verkehr nicht län-
ger als die effective Abſperrung. Dieſe iſt immer das Subſtanzielle,
die Bedingung zur Wirkſamkeit der Notification.
156. Eine fernere Frage iſt, unter welchen Bedingungen der
effective Blocadeſtand als von den Neutralen verletzt gelten kann.
Als erſte Bedingung erſcheint dabei, ohne Widerrede, die wirkliche
Kenntniß des Neutralen von dem Daſein der Blocade. Dieſer
[261]§. 156. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Punct iſt ein rein thatſächlicher, welcher vielfach nur nach Vermu-
thungen zu entſcheiden ſein wird; gewiß aber läßt ſich keine Prä-
ſumtion als Regel aufſtellen, es werden vielmehr von billigen Rich-
tern die vorwaltenden Umſtände jedesmal beſonders erwogen wer-
den müſſen. 1 Die zweite Bedingung iſt, wie ebenfalls außer Streit
liegt, daß der neutrale Theil ſchon thatſächlich in der Ausführung
des Verſuchs betreten worden und nicht erſt rein intentionell im Be-
griff ſtehen muß, die Blocadelinie hindurch in den abgeſperrten Ort
einzudringen. 2 Entfernte Präſumtionen können hierbei, wie man
ſchon mit Recht getadelt hat, noch keineswegs genügen; ja es
würde ſogar höchſt unbillig ſein, das nicht ſofortige Einhalten des
Laufes eines Schiffes auf geſchehenen Anruf für den Beweis eines
beabſichtigten effectiven Eindringens in den blokirten Ort zu er-
klären. 3
Nicht allein unbillig, ſondern ſogar ungerecht iſt und wird es
allezeit ſein, ein neutrales Schiff ſchon deshalb, weil es ſich auf
dem Wege nach einem blokirten Orte befindet, wenn auch in noch
ſo weiter Entfernung, in den Fall einer Blocadeverletzung zu er-
klären. 4 Es iſt hier nicht nur die Möglichkeit vorhanden, daß
das Schiff bei Fortſetzung ſeines Laufes die Blocade aufgehoben
findet; ſeine Intention iſt gewiß nicht ſofort als eine unabänder-
liche anzuſehen; es kommt aber noch außerdem dazu, daß, wie wir
weiterhin ſehen werden, das Anhalten eines neutralen Schiffes au-
[262]Zweites Buch. §. 157.
ßerhalb der in Krieg befindlichen Gebiete gar nicht gerechtfertigt
werden kann. 1
Ob und in wie fern das Herauskommen eines Neutralen aus
einem blokirten Orte für einen Bruch der Blocade zu erklären ſei,
ſollte ganz und gar von den beſonderen Zwecken und Umſtänden
abhängig gemacht werden. Man wird z. B. Nachſicht ha-
ben müſſen, wenn die Zwecke der Blocade nicht geſtört wurden;
wenn das Schiff bona fide vor Eröffnung der Blocade ſich in
den abgeſperrten Ort begeben hatte, und ſein Wiederauslaufen keine
Verbindung mit den Feinden zum Zweck hat; man ſollte nur in
dem offenbaren Fall eines ſolchen Zweckes feindſelig gegen daſſelbe
verfahren, bei bloßem Verdacht hingegen mehr nicht als eine Be-
ſchlagnahme ohne Confiscation eintreten laſſen. Die Praxis läßt
freilich auch hier dem Priſenrichter einen beliebigen Spielraum zur
Confiscation. Freigegeben wird indeß wohl regelmäßig jedes neu-
trale Schiff, welches ſchon vor der Blocade in den blokirten Ort
hineinkam und mit Ballaſt oder mit einer ſchon vor jenem Termin
angekauften Ladung nach einem unverfänglichen Beſtimmungsort ab-
ſegelt. 2
Iſt die Blocade einmal aufgehoben, was nothwendig von der
effectiven verſtanden werden ſollte, ſo kann auch ſelbſt ein beab-
ſichtigter Blocadebruch nicht ferner geahndet werden. Das vermeint-
liche Delict iſt ein unmögliches, körperloſes geworden, und gewiſſer-
maßen ein Schleier darüber geworfen. 3
Uebermäßige Ausdehnung des Blocaderechts.
157. Selbſt in den bisher geſchilderten weiteſten Grenzen iſt
die Seepraxis einzelner Seemächte nicht ſtehen geblieben, ſondern
[263]§. 157. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſie hat noch zu verſchiedenen Zeiten unternommen dem Blocade-
recht eine Ausdehnung zu geben, welche über den natürlichen und
gewöhnlich feſtgehaltenen Character deſſelben hinausgeht. Man hat
weitausgedehnte Küſten ſchon dadurch in Blocadezuſtand erklären
zu dürfen gemeint, daß man jede Zufuhr dahin und von dorther
unterſagte, einige Kreutzer in der Nähe derſelben aufſtellte und da-
mit eine Notification an die Neutralen verband; 1 eine Maxime,
welche freilich wohl nur als eine außerordentliche bezeichnet wor-
den iſt, jedoch den Neutralen unendlichen Nachtheil zufügte und
zum Theil das Syſtem der bewaffneten Neutralität hervorrief;
durch weitere Generaliſirung kam man endlich dahin, daß man
ganze Länder und Inſeln ohne alle Mittel eines effectiven Blocade-
zuſtandes dennoch für blokirt erklärte und gegen die Contravenien-
ten, denen man beikommen konnte, die Nachtheile der wirklichen
Blocade eintreten ließ. 2 Dieſer blocus sur papier war eine
Frucht des franzöſiſch-englichen Krieges und das Hauptmittel des
Continentalſyſtemes zur Reaction gegen die britiſche Uebermacht und
Ueberhebung. Niemals hat indeß dieſe Maxime die Zuſtimmung
der Nationen erhalten; ſie war ſtets nur etwas Einſeitiges und
zugeſtandenermaßen Außerordentliches; ſie iſt widerrechtlich, weil ſie
in der That den neutralen Mächten ein Geſetz vorſchreiben will,
welches durch ſich ſelbſt verpflichtend ſie in ihrer Freiheit beſchrän-
ken ſoll. Man wird ſie demnach ihrer Einſeitigkeit überlaſſen und den
Neutralen, die es vermögen, auch das Recht zugeſtehen müſſen,
[264]Zweites Buch. §. 158.
dieſelbe mit aller Macht zu bekämpfen. Das Blocaderecht ohne
effective Abſperrung iſt ein bloßer Deckmantel ungemeſſener Han-
delsverbote, ein verſchleierter Krieg gegen den Handel des Feindes
und der Neutralen überhaupt.
Verkehr mit Contrebande. 1
158. Ein zweite Beſchränkung, welche die kriegführenden Staa-
ten neutralen Mächten aufzulegen für befugt gehalten werden, be-
trifft die Zufuhr der ſogenannten Kriegscontrebande. 2 Dieſe Be-
ſchränkung hat ihren Urſprung in einem analogen Verhältniß; ſie
gründet ſich auf die Ausdehnung der geſetzlichen Verbote von Zu-
fuhren gewiſſer Artikel, welche man bereits in der alten Welt von
Seiten der Staatsgewalten an die Unterthanen in Beziehung auf
den Verkehr mit dem Feinde erließ. Schon das römiſche Recht
enthielt bekanntlich dergleichen Verbote; 3 ähnliche ergingen von
den Päpſten und Concilien während der Kreuzzüge in Hinſicht
auf den Verkehr mit den Sarazenen; 4 weiterhin erlaubte ſich die
Hanſe in ihren Kriegen den Neutralen den Handel mit Kriegs-
artikeln oder wohl überhaupt jeden Handel mit ihren Feinden
zu unterſagen. 5 Im Allgemeinen ſcheint ſich unter dem Ein-
fluß der Civiliſten die Anſicht gebildet zu haben, daß ſich jeder
[265]§. 158. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Neutrale durch die Zufuhr derartiger Handelsartikel ſogar ſtraffäl-
lig gegen den dadurch benachtheiligten kriegführenden Staat mache
und dieſem es zuſtehe im Falle der Verletzung und Ertappung ein
Strafrecht gegen den Uebertreter auszuüben. Zu einer vollſtändi-
gen Praxis erhob ſich dieſe Anſicht freilich erſt mit der Entſtehung
bedeutenderer Kriegsmarinen und mit der Einführung des Caperei-
ſyſtems, weil nun erſt hierin das Mittel gegeben war, das ver-
meintliche Recht gegen die Neutralen in Ausführung zu bringen.
Freilich die ſtets bewaffnete Hanſe, ſo lange ſie von Bedeutung
war, unterſtand ſich zuweilen die völlige Freiheit ihres Handels
ſogar in dieſen Artikeln zu behaupten, ſowie es ihr gelungen war
durch Verträge eine völlig freie Fahrt ſelbſt nach den Landen der
Feinde ihrer Vertragsgenoſſen zu erlangen. 1 Während der letzten
drei Jahrhunderte haben ſich dagegen alle europäiſchen Seemächte
meiſtens ausdrücklich das Zugeſtändniß gemacht, daß jede im Krieg
begriffene Macht die Neutralen an der Zufuhr der ſogenannten
Kriegscontrebande hindern und dafür ſtrafen dürfe, worüber eine
unzählige Menge von Handels- und Schiffahrtverträgen Zeugniß
giebt; 2 ja ſie betrachten dieſes als eine ſchon feſtſtehende Befug-
niß. Sie haben daher auch ohne Vertrag eine ſolche Befugniß
geübt und Geſetze darüber erlaſſen; 3 man hat ihnen dieſelbe
an und für ſich niemals conteſtirt; nur gegen eine zu weite Aus-
dehnung iſt gekämpft worden; was man aber ſelbſt als Befugniß
ausübt, kann man dem andern Gleichſtehenden ebenfalls nicht ver-
weigern. Wenn demnach einzelne Publiciſten ein internationales
gemeinſames Recht der Kriegscontrebande geleugnet oder es nur
von ausdrücklichen Vertragsbewilligungen abhängig erklärt haben, 4
ſo muß dieſes als der hiſtoriſchen Wahrheit widerſprechend verwor-
fen werden.
[266]Zweites Buch. §. 159.
Juriſtiſche Idee der Kriegscontrebande.
159. Wenn es nun darauf ankommt einen allgemein giltigen
Begriff der Kriegscontrebande wenigſtens für die europäiſchen und
damit in Verbindung ſtehenden europäiſirten Nationen feſtzuſtellen,
ſo kann dieſes nicht a priori durch bloße Räſonnements aus der
Natur der Sache geſchehen, 1 die eben erſt gefunden werden ſoll,
ſondern lediglich auf hiſtoriſchem Wege. Es handelt ſich um ein
poſitives beſtimmtes Geſetz, woran unabhängige Mächte und de-
ren Unterthanen in Beziehung auf einen ihnen fremden Kriegsſtand
und in Anſehung einer ihnen ſonſt zuſtehenden Befugniß, nämlich
eines beliebigen Verkehrs und Handels mit jeder Nation, die ihn
ſelbſt nicht zurückweiſet, gebunden ſein ſollen. Ein ſolches Geſetz
kann nur das Product des Willens der Betheiligten ſein.
Aus der vorausgeſchickten geſchichtlichen Skizze, aus den Ge-
ſetzen der einzelnen Völker und der Staatenpraxis tritt nun auf
das Beſtimmteſte die Idee entgegen: daß die Zufuhr von Kriegs-
contrebande an einen Kriegführenden eine ſtrafbare Handlung
hinſichtlich des Anderen ſei 2 und deshalb wenigſtens zur Confis-
cation der Waare, ja ſelbſt zu weiterer Strafe gegen den wiſſent-
lich Zuführenden, der in der That begriffen wird, berechtige. Stra-
fen kann aber ein Staat bloß diejenigen Fremden, die er innerhalb
der legitimen Grenzen ſeiner Botmäßigkeit erreichen kann, alſo ent-
weder in ſeinem eigenen Gebiete oder in dem einſtweilig occupirten
feindlichen Gebiete. Soll er noch anderwärts, namentlich auf völ-
kerrechtlich freiem Gebiete, wie z. B. auf der See, dazu befugt
ſein, ſo gehört dazu die Erlaubniß derjenigen Mächte, unter deren
Schutz und Botmäßigkeit die Betheiligten ſtehen. Ohne dieſe Er-
laubniß darf zwar ein kriegführender Staat gegen neutrale Staats-
4
[267]§. 160. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
angehörige, welche ihm in ſeinen durch das Kriegsrecht erlaubten
Unternehmungen gegen den Feind ſtörend entgegentreten, Repreſſiv-
maaßregeln gebrauchen; allein dieſe werden nicht den Character der
Strafe an ſich tragen dürfen, eines Actes der inneren Staats-
gewalt; ſie werden der Anfechtung der anderen Staaten unterwor-
fen bleiben, wenn die richtigen Grenzen überſchritten ſind oder es
an einer rechtmäßigen Bedingung mangelt. Wo dagegen die Ge-
ſtattung eines Strafrechts beſteht, bleibt die Ausübung deſſelben
dem Kriegführenden nach ſeinem Ermeſſen anheimgegeben, und höch-
ſtens eine Interceſſion gegen offenbares Unrecht oder gegen Un-
menſchlichkeit zuläſſig. — Wenn ſich nun nach dem vorausgeſchickten
hiſtoriſchen Verhalt nicht mehr in Zweifel ziehen läßt, daß das
Recht der Kriegführenden, gegen die Zufuhr der Kriegscontrebande
von Seiten der Neutralen, Strafreactionen zu gebrauchen, insbe-
ſondere die Artikel ſelbſt wegzunehmen, ein gemeingiltiger Grund-
ſatz des europäiſchen Völkerrechts bisher geweſen und daſſelbe nicht
erſt von jeder Macht ſpeciell nachzuweiſen ſei, ſo bleiben nur noch
die Fragen zu löſen:
- 1) welche Gegenſtände zur Kriegscontrebande zu rechnen und
- 2) was für Repreſſivmittel gegen die Zuführung derſelben zu-
ſtändig ſeien.
Gegenſtände der Kriegscontrebande.
160. Schon öfter hat man verſucht, die Gegenſtände der Kriegs-
contrebande in einer beſtimmten Formel zuſammenzufaſſen, allein
eine allſeitige Anerkennung iſt bisher keiner zu Theil geworden. 1
Nur im Allgemeinen läßt ſich in der bisher beſtandenen Rechts-
ſitte die Abſicht der Nationen erkennen: es ſoll keinem kriegfüh-
renden Theile gegen den Anderen im Wege des neutralen Handels-
verkehrs eine wirkliche, dem Princip der Neutralität zuwiderlaufende
Kriegshilfe geleiſtet werden. Die Sachen, welche hierzu dienen kön-
nen, ſind nun aber entweder unmittelbar und unbedingt dazu ge-
eignet, wie z. B. Militäreffecten und Munition; oder ſie kön-
nen ſowohl zum unmittelbaren Kriegsgebrauch wie auch zu un-
verfänglichen, nicht feindlichen Zwecken ſofort verwendet werden,
[268]Zweites Buch. §. 160.
wie z. B. Pferde; oder es ſind auch nur erſt Stoffe oder Theile
der vorerwähnten Sachen, die noch weiter verarbeitet werden
müſſen; oder es ſind wohl gar erſt die Mittel, um Stoffe oder
fertige Gegenſtände der Art ſich zu verſchaffen. 1 Ferner kön-
nen Zeiten und Umſtände Etwas für einen Kriegführenden unent-
behrlich, für den anderen oder zu anderer Zeit ſehr entbehrlich und
nutzlos machen. Man erkennt ſofort, daß aus dem Begriff der
Kriegshilfe an und für ſich keine Entſcheidung genommen werden
kann, welche der vorbemerkten Sachen für Contrebande zu halten
ſeien oder nicht. Gleichwohl handelt es ſich um eine genaue,
keiner Willkühr unterworfene Feſtſetzung, weil um Strafe, und
auch dieſe Feſtſtellung kann, wie das Recht der Contrebande über-
haupt, nur durch Einverſtändniß der betheiligten Staatsgewalten
erlangt werden. Nie iſt den Kriegführenden allein nach eigenem
Gutfinden eine derartige Beſtimmung überlaſſen worden, obgleich ſie
ſich dieſes bei hinreichender Macht herausgenommen haben.
Zunächſt alſo geben die einzelnen Verträge für die darin Be-
griffenen Maaß und Ziel. Die Kriegscontrebande erſtreckt ſich dar-
nach bald auf mehr bald auf weniger Artikel. Dabei iſt der
Grundſatz einer ſtrengen Auslegung gerechtfertigt, denn es handelt
ſich um Einräumung eines Strafrechts. 2 Fehlt es an giltigen
Verträgen, ſo kann nur dasjenige als Kriegscontrebande gelten,
was immer und gleichförmig von allen Völkern als Contrebande
der Neutralen behandelt worden iſt. Dahin gehören indeß allein
militäriſche Angriffs- und Schutzwaffen nebſt Kriegsmunition, 3
[269]§. 160. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
worüber ſich auch noch ein größeres Detail durch Zuſammenſtel-
lung aller Verträge gleichſam durch ein Abrechnungsexempel geben
ließe. Alſo nur unbedingt zu feindlichem Kriegsgebrauch dienendes,
nichts problematiſches! Außergewöhnliche Gegenſtände der Contre-
bande hingegen, die ſich nur in vereinzelten Verträgen oder in der
Praxis einzelner Staaten finden, ſind:
- Pferde; 1
- Materialien, welche erſt zu Kriegsinſtrumenten oder Bedürf-
niſſen verarbeitet werden müſſen, namentlich Eiſen, Kupfer,
Hanf, Theer, Schiffbauholz 2 u. dgl.; - Lebensmittel aller Art; 3
- Baare Geldſendungen. 4
Von Artikeln dieſer Art wird man ſchon an und für ſich nicht behaup-
ten können, daß ſie eine unleugbar feindſelige Beſtimmung haben,
was doch wohl nach dem conventionellen Begriff der Contrebande
Vorausſetzung iſt. Es kann daher den Kriegführenden nur geſtattet
ſein, thatſächlich gegen die Neutralen oder den neutralen Handel ein-
zuſchreiten, wenn jenen Artikeln eine Beſtimmung für die feindliche
Staatsgewalt und deren Kriegsmacht mit zureichenden Gründen bei-
zumeſſen ſteht. Allein der Begriff der Contrebande, in dem Sinne
3
[270]Zweites Buch. §. 161.
eines ſchlechthin unerlaubten ſtrafbaren Handels mit einem krieg-
führenden Theile, welcher daher auch den Verfall der Waare nach
ſich zieht, kann damit nicht verbunden werden.
Thatbeſtand und Folgen der Contrebande.
161. Um wegen Contrebande einem Kriegführenden ſtraffällig
zu werden, genügt noch kein bloßer Verkauf der verbotenen Ge-
genſtände an den Feind, ſondern es muß auch ein Verſuch der
Zuführung an den Feind hinzukommen und eine Betretung auf
der Zufuhr. 1 Der Verkauf an und für ſich allein kann zwar
von einem neutralen Staate ſelbſt ſeinen Angehörigen unterſagt 2
werden; allein durch die Ueberſchreitung dieſes Verbotes macht
man ſich nur dem eigenen Staate verantwortlich; der Kriegfüh-
rende ſelbſt hat ſeinerſeits keine Befugniß die Contravention zu
ahnden. Mit Beendigung der Reiſe iſt die Schuld getilgt, wie-
wohl die neuere britiſche Praxis dieſen ſonſt allgemein recipirten
Grundſatz in einzelnen Fällen nicht mehr hat gelten laſſen. 3
Die Folge der Betretung mit Contrebande 4 iſt nach uraltem
Herkommen, welches ſich wohl ganz oder zum Theil auf die Lehre
der alten Civiliſten und auf das römiſche Recht gründet, die Weg-
nahme der verbotenen Gegenſtände und Confiscation derſelben im
Wege der Priſenjuſtiz. Die Transportmittel und namentlich die
Schiffe werden regelmäßig nur dann als mitverfallen angeſehen
und erklärt, wenn der Schiffseigenthümer, Schiffsherr oder Rheder
davon Kenntniß gehabt hat. 5 Auch iſt in vielen Verträgen die
Confiscation der Schiffe ſogar ausdrücklich ausgeſchloſſen, 6 des-
gleichen dem Schiffsführer die Befugniß ertheilt, durch ſofortige
Herausgabe der verbotenen Waare ſich von jeder Wegführung und
[271]§. 162. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Störung ſeiner Fahrt zu befreien. 1 Eine ſonſtige Beſtrafung der Con-
trebandeführer iſt wenigſtens völkerrechtlich nicht mehr hergebracht.
In Betreff ſolcher Artikel, welche nicht unter den ſtrengen Be-
griff der Contrebande oder zu den vertragsmäßig dahin gerechneten
Artikeln gehören, erlaubt man ſich zwar nicht immer dieſelbe Strenge,
wie bei eigentlicher Contrebande, wohl aber ein eigenmächtiges Vor-
kaufsrecht (le droit de préemtion), indem nämlich die dem Feinde
beſtimmten Waaren zwar weggenommen, jedoch dem Eigenthümer
vergütet werden. Schon in der älteren franzöſiſchen Praxis be-
ſtand ein ſolcher Gebrauch, ja er vertrat ſelbſt bei eigentlicher Con-
trebande die Stelle der Confiscation. 2 In der ſpäteren Zeit iſt
er auf die ausnahmsweiſen Contrebandeartikel hauptſächlich ange-
wendet worden, bald mit mehr bald mit weniger Billigkeit. 3 Eine
gemeine Regel des Völkerrechts iſt er nicht; juriſtiſch erſcheint er
als ein gewaltſamer Eintritt des Kriegführenden in eine Forderung
des Feindes an den Neutralen, oder, wenn eine ſolche noch nicht
beſteht, als eine Eigenmacht gegen die Neutralen, welche daher
auch vollſtändig entſchädigt werden müſſen. Denn der Vorwand,
man dürfe dem Feinde ſo viel ſchaden, als möglich, giebt noch
kein Recht einem Dritten zu ſchaden. Die Vergütigung muß alſo
jedenfalls das volle Intereſſe mitumfaſſen, welches der Neutrale
der anderen Kriegspartei wegen Nichterfüllung der gegen ſie über-
nommenen Verbindlichkeiten zu leiſten hat.
Neuere Verträge haben ſelbſt bei eigentlicher Contrebande die
Confiscation ausgeſchloſſen und an deren Stelle die bloße Wegnahme
gegen Vergütung geſetzt. 4
Analoge und zweifelhafte Fälle eines neutralen Handelsverkehrs.
162. Auf gleicher Stufe mit der Contrebande, wo nicht höher,
ſtehen, weil ein wirkliches Einverſtändniß mit dem Feinde und die
Leiſtung einer Kriegshilfe offenbar an ſich tragend, folgende Fälle:
[272]Zweites Buch. §. 162.
- a) die freiwillige Zuführung von Kriegs- und Transportſchif-
fen, wenn ſie nicht ohnehin ſchon unter den Begriff der
Contrebande geſtellt werden könnte; - b) freiwillige Zuführung von Mannſchaft für den Land- oder
Seekrieg; - c) freiwillige Ueberbringung oder Mitnahme von Depeſchen an
eine kriegführende Partei.
In allen dieſen Fällen wird nicht nur Wegnahme, ſondern auch
eine Appropriation des Transportsmittels, ja ſogar der übrigen
Ladung gegen den von dem verbotenen Zweck der Reiſe unterrich-
teten neutralen Eigenthümer zuläſſig gehalten, obwohl nicht immer
mit gleicher Strenge gehandhabt. 1 Man kann darin eine Re-
preſſivmaaßregel finden, welcher der Neutrale unterworfen werden
darf, wenn er ſich zum Complicen des Feindes gemacht hat und
dieſem ſelbſt kein anderes Loos zu Theil werden würde. Hierzu
kommt
- d) ein Frachtverkehr mit feindlichen Gütern oder auf feindli-
chen Schiffen, wovon das Nähere im Nachfolgenden dar-
zuſtellen iſt.
Zu den noch zweifelhaften Fällen eines erlaubten neutralen Han-
dels- und Schiffsverkehrs gehört:
- a) die directe Zufuhr von Bedürfniſſen einer feindlichen Land-
oder Schiffsmacht nach einem feindlichen Hafen, auch wenn
ſie nicht zu eigentlicher Contrebande zu rechnen ſind. Eng-
land und Nordamerica wenden hier die Grundſätze der Con-
trebande, ſelbſt mit Confiscation des Schiffes an. 2 Bil-
ligkeit kann höchſtens eine Präemtion gutheißen; - b) der Handel von Hafen zu Hafen oder längſt den Küſten
eines feindlichen Staates. Die bewaffnete Neutralität ſuchte,
wie ſchon angemerkt ward, 3 dieſen Grundſatz als einen
ſich von ſelbſt verſtehenden in den Codex des Völkerrechts
einzuſchreiben; auch widerſpricht es an und für ſich kei-
nesweges dem Begriff und den Bedingungen der Neutra-
lität, in einem kriegführenden Staate zu kaufen und das
[273]§. 162. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
erworbene Eigenthum in demſelben Lande wieder abzuſetzen.
Weil jedoch ein ſolcher Verkehr nur zu leicht zur Verdeckung
eines bloßen Frachtverkehres mit feindlichen Gütern die-
nen könnte, feindlicher Handel und Verkehr aber durchaus
unterdrückt werden ſoll: ſo hat ſich die Praxis der See-
mächte, namentlich die Britiſche, bisher nicht dazu verſtehen
wollen, jenes Princip zuzugeben. Man erlaubt daher nur
den Handel zu den feindlichen Häfen und Küſten mit neu-
tralen, anderwärtsher oder wohl gar nur aus dem Hei-
mathlande des neutralen Schiffes ſtammenden Gütern, und
ſtellt im Gegenfall bei Ladungen in feindlichen Häfen nach
feindlichen Häfen die Präſumtion juris et de jure auf,
daß die Güter ſelbſt noch feindlich ſind. Sogar die aus-
drückliche Stipulation, die ſich in ſo vielen Verträgen fin-
det: de naviguer librement de port en port et sur les
côtes des nations en guerre beſeitigt nicht ganz jeden
Zweifel, in wie fern darunter auch Güter des Feindes be-
griffen werden dürfen. 1 - c) der Handel mit feindlichen Colonien, wenn derſelbe von
dem Mutterlande bisher den Neutralen verſchloſſen war,
in Bezug auf den eingetretenen Kriegszuſtand jedoch frei-
gegeben worden iſt. Kaum ſollte man glauben, daß es
jemals einem Kriegsgegner einfallen konnte, das Verbot
ſeines Feindes gegen deſſen Willen wider die Neutralen
fortſetzen zu dürfen. Dennoch hat dieſes das Cabinet von
St. James geglaubt oder wenigſtens durchzuſetzen geſucht,
wiewohl allmälig eine gewiſſe Nachgiebigkeit eingetreten iſt. 2
18
[274]Zweites Buch. §. 163.
163. Zu den erlaubten oder von den Kriegführenden nicht zu
verhindernden Handelsgeſchäften der Neutralen gehören:
- a) Aſſecurationen feindlicher Unterthanen, Schiffe und Waaren; 1
- b) jeder directe oder indirecte Handel mit Unterthanen der Krieg-
führenden, deſſen Gegenſtände keine Contrebandeartikel ſind,
und ſo lange das Eigenthum der Waaren, welche etwa in
die Hände des Feindes gerathen, noch nicht an die andere
feindliche Partei unwiderruflich übergangen iſt; insbeſondere
jeder Eigenhandel nach einem kriegführenden Staat, bei wel-
chem eine Uebertragung des Eigenthums erſt eventuell mit
einem dort geſuchten Ankäufer vor ſich geht; ſodann auch
ein Commiſſionshandel dahin, wenn gleich der Commiſſio-
när darauf ſchon einen Theil des Werthes avancirt haben
ſollte. Denn der Committent bleibt noch immer Eigenthü-
mer der Waare; 2 man würde geradezu den in neuerer Zeit
gewöhnlichſten Handelsverkehr aufheben, wollte man dieſe Art
des Verkehrs den Neutralen verſagen. 3 Bedenklicher er-
ſcheint der active Commiſſionshandel aus einem feindlichen
Lande nach einem neutralen, wo der Abſender ſelbſt noch
Eigenthümer verbleibt, weil dann nach der bisherigen Praxis
der andere kriegführende Staat die Waare ſelbſt noch als
feindliches Eigenthum behandeln kann; billiger Weiſe frei-
lich nur gegen Erſtattung der darauf von dem neutralen
Commiſſionär erweislich gemachten Vorſchüſſe. Bei directem
Verkauf zwiſchen kriegführenden und neutralen Perſonen wird
es auf die unter den Intereſſenten entſcheidenden Privat-
rechtsnormen ankommen, in wie fern die Waare bis zur
Ablieferung noch Eigenthum des Verkäufers bleibt und dar-
nach für den anderen Kriegführenden die Natur einer feind-
lichen oder neutralen Waare ſich beſtimmen. 4 Sogar Schiffe
muß ein Neutraler in einem kriegführenden Staat ankau-
fen und frei abführen können, ohne daß der Feind darauf
[275]§. 164. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Anſpruch machen darf, wenn nur der Kauf ſelbſt bona fide
geſchieht und kein bloßes Scheingeſchäft iſt. 1
Ein activer Speditionshandel aus neutralem Lande nach feind-
lichem Lande darf, ſo weit nicht die Grundſätze des Blocaderechts
oder der Contrebande entgegenſtehen, dem neutralen Abſender recht-
licher Weiſe niemals ſein Eigenthum gefährden.
Abweichungen von dieſen Regeln und beſondere Rechte der
Kriegführenden können indeſſen noch aus der Art und Weiſe der
Verladung entſtehen, wovon in den nachfolgenden Sätzen das Nä-
here bemerkt werden muß.
Beſchränkungen des Frachtverkehrs zur See.
164. Da nach einem allgemeinen noch immer andauernden
Kriegsgebrauch der ganze Handels- und Schiffsverkehr der mit
Einander im Kriege begriffenen Nationen ein Gegenſtand feindli-
cher Maaßregeln unter ihnen wird und die dazu gehörigen Sachen
und Güter als gute Priſe betrachtet werden: ſo mußte ſchon längſt
die Frage entſtehen: welchen Rückſchlag dieſe Maxime auf den an
ſich freien Frachtverkehr der Neutralen äußere, wenn feindliches
Gut damit verſendet wird; ſo wie umgekehrt auf die Verſendun-
gen neutraler an ſich unverbotener Güter mit feindlichen Trans-
portmitteln.
Im Laufe der Zeiten und nach Maaßgabe der Entfaltung des
Handels- und Schiffsverkehrs, ſo wie der bewaffneten Marinen
haben ſich ſeit dem Mittelalter 2 zwei Syſteme neben Einander ge-
ſtellt, ohne daß Eines derſelben ſchon zur Ausſchließung des An-
deren gelangt iſt.
- I. Das Eine Syſtem beſteht in der Maxime: feindliches Gut
darf, wenn es die Gegenpartei entdeckt, auch auf neutralen
Schiffen weggenommen und confiscirt werden, wogegen die
neutrale Ladung feindlicher Schiffe dem neutralen Eigenthü-
18*
[276]Zweites Buch. §. 165.
mer verbleibt, falls ſie keine Contrebande oder ſonſt verbo-
tene iſt: — Frei Schiff, unfrei Gut; Unfrei Schiff,
frei Gut. Es beruhet im Allgemeinen auf einer wenigſtens
ſpeciöſen Anwendung des oberen Grundſatzes der Gerechtig-
keit: Suum cuique. - II. Das andere Syſtem geht dem vorigen entgegen dahin: daß
die neutrale Flagge auch die feindliche Ladung gegen die an-
dere kriegführende Macht ſchützt: Frei Schiff, frei Gut
(le pavillon couvre la cargaison), während man in Be-
treff der neutralen Güter auf feindlichen Schiffen den Grund-
ſatz übt und gelten läßt, daß jene zugleich mit den letzteren
verfallen: Unfrei Schiff, unfrei Gut (La robe de
l’ennemi confisque celle d’ami); oder auch es in dieſer
Beziehung bei dem entgegengeſetzten Princip bewenden läßt:
unfrei Schiff, frei Gut.
Dieſes zweite Syſtem iſt das Neuere; es iſt ein Schutzſyſtem für die
Intereſſen der Neutralen gegen die mit der Ausführung des Er-
ſten verbundenen Beläſtigungen, ohne daß man dabei das vollſtän-
dige Bewußtſein eines zureichenden inneren Rechtsgrundes hat.
Frei Schiff, unfrei Gut, und umgekehrt.
165. Das Erſte der zuvor bezeichneten Syſtemen war wäh-
rend des Mittelalters vorherrſchend. Es findet ſich im Conſolato
del Mar, 1 deſſen Weithinverbreitung über die europäiſchen ſüd-
[277]§. 165. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
weſtlichen Küſtenlande mit Recht als ein Hauptzeugniß dafür be-
trachtet wird; überdies auch in der einen oder anderen Hinſicht
1
[278]Zweites Buch. §. 165.
beſtätigt durch mehrere Verträge älterer und ſpäterer Zeit, 1 nicht
minder durch die Praxis; 2 endlich auch als Regel anerkannt von
einer Menge der bedeutendſten Publiciſten bis in das achtzehnte
1
[279]§. 166. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Jahrhundert hinein. 1 Großbritannien und einzelne andere Staa-
ten betrachten es daher noch jetzt als die eigentliche Regel des ge-
meinſamen Völkerrechts, wovon nur durch Vertrag eine Abwei-
chung begründet werden könne. 2
Nicht immer und allenthalben wurde indeß nach dem an ſich ſo
löblich ſcheinenden Syſtem verfahren; ganz das Entgegengeſetzte wurde
in Frankreich eingeführt, nämlich: Feindliches Schiff wird
mit allen darauf befindlichen ſelbſt neutralen Gütern
confiscirt, — eine Maxime die man nach Vorgang von De-
mornac auf eine vermeintliche Analogie des römiſchen Rechts
ſtützte, — und ſogar ferner: Neutrales Schiff verfällt,
wenn es feindliche Güter geladen hat. Die Parlamente
ſcheinen zwar der Anwendung des letztern Grundſatzes widerſtan-
den zu haben: allein noch die Ordonnanz von 1681 behielt ihn
bei, und erſt 1744 ward derſelbe, welcher außerdem nur noch in
Spanien Geltung hatte, ausdrücklich in dem franzöſiſchen Rechts-
ſyſteme gelöſcht. 3
Frei Schiff, frei Gut.
166. Da mit der Handhabung der angeführten älteren Regel
ebenſowohl wie mit der erwähnten franzöſiſchen Praxis die größe-
2
[280]Zweites Buch. §. 166.
ſten Beſchwerden für die Neutralen insbeſondere in Kriegen der
bedeutenderen Seemächte und ſeit dem Aufkommen des neueren
Caperſyſtemes verbunden waren, indem der Vorwand oder ge-
ringſte Verdacht der feindlichen Qualität eines Schiffes, ja ſelbſt
nur eines Theiles der Ladung zu der Wegführung des neutralen
Eigenthums außerhalb ſeines beſtimmten Weges, mithin zu ſteten
Störungen des neutralen Handels einen Deckmantel abgeben konnte:
ſo ſuchte man in Verträgen Schutz, wodurch die Contrahenten im
Falle der Neutralität des Einen bei Kriegen des Anderen auf eine
Durchſuchung und Wegführung der Schiffe des Neutralen, ausge-
nommen wegen Contrebande, verzichteten, mithin ſelbſt feindliche
Güter durch die Flagge decken ließen, wogegen man ſich oft, wie-
wohl nicht immer das Zugeſtändniß der Wegnahme neutraler Gü-
ter auf den feindlichen Schiffen machte. 1
Vorzüglich Frankreich hat ſich die vertragsweiſe Stipulation
des combinirten Grundſatzes: frei Schiff, frei Gut; unfrei Schiff,
unfrei Gut, als Aufgabe ſeiner Politik geſtellt 2 und ſie nur zu-
weilen kleineren Staaten ungroßmüthig vorenthalten, dann vielmehr
den Grundſatz des Conſolats: „frei Schiff, unfrei Gut“ adoptirt. 3
Außerdem ſind die vereinigten Niederlande vielfach auf das ver-
tragsmäßige Zugeſtändniß des neueren Neutralitätsſyſtemes bedacht
geweſen; ſeltener hat Großbritannien einzelnen Nationen die Frei-
heit der neutralen Flagge zugeſtanden, 4 oder wie ſeine Publiciſten
es wohl ſonſt ausgedrückt haben, ſie damit privilegirt! Ganz
beſonders ſuchte man ſich mit den Barbaresken auf dieſen Fuß
von Seiten aller Seemächte zu ſtellen. 5 Endlich wurde wenig-
[281]§. 166. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſtens der Grundſatz frei Schiff, frei Gut von der bewaffneten
Neutralität angenommen, und zwar nicht bloß gegen die ihr bei-
tretenden Nationen, ſondern überhaupt zu Gunſten aller Nationen,
gewiß derjenigen, welche kein entgegenſtehendes Princip aufſtellen
würden. Freilich aber iſt ſie hiervon wieder in den Conventionen
mit Großbritannien von 1801 abgegangen, 1 und ſeitdem iſt das
den Neutralen bequemere Syſtem nicht mehr in entſchiedener Wirk-
ſamkeit verblieben. Die nordamericaniſchen Freiſtaaten ſind zwar
im Allgemeinen geneigt geweſen, die beiden obigen combinirten
Grundſätze der neueren Handelspolitik gleichfalls in Verträgen an-
zunehmen, jedoch in neueſter Zeit mit der Beſchränkung, daß ſie
nur bei Kriegen wider ſolche Gegner gelten ſollten, welche jenes
Syſtem gleichfalls beobachteten, 2 ohne welche Vorausſetzung aller-
dings Verwickelungen und Nachtheile unvermeidlich ſind.
Darüber beſteht kein Zweifel, daß aus der vertragsmäßigen
Sanction des einen Grundſatzes: frei Schiff, frei Gut — noch kei-
neswegs von ſelbſt auch die Adoption des anderen: unfrei Schiff,
unfrei Gut, gefolgert werden darf, 3 ſo wenig als dieſes im um-
gekehrten Falle zuläſſig ſein würde. Wo der letztere Satz angenom-
men iſt, hat man oft wieder die Strenge der Stipulation dadurch
gemildert, daß man die ſchon vor bekannt gewordener Kriegserklä-
rung auf feindliche Schiffe geladenen neutralen Waaren von der
Confiscation befreite. 4
In der bisher geſchilderten Lage befindet ſich dieſer wichtige
Punct des neutralen Seehandels. Unmöglich kann man behaup-
ten, daß das neuere Syſtem ſich zu einem gemeingiltigen erhoben
habe. Die Vielheit der Verträge, worin es ſtipulirt iſt, bewei-
ſet noch nicht die allgemeine Annahme. Gerade die bedeutendſte
Seemacht hat ſich demſelben ſtets widerſetzt und in ſeinem Zuge-
ſtändniß immer nur ein Privilegium geſehen. Eben ſo wenig iſt
[282]Zweites Buch. §. 167.
aber auch als ausgemacht zu halten, daß das ältere Syſtem eine
gemeingiltige Regel in Ermangelung vertragsmäßiger Ausnahmen
darſtelle und jeder europäiſche Staat gebunden ſei, ſich demſelben
zu unterwerfen. Der Conſolato del Mar, worauf man ſich Bri-
tiſcher Seits erſt in ſehr neuerer Zeit berufen hat, iſt kein von
den Nationen mit gemeinſamem Willen angenommenes Geſetz, auch
hat es die Auctorität einzelner, wenn gleich noch ſo geachteter
Publiciſten, nicht dazu erheben können. Haben die Seemächte in
ihrer früheren Vereinzelung die Grundſätze des Conſolats in An-
wendung gebracht, ſo geſchahe dieſes nicht in der Ueberzeugung von
einer rechtlichen Verpflichtung, ſondern nach politiſcher Wahl, wo-
von man wieder abzugehen nicht verhindert iſt.
Das wahre Recht der Neutralen wird ſich uns allererſt bei
der Frage von dem Durchſuchungsrecht der Kriegführenden erge-
ben. Man kann zugeſtehen, daß es jedem Kriegführenden erlaubt
ſei, feindliches Gut wegzunehmen wo er es findet, aber man hat
ihm darum noch nicht einzuräumen oder ſchon eingeräumt, dieſes
mit Verletzung der Rechte von Dritten zu ſuchen. Hierin liegt
die Entſcheidung!
Durchſuchungsrecht.
167. Zur Sicherſtellung der Kriegführenden, daß der neutrale
Verkehr in ſeinen nothwendigen oder conventionellen Schranken
bleibe, dient hauptſächlich, auch von dem Falle einer Blocade ab-
geſehen, die Anhaltung und demnächſt eine Unterſuchung neutraler
Schiffe oder ſonſtiger Transportmittel. Obgleich von mehreren
Schriftſtellern ſchon während des vorigen Jahrhunderts den Krieg-
führenden ein eigentliches Recht hierzu, neutralen Staaten gegen-
über, nach dem Princip der Unabhängigkeit und Freiheit aller Na-
tionen, wenigſtens in der einen oder anderen Hinſicht, namentlich
auf offener See beſtritten worden iſt: 1 ſo ſteht doch die Thatſache
unwiderlegbar feſt, daß alle Seemächte, welche nur irgend die Mit-
tel dazu beſitzen, ein ſolches Unterſuchungsrecht (droit de visite)
in ihren Kriegen wirklich ausgeübt haben, und daß ſie es gleich-
[283]§. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
falls auch anderen Seemächten in deren Kriegen, theils durch aus-
drückliche Convention, theils auch ohne ſolche und ohne Wider-
ſpruch, ausgenommen bei vorkommenden Ueberſchreitungen gewiſſer
Grenzen zugeſtanden haben. 1 Es kann daher mindeſtens nach
Lage der bisherigen internationalen Verhältniſſe nicht erſt noch auf
eine innere Rechtfertigung der Unterſuchungsbefugniß für jeden krieg-
führenden Staat ankommen, vielmehr ſich nur davon handeln,
die Bedingungen, Modalitäten und Grenzen derſelben theils aus
dem anerkannten Zweck, theils aus der gemeinſamen Völkerpraxis
darzuſtellen.
168. Als Zweck der Unterſuchung erſcheint im Allgemei-
nen die Ueberzeugung des Kriegführenden, welcher einem Trans-
port in einem denkbaren Zuſammenhang mit der feindlichen Par-
tei begegnet, in wiefern ſolcher wirklich vorhanden ſei, um demnächſt
die ihm zuſtehenden materiellen Rechte ſowohl den feindlichen Staa-
ten als auch den Neutralen gegenüber in Ausübung zu bringen.
Eine derartige Unterſuchung kann demnach nur Statt finden
- in dem eigenen Gebiete eines Kriegführenden;
- in dem Gebiete des feindlichen Gegners, ſofern man daſſelbe
beſetzt hält oder doch vorübergehend erreichen kann; 2
endlich allgemeinem Gebrauche gemäß,
- auf offener See.
Unſtatthaft iſt ſie dagegen innerhalb des Souveränetätsgebietes be-
freundeter oder neutraler Staaten, ja ſelbſt in dem Gebiete der ei-
genen Bundesgenoſſen, wofern dieſelbe nicht ausdrücklich oder ſtill-
ſchweigend dazu die Erlaubniß oder Genehmigung ertheilen. 3 Die
in exemten Gebieten dennoch gemachten Priſen müſſen auf die Re-
clamation des verletzten Gebietsſtaates wieder heraus gegeben wer-
[284]Zweites Buch. §. 169.
den. 1 — Sachen, welche viſitirt werden dürfen, ſind alle Arten
von Transportmitteln, denen keine vollkommen unverfängliche oder
unantaſtbar ausſchließliche Beſtimmung zu gewiſſen erlaubten, mit
dem Feinde in gar keinem Zuſammenhang ſtehenden Zwecken deut-
lich und unverkennbar anklebt. Befreit ſind namentlich alle Kriegs-
ſchiffe der neutralen Staaten, ſoweit ſich deren Qualität unzwei-
deutig kund giebt; 2 unterworfen dagegen alle Privatſchiffe und
ſolche Transportmittel, deren Qualität und Eigenthum oder un-
verfängliche Beſtimmung nicht von ſelbſt in die Augen ſpringt.
Specielle Zwecke der Unterſuchung ſind hiernächſt:
- das etwanige Daſein feindlichen Eigenthums, es ſei in Be-
treff des Transportmittels oder in Betreff der Ladung; - das etwanige Daſein feindlicher Perſonen;
- die etwanige Zufuhr von Contrebande oder anderen verbote-
nen Artikeln; - die beabſichtigte Communication mit blokirten Orten.
Demnach iſt zu ermitteln:
- die Nationalität des Schiffes;
- die Beſchaffenheit, Herkunft und Beſtimmung der Ladung;
- die Nationalität der Bemannung, wofern nicht etwa dieſe
Vertragsweiſe durch die Nationalität des Schiffes gedeckt
wird. 3
Im Uebrigen kann ſelbſt die Maxime: „Frei Schiff, frei Gut“ das
Recht der Unterſuchung zu Gunſten der Neutralen nicht ausſchlie-
ßen, da wenigſtens immer eine Nachfrage und Nachſuchung nach
Contrebande, desgleichen nach der Nationalität des Schiffcs ver-
gönnt werden muß. 4
169. Berechtigt zur Vornahme einer Unterſuchung ſind
allein die von den kriegführenden Staatsgewalten hierzu berufenen
[285]§. 168. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
oder autoriſirten Perſonen, insbeſondere Befehlshaber der bewaff-
neten Land- und Seemacht, und zwar ſelbſt ohne ausdrücklichen
ſpeciellen Auftrag, ſodann die mit giltigen Markebriefen verſehenen
Caper, wofern nicht auf den Gebrauch derſelben gegen einzelne
Staaten verzichtet iſt. 1 Das gewöhnliche Verfahren der Anhal-
tung und Unterſuchung iſt nun nach der Mehrzahl der hierüber
geſchloſſenen Verträge, welche ſich vorzüglich dem pyrenäiſchen Frie-
den Artikel 17. als Muſter angeſchloſſen haben, dieſes: 2 der krieg-
führende Theil nähert ſich dem zu durchſuchenden Schiff auf Kano-
nenſchußweite, nachdem letzteres durch ein beſtimmtes Signal (coup
d’assurance, semonce) zum Innehalten ſeines Laufes aufgefor-
dert worden iſt. Der anhaltende Theil ſendet dann eine Scha-
luppe mit einer geringen Zahl von Leuten an Bord des fremden
Schiffes, oder er begnügt ſich den fremden Schiffer mit den See-
briefen zu ſich kommen zu laſſen. Von weſentlicher Wichtigkeit
ſind hierbei folgende Papiere:
- die Päſſe und etwanigen Urſprungscertificate über Schiffe und
Ladung, - die Connoiſſements und charte partie,
- das Schiffmannſchaftsverzeichniß,
endlich
- das Reiſejournal. 3
Iſt in Verträgen nichts Genaueres feſtgeſetzt, was für Papiere
vorgelegt werden ſollen und welche Beſchaffenheit ſie haben müſ-
ſen, ſo iſt unbedenklich als Grundſatz zu befolgen, daß es nur auf
die moraliſche Ueberzeugung von der Unverfänglichkeit eines neu-
tralen Schiffseigenthums und ſeiner Ladung ankomme und daß
dabei nicht etwa ſubtile Beweisgrundſätze entſcheiden können; ja,
die eigenen Landesgeſetze des durchſuchenden Theiles müſſen in die-
ſem Sinne verſtanden werden. 4 Erſt wenn ſich aus den Papie-
[286]Zweites Buch. §. 170.
ren ſelbſt oder aus dem Verhalten der Mannſchaft der Verdacht
einer Unrichtigkeit in der einen oder anderen Hinſicht ergiebt, darf
der Unterſuchung eine weitere und ſchärfere Ausdehnung gegeben
werden.
Schutzmittel gegen die Durchſuchung durch Convoiirung. 1
170. Um den Beſchwerlichkeiten der Durchſuchung zu entgehen,
iſt man vorlängſt auf ein Auskunftsmittel bedacht geweſen, wel-
ches den Kriegführenden die Sicherheit gewähren ſollte, daß auf
gewiſſen Schiffen keine verbotenen Waaren, Feindes Güter oder
Mannſchaften verſendet würden, mithin die gewöhnliche Durchſu-
chung ſelbſt entbehrlich machte. Dazu iſt nun die Convoiirung
der Handelsſchiffe durch (bewaffnete) Staatsſchiffe der neutralen
Nationen bei verſchiedenen Gelegenheiten und Veranlaſſungen in
Gang gekommen, nachdem man ſchon früher das Convoiiren der
Handelsſchiffe als allgemeines Schutzmittel gegen Handelsbeein-
trächtigungen, Seeraub und dgl. gebraucht hatte. (Vgl. §. 174.)
Der Gedanke von jener ſpeciellen Anwendung des Convoirechtes
ſuchte ſich beſonders in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts
geltend zu machen; namentlich ergriffen und vertheidigten ihn die
Holländer. Indeſſen wurde er nicht von allen Seemächten, am
wenigſten von Großbritannien zugeſtanden. Erſt während der bei-
den letzten americaniſchen Kriege des vorigen Jahrhunderts gewann
er größere Conſiſtenz; man verſicherte ſich ſeiner durch Verträge; 2
die bewaffnete Neutralität des Nordens nahm ihn 1800 unter
ihre Maximen auf; 3 Großbritannien hat in jenen Kriegen einige
4
[287]§. 170. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Connivenz dabei gezeigt, ohne jedoch das Princip ſelbſt einzuräu-
men und in ſeinen Conventionen mit den nordiſchen Mächten von
3
[288]Zweites Buch. §. 170.
1801 nur eine Milderung der ſtrengeren Viſitation bei convoiirten
Schiffen bewilligt.
Wiewohl nun kein allgemeines gleiches Einverſtändniß der
Mächte über den Grundſatz beſteht und ſogar viele der ihn un-
bedingt oder modificirt enthaltenden Verträge im Laufe des jetzi-
gen Jahrhunderts wieder gelöſet ſind: ſo wird er doch mit vollem
Recht von den Neutralen auch noch in Zukunft zu behaupten ſein,
wofern ſie bei ausbrechenden Kriegen ſolche Maaßregeln treffen,
daß die unter Convoi zu ſtellenden Handelsſchiffe vor der Abſege-
lung der genaueſten Inſpection unterworfen und die Führer der
Bedeckung mit authentiſchen Legitimationen verſehen werden. Iſt
dieſes beobachtet, ſo würden die Kriegführenden die den neutralen
Mächten gebührende Achtung verletzen, wollten ſie jenen Legitima-
tionen und den Verſicherungen des Convoiführers keinen Glauben
3
[289]§. 171. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
beimeſſen. Mehrere Verträge des jetzigen Jahrhunderts laſſen auch
die Abſicht der Seemächte erkennen, noch ferner den Grundſatz in
Anwendung bringen zu wollen. 1 Natürlich können aber nur die
ausdrücklich und beſtimmt unter die Bedeckung von der abſenden-
den Staatsgewalt aufgenommenen Privatſchiffe auf das Privilegium
Anſpruch machen, nicht auch ſolche, die ſich einem Convoi eigen-
mächtig oder unterweges erſt angeſchloſſen haben. Auch können ſich
diejenigen Schiffe, welche unterweges von der Bedeckung ſich tren-
nen oder abgetrennt werden, auf das Privilegium nicht wieder be-
rufen; vielmehr laufen dieſe oft Gefahr, bei ihrer demnächſtigen
Betretung von den Kriegführenden als beſonders verdächtig behan-
delt zu werden. 2
Recht der Beſchlagnahme und Wegführung.
171. Jedes Schiff ſetzt ſich der Beſchlagnahme und Wegfüh-
rung aus:
- wenn es ſich der Unterſuchung thätlich widerſetzt oder zu wi-
derſetzen Anſtalten trifft; in welchem Fall ſogar ein Ge-
leitsſchiff mit dem ganzen Convoizuge aufgebracht werden
kann; 3 - wenn es ſich nicht ſofort als ein neutrales legitimiren kann;
- wenn es ſich im Fall einer offenbaren Zuwiderhandlung ge-
gen die Rechte eines Kriegführenden in Betreff einer Blo-
cade, oder wegen Zuführung verbotener Waaren oder feind-
licher Mannſchaften und Depeſchen befindet; - wenn ſich der Verdacht einer Unrichtigkeit in der einen oder
anderen Hinſicht ergiebt; insbeſondere wenn ſich gar keine
oder doppelte oder unvollſtändige Schiffspapiere vorfinden,
oder dieſelben ganz oder zum Theil über Bord geworfen
19
[290]Zweites Buch. §. 171.
ſind, oder wenn beſtimmte Umſtände auf eine Simulation
ſchließen laſſen; 1
endlich
- im Falle einer Deviation, deren zureichender unſchuldiger Grund
nicht ſofort erkennbar iſt. 2
Von den weiteren Folgen kann ſich das angehaltene Schiff
demnächſt nur durch Ranzionirung, wenn ſolche dem Captor nach-
gelaſſen iſt, befreien (§. 142 d.), oder im Fall von Contrebande und
ähnlichen Contraventionen, wobei nicht Schiff und übrige Ladung
verwirkt wird, durch Auslieferung der verbotenen Artikel, ſofern
ſie der Nehmer auf ſein Schiff aufnehmen kann, 3 gegen ein Em-
pfangsbekenntniß deſſelben. 3
Von dem Augenblick der Beſchlagnahme an wird der Nehmer,
abgeſehen auch von den Verpflichtungen gegen ſeinen eigenen Staat,
dem neutralen Schiffseigenthümer und Befrachter für alle Nach-
theile einer ungerechten Beſchlagnahme verantwortlich, 4 insbeſon-
dere für jede durch ſein Verſchulden hervorgebrachte Einbuße oder
Verſchlimmerung von Sachen. Der Nehmer muß daher für die
Priſe die hergebrachte ſeemänniſche Sorgfalt anwenden; über den
Beſtand derſelben ein ſummariſches Verzeichniß aufnehmen, die
Schiffspapiere verſiegeln, die Schiffslucken verſchließen und ſo viel
als möglich jede Veränderung oder Deplacirung in den einzelnen
Sachen unterlaſſen, wenn dergleichen aber nothwendig wird, ſo wie
überhaupt des beſſeren Beweiſes wegen ſchon bei Ausführung der
Beſchlagnahme, den Schiffer des genommenen Schiffes zuziehen und
ſich die zweckdienlichen Beſcheinigungen von ihm ertheilen laſſen. 5
Hinſichtlich der Wegführung der Priſe wird eben ſo verfahren
wie bei offenklar feindlichen Schiffen.
[291]§. 172. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Priſengerichtsbarkeit gegen Neutrale.
172. Ganz in derſelben Weiſe wird auch die Rechtmäßigkeit
der Priſe gegen den Neutralen der Entſcheidung eines Priſenge-
richts unterworfen. Dieſe Gerichtsbarkeit iſt in neuerer Zeit un-
angefochten von jedem kriegführenden Staate ſelbſt ausgeübt wor-
den, ungeachtet dagegen von neueren Publiciſten ſeit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts mancherlei Bedenken erhoben ſind, zuweilen
mit entſchiedener Denegation. 1 Beruht ſie, wie unter einigen
Staaten der Fall iſt, auf ausdrücklichen Verträgen, ſo kann kein
Streit darüber erhoben werden. Außerdem iſt ſie Nichts als eine
politiſche Maaßregel, für welche ſich juriſtiſch nur die Analogie ei-
nes forum arresti s. deprehensionis anführen läßt, vorausgeſetzt,
daß ſie ſich auf wirkliche Rechtsverletzungen neutraler Unterthanen
gegen den kriegführenden Staat beſchränkt. Eine res iudicata ent-
ſpringt daraus an und für ſich nur für den Staat, welcher eine
ſolche Gerichtsbarkeit übt (§. 39.); anderen Staaten wird dadurch
kein verbindliches Geſetz ertheilt; jedoch pflegt man meiſtens im
Intereſſe der Eigenthumsgewißheit und zur Vermeidung von Con-
teſtationen die Priſenzuſprüche als giltig anzuerkennen, wenn nur
dadurch kein unzweifelhaftes Princip des Völkerrechts verletzt wor-
den iſt. Eine Ausnahme von der Competenz des kriegführenden
Staates, für welchen der Fang gemacht iſt, wird vorzüglich dann
behauptet und zugeſtanden
- wenn die Wegnahme in einem neutralen Gebiete erfolgt iſt,
oder - wenn das weggenommene Gut, noch vor dem Zuſpruch der
Priſe an den kriegführenden Staat, in das Gebiet desjenigen
Staates gelangt, welchem auch der Eigenthümer angehört.
Im erſteren Falle wird nicht nur der neutrale Staat, welcher die
weggenommenen Gegenſtände in ſeiner Gewalt hat, über die Ille-
galität der Priſe zu entſcheiden befugt gehalten, ſondern es wird
auch ſeiner Reclamation der unrechtmäßigen nicht mehr in ſeiner
Gewalt befindlichen Priſe im Wege der diplomatiſchen Verhand-
lung von den Kriegführenden Folge gegeben; im zweiten Falle
kann er gleichergeſtalt nach ſeinen eigenen Geſetzen und nach den
mit dem Kriegführenden beſtehenden Verträgen über die Reclama-
19*
[292]Zweites Buch. §. 173.
tion des Eigenthümers entſcheiden. 1 Daß aber ein neutraler Staat
auch über die Rechtmäßigkeit der von einem Kriegführenden gegen
einen dritten neutralen Staat gemachten Priſe das Entſcheidungs-
recht habe, kann ſelbſt, wenn die Priſe ſich unter ſeiner Botmäßig-
keit befindet, als hergebracht nicht nachgewieſen werden; nur ein
proviſoriſcher Schutz darf hier dem Weggenommenen angedeihen;
im Uebrigen iſt die Sache zwiſchen dem Kriegführenden und neu-
tralen Staate auszutragen.
173. Das Verfahren bei den Priſengerichten der Kriegfüh-
renden iſt auch den Neutralen gegenüber ein ſ. g. Reclameproceß,
wobei den reclamirenden Neutralen der Beweis der Unrechtmäßig-
keit der Captur aufgebürdet wird. 2 Sowohl die Form des Ver-
fahrens, wie auch die Grundſätze des Beweiſes und das Mate-
rielle der abzugebenden Entſcheidung richten ſich nach den Geſetzen
des Landes, deſſen Behörden mit der Priſengerichtsbarkeit beauf-
tragt ſind, wofern nicht Verträge mit den Neutralen im concreten
Fall ein Anderes mit ſich bringen. 3 Im Allgemeinen ſind jene
Proceduren und Entſcheidungsnormen nichts weniger als günſtig
für die Neutralen; ſie ſind politiſche Werkzeuge und Angeln des
Eigennutzes, wie man ſich leicht ſchon aus dem Durchblättern der
Sammlungen von Priſengerichtsurtheilen überzeugen kann, trotz der
Bewunderung, welche Viele den „gelehrten Priſenrichtern“ man-
cher Nationen gezollt haben! Häufig werden nur diejenigen Be-
weiſe zugelaſſen, welche bei der Captur eines Schiffes vorgefunden
werden; mit den Schiffspapieren werden die Ausſagen der Schiffs-
[293]§. 174. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
mannſchaft verglichen, hinſicht deren man faſt inquiſitoriſch ver-
fährt. 1
Welche Folgen den unterliegenden Reclamanten treffen, iſt nach
den vorausgeſchickten Maximen der neueren Seepraxis in Betreff
der einzelnen ſ. g. Contraventionen leicht zu bemeſſen. Bald be-
ſtehen ſie in dem Verluſt des Schiffes und der Ladung, bald in
dem des Einen oder Anderen, bald auch nur in dem Verluſte eines
Theiles der Ladung oder auch der Fracht. Der ganz oder theil-
weis Siegende erhält die Reſtitution, auch wohl Schäden und Ko-
ſten vergütet, obgleich die Captoren dabei häufig geſchont werden.
Ein nicht ganz abgelehnter Verdacht hat meiſt dieſelben Wirkungen
wie die offenklare Contravention, oder entbindet doch die Captoren
von den Koſten. Indeß — es giebt hierüber keinen Völkercodex; 2
Alles iſt von der Stimmung des Kriegführenden, ſeinem guten
oder ſchlimmen Willen, von der Gerechtigkeitsliebe oder Eingenom-
menheit ſeiner Priſenrichter abhängig. Gewiß haben die Neutra-
len das Recht, jeder Ungerechtigkeit die ſie betrifft, Zwangsmaaß-
regeln entgegenzuſetzen, 3 und wenigſtens eine Entſchädigung für
jene zu reclamiren.
Außerordentliche Maaßregeln der Kriegführenden zum Nachtheil der Neutralen
und deren Rechte hiergegen.
174. Nicht immer haben ſich die Kriegführenden an dem Ge-
wöhnlichen genügen laſſen. Einige minder läſtige Verfügungen,
denen die Neutralen zuweilen unterworfen worden ſind, namentlich
Embargos auf ihre Schiffe, um dadurch gewiſſe Zwecke zu ver-
ſchleiern, oder Benutzung neutraler Schiffe zum Transport; fer-
ner die Wegnahme neutraler Ladungen für das augenblickliche oder
[294]Zweites Buch. §. 174.
zu erwartende Kriegsbedürfniß — wurden ſchon oben (§. 150.)
erwähnt und auf ihre äußerſte Regel zurückgeführt.
Mißlicher aber ſteht es noch mit denjenigen, obſchon vorgeblich
auch nur außerordentlichen Beſchränkungen, welchen ſich die Neutra-
len in dem ihnen ſonſt regelmäßig geſtatteten Verkehr auf die Anord-
nung eines Kriegführenden unter dem Vorwand fügen ſollen, daß au-
ßerdem der Feind nicht bekämpft werden könne, als da ſind:
- die eigenmächtige Vermehrung der Contrebandeartikel, ohne
daß einmal eine Vergütung im Wege der ſ. g. Präemtion
dafür gegeben wird (§. 158.); - das Verbot alles neutralen Handels mit feindlichen Handels-
artikeln, oder nach allen feindlichen und ſolchen Häfen, die
mit dem Feinde in Verbindung ſtehen; - das Verbot jeder Correſpondenz mit dem Feinde und jeder
Berührung des feindlichen Gebietes.
Zu Excentricitäten dieſer Art führte unter Anderen das ſ. g.
Aushungerungsſyſtem, welches von der Coalition gegen das revo-
lutionäre Frankreich aufgeſtellt, beſonders von England exequirt
und gegen den Widerſpruch der Neutralen 1793 vertheidigt wurde; 1
dann das britiſche allgemeine Blocadeſyſtem gegen Frankreich und
ſeine Alliirten ſeit dem 16. Mai 1806 ohne allſeitigen effectiven
Blocadezuſtand; 2 hiernächſt das Napoleoniſche Continentalſyſtem
als Generaliſirung aller bisherigen Prohibitivmaaßregeln. 3
Legitime Gründe zur Anwendung ſolcher Mittel würden allein
vorliegen
- im Kampfe um Selbſterhaltung gegen einen mächtigeren Feind;
- bei Bekämpfung eines gemeinſamen Feindes des Menſchenge-
ſchlechts oder aller Staaten, namentlich bei Bekämpfung ei-
ner Univerſalherrſchaft.
Die Neutralen dürfen ihrerſeits die Anwendung ablehnen
[295]§. 175. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
- wenn ihnen die Ueberzeugung von dem Daſein eines legitimen
Grundes nicht gegeben werden kann; - wenn ihre eigene Selbſterhaltung darunter gefährdet wird;
und
- ſoweit die Maaßregel mit Unmenſchlichkeiten verbunden iſt.
Findet keine Verſtändigung Statt, ſo handelt jeder Theil nach ſei-
nem Ermeſſen. Der Kriegführer, indem er auf ſeinem Syſtem be-
harrt, ſtellt den Neutralen die Wahl zwiſchen Krieg oder Nachgie-
bigkeit. Ein ſonſtiges Regulativ giebt es nicht.
Unbedenklich ſteht jedem Neutralen das Recht zu, gegen un-
rechtmäßige Behandlung und drohende Exceſſe Vorkehrungen zu
treffen, ſich mit bewaffneter Hand in ſeinen Befugniſſen zu ſchützen
und gegen Uebergriffe der Kriegführenden Repreſſalien zu gebrau-
chen. Ein durchaus erlaubtes Sicherungsmittel iſt die Convoiirung
der Handelsſchiffe durch Kriegsſchiffe, 1 überhaupt die Aufſtellung
einer bewaffneten Macht, es ſei in Vereinzelung oder in Verbin-
dung mit anderen Mächten zur Handhabung der Grundſätze der
Neutralität. 2
Rückblick auf die Rechte der Neutralen.
175. Blicken wir auf die bisher in kurzer Skizze aus der
Wirklichkeit dargelegten Rechte der Neutralen zurück: ſo erkennen
wir darin bei weitem mehr Beſchränkungen und Hemmniſſe als
Freiheit und Unabhängigkeit der Neutralen; andererſeits maasloſe
Anmaßungen der Kriegführenden; ja man kann ſagen es giebt im
Felde des Völkerrechts keine traurigere Geſtalt als die eines Neu-
tralen, den größeren Seemächten gegenüber. Der ganze neutrale
Seehandel wird in den Kriegszuſtand hineingezogen und von der
[296]Zweites Buch. §. 175.
Willkühr des Seeherrn abhängig gemacht. Das iſt zum Theil die
Folge gemeinſamer Verſündigung, indem beinahe kein Seeſtaat ſich
geſcheuet hat die Grundſätze, welche oft wieder zu ſeinem eigenen
Verderben dienen konnten, bei vorkommender günſtiger Gelegenheit
ſelbſt zu üben.
Iſt aber darum dieſes ſ. g. Völkerſeerecht ein gerechtes? un-
abänderliches? und kann es Beſtand haben?
- Ausgehend von dem Princip der Gleichheit aller Staaten,
wornach keiner der Geſetzgebung und Gerichtsbarkeit des
Anderen unterworfen iſt; - erwägend, daß auch die Unterthanen eines neutralen Staates
weder in dieſem noch auf der offenen See Geſetze von an-
deren Staaten zu empfangen haben, ſo lange ſie deren Ge-
biet nicht betreten; - daß der Krieg kein anderes obligatoriſches Verhältniß zwiſchen
jedem Kriegführenden und den Neutralen begründet, als daß
Letztere den kriegeriſchen Beſitzſtand des Erſtern, ſeinem Feinde
gegenüber, nicht zu ſtören haben, ohne jedoch ſchuldig zu ſein,
zur Erleichterung eines Kriegführenden Etwas beizutragen,
und daß im Uebrigen die Verkehrsverhältniſſe der Neutra-
len mit den Kriegführenden unverändert bleiben; - daß es zur Zeit auch noch keinen geſchloſſenen Seekriegcodex
giebt, woran jeder Staat bleibend gebunden iſt, ſondern
nur ein Syſtem von Maximen, welches man gegenſeitig
um ſeines Nutzens willen ausübte oder aus Schwäche ſich
gefallen laſſen mußte; - daß daher jeder Staat ſich davon losſagen und den wahren
Grundſätzen der Gerechtigkeit zuwenden kann, welche ſich
aus der Gleichheit und Unabhängigkeit der Staaten, wie
aus den allgemeinen Menſchenrechten ableiten laſſen:
dürfen wir als Theſen eines künftigen darauf allein gebauten Völ-
kercodex noch immer mit manchem älteren Publiciſten dieſe be-
haupten:
- I. Ein Kriegführender kann den Neutralen nur durch effective
Blocade feindlicher Häfen, Küſten und Inſeln, desgleichen
durch Cernirung feindlicher Geſchwader Beſchränkungen ihrer
Handelsfreiheit auferlegen.
Denn hier iſt jener wirklicher Poſſeſſor feindlichen Landes oder See-
[297]§. 175. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
gebietes, oder Beſitzer einer Operationslinie auf einer gemeinfreien
Sache, die nicht von mehreren zugleich ohne Kränkung des Prä-
venirenden gebraucht werden kann.
- II. Kein Schiff kann auf offener See von Kriegführenden an-
gehalten werden, ausgenommen um ſich über ſeine Nationa-
lität und daß ſich kein verſteckter Feind darauf befinde, glaub-
haft auszuweiſen. Wird der Beweis über Letzteres und über
eine neutrale Nationalität geführt, ſo iſt das Schiff frei mit
Allem was ſich darauf befindet, im Gegenfall der Beſchlag-
nahme bis zur beſſeren Rechtfertigung in billiger Friſt unter-
worfen, ſonſt als präſumtiv feindlich mit allen darauf befind-
lichen Gütern verfallen.
Denn Schiffe ſind wandelnde Gemeinden ihrer Staaten, auf offe-
ner See nur von dieſen abhängig. Fragen aber darf der Krieg-
führende jedes Schiff wer es ſei, weil die offene See dem Freunde
und Feinde dient, Treue und Glauben überall bewahrt werden muß,
und Jeder wider Gefahr ſich zu ſichern berechtigt iſt. Kampf oder
Ausweis über friedliche Nationalität iſt alſo eine rechtmäßige Al-
ternative, welche der Kriegführende ſtellen kann.
- III. Es giebt keine Contrebande- und Handelsverbote zwiſchen
Neutralen und kriegführenden Mächten. Die Beſtrafung
von Contrebande iſt entweder Anmaßung oder precäre Con-
ceſſion. Nur die wirkliche Abſperrung hebt jeden Verkehr
auf und berechtigt den Blokirenden zur feindlichen Behand-
lung jedes davon unterrichteten Contravenienten, 1 wenn er
die Sperre actuell zu verletzen in Begriff iſt. - IV. Wegen der Zuläſſigkeit außerordentlicher Maaßregeln gilt das
im Vorigen (§. 172.) Bemerkte.
Wir ſind weit entfernt, dieſe Sätze als ein ſchon giltiges Völ-
kerrecht vorzutragen, aber wir glauben, daß man zu ihnen über-
gehen wird, je mehr die Völker ſelbſt eine politiſche Stimmfähig-
keit erlangen, und die Regierungen ſich an das nationale Bewußt-
ſein, an die Ehre und das Wohl der beherrſchten Völker gebun-
den halten müſſen, darin aber auch ihre kräftigſte Stütze finden.
Kein Opfer kann zu groß ſein um die Knechtſchaft zu brechen,
worin die Uebermacht einer oder der anderen Nation die übrigen
[298]Zweites Buch. §. 176.
Staaten ſchmiedet; an Mitteln des Widerſtandes wird es beſon-
ders dann nicht fehlen, wenn Alle gegen die Uebermacht gemein-
ſchaftliche Sache machen, ſollten auch einſtweilige große Verluſte
und Entſagungen damit verbunden ſein. Das Aeußerſte wäre viel-
leicht eine längere aber nachdrücklich und ohne Baratterie zu übende
Continentalſperre, nebſt Eröffnung eines neuen Militär- und Han-
delsweges zu Lande nach dem Oſten. Hoffen wir indeß, daß das
Rechtsgefühl aller Völker, gegründet auf das Bewußtſein der
menſchlichen, nicht blos nationalen Freiheit, auch ohne jene Spal-
tung der See- und Landmächte ſich übereinſtimmend von dem mor-
ſchen Kram ſelbſtſüchtiger Maximen losſagen werde, welche bis-
her das vermeintliche Seerecht der Neutralen bildeten, 1 durch deſ-
ſen Anwendung jene berühmten Priſenrichter, wie Sir Marriot,
Will. Scott und Jenkinſon in patriotiſchem Eifer den Handel der
Neutralen abſchlachteten, jede andere Rechtsanforderung in das
Reich der Chimäre eines goldenen Zeitalters verweiſend!
Vierter Abſchnitt.
Die Beendigung des Krieges; die Uſurpation und das
Poſtliminium.
I. Ende des Krieges.
176. Die einzigen legitimen Beendigungsarten des Krieges
ſind:
- ein allſeitiges Einſtellen der Feindſeligkeiten nebſt Herſtellung
eines freundrechtlichen Verkehrs unter den bisher feindlichen
Staaten; - die unbedingte Unterwerfung des einen feindlichen Staates
unter den anderen;
[299]§§. 177. 178. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
- die Abſchließung eines förmlichen Friedens unter den feindli-
chen Staaten.
Dagegen tritt nur ein Zuſtand uſurpirter Ruhe ein, wenn zwar
der Widerſtand der feindlichen Staatsgewalt beſeitigt, ein Wieder-
eintritt derſelben jedoch nicht völlig ausgeſchloſſen iſt. Endlich fin-
det vor oder nach Beendigung eines Krieges nicht ſelten eine all-
gemeine oder partielle Wiederkehr der früheren, durch den Krieg
thatſächlich geſtörten Rechtsverhältniſſe (ein ſogenanntes Poſtlimi-
nium) Statt.
Ueber Alles dieſes müſſen hier noch die entſcheidenden Grund-
ſätze zuſammengeſtellt werden.
a.Allſeitige Aufhebung der Feindſeligkeiten.
177. Es iſt nicht nothwendig, daß ein Kriegszuſtand durch
formelle Erklärungen der kriegführenden Theile aufgehoben werde,
obgleich es räthlich und gewöhnlich iſt. Man kann ſtillſchwei-
gend die Feindſeligkeiten einſtellen und einen gegenſeitigen freund-
ſchaftlichen Verkehr wiedereröffnen, und Niemand wird dann noch
eine Fortdauer des Krieges für ſich anrufen können. Von ſelbſt
verſteht ſich dabei als Baſis des ferneren gegenſeitigen Rechtszu-
ſtandes der status quo, bei welchem ſich jeder Theil ſeit Einſtel-
lung der Feindſeligkeiten beruhigt hat. 1 Allein es würde daraus
ohne beſtimmte Friedenserklärung ſchwerlich ſchon eine Beilegung
der Streitigkeiten gefolgert werden können, welche zu dem Kriege
Anlaß gegeben haben, ſo wenig als ein Verzicht auf diejenigen
Forderungen, welche jedem Theile durch das Verhalten des Ande-
ren im Kriege erwachſen ſein können. 2
b.Voͤllige Unterwerfung des feindlichen Staates.
178. Die ältere Geſchichte liefert Beiſpiele in Menge, wo der
Krieg zu einer völligen ausdrücklichen Unterwerfung überwundener
[300]Zweites Buch. §. 179.
Staaten mit Einſchluß der Souveräne führte. Sie kann eine un-
bedingte oder bedingte ſein; aber auch im erſteren Falle verſteht
ſich die Unterwerfung nur nach menſchlichem Recht, ſo daß dem
Sieger keine Macht gegeben wird, Etwas zu verfügen und anzu-
ordnen, was der Menſch dem Menſchen abzufordern und aufzule-
gen nicht berechtigt iſt. Wohl die höchſte und unbeſchränkteſte
Staatsgewalt kann nach neuerem Kriegsrecht auf den Sieger über-
gehen, nicht aber das Recht auf die Perſonen und Privatrechte
der beſiegten Unterthanen. 1 Der unterdrückte Staat wird übri-
gens meiſt mit dem ſiegenden Staate in einer der obigen Weiſen
(§. 19. 20.) und mit den ſchon früher beſprochenen Wirkungen
(§. 24. 25.) vereinigt. Ob ihn der ſiegende Souverän ſich ſelbſt
vorbehalten oder einem Dritten abtreten dürfe, hängt von ſeinem
Verhältniß zum eigenen Staate ab. 2
c.Friedensſchlüſſe.
179. Friedenſchlüſſe ſind die feierlichſten Vertraͤge, wodurch
zwei oder mehrere Staaten den Krieg unter ſich für beendigt er-
klären und ferneren Gewaltthätigkeit ein Ziel ſetzen, ohne daß einer
ſich in völlige Abhängigkeit des anderen begiebt, wodurch ſich die-
ſer Fall von dem vorigen der Deditio unterſcheidet. Alle Regeln
der Staatenverträge gelten vorzüglich auch von den Friedensſchlüſ-
ſen. 3 Das Eigenthümliche derſelben wird in dem Folgenden an-
gemerkt werden.
[301]§. 180. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
180. Als natürliche Ergebniſſe der allgemeinen Grundſätze,
welche das Recht der Staaten leiten ſo wie des Weſens der Frie-
densſchlüſſe, müſſen hauptſächlich folgende anerkannt werden:
- I. Ein von den vollmächtigen Staatsrepräſentanten geſchloſſe-
ner Friede iſt unter allen Umſtänden verbindlich, wenn er
auch durch die Uebermacht eines Theiles herbeigeführt ward,
und wenn gleich unbeſtreitbare Rechte dadurch aufgegeben
werden ſollten; iſt er nur nicht durch perſönlichen Zwang
gegen den Inhaber oder den Vertreter der Staatsgewalt
bewirkt worden! 1 Ob der vorangegangene Krieg Seitens
des Siegers gerecht oder ungerecht war, ändert Nichts.
Der Friedensſchluß erzeugt jederzeit ein neues Rechtsverhält-
niß unter den Contrahenten. (§. 113.) - II. Mit dem Eintritt des Friedens muß von ſelbſt jede Feind-
ſeligkeit und Ausübung von Rechten des Krieges aufhören.
Das Recht des Krieges ſchließt mit dieſem ſelbſt ab. Es
können demnach auch keine Kriegspräſtationen in dem feind-
lichen Lande ferner eingefordert werden, ja nicht einmal die
Rückſtände früher eingeforderter Leiſtungen, 2 ſollten die Re-
quiſitionen auch nach dem Kriegsgebrauche völlig erlaubt
geweſen ſein. - III. Der Friede ſoll einen Streit definitiv beſeitigen: ſonſt wäre
er nur ein Waffenſtillſtand. Jeder Streit demnach, welcher
zum Kriege Anlaß gab, muß von ſelbſt als abgethan gelten,
und ebenſowenig dürfen die im Kriege zugefügten Verletzun-
gen und Beſchädigungen unter den beiderſeitigen Staaten ei-
nen Grund zu neuen Streitigkeiten abgeben, weil ſonſt Krieg
aus Krieg entſtehen und ein Friede unmöglich ſein würde.
3
[302]Zweites Buch. §. 180.
Hierin liegt nun die ſ. g. Amneſtie-Clauſel, 1 die, wie be-
merkt, eine doppelte Beziehung hat, wiewohl ſie in engerer
Bedeutung meiſt auf eine Niederſchlagung aller Anſprüche aus
dem vorübergegangenen Kriegsſtande beſchränkt wird. Ge-
wöhnlich findet ſie ſich ausdrücklich in den Friedensverträ-
gen; allein auch ohne Beifügung verſteht ſie ſich von ſelbſt. 2
Vorbehalten bleiben dagegen:- Privatanſprüche einer Partei an die Angehörigen der an-
deren, welche während des Krieges aus rechtmäßigen
Gründen erwachſen ſind, ſelbſt diejenigen, wodurch man
ſich von einer nur kriegsrechtlichen Befugniß des Fein-
des losgekauft hat; 3 - Anſprüche an Dritte;
- alle Privatanſprüche unter den Angehörigen beider Theile,
welche ſchon vor dem Kriege exiſtirten;
- Privatanſprüche einer Partei an die Angehörigen der an-
endlich
- alle außer Streit befindlichen Forderungsrechte unter den
Parteien ſelbſt, welche vor dem Kriege exiſtirten und
durch deſſen Ausbruch nicht mehr beſeitigt werden
konnten.4
[303]§. 181. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Fortſetzung.
- 181. IV. Als Baſis des ferneren Rechtsſtandes der Parteien
gegen Einander iſt in Ermangelung abweichender Vereinbarun-
gen der status quo, der ſich durch die Kriegsereigniſſe ge-
bildet hat, anzuſehen. 1 Denn der Krieg iſt thatſächlich an
die Stelle des früheren Rechtsſtandes getreten und hat dar-
über vermöge ſeiner Abhängigkeit von den Zufälligkeiten des
Waffenglücks eine Ungewißheit verbreitet, welche nur durch
den übereinſtimmenden Willen der Parteien mit Hinſicht auf
den eingetretenen Erfolg des Krieges wieder gehoben werden
kann. Jeder Friedensſchluß alſo eine neue Rechtsepoche!
Hieraus folgt, außer dem Fall ausdrücklicher Beſtimmung:- a) Jeder Theil behält, was er thatſächlich inne hat. 2
Nur derjenige Beſitz hört auf, welcher lediglich nach
dem Kriegsrecht und für die Dauer des Krieges mög-
lich war, z. B. die Detention der Kriegsgefangenen.
Ihre Freiwerdung verſteht ſich von ſelbſt; wenigſtens
4
[304]Zweites Buch. §. 181.
nach heutigem Kriegsgebrauch, wiewohl erſt nach Be-
richtigung ihrer Schulden. - b) Von den obligatoriſchen Rechtsverhältniſſen aus der
Zeit vor dem Kriege bleiben in fernerer Wirkſamkeit:- aa) diejenigen, welche ſich auf die von jedem Theile
in Beſitz behaltenen oder ihm reſtituirten Ge-
genſtände beziehen und wodurch ein bleibendes,
den Sachen ſelbſt anklebendes Realverhältniß
ſchon actuell begründet war.
- aa) diejenigen, welche ſich auf die von jedem Theile
Denn es iſt anzunehmen, daß dasjenige, was jedem Theile verbleibt,
auch ſeine frühere rechtliche Natur wiedererhalten ſoll.- bb) Die Forderungsrechte, welche bereits vor dem
Kriege aus giltigen vom Gegner nicht ange-
fochtenen Titeln unwiderruflich entſprungen wa-
ren, und auf beſtimmte, gleichfalls ſchon vor
dem Kriege fällig gewordene Leiſtungen gerich-
tet ſind.
Denn hier war das Recht ſelbſt ſchon unwiderruflich geboren und
von keiner Willensänderung des Schuldners weiter abhängig; der
Krieg an ſich aber hebt keine Forderungsrechte auf. Dagegen ſind
alle Vertragsverpflichtungen, deren Erfüllung erſt noch in Zukunft
geſchehen ſollte, wo alſo noch eine Willensänderung in Betreff der
übernommenen Verpflichtung möglich war, durch den Ausbruch des
Krieges zweifelhaft und unſicher geworden, ſo daß ſie zu ihrer fer-
neren Giltigkeit einer Beſtätigung durch eine neue deutliche Wil-
lenserklaͤrung bedürfen. 1 - a) Jeder Theil behält, was er thatſächlich inne hat. 2
Unberührt bleiben der Regel nach alle Privatrechte, ſowohl
der Unterthanen wie der Souveräne und ihrer Familien, ſo weit
nämlich nicht auch hierüber Stipulationen gemacht worden ſind. 2
[305]§§. 182. 183. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Beſondere Friedensclauſeln.
182. Beſondere Regeln für gewiſſe Friedensclauſeln mit eigen-
thümlicher Bedeutung ſind:
a) Wird die Reſtitution einer Sache aus dem Beſitze eines
Theiles dem anderen verſprochen, ſo verſteht ſich ſolches lediglich
von demjenigen Zuſtande, worin ſie ſich zur Zeit der Wegnahme
befand. Allein vermöge der Amneſtieclauſel können weder die von
dem Occupanten daran in der Zwiſchenzeit vorgenommenen Zer-
ſtörungen und Beſchädigungen, noch auch die davon bezogenen
Früchte reclamirt werden, ſo wenig als die Nachtheile zufälliger
Veränderungen. Was aber der Beſitzer ſelbſt daran geändert oder
hinzugethan hat, darf er wieder hinwegnehmen. 1
b) Wird die Abtretung eines beſtimmten Landes oder Landes-
theiles verſprochen: ſo iſt darunter regelmäßig der Mitübergang
aller darauf bisher ſchon haftenden Verbindlichkeiten begriffen, des-
gleichen der darin befindlichen Staatsgüter und Rechte, da es der
Zweck der Abtretung iſt, die Gemeinſchaft mit dem gegenſeitigen
Territorium ganz aufzuheben; es müſſen endlich den abgetretenen
Unterthanen nicht bloß ihre privatbürgerlichen, ſondern auch poli-
tiſchen Rechte gelaſſen werden, wenn ſie möglicher Weiſe in dem
neuen Zuſtande der Dinge fortbeſtehen können, oder wenn nicht
ſchon der Erwerber ſich vor dem Frieden in vollſtändigen unbeſchränk-
ten Beſitz der Staatsgewalt gegen die nächſtdem auch abgetretenen
Unterthanen mit Aufhebung der früheren Verfaſſung geſetzt hatte,
in welchem Falle die nachherige Abtretung im Frieden nur noch
das Recht des früheren Souveräns aufheben konnte; 2
Alles dieſes mit Vorbehalt entgegenſtehender Bedingungen.
Anfangspunct der Wirkſamkeit.
183. Der Zeitpunct, von welchem ab der geſchloſſene Friede
ſeine Wirkungen äußert, iſt, wie bei Verträgen überhaupt, der Tag
der Abſchließung durch Bevollwortete oder ein eigends dazu be-
ſtimmter Termin. (§. 86. 87.) Werden dennoch Feindſeligkeiten
20
[306]Zweites Buch. §. 184.
nach dieſem Zeitpunct von einem Theile wider den Gegner, oder
auch kriegsrechtliche Maaßregeln wider Neutrale verübt, ſo muß
der Staat, von welchem ſie ausgehen, dafür Entſchädigung leiſten,
ſollte auch der eigentliche Vollzieher des verſpäteten Gewaltactes
wegen Unwiſſenheit über den Friedensſchluß deshalb außer Ver-
antwortlichkeit ſein. 1 Dagegen iſt dasjenige Glied einer feindli-
chen Land- oder Seemacht, welches bereits von dem Friedensſchluß
glaubhaft unterrichtet iſt, ſelbſt innerhalb der noch etwa vereinbar-
ten zuſätzlichen Friſt, mit deren Ablauf alle Feindſeligkeiten ſchlech-
terdings ceſſiren ſollen, nicht mehr befugt dergleichen auszuüben,
ſondern zur Herausgabe des Weggenommenen und zur Entſchädi-
gung unmittelbar verpflichtet. Der Termin iſt hier nur das äu-
ßerſte Ziel für die beiderſeitigen Staaten hinſichtlich der noch etwa
bona fide von Einzelnen fortgeſetzten Gewaltthätigkeiten. 2
Vollziehung und Aufhebung der Friedensſchlüſſe.
184. Nach geſchloſſenem Frieden tritt die Pflicht der Vollzie-
hung unter den Contrahenten und ihren Angehörigen ein. Alles,
was von Auslegung und Wirkſamkeit der Verträge, von den Mit-
[307]§. 185. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
teln ihrer Befeſtigung u. ſ. w. gilt, kommt vorzüglich auch bei
Friedensſchlüſſen in Betracht. 1 Zur Ausführung einzelner Artikel
können nachträgliche Regulirungen erforderlich ſein; man vereinigt
ſich darüber in zuſätzlichen Verträgen oder überträgt ſie beſonders
ernannten Commiſſarien. Ueber die Nichterfüllung oder Verletzung
eines Artikels können neue Streitigkeiten entſtehen, nur darf der
Friede ſelbſt doch nicht als hiermit gebrochen gelten, ſondern erſt
dann, wenn der beſchuldigte Theil in ſeiner Weigerung verharrt
und zu keinem gütlichen Ausweg die Hand bietet. 2 Alles Wei-
tere bemißt ſich aus dem ſchon entwickelten Syſtem von ſelbſt. 3
II. Die Zwiſchenherrſchaft und Uſurpation.
185. Gelingt es einem Kriegführenden, ſich in den Beſitz des
feindlichen Landes oder eines Theiles deſſelben zu ſetzen und darin
zu behaupten: ſo beläßt er es entweder bei dem status quo, in-
dem er ſich auf die thatſächlichen Vortheile der Kriegsoccupation
beſchränkt (§. 131 f.), oder er beginnt eine ſelbſtändige proviſori-
ſche Verwaltung, indem er, wenn auch fürs Erſte ohne die
beſtimmte Abſicht, das eroberte Land ſeiner Herrſchaft bleibend zu
unterwerfen, ſich der einzelnen Hoheitsrechte bemächtigt und deren
Verwaltung ganz oder theilweis von ſeinem Willen abhängig macht;
oder er übernimmt auch wohl zuletzt die ganze Staatsgewalt, ſich
an die Stelle des früheren Souveräns ſetzend, mit der Abſicht, den-
ſelben von dem Wiedereintritt in jene für die Zukunft ganz aus-
20*
[308]Zweites Buch. §. 185.
zuſchließen, ohne einen andern Titel als den der Eroberung — die
eigentlich ſ. g. Uſurpation. 1
Durch eine ſolche Uſurpation wird nun zuweilen der alte Staat
ganz aufgelöſet, wenn er dem des Eroberers incorporirt oder gänz-
lich dismembrirt wird; zuweilen aber auch der alte Staat in ſei-
ner Abſchließung fortgeſetzt, ſo daß nur das Subject des Souve-
ränetätsbeſitzes wechſelt. Unzweifelhaft haben in jedem dieſer Fälle
die Acte des Uſurpators für die ſeiner Herrſchaft thatſächlich Un-
terworfenen gleiche Kraft wie die Acte einer legitimen Staatsge-
walt. Dann ein Staat, wie er auch beſtehen mag, hat in ſich
die Fülle der Machtvollkommenheit oder ganzen Regierungsgewalt.
Der Eroberer iſt dabei auch keinesweges, wie Manche behaupten, 2
an die Regel des früheren Staates gebunden. Er hat nur die all-
gemeinen Menſchenrechte ſo wie die demgemäß erworbenen ſpeciel-
len Privatrechte der Unterthanen zu beachten; aber die Form des
öffentlichen Verhältniſſes hat er allein als freier Inhaber der Staats-
gewalt zu beſtimmen. Das Staatsgut ſteht unter ſeiner Dispo-
ſition. Geſetzgebung und Verwaltung ordnet er nach Belieben.
Nur bis dieſes geſchieht, bleibt es bei der früheren Formel. Nie-
mals kann indeß ein ſolches Gewaltverhältniß das Recht des prä-
exiſtirenden Staates, ſo lange deſſen Wiederherſtellung möglich bleibt
und nicht darauf verzichtet wird, thatſächlich beſeitigen; 3 dieſem
bleibt das Poſtliminium gleichwie denjenigen, welche ſich außer dem
uſurpatoriſchen Staate befinden, oder ihm fortdauernd Widerſtand
[309]§. 186. Voͤlkerrecht im Zuſtande des Unfriedens.
leiſten, in Betreff der Rechte, welche ſie in dem alten legitimen
Staate hatten, ſo lange ſie ſich nicht jenem unterwerfen. Wegen
des Verhältniſſes zu dritten Staaten gilt das ſchon oben §. 23.
und 49. Bemerkte; wegen den Verbindlichkeiten des alten Staates
der Grundſatz des §. 25.
186. Anlangend den Fall einer bloß proviſoriſchen Verwaltung,
hängt zuförderſt die Bedeutung und der Umfang derſelben von
den Zwecken und Grenzen ab, welche ſich der Eroberer dabei vor-
ſtecken will. Denn das iſt klar, daß er weder gegen den früheren
Staat noch auch gegen den verdrängten Souverän in einem obli-
gatoriſchen Verhältniſſe ſteht; ſein Recht und die allgemeinen Gren-
zen deſſelben ſind allein die Geſetze des Krieges. Zwei Hauptfälle
dürften jedoch dabei zu unterſcheiden ſein:
Entweder nämlich hat der Eroberer noch nicht die beſtimmte
Abſicht und Möglichkeit, das eroberte Land zu behalten: und dann
kann er zwar die Verwaltung von ſeiner Auctorität abhängig ma-
chen, jede Einwirkung des fremden Souveräns davon ausſchließen
und ſich den Nutzen aneignen: jedoch wird er hier noch nicht als
der eigentliche Beſitzer der Staatsgewalt anzuſehen ſein, dieſe viel-
mehr nur einſtweilen unter ſeiner Curatel, nach Art einer privat-
rechtlichen missio in bona debitoris ſtehen, mithin nach ihren
früheren Principien und weſentlichen Formen fortzuüben ſein, mit
Vorbehalt der demnächſtigen Rechenſchaft oder Ausgleichung im
Frieden.
Oder der Eroberer hat ſchon die Möglichkeit und die Abſicht das
Eroberte zu behalten, beziehungsweiſe darüber für ſich zu disponiren:
dann iſt die Einſetzung einer proviſoriſchen Verwaltung ſchon der
Anfang der Uſurpation, nur noch nicht in der vollendeten Form,
wovon jedoch materiell daſſelbe gilt, was zuvor von der Uſurpa-
tion bemerkt wurde. Eine ſolche proviſoriſche Verwaltung macht
ſich beſonders dadurch bemerklich, daß die einzelnen Hoheitsrechte
ſchon im Namen des Eroberers verwaltet werden. 1
Von ſelbſt verſteht ſich übrigens, daß die unter der Auctorität
des Feindes handelnden Behörden eines von Jenem für ſich in
[310]Zweites Buch. §. 187.
Beſitz genommenen Landes ihre Wirkſamkeit auf die occupirten
Grenzen beſchränken müſſen und, wenn nur ein Theil des Landes
occupirt iſt, nicht auch ihr altes Reſſortverhältniß über jene Gren-
zen hinaus fortſetzen können; es ſei denn, daß der frühere Beſitz-
ſtand in dieſer Hinſicht ungeſtört und unbeeinträchtigt durch den
Feind fortgedauert hätte. 1
Das Poſtliminium. 2
187. Außerhalb eines Friedensſchluſſes können die durch Krieg
geſtörten Rechtsverhältniſſe vermöge des Poſtliminiums, d. i. nach
factiſcher Befreiung von feindlicher Gewalt in ihre vorigen Fugen
zurücktreten, dergeſtalt, daß ſie als fortdauernd für die Zukunft gel-
ten, gleich als wären ſie nie unterbrochen geweſen. Aber auch nur
die Rechtsverhältniſſe, nicht die Wirklichkeit des Genuſſes, nicht
die vom Beſitz und Genuß abhängigen Rechte, ſo lange man ſich
nicht auch dieſe für die Zukunft wiederverſchaft hat; niemals end-
lich mit Wiedererlangung des in der Zwiſchenzeit von dem Feinde
thatſächlich Entzogenen, 3 wenn es dem Feinde nicht im Frieden
oder noch während des Krieges durch Gewalt wieder abgezwun-
gen wird.
Anwendbar iſt der Grundſatz des Poſtliminiums ſowohl auf
öffentliche wie auf Privatverhältniſſe; er beruhet darauf, daß wohl-
erworbene Rechte, außerhalb des Staatswillens in einem gemein-
ſamen Staatsverbande, durch keine einſeitige Willkühr, alſo auch
durch keine feindliche Gewalt vernichtet werden können; er findet
auch noch nach eingetretenem Frieden Anwendung, wenn in dem-
[311]§. 188. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſelben keine entgegenſtehende Verfügung ausdrücklich oder ſtillſchwei-
gend getroffen iſt; 1 er bedarf endlich keiner vorerſtigen geſetzlichen
Anerkennung in den Einzelſtaaten, ſondern verſteht ſich von ſelbſt
und kann durch das Geſetz nur unterdrückt oder modificirt wer-
den. Was das Römiſche Recht darüber enthält, bezieht ſich faſt
lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, beſtätigt
aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Ei-
genthümliches dar aus dem antiken Standpunct des Völkerrechts
ſo wie aus den beſonderen Rechtsverhältniſſen des Römiſchen Bür-
gerthums. Daß die neuere Rechtsſitte davon mehrfach und ſehr
entſchieden abgewichen iſt, daß ſie ſich an den obigen Grundſatz
in ſeiner ganzen Einfachheit und Beſtimmtheit hält, iſt längſt er-
kannt worden. 2
Poſtliminium der Völker und Staatsgewalten. 3
188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners
ganz oder theilweis in Beſitz genommen, jedoch daſſelbe bereits vor
oder in dem Friedensſchluß wieder aufgegeben, ſo tritt unbedenk-
lich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun
der Feind ſich an einer bloßen Occupation haben genügen laſſen
oder ſich einer wirklichen Zwiſchenherrſchaft bemächtigt haben; er
mag freiwillig ſich zurückgezogen oder der frühere Staat ſich ſei-
ner mit Gewalt entledigt oder endlich ein Bundesgenoſſe ihn da-
von befreit haben. 4 Nur die Verdrängung des Feindes durch
einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider deſſen Willen nicht
von ſelbſt die frühere ſtaatliche Exiſtenz zurück. 5
[312]Zweites Buch. §. 188.
Die einzelnen Wirkungen eines ſolchen Poſtliminiums ſind leicht
zu beſtimmen.
Hat nur eine Occupation ohne Anmaßung von Regierungs-
rechten Statt gefunden, ſo nimmt die bisherige Staatsgewalt al-
les noch Vorhandene zurück, was auch früher ihrem Recht unter-
worfen war; ſie kann ſogar die vom Feinde veräußerten Sachen,
und zwar ſelbſt von Bundesgenoſſen und Neutralen, reclamiren,
wenn nicht etwa nach allgemein angenommenen Grundſätzen dem
feindlichen Eroberer ein Verfügungsrecht darüber zuſtand. 1 In
wie fern der Erwerber ſich gegen die Herausgabe durch giltige
Einreden ſchützen könne, hängt lediglich von den Regeln des Pri-
vatrechts ab.
Iſt es zu einer Zwiſchenherrſchaft gekommen, ſo wird folge-
richtig mit dem im Paragraph 185. Bemerkten behauptet werden
dürfen: 2
- I. Jede während der Invaſion vorgenommene Aenderung der
Verfaſſung iſt für die Zukunft unverbindlich. Ob aber die
vorige Verfaſſung wiederhergeſtellt werden müſſe, ob und wie
viel von der Zwiſchenverfaſſung beibehalten werden mag?
hängt von der ſtaatsrechtlichen Ungebundenheit oder Gebun-
denheit des Souveräns und den früheren Rechten des Vol-
kes ab. - II. Kein Regierungsact aus der Zeit der Zwiſchenherrſchaft hat
nach eingetretenem Poſtliminium Anſpruch auf ungeſtörte
Fortdauer. Die wiederhergeſtellte Staatsgewalt kann die
Geſetzgebung und Verwaltung, ſo wie deren Organe in den
Zuſtand zurückverſetzen, worin ſie ſich vor der Invaſion be-
fanden. Nur die unter der Fremdherrſchaft einmal erwach-
5
[313]§. 188. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
ſenen Privatrechte ſo wie richterliche Entſcheidungen über
Privatrechte können nicht angefochten oder umgeſtoßen wer-
den, 1 dafern ſie mit der wiederhergeſtellten Verfaſſung ver-
einbarlich ſind. Auch Verträge mit auswärtigen Staaten
in rem eingegangen, bleiben giltig (§. 84.) vorbehaltlich
ihrer Aufhebung aus rechtmäßigen Gründen, z. B. wegen
veränderter Umſtände. - III. Die reſtaurirte Staatsgewalt kann ſich ihrerſeits in Bezie-
hung auf die unter der Zwiſchenherrſchaft abgelaufene Re-
gierungsperiode zu keiner retroactiven Ausübung ihrer Re-
gierungsrechte gegen ihre Unterthanen oder Dritte berechtigt
halten, in ſofern es ſich von Verhältniſſen handelt, welche
jener Periode angehörten und darin zu reguliren waren. Es
findet z. B. keine Nachforderung von Steuern oder Dienſten
nach der alten Verfaſſung für die Zwiſchenperiode Statt,
worin die alte Staatsgewalt außer Wirkſamkeit geſetzt war.
Dahingegen ſuccedirt dieſelbe in alle noch nicht realiſirte
Rechte und Verbindlichkeiten, welche dem Staate in der
Zwiſchenzeit zugefallen ſind, ſo wie dieſe Zwiſchenregierung
in die Rechte und Verbindlichkeiten des alten Staates ein-
zutreten hatte. (§. 23.) Es können daher z. B. Abgaben-
rückſtände und Acquiſitionen, welche die Fremdherrſchaft wäh-
rend ihres Beſtehens für den Staat gemacht hat, auch von
der poſtliminiſchen Regierung eingezogen werden. - IV. Hat die Zwiſchenregierung Staatseigenthum, Domänen,
Staatscapitalien, Renten und dergl., welche nicht Privatei-
genthum des Souveräns oder der Familie deſſelben ſind,
veräußert, 2 ſo kann die zurückgekehrte Regierung die Ver-
[314]Zweites Buch. §. 189.
äußerung wohl um deßwillen nicht anfechten, weil der Staat,
mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwiſchenzeit
nur in der Abhängigkeit von dem Uſurpator fortbeſtand, von
ihm alſo auch rechtsgiltig repräſentirt wurde; in keinem Falle
würde dasjenige, was unter oneröſem Titel ohne Ausſchlie-
ßung der Eviction veräußert worden iſt, vindicirt werden
dürfen, weil hier den Erwerber dieſelbe Billigkeit ſchützen
muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae
actraditae erzeugt hat. Denn die reſtaurirte Regierung muß
unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die
Verbindlichkeit der Zwiſchenregierung vertreten. Wäre endlich
der alte Staat ganz aufgelöſet worden, ſo konnten auch ſeine
Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die ſich dar-
über geſtellt hatte, in Eigenſchaft genommen werden.
Alles Poſtliminium eines unterdrückten Staates fällt übrigens dann
weg, wenn er ſich in ſeiner Geſamtheit dem Eroberer ergeben und
damit jedem Anſpruch auf Wiederherſtellung ausdrücklich oder ſtill-
ſchweigend entſagt hat. Nur eine Selbſtrevolution oder das Ge-
ſchenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber
das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen
Staatsgewalt. 1
Poſtliminium der Privatperſonen und Privatverhältniſſe.
189. In Beziehung auf Privatperſonen, worunter wir auch
die Souveräne und ſouveränen Familienglieder rückſichtlich ihrer
Privatrechte begreifen, findet, wie bereits im römiſchen Rechte un-
terſchieden wird, ein zweifaches Poſtliminium Statt, einmal näm-
lich in Anſehung ihrer Perſon, ſofern dieſe dem Feinde unterwor-
fen oder kriegsgefangen war, ſodann in Anſehung ihrer Privat-
rechtsverhältniſſe.
Das perſönliche Poſtliminium ſteht vorzüglich mit dem Cha-
2
[315]§. 189. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
racter der Kriegsgefangenſchaft in Verbindung. Es hatte daher
auch eine andere Bedeutung nach dem Rechte der alten Welt als
ihm eine ſolche noch nach dem neueren Kriegsrecht zugeſchrieben wer-
den kann. Die alte Kriegsgefangenſchaft brachte in den Zuſtand
der Knechtſchaft, womit an und für ſich jedes bürgerliche Rechts-
verhältniß unvereinbarlich iſt. Es bedurfte daher für ein ſo con-
ſequentes Rechtsſyſtem, wie das römiſche war, einer beſonderen
Fiction, um den Kriegsgefangenen und die von ihm abhängigen
Perſonen in dem Genuß der vaterländiſchen bürgerlichen Rechte zu
erhalten oder wieder darin einzuſetzen; ſo fingirte man denn auf
den Grund eines von dem Dictator Cornelius Sulla gegebenen
Geſetzes, daß das Teſtament eines in der Kriegsgefangenſchaft ver-
ſtorbenen Römers, wenn es vor der Gefangennehmung errichtet war,
das Teſtament eines freien Römers ſei; ſodann daß der aus der
Gefangenſchaft wirklich Befreite auch in der Zwiſchenzeit, frei und
ein römiſcher Bürger geblieben ſei. Da nach heutigem Kriegsrecht
die Kriegsgefangenſchaft nur in einer thatſächlichen Suspenſion der
Freiheit beſteht, ſo kann auch nur eine Suspenſion der Ausübung
bürgerlicher Rechte im Vaterlande damit verbunden ſein, indem und
ſoweit ſelbige wegen der temporären Unfreiheit der Gefangenen un-
möglich iſt. Die Rechtsverhältniſſe ſelbſt, abgeſehen von ihrer Aus-
übung, können dadurch nicht lädirt werden; der volle Genuß der-
ſelben muß ſofort bei der Befreiung aus der Gefangenſchaft wie-
der eintreten; ja, es kann ſchon in der Zwiſchenzeit durch ſelbſtge-
wählte oder obrigkeitlich geſetzte Vertreter für die Ausübung, we-
nigſtens Erhaltung der Privatrechte, geſorgt werden. 1 Nicht mit
Unrecht iſt daher von manchem neueren Publiciſten ein eigentliches
jus postliminii personarum für eine ganz unnöthige Rechtsformel
erklärt worden. 2 Es iſt nichts als das Rechtsverhältniß eines
bisher Abweſenden, nun aus der Abweſenheit Wiederkehrenden.
Ebendeßhalb erſcheint auch die Frage, wann das Poſtliminium
eintrete, in einem ganz anderen Lichte als nach dem antiken ins-
beſondere römiſchen Rechte. Nach dem letzteren trat es ein, ſo-
bald der Gefangene im Kriege aus der feindlichen Gewalt in ſein
Vaterland oder zu befreundeten Nationen zurückkehrte; ausnahms-
[316]Zweites Buch. §. 190.
weiſe ſtand es auch noch nach dem Frieden offen. 1 Ausgeſchloſ-
ſen waren diejenigen, welche ſich mit den Waffen dem Feinde über-
geben hatten, die Ueberläufer, die von dem vaterländiſchen Staat
ſelbſt Ausgelieferten, ferner, wer freiwillig bei dem Feinde blieb
oder ausdrücklich bei dem Friedensſchluß dem Feinde überlaſſen
ward. Nach dem heutigen Völkerrecht könnte nur denjenigen das
Poſtliminium entzogen ſein, welche nach vaterländiſchen Geſetzen
oder nach den mit dem Feinde getroffenen Conventionen jeder Rück-
kehr in ihr früheres bürgerliches Verhältniß beraubt ſind, oder
ihrer bürgerlichen Rechte verluſtig ſein ſollen; alle anderen römi-
ſchen Ausſchließungsgründe des Poſtliminiums können dagegen nur
bei der Frage in Betracht kommen: ob eine Kriegsgefangenſchaft
für rechtmäßig beendigt zu halten ſei? wobei das Poſtliminium
ſelbſt noch immer vorbehalten und nur zur Zeit noch thatſächlich
ſuspendirt bleibt; wie z. B. dann der Fall ſein kann, wenn ein
Kriegsgefangener von ſeiner eigenen Nation dem Feinde zurückge-
liefert würde, weil er dort ſein Ehrenwort gebrochen, oder wenn
der Kriegsgefangene ſich zu einer neutralen Nation gerettet, dieſe
aber, wie ſie zu thun befugt iſt, ihn der feindlichen Gewalt wieder
überliefert hätte.
Wenn das römiſche Recht auch da ein Poſtliminium annimmt,
ſobald Jemand von einer zwar nicht offenbar feindlichen, jedoch
auch nicht in friedlichen Verhältniſſen mit ſeinem Staate lebenden
Nation gefangen und zum Sclaven gemacht iſt, dagegen die Fiction
des Poſtliminiums für unnöthig erachtet, wo man in die Gewalt
von Piraten oder eines Gegners im Bürgerkriege gerathen iſt: ſo
bedürfen heut zu Tage alle dieſe Fälle keiner beſonderen Berückſichti-
gung, indem das Princip des neueren Völkerrechts, welches in der
Gefangenſchaft nur eine auferlegte Abweſenheit ſieht, auch hierauf An-
wendung leidet, und kein Grundſatz des neueren Staatsrechtes ent-
gegenſteht.
Poſtliminium bei einzelnen Rechtsverhältniſſen.
190. Sieht man auf die Privatrechtsverhältniſſe, welche durch das
Poſtliminium wieder erlangt werden, ſo kann im Allgemeinen keine
[317]§. 190. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
Art derſelben, weder ein rein perſönliches noch ein dingliches, noch
auch ein obligatoriſches ſowohl nach römiſchen Rechte wie nach
heutigem Völkerrechte ausgeſchloſſen werden. Sogar einzelne Aus-
nahmen des älteren römiſchen Rechtes finden nicht mehr Statt.
Es geht aber das Poſtliminium der Rechte auf eine zweifache Art
vor ſich; entweder durch Wiedereintritt eines Kriegsgefangenen in
die ihm in der Zwiſchenzeit entzogen geweſenen Rechte, oder durch
Wiedererlangung der von dem Feinde in Beſchlag genommenen
Sachen eines Unterthans des anderen kriegführenden Theiles. 1
Was zuförderſt die öffentlichen perſönlichen Verhältniſſe betrifft,
ſo iſt eine Fortdauer des früheren Status unleugbar, wenn er nicht
nach Staatsgeſetzen durch ein verbrecheriſches Verhalten in Bezie-
hung auf den Feind verwirkt ſein ſollte. Ob die in der Zwiſchen-
zeit zu beziehen geweſenen Vortheile, welche mit dem öffentlichen
Status, z. B. mit einem Amte verbunden waren, nach Beendigung
der Kriegsgefangenſchaft reclamirt werden können, iſt lediglich eine
Frage des inneren Staatsrechtes. Das römiſche Recht ſchloß der-
gleichen Anſprüche aus z. B. auf den in der Zwiſchenzeit fälligen
Sold oder Gehalt. 2 Billigkeit und Staatsverfaſſung können aber
ein Anderes mit ſich bringen.
Von rein perſönlichen Privatverhältniſſen, worin das Poſtlimi-
nium wieder einſetzt, ſchloß das römiſche Recht die Ehe aus, ver-
langte wenigſtens daran Redintegration. Iſt dieſes nicht ſchon
durch Juſtinian geändert, ſo hat es die chriſtliche Kirche gethan;
die Ehe dauert auch mit einem Kriegsgefangenen fort. 4
Dingliche Rechte an unbeweglichen oder denſelben gleichſtehen-
den Sachen unterliegen durchaus der allgemeinen Regel; nur der
in der Zwiſchenzeit verlorene Beſitz, weil er etwas thatſächliches
iſt, wird nicht von Rechtswegen wiedererlangt, ſondern muß erſt
von Neuem begonnen werden. 5
[318]Zweites Buch. §. 190.
Obligatoriſche Verhältniſſe erleiden überall keine Aenderung und
bleiben ſelbſt während der Kriegsgefangenſchaft nach heutigem Recht
wirkſam, der Abweſende ſei Gläubiger oder Schuldner; es mag der
Feind die Forderung von dem Schuldner eingezogen haben oder
nicht: gemäß demjenigen, was bereits oben von den Rechten eines
Kriegführenden über unkörperliche Sachen der Gegenparthei aus-
geführt worden iſt. 1 (§. 134.) Hat der Feind bewegliche Sa-
chen an ſich genommen, ſo kann nur hinſichtlich derjenigen kein
Poſtliminium ſtatuirt werden, welche vermöge eines allgemeinen
internationalen Herkommens, oder aber vermöge der beſonderen bei
der Vindication in Anwendung kommenden Landesrechte als Kriegs-
beute in das Eigenthum des wegnehmenden Feindes übergegangen
ſind. Wie es nun mit einem allgemeinen Völkerherkommen bei
dieſem Puncte beſchaffen ſei, iſt gleichfalls ſchon oben (§. 135.
136.) dargelegt worden. Nicht wenige Rechtsgelehrte haben da-
her auch ein Poſtliminium in bewegliche Sachen als die gemeine
Regel aufgeſtellt, wovon nur durch Particulargeſetze oder durch
Friedensſchlüſſe eine Ausnahme begründet werden könne, 2 da das
römiſche Recht, welches die beweglichen Sachen, wenn als Kriegs-
beute weggenommen, von dem Poſtliminium ſchlechterdings aus-
ſchloß und es nur gewiſſen Sachen, die zur öffentlichen Kriegs-
ausrüſtung gehörten, geſtattete, 3 kein die Völker gegenſeitig binden-
des Geſetz geworden ſei, ſondern nur als recipirtes Civilrecht ein-
zelner Lande auch in dieſem Stücke entſcheiden könne. Daß es ſelbſt
dort, wo es recipirt worden, nicht ſeinem ganzen angeführten Inhalte
3
[319]§. 191. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
nach in feſten Gebrauch gekommen ſei wird von den meiſten prac-
tiſchen Schriftſtellern zugeſtanden. 1
Alles Vorerwähnte gilt nun unbedenklich auch von den Sou-
veränen und ihren Familien rückſichtlich ihrer Privatrechte z. B.
auch in Betreff ihrer Haus- und Feideicommißgüter, welche die
Natur eigentlicher Staatsgüter nicht haben. Kann über letztere
in Folge einer feindlichen Uſurpation eine ſelbſt im Fall der Wie-
derkehr des vorigen Staatsverbandes giltig bleibende Verfügung
Statt finden, wie zuvor §. 188. behauptet worden iſt, ſo folgt
daraus keine gleiche Berechtigung in Betreff der Privatgüter der
ſouveränen Familie.
Recht der Wiedernehmung bei Schiffen.
191. Eigenthümliche Schwierigkeiten entſtehen vermöge der bis-
herigen Seekriegspraxis in denjenigen Fällen, wo das von einem
Kriegführenden weggenommene Schiff eines fremden Staates jenem
wiederum von einer feindlichen Partei abgenommen wird, in wie
fern nämlich hier ein Poſtliminium zu Gunſten des früheren Ei-
genthümers (ein jus recuperationis, droit de recousse ou de re-
prise) Statt habe. 2 Die Frage befindet ſich ziemlich noch in
derſelbe Lage, worin ſie zu Ende des vorigen Jahrhunderts befan-
gen war, ſo daß im Allgemeinen noch immer auf dasjenige ver-
wieſen werden darf, was v. Martens claſſiſche Schrift über die
Caper hinſichtlich dieſes Gegenſtandes enthielt. Die in Betracht
kommenden Fälle ſind dieſe. Eine Wiedernehmung kann geſchehen
- a. durch ein Kriegsſchiff des kriegführenden Staates oder
- b. durch einen Caper, oder
- c. durch die Mannſchaft des genommenen Schiffes ſelbſt
oder endlich
- d. durch irgend welche Gewalt eines dem Captor fremden Landes,
wohin das genommene Schiff, es ſei abſichtlich oder zufäl-
lig wider den Willen des Captors gebracht ſein kann.
Das wiedergenommene Schiff, oder ſeine Ladung oder beides
zugleich, kann, ehe es vom Feinde genommen wurde, gehört haben:
[320]Zweites Buch. §. 192.
- a. der Regierung oder den Unterthanen des Staates, wozu auch
der Wiedernehmer gehört; - b. einem Bundesgenoſſen in demſelben Kriege, oder
- c. einem bloß hilfeleiſtenden Theile,
oder endlich
- d. einem neutralen Staate hinſichtlich des kriegführenden Thei-
les, welcher die Wiedernahme bewirkt hat.
Es kann überdieß noch geſchehen, daß die Repriſe abermals dem
Wiedernehmer weggenommen wird.
Vor allen Dingen leuchtet ein, daß, wenn das wiedergenom-
mene Schiff zu demjenigen Staate gehört, ſeitens deſſen die Wie-
dernahme geſchehen iſt, alsdann lediglich die Geſetze dieſes Staa-
tes darüber entſcheiden müſſen, ob oder unter welchen Bedingun-
gen und Modalitäten das wiedergenommene Schiff und Gut ſei-
nem früheren Eigenthümer verbleiben ſoll. Auf dieſen Fall be-
ſchränken ſich auch die Seegeſetze der einzelnen Nationen faſt al-
lein und die darin angenommenen Principien ſind kein Theil des
Völkerrechts, noch weniger einer Critik deſſelben unterworfen. 1
Andererſeits kann bei der Frage, wie es gehalten werden ſoll,
wenn das wiedergenommene Schiff einer dritten Nation zugehört,
die Entſcheidung nicht lediglich von dem Staate des Wiederneh-
mers abhängig ſein. Die Beſtimmung muß hier vielmehr einem
gemeinſamen giltigen Grundſatz gemäß getroffen werden, widrigen-
falls der durch eine entgegenſtehende Entſcheidung verletzte Theil
dagegen auf völkerrechtlichem Wege reclamiren kann. Denn es han-
delt ſich hier regelmäßig von einer Thatſache, welche außer dem
Bereiche der Geſetze der Einzelſtaaten liegt, nämlich von einer That-
ſache auf offener See. Nur wenn die Wiedernahme im eigenen
Seegebiet geſchehen ſollte, können die Geſetze dieſes Staates wider
Jedermann als entſcheidend betrachtet werden.
192. Was nun als gemeinſam giltiger Grundſatz des interna-
tionalen Rechts zu erklären ſei, iſt überaus zweifelhaft. Die Haupt-
ſache, worauf es ankommt, iſt, ob das wiedergenommene Schiff
wirklich ſchon dem erſten Captor beziehungsweiſe deſſen Staat ei-
genthümlich verfallen war oder nicht. Dem römiſchen Recht, wel-
ches, wenn nicht alle, doch gewiſſe Arten von Schiffen dem Poſt-
liminium unterwarf, ohne Unterſchied wie lange ſie in Feindesge-
[321]§. 192. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
walt geweſen waren, kann begreiflich nicht die Kraft eines jetzt ge-
meingiltigen Völkergeſetzes beigelegt werden; eben ſo wenig dem
Consolato del mare, welches ohnehin nur Beſtimmungen über
Wiedernahme eines von der Gegenpartei genommenen Schiffes durch
den betheiligten Staat des früheren Eigenthümers enthält. 1 Was
in einzelnen internationalen Verträgen wegen der Wiedernahme ſti-
pulirt iſt, ſteht zur Zeit noch ſo vereinzelt, daß daraus keine Regel
abgeleitet werden kann. 2 Ebenſo unſicher erſcheint die Praxis der
verſchiedenen Seemächte; ſie wird dritten Mächten gegenüber mehr
durch Convenienz als durch wirkliche Rechtsprincipien geleitet. 3 —
Befragt man die verſchiedenen Anſichten der Publiciſten, woran ſich
auch zum Theil die Praxis hält, ſo wird allermeiſt wohl davon
ausgegangen, daß ein Kriegführender durch Wegnahme ſowohl wirk-
lich feindlicher wie auch präſumtiv feindlicher und neutraler Schiffe,
die den Bedingungen der Neutralität contravenirten, das Eigenthum
daran und an der Ladung von Rechtswegen erwerben kann; allein
man ſtreitet, ob dazu ſchon das Factum der Wegnahme genüge,
oder wenigſtens ein 24 ſtündiger Beſitz oder aber die Wegführung
intra praesidia, oder wohl gar ein adjudicirendes Priſenurtheil hin-
zugekommen ſein müſſe. Nicht minder ſtreitig ſind, wie wir frü-
her geſehen haben, ſchon die Grundſätze, aus welchen ſich die Recht-
mäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit einer Priſe beurtheilen läßt.
Ein gemeingiltiges Princip exiſtirt demnach ſo gut wie gar nicht;
die Wahrheit aber iſt, wie ſie bereits v. Martens 4 durchſchaut,
obwohl nur ſchüchtern ausgeſprochen hat, weil er den Strom ge-
gen ſich hatte, wie ſie indeß auch Lingnet 5 und Jouffroy 6 uner-
ſchrocken vertheidigt haben:
21
[322]Zweites Buch. §. 192.
„Das Recht des Krieges giebt überhaupt keinem Kriegführenden
ein Recht des Eigenthums auf weggenommene Schiffe weder des
Feindes noch einer dritten Macht. Es bleibt daher während des
Krieges das Recht des urſprünglichen Eigenthümers wider Jeder-
mann bei Kräften; auch eine Wiedernahme kann ihm daſſelbe nicht
entziehen, vielmehr nur die Verbindlichkeit einer Entſchädigung und
Belohnung des Wiedernehmers gegen Rückempfang ſeines Eigen-
thums auferlegen. Erſt mit dem Friedensſchluß wird unter den
kriegführenden Theilen und deren Alliirten jede ſpätere Wiedernahme
der von dem einen Theil gegen den anderen weggenommenen Schiffe
und Ladungen ausgeſchloſſen; neutrale Mächte, ſogar bloße Hilfs-
mächte, deren nicht im Kriegsſtand befindlich geweſene Schiffe
weggenommen ſind, behalten dagegen den Anſpruch auf Wieder-
nahme des thatſächlich entzogenen Eigenthums, wo ſie ihm beikom-
men können, auch noch ferner.“
Vor dieſer einfachen Wahrheit ſchwinden alle Controverſen wie
die Schatten der Nacht vor der Sonne. Die Annahme dieſes
Syſtems kann vorzüglich auch als Mittel dienen, um dem Raub-
ſyſtem der bisherigen Seekriege oder einzelner Seemächte entgegen
zu wirken. Keine Priſe muß gemacht werden können, ohne daß ihr
Wiederverluſt ſogar noch im Frieden (wenigſtens den Neutralen
gegenüber) bevorſtehen bleibt. Auch dieſe Zeit wird kommen, trotz
dem daß Sir William Scott das Verlangen, als müſſe alles
wiedereroberte Eigenthum in Kriegszeiten dem Eigenthümer ohne
Unterſchied der Zeit zurückgegeben werden, für leere Chimäre einer
vorſündfluthlichen Philoſophie erklärt hat. 1
[[323]]
Drittes Buch.
Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres
oder
die Staatenpraxis in auswärtigen Angelegenheiten
ſowohl im Kriege wie im Frieden.
Einleitung.
193. Annäherung und Verbindung der Völker unter Einander
iſt, wie wir ſchon im Anfange zeigten, die Tendenz des Völker-
rechts. Inſofern nun der internationale Verkehr ein bloßer Pri-
vatverkehr von Staatsindividuen aus einem Lande in das andere
für Privatzwecke iſt, wird er durch die Geſetze ſowohl des einhei-
miſchen Staates wie des fremden Staates innerhalb eines jeglichen
Gebietes regulirt; inſofern er aber in freiem gemeinſamen Gebiet
oder unter den Staatsgewalten und deren Repräſentanten Statt
findet, treten ſowohl im Frieden wie im Kriege beſondere Formen
in Anwendung, welche theils dem ſ. g. Cerimonial- theils dem di-
plomatiſchen Recht angehören, von welchen beiden hier noch zu
handeln iſt.
Erſter Abſchnitt.
Allgemeine Cerimonialrechte im Verkehr der Nationen und
ihrer Souveräne bei perſönlichen Annäherungen.
194. Aus der Achtung, welche die Staaten einander ſchuldig
ſind (§. 31.), fließt zwar von ſelbſt die Verbindlichkeit, ſich bei
21*
[324]Drittes Buch. §. 194.
perſönlichen Begegnungen und Correſpondenzen jeder nach allgemein
ſittlicher Ueberzeugung kränkenden Form zu enthalten, nicht aber auch
von ſelbſt die Verbindlichkeit eine beſtimmte poſitive Form der Be-
handlung zu beobachten. Indeſſen hat die Sorge für die eigene
Würde, verbunden mit der Ungleichheit, welche ſich hinſichtlich des
Ranges der einzelnen Staaten unter einander ergeben hat, ſodann
der Geiſt des abendländiſchen Ritterthums und die Mode des Hof-
lebens zur Annahme gewiſſer Formen geführt und ein eigenes Staa-
tencerimonial erzeugt, 1 welches zwar im Allgemeinen nur in Aeu-
ßerlichkeiten beſteht, dennoch aber, ſoweit es ein vollkommen be-
gründetes und verbindliches iſt, von der politiſchen Wiſſenſchaft
nicht ganz überſehen werden darf. Es kommt zur Anwendung
- a. bei perſönlicher Annäherung der Souveräne und ſouveränen
Familienglieder unter ſich, es ſei durch perſönliche Zuſam-
menkunft oder Correſpondenz; - b. im diplomatiſchen perſönlichen oder ſchriftlichen Verkehr;
- c. in der Correſpondenz der Behörden verſchiedener Staaten
untereinander; - d. im Schiffsverkehr.
[325]§. 194. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Man kann demnach unterſcheiden ein Land- und Seecerimonial,
oder noch genauer:
ein rein perſönliches bei perſönlicher Annäherung,
ein ſchriftliches, insbeſondere Canzleicerimonial,
endlich
ein Seecerimonial.
Alles beruht hierbei auf willkührlichen Gebräuchen. Ein Rechts-
anſpruch auf Befolgung derſelben, mithin ein wahres internationa-
les Cerimonialrecht kann jedoch nur angenommen werden hin-
ſichtlich derjenigen Gebräuche, welche entweder auf Verträgen be-
ruhen, oder in einem ſo entſchiedenen Herkommen, mit deſſen Nicht-
beobachtung die allgemeine Ueberzeugung die Idee einer Beleidigung
verknüpft. Daneben und außer dem Bereiche des internationalen
Rechtes ſteht
das beſondere Hofcerimonial, 1welches jeder Souverän nach
Belieben einrichten kann, wenn er nur das vorerwähnte Staa-
tencerimonial nicht verletzt;
ſodann
die ſogenannte Staatsgalanterie oder dasjenige, was die Re-
gierungen und deren Vertreter untereinander zwanglos nur
aus Freundſchaft oder Höflichkeit und Ergebenheit gegen ein-
ander beobachten, wie z. B. die Notification freudiger oder
trauriger Ereigniſſe, Beglückwünſchungen, Beileidsbezeugun-
gen, Begrüßung eines durch- oder vorüberreiſenden Souve-
räns oder ſeiner Familienglieder, Traueranlegung, Ertheilung
von Geſchenken und Orden.
So gewöhnlich dergleichen ſein mag, und ſo oft aus der Unter-
laſſung in dem einen oder anderen Fall eine Mißſtimmung hervor-
gehen wird, ſo wenig kann daraus ohne Hinzutritt ſonſtiger Um-
ſtände und Verhältniß eine Beleidigung hergeleitet werden; viel-
mehr werden Vernachläſſigungen der Höflichkeit nur zu einem glei-
chen Verfahren veranlaſſen, niemals aber eine Forderung auf Ge-
nugthuung begründen, wie ſie bei der Verletzung eines wirklichen
Cerimonialrechts zuläſſig iſt.
Zunächſt ſoll hier nun dasjenige, was außerhalb des ſchriftlichen
[326]Drittes Buch. §. 195.
und diplomatiſchen Verkehrs im Allgemeinen hergebracht iſt, dar-
geſtellt werden, während das auf jenen Verkehr ſpeciell bezügliche
Cerimonial in den nachfolgenden Abſchnitten ſeine Stelle finden mag.
Recht auf einen beſtimmten Ehrenplatz.
195. So oft als Repräſentanten verſchiedener Staaten mitein-
ander in perſönliche Berührung kommen, wird eine Beſtimmung
wegen der einzunehmenden Plätze, insbeſondere wegen des ſoge-
nannten Ehrenplatzes, nothwendig. Zwar ſollte an und für ſich
jeder Platz nur durch die Perſon ſeine Bedeutung erhalten, nicht
aber die Perſon durch die Stelle, welche ſie einnimmt; dennoch aber
hat die Mode gewiſſen Plätzen eine Erſtigkeit, anderen eine min-
dere Bedeutung beigelegt, und da einmal das Herkommen gewiſſe
Rangverſchiedenheiten der Staaten eingeführt hat, ſo kann gewiß
auch der im Range höher Stehende einen höher geachteten Platz
vor den Anderen für ſich verlangen; Perſonen aber, die in einem
gleichen Verhältniß zu einander ſtehen, können mindeſtens fordern,
bei der Einnahme der Plätze nicht auf eine Weiſe behandelt zu
werden, welche als Zurückſetzung oder als Anerkennung des höhe-
ren Ranges eines anderen ausgelegt werden könnte.
Der Ehrenplatz nun, welcher dem im Range Höheren gebührt,
iſt verſchieden im Sitzen, im Nebeneinanderſtehen, im Auf- oder
Herabſteigen, bei Proceſſionen in einer Linie oder bei einem Auf-
treten neben einander in gerader Linie (in latere). 1
Kommt es auf Vollziehung gemeinſchaftlicher Urkunden an, ſo
wird im Eingang und Context der entſchieden Höhere im Range
vor dem Nachfolgenden genannt. Die Unterſchrift aber geſchieht
gewöhnlich in zwei Columnen, von denen die heraldiſch rechte zu
oberſt dem Erſten im Range, die linke zu oberſt dem Nächſtfolgen-
den gebührt, worauf dann die übrigen Unterſchriften in derſelben
Weiſe von der rechten zur linken Columne hinübergehen.
Stehen die betheiligten Staaten in gleichem Range oder in
Streit darüber, ſo müſſen gewiſſe Auswege benutzt werden, ins-
beſondere:
[327]§. 196. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
eine conventionelle Aufhebung aller Förmlichkeit,
eine gegenſeitige Abwechſelung (Alternat),
der Gebrauch des Looſes,
ein freiwilliges Nachgeben unter Vorbehalt oder gegen Revers,
oder endlich
eine gegenſeitige Erklärung der Unverfänglichkeit.
Außerdem wird bei Beſuchen das Gaſtrecht auf eine für den Gaſt
ſoviel als möglich zuvorkommende Weiſe ausgeübt; der Wirth giebt
dem Gaſt, ſelbſt wenn er nur ſeines Gleichen iſt, den Vorgang
und die main d’honneur.
Bei gemeinſamen Urkunden, wovon mehrere Ausfertigungen ge-
macht werden, ſetzt jeder Theil im Eingang und Context ſeine ei-
genen Titel und Bezeichnungen den fremden voran; in Betreff der
Unterſchriften muß entweder einer der zuvor erwähnten Auswege
beliebt werden, oder jeder Theil unterſchreibt nur das Exemplar des
anderen. 2
Courtoiſie.
196. Alle Souveräne und demnächſt auch die Mitglieder der
ſouveränen Familien haben ein Recht auf eine beſtimmte Courtoi-
ſie, d. h. auf Ertheilung gewiſſer Titulaturen im gegenſeitigen münd-
lichen oder ſchriftlichen Verkehr. Hierzu dienen die bereits §. 53.
IV. und §. 55. angezeigten Prädicate, welchen bei Anreden kein
anderes geringeres ſubſtituirt werden darf. Außerdem iſt herge-
bracht, daß gekrönte Häupter ſich unter einander den Bruder- und
Schweſtertitel geben und ihn auch noch allen denen, welche Königli-
cher Ehren genießen, ertheilen. Daſſelbe iſt mit den Gemahlinnen
der Fall. 3 Nur zwiſchen dem Papſt und den katholiſchen Fürſten
beſteht ein anderer Styl; er empfängt von ihnen (auch wohl aus
Condeſcendenz von proteſtantiſchen Mächten) das Prädicat: Eure
Heiligkeit; und ertheilt den katholiſchen Fürſten das Prädicat: ge-
liebte Söhne. Ferner werden gekrönte Häupter, und nur ſie,
durch Sire angeredet. 4 Alles Uebrige in der gegenſeitigen Cour-
1
[328]Drittes Buch. §. 197.
toiſie beruhet auf freundſchaftlichen und verwandſchaftlichen Ge-
brauch, oder gehört hauptſächlich nur dem Canzleiſtyl an, in wel-
cher Hinſicht es weiterhin (Abſchn. II. dieſes Buches) ſeine Stelle
finden wird.
Seecerimonial. 1
197. Ein eigenthümliches Seecerimonial wird beobachtet:
- wenn Schiffe unterhalb der Kanonen eines fremden Staats-
gebietes vorbeiſegeln oder in einen Hafen derſelben einlau-
fen wollen;
ſodann
- wenn ſie ſich in fremdem Seegebiet befinden bei beſonderen
Gelegenheiten, auch wohl - bei Begegnungen auf offener See.
Es beſteht in gewiſſen Ehrenbezeugungen, namentlich in dem ſoge-
nannten Schiffsgruß, worauf meiſtens eine Erwiederung erfolgt.
Seine Arten ſind:
- das Flaggenſtreichen durch Einziehen, Herunterneigen oder Ab-
nehmen der Flagge, welches Letztere das größeſte Zeichen der
Unterthänigkeit iſt; - der Kanonengruß mit einer beſtimmten, gewöhnlich ungleichen
Anzahl von Kanonenſchüſſen, 2 und zwar bei vorzüglicher
Ehrenbezeigung mit ſcharfer Ladung; - das Flaggenaufſtecken und Wehenlaſſen;
- das Herablaſſen des Marsſegels bis an den Fockmaſt oder
auch das Segelſtreichen durch Herablaſſung der Flagge oder
des Perroquetmaſtes oder des Wimpels auf einige Zeit; - der Gruß mit ein oder drei Kleingewehrſalven in Verbindung
mit dem Kanonengruß;
[329]§. 197. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
- das Beilegen und die Abſendung eines oder einiger Officiere
an Bord des anderen Schiffes;
endlich
- der Vivatruf (le salut de la voix) bis zu einer ungleichen
Zahl wiederholt.
In Betreff der Anwendung ſolcher Cerimonien können, abgeſehen
von einzelnen meiſt widerſprochenen Forderungen gewiſſer Natio-
nen und von den darüber beſtehenden Verträgen, nur folgende
Grundſätze als völkerrechtliche gemeine Regeln angeſehen werden:
- I. Jeder Staat kann in ſeinem eigenen Seegebiete die Art des
Schiffsgrußes beſtimmen 1 und ihn zuerſt fordern, nur nicht
in einer für andere Nationen kränkenden Weiſe, wie z. B. das
gänzliche Abnehmen der Flagge ſein würde. 2 Hierbei iſt
dann meiſtens üblich, daß fremde Schiffe beim Vorbeiſegeln
vor einer Feſtung oder beim Einſegeln in einen Hafen, oder
endlich bei dem Vorüberfahren an Kriegsſchiffen im aus-
wärtigen Seegebiet ſowohl durch Kanonenſchüſſe wie durch
Flaggenſtreichen grüßen, worauf ihnen durch Kanonenſchüſſe
in gleicher Zahl gedankt wird. 3 Kauffartheiſchiffe müſſen
auch wohl das Marsſegel fallen laſſen. - II. Auf offener See kann an und für ſich keine Nation die Be-
grüßung von einer anderen Nation fordern. 4 Nur auf ſoge-
nannten Eigenthumsmeeren macht der herrſchende Staat An-
ſpruch auf den erſten Gruß. Wird das Eigenthumsrecht von
einer Nation nicht beſtritten, ſo wird ſie ſich auch in das Letz-
tere fügen müſſen, niemals aber eine andere. 5
[330]Drittes Buch. §. 197.
- III. Nur als übliche Höflichkeit, jedoch nicht als Recht und Ver-
bindlichkeit, iſt Folgendes anzuſehen:- a. Begegnet ein Kriegsſchiff einem fremden Kriegsgeſchwa-
der: ſo grüßt jenes zuerſt mit Kanonenſchüſſen. Ebenſo
hält man es bei Vereinigung einzelner Schiffe mit einem
fremden Geſchwader. - b. Eine Hilfsflotte grüßt das Geſchwader der Hauptmacht
zuerſt. - c. Bei Begegnungen einzelner Schiffe grüßt das dem Range
nach geringere das höhere zuerſt; bei Ranggleichheit das
unter dem Wind befindliche. - d. Caper grüßen ſtets die Kriegsſchiffe zuerſt ohne ſelbſt
Gegengruß zu empfangen. - e. Kauffahrer grüßen fremde Kriegsſchiffe zuerſt mit Se-
gel und Flaggengruß, auch wohl mit Kanonen, wenn
ſie dergleichen führen; doch wird Eines oder das An-
dere erlaſſen, wenn das Schiff im vollen Laufe iſt. 1
- a. Begegnet ein Kriegsſchiff einem fremden Kriegsgeſchwa-
Reine Höflichkeit bringt ferner noch mit ſich, daß Feſtungen und
Häfen, wenn ſich ihnen fremde Regenten oder Stellvertreter derſel-
ben nähern oder vorüberfahren, ſelbige zuerſt mit Kanonen be-
grüßen.
Zu wünſchen wäre, daß man ſich endlich, mindeſtens auf offe-
ner See, wegen Unterlaſſung jedes Schiffsgrußes unter den Natio-
nen vereinigte. 2 Unbefugt und unverantwortlich iſt es, wegen der
Unterlaſſung eines ſolchen Grußes, ſogar wenn ſie gefordert wer-
den könnte, in Gewaltthätigkeiten überzugehen, 3 anſtatt ſich mit blo-
ßen Zurückweiſungen zu begnügen, oder auf friedlichem Wege zu-
erſt bei der Regierung des unterlaſſenden Theiles auf Genugthuung
anzutragen.
[331]§§. 198. 199. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Zweiter Abſchnitt.
Der diplomatiſche Verkehr der Staaten.
198. Die auswärtigen Intereſſen der Einzelſtaaten können ihrer
Natur nach allein von den Souveränen und den ihnen oder auch
den Nationen ſelbſt verfaſſungsmäßig verantwortlichen Organen ih-
res Willens wahrgenommen und beſorgt werden. Seit langer Zeit
hat die Politik der Staaten dieſem Gegenſtand ihres Wirkens die
größeſte Aufmerkſamkeit und Sorgfalt gewidmet; denn die Schick-
ſale der Völker erhalten dadurch wenigſtens ihre förmliche Geſtal-
tung, wenn ſie auch nicht allein dadurch bewegt und gemacht wer-
den können. Alles was ſich darauf bezieht oder damit weſentlich
beſchäftigt iſt, bezeichnet die neuere europäiſche Sprache durch di-
plomatiſch, hindeutend damit theils auf die urkundlichen Grund-
lagen der Staatenintereſſen, theils auf die zu ihrer Sicherſtellung
dienende und nicht wohl zu entbehrende urkundliche Form der Ver-
handlungen und Reſultate; bisweilen freilich in einer etwas lächer-
lichen Ausdehnung auf fremdartige Dinge. Der Nimbus, womit ſich
vormals die Diplomatie umhüllte, hat manchen publiciſtiſchen Schrift-
ſteller angeregt, vornehmlich ihre Aeußerlichkeiten mit einer gewiſſen
Coquetterie und Devotion zu behandeln und auszuſchmücken. Wir
wollen im Folgenden hauptſächlich nur die leitenden Grundſätze
aufſuchen und zuerſt von den beſonderen diplomatiſchen Organen,
ſodann von der diplomatiſchen Kunſt, endlich von den Formen
ihres Wirkens einfach nach unſerer Weiſe handeln. Die Diploma-
tie geht ſelbſt nicht mehr ſo geſpreizt und blaſirt einher, wie vor-
mals. Sie iſt einfacher und, wenn auch nicht öffentlich geworden,
wie ſie es in der alten Welt war, wenigſtens erkennbarer und zu-
gänglicher.
Erſte Unterabtheilung.
Die Organe des diplomatiſchen Verkehres.1
Geſchichte und natürliches Princip.
199. Schon die alte Welt hatte ihre diplomatiſchen Verbin-
dungen, jedoch keine dauernden, ſondern vorübergehende. Die
[332]Drittes Buch. §. 199.
Völker verhandelten mit einander durch abgeſandte Staatsmänner
und Redekundige (πϱεσβεῖς, legati, oratores) über die ſich gerade
darbietenden Intereſſen; 1 die Diplomatie war eine offene Kunſt; nur
die Päpſte unterhielten ſchon früh am Conſtantinopolitaniſchen Hofe
und in den fränkiſchen Reichen bleibende Apocriſiarier oder Reſpon-
ſales. 2 Seit dem funfzehnten Jahrhundert entwickelte ſich indeß auch
an anderen Höfen gleichzeitig mit der neueren Geheimpolitik (S. 8.)
und mit den ſtehenden Heeren das Syſtem ſtehender Geſandſchaften
zum Zweck wechſelſeitiger Beaufſichtigung, wie zur dauernden Erhal-
tung eines guten Vernehmens, endlich zur ſofortigen Beförderung ſpe-
cieller internationaler Intereſſen. 3 So haben ſich bei den Höfen
diplomatiſche Corps gebildet, und man würde ſich vom europäiſchen
Staatenſyſtem ausſchließen, wollte man eine derartige Verbindung
mit den übrigen dazu gehörigen Staaten völlig aufheben oder zu-
rückweiſen.
[333]§. 200. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Actives und paſſives Recht zu diplomatiſchen Miſſionen.
200. Das Recht Abgeordnete in Staatsangelegenheiten zu
ſchicken hat unbeſtreitbar jeder wirkliche Souverän; 1 gewiß kann
auch nur von dieſem ein characteriſirter Geſandter mit amtlicher
Bedeutſamkeit beſtellt werden. Kein Unterthan, auch von noch ſo
großem Einfluß und mit noch ſo vielen Privilegien begabt, hat
ein ſolches Recht. Dagegen kann daſſelbe nicht verweigert werden
- einem Lehnsſouverän,
- einem unter fremden Schutz ſtehenden Souverän,
- einem Halbſouverän, ſoweit ihm nicht jede auswärtige Wirk-
ſamkeit oder Vertretung verſagt iſt, 2
endlich
- einem uſurpatoriſchen Souverän, ſofern man mit ihm Ver-
bindungen eingehen will oder ſich ihnen nicht entziehen kann,
ſowie andererſeits einem verdrängten Souverän, deſſen Wie-
derherſtellung noch immer für möglich zu halten iſt, ſoweit
es nur das Verhältniß zu dem Uſurpator geſtattet.
Unterbehörden eines Souveräns haben das Geſandtſchaftsrecht nicht,
es müßte ihnen denn, wie bei Vicekönigen und Gouverneurs zu-
weilen der Fall geweſen iſt, daſſelbe ausdrücklich übertragen wor-
den ſein.
Das Nämliche gilt im Ganzen auch von der Annahme frem-
der Geſandten, wenigſtens von einer völlig unangefochtenen An-
nahme und mit völkerrechtlicher Bedeutung; denn an und für ſich
würden natürlich ſelbſt Privatperſonen einen von den vorgedachten
Auctoritäten an ſie Abgeordneten empfangen können; insbeſondere
wäre kaum abzuſehen, warum nicht einem Souverain erlaubt ſein
ſollte, in einer rein perſönlichen Angelegenheit, z. B. wegen einer
Vermählung, einen Abgeordneten mit einem geſandtſchaftlichen Ti-
[334]Drittes Buch. §. 201.
tel ſelbſt an ein fremder Staatshoheit unterworfenes Haus abzuſen-
den. Niemals würden jedoch geſandtſchaftliche Rechte und Privile-
gien ohne die Conceſſion dieſer Staatsgewalt in Ausübung zu brin-
gen ſein. 1
Eine Pflicht zur Annahme fremder Agenten exiſtirt an und
für ſich nicht, ſondern es iſt eine reine Intereſſenfrage, ob man ſie
empfangen wolle. Allein man würde andererſeits die Rückſendung
ſeiner eigenen Abgeordneten zu erwarten haben, auch wird die Hu-
manität nicht erlauben, friedliche Mittheilungen auf dieſem Wege
ungehört zurückzuweiſen. 2 Gewiß kann ſich jede Regierung die
Zuſendung einer ihr unangenehmen Perſon oder die Beauftragung
ihrer eigenen Unterthanen verbitten. 3
Categorien der diplomatiſchen Organe.
201. Organe für den heutigen Betrieb der auswärtigen Staats-
intereſſen ſind, abgeſehen von dem Antheil welchen die Souveräne
ſelbſt daran nehmen können,
- I. die Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten,
- II. die an fremde Staaten abgeordneten Staatsdiener und Be-
vollmächtigten.
In letzterer Hinſicht unterſcheidet die neuere Staatspraxis folgende
Categorien, bald mit einer bleibenden allgemeinen Miſſion zur Un-
terhaltung einer dauernden Verbindung, bald nur zu beſtimmten
Einzelzwecken:
- a. Geſandte mit einem öffentlich beglaubigten amtlichen Cha-
racter zur unmittelbaren Verhandlung mit fremden Staats-
gewalten; legati publice missi, Ministres publics;
[335]§. 202. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
- b. Agenten, die zwar zu gleichem Zweck, jedoch ohne öffentlichen
amtlichen Character abgeordnet werden; - c. Commiſſarien, welchen blos beſtimmte einzelne Geſchäfte und
ohne directe Verhandlung mit den höchſten Organen der aus-
wärtigen Staatsgewalt aufgetragen werden; endlich - d. die Conſuln für die Handelsintereſſen.
Alle dieſe können entweder auf beſtimmte oder unbeſtimmte Zeit,
definitiv oder nur einſtweilen (ad interim) angeſtellt werden.
Dazu kommen dann noch die erforderlichen Hilfsperſonen, ihre
Secretäre und ſonſtigen Büreauglieder, ſo wie die zur Correſpon-
denz dienenden Couriere, Feldjäger und dgl.
Rechtsverhältniſſe der diplomatiſchen Perſonen überhaupt.
202. Jede in den vorgedachten Categorien begriffene diploma-
tiſche Perſon ſteht zuförderſt in einem ſtaatsdienſtlichen Verhältniß
zu dem von ihr vertretenen Staat, mit den nach dem inneren
Staatsrecht darauf haftenden Verpflichtungen, Rechten und Ga-
rantien; ſodann in einem völkerrechtlichen Verhältniß zu demjeni-
gen Staat, mit welchem zu unterhandeln iſt, oft auch zu dritten
Staaten, mit welchem ſie ihre Miſſion nothwendig oder zufällig
in Berührung bringt, und nur dieſe völkerrechtlichen Beziehungen
ſind hier noch näher zu erörtern, zuerſt im Allgemeinen, dann we-
gen jeder Categorie noch insbeſondere. Ein gemiſchtes Staats-
und völkerrechtliches Verhältniß tritt ein, wenn der diplomatiſche
Agent eines Staates bei einem Anderen Unterthan des Letzteren iſt.
Denn hier bedarf es unter allen Umſtänden erſt der Zuſtimmung
des Letzteren, welche natürlich auch nur eine bedingte oder be-
ſchränkte ſein kann. Unbedingt ſchließt ſie eine Suspenſion des
bisherigen Unterthansverhältniſſes für die Dauer der Miſſion, we-
nigſtens in allen denjenigen Beziehungen in ſich, welche mit dem
diplomatiſchen Character und Amt in Colliſion gerathen. 1
[336]Drittes Buch. §§. 203. 304.
Die Rechte fremder Abgeordneter im Allgemeinen.
203. Unleugbar liegt ſchon in der gegenſeitigen Anknüpfung
und Geſtaltung einer diplomatiſchen Verbindung die Bedingung ſo
wie das Zugeſtändniß, dem Vertreter des anderen Staates dieje-
nige Sicherheit und Freiheit einräumen zu wollen, ohne welche die
giltige, ehrenhafte und ungeſtörte Vollziehung von Staatsgeſchäften
überhaupt nicht denkbar iſt. Die weſentlichen Rechte nun, welche
aus dieſem im Allgemeinen ſo zu nennenden Repräſentativ-
character1 der diplomatiſchen Perſonen mit einer beſtimmten
Geſchäftsführung herfließen, ſind Unverletzbarkeit der Perſon
und eine gewiſſe perſönliche Exemtion von den Einwirkungen
der auswärtigen Staatsgewalt, ſoweit dadurch die Geſchäftsfüh-
rung des fremden Vertreters gehindert werden würde. Hiermit
können aber ferner noch gewiſſe außerweſentliche Befugniſſe und
Ehrenrechte verbunden ſein, die dem Cerimonialrecht angehören und
den ſ. g. Cerimonialcharacter diplomatiſcher Perſonen conſti-
tuiren, ſei es nach dem allgemeinen Gebrauch der Staatsgewalten
oder nach der beſonderen Obſervanz einzelner Staaten. Sie ſind
verſchieden nach Maaßgabe der einzelnen Categorien.
Unverletzbarkeit. 2
204. Unverletzbarkeit diplomatiſcher Abgeordneter für den äu-
ßeren Staatenverkehr iſt ein ſo von ſelbſt ſich verſtehendes Recht,
daß es auch von jeher bei allen Völkern ſogar in vorchriſtlicher
Zeit Anerkennung gefunden hat. 3 Es beſteht darin, daß nicht
blos der fremde Staat, an welchen die Miſſion erfolgt in ſeiner
Geſamtheit, ſondern auch jeder Angehörige deſſelben ſich aller ver-
1
[337]§. 204. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
letzenden körperlichen oder unkörperlichen Angriffe gegen dergleichen
Perſonen enthalten muß, und jede Art von Beleidigung derſelben
zugleich auch für eine Beleidigung des abſendenden Staates zu hal-
ten iſt. 1 Nicht einmal Repreſſalien würden einen Vorwand dazu
gewähren, wenn nicht der abſendende Staat gerade auch an ſol-
chen Perſonen das Völkerrecht verletzt hat. 2
Das Recht beginnt ſobald der Character des Abgeordneten ge-
hörig beglaubigt und die Miſſion nicht etwa wider den ausdrück-
lich erklärten Willen des anderen Staates erfolgt iſt. 3 Es wird
nicht allein jedem legitimirten diplomatiſchen Abgeordneten unmit-
telbar für ſeine Perſon, ſondern auch denjenigen zugeſtanden, welche
zu ſeiner Begleitung in der gedachten Eigenſchaft gehören 4 und zu
derſelben legitimirt werden können. Es erſtreckt ſich ferner auf ei-
nen ungehinderten Brief- und Depeſchenwechſel mit dem einhei-
miſchen Staate, es ſei durch eigene Couriere die ſich als ſolche
ausweiſen, oder durch Benutzung der Poſtanſtalten, ſofern nur die
zur Beförderung übergebenen Correſpondenzen durch deutliche Zei-
chen als diplomatiſche zu erkennen ſind. 5 Allein es kann nicht
geltend gemacht werden, wenn der Abgeordnete oder die zu ihm
gehörige Perſon durch ein eigenes rechtswidriges Verfahren eine
Reaction und insbeſondere eine Sicherungs- oder Vertheidigungs-
maaßregel gegen ſich hervorgerufen hat; es kann ferner nicht in
Betracht kommen, mindeſtens zu keiner völkerrechtlichen Ahndung
führen, wenn der Abgeordnete ſich in ein Verhältniß begeben hat,
welches mit ſeiner völkerrechtlichen Stellung in keinem Zuſammen-
hange ſteht, wobei er auch nur eine Behandlung als Privatperſon
erwarten konnte; 6 endlich aber dann, wenn ſein völkerrechtlicher
22
[338]Drittes Buch. §. 205.
Character der ihn verletzenden Gegenpartei unbekannt war. 1 —
Iſt eine Beleidigung der völkerrechtlichen Perſon eines Abge-
ordneten wirklich geſchehen, und zwar von Seiten der auswärti-
gen Staatsgewalt ſelbſt, ſo iſt ſie auch zu einer Genugthuung im
völkerrechtlichen Wege nach Maaßgabe der zugefügten Kränkung in
einer der bereits früher bezeichneten Weiſen verbunden. (§. 102.)
Iſt ſie von einem ihrer Unterthanen zugefügt, ſo kann die Genug-
thuung nur von dieſem nach den Geſetzen ſeines Staates gefordert
und dafür deſſen Vermittelung in Anſpruch genommen werden.
(§. 103.) Daß indeſſen der Abgeordnete ſelbſt ſich Rechte nehmen
dürfe, wie behauptet worden iſt, kann wenigſtens außer dem Fall
eines noch zuläſſigen Vertheidigungsrechtes nicht für erlaubt erach-
tet werden. 2
Exemtion von fremder Staatsgewalt.
205. Auch eine Exemtion der diplomatiſchen Agenten von je-
dem ſtörenden Einfluß der fremden Staatsgewalt auf ihre Hand-
lungen verſteht ſich ſo ſehr von ſelbſt, daß ſie bereits im Alterthum
in einzelnen Beziehungen hervortritt. So wurde im Römerſtaat
ſchon den Abgeordneten einzelner Provinzen oder Städte ein jus
domum revocandi zugeſtanden, d. h. das Recht während ihres
Aufenthaltes in Rom die Einlaſſung auf Civilklagen aus älteren
Forderungen, ja ſelbſt auf Anklagen wegen früherer Vergehen zu
verweigern oder ſich doch nur vorläufig darauf einzulaſſen. 3 Das
6
[339]§. 206. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
neuere Völkerherkommen hat dieſes bei eigentlichen Geſandten in
Verbindung mit der perſönlichen Unverletzbarkeit zu einem Exterri-
torialitätsverhältniß geſtaltet, wovon jedoch kein Schluß auf alle
diplomatiſche Perſonen (§. 198.) ſofort zu machen ſein würde,
deſſen zweifelhafte Puncte auch nur aus den natürlichen Verhält-
niſſen des diplomatiſchen Verkehrs zu erklären und zu reguliren ſind.
In der Natur der Sache iſt nun ein Mehreres nicht begrün-
det, als daß alle diplomatiſchen Perſonen, wenn ihre Function ge-
hörig beglaubigt und anerkannt iſt, ſogar in ihren eigenen perſön-
lichen Angelegenheiten mit einer beſonderen Rückſicht behandelt wer-
den müſſen, damit das ihnen aufgetragene Geſchäft nicht unter-
brochen oder beeinträchtigt wird. 1 In welcher Weiſe dergleichen
Störungen indeſſen zu entfernen ſeien, würde in Ermangelung con-
ventioneller Beſtimmungen von den Geſetzen und Anordnungen jeder
Staatsgewalt abhängen, in deren Bereich ſich jene Perſonen befin-
den; die allgemeine Regel des Völkerrechts widerſetzt ſich nur je-
dem Act der Staatsgewalt, es ſei in Juſtiz- oder Verwaltungs-
ſachen, womit die perſönliche Unverletzbarkeit eines fremden Abge-
ordneten und die Würde des von ihm vertretenen Staates nicht
zuſammen beſtehen könnte, ſo daß insbeſondere kein perſönliches
Zwangsverfahren gegen ihn angewendet werden darf. 2
Pflichtverhältniß der diplomatiſchen Perſonen im fremden Staate und Rechte
deſſelben gegen ſie.
206. Das Hauptmotiv, welches das Verhalten eines Abgeord-
neten in dem fremden Staate beſtimmen muß, iſt die Pflicht einer
treuen Vertretung aller Intereſſen des abſendenden Staates nach
22*
[340]Drittes Buch. §. 206.
den Zielen und in den Grenzen des empfangenen Auftrages, deſſen
Erklärung und Auffaſſung ſelbſt wieder nur durch die Sorge für
das Heil, die Würde und den Beſtand des vertretenen Staates
geleitet werden muß. Andererſeits iſt es die dem fremden Staate
und ſeinem Rechte gebührende Achtung, welche die zur Erreichung
des Zweckes dienlichen Mittel normiren muß. Der Abgeordnete
hat ſich daher ſtreng jeder Kränkung des auswärtigen Staates und
ſeiner Inſtitutionen zu enthalten, desgleichen aller Einmiſchung in
die Verwaltung mit Anmaßung von befehlender Gewalt und Form. 1
Er hat ſich lediglich auf Anträge und Verhandlungen zu beſchrän-
ken, ſo wie auf thatſächliche Behauptung ſeiner Stellung im Wege
der Vertheidigung. Ueberſchreitet er die Grenzen ſeiner Stellung, ſo
hat andererſeits die fremde Regierung das Recht, ihn auf dieſelben
zurückzuweiſen und überdies nach Bewandniß der Umſtände auf
eine Genugthuung bei dem abſendenden Souverän zu beſtehen; end-
lich auch bei wirklichen Angriffen und Verletzungen der Staatsord-
nung vertheidigungsweiſe, ja ſelbſt feindlich gegen ſeine Perſon zu
verfahren. 2 Sogar die Fiction der Exterritorialität kann hierge-
gen, wie man weiterhin ſehen wird, keinen Schutz gewähren; denn
das Hausrecht des fremden Staates gegen jede fremdartige Beein-
trächtigung bleibt dadurch unberührt.
Dagegen iſt Alles, was der Abgeordnete innerhalb der Gren-
zen ſeines vorgezeigten und beglaubigten Auftrages gethan hat,
auch für den abſendenden Staat verbindlich, deſſen Gutheißung
und Vollziehung von dieſem nicht verweigert werden kann, ausge-
nommen ſofern noch die rechtliche Möglichkeit einer Ratifications-
verweigerung gegeben iſt (§. 87.), oder ſofern ſich der Abgeord-
nete einer treuloſen Benutzung ſeiner Vollmachten ſchuldig gemacht
hat, oder ſofern die vorzulegende Vollmachtbeſchränkung von ihm
nicht vorgelegt worden iſt. Daß der eigene Dolus der fremden
Regierung bei der Verhandlung mit dem Abgeordneten ihr kein
Recht gegen den abſendenden Staat verſchaffen könne, verſteht ſich
von ſelbſt.
Die Summe der Pflichten im diplomatiſchen Verkehr iſt Treue
gegen den eigenen Staat, Redlichkeit gegen den fremden; nichts
alſo auch widerſprechender als ein Syſtem gegenſeitiger Beſtechung
[341]§. 207. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
der Staatenvertreter. Nicht einmal Geſchenke für vollendete Ver-
handlungen ſollen erlaubt oder gebräuchlich ſein, ſo wenig als im
übrigen Staatsdienſt. Auch die Ausſicht auf ein Geſchenk kann
blenden und das Gewiſſen für das Staatswohl einſchläfern. 1
Verhältniß zu dritten Staaten.
207. Alles Vorbemerkte leidet weſentlich nur Anwendung demjeni-
gen Staate gegenüber, an welchen die Miſſion erfolgt, nicht aber auch
gegen einen dritten Staat. Dieſer hat nur ſolche Rückſichten zu neh-
men, welche er überhaupt fremden Unterthanen und insbeſondere de-
nen des abſendenden Staates zu erweiſen ſchuldig iſt; auch kann ſei-
nen eigenen Rechten in anderer Beziehung nichts durch die fremde
Miſſion entzogen werden. Indeſſen gebietet das allgemeine In-
tereſſe an einem ungehinderten diplomatiſchen Verkehr und die jedem
anderen Staate ſchuldige Achtung, vornehmlich bei friedlichen und
freundſchaftlichen Verhältniſſen, von ſelbſt jedem dritten Staat, ſich
[342]Drittes Buch. §. 207.
einer unnöthigen Störung des fremden Durchgangverkehres ſchlech-
terdings zu enthalten, ja, das gleiche Intereſſe fordert, wie durch
ſtillſchweigende Convention, zur möglichſten Beförderung ſolchen Ver-
kehres auf. Gewiß aber exiſtirt kein Zugeſtändniß der Unverletzbar-
keit fremder Geſandten Seitens dritter Staaten, 1 vielmehr haben
dieſe in einzelnen Fällen ſtets den Grundſatz, daß ſie den Charac-
ter des fremden Abgeordneten nicht zu reſpectiren haben, ſobald ihr
eigenes Recht damit in Conflict kommt, behauptet. Man hat durch-
reiſende Geſandte einer fremden Macht, mit welcher man im Kriege
befindlich war, arretirt, 2 ferner den Perſonalarreſt wegen civilrecht-
licher Verbindlichkeiten verfügt. 3 Ebenſo wenig kann bezweifelt
werden, daß gegen einen Abgeordneten wegen Verbrechen, womit
er dem dritten Staate verhaftet iſt, eine Arretirung, Unterſuchung
und Beſtrafung [zuläſſig] ſei. Kein diplomatiſcher Agent darf ſich
endlich in die Angelegenheiten eines dritten Staates mit dem an-
deren miſchen, bei welchem er angeſtellt iſt, ſofern ihm dazu kein
Auftrag ertheilt iſt, widrigenfalls gegen ihn auf Zurechtweiſung bei
der abſendenden Regierung angetragen werden kann. 4 Geſchützt
bleibt dagegen die völkerrechtliche Perſon des Abgeordneten in dem
Staate, bei welchem er accreditirt iſt, ſelbſt wenn derſelbe in die
Hände einer dritten Gewalt geräth, ſofern er nur ſelbſt keine Feind-
ſeligkeiten wider letztere verübt hat; 5 desgleichen ſeine Correſpon-
denz auf neutralen Schiffen aus neutralem Lande nach dem Mutter-
lande. 6
[343]§. 208. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
I. Arten und Rechtsverhältniſſe der characteriſirten Geſandten.
208. Obgleich an und für ſich kein innerer Unterſchied unter
den Abgeſandten der Staatsgewalten als weſentlich hervortritt, ſo
hat doch das Cerimoniell der Höfe und die gemeinſame Staaten-
praxis eine gewiſſe Claſſification mit beſtimmten Rechtsverſchieden-
heiten hervorgebracht.
Die erſte Claſſe bilden:
die päpſtlichen Legaten a oder de latere1und Nuntien,
desgleichen
die Ambaſſadeurs 2oder Botſchafter der weltlichen Mächte.
Die zweite Claſſe:
alle mit dem Titel eines Internuntius, Geſandten oder Mi-
niſters oder bevollmächtigten Miniſters bei fremden Souve-
ränen beglaubigten Diplomaten.
Die dritte Claſſe:
die bloßen Geſchäftsträger, welche nur bei den Miniſterien
der auswärtigen Angelegenheiten beglaubigt ſind, und zwar
ohne Unterſchied ob ihnen noch der Titel eines Miniſters
gegeben iſt oder nicht. Eben dahin würden auch die mit
diplomatiſchen Functionen beauftragten Conſuln zu rechnen
ſein, wogegen die mit dem Titel eines Miniſter-Reſidenten
bei fremden Höfen Angeſtellten eine Mittelclaſſe zwiſchen der
zweiten und dritten ausmachen ſollen.3
[344]Drittes Buch. §. 208.
Der älteren Praxis waren dieſe Unterſcheidungen fremd; man
kannte nur Botſchafter (Ambassadeurs) und Agenten. Allmälig
wurden dann aber bei einzelnen Höfen die übrigen Titel und Qua-
lificationen mehr oder weniger üblich. In Anſehung der geſandt-
ſchaftlichen Geſchäfte ſelbſt, der Fähigkeit dazu und ihrer Giltig-
keit, iſt der ganze Rangunterſchied völlig ohne Einfluß. Nur die
3
[345]§. 209. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Fähigkeit der perſönlichen Vertretung wird den Botſchaftern im
höchſten Grade oder vorzugsweiſe beigelegt. 1
Modalitäten der Ernennungen.
209. Die Wahl der Perſon des Geſandten hängt lediglich von
dem Willen des Abſenders ab. Weder Geſchlecht, 2 noch Geburt
oder Rang begründen an ſich ein Hinderniß. Rathſam iſt nur
eine dem auswärtigen Souverän angenehme Perſon zu wählen, da
derſelbe, wie ſchon bemerkt (§. 197.), in keinem Falle verpflichtet
ſein kann, eine ihm unangenehme Perſon perſönlich zu empfangen
oder eine ſpecielle Unterhandlung mit ihr beginnen zu laſſen. Nach
Beſchaffenheit der Größe und des Characters der Miſſion können
auch mehrere Geſandte zugleich für denſelben Zweck abgeordnet wer-
den, es ſei nun mit gleichem Recht und Rang oder mit ungleichem,
wie die Vollmacht näher zu beſtimmen hat. Ein Geſandter kann
ferner bei mehreren Höfen zugleich oder auch von mehreren Höfen
bei einem anderen accreditirt werden.
Zu welcher Rangclaſſe die Geſandten gehören ſollen, hängt eben-
falls von dem Willen des Senders ab. Indeſſen beſteht hierbei
die Maxime
- a. Man ſchickt einander meiſt nur Geſandte derjenigen Claſſe
zu, welche man auch von dem anderen Theile zu empfangen
gewöhnt iſt. Kleinere Mächte richten ſich hierbei nach ihren
Mitteln. - b. Mächte mit königlichen Ehren ſenden an Souveräne von ge-
ringerem Range niemals Geſandte erſter Claſſe und empfan-
gen dergleichen auch nicht von ihnen.
Schwerlich kann man indeſſen beweiſen, daß das Recht Bot-
ſchafter zu ernennen nur ein Königliches Recht ſei. 3 Gewiß
iſt es ſchon öfter von geringeren Souveränen geübt worden.
Ja, iſt es wahr, daß Botſchafter die eigentlichen Vertreter der
Perſon des Souveräns ſind, ſo muß ſogar, wenn es auf eine
ſolche perſönliche Vertretung ankömmt, z. B. in Vermählungsan-
[346]Drittes Buch. §. 210.
gelegenheiten, jederzeit ein Geſandter erſter Claſſe abgeordnet werden,
und ſelbſt dem geringſten Souverän dürfte demnach dieſelbe Be-
fugniß nicht verſagt werden. Indeſſen trifft man ſchon der Koſten
wegen hierbei gern eine andere Auskunft.
Beglaubigung und Sicherſtellung des geſandtſchaftlichen Characters.
210. Der öffentliche Character eines Geſandten beginnt in An-
ſehung des von ihm repräſentirten Staates mit ſeiner Ernennung.
Er erhält vom Letzteren ſeine Inſtructionen, aus welchen das
Maaß ſeiner Verantwortlichkeit gegen den eigenen Staat beſtimmt
wird. 1 Zur Beglaubigung ſeiner Qualität bei der auswärtigen
Staatsgewalt hingegen empfängt er, wenn ihm beſtimmte Geſchäfte
oder Verhandlungen aufgetragen ſind, eine ſchriftliche förmliche
Vollmacht, 2 welche den Zweck ſo wie die Grenzen des Auf-
trags bezeichnet und die Grundlage der Giltigkeit aller Handlun-
gen des Vertreters, ungehindert durch den Inhalt der Inſtructio-
nen bildet, wenn nicht auch dieſe zur Erklärung der Vollmacht mit-
getheilt worden ſind; ſodann regelmäßig oder auch ganz allein, vor-
züglich bei allgemeinen dauernden Miſſionen, ein eigenes Beglau-
bigungsſchreiben (lettre de créance), wodurch der abſendende
Souverän dem auswärtigen die Miſſion ſeines Abgeordneten im
Allgemeinen bekannt macht und ihn den Erklärungen deſſelben Gehör
zu ſchenken erſucht. Geſandte dritter Claſſe werden auch wohl nur
durch den Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten bei dem aus-
wärtigen Amt im fremden Staat beglaubigt.
Der völkerrechtliche Repräſentativcharacter mit den davon ab-
hängigen Rechten beginnt demnächſt für den fremden Staat erſt
nach erhaltener officieller Kenntniß von der Miſſion und Perſon
des Abgeordneten. Einer ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden An-
nahme bedarf es jedoch nicht; der beglaubigte Abgeordnete ſteht
nichtsdeſtoweniger unter dem Schutz des Völkerrechts ſelbſt im
[347]§. 211. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
feindlichen Gebiete, ſo lange nicht ſeine Zurückweiſung deutlich er-
klärt, und die ihm erforderliche Zeit, um den fremden Staat wie-
der zu verlaſſen, verſtrichen iſt. Ausfertigung und Zuſtellung von
Päſſen iſt nur das gewöhnliche Zeichen der Genehmigung von Sei-
ten der auswärtigen Staatsgewalt und die officielle Legitimation
gegen die Behörden ihres Landes; eine Sicherſtellung des völker-
rechtlichen Characters. Die cerimoniellen Befugniſſe und Vorrechte
können natürlicher Weiſe nicht eher in Kraft treten, als bis der
fremde Staat nach erhaltener Kenntniß von der Miſſion dieſerhalb
die nöthigen Verfügungen zu treffen vermocht und der Abgeordnete
ſelbſt dasjenige beobachtet hat, was zu ſeinem Auftreten bei der
fremden Staatsgewalt erforderlich iſt; in Beziehung auf die Aeu-
ßerlichkeiten des Hoflebens alſo vorzüglich erſt nach geſchehener
Vorſtellung. 1 Erfolgt eine Veränderung in der amtlichen Stel-
lung eines Geſandten, namentlich eine Beförderung in eine höhere
Rangclaſſe, ſo wird auch hierüber eine neue Beglaubigung ausge-
fertigt und hinſichtlich derſelben dasjenige beobachtet, was bei dem
erſten Auftreten in der neuen Eigenſchaft in cerimonieller Weiſe er-
forderlich geweſen ſein würde.
Rechte der geſandtſchaftlichen Perſonen überhaupt.
211. Schon längſt iſt es an den Höfen und bei den mit ih-
nen wetteifernden Republiken üblich geworden, ihren Geſandten,
welche ſie mit herkömmlichen Titeln und gehörigen Beglaubigungen
abſchicken, gewiſſe Rechte beizulegen, zu vindiciren und gegenſeitig
zuzugeſtehen, welche weit über den nothwendigen Bedarf hinausge-
hen. Dieſelben erſcheinen
- theils als herkömmliche Auffaſſung und Ausdehnung der je-
dem Abgeordneten an fremde Staaten gebührenden Unver-
letzbarkeit und Selbſtändigkeit, welche beide zu einem voll-
[348]Drittes Buch. §. 212.
ſtändigen Exterritorialitätsverhältniß 1 in dem oben §. 42.
dargeſtellten Umfang ausgebildet worden ſind; - theils als ganz für ſich beſtehende Befugniſſe und Ehrenbezei-
gungen, welche der Würde eines fremden Staatsvertreters
(ſeinem ſ. g. cerimonialen Character) in ſtillſchweigender
conventioneller Weiſe zugeſtanden werden.
Ein allgemein und ausdrücklich als verpflichtend anerkanntes Ge-
ſetz giebt es weder in der einen noch anderen Beziehung. 2 Nur
in einzelnen Stücken läßt ſich ein feſtes, auf die Meinung der Noth-
wendigkeit geſtütztes Herkommen oder eine Obſervanz unter gewiſ-
ſen Staaten darthun.
Rechte der Geſandten zufolge der Exterritorialitätsfiction.
212. Was zunächſt die Unverletzbarkeit anbetrifft, ſo be-
ſchränkt ſich dieſe nicht bloß auf die Perſon des Geſandten und
ſeines Gefolges unmittelbar, ſondern erſtreckt ſich noch überdies
auf diejenigen Sachen, welche mit ſeiner Perſon und ſeiner Würde
im nächſten Zuſammenhange ſtehen; insbeſondere
- auf das geſandtſchaftliche Wohnhaus, ſoweit es von dem Ab-
geordneten wirklich für ſich und die Seinigen in Beſchlag
genommen iſt; 3 - auf das Mobiliar welches zur Garnirung dieſer Wohnung
dient;
endlich
- auf die Equipage der Geſandtſchaft. 4
Alle dieſe Sachen gelten als befriedet; weder die auswärtige Staats-
gewalt ſelbſt, noch auch ihre Unterthanen dürfen ſich daran di-
rect vergreifen ohne ſich einer Verletzung des Völkerrechts ſchuldig
[449[349]]§. 212. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
machen; 1 jedoch können auch andererſeits dieſe Sachen nicht dazu
dienen, um Acte der auswärtigen Staatsgewalt, welche ihnen ge-
gen dritte Perſonen zuſtändig ſind, zu vereiteln; insbeſondere iſt,
wie gegenwärtig wohl außer Zweifel ſteht, kein Aſylrecht damit ver-
bunden, obgleich es zuweilen in Anſpruch genommen worden iſt. 2
Ereignet ſich demnach, daß ein Verfolgter ſeine Zuflucht in die ge-
ſandtſchaftliche Wohnung oder Caroſſe nimmt: ſo muß unbedingt
die Auslieferung erfolgen; nur bringt es die Achtung gegen den
Geſandten und deſſen Staat mit ſich, daß die Auslieferung auf
eine ſo wenig als möglich auffällige oder für den Geſandten ver-
letzende Weiſe verlangt werde. Dieſes kann jedoch nicht hindern ſo-
fortige Sicherungsmaaßregeln zu treffen, daß der Flüchtige durch
den hiermit entſtehenden Aufenthalt ſich nicht der Verfolgung ent-
ziehe; auch kann im Falle verweigerter Auslieferung die fremde Re-
gierung ſich unbedenklich ſeiner Perſon ſogar wider den Willen des
Geſandten bemächtigen und hierzu in das Hotel deſſelben eindrin-
gen, immer jedoch unter der Bedingung, jeder thatſächlicher Ver-
letzung ſeiner Perſon und der mit ihm befriedeten Sachen ſich zu
enthalten. 3 Außer dieſem Falle iſt gewiß jedes Eindringen und
Durchſuchen des Hotels etwas Unerlaubtes, ſogar wenn der Ver-
dacht obwaltete, daß daſſelbe zum Schutz eines Verbrechers oder
zur Verhelung der Spuren eines Verbrechens benutzt werde. In-
zwiſchen muß auch hierüber der Geſandte auf Befragen Auskunft
ertheilen; würde die Antwort verweigert oder in ungenügender
Weiſe gegeben, ſo würde die Staatsregierung nicht verhindert ſein
die Durchſuchung dennoch vorzunehmen; ohne alle Frage dann,
[350]Drittes Buch. §. 213.
wenn ſie Grund zu dem Verdacht hätte, daß das Hotel zu einer
feindlichen Unternehmung gegen ſie dienen ſolle.
In dieſen einfachen Grenzen beſteht die ſogenannte Quartier-
freiheit der Geſandten (la franchise de l’hôtel, jus franchisiae
sive franchisiarum); wenn man ſie in älterer Zeit an einigen Or-
ten auf das ganze Stadtquartier des Hotels ausgedehnt und dem-
ſelben dadurch einen gewiſſen Character von Exterritorialität gege-
ben hat, ſo beruht dies lediglich nur auf einzelnen Conceſſionen,
die jedoch in neuerer Zeit meiſtens oder gänzlich zurückgenommen
ſind. 1 Ebenſo unbefugt, ohne Vergünſtigung des auswärtigen
Staates, iſt die Ertheilung von Schutzbriefen für einzelne Perſonen,
welche ein Geſandter unter ſeine Aegide zu nehmen beabſichtigen
könnte. 2
In Betreff dritter Staaten gilt das Obige (§. 204.); auch
characteriſirte Geſandte können ſich hier nicht auf Unverletzbarkeit
berufen, wie die a. a. O. bemerkten Beiſpiele darthun.
213. Dieſelbe Unverletzbarkeit und Unabhängigkeit, welche einem
Geſandten der fremden Staatsregierung gegenüber zuſteht, gewährt
ihm auch das Recht einer eigenen freien Religionsübung, ſogar
einer ſolchen, welche nach den auswärtigen Staatsgeſetzen verboten
ſein ſollte. 3 Allerdings verſteht ſich jedoch dieſelbe nur innerhalb
der Grenzen einer ſogenannten Hausandacht, mithin nur innerhalb
des geſandtſchaftlichen Hotels, ohne alles öffentliche Gepränge, na-
mentlich ohne Gebrauch von Glocken und Orgeln und ohne äu-
ßerlich nach der Straße hin ſichtbare Zeichen einer beſonderen Cul-
tuseinrichtung, z. B. ohne die Geſtalt von Kirchenfenſtern, wenn
nicht in dieſer Hinſicht die auswärtige Staatsregierung eine beſon-
dere Conceſſion macht. Im Uebrigen gehört es zu den ausge-
machten Befugniſſen der Geſandten erſter und zweiter Claſſe ſowie
auch der Miniſterreſidenten, eine eigene Capelle in ihrem Quartier
[351]§. 214. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
und für den Gottesdienſt einen eigenen Geiſtlichen ihrer Confeſſion
zu haben, wenigſtens dann, wenn ſich am nämlichen Orte keine
vollſtändige Kircheneinrichtung für dieſelbe befinden ſollte. Ein
ſolcher Geiſtlicher kann aber nicht von dem Geſandten ſelbſt, ſon-
dern nur von ſeiner Regierung oder mit deren Erlaubniß ange-
nommen werden; iſt dieſes geſchehen, ſo würde ihm auch die Aus-
übung von Parochialhandlungen mit bürgerlicher Giltigkeit inner-
halb des geſandtſchaftlichen Hotels nicht abzuſprechen, und er als
der eigentlich competente Pfarrer — falls er nur die hierzu erfor-
derlichen kirchlichen Eigenſchaften beſitzt — in Beziehung auf das
geſandtſchaftliche Perſonal zu betrachten ſein. 1 In keiner Weiſe
darf ein ſolcher Geiſtlicher öffentlich mit den Zeichen ſeines Stan-
des erſcheinen und ebenſo wenig ſonſtigen Perſonen die Theilnahme
an dem geſandtſchaftlichen Gottesdienſt geſtattet werden, oder die
Aufnahme von Proſelyten aus einer anderen Religionspartei, es
ſei denn unter Zulaſſung oder Connivenz der auswärtigen Staats-
regierung.
Das Recht eines ſolchen particulären Cultus dauert ſo lange,
als der Geſandte ſeine geſandtſchaftliche Qualität beibehält, ſollte er
auch eine Zeitlang von ſeinem Poſten abweſend ſein, zu Gunſten
der Seinigen. 2 Es muß jedoch eingeſtellt werden bei einer wirk-
lichen Suspenſion des geſandtſchaftlichen Characters und mit die-
ſem ſelbſt völlig aufhören.
auswärtigen Staates.
214. Völlig außer Zweifel ſteht in der heutigen Staatenpraxis,
daß keine geſandtſchaftliche Perſon ſelbſt nicht wegen verübter Ver-
gehen oder Verbrechen der Strafgerichtsbarkeit des auswärtigen
Staates unterworfen iſt, wiewohl dieſes in früheren Jahrhunder-
ten bedenklich gefunden und beſtritten worden iſt. 3 Die Praxis
[352]Drittes Buch. §. 214.
ſelbſt bietet ſchon aus den letzten drei Jahrhunderten kein Beiſpiel
des Gegentheils dar. Ebenſo ausgemacht iſt aber auch auf der
anderen Seite, daß der geſandtſchaftliche Character nicht etwa das
Privilegium giebt, ungehindert ſelbſt die unerlaubteſten oder ſchänd-
lichſten Handlungen zu begehen, vielmehr ſteht nicht allein dem mit
einem Angriffe bedrohten Privatmanne das Recht der Vertheidi-
gung, und der Polizei des auswärtigen Staates das Recht einer
thatſächlichen Intervention gegen beabſichtigte Unordnungen oder
Verbrechen zu, ſondern es können auch, wenn dergleichen ſchon be-
gangen ſind, unbedenklich alle Maaßregeln ergriffen werden, welche
die Intereſſen des verletzten Staates gegen weitere Beeinträchtigun-
gen ſichern und das Aergerniß entfernen, was durch das Verhal-
ten des fremden Geſandten gegeben worden iſt, ohne dabei die
Würde des fremden Staates ſelbſt zu beeinträchtigen, folglich mit
größeſter Schonung.
Zu dieſen Maaßregeln, welche allerdings nur von der höchſten
Staatsgewalt, nicht aber von untergeordneten Behörden ausgehen
können, 1 gehört:
- a. in geringeren Fällen eine vertrauliche Warnung des Geſand-
ten oder eine Beſchwerde bei ſeinem Souverän; - b. in ſchwereren Fällen die Beantragung ſeiner Zurückberufung
und Beſtrafung bei dem abſendenden Souverän; in der Zwi-
ſchenzeit Beaufſichtigung der Perſon des Geſandten, oder
auch Statt deſſen, und wenn der beantragten Zurückberu-
fung keine Folge gegeben werden ſollte, Wegſchaffung des
Geſandten über die Grenze;
endlich
- c. im ſchlimmſten Falle, wenn der Geſandte ſich in eine offene
Conſpiration oder Kriegsunternehmung gegen die auswärtige
Regierung eingelaſſen haben ſollte, eine gleichfalls unmittel-
bar feindſelige Behandlung deſſelben, namentlich Gefangen-
nehmung und etwanige körperliche Retention bis zu erlang-
ter Genugthuung oder erfolgter Vertheidigung. 2
[353]§. 215. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Steht ein Geſandter auch noch in einem dauernden Unterthans-
oder Dienſtverhältniß zu dem Staate, bei welchem er als Geſand-
ter einer anderen Macht accreditirt iſt, ſo kann jenem das Recht
der Beſtrafung durch das geſandtſchaftliche Verhältniß ſchwerlich
entzogen ſein. 1 Gewiß aber wird zuvor das Intereſſe des aus-
wärtigen Staates durch genommene Rückſprache mit demſelben vor
weiterem gerichtlichen Einſchreiten ſicher zu ſtellen ſein.
215. Nachdem ſich einmal die Fiction einer Exterritorialität
der Geſandten aufgethan hatte, konnte nun ihre Exemtion von der
bürgerlichen Gerichtsbarkeit in dem bereits §. 42. No. VII. dar-
gelegten Umfang nicht ausbleiben. Zwar ſind die Meinungen hier-
über ſtets getheilter geweſen, als in Betreff der Strafgerichtsbar-
keit; 2 es würde auch, wie wir noch an einer anderen Stelle (§.
202.) bemerkt haben, eine gaͤnzliche Exemtion in allen bürgerlichen
Streitſachen ohne Unterſchied aus der Natur der geſandtſchaftlichen
Miſſion nicht zu rechtfertigen ſein; indeſſen giebt es, ſo viel uns
bekannt, zur Zeit kein Land, in welchem noch andere Ausnahmen
von der Exemtion der Geſandten ſtatuirt würden, als die mit der
Exterritorialität an ſich verträglichen; 3 ſo daß für jetzt jeder Streit
unerheblich oder niedergeſchlagen ſein dürfte. Aus dem theoretiſchen
Standpuncte laſſen ſich allerdings Bedenken erheben, ob dieſe all-
ſeitige Staatenpraxis nur auf einer precären Convenienz oder auf
einer Ueberzeugung von der inneren Nothwendigkeit des Principes
beruht; ob nicht alſo jeder Staat von der bisherigen Obſervanz
2
23
[354]Drittes Buch. §. 216.
ohne Rechtsverletzung gegen die übrigen wieder abgehen dürfe. 1
Geſetzt es wäre zu bejahen, ſo würde ſich die bürgerliche Gerichts-
barkeit wider einen fremden Geſandten immerhin doch in denjeni-
gen Grenzen halten müſſen, innerhalb deren ſie gegen einen nicht
anweſenden Ausländer ausgeübt werden darf; niemals aber zu kör-
perlichen Zwangsmaaßregeln gegen die Perſon des Geſandten und
auf die mit ihm befriedeten Sachen erſtreckt werden können.
Was von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit gilt, leidet im We-
ſentlichen auch auf die polizeiliche Gerichtsbarkeit Anwendung. Zwar
kann ſich ein Geſandter der Beobachtung der polizeilichen Anord-
nungen in Betreff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in und
außer ſeinem Hotel nicht entheben; jedoch kann er im Falle der
Contravention nicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr
leidet hier nur der Weg Anwendung, welcher im vorhergehenden
Paragraphen in Anſehung leichter Vergehungen als der geeignete
bezeichnet worden iſt.
216. Aus der iſolirten Stellung der Geſandten im Auslande,
aus der Fiction der Exterritorialität in Betreff ihrer und ihrer An-
gehörigen, endlich aus der Vorſtellung, daß die Geſandten, wenig-
ſtens die der erſten Claſſe, die perſönlichen Vertreter des Souve-
räns ſeien, konnte leicht die Anſicht entſtehen, daß denſelben eine eigne
Gerichtsbarkeit innerhalb des exterritorialen Bereichs ihrer Miſſion
gebühre; 2 und es fehlt auch nicht an geſchichtlichen Beiſpielen, daß
ſogar die Ausübung der höchſten Strafgerichtsbarkeit, nämlich ei-
nes Blutgerichts, in einzelnen Fällen verſucht oder behauptet wor-
den iſt, 3 wie man ſie in der älteren Zeit jedem Souverän als
über die Seinigen nach eigenem Ermeſſen zuſtändig vindiciren wollte;
um wieviel mehr alſo die bürgerliche Gerichtsbarkeit. Dieſe Anſicht
hat ſich indeſſen nie zu einer wirklichen Praxis erhoben. Auf alle
Fälle würde es dazu einer ausdrücklichen Delegation der Gerichts-
[355]§. 216. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
barkeit von Seiten des abſendenden Souveräns bedurft haben und
noch bedürfen; die Verhängung von Criminalſtrafen aber würde ei-
nem Botſchafter in ſeinem Hotel ebenſowenig von dem auswärtigen
Staate, worin er ſich befindet, nachgeſehen werden, als man jene
einem fremden Souverän ſelbſt geſtatten würde. Nur in den mu-
ſelmänniſchen Staaten des Orients iſt meiſtens den europäiſchen
Abgeordneten eine umfaſſende Gerichtsbarkeit, beſonders in Straf-
ſachen „gemäß den Gebräuchen der Franken“ bewilligt, ſo wie man
den muſelmänniſchen Geſandten an europäiſchen Höfen eine unbe-
ſchränkte Gerichtsbarkeit über ihre Leute geſtattet oder nachgeſehen
hat. 1 Unter den europäiſchen Mächten ſelbſt hingegen iſt ſie nur
auf eine ſehr untergeordnete Thätigkeit beſchränkt und dem vater-
ländiſchen Staate die volle Gerichtsbarkeit vorbehalten.
Jene Thätigkeit beſteht nun
- a. in Criminalfällen, woran ſich ein Angehöriger der Geſandt-
ſchaft betheiligt, in der Feſtnahme des Verdächtigen oder
Nachſuchung ſeiner Auslieferung; in der Conſtatirung des
Thatbeſtandes, ſoweit ſie in der geſandtſchaftlichen Localität
möglich iſt, eventuell in desfallſigen Requiſitionen an die
auswärtigen Behörden, ſodann in der Vernehmung der zur
Geſandtſchaft gehörigen Zeugen, hiernächſt in der Ablieferung
an die Behörden der Heimath zur weiteren Verfügung; über-
haupt alſo in dem ſ. g. Recht des erſten Angriffs und wei-
terhin in der Ausführung der Requiſitionen der heimathlichen
Gerichte. Zur Auslieferung an die Gerichte des fremden
Staates iſt dagegen kein Geſandter vermöge eigener Aucto-
rität berechtigt, ſchon wegen des obigen Princips (§. 63. V.); - b. in der Ausübung einer freiwilligen Gerichtsbarkeit zu Gun-
ſten der Angehörigen der Geſandtſchaft; namentlich alſo in
Aufnahme und Legaliſirung von Teſtamenten, Beglaubigung
von Contracten, Siegelanlegungen und dgl. Soll dieſe Ge-
richtsbarkeit auch noch von anderen Staatsgenoſſen des ab-
ſendenden Staates benutzt werden dürfen, ſo gehört dazu ohne
Zweifel ein beſonderer Auftrag; der fremde Staat würde ſie
überdies in den ihn betreffenden Angelegenheiten nicht anzu-
erkennen haben. —
Das Recht einer Privatgerichtsbarkeit iſt den Geſandten an euro-
23*
[356]Drittes Buch. §. 217.
päiſchen chriſtlichen Höfen ſelbſt für die Perſon ihres Gefolges,
ſo viel bekannt, nirgends eingeräumt, ſondern ſie vollziehen hier
nur etwanige Requiſitionen, insbeſondere Zeugenverhöre, und zwar
Alles dieſes nach den Geſetzen ihres Heimathsſtaates.
Daß jeder Geſandter in Betreff ſeiner Hausgenoſſen, welche
nicht beigeordnete Beamte ſind, wenigſtens das Recht einer mäßi-
gen Züchtigung oder eine ſ. g. Correctionalgerichtsbarkeit habe, iſt
zwar in älterer Zeit oft als Regel behauptet worden, allein nach
den jetzigen Staatseinrichtungen entweder überhaupt nicht oder doch
nur ſehr ausnahmsweiſe zuzugeben. 1
Beſondere Immunitäten der Geſandten.
217. Zu allen bisherigen Privilegien haben ſich ohne Zweifel
durch Ausdehnung des Exterritorialitätsbegriffs und durch Rück-
ſichten der Hospitalität auch noch manche andere Befreiungen, ins-
beſondere eine allgemeine Abgabenfreiheit geſellt, worin jedoch eine
innere Nothwendigkeit oder Conſequenz des geſandtſchaftlichen Cha-
racters nicht erkannt zu werden vermag. Zwar eine Befreiung von
allen regelmäßigen perſönlichen Staatslaſten folgt ſchon aus der
gewöhnlich dem Geſandten anklebenden Eigenſchaft eines Auslän-
ders; allein ſie wird auch noch auf indirecte Abgaben ausgedehnt,
ſo daß die Artikel für den Bedarf der Geſandtſchaft zollfrei aus
dem Auslande von den Geſandtſchaften bezogen werden können.
Inzwiſchen hat man in neuerer Zeit von Seiten der Regierungen
gewiſſe Grenzen geſetzt, da eine Verbindlichkeit zur Bewilligung der-
artiger Privilegien durchaus nicht vorhanden iſt. Ein Geſandter
kann ſich ſogar nicht einmal der zur Sicherſtellung des Abgaben-
intereſſe nothwendigen Durchſuchungen entziehen, wenn nur ſein
Hotel und ſein Staatswagen unberührt bleibt, und er die Verſiche-
rung giebt, daß ſich keine Contrebande darin befindet.
In keinem Falle erſtreckt ſich die Abgabenfreiheit der Geſandten
- a. auf dingliche Laſten, welche auf den dem Geſandten zugehö-
rigen Grundſtücken haften; - b. auf perſönliche Laſten für die Ausübung ſtaatsbürgerlicher
Befugniſſe, welche mit dem geſandtſchaftlichen Character nichts
gemein haben; z. B. auf Abgaben für die Ausübung eines
gewiſſen Handels;
[357]§. 218. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
- c. auf diejenigen Abgaben, welche insgemein für die Benutzung
gewiſſer Vortheile entrichtet werden müſſen; z. B. Chauſſee-
und Straßengelder, wofern nicht auch hierin eine gewiſſe Li-
beralität und Höflichkeit beobachtet wird.
Im Allgemeinen kann daher von einem feſtſtehenden völkerrechtli-
chen Privilegium hinſichts dieſes Punctes keine Rede ſein. 1
Cerimonialverhältniſſe der Geſandten.
218. Zu den ſogenannten Cerimonialrechten der Geſandten ge-
hört vor allen Dingen eine ihrer Stellung entſprechende Aufnahme
in dem fremden Staate. Wie jene eingerichtet werden ſolle, hängt
an ſich von dem Ermeſſen des letzteren ab. Der Geſandte kann
nur verlangen und erwarten, in keiner irgendwie herabſetzenden Weiſe,
ſondern mit Rückſicht auf den Rang ſeines Staates und auf die
Categorie des ihm beigelegten Geſandtſchaftscharacters, ohne Nach-
ſtellung gegen Andere von gleicher Categorie, aufgenommen zu wer-
den. Er ſelbſt muß auch dazu die Veranlaſſung geben, indem er
ſich vorerſt bei dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten mel-
det und ihn erſucht, die weiteren Veranſtaltungen zu ſeiner Auf-
nahme bei dem Souverän zu treffen, namentlich zur Uebergabe ſei-
ner Creditive, ſofern dieſe an den Souverän ſelbſt gerichtet ſind.
Ob nun die Einführung und Audienz bei dem letzteren eine beſon-
ders feierliche (ſogenannte öffentliche) oder private ſein ſoll; mit
welchen Förmlichkeiten ſie begleitet und beendigt werden ſoll; 2
alles dieſes hängt von dem ſpeciellen Staats- oder Hofſtyl, ſowie
von der Entſchließung des fremden Souveräns ab, ſofern nur nicht
dem angegebenen allgemeinen Princip entgegen gehandelt wird. Die
dabei vorkommenden Förmlichkeiten ſind aber im weſentlichen kein
Gegenſtand des Völkerrechts.
Lediglich ein Gegenſtand der politiſchen Convenienz ſind dem-
nächſt auch die von den Geſandten abzuſtattenden fernerweiten
Beſuche, wiewohl man auch hier von Rechten geſprochen und ſel-
bige geltend zu machen geſucht hat.
[358]Drittes Buch. §. 219.
Reine Convenienzbeſuche, die freilich kaum unterlaſſen werden
dürfen, ſind vorab die Beſuche oder Vorſtellungen bei den Mitglie-
dern der ſouveränen Familie in monarchiſchen Staaten; ſodann
bei dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und bei den
Mitgliedern des diplomatiſchen Corps. In der letzteren Beziehung
iſt ſogar von einem Recht des erſten Beſuches die Rede; Geſandte
erſter Claſſe haben einen ſolchen gewöhnlich von dem Miniſter der
auswärtigen Angelegenheiten, gewiß auch von den bereits anwe-
ſenden Gliedern des diplomatiſchen Corps verlangt; dennoch aber
beruht hier alles auf bloßer Höflichkeit; ein Forderungsrecht iſt
in keiner Weiſe begründet. 1
Specielle Rangrechte.
219. Die Aengſtlichkeit, womit die Regierungen vormals ihre
Würde zu bewachen ſuchten, führte auch zu einer ängſtlichen Be-
obachtung der Rangverhältniſſe unter den diplomatiſchen Vertretern.
Die größere Geſchmeidigkeit der jetzigen Zeit und Sitte macht es
möglich ſie auf folgende Sätze zu beſchränken:
- I. unter Geſandten derſelben Macht entſcheidet über den Vor-
rang die Vorſchrift des eigenen Souveraͤns und ſtillſchwei-
gend die Ordnung in dem gemeinſchaftlichen Creditiv; - II. unter Geſandten verſchiedener Mächte entſcheidet zunächſt die
höhere Claſſe ohne Rückſicht auf den Rang der Souveräne; - III. unter Geſandten derſelben Claſſe entſchied ſonſt der Rang des
abſendenden Souveräns oder das Verhältniß des fremden
Souveräns zu den einzelnen auswärtigen Regierungen. Das
Wiener Rangreglement der acht europäiſchen Mächte läßt
das Datum der amtlichen Bekanntmachung der Ankunft un-
ter den Mitgliedern derſelben Claſſe entſcheiden, vorbehaltlich
des Vorzuges, welchen wenigſtens katholiſche Mächte über-
einſtimmend den päpſtlichen Geſandten derſelben Claſſe ein-
räumen. Weder verwandſchaftliche noch ſonſtige Familien-
verhältniſſe ſollen außerdem in Betracht kommen, ſo wenig
als die Benennung eines außerordentlichen Botſchafters, Ge-
ſandten und dergl. vor den ſogenannten ordentlichen einen
Vorzug zu geben vermag; - IV. im eigenen Hauſe und als Wirth giebt man einem Geſand-
[359]§. 220. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
ten gleicher Claſſe jederzeit den Vorrang. Nur Geſandte er-
ſter Claſſe enthalten ſich daſſelbe in Betreff der übrigen Claſ-
ſen zu thun.
Beſondere Vorrechte der Geſandten erſter Claſſe.
220. Specielle Ehrenrechte hat man in der neueren europäi-
ſchen Staatspraxis allezeit den Geſandten erſter Claſſe zugeſtan-
den, indem man ihnen vorzugsweiſe eine Repräſentation der Perſon
ihrer Souveräne zuſchrieb. Kraft derſelben haben ſie an dem frem-
den Hofe wohl gar den unmittelbaren Rang nach den Prinzen von
kaiſerlichem oder königlichem Geblüt verlangt, desgleichen vor den
regierenden Häuptern ſelbſt, falls ihr eigener Souverän denſelben
vorgehen würde. Dieſer Anſpruch iſt ohne zureichenden Grund,
da, wie ſchon bemerkt ward, die ſ. g. rein perſönliche Repräſentation
der Geſandten erſter Claſſe eine bloße Fiction ohne innere Wahr-
heit iſt. Der Vertreter einer Perſon iſt niemals die phyſiſche Perſon
ſelbſt; ebenſo wenig kann ein Souverän ſich vervielfältigen und
das was an ſeiner Perſon ausſchließlich haftet, ſelbſt noch anderen
mittheilen. 1 Auch der Geſandte erſter Claſſe iſt daher im frem-
den Staate nichts als ein fremder Unterthan erſten Ranges, anderen
Unterthanen ſelbſt nur als Organ ſeines Staates voranſtehend, da-
durch aber nicht berechtigt, den eigenen höchſten Organen der frem-
den Staatsgewalt vorzugehen.
Anerkannte Vorrechte der Geſandten erſter Claſſe ſind indeß:
- a. der Titel: „Excellenz“, deſſen ſich nur der auswärtige Sou-
verän ſelbſt nicht zu bedienen braucht; - b. das Recht eines Thronhimmels in ihrem Empfangſaal;
- c. das Recht ſich in Gegenwart des fremden Souveräns zu
bedecken, nachdem dieſer ſelbſt damit vorangegangen iſt; 2 - d. das Recht mit ſechs Pferden und mit Staatsquaſten zu fah-
ren; ſonſt auch gewöhnlich - e. ein beſonders feierlicher Empfang. 3
Daß man den päpſtlichen Legaten und Nuntien, wenigſtens an ka-
tholiſchen Höfen, den Vorrang vor weltlichen Geſandten erſter Claſſe
[360]Drittes Buch. §. 221.
einräumt, iſt nach der Stellung der Kirche erklärlich; 1 dagegen
iſt es nicht gelungen den Cardinallegaten denjenigen Rang zu ver-
ſchaffen, welchen das Cerimonill des römiſchen Hofes, namentlich
ſeit Sixtus V, ihnen beſtimmt hatte. 2
Familie und Gefolge der Geſandten.
221. Unter die Perſonen, welche zu der Umgebung eines Ge-
ſandten gehören und dadurch ebenfalls beſtimmter Rechte und Pri-
vilegien, insbeſondere der perſönlichen Unverletzbarkeit und Exterri-
torialität mittheilhaftig werden, gehören vorzüglich:
- a. Die Gemahlinnen der Geſandten, während ihres Aufenthaltes
im fremden Staate.
Eigenthümliche Cerimonialrechte ſind ihnen im Allgemeinen zwar
nicht zugeſtanden; man behandelt ſie als Fremde von Diſtinction
und weiſet ihnen aus Höflichkeit dieſelben Ehrenplätze unter den Da-
men an, welche der Gemahl unter den Männern einnimmt. Nur
die Gemahlin eines Botſchafters genießt herkömmlich des Prädi-
cats einer Ambaſſadrice, ſo wie des Vorrechts des Tabourets in
Zirkeln der Kaiſerinnen und Könniginnen. Einen beſonderen Re-
ligionscult nach ihrer Confeſſion können ſie nicht prätendiren. 3
- b. Kinder und andere Familienglieder der Geſandten, welche ſich
bei ihnen befinden.
Dieſe werden in cerimonieller Hinſicht lediglich wie Fremde glei-
cher Standescategorien behandelt.
- c. Die Geſandtſchaftsſecretäre in ihren verſchiedenen, meiſt zwei-
fachen Rangcategorien, deren Beſtimmung wie überhaupt
ihre Ernennung von dem abſendenden Souverän abhängig iſt.
Anſpruch auf ein beſtimmtes Cerimoniell im auswärtigen Staat
haben ſie nicht.
- d. Die etwanigen Attachés oder Gentilshommes, Eleven und
Pagen der Geſandtſchaft, welche zu ihrem Prunkdienſt ge-
hören.
[361]§. 221. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
- e. Der Geiſtliche (Aumonier) und der Arzt der Geſandtſchaft,
inſofern ſie bei derſelben nicht blos Nebendienſte leiſten;
endlich
- f. die Livreebedienten und Domeſtiken des Geſandten.
In älterer Zeit legte man größeren Werth auf dergleichen Gefolg-
ſchaften, als es jetzt die öffentliche Meinung thut und die Staats-
öconomie geſtattet. Unfehlbar kann auch der fremde Staat, an
welchen die Miſſion geſchieht, einer übertriebenen Vermehrung des
Perſonals Grenzen ſetzen, desgleichen genaue Mittheilung über die Per-
ſonalien aus polizeilichen Rückſichten und im eigenen Intereſſe der
Geſandten verlangen, 1 endlich für den Eintritt von Unterthanen in
den Dienſt eines Geſandten beſondere Förmlichkeiten vorſchreiben. 2
Außer Zweifel liegt jetzt, daß alle vorgenannten Perſonen, ſogar
wenn ſie Unterthanen des fremden Staates wären, in der Exter-
ritorialität des Geſandten ſelbſt mitbegriffen und dadurch insbe-
ſondere von der Straf- und bürgerlichen Gerichtsbarkeit des frem-
den Staates in gleicher Weiſe eximirt, mithin der Gerichtsbarkeit
des abſendenden Staates unterworfen ſind, ſoweit dieſe nicht dem
Geſandten ſelbſt delegirt ſein ſollte. 3 (§. 214.) Nur bei zahlreich
beſuchten Congreſſen hat man ſich zuweilen vereinigt, daß die ge-
ſandtſchaftlichen Diener, welche keine wirklichen Beamten ſind, der
Localobrigkeit untergeben ſein ſollten. 4 Ueberdies kann ein Ge-
[362]Drittes Buch. §. 222.
ſandter unbedenklich jeden Domeſtiken, den er im Auslande ſelbſt
angenommen hat, durch Wiederentlaſſung aus ſeinem Dienſte der
dortigen Obrigkeit wieder unterwerfen; ſchwerlich aber kann er auf
dieſem Wege einen ſeiner eigenen Landesangehörigen ohne Erlaub-
niß des Souveräns der fremden Strafgewalt überliefern. 1 Ueber
diejenigen Perſonen, welche dem Geſandten von ſeinem Souverän
ſelbſt beigegeben ſind, hat der Geſandte ſo wenig wie über die Per-
ſonen ſeiner Familie, vermöge der ihnen zuſtehenden ſtaatsbürger-
lichen Garantien irgend eine derartige Befugniß. 2
Daß übrigens auch einer jeden dieſer Perſonen, wenn ſie den
fremden Staat oder deſſen Angehörige thatſächlich verletzt, thatſäch-
lich entgegengetreten werden kann und die Exterritorialität ſie nicht
gegen Maaßregeln der Vertheidigung, ſo wie gegen augenblickliche
Maaßregeln zur Handhabung der öffentlichen Ordnung ſchützen
kann, verſteht ſich von ſelbſt. 3
II. Agenten und Commiſſarien.
222. Nichts iſt nach den Bemerkungen der neueſten Publici-
ſten ſo unbeſtimmt, als das Rechtsverhältniß eines mit keinem ge-
ſandtſchaftlichen Titel characteriſirten Agenten oder Commiſſarius,
welcher in auswärtigen Angelegenheiten an einen fremden Staat
geſendet wird. 4 Indeſſen liegt dabei zum Theil diplomatiſche Ei-
telkeit und publiciſtiſche Devotion zum Grunde. Zu einer genaue-
ren Feſtſtellung des Rechtsverhältniſſes ſolcher Emiſſaire muß man
vorab unterſcheiden:
- I. Agenten und Commiſſarien für Privatangelegenheiten eines
auswärtigen Staates oder Souveräns, welche gar keinen
Zuſammenhang mit der völkerrechtlichen Perſönlichkeit derſel-
ben haben; z. B. um ein Darlehn zu negociiren oder die
[363]§. 222. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Verwaltung einer auswärtigen Privatbeſitzung zu reſpiciren,
zu übernehmen und dgl. Hier kann überall nicht von ei-
nem öffentlichen Character und von damit verbundenen Pri-
vilegien die Rede ſein. - II. Die ſogenannten geheimen Agenten, welche zwar in Staats-
angelegenheiten verſendet werden, jedoch ohne oſtenſiblen Auf-
trag mit einem auswärtigen Staat oder deſſen Behörden zu
verhandeln, ſondern lediglich nur um über gewiſſe Verhält-
niſſe auf einem nicht verbotenen, oft geheimen Wege Er-
kundigungen einzuziehen, oder um außerordentliche Eröffnun-
gen zu machen und zu empfangen. Auch hier findet kein
Anſpruch auf irgend ein geſandtſchaftliches Privilegium Statt.
Endlich
- III. ſolche Agenten und Commiſſarien, welche mit beſtimmten
oſtenſiblen Vollmachten an die auswärtige Staatsgewalt, ob-
gleich ohne einen recipirten völkerrechtlichen Titel in öffent-
lichen Angelegenheiten abgeſendet werden, weil vielleicht die
Umſtände noch keine ordentliche oder dauernde Verbindung
geſtatten, oder auch weil es auf eine minder förmliche Ab-
machung eines einzelnen beſtimmten Geſchäftes ankömmt.
Bei Perſonen dieſer Art läßt ſich wenigſtens der allgemeine
Anſpruch auf Unverletzbarkeit und Exemtion, wie er bereits
oben (§. 204 f.) dargelegt worden iſt, nicht verkennen; 1 der
Mangel eines beſtimmten Namens kann dem Weſen des
Auftrags nichts von ſeinen Wirkungen entziehen; auch iſt
bekannt, daß es in älterer Zeit außer den Botſchaftern blos
Agenten gab, deren diplomatiſche Eigenſchaft jedennoch nie
verkannt wurde. Nur eine vollſtändige Exterritorialität iſt
hier nicht üblich. 2
[364]Drittes Buch. §. 223.
III. Die Conſuln. 1
223. Eine der älteſten Inſtitutionen des neueren europäiſchen
Völkerverkehres im Intereſſe des Handels iſt die jetzt allgemein ſo-
genannte Conſularinſtitution, wenn ſie auch in ihrer erſten Entſte-
hung nicht überall unter jenem Namen vorkommt. Dieſelbe fällt
in die Zeit, wo der Handel ſich ſelbſt eine Exiſtenz verſchaffen ja
erkämpfen mußte, und er nur Schutz fand entweder in einer ſtäd-
tiſchen Corporation, von welcher er ausging, oder in der Begrün-
dung ſelbſtändiger Corporationen im Auslande, wo es ihm gelang
Raum zu gewinnen, endlich auch, wiewohl erſt ſpäter, in dem
Schutze der ſich mehr und mehr entwickelnden heimathlichen Staats-
gewalt. Eines der erſten Bedürfniſſe, wofür geſorgt werden mußte,
war dann nach ſeiner Conſolidirung an einem Orte die Gewinnung
einer Jurisdiction, und zwar nicht blos für die Handelsgeſchäfte
unter den Angehörigen derſelben Heimath und mit den Fremden,
ſondern auch in anderen Beziehungen, worin der Handelsbetrieb
ſo wie die Niederlaſſung an einem beſtimmten Orte verflechten kann,
um gegen etwanige Willkühr und Eigenmacht geſichert zu ſein.
Wie es nun ſchon im zwölften Jahrhundert, vornehmlich am mit-
telländiſchen Meere in blühenden abendländiſchen Handelsſtädten,
eigene Handelsrichter als Localobrigkeiten vielfältig unter dem Namen
der Conſuln gab, ſo wurden weiterhin auch im Orient, in Folge
der Kreuzzüge, zum Theil ſelbſt noch früher eben ſolche Beamte
unter verſchiedenen Namen bei den Griechen und in den chriſtlichen
Reichen, welche in Syrien gegründet waren, für die dorthin han-
deltreibenden Nationen und Städte eingeſetzt, was indeſſen mit dem
dreizehnten Jahrhundert aufhörte. Dabei galt im Allgemeinen das
damals überhaupt herrſchende Syſtem der Nationalität des Rech-
tes, indem jeder regelmäßig nach ſeinem angeborenen Recht behan-
delt wurde. — Als der Orient dem Islam verfallen war, ſuchte
man ſich die einmal angefangenen Handelsverbindungen durch Ver-
träge mit den moslemiſchen Beherrſchern und Obrigkeiten, beſon-
2
[365]§. 224. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
ders in Egypten und bei den Barbaresken zu ſichern, namentlich
eine eigene Rechtspflege in der Errichtung von Conſulaten zu ver-
ſchaffen. Von derſelben Zeit an wurden auch in europäiſchen Län-
dern, und nicht mehr blos am mittelländiſchen Meere, ſondern fer-
nerweit längſt der Nord- und Oſtſee Handelsetabliſſements von
italieniſchen Republiken, von den Seeſtädten Cataloniens, Frank-
reichs und Deutſchlands gegründet, zum Schutze derſelben eigene
Behörden mit richterlicher Gewalt eingeſetzt und von den auswär-
tigen Staaten privilegirt. So hatten die Hanſeſtädte in ihren
Niederlaſſungen ihre Aldermänner und Beigeordneten derſelben, an-
dere Städte und Republiken ihre Gouverneurs, Conſervatoren, Pro-
tectoren und Conſuln. Sie befanden ſich hier mit einer dauernden
Wirkſamkeit und unter dauerndem Schutze, um ſo bedeutender und
hervorragender, da es noch keine ſtehenden Geſandtſchaften an den
Höfen der Fürſten gab. 1
224. Mit der Entwickelung des neueren Staatsſyſtemes zu
einer Fülle und ſtets regen Thätigkeit der Staatsgewalt in dem
chriſtlichen Europa, konnte derſelben eine derartige exterritoriale In-
ſtitution mitten im eigenen Lande und häufig im Conflict mit den
eigenen Intereſſen, nicht mehr angemeſſen, ſondern eher als eine
Beeinträchtigung der eigenen Freiheit und Unabhängigkeit erſchei-
nen. Ueberall ging daher bald früher bald ſpäter die Tendenz da-
hin, den Handel der Fremden den eigenen Geſetzen und Gerichten
zu unterwerfen. Man trug Sorge für die Einſetzung eigener Han-
delsrichter (zum Theil ſelbſt wieder unter dem Namen der Conſuln,
wie z. B. in Frankreich ſeit dem 16ten Jahrhundert), unter wel-
chen auch der fremde Handel in den ihm gebührenden oder anzu-
weiſenden Grenzen fortbeſtehen konnte. Durch die Einrichtung blei-
bender Geſandtſchaften an den Höfen erhielten überdies die frem-
den Nationen einen bei der auswärtigen Staatsgewalt unmittel-
bar wirkſamen Schutz. Es blieb dabei höchſtens noch das Bedürf-
niß in den einzelnen Handelsplätzen Agenten zu haben, welche ſich
an Ort und Stelle der Handeltreibenden einer Nation annehmen
[366]Drittes Buch. §. 225.
und zunächſt bei den Localobrigkeiten hilfreich einſchreiten konnten,
überhaupt einen Anlehnungspunct zur Vermittelung der nationalen
Handelsintereſſen mit der Ordnung des Staates im Auslande zu
haben. Auf dieſe Weiſe ſank das Inſtitut der mittelalterlichen
Handelsrichter und conſulariſchen Jurisdiction zu einem bloßen
Schutzverhältniß mit einer gewiſſen polizeilichen Auctorität für die
Angehörigen jeder Nation, wofür es beſtimmt war, herab; nur auf
dieſem Fuße hat es ſich ſeitdem allenthalben in den chriſtlichen
Staaten Europas und außer Europa mit einer heilſamen Wirk-
ſamkeit durch gegenſeitige Conceſſion erhalten. Eine andere Geſtalt
hat es nur, wiewohl in den neueren Zeiten immer mühſamer, unter
den nichtchriſtlichen Nationen beſonders im Orient behauptet, vor-
züglich in den muſelmänniſchen Staaten durch die einzelnen Natio-
nen daſelbſt bewilligten Privilegien, oder in Gemäßheit ausdrück-
licher Verträge, wodurch man eine Garantie für daſſelbe zu erlan-
gen gewußt hat. 1
Rechtsverhältniſſe der heutigen Conſuln.
225. Nach der gemeinſamen heutigen Staatenpraxis in den
europäiſchen oder europäiſirten chriſtlichen Ländern bilden, wie be-
reits bemerkt, die Conſuln eine eigene Art von Agenten, hauptſäch-
lich für die Handels-, zum Theil aber auch für die ſonſtigen Ver-
kehrsintereſſen auswärtiger Staaten in einem fremden Lande oder
in einzelnen Theilen und Plätzen deſſelben. Ihre Einſetzung beruht
nur auf dem Einverſtändniß der beiden betheiligten Staatsgewal-
ten. Kein Staat würde ſchuldig ſein gegen ſeinen Willen die An-
ordnung eines Conſuls zu dulden; man läßt ſie ſich daher auch
ausdrücklich in Verträgen 2 geſtatten. Die Ernennung geſchieht
durch ſogenannte lettres de provision von demjenigen Staate,
deſſen Intereſſen im Auslande vertreten werden ſollen; 3 außerdem
[367]§. 226. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
aber bedarf es der ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden Genehmi-
gung der Staatsgewalt des fremden Landes, wo die Wirkſamkeit
des Conſuls ſich äußern ſoll; gewöhnlich erfolgt ſie durch ein ſo-
genanntes Exequatur oder Placet, welches die dortige Staatsge-
walt den Functionen des Conſuls ertheilt, und wodurch deſſen
Qualität bei ihren eigenen Landesbehörden beglaubigt wird. Es be-
darf deſſen um ſo mehr, weil gewöhnlich ein Unterthan dieſes Staa-
tes ſelbſt von der fremden Regierung mit den conſulariſchen Func-
tionen beauftragt wird. Mit Hinſicht auf größere oder geringere
Wirkſamkeit werden übrigens dieſe Handelsagenten bald mit mehr
bald weniger bedeutenden Titeln angeſtellt; ſo als Generalconſuln für
ein ganzes Land oder über mehrere Plätze, dann als Conſuln ſchlecht-
hin, oder auch als Viceconſuln und Beigeordnete der Vorhererwähn-
ten. Jedoch haben alle dieſe Titulaturen nicht immer eine ſo be-
ſtimmte Bedeutung.
226. Die gewöhnlichen Conſularattributionen ſind: 1
eine ſtete Fürſorge für die gehörige Erfüllung der beſtehen-
den Handels- und Schiffahrtverträge, ſowohl von Seiten
des fremden Staates wie auch der durch den Conſul ver-
tretenen Nation; daher alſo auch Entfernung aller etwani-
gen Hinderniſſe und Störungen des guten Vernehmens durch
geeignete Schritte bei den auswärtigen Behörden, desgleichen
durch Kenntnißnahme von den ankommenden Nationalſchif-
fen, ihren Ladungen und Equipagen; daher auch gewöhnlich
Ausübung der Paßpolizei;
hiernächſt
die Verpflichtung, den ankommenden Nationalſchiffen und
Handeltreibenden Schutz und Beiſtand zu leiſten, ſo weit ſie
eines ſolchen bedürfen und dazu berechtigt ſind, dabei auch
wohl die Befugniß, flüchtige Matroſen von dem auswärti-
gen Staate zu reclamiren, inſofern ſich dieſer zur Ausliefe-
rung von dergleichen Perſonen verpflichtet hat;
[368]Drittes Buch. §. 226.
ferner
das Recht einer freiwilligen Gerichtsbarkeit für den vertre-
tenen Staat wenigſtens zur Beglaubigung der Schiffspapiere,
ſofern ihr keine größere Ausdehnung ausdrücklich oder ob-
ſervanzmäßig zugeſtanden iſt;
endlich, wie ſich von ſelbſt verſteht,
das Recht der ſchiedsrichterlichen Intervention und Entſchei-
dung, wenn eine ſolche von den Nationalen in Anſpruch ge-
nommen wird.
Von einem größeren Umfang ſind die Attributionen der Conſuln
in den muſelmänniſchen Staaten, wiewohl in neuerer Zeit auf de-
ren Beſchränkung hingearbeitet iſt; faſt durchgängig iſt aber ſelbſt
noch in neueren Verträgen den dortigen europäiſchen Conſuln eine
Criminalgerichtsbarkeit über die Angehörigen der vertretenen Na-
tion zugeſtanden, woraus dann ferner das ſtillſchweigende Zuge-
ſtändniß der vollen bürgerlichen Gerichtsbarkeit unter den Nationa-
len des Conſuls, obſchon ohne executoriſche Kraft für die muſel-
männiſchen Behörden gefolgert werden darf.
Zu den Vorrechten der Conſuln in den europäiſchen chriſt-
lichen Staaten gehört weſentlich nur eine Unverletzbarkeit der Per-
ſon, welche ihnen möglich macht ihren Conſulargeſchäften ohne per-
ſönliches Hinderniß nachzukommen. Durch Verträge iſt dieſe Un-
verletzbarkeit bald unbedingt, bald mit Beſchränkung, insbeſondere
unter Ausnahme ſchwerer Verbrechen anerkannt worden. Der bür-
gerlichen Gerichtsbarkeit des Landes, worin ſie fungiren, ſind ſie
regelmäßig unterworfen, ja, ſelbſt wenn ſie Ausländer ſind und ih-
nen im Uebrigen Exterritorialität zugeſtanden wäre, wenigſtens in
Beziehung auf Handelsgeſchäfte. 1 In den muſelmänniſchen Staa-
[369]§. 227. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
ten genießen die Conſuln derſelben Vorrechte und Behandlung, welche
dem fremden Abgeordneten im Allgemeinen zu Theil wird; meiſtens
iſt ihnen dort ausdrücklich auch das Recht eines beſonderen Got-
tesdienſtes bewilligt.
Beſtimmte Cerimonialrechte finden wenigſtens vermöge eines all-
gemeinen Herkommens nicht Statt. Nach dem gewöhnlichen Ge-
brauch bezeichnen ſie ihre Wohnung durch das Wappen ihres Sou-
veräns, auch richtet ſich ihr Rang nach deſſen Rang. Beſtimmte
Ehrenbezeigungen ſind ihnen jedoch überall nicht eingeräumt. 1
Beendigung und Suspenſion der diplomatiſchen Functionen.
227. Jede diplomatiſche Function endet nach der rechtlichen
Natur jedes Auftrages:
- mit der Vollziehung des Geſchäftes;
- mit dem Ablaufe der vorbeſtimmten Zeit;
- mit dem Tode des Abgeordneten;
- durch den Wiederruf des ertheilten Auftrages von Seiten des
Machtgebers; es geſchehe derſelbe ausdrücklich oder mittel-
bar durch Beſtimmung des bisherigen Abgeordneten zu an-
deren, mit der Miſſion unverträglichen Functionen; - mit dem Tode des Conſtituenten oder desjenigen Souveräns,
an welchen die Miſſion gerichtet war, inſofern es ſich nur
um perſönliche Angelegenheiten handelt; oder inſofern die
1
24
[370]Drittes Buch. §. 227.
Vollmacht ſelbſt in Staatsangelegenheiten ausdrücklich auf
die Perſon eines beſtimmten Souveräns gerichtet iſt. 1
Sie wird wirkungslos und daher ebenfalls beendigt:
- bei eingetretener Unmöglichkeit das beabſichtigte Ziel noch zu
erreichen, namentlich
durch den Ausbruch eines Krieges unter den betheiligten
Mächten, wofern nicht die Function auch auf dieſen Fall
berechnet iſt;2 - desgleichen
durch die Weigerung der Staatsgewalt, an welche die
Miſſion erfolgt iſt, den Abgeordneten ferner zuzulaſſen oder
mit ihm zu verhandeln, ſo wie durch eine ausdrückliche
Zurückſendung, — eine ihrer Natur nach feindſelige Maaß-
regel, welche entweder zur Retorſion veranlaßt, oder Falls
ſie mit einer kränkenden Behandlung verbunden war,
auch noch zu beſonderer Genugthuung verpflichten kann,
vorausgeſetzt, daß nicht der Abgeordnete ſelbſt durch ſein
Verhalten die Maaßregel provocirt hat.3
Eine bloße Unterbrechung der Functionen und des davon ab-
hängigen officiellen Characters tritt endlich ein:
- wegen ausgebrochener Mißhelligkeiten unter den betheiligten Mäch-
ten, die jedoch in keine Feindſeligkeit übergehen; desgleichen - wenn eingetretene politiſche Ereigniſſe und Aenderungen, z. B.
ein Regierungswechſel, die fernere Dauer der Miſſion zwei-
felhaft oder Modificationen wahrſcheinlich machen, wobei eine
Suspenſion der diplomatiſchen Functionen auch wohl aus-
drücklich von der einen oder anderen Seite erklärt wird; - durch den Tod oder ſonſtigen Regierungsrücktritt des conſtitui-
[371]§. 228. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
renden Souveräns oder desjenigen, an welchen die Miſſion
in Staatsangelegenheiten erfolgt iſt.
Denn ein Erlöſchen der Vollmacht kann hier von Rechtswegen
nicht angenommen werden; es müßte etwa dieſelbe, wie ſchon ge-
ſagt, ausdrücklich nur auf die Perſonen der Souveräne geſtellt ſein.
Außerdem kann der Regierungswechſel höchſtens nur einen Still-
ſtand in den diplomatiſchen Functionen mit ſich führen.
Wirkungen der Suspenſion oder Beendigung diplomatiſcher Sendungen.
228. Weder die Suspenſion noch auch die Beendigung diplo-
matiſcher Sendungen vernichtet ſofort die völkerrechtliche Stellung
des Beauftragten, und wenn auch vormals die Staatenpraxis be-
ſonders im Falle eines ausgebrochenen Krieges nicht ſelten, ja ſo-
gar regelmäßig noch während des Mittelalters ſchonungslos gegen
Geſandte verfuhr: 1 ſo hat ſie ſich doch längſt einer beſſeren Rich-
tung ergeben. Geſandte fremder Staaten müſſen auch unter den
Feinden derſelben unverletzbar bleiben. 2
Was nun zunächſt den Fall einer bloßen Suspenſion betrifft:
ſo erſtreckt ſich dieſe im Weſentlichen nur auf den Geſchäftsverkehr,
und kann daher der Regel nach keine Aenderung in den perſön-
lichen Rechtsverhältniſſen eines Abgeordneten nach ſich ziehen.
Hat die Miſſion ſelbſt völlig aufgehört, ſo verſteht ſich für
den abſendenden Staat unzweifelhaft das Recht, ſeine Intereſſen
gegen jede eigenmächtige und fremdartige Einmiſchung ſicher zu ſtel-
len und das ihm Gebührende unverletzt aus dem fremden Lande
zurückzuempfangen. Es muß daher ſogar bei eingetretener Miß-
ſtimmung und Feindſeligkeit dem Abgeordneten Zeit und Gelegen-
heit gegeben werden, ſich aus dem fremden Staate ungehindert mit
ſeinen Angehörigen und Effecten zurückzuziehen, überdem auch bis
dahin jede weſentliche Rechtszuſtändigkeit der Abgeſandten in ihrer
heutigen Entwickelung, nämlich Unverletzbarkeit und Exterritorialität,
reſpectirt werden. 3 Die Beſtimmung der Zeit iſt allerdings von
dem Ermeſſen des fremden Staates abhängig; aber eine offenbar zu
kurze Friſt würde das Völkerrecht verletzen. Erſt wenn eine billige
24*
[372]Drittes Buch. §§. 229. 230.
Friſt geſetzt und abgelaufen iſt, oder der Abgeordnete ſelbſt oder
ſeine Regierung erklärt, daß er ganz in das Privatleben zurücktrete,
oder daß ſein diplomatiſcher Character gänzlich aufgehoben ſei, fällt
jede fernere Berückſichtigung deſſelben fort.
229. Stirbt ein Abgeordneter, 1 ſo beſteht zwar in Betreff ſei-
ner Beerdigung kein beſonderes Cerimonialrecht, wohl aber bringt es
ſeine bisherige Exterritorialität mit ſich, daß der Abführung der
Leiche nach ſeiner Heimath keine Schwierigkeit entgegengeſetzt wer-
den darf, ſelbige vielmehr von allen ſonſt herkömmlichen Laſten an
Stolgebühren und dergleichen befreit bleibe, wenn nicht die Beer-
digung im fremden Lande erfolgt. 2 Seine Angehörigen und Be-
gleiter genießen bis zu ihrem eigenen Abzuge, oder bis zum Ablauf
der ihnen dazu geſetzten Friſt, 3 oder bis zu einer deutlichen Erklä-
rung ihres Eintritts in das Privatverhältniß die zuvor zuſtändigen
Rechte; die Verlaſſenſchaft muß frei von allen Laſten verabfolgt wer-
den; ihre Regulirung richtet ſich nach den Geſetzen der Heimath;
jedoch können nun auch Forderungen an dieſelbe in dem fremden
Staate geltend gemacht und realiſirt werden.
Die Verſiegelung der Effecten gilt dagegen allgemein als ein
Act, welcher der Jurisdiction des fremden Staates entzogen iſt, da
es zunächſt auf Sicherſtellung der Intereſſen des abſendenden Staa-
tes ankömmt. 4 Sie wird daher entweder von einer geſandtſchaft-
lichen Perſon deſſelben Staates, oder in deren Ermangelung von
dem Abgeordneten eines ihm befreundeten Staates, in Rom von
dem etwanigen Cardinal-Protector, vollzogen. Nur im äußerſten Falle
würde ſich die auswärtige Staatsregierung auf eine der Achtung
des fremden Staates entſprechende Weiſe der Verſiegelung ſelbſt zu
unterziehen haben.
230. Wird ein Geſandter zurückberufen, ſo pflegt es wegen der
Verabſchiedung vom fremden Hofe, bei dauernden freundſchaftlichen
Verhältniſſen, in ähnlicher Weiſe gehalten zu werden wie bei der An-
[373]§. 230. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
kunft; Geſandte erſter und zweiter Klaſſe, auch wohl Miniſter-Re-
ſidenten, übergeben ihr Abberufungsſchreiben in einer eigenen öffent-
lichen oder Privataudienz und empfangen hiernächſt von dem frem-
den Souverän ein ſogenanntes Recredentialſchreiben zur Beſtäti-
gung des von ihnen beobachteten Verhaltens. Aus Höflichkeit fügt
man außerdem wohl noch beſondere Geſchenke hinzu, ohne daß je-
doch irgendwie ein rechtlicher Anſpruch darauf begründet ſein kann. 1
Eine Zurückhaltung des Geſandten, ſo wie der mit ihm befrie-
deten Perſonen und Sachen im fremden Territorium kann unter
keinem Vorwand ſtattfinden, ausgenommen um eine Retaliation zu
üben. So lange keine Friſt zum Abzug geſetzt und abgelaufen iſt,
ſind auch keine anderen gerichtlichen oder außergerichtlichen Hoheits-
acte gegen ihn für zuläſſig zu halten als diejenigen, welche ſelbſt
ſchon während der Ausübung der geſandtſchaftlichen Functionen zu-
läſſig waren. Insbeſondere können auch jetzt keine Schuldklagen
förmlich eingeleitet noch auch Arreſte wider die befriedeten Perſo-
nen und Sachen angelegt werden. Die fremde Staatsgewalt kann
daher lediglich auf einem vermittelnden Wege für das Intereſſe
ihrer Unterthanen hinſichtlich etwaniger Forderungen an den Geſand-
ten und deſſen Begleiter ſorgen, z. B. durch eine öffentliche Bekannt-
machung des bevorſtehenden Abganges und durch eine Interceſſion
wegen Berichtigung oder Sicherſtellung der etwa liquidirten Schul-
den; jedoch dürfen die Päſſe deshalb nicht vorenthalten werden.
Vindicationsklagen, ſelbſt in Anſehung beweglicher Objecte, die
ſonſt zu den befriedeten gehören würden, ſind nicht ausgeſchloſſen,
folglich auch nicht die vorläufige Beſchlagnahme derſelben, ſoweit
ſie ohne Antaſtung der perſönlichen Unverletzbarkeit ausführbar iſt. 2
Bleibt eine geſandtſchaftliche Perſon nach gänzlicher Ablegung
ihres völkerrechtlichen Charakters in dem auswärtigen Staate, ſo
leben auch alle dadurch gehemmten Rechtsverfolgungen in Anſehung
der Civilanſprüche auf. Dagegen läßt ſich in Betreff der etwanigen
Verbrechen und Vergehen, welche ſie während ihrer diplomatiſchen
Miſſion begangen haben könnten, keine weitere Verantwortlichkeit
annehmen, indem ſie nach dem Princip der Exterritorialität von
[374]Drittes Buch. §. 231.
der geſetzgebenden Gewalt des fremden Staates nicht abhängig wa-
ren. Civilanſprüche ſind dagegen durch das Völkerrecht ſelbſt ge-
ſchützt.
Zweite Unterabtheilung.
Die diplomatiſche Kunſt.1
Ihr Weſen.
231. Auch die Diplomatie oder die ſtaatsmänniſche Thätigkeit
in auswärtigen Angelegenheiten iſt eine Kunſt, ein ſich bewußtes
Können. Um ſolches aber wahrhaft zu ſein, darf ſie weder eines
vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke
verfolgen, überhaupt ihre Regeln nicht außerhalb dieſes Kreiſes ſu-
chen. Ihr Grund iſt nun kein anderer, als das Recht und das
Wohl eines jeden Staates; ihr Zweck nur das rechtliche Intereſſe
deſſelben. Nicht aber ſoll die Diplomatie ein Werkzeug jener
Politik ſein, die ſich alles ſelbſt Zuträgliche erlaubt hält, einer un-
begränzten Herrſch- und Eroberungsſucht dient, oder eine gänzliche
Abſchließung gegen andere Staaten bezielt; ſie darf ſich ebenſowenig
ſelbſt als Zweck ſetzen, geſchäftig ſein ohne Princip, oder ſpielen mit
der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; ſie darf ſich end-
lich nicht als die Schöpferin des Schickſals der Nationen betrach-
ten, ſondern nur als eine Dienerin der Geſchichte. Sie muß wiſ-
ſen, daß die Geſchicke der Völker auf einer ſittlichen Nothwendig-
keit beruhen; daß jedem Staat ſein eigenthümliches Leben in der
Kette der Dinge angewieſen iſt; daß es zwar durch gewaltige An-
ſpannung der Kräfte möglich iſt, von dem geſchichtlich vorgezeichne-
ten Wege abzuweichen, die Bedeutung eines Staates über ſein Gleich-
maaß mit anderen zu erheben: daß indeſſen jede übermäßige An-
ſtrengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erſchlaffung über-
geht und ſo auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in
ſeine vorige Lage, ja oft noch tiefer herabſtürzen kann, als er bei
natürlicher Benutzung ſeiner Kräfte fortdauernd behauptet haben
würde. Darin eben beſteht nun das echte diplomatiſche Wiſſen
[375]§. 232. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
als Vorausſetzung diplomatiſcher Thätigkeit, nämlich in einer gründ-
lichen Auffaſſung der Geſchichte und gegebenen Verhältniſſe, nicht
etwa um blos Beiſpiele daraus für das eigene Handeln oder eine
Prognoſe zu erhalten, ſondern um das Wirkliche und Nothwendige
in den gegebenen Verhältniſſen ſelbſt zu erkennen; Aufgabe der Kunſt
iſt es hiernächſt, darauf das fernere Verhalten für das Recht und
das Wohl des Staates zu bauen, auf ſittlichem Wege das Schlechte
und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die
Ehre des Staates aufrecht zu erhalten. 1 Falſch aber iſt es, wenn
die Diplomatie ſich blos zur Dienerin einer einſeitigen Anſicht, ei-
ner Caſtenrichtung hingiebt; wenn das Syſtem, welches ſie verthei-
digen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervor-
geht, nicht in der Geſchichte und der Bewegung des Weltgeiſtes
begründet iſt; denn alsdann hat ſie das Schickſal, und gewiß nicht
verdienter Weiſe, daß ſie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, ſon-
dern eher zu einem entgegengeſetzten Ziele durch ihre einſeitigen Be-
ſtrebungen mitwirkt.
Iſt demnach Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatiſchen
Kunſt, ſo dürfen auch ihre Mittel nur der Wahrheit entſprechen: ſie
darf keine Kunſt des Truges ſein. Darin hat ſie, wie in manchen
anderen Stücken, Aehnlichkeit und Berührungen mit der Redekunſt.
Auch die Redekunſt findet ihr eigentliches Feld in der Wahrheit,
ihr künſtleriſcher Zweck kann nur ſein, von nicht gekannten oder
noch unklaren Wahrheiten zu überzeugen; ſie entartet, wenn ſie ſich
zu unmoraliſchen oder widerrechtlichen Zwecken gebrauchen läßt.
Entſtehung und Ausbildung der diplomatiſchen Kunſt.
232. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtſchaft zwiſchen
Rede- und politiſcher Kunſt, ſehen wir im Alterthum auch die Füh-
rung der Staatenverhandlungen meiſtens in den Händen oder in
dem Munde bedeutender Redner. Redner und Staatsmann und
Geſandter waren daher meiſt Eine Perſönlichkeit; als beſonderer
Gegenſtand der politiſchen Wiſſenſchaft tritt die Diplomatie noch
nicht hervor, ſo ausgezeichnete Diplomaten ſich auch ſchon im Al-
terthum nachweiſen laſſen.
[376]Drittes Buch. §. 232.
Im Mittelalter war, wie ſo vieles Andere, die Diplomatie theils
in den Händen der unterrichteten Geiſtlichkeit, theils beſorgten ſie
die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunſtlos. Mit der Unter-
drückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Ueber-
gang des Lehnsſtaates zum abſoluten Regierungsſtaat wuchs auch
eine der bereits oben (S. 8.) geſchilderten Politik mit gleicher Fär-
bung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lü-
gendiplomatie, wie man ſelbſt kein Bedenken hatte, einzugeſtehen;
die Kunſt der Verſtellung im poſitiven Gewande der Lüge: Qui
nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten,
war der Wahlſpruch. Kein Mittel galt dabei für unerlaubt, am
wenigſten Beſtechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand
der Katholiſche waren die Hauptrepräſentanten dieſer Richtung. 1
Die größere Verfeinerung der Sitte und beſſere Erziehung, auch
der Einfluß der Wiſſenſchaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit
dem Ausgang des 15ten Jahrhunderts, brachte wenigſtens einen
Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatie, wenn
gleich das Geheimniß, Liſt und künſtliche Prätexte ihre Hauptwerk-
zeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II.2 Wei-
terhin umringte ſie ſich mit einem Nimibus von Galanterie, feinem
Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art, ſie ward das Spiel der
Höfe und Hofintriguen; den Culminationspunct bildet das Zeital-
ter Ludwigs XIV. Der Hof von Verſailles war gleichſam der
Parnaß der Diplomatie, welchem man mit wenig Ausnahmen wäh-
rend des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Neben dem Ge-
heimniß und einer geſchmeidigen Verhandlungsweiſe war es doch im-
mer ein Schein des Rechtes, den man allen Anſprüchen und Forde-
rungen anzukleben ſuchte. Welche Mühe gab ſich nicht die franzöſiſche
Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Teſtament
Carls II. von Spanien dem früher abgeſchloſſenen Theilungsver-
trage vorgehen müſſe 3; welch ein Hohn des Rechts waren die
franzöſiſchen Reunionskammern, und wie ſchwach die erſten und
letzten Prätexte der Theilung Polens?
Nur hin und wieder taucht in dieſer Periode der franzöſiſchen
Hofdiplomatie ein redlicherer Character auf, ein Beſtreben um die
[377]§. 233. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Sache ſelbſt, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem weſtphä-
liſchen Friedenscongreß, wenn auch in der pedantiſchen Geſtalt von
Doctoren der Rechte; ſodann in der britiſchen Diplomatie, welcher
man, wenigſtens ſeitdem Großbritannien ſeine freie und unabhän-
gige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann,
daß ſie durch Täuſchungen ihre Ziele zu erlangen geſucht habe.
Eher konnte man ihr Rückſichtsloſigkeit und Derbheit bei einzelnen
Gelegenheiten vorwerfen. Mit dem ganzen Umgeſtüm des Repu-
blicanismus, oft ſogar formlos trat die franzöſiſche Diplomatie in
der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Baſis als die
der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr da-
gegen. Dieſer Geiſt der Diplomatie behauptete ſich auch unter
Napoleon; nur die Form wurde wieder monarchiſch, der Ton aber
ſchneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunct beſeitigt war, hatte
die Diplomatie der Höfe vornehmlich nur die Herſtellung eines
politiſchen Gleichgewichts zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Baſis
war ihr verſchloſſen; ſie mußte über Seelen und Länder wie mit dem
Tranchirmeſſer verfügen; dann aber hatte ſie ihre zum Theil nur will-
kührliche Geſtaltung in eine myſteriöſe Rechtsmetaphyſik zu hüllen,
worin Legitimität der Hauptbegriff war, deſſen offener Erklärung
manches Hinderniß entgegen ſtand.
Ihre jetzige Aufgabe ſcheint vorzüglich Friede, Handel und In-
duſtrialismus zu ſein, damit die allgemeine Behaglichkeit und Wohl-
habenheit nicht geſtört werde!
Diplomatiſche Charactere. 1
233. Große diplomatiſche Charaktere ſind zu allen Zeiten eine
Seltenheit geweſen; manche ſind wohl ſelbſt der Geſchichte unbe-
kannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordne-
ter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter frem-
dem glänzenderen Namen waren. Oft verſchweigt auch die Ge-
ſchichte die Werke der Staatsmänner im diplomatiſchen Bereich,
denn nicht immer iſt es erlaubt geweſen in die Werkſtätte zu ſchauen
und den Schleier zu lüften.
Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf
eine Geſchichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe
zu ſchreiben, am wenigſten aus der Gegenwart, deren Geſchichte
[378]Drittes Buch. §. 233.
noch nicht beendigt iſt. Welche große Reihe würden nicht ſchon
diejenigen bilden, deren ſich die römiſche Kirche zu allen Zeiten be-
dienen konnte! Beſchränken wir uns nun darauf, aus der Ge-
ſchichte der weltlichen Staaten die hervorragendſten Talente kürz-
lich zu bezeichnen, ſo treten uns theils große Souveräne ſelbſt, theils
Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und Unterhändler entge-
gen. Unter den Erſteren ſchon im Alterthum ein Philipp von Ma-
cedonien als Meiſter der Diplomatie, wenn Klugheit und Liſt mit
künſtlichen Myſtificationen auf dieſen Titel einen Anſpruch geben.
In der neueren Zeit ein Carl V, Heinrich IV, Eliſabeth von Eng-
land, König Wilhelm III — unſtreitig der größte Politiker des 17ten
Jahrhunderts. Weiterhin Ludwig XIV und ſelbſt noch ſein Nach-
folger Ludwig XV, der wenigſtens mit Liebhaberei der Diplomatie
ſich ergab, Carl Emanuel, Herzog von Savoyen, mit ſeinem Sy-
stème bascule, Catharina von Rußland, Friedrich II von Preu-
ßen und Kaiſer Joſeph II, welche beide ſich gern über die diplo-
matiſchen Contours hinausſetzend, wo möglich durch die That ein
Gewicht in die Wage der Völkerſchickſale zu legen ſuchten.
Indeß bei großen Monarchen tritt jede partielle Thätigkeit un-
ter den übrigen Seiten ihres Handelns in den Hintergrund; aus-
ſchließliche Charactere ſind nur die dienenden Diplomaten. Ihre Lei-
ſtungen, die ſie zum Theil ſelbſt in Memoiren der Nachwelt über-
liefert haben, ſind ohne Zweifel auch die beſte Muſterſchule künf-
tiger Diplomaten. Die größeſte Zahl bietet Frankreich; in der Zeit
Heinrichs IV einen Sully, de Mornay, de Sillery, vor Allem Ar-
nold Doſſat, deſſen Kunſt Offenheit und Redlichkeit war, wie auch
allein in Rom mit Erfolg geltend gemacht werden kann; unter
Ludwig XIII den Grafen von Brienne, Marſchall von Baſſom-
pière, dann Richelieu mit dem Pater Joſeph de la Tremblaye; als
Unterhändler vorzüglich den Grafen d’Eſtrades, und dann weiter
unter Ludwig XIV einen Mazarin, Servien, Colbert und de Torcy,
deſſen Aufgabe am Utrechter Congreß eine zuletzt doch mit Glück
beendigte Siſyphusarbeit war. Weniger hervortretende Talente be-
währte das Zeitalter Ludwigs XV; erſt ſpäter erſchöpfte ſich das
diplomatiſche Genie in Talleyrand de Perigord. — Von britiſchen
Diplomaten und Unterhändlern nennen wir vorzüglich den Cardi-
1
[379]§. 233. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
nal Wolſey, ſodann die beiden Cecil unter Eliſabeth und, wenn
wir den noch der älteren Diplomatie angehörigen Henry Wot-
ton unter Jacob I übergehen, 1 als wahrhaft noblen Character
William Temple, der ſich offen zu dem Grundſatz bekannte, daß
man in der Politik ſtets die Wahrheit ſagen müſſe. 2 Groß wie
im Felde ſo auch in der Unterhandlung war Marlborough mit ed-
ler Haltung und Feinheit; weniger groß, ihm gegenüber, Charles
Bolingbroke. Gewährten die Regierungen Georgs I und II mehr
nur ein Feld für untergeordnete, obwohl mannigfache diplomatiſche
Thätigkeit, ſo waren es wieder die Pitt, 3 welche vollkommen das
Ideal der britiſchen Politik in ſich trugen und durch die That le-
bendig machten, wie ſie auch noch in neuerer Zeit in Canning
einen nationalen Kern-Repräſentanten fand. Ebenbürtig den bri-
tiſchen Diplomaten zur Seite ſtehen Washington und Franklin.
Unter den übrigen Staaten waren bis zu Ende des vorigen
Jahrhunderts beſonders die Republiken Venedig und der vereinig-
ten Niederlande ausgezeichnete Schulen für politiſche practiſche Ta-
lente; jene hatte ihre Contarini, Cornaro, Soranzo und Nani, letz-
tere ihren Franz von Aarsſens, ihren Großpenſionär Witt, Hiero-
nymus Beverning, Jan Oldenbarneveld, ihren Hugo und Peter
Groot. Spanien rühmt ſich eines Olivarez, Don Haro, eines Gra-
fen von Pegneranda. — Eine ununterbrochene Reihe ſinniger Diplo-
maten hatte ſtets das Haus Oeſterreich. Unſterbliches Verdienſt nicht
nur für ſein Land, ſondern auch für den europäiſchen Frieden hat
ſich darunter Graf Trautmannsdorf am Münſter-Osnabrückiſchen
Friedenscongreß erworben, während in der Folge Graf Kaunitz
mehr die iſolirten Intereſſen des Kaiſerhauſes wahrzunehmen Ge-
legenheit und Character hatte. Die höchſte und glänzendſte Stel-
lung war der öſtreichiſchen Diplomatie im gegenwärtigen Jahrhun-
dert vorbehalten. — In Preußen hat die regelmäßige unmittelbare
Theilnahme der Regenten an den Staatsgeſchäften den diplomati-
ſchen Capacitäten meiſt nur die Thätigkeit der Ausführung gelaſ-
[380]Drittes Buch. §. 234.
ſen, aber es wäre undankbar die Namen eines Dohna, Herzberg,
Hardenberg, Wilhelm v. Humboldt und Bernſtorff zu vergeſſen.
Blicken wir nach Scandinavien, ſo ſchauen uns die Geiſter
eines Salvius, Oxenſtierna, in Dänemark die Bernſtorff und
ein Graf Lynar an. Sollten wir auch noch der ruſſiſchen Diplo-
matie gedenken müſſen, ſo würden wir nicht ſowohl geſchichtliche
Namen anzuführen haben, als das Geſtändniß machen müſſen: ſie
hat ohne äußere Fehler ihre Zwecke ſtets auf ſicherem Wege zu
erreichen gewußt.
Politik der Diplomatie.
234. Die weſentliche Aufgabe der Diplomatie beſteht in der
äußeren Sicherſtellung der Selbſtentwickelung eines Staates. Zu-
nächſt beſtimmt ſich alſo ihr Verhalten aus der wahren, d. h. na-
turgemäßen politiſchen Stellung des Staates, den ſie zu vertreten
hat an und für ſich, ſo wie desjenigen mit welchen man in Be-
rührung kommt; dieſe Stellung muß ſie richtig auffaſſen und ſich
ganz damit identificiren. 1 Ein anderes Syſtem wird dann eine
Macht vom erſten Range, ein anderes die vom zweiten oder drit-
ten Range verfolgen. 2
Eine große Macht hat auf Erfolg am meiſten zu rechnen, wenn
ſie in ihrem Verhalten mit vollem Selbſtbewußtſein eine weiſe Mä-
ßigkeit und Schonung verbindet. 3 Während ſie ihre dominirende
Stellung zu behaupten ſucht, verwerfe ſie nie billige Anträge der
anderen; ſie ſtrebe ihnen zuvor in freundlichen Dienſten, ſchenke
aber nicht den rivaliſirenden Staaten zu viel Vertrauen und halte
ſich nie für zu ſicher, ſorge alſo ſchon in Zeiten der Ruhe und
des Glückes für die Zeiten der Gefahr. Nie ziehe ſie ſich ganz
in Unthätigkeit zurück, ſondern ſie nehme Theil an anderen Angele-
genheiten, nur nicht ſtörend, ſondern nach der Gerechtigkeit. Was
diejenigen Mächte erſten Ranges betrifft, die zwar nicht zu den
[381]§. 234. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
eigentlich Tongebenden gehören, jedoch mit ihnen rivaliſiren können,
ſo beſteht ihre Hauptaufgabe darin, ſich in einem billigen Gleichge-
wicht zu erhalten und ſich wohl zu hüten, nicht in den Ton einer
herrſchenden Macht zu verfallen. Sie haben dabei den Vortheil,
daß ſie bei weitem eher Bundesgenoſſen finden als die Tonange-
benden, ein Vortheil welcher leicht durch Ueberſchreitung der Gren-
zen ihrer Bedeutſamkeit verſcherzt werden kann.
Mächte des zweiten Ranges haben meiſt ein natürliches ge-
meinſchaftliches Intereſſe unter einander, nämlich ſoviel als mög-
lich Einmiſchungen und Uebermacht der Staaten erſten Ranges
von ſich entfernt zu halten. Befindet ſich eine der erſteren in der
Mitte mehrerer Großmächte, ſo muß ſie ihre Freundſchaft oder
Neutralität ſtets theuer verkaufen. Erringt eine ſolche Macht un-
ter glücklichen Conjuncturen Vortheile, ſo iſt es weiſe, ſich daran
genügen zu laſſen und nicht nach dem oft betrüglichen Schimmer
einer Großmacht zu ſtreben. Die innere Vollendung des Staates
iſt es, was die Politik ſolcher Mächte vorzüglich zu erſtreben hat.
Mächte dritten Ranges haben hauptſächlich nur an ihre unge-
ſtörte Erhaltung zu denken. Neutralität alſo, oder wenn dieſe un-
möglich wäre, feſte Anſchließung an einen größeren, Vertrauen bie-
tenden Staat, wird hier die Hauptrichtung der äußeren Politik ſein
müſſen.
Allen Staatsmännern muß es aber in die Seele geſchrieben
und die ſtete Triebfeder ihrer Handelsweiſe ſein, die Ehre und das
Wohl ihres Staates bis zum letzten Augenblick feſtzuhalten und
zu ſuchen, demnach auch nie vor der Gefahr zu zittern, ſondern
ſie zu bekämpfen. Sie müſſen die Ereigniſſe kommen ſehen und
richtig würdigen, aber ſie nicht machen wollen. Nichts iſt für die
Staaten und das Wohl der Völker ſo nachtheilig, als Geſchäftig-
keit der Diplomatie, blos um Etwas zu thun. Die Geſchichte des
vorigen Jahrhunderts liefert hiergegen warnende Beiſpiele. Die
damals herrſchende Vertragsſucht hat nichts Großes geleiſtet, ſon-
dern oft nur Verwirrungen und Mißverſtändniſſe herbeigeführt. 1
Schädlich iſt auch zur ſelben Zeit mehrere Händel oder Angelegen-
heiten zu haben. Ein erreichbares Ziel mit aller Kraftanſtrengung
verfolgen, unter Beiſeiteſtellung der minder erheblichen oder ent-
[382]Drittes Buch. §. 235.
fernteren Ziele, iſt beſſer als Vergeudung der Kräfte nach ver-
ſchiedenen Seiten hin. 1
Schule der Diplomatie.
235. Die Schule der Diplomatie iſt das Leben und die Ge-
ſchichte. Vergebens wird man dafür Akademien errichten, wenn
nicht jene beiden Lehrmeiſterinnen ein empfängliches Talent bilden.
In älteren Zeiten waren es die Männer vom Schwerdt, welche
oft ohne alle gelehrte Vorbereitung in politiſchen Angelegenheiten
gebraucht wurden, oder Geiſtliche in der Schule der Hierarchie ge-
bildet. Später erſt traten die Laienmänner von der Feder dazu.
Darüber klagten anfangs die Männer vom Degen, weil jene oft
Dinge unternehmen, die den Krieg nach ſich ziehen; denn da ihr
eigenes Leben nicht in Gefahr komme, ſo kümmere es ſie nicht
fremdes Blut vergießen zu laſſen. 2 So haben noch in neuerer
Zeit die Degen gemurrt, daß die Federn verderben oder wieder
verlöhren, was jene erkämpften. Gewiß indeſſen iſt Politik und
Diplomatie nicht das Feld des Kriegers. Dieſer verlangt oft mehr
als Recht iſt, nur nach dem Stande der Gegenwart. Das Recht
aber wird immer die ſicherſte Baſis für die fernere Geſchichte ei-
nes Staates ſein. Damit ſoll nicht geſagt werden, daß Feldher-
ren nicht ebenfalls tüchtige Diplomaten ſein können. Die ältere und
neuere Zeit hat großartige Beiſpiele der Vereinigung beider Talente
gegeben.
Kann nun auch ſchon ein politiſches Talent ohne ſchulmäßige
Bildung ſich zu einem Diplomaten entwickeln, ſo wird es doch
eine ſichere Stellung nicht ohne wirkliche Studien, vorzüglich in
heutiger Zeit, behaupten können. Vorausſetzen muß man bei ihm
ein Durchdrungenſein von den Grundſätzen des Rechtes überhaupt,
hinreichende Kenntniß des europäiſchen Völkerrechtes, der Verfaſ-
ſung der Staaten, der Weltgeſchichte, Kenntniß der Staatskräfte
und die nöthigen linguiſtiſchen Fähigkeiten. 3 Ohne Zweifel wer-
[383]§. 236. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
den hierzu beſondere Bildungsſtudien das Ihrige beitragen, nur
allein können ſie den Diplomaten nicht ſchaffen und die Regie-
rungen ſich in der Wahl der Perſönlichkeiten nicht an beſtimmte
Courſe binden. 1 Andererſeits iſt das Leben allein, ſelbſt in hö-
herer Sphäre, ohne Studien ſelten zureichend, höchſtens für Figu-
ranten.
Specielle diplomatiſche Befähigung und Verantwortlichkeit.
236. Schon längſt hat man bemerkt, daß ſich zwar leicht das
Ideal eines Diplomaten aufſtellen laſſe, daß es jedoch überaus
ſchwer ſei ein ſolches überhaupt oder jederzeit in der Wirklichkeit
aufzufinden, ja, daß nicht einmal die vollſtändigſte Vereinigung di-
plomatiſcher Fähigkeiten geeignet ſein werde, einen beſtimmten Er-
folg jederzeit zu ſichern. Dieſer iſt oft bei weitem mehr von äu-
ßeren Umſtänden, als von der Gerechtigkeit und deutlichen Erkenn-
barkeit des Zweckes bedingt, ſo daß die Kunſt des Staatsmannes
oft nur darin beſteht, die Umſtände richtig zu würdigen und zu be-
nutzen. So kann es geſchehen, daß gerade der edelſte und tüch-
tigſte Mann in einer Angelegenheit das Ziel nicht erreicht, weil er
ſich in die Conjunctur nicht zu ſchicken weiß, da ſie ihm zu klein-
lich, oder die Benutzung derſelben mit der Ehre unverträglich er-
ſcheint, während ein anderer minder bedeutender Staatsmann kein
Bedenken trägt, das Gelingen ſeiner Aufgaben auf die Benutzung
derartiger Umſtände zu gründen. So konnte man in früherer Zeit
vornehmlich auf perſönliche Neigungen, Intriguen und Verlegen-
heiten bei den Höfen ſpeculiren, ein gewandter Hofmann mehr er-
reichen, als ein ernſter Staatsmann, eine Mademoiſelle Kerroual
mit feiner Taille, kleinem Munde und großen Augen am Hofe
Carls II von England beſſere Reſultate für Frankreich erreichen,
als ein ganzer Friedenscongreß; 2 und welche Vortheile ſind nicht
zuweilen durch kleine diplomatiſche Galanterien erlangt worden!
[384]Drittes Buch. §. 236.
Indeſſen ſind Rückſichten und Speculationen dieſer Art immer nur
als exceptionelle zu betrachten. Die Zeiten haben ſich auch in die-
ſem Stücke geändert; die Schickſale der Völker ſind nicht mehr ſo
unbedingt von der Laune Einzelner abhängig. Die neuere Verfaſ-
ſungsentwickelung hat insbeſondere einen größeren Ernſt und grö-
ßere Zähigkeit in die Behandlung der Staatsangelegenheiten gelegt,
und die Regierungspolitik gegen bloße Leichtfertigkeiten geharniſcht.
Kommt es nun auf die Auswahl tüchtiger diplomatiſcher Per-
ſönlichkeiten an, ſo werden andere Geſichtspuncte für einen Leiter
der geſammten auswärtigen Angelegenheiten eines Staates, und
wiederum andere für den Unterhändler zu nehmen ſein. Für die
erſtere Function bedarf es weniger des feinen Weltmannes; ſeine
Stellung iſt mehr reflectirend und innerlich; er hat die Pläne zu
zeichnen, die Ausführung zu beobachten und den Faden des Gan-
zen feſtzuhalten; er kann kühner, kräftiger und gemeſſener auf-
treten als der Unterhändler. Seine Perſönlichkeit muß die Poli-
tik des ganzen Staates repräſentiren, folglich auf der Geſchichte
und den wohlverſtandenen Intereſſen und Kräften des Staates be-
ruhen.
Bei dem Unterhändler kommt es zunächſt auf die Zwecke an,
welche ihm anvertraut werden. Für Angelegenheiten die ſich voll-
kommen überſehen laſſen, wo keine Beeilung nöthig, das Ziel klar
und die Motiven abgeſchloſſen ſind, wird ſchon ein mittelmäßiger
Kopf genügen, welcher ſich ſtreng an ſeine Inſtructionen hält und
darnach in den conventionellen Formen zu handeln verſteht. Hier-
mit aber iſt in wichtigeren Angelegenheiten nicht auszureichen, wo
ſich keine detaillirten Inſtructionen geben laſſen, wo vielleicht nur
zu retten iſt, was nach Gunſt der Umſtände noch gerettet werden
kann, oder wo zur Erreichung eines Zweckes ein anderes noch un-
beſtimmtes Aequivalent geboten werden muß; hier bedarf es eben
ſolcher Fähigkeiten, ja wohl noch größerer, als für den Miniſter
des Auswärtigen im Allgemeinen nöthig ſind, einer beſonderen Ge-
ſchmeidigkeit und eines extemporirenden Handelns. 1 Die eigen-
thümlichen Zierden des Unterhändlers aber ſind: Natürlichkeit des
Benehmens, Freiheit von aller Affectation; Selbſtkenntniß und
[385]§. 237. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Selbſtbeherrſchung, ſcharfe Beobachtungsgabe, Vorſicht, nur nicht
bis zum Exceß oder bis zur Lächerlichkeit, Feinheit mit Würde,
ohne das Ausſehen einer bloßen Puppe, Geiſtesgegenwart und Fer-
tigkeit unvorbereitet zu reden und zu handeln, Beredſamkeit ohne
Ueberladung aber mit Präciſion.
Cardinaltugenden aller, ſowohl der leitenden wie handelnden
Diplomaten, ſind endlich:
- Probität und Wahrheit —. Die Unwahrheit kann eine Zeitlang
Erfolge haben, aber nur die Wahrheit und das Recht mit
Beharrlichkeit verfolgt oder vertheidigt, ſiegt zuletzt. - Geiſtesgegenwart und Furchtloſigkeit ohne Uebermuth und Leicht-
ſinn; - Unzugänglichkeit gegen Beſtechungen aller Art;
- Begeiſterung für den Beruf, d. i. für Recht, Würde und Heil
ſeines Staates und Souveräns ohne eigenen Ehrgeiz.
Der Diplomat muß wiſſen, daß er mehr im Stillen zu wirken
und ſich an ſeinem Bewußtſein zu begnügen hat, als daß er ſich
durch ein hervortretendes Handeln einen Anſpruch auf Unſterblich-
keit zu erwerben vermag.
Ueber die Verantwortlichkeit der diplomatiſchen Agenten hat
ein gelehrter Publiciſt (Flaſſan) geſagt, und es iſt ihm nachge-
ſprochen worden: „man müſſe ſehr nachſichtig ſein gegen die Irr-
thümer der Politik, wegen der Leichtigkeit darin zu verfallen.“ Aber
es darf dadurch nicht jede ſtrenge Beurtheilung des Verfahrens
der politiſchen Organe niedergeſchlagen werden. Denn ſie dürfen
wenigſtens nie vergeſſen, welche heilige Intereſſen ihnen obliegen;
wie ſie daher auch die höchſte Sorgfalt auf die Erfüllung ihrer
Beſtimmung verwenden müſſen.
Allgemeine Verhaltungsregeln für Unterhändler.1
237. Kommt es auf Unterhandlungen mit einem fremden
Staate zu einem gewiſſen Zwecke an, ſo hat der damit beauftragte
25
[386]Drittes Buch. §. 238.
Diplomat ſich vor allen Dingen auf das Genaueſte von dem Zwecke,
den Motiven und anwendbaren Mitteln zu informiren. Er muß
alles beobachten und darüber getreulich berichten, die entſtehenden
Hinderniſſe und Zweifel dem Committenten anzeigen, jedoch nicht bloß
Inſtruction erwarten, ſondern auch ſelbſt Vorſchläge zu machen ver-
ſtehen. An dem fremden Hofe wiederum muß er ſich vor Allem in ein
gutes Vernehmen ſetzen und jeden Grund zu Mißverſtändniſſen ſorg-
fältig vermeiden. Er muß Schlimmes unter einer guter Miene
verbergen und ſich nicht durch leere Worte oder Fremdartiges hin-
halten laſſen. In ſeinen Anträgen ſei er beſtimmt, in der Dis-
cuſſion der Einwendungen ſicher und logiſch, überhaupt nie den
Zweck aus den Augen verlierend; aber er verfolge ihn mit Mäßi-
gung und ohne Opiniatrirung; er vermeide es gegen Hinderniſſe
zu kämpfen, welche dennoch nicht ſofort beſeitigt werden können.
Wohl kann es ſich in Privatſachen, wo Geſetz und Staatsgewalt
ſchützend mitwirken, verlohnen, einem Anderen durch Beharrlichkeit
Etwas abzutrotzen; aber in den Verhältniſſen der Staaten, wo auch
Verträge meiſt nur ſo lange verbindlich bleiben, als man es zu-
träglich findet ſie zu halten, oder ſo lange die Uebergewalt des An-
deren zu befürchten iſt, wird es höchſt gefährlich den Dingen
Zwang anthun zu wollen. Klugheit gebietet daher Nachſicht und vor-
läufige Beruhigung, ſelbſt wo man entſchiedene Forderungsrechte hat.
Der Diplomat verzichte lieber auf den Triumph die Verhältniſſe
beſiegt zu haben, wenn er nicht auch dann eines ſicheren und dauern-
den Erfolges gewiß iſt. Ein unerwartetes Ereigniß kann oft ſo
leicht die Hinderniſſe beſeitigen. 1 —
Dritte Unterabtheilung.
Die Form der Staatenverhandlungen.
238. Die Verhandlungen der Staaten werden entweder münd-
lich oder ſchriftlich unter den Repräſentanten geführt, und zwar
bald unter den Souveränen ſelbſt, bald durch die diplomatiſchen
1
[387]§. 239. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Agenten, zuweilen ſelbſt nur einſeitig vor dem Publicum. Die Art
und Weiſe dieſes Verkehres iſt ein Theil der Staatspraxis, und
daher ſowohl in den allgemeinen auf letztere bezughabenden Schrif-
ten, als auch in ihrer Beſonderheit von practiſchen Schriftſtellern
dargeſtellt worden.
Sprache der Verhandlungen überhaupt.
239. Die Sprache iſt das Recht jeder Nation, wie ſie überhaupt
zum Menſchen gehört. Ohne Zweifel kann nun jeder Staat oder
Souverän auch eine beſtimmte Sprache wählen, worin er ſeinen
Willen erklärt und deren ſich ſeine Organe in den öffentlichen Ver-
handlungen zu bedienen haben. Er kann dagegen aber nicht ver-
langen, daß auswärtige Staaten mit ihm in derſelben Sprache ver-
kehren; er muß ihnen gleichfalls ihre eigene Erklärungsweiſe zuge-
ſtehen, und jeder Theil kann erwarten, daß, wenn von ihm eine Er-
klärung gewünſcht wird, der Anlaß dazu auf eine ihm verſtändliche
Art gegeben oder verdollmetſchet werde.
Die Unbequemlichkeit, welche mit dem Gebrauche verſchiedener
Zungen verbunden iſt, erzeugt indeſſen, abgeſehen von dem vorausge-
ſtellten unleugbaren Princip, das Bedürfniß von Mittheilungen in
allgemeinen und für jeden Theil gleich verſtändlichen Sprachweiſen.
So kann denn wenigſtens unter einzelnen Staaten oder vorüber-
25*
[388]Drittes Buch. §. 239
gehend für gewiſſe Verhandlungen eine gewiſſe Sprache als diplo-
matiſche beliebt werden, wovon ſich wieder die Hofſprache unter-
ſcheiden läßt, d. i. die Sprache einzelner Höfe in der Privatcon-
verſation. 1
Der Gebrauch der Staaten und Höfe hat in beiderlei Hin-
ſicht öfters gewechſelt, ohne jedoch von dem obigen Princip ſelbſt
abgewichen zu ſein.
Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen und Urkunden war
noch bis in das vorige Jahrhundert hinein meiſtentheils die la-
teiniſche; 2 Hofſprache war früherhin gewöhnlich die Landesſprache;
ſo lange jedoch König Philipp II von Spanien lebte, hatte die
ſpaniſche Sprache bei einer großen Zahl europäiſcher Höfe ſtarken
Eingang gefunden. Seit Ludwig XIV indeß überwog hier faſt
allgemein die franzöſiſche Sprache; ſie wurde damit bald auch die
Sprache der diplomatiſchen Verhandlungen, ein Umſtand worin die
franzöſiſche Politik keinen geringen Bundesgenoſſen gefunden hat. 3
Niemals iſt gleichwohl durch ein allgemeines Völkergeſetz oder durch
ein auf der Idee der Nothwendigkeit beruhendes Herkommen die
franzöſiſche Sprache als gemeinſame Staatenſprache wirklich reci-
pirt, ſondern wie oft ſie auch in neuerer Zeit gebraucht worden
iſt, hat man ſich meiſtens von Seiten anderer Staaten gegen et-
wanige Conſequenzen ausdrücklich gewährt, 4 wenn nicht die fran-
[389]§. 240. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
zöſiſche Sprache ſelbſt auch die hergebrachte Landesſprache des an-
deren Staates iſt.
Mehrere Mächte beſtehen fortwährend auf dem Grundſatz, daß
ihnen jede officielle Communication in ihrer Sprache gemacht oder
wenigſtens mit einem Translat begleitet werde. So der deutſche
Bund durch Beſchluß vom 12. Juni 1817. Andererſeits bedienen
ſich auch Geſandte an fremden Höfen mit Recht ihrer eigenen
Sprache, aber, wie ſich von ſelbſt verſteht, mit der Verpflichtung
zu einem Translat, wenn ſie die Mittheilung im eigenen Intereſſe
machen. 1
Was den mündlichen förmlichen Verkehr betrifft, z. B. in förm-
lichen Audienzen, ſo gilt auch hier ein gleiches Princip; der fremde
Geſandte redet oder kann wenigſtens in ſeiner eigenen Sprache re-
reden, während ein Dollmetſcher die Uebertragung unternimmt. Der
Souverän antwortet in der ſeinigen. Das Umſtändliche eines ſol-
chen Verkehres führt indeſſen wohl ſelbſt zur Aufgebung des Prin-
cips. Der dem Range nach geringere giebt hier dem Verbindli-
cheren den Vorzug, oder man verſtändigt ſich überhaupt, eine beiden
Theilen geläufige Sprache anzuwenden, wie zur Zeit beſonders die
franzöſiſche als die verbreiteteſte iſt.
Diplomatiſcher Styl.
240. Iſt der Styl, wie man geſagt hat, der Menſch, der ſich
darin ſeinen Ideen gemäß ausſpricht, ſo muß auch andererſeits der
Styl, wenn der Staat redet, ſeinem Weſen entſprechen, mithin das
ihn vertretende Organ ſich der eigenen Individualität entäußern
und eine Form wählen, welche die Bedeutung des Staates als
eines Trägers der Geſammtvernunft erkennen läßt. Muß irgend
eine Ausdrucksweiſe ſich von allem Niedrigen entfernt halten, ſo
iſt es ganz beſonders von der diplomatiſchen zu erwarten und zu
fordern. Freilich kann ſie ſich von dem Menſchlichen nicht los-
ſagen; ſie kann keine Sprache der Götter ſein; aber ſie hat den
[390]Drittes Buch. §. 241.
Gedanken klar und in reiner edler Form darzuſtellen, gemeſſen und
ernſt, fern von Pathos und ohne Wortputz. Sie muß die reine
Objectivität der Dinge in ſich tragen, die leichte Hülle einer logi-
ſchen Gedankenfolge ſein; ſie verträgt ſich weder mit metaphyſi-
ſchen Spitzen noch auch mit der Sprache des Redners. 1
Das Gewicht, was auf diplomatiſchen Erklärungen ruht, die
Achtung, welche der andere Theil ſeiner völkerrechtlichen Stellung
nach fordern kann, bringt unſtreitig die Verpflichtung mit ſich, je-
der diplomatiſchen Production, ja ſelbſt derjenigen, welche bloßen
Cerimonialzwecken dient, eine beſondere Aufmerkſamkeit zu widmen.
Schon leichte Verſtöße und Nachläſſigkeiten können Mißverſtänd-
niſſe zur Folge haben, wenn es auch unpaſſend wäre, jeden Feh-
ler mit gleicher Strenge zu behandeln. Laufen ſie nur gegen den ge-
wöhnlichen Gebrauch, ohne daß ſie an ſich verletzend ſind, wie z. B.
ſogenannte Canzleifehler, ſo überſieht man ſie entweder oder rügt
ſie bei weiterer Communication nur durch einen beigefügten außeroffi-
ciellen Canzleizettel, oder man verfährt ſeinerſeits in gleicher Weiſe,
wie der abſendende Theil. Sind die Fehler von größerer Bedeu-
tung und wohl gar verletzend, ſo nimmt man die Mittheilung ent-
weder gar nicht an, oder verlangt dafür Genugthuung. 2
Correſpondenz der Souveräne ſelbſt.
241. Correſpondiren die Souveräne unter Einander ſelbſt in
Staatsangelegenheiten auf eine obligatoriſche Weiſe, ſo pflegt ſich
dieſes mehr nur auf Aeußerlichkeiten zu beſchränken und in allge-
meinen Wendungen zu halten, als in die Sachen einzugehen. Die
Mittheilungen enthalten meiſtens eine auctoritatis interpositio für
die Handlungen ihrer Agenten, oder Empfehlungen beſtimmter Per-
ſonen und Angelegenheiten. Sie beſtehen entweder in förmlichen
[391]§. 241. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Canzleiſchreiben (lettres de chancellerie, de conseil ou de cé-
rémonie) oder in ſogenannten Cabinets- und Handſchreiben.
Canzleiſchreiben ſind die feierlichſte Art, wo Ceremonial
und Courtoiſie (§. 196.) auf das Strengſte beobachtet werden.
Der Eingang enthält die vollſtändige Titulatur des Schreibenden,
bei monarchiſchen Souveränen mit: Wir von Gottes Gnaden,
ſodann die Titulatur desjenigen, an welchen ſich der Schreibende
wendet; demnächſt folgt die eigentliche Anrede in der üblichen Canz-
leiform nebſt Beifügung etwaniger Ehrenprädicate, insbeſondere des
Bruder- und Schweſtertitels. Im Context nennt ſich der Schrei-
bende Wir, den Addreſſaten dagegen mit dem Prädicat ſeiner Würde
(Ew. Majeſtät, Königl. Hoheit ꝛc.). Den Schluß bilden Freund-
ſchaftsverſicherungen oder fromme Wünſche, ſodann eine nochma-
lige Anrede des Addreſſaten mit ſeinem Prädicat und üblichen Eh-
renwort, endlich Datum und Ort ſowie die Unterſchrift und die
Contraſignatur nebſt Beifügung des großen Canzleiſiegels.
Cabinetsſchreiben enthalten nur eine einfache Anrede des
Addreſſaten mit dem Prädicat ſeiner Würde oder mit einem ver-
wandſchaftlichen Ehrenwort. Man ſchreibt im Context von ſich
in der Einzahl; der Schluß wird mit der Unterſchrift durch ver-
bindliche Erklärungen in Eines zuſammengefaßt. Das Ganze er-
hält ein kleineres Couvert und das kleinere Staatsſiegel. 1
Noch verbindlicher als Cabinetsſchreiben ſind ganz eigen-
händige Schreiben ohne alles Cerimoniell rückſichtlich der Titel.
Was nun den Gebrauch der einen oder der anderen Form be-
trifft, ſo ſetzen die eigenhändigen Schreiben beſonderes Vertrauen,
perſönliche Beziehungen oder eigenthümliche Vorfälle in den Fami-
lien und dgl. voraus. Zur förmlichen Staatscorreſpondenz dienen
nur Canzlei- und Cabinetsſchreiben. Eine Pflicht, die eine oder
die andere Form zu gebrauchen, exiſtirt im Allgemeinen nicht. Canz-
leiſchreiben in der oben angezeigten gewöhnlichen Form, pflegen in-
deß nur unter Gleichen, oder von einem Höheren gegen einen Ge-
ringeren gebraucht zu werden. Will ein Souverän von geringe-
[392]Drittes Buch. §§. 242. 243.
rem Range an einen Höheren ein Canzleiſchreiben erlaſſen, ſo ſind
dabei gewiſſe Modificationen üblich.
Specielle Arten diplomatiſcher Schriften.
242. Zu den diplomatiſchen Schriften, welche gewöhnlich von
dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten ausgehen und
nicht nothwendig des Zuthuns eines Unterhandlers oder Bevoll-
mächtigten bedürfen, ſind zu rechnen:
- Manifeſte und Proclamationen,
- Proteſtationen,
- Deductionen,
- Cerimonialſchreiben, z. B. zur Beglaubigung und Abberufung
eines diplomatiſchen Agenten, - Ratificationsurkunden,
- Garantieacte,
- Reverſalien,
- Abdications-, Ceſſions-, Verzichtsurkunden und dgl. 1
Einige derſelben verlangen die Vollziehung des Souveräns, Andere
ſind entweder nur für das Publicum beſtimmt, oder werden von
dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten allein erlaſſen.
Zweck und Umſtände beſtimmen den Inhalt und Styl, ohne daß
gewiſſe eigenthümliche Formen zum Weſen ſolcher Acte gehören.
Diplomatiſche Verhandlungsweiſe.
243. Eigenthümliche diplomatiſche Verhandlungen beſtehen ent-
weder in bloßen Communicationen oder in Negociationen. Die
letzteren werden bald unmittelbar mit dem fremden Souverän, bald
mit dem Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten oder mit einem
Commiſſar der Regierung geführt, auch kann dabei die Theilnahme
einer dritten Macht durch Leiſtung freundlicher Dienſte oder im Wege
einer förmlichen Vermittelung Statt finden.
Die Verhandlungsweiſe iſt bald eine mündliche, bald eine ſchrift-
liche. Zur letzteren dient die Uebergabe von Memoirs in die Hände
des fremden Souveräns oder ein Notenwechſel unter den diplo-
matiſchen Agenten ſelbſt. Hierbei unterſcheidet man unterzeich-
[393]§. 244. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
nete Noten (notes signées), deren Inhalt der Regel nach als
ein verpflichtender gelten muß, ſodann Verbalnoten (notes
verbales ou non signées), wodurch meiſt nur der Fortgang ei-
ner Angelegenheit in Erinnerung gebracht wird; endlich giebt es
auch vertrauliche Noten in der Sache ſelbſt, worin ſich ein Mini-
ſter mehr für ſeine Perſon als in Auftrag ausſpricht, die man da-
her auch nicht immer zu unterzeichnen veranlaßt iſt. 1
Zu den mündlichen Verhandlungen dienen:
- a. die Audienzen, welche man bei dem fremden Souverän
oder Repräſentanten des republicaniſchen Gemeinweſens
nachſucht. Ob der Miniſter des Auswärtigen dabei zu-
zuziehen ſei? hängt von der Verfaſſung des Staates ab; - b. Conferenzen mit dem Miniſter des Auswärtigen oder deſ-
ſen Beauftragten.
Weder die Einen noch die Anderen können, wenn zuvor der Gegen-
ſtand der gewünſchten Vernehmlaſſung in ſchicklicher Form ange-
zeigt iſt und die beiderſeitigen Staatsintereſſen wirklich berührt,
verſagt werden. Soll das Ergebniß einer Miniſterial-Conferenz
zu weiteren Schritten benutzt werden oder eine Baſis für fernere
Verhandlungen abgeben, ſo kann darüber ein Protocoll aufgenom-
men und von den Theilnehmern der Verhandlung gezeichnet wer-
den, oder der Geſandte ſetzt den Inhalt der beiderſeitigen Erklärun-
gen in Form eines ſ. g. aperçu de conversation oder einer refe-
rirenden Note auf, und läßt ſich in irgend einer Weiſe die Rich-
tigkeit des Aufſatzes beſtätigen. 3
Congreſſe.
244. Als beliebteſte Form zur Verhandlung auswärtiger Staats-
angelegenheiten von höherem Intereſſe hat ſich in neueſter Zeit die
Verhandlung auf ſogenannten Congreſſen ergeben, an welcher die
betheiligten Souveräne entweder in Perſon oder aber durch beſon-
2
[394]Drittes Buch. §. 244.
dere Abgeordnete Theil nehmen. Es gehört dazu keine Vielheit von
Souveränen, ſondern es kann auch ſchon unter zweien allein zu
einem Congreſſe kommen.
In älterer Zeit kannte man vornehmlich nur Friedenscongreſſe
zum Zwecke einer Pacification und daneben perſönliche Zuſammen-
künfte der Souveräne, letztere jedoch mehr zu perſönlichen Beſpre-
chungen und Entſchließungen oder zu blos particulären Vertrags-
ſchlüſſen. Das gegenwärtige Jahrhundert hat zuerſt das Beiſpiel
von Congreſſen und Geſammtverhandlungen dabei ergeben, mit dem
Zweck einen bereits eingetretenen Friedenszuſtand zu befeſtigen, wei-
ter auszuführen, oder drohende Gefahren abzuwenden, überhaupt über
Verhältniſſe von allgemeiner Wichtigkeit gemeinſchaftliche Beſchlüſſe
zu faſſen. Ohne die Nichtanweſenheit von Souveränen hat man
die Congreſſe bloßer Abgeordneten auch wohl nur durch „Confe-
renzen“ bezeichnet.
Die Vorzüge der Congreſſe vor blos particulären Verhandlun-
gen ſind evident, obwohl nicht immer die Politik der Staaten dazu
rathen wird. 1
Veranlaſſung zu dem Zuſammentreten eines Congreſſes oder
einer Miniſterial-Conferenz kann im Allgemeinen jede Macht ge-
ben. Man verſtändigt ſich in präliminären Verhandlungen oder
Verträgen über Zweck, Ort und Form. Dritte Mächte können
eine Theilnahme in der Regel nicht als Recht fordern, ſondern nur
Maaßregeln gegen etwanige präjudicirliche Richtungen ergreifen.
Die Congreßverhandlungen ſelbſt beginnen mit Auswechſelung
der Legitimationen und mit der Einrichtung eines beſtimmten Ge-
ſchaͤftsganges, z. B. durch Bildung einer beſonderen Canzlei und ein-
zelner Comités oder Bureaus. Die Leitung der gemeinſchaftlichen
Verhandlungen wird entweder einem angenommenen Vermittler
überlaſſen, oder es wird ein eigener Vorſitzender gewählt, oder,
wie beim Wiener Congreß, ein leitendes Conſeil conſtituirt. Ne-
ben den gemeinſchaftlichen Congreßverhandlungen können demnächſt
auch Particularverhandlungen unter einzelnen Betheiligten Statt
finden. Die Reſultate der Conferenzen werden in Protocollen nieder-
gelegt, welche von den Theilnehmern nach vorheriger genauer Kennt-
nißnahme unterzeichnet worden. Alle Vereinbarungen endlich, ſo-
weit ſie mit dem gemeinſamen Zweck des Congreſſes in Verbin-
[395]§. 245. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
dung ſtehen, werden auch wohl in eine gemeinſchaftliche Acte zu-
ſammengefaßt. 1
Dritter Abſchnitt.
Gebrauch von Kundſchaftern. L’Espionnage. 2
245. Spion, Späher, Kundſchafter iſt, wer im Intereſſe einer
Partei und insbeſondere einer gewiſſen Regierung außerhalb ſei-
nes öffentlichen Berufes, mit verheimlichter Abſicht, Zuſtände einer
anderen Partei in ihrem eigenen Bereiche auszuforſchen ſucht, de-
ren Bekanntwerden zu verhüten in ihrem Intereſſe und Recht liegt.
Es giebt militäriſche und politiſche Kundſchafter; Erſtere für
Kriegsunternehmungen, Letztere für ſonſtige Staatszwecke. Daß es
im allgemeinen erlaubt ſei ſich auf ſolchem Wege Kenntniſſe zu ver-
ſchaffen, wofern es keinen offenen Weg dazu giebt, oder inſofern
man dadurch ſich nur gegen Gefahren zu ſchützen ſucht, kann ſelbſt
nach dem Moralgeſetz nicht bezweifelt werden. 3 Verwerflich er-
ſcheint dabei allein die Anwendung von Mitteln, welche die innere
Ordnung des auszukundſchaftenden Staates verletzen, z. B. Beſte-
chung ſeiner Beamten. Gewiß kann von ihm in ſolchem Falle
auch gegen abgeordnete fremde Kundſchafter nach der Strenge ſei-
ner Geſetze verfahren werden, ohne daß jenen die Vertretung ihrer
eigenen Regierung davon helfen kann. Dieſe ſelbſt würde ſich ſo-
gar einer Kränkung durch ausdrückliche Anordnung oder Geneh-
migung ſolcher Mittel ſchuldig machen.
Ob es eine Verpflichtung gebe ſich als Kundſchafter für ſei-
nen heimathlichen Staat gebrauchen zu laſſen, oder andererſeits ein
Recht, dergleichen Dienſt für einen fremden Staat zu überneh-
[396]Drittes Buch. §. 246.
men, iſt lediglich nach Grundſätzen des inneren Staatsrechtes zu
beurtheilen.
Militäriſche Kundſchafter.
246. Als Militärſpione können nur diejenigen gelten, welche
außer ihrem ordentlichen militäriſchen Beruf über feindliche Ver-
hältniſſe und in Beziehung auf einen Kriegsſtand zwiſchen dem
abſendenden und fremden Staate heimliche Erkundigungen einzie-
hen, und zwar entweder in dem feindlichen Staate ſelbſt oder doch
in den von ſeinen Truppen beſetzten Ländern, Lagern und Linien,
nicht aber auch derjenige, welcher ohne Verheimlichung, ſeinem or-
dentlichen Militärberufe gemäß, in einen jener Bereiche eindringt,
um Nachrichten zu ſammeln; z. B. auf einer Recognoscirung; oder
wer auf dem ihm angewieſenen Poſten von Perſonen, deren er hier
habhaft werden kann, Erkundigungen einzieht; und ebenſo wenig
iſt derjenige ein eigentlicher Kriegskundſchafter, welcher nur für ſeine
eigenen Zwecke ſich von der Lage einer feindlichen Partei aufzuklä-
ren unternommen hat.
Iſt nun auch an und für ſich in der Uebernahme eines Kund-
ſchaftauftrages kein Verbrechen enthalten, ſo wird es doch ein ſol-
ches, wenn ihn ein Unterthan gegen ſeinen eigenen Staat unter-
nimmt; denn er begeht einen Verrath; überdies ſteht dem Feinde
unbedenklich zu, wider das [Auskundſchaften] ſeiner Lage und Ver-
hältniſſe Reactionen als Vertheidigungsmittel zu gebrauchen. Der
Späher iſt in einem feindlichen Unternehmen begriffen. Der Kriegs-
gebrauch hat ihm daher längſt, wenn er auf ſolcher That betroffen
wird, den Strang, oder zuweilen in neuerer Zeit die Kugel be-
ſtimmt, wie es das Martialgeſetz jeder Nation mit ſich bringt.
Auch hier kann eine ausdrückliche Auftragsertheilung der fremden
Regierung nicht ſchützen, ſo wenig als die Berufung auf die Pflicht
des Gehorſams im Militärdienſt. 1
Die nachherige Ergreifung, nachdem der Späher aufgehört hat,
ein ſolcher zu ſein, kann höchſtens nur Sicherungsmittel gegen
[397]§. 247. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
ſeine Perſon, nicht aber eine wirkliche kriegsrechtliche Ahndung wei-
terhin veranlaſſen. 1
Politiſche Kundſchafter.
247. Politiſche Kundſchafter dienen weſentlich dazu, um den
inneren politiſchen Zuſtand eines fremden Landes oder aber die
Richtung und Angelegenheiten der auswärtigen Politik deſſelben zu
erforſchen. Der Gebrauch ſolcher Späher iſt zu keiner Zeit für
ſchlechthin unerlaubt gehalten worden; ja es gilt kaum für eine
völkerrechtliche Verletzung, Beſtechungen zu Erlangung geheimer
Nachrichten angewendet zu haben. Natürlich wird aber der Kund-
ſchafter der Strafe nicht entzogen:
- a. wenn er ſelbſt Unterthan des ausgekundſchafteten Staates
iſt, und durch Mittheilung von Nachrichten über gewiſſe Ge-
genſtände ein heimathliches Strafgeſetz verletzt; - b. wenn der Kundſchafter, obwohl ein Unterthan des Staates,
für welchen die Kundſchaft beſtimmt iſt, bei Erlangung der-
ſelben ſich eines im Auslande ſtrafgeſetzlich verbotenen Mit-
tels bedient.
Endlich verwandelt ſich der politiſche Späher in einen militäriſchen,
wenn er einer geheimen feindſeligen Unternehmung des ihn beauf-
tragthabenden Staates nur vorausgeſchickt iſt, um den rechten Zeit-
punct und Ort zur Ausführung derſelben zu ermitteln.
[[398]][[399]]
Anhang.
[[400]][[401]]
Bruchſtück
eines
politiſchen Teſtaments.
[Dieſer Aufſatz hatte eine zufällige Entſtehung in dem Verkehr mit ei-
nem älteren Freunde. Er enthält in der That nur die Stimmung des Tages
über die Lage der europäiſchen Angelegenheiten und mag daher als eine Ueber-
gangsandeutung von dem jetzigen Völkerrecht zu einem künftigen ſeine Stelle
finden. Dasjenige, was darin verfehlt, verkannt oder nur rein ſubjectiv iſt, wird
dem denkenden Leſer leicht entgegentreten.]
Nahe genug ſchon bin ich den Säulen gerückt, welche das Jen-
ſeits von dem Dieſſeits ſcheiden, wo man allerdings gedrängt wird,
mehr in die Ferne zu ſchauen, als rückwärts oder in die Gegen-
wart. Dennoch, wie ſchwer ein politiſches Teſtament, ein Teſta-
ment über das Unverfügbare!
Große Staatsmänner konnten ihrem Lande zuweilen wohl ein
Vermächtniß politiſcher Gedanken hinterlaſſen, deren Ernte noch
einer ſpäteren Nachwelt vorbehalten blieb. Und dennoch, wie we-
nige haben vermocht die fernere Geſchichte ſchon im Voraus zu
beſtimmen. Nur die ſelbſtvollendete That war ihr eigentliches Ver-
mächtniß, ihre Unſterblichkeit.
Können wir die Zukunft nach Seherart vorausſagen? Wüß-
ten wir nur erſt die Geſchichte der Vergangenheit und Gegenwart,
ſo könnten wir es vielleicht. Aber, wie Proteus dem Menelaus,
würde man oft wohl dem Frager ſagen müſſen:
26
[402]Anhang.
So ſeien denn dieſe Zeilen nur eine Hineintragung des Ge-
dankens aus dem Boden der Gegenwart in dasjenige, was ſie
ſchon in ihrem Schooße trägt, ein eigenes politiſches Fortleben
und eine Votivtafel dem künftigen Geſchlecht, am meiſten dem Va-
terlande.
Weltweiſe und Menſch enfreunde haben dem Menſchengeſchlecht
dereinſt einen ewigen Frieden in Ausſicht geſtellt und ſeine Möglich-
keit, ſeine Bedingungen darzuthun geſucht. Andere haben die Mög-
lichkeit beſtritten. Wir glauben gern an ſie, aber ihre weſentliche
Bedingung wäre, daß nur noch Einzelne, nicht die Völker, nicht
die Staaten ſelbſt noch ſündigten. Wie weit iſt man noch von
dieſem Ziele. Das Teſtament, welches dazu den Weg zeigt, liegt
ſchon längſt aufgeſchlagen vor den Völkern. Aber noch immer
ſind es die Fehler und Leidenſchaften der Einzelnen, welche auch
in dem Staate herrſchen. Sie geſellen ſich oft zu dem vielgewoll-
ten Guten; oft wecken ſie daſſelbe erſt zur Energie, aber ſelten oder
nie laſſen ſie es ganz rein zur Erſcheinung gelangen. — —
Eine dauernde Geſchichte haben nur Völkerfamilien, worin eine
geiſtige Einheit mit Bewegung und in organiſcher Vermittlung bei
Selbſtgenugſamkeit beſteht. Je mehr Motiven und Richtungen jene
Einheit in ſich aufnimmt, je großartiger ihre Ziele ſind, deſto be-
ſtändiger und ruhmvoller wird auch das Leben eines Volkes ſein.
Je einſeitiger die Uebereinſtimmung und bornirter das Ziel: deſto
unſicherer iſt das Beſtehen einer Volksfamilie.
Alle Schwankungen, Vor- und Rückgänge der Staatenſchick-
ſale haben ihren Grund in dem Einflußübergewicht, welches mo-
raliſche oder ſinnliche Intereſſen auf den Character eines Staates
ausüben. Dieſe Intereſſen ſind vorzüglich die Religion, die Ehre,
die Lebensgenüſſe, und nur dieſe.
Auch in der Gegenwart finden ſich noch immer dieſelben Mo-
tiven und Agentien in der Staatenpolitik.
Vergebens hatte man geglaubt, die religiöſen Intereſſen ſeien
wenigſtens der äußeren Politik entfremdet worden, wie ſie ſich im
Innern der Staaten unter der Toleranz zur Ruhe begeben hatten.
Allein wer ſieht nicht, daß ſie wiederum eine gewaltige Poſitivität
und Regſamkeit angenommen haben; ſie ſind um ſo mächtiger, je
geheimnißvoller ſie einwirken; und gerade auf eine ſolche geheim-
nißvolle Einwirkung hat die Politik der weltlichen Staaten die
[403]Anhang.
Leiter der kirchlichen Zwecke hingewieſen, ſeitdem man ſie von einer
offenen Theilnahme an den weltlichen Angelegenheiten der Völker
entfernt hat.
Abſtrahiren wir von dem freilich in Europa auf ſich ſelbſt be-
ſchränkten Islam, ſo ſind es nicht mehr bloß, wie ſonſt, zwei Cul-
tusſyſteme, welche gegen einander ſtreiten und auch die Staaten
gegen einander ſelbſt ſchon aufgeregt haben, nämlich:
der römiſche Katholicismus oder die Incarnation des Geiſtes
in der Hierarchie mit bloß dialektiſcher Bewegung,
und
der Proteſtantismus oder die Befreiung des Geiſtes von einer
äußerlichen Glaubensgewalt;
eine dritte Kirche, die man erſtarrt glaubte und ohne Regſamkeit,
die griechiſche, abgeſchloſſen und unbeweglich in ihrem orthodoxen
Glauben, hat ſich in einen Bund mit dem Slavismus begeben;
mit ihm drängt ſie ſich immer mehr nach dem Herzen Europas.
So hat Rom nun zwei Gegner zu bekämpfen. Gegen den
neubelebten ſcheint es noch rathlos. Wider den Proteſtantismus
und den mit ihm verbundenen, wenigſtens toleranten Staat ge-
braucht es von neuem die alten Geſchütze des Vaticans und ſendet
es ſeine Heerſchaaren aus; die Hierarchie ſucht ſich eine politi-
ſche Stellung wiederzuerkämpfen. Der Proteſtantismus, unorga-
niſch in ſich ſelbſt, hat derweile nichts entgegenzuſetzen als die par-
ticuläre Hülfe einzelner Staaten. Er kämpft nur für ſeine Erhal-
tung und Vertheidigung; nur erſt ganz neuerlich iſt auch in ihm der
Gedanke lebendig geworden, von einer neuen Welt her dem Gegner
an das Herz zu greifen, gleich als wären auch für ihn hölzerne
Mauern und der Dreizack eine letzte Rettung.
Demnach iſt der Religionspunct in Beziehung auf das Staa-
tenleben noch zu keinem Frieden gebracht, im Gegentheil ſteht es
damit ſchlimmer als in den Zeiten, wo ſich die Gegenſätze ent-
wickelten; denn damals war es ein Principienkampf, ein Kampf um
die Wahrheit. Jetzt iſt alle confeſſionelle Topik erſchöpft; die Reli-
gion, das Confeſſionelle iſt lediglich Sache des Willens und des
Rechts.
Es bedarf hoher Weisheit der Regierungen auf dieſem vulka-
niſchen Boden. Jede Parteinahme für eine Confeſſion mit Zu-
rückſetzung der übrigen, die bereits beſtehen, iſt gefahrvvll, meiſtens
26*
[404]Anhang.
auch eine Rechtsverletzung. Ein wahres Gleichgewicht zwiſchen
Kirche und Staat beſteht nur dann, wenn jener den Cultus der
Wiſſenſchaft und nationalen Tugend zu ſeiner Religion macht, die
Kirche aber ſich auf ihre einfache, urſprüngliche Amtsverfaſſung
beſchränkt, und ſich an Freiheit ihres Religionscultus ſo wie ihrer
Lehre begnügen läßt; ſie erlangt aber ein gefährliches Uebergewicht,
wenn ſie eigene geiſtliche Milizen ausrüſten darf und dieſe den
Amtskreis ihrer ordentlichen Beamten theilen, ja die Familien und
den Staat ſelbſt dadurch umgarnen läßt.
Es war und bleibt alle Zeit eine anziehende Idee, einen Mit-
telpunct der ganzen Chriſtenheit, wenigſtens der abendländiſchen,
zu haben. Gewiß ein Weg zum ewigen Frieden! Aber die Be-
dingungen könnten ſeit der freien Entwickelung des Gedankens
nur ſein:
- Wiederherſtellung der vormaligen kirchlichen Repräſentativver-
faſſung, welche die Kirche ſelbſt auch dem Staate vorbildlich
gelehrt hat; ſodann - Achtung der Nationalitäten.
Nur durch maaßloſe ultramontane Ausſpinnung des oberſten Hir-
tenamts zum Abſolutismus hat ſich die Kirche die Wunden ge-
ſchlagen, woran ſie noch blutet.
Faſſen wir die weltlichen Staaten Europas ins Auge: das
Jahrhundert hat ihnen die Lehre gebracht, daß der Staat auf Na-
tionalität gegründet allein haltbar ſei, Kosmopolitismus aber, den
man ſonſt empfahl, ohne jene Grundlage zum Verderben führe.
Es hat ferner mit den Segnungen des Friedens größere Bürger-
freiheit und Thätigkeit gebracht, freilich aber auch zugleich Egois-
mus und Verweichlichung. Die Welt iſt merkantiliſch geworden;
der Staat ſoll eine Glückſeligkeitsmaſchine für die Einzelnen ſein,
ohne daß er wagen darf den ſchneidenden Gegenſatz des Reich-
thums und der Armuth aufzuheben. Innere Einheit iſt ſelten.
Nicht gebeſſert iſt die äußere politiſche Stellung der Völker.
Es iſt wahr, die Regierungen arbeiten für den Frieden und theils
wahrhaft, theils ſcheinbar zu einem gegenſeitigen Einverſtändniß.
Allein in der That bleibt es mehr nur bei höflicher Form; nur
die allgemeine egoiſtiſche Richtung der Zeit hindert und ſichert,
daß das Wort „Krieg“ nicht leichtſinnig ausgeſprochen wird.
[405]Anhang.
Ernſte Gefahren für die europäiſche Ruhe tauchen hin und
wieder ſchon in Schattenbildern auf. Im Orient ſind es die be-
kannten Verhältniſſe des osmaniſchen Reiches, welche unvermeid-
lich zu europäiſchen Complicationen führen werden, ohne daß ſchon
ein Ableitungsmittel gefunden iſt. Jede Combination des Rechts
fehlt dabei; die Gründung eines eigenen chriſtlichen Reiches auf
jenem Boden wäre die einzig zuläſſige Idee, womit ſich alle euro-
päiſche Staaten einverſtanden erklären können. Eine andere Ge-
fahr liegt in der conſequenten Weiterverbreitung des Panſlavismus,
auf einem Boden vorzüglich, wo er die griechiſche Kirche zu ſeiner
Unterſtützung findet; aber er hat darum noch nicht das Recht für
ſich. Im Weſten bleibt das Monopol des Welthandels, nebenbei
das Princip der Revolution im Innern der Staaten ein dauern-
des Motiv des Mißtrauens und ein Heerd des Krieges. Weni-
ger das kirchliche Intereſſe unmittelbar, wenn nicht ſchwere Ein-
griffe in den Beſtand einer Kirche gemacht werden.
Kann die Politik der Einzelſtaaten nicht die Fälle einer künf-
tigen Thätigkeit genau vorausſehen, ſo muß ſie doch gefaßt ſein
auf jene Gefahren und die Kräfte kennen, gegen die ſie zu han-
deln veranlaßt ſein kann, ſo wie ihre eigenen, womit ſie die Ge-
fahren zu bekämpfen vermag. Ihr mächtigſter Schirm und He-
bel iſt Nationaleinheit und Willensregſamkeit.
Meſſen wir die Staaten nach dieſem Fundament, ſo giebt es
wohl kaum eine Großmacht mit vollkommener Einheit aller natio-
nalen Elemente, ohne durch einzelne widerſtrebende Theile durch-
brochen zu ſein. Die meiſte Einheit tragen in ſich Rußland und
Frankreich, jedes in anderer Art. Dort nur Ein herrſchender Wille,
Ein Schlagwort auf Tod und Leben für den großen Kern der Na-
tion, wenn es mit deſſen Religion und Vorurtheilen harmonirt;
die etwanigen heterogenen Beimiſchungen und Zugaben zu dieſem
Kerne ſind zur Zeit nicht von der Intenſität, um jenen Willen zu
hemmen. Eine noch vollkommnere Einheit bietet das franzöſiſche
Volk dem Auslande gegenüber dar. Einheit der Nationalgeſinnung,
influirt durch die Ehre ſeiner Geſchichte, ſteht es frei und gleich in
ſeinem Innern; nur gewiſſe Familien- und Geldintereſſen, ſo wie
die Gefahr allſeitiger Reaction des Auslandes, legen der Politik
der Regierung Zügel an, wie dem ritterlichen Geiſt des Volkes.
Dann aber auch der Nachbar in Albion. Die Briten ſind
[406]Anhang.
die Römer der modernen Zeit. Wir wollen aus dieſer Analogie
keine Folgerungen auf künftige Schickſale ziehen. Die Situationen
ſind zu verſchieden; kein Volk, kein Schickſal iſt dem Andern völ-
lig gleich, ſo wenig als ein Menſch dem andern. Aber die Ana-
logie der Politik, gegründet auf das größeſte Kapital, auf den con-
ſequenteſten Willen, auf ein practiſches Talent ohne Leidenſchaft,
auf Gleichartigkeit des Characters iſt unverkennbar; die Verſchie-
denheit liegt nur in dem germaniſch-chriſtlichen Typus Altenglands.
Auf dieſes aber concentrirt ſich die Macht und Einheit. Einzeln
gegen einzelne feindſelige Elemente, womit es umringt iſt, wird es
nie unterliegen, ſelbſt nicht in der Vertheidigung gegen die Verei-
nigung Aller. Sein größeſter Feind im Innern iſt der religiöſe Po-
ſitivismus, ohne die Leichtigkeit der franzöſiſchen Nation, mit dem
poſitiven Kirchenthum ein Compromiß zu ſchließen und ohne die
philoſophiſche Selbſtopferung der Norddeutſchen; jene Zugänglich-
keit der Hochkirche für den Romanismus, ſo wie die alte Hinnei-
gung eines Theiles der Ariſtokratie zu Rom auf der einen Seite,
der othodoxe Proteſtantismus auf der anderen Seite. Eine Er-
neuerung des alten Kampfes iſt für die Folgen keinesweges aus-
geſchloſſen. Von außen her bleibt England nur durch allſeitige
Verſtopfung ſeines Handels und ſeiner Capitalien zu bekämpfen.
Dich aber, deutſches Vaterland, welche Zukunft erwartet Dich?
Wir gern ſähe ich in Dir den Erben der größeſten Zukunft, wie
Du langſam harrend Deine Geſchicke ertragen und bekämpft haſt.
Wohl kannſt auch Du als eine Großmacht in die Schranken tre-
ten. Auch Du haſt Deine Heroen gehabt, und kein deutſcher Mann
darf an Deinem Volke verzweifeln. Seine Gebrechen, wer kennt ſie
nicht? Aber ſie wurzeln auf einem Rechtsboden, den es anzutaſten
ſich immer geſcheuet hat, obgleich man hier zuerſt wagte, ſich von
einer geiſtlichen Herrſchaft loszuſagen und mit Gott ohne das Mit-
tel eines Prieſterthums in Gemeinſchaft zu treten. Nirgends aber
eine vollendete Einheit! Auf der einen Seite wuchtet proteſtantiſche
Freiheit, dort eine innige Neigung zu Rom, deſſen mittelalterliche
Politik ſo viel zur Vernichtung der Staatseinheit beigetragen hat;
die meiſte Einheit beſteht noch in Geſittung, in gleichem Rechts-
gefühl und in ehrenhaftem Widerſtand gegen das Unrecht. Aber
nicht einmal das ganze Land gehört ſchon der Volksthätigkeit an;
[407]Anhang.
denn noch iſt ein großer, herrlicher Küſtenſtrich der gemeinſamen
Benutzung verſchloſſen; es hat darum ſelbſt an Mitteln gefehlt,
von einem fremden Miſchlingsvolk, dem der deutſche Sinn ſeine
Liebe zugewendet und viel geopfert hatte, Genugthuung für den
Hohn zu fordern, womit es Deutſchlands Söhne nackt und elend
wieder von ſich geſtoßen hat.
Zunächſt wird immerhin das Daſein zweier Großmächte, welche
Deutſchland ſelbſt nur theilweiſe angehören, im Bunde mit den
rein deutſchen Subſtanzen das Ganze, wie es iſt, aufrecht erhalten.
Ein anderer Zuſtand wird ſich nur durch dereinſtige gewaltige Er-
ſchütterungen von außen her, vielleicht auch durch einzelne freiwillige
Selbſtaufopferungen und Zufälligkeiten geſtalten. Aber auch wie
es iſt, hat es kein Untergehen im Kampfe mit anderen Nationen
zu befürchten, mit ſeiner Genügſamkeit, Ausdauer und geiſtigen Be-
wegung. Seine gefährlichſte Lage wäre ein Compromiß Frank-
reichs und Rußlands, jenem die Rheingrenze, dieſem eine altſlavi-
ſche Grenze zu verſchaffen, wenn beiden eine ſolche gegenſeitige An-
näherung erwünſcht ſcheinen könnte, wenn Frankreich thöricht ge-
nug ſein wollte, für die Folge ſich ſelbſt, ſo wie Italien den An-
griffen des Slavismus und Rom der griechiſchen Kirche Preis zu
geben. Und ſelbſt wider ein derartiges Compromiß hätte Deutſch-
land Kräfte genug, wenn der Bund fortfährt ſich militäriſch zu ent-
wickeln, die in der Staatenzerſplitterung ſchlummernde National-
kraft für das große Ganze heranzuziehen, ſeine Grenzen, darunter
auch künftig die Seegrenze, gehörig zu ſichern. Bundesgenoſſen
germaniſcher Brudervölker würden in ſolchem Kampfe um das Herz
Europas nicht fehlen.
Eine völlige Umkehr oder Zerſtörung aller oder einzelner na-
tionaler Verhältniſſe iſt vorerſt nicht abſehbar. Keine der Groß-
mächte, welche eine erobernde Tendenz haben, iſt ſtark genug um
eine andere geſchloſſene Nation niederzuſchlagen und zu vernichten;
keine unter ihnen giebt es, deren Joch nicht auf die Dauer uner-
träglich ſein würde. Hier Knechtſchaft; dort Geiz und Uebermuth.
Bisher haben wir die Dinge nur aus dem Standpunct der
gemeinen oder Alltagspolitik betrachtet. Erheben wir uns auf ei-
nen höheren Standpunct: ſollte dereinſt den Leitern der Politik es
[408]Anhang.
möglich werden, die Gerechtigkeit und das allgemeine menſchliche
Intereſſe zur Baſis und zum Gegenſtand ihrer Wirkſamkeit zu ma-
chen: dann erſcheint als nächſtes Problem in der civiliſirten euro-
päiſchen Welt eine aufrichtige Verbindung zwiſchen Deutſchland
und Frankreich nach freiem und gleichem Recht, worauf ſchon
Männer dieſſeits und jenſeits des Rheines gedeutet haben. Beide
allein würden in ihrer Einigkeit im Stande ſein, den Frieden und
das Recht des Continentes zu ſichern. Zum Weltfrieden, zu einem
großen Weltrecht mit practiſcher poſitiver Ausdehnung über die
Grenzen Europas hinaus würde der Verein werden, wenn ihm
Großbritannien beiträte, wenn ſein altengliſches Kernvolk ſeiner Be-
fangenheit ſich entſchlagen könnte; eine germaniſche Einheit dann, de-
ren ſich auch die ſcandinaviſchen Bruderſtaaten nicht entziehen wür-
den. Möchte dann immer der Oſten dem Slavismus und dem
in ihm erneuerten chriſtlichen Griechenthum verfallen. Aber die
Leiter der europäiſchen Politik können dergleichen erſt wollen, wenn
die Völker ſelbſt ſchon ſittlich vollendeter ſind und darauf hinſteuern.
Gewiß iſt eine ſolche Vereinigung von Nationen kein ungeſchicht-
liches Traumbild. Es gab eine Zeit, wo alle germaniſchen und roma-
niſchen Völker für das größeſte Ziel, welches die Religion ihrer Zeit
darbot, mit gleichem Eifer kämpften — die Zeit der Kreuzzüge.
Dieſelbe Idee kann nicht mit gleicher Stärke oder überhaupt nicht
wiederkehren; die Zeit der bloßen Gemüthsreligion iſt vorüber;
aber eine andere practiſche Idee könnte und ſollte es, die Religion
der allgemeinen Menſchenliebe; und demnach Ausdehnung dorthin,
wo ſie noch fehlt, ohne das Vaterland aufzugeben. Wie unendlich
viel wäre dafür zu thun! Und wie armſelig iſt dagegen unſere Zeit
mit all ihren Reichthümern und Genüſſen! Kein Märtyrerthum,
keine politiſche Tugend! Keine große Idee und Erfindung, woran
ſich nicht auch der Egoismus hängt. Eiſenbahnen, Induſtrie, Han-
del, ſelbſt die Wiſſenſchaft dienen ihm, und doch können gerade ſie
auch dem höhern Ziele dienen.
Wir wollen daran nicht verzweifeln. Nicht hoffnungslos will
auch ich ſcheiden. Der Friedhof ſei am Kyffhäuſer.
[[409]]
Gedruckt bei A. W. Schade, Grünſtr. 18.
Druckfehlerangabe und Zuſätze.
ſchichte und Wiſſenſchaft von Herrn Prof. K. Th. Puͤtter (Leipzig
1843 und einen Aufſatz von Haͤlſchner, zur wiſſenſchaftlichen Begruͤn-
dung des Voͤlkerrechts (in G. Eberty Zeitſchr. fuͤr volksthuͤml. Recht.
Heft I, 26.) im Auge.
f. Jurispr. I, 1. Welcker Encyclop. u. Method. Stuttg. 1829. S. 88.
123. v. Savigny Syſtem I, S. 109. 413.
richtigere empfohlen. D’Aguesſeau nannte es droit entre les gens; ſeit
bräuchlich worden. Wheaton, histoire du droit des gens. p. 45. 46.
of nat. law. II. 5, leugnen deshalb dem äußeren Staatenrecht jeden poſi-
tiven Charakter ab. Sie ſahen nicht, daß das Recht überall auch in den
Staaten ſelbſt, wenigſtens zum größten Theil, ohne den Einfluß einer hö-
heren Gewalt entſtanden und befeſtigt war, jenes ius non scriptum, quod
consensus fecit. Richtiger hat Mr. Auſtin (Province of iurispr. de-
term. Lond. 1832) die Sache durchſchaut.
rez († 1617) Werk de legib. et Deo legisl. II, 19, 4. Vgl. v. Omp-
teda Literatur I, 187.
exercitatiore sanitatem suam tueri queat. Regno autem aut reipublicae
iustum atque honorificum bellum loco salubris exercitationis est. Bellum
civile profecto instar caloris febrilis est, at bellum externum instar ca-
loris ex motu, qui valetudini inprimis conducit. Ex pace enim deside et
emolliuntur animi et corrumpuntur mores.“ Baco Serm. fidel. t. X. p. 86.
Wir hoffen daß die unſrige, der älteren Jurisprudenz entſprechende, den
Vorzug der Einfachheit und größeren Klarheit habe.
law of nations in Europe, from the time of the Grecks and Romans
to the age of H. Grotius. Lond. 1795. 2 Vols. Dann H. Whea-
ton, histoire des progrès du droit des gens depuis la Paix de West-
phalie. Leipz. 1841.
Liv. 31, 29.
auch Plato, Ariſtoteles.
gouvernem. fédératifs. Hier griff beſonders der Amphictyonenbund ein,
von welchem unten noch Näheres.
Tafeln und an den noch im Juſtinianiſchen Recht beibehaltenen Grundſatz,
daß alle Völker, mit denen keinerlei Bündniß beſtehe, hostes ſeien. l. 5.
§. 2. l. 24. D. de captiv. l. 118. D. de V. S.
ſelten Schriften: W. Wachsmuth, Jus gentium quale obtin. apud Grae-
cos. Berol. 1822. A. W. Heffter, Prol. acad. de antiquo iure gent.
Bonn. 1823.
zur Völkerrechts-Geſch. u. Wiſſenſch. Leipz. 1843. S. 48. ff.
225. D. de V. S. lehrten: da durch Antonin Caracalla’s Verordnung alle
Inſaſſen des Römerreichs Römiſche Bürger geworden, ſo folge, daß alle
Chriſten nunmehr das Römiſche Volk darſtellten; alle Ungläubige ſeien nicht
Römer. Nur unter jenen beſtänden gemeinſame Rechte und Pflichten; ge-
reich, wegen Bildung einer großen Europäiſchen Staatenrepublik. Das
Nähere davon ſ. in Toze d. allgem. chriſtl. Republ. Göttingen 1752.
Pläne ſolcher Art ſind ſelten ohne alle Selbſtſucht gemacht worden. Auch
in neueſter Zeit haben ſie nicht ganz gefehlt. So z. B. G. Fr. Leckie,
historical research into the nature of the balance of power in Europe.
Lond. 1817.
Recht mit ſich führe giltig. S. auch Leibnitz, praef. ad Cod. jur. gent.
Geſchichte. Wien 1811. S. 421 f.
zeigt in v. Kamptz Beitr. zum Staats- u. Völkerr. I., n. 4.
19. Decbr. 1814 „das politiſche Gleichgewicht für gleichbedeutend mit den
Grundſätzen zur Erhaltung der Rechte eines Jeden und der Ruhe Aller.“
entre eux ni dans leurs relations avec d’autres états de l’observation
la plus stricte du droit des gens; principes qui dans leur application
à un état de paix permanent peuvent seuls garantir efficacement l’in-
dépendance de chaque gouvernement et la stabilité de leur association
générale. Fidèles à ces principes les souverains les maintiendront éga-
lement dans les réunions auxquelles ils assisteroient en personne, ou
qui auraient lieu entre leurs ministres soit qu’elles aient pour objet de
discuter en commun leurs propres intérêts soit qu’elles se rapportent
à des questions dans lesquelles d’autres gouvernements auroient for-
mellement réclamé leur intervention.“
zur hohen Pforte. Alle Verbindungen mit derſelben beruhen zur Zeit auf
politiſcher Convenienz und auf dem ſchweren Gewicht, welches der feſte
Wille der vereinigten chriſtlichen Mächte der Pforte gegenüber ausübt. Sonſt
würde noch immer wahr ſein, was Mably (droit des gens t. II, p. 13)
mit Ricaut über die Unmöglichkeit eines wahrhaft rechtlichen Bandes be-
merkt hat. Man ſehe auch Wheaton intern. law. §. 10.
beyrac Supplément au corps universel diplom. de J. Du Mont à le Haye
1739. t. I. Von dem bedeutendſten Intereſſe ſind darin die griechiſchen
σύμβολα πεϱὶ τοῦ μὴ ἀδικεῖν, insbeſondere die Verträge zwiſchen Athen und
Sparta, Rom und Carthago, dann zwiſchen K. Juſtinian und Cosroes 561
n. Chr. Barb. part. II. p. 196.
händel ſ. in J. F. Schmauß, Einl. z. d. Staatswiſſenſch. Lpz. 1740.
1747. 2 Thle. Fr. Ancillon, tableau des revolutions du systême poli-
tique de l’Europe. Berl. 1803—1805. 4 t. Par. 1806. 6 Vols. Deutſch
überſ. v. Mann. Berl. 1805. 4 Bde. Ge. Fr. v. Martens, Grdr. einer
diplom. Geſch. der Europ. Staatshändel und Friedensſchlüſſe. Berl. 1807.
Anſprüche auf Mailand und Neapel hervorriefen.
ed. Par. (1813) 1814. 4 Vols. Abrégé de l’histoire des traités de
paix entre les puissances de l’Europe, par Koch. à Bâle. 1796. 97.
4 Vols. refondu par Fr. Schoell, à Par. 1817. 1818. 15 ts. C. D.
Voß, Geiſt der merkw. Bündniſſe des 18. Jahrh. Gera 1801. 1802. 5 Thle.
— des 19. Jahrh. 1803. 1804. 2 Thle. Histoire générale et raison-
née de la diplomatie française par Mr. de Flassan. Par. et Strasb.
VI ts. n. ed. VII ts. 1811.
Sammlungen der Staatenverträge, ohne Beſchränkung auf beſtimmte Na-
tionen, ſind veranſtaltet von G. W. Leibnitz, Cod. iur. gent. Hannov.
1693. 1727. Guelferb. 1747. Ejusd. mantissa. Hannov. 1700. 1724.
Guelferb. 1727. Jacques Bernard, Recueil des traités de paix etc. à
Amst. et à la Haye. 4 ts. 1700. Jean Du Mont, Corps universel
diplomatique. ib. 1726—1731. 8 ts. avec les supplém. par J. Bar-
beyrac, J. Rousset et J. Yves de St. Priest. F. A. Wenck, Cod. jur.
gent. recentiss. 3 ts. Lips. 1781. 86. 95. G. F. de Martens, rec.
des principaux traités d’alliance etc. 7 ts. und eben ſo viele Supple-
mentbände des Verf. ſelbſt; hiernächſt mit den Supplementbänden von Ch.
B. de Martens, Sartorius und Murhard. Außerdem haben die bedeu-
tenderen Staaten noch ihre beſonderen Sammlungen, nachgewieſen in den
Literaturwerken von v. Ompteda u. v. Kamptz, desgl. in Klübers Biblio-
thèque choisie am Ende ſeines droit des gens. Im Erſcheinen iſt be-
griffen Nouveau Cours de diplomatie ou recueil universel des traités
etc. par MM. L. B. Bonjean et Paul Odent. à Paris.
v. Martens Staatshändel S. 55.
tüchtige Bemerkungen bei Isambert, Annales politiques et diplomatiques.
Par. 1823. p. 76.
zuletzt in Oxford. Seine Schriften: de legationibus. de iure belli. de
iustitia bellica.
und eine Ueberſicht ſeines Inhalts ebendaſ. §. 57 ff.
1539. Nic. Henning zu Copenhagen, in ſ. method. apod de L. nat. Vi-
temb. 1562.
de cive. 1642.
Dann in ſ. legislation primitive, u. ſ. f.
lis. 1660. Nachher folgte de officiis hominis et civis. 1673. Vgl. dar-
über und über ſeine Gegner Struv, bibl. iur. imp. I, V.
1708. Vgl. Struv. I, VI.
dem explicatio. Zuerſt Oxon. 1650 und nachher ſehr oft. v. Ompteda
§. 64. 130. Wheaton hist. d. progr. p. 45.
Darüber v. Ompteda §. 93 f. Wheaton, hist. du progrès. p. 121.
ris 1838. Darüber v. Ompteda §. 99. Wheaton p. 127.
Lausanne 1784. In Gr. Britannien viel gebraucht.
öfter. Vgl. v. Ompteda §. 150. Wheaton intern. Law. §. 7.
Völkerr. 1777—1780. X Thle. S. außerd. v. Ompteda §. 103. v. Kamptz
N. Lit. §. 35.
Programm v. d. Exiſtenz eines poſitiven Europ. Völkerrechts. 1784. Seine
Schriften in v. Kamptz N. Lit. §. 35 u. ſ. f.
reira. 1831. 2 ts.
Schmalz Völkerr. 208. Klüber dr. des gens. §. 6. Dieſes Princip be-
folgt auch der Päbſtliche Stuhl. M. ſ. die Erklärung deſſelben d. non.
Aug. 1831.
§. 213. u. v. Kamptz §. 150. — die aber dadurch nicht weiter gebracht iſt.
Die Praxis hat ſich allezeit gegen das Aufdringen eines poſitiven Inſtituts
der Art geſträubt. Zuſammengeſetzte Staaten- und Bundesverhältniſſe kön-
nen daſſelbe allerdings aufnehmen. So galt es ehemals unter den Mit-
gliedern des Deutſchen Reichs. Unter den heutigen Souveränen Deutſch-
lands iſt es aber wegen der Verhältniſſe, die ſich nicht aus jener Zeit her-
ſchreiben, ſchwerlich noch anwendbar.
gentlich Rechtsnothwendigkeit) und loi de préscription unterſcheiden müſſe.
toren. Auch Pufendorf, IV, 12, 11. Vattel, II, 11, §. 149. Wheaton
II, 4, §. 4.
11, §. 143. C. E. Waechter, de modis tollendi pacta inter gentes.
Sttg. 1779. §. 39 f. de Steck, Eclaircissements de divers sujets. In-
golst. 1785. Günther, Völkerr. I, 116 f.
Nicht ſowohl der Staat erhält dieſe, als vielmehr der Egoismus der Leib-
herren. Sonſt herrſcht ſchon der Grundſatz vor: die Luft macht frei. So
in Frankreich, Großbritannien, mit einer kleinen Modification auch in Preu-
ßen. Ueber die allmählige Abſchaffung der Sclaverei vgl. man Biot, l’abo-
lition de l’esclavage ancien. Par. 1841. Eine neue Aera hat für die
Abſchaffung in Europäiſchen Colonien begonnen, namentlich ſeit der Engl.
Parl.-Acte 3. 4. Will. 4. c. 73, vom 1. Aug. 1834 an. Der Höhe-
punct der jetzigen Civiliſation macht überflüßig, das Princip der Sclaverei
noch zu bekämpfen. Kein Theil des Menſchengeſchlechts hat eine Beſtim-
mung dazu. Man vgl. Warnkönigs Bemerkungen in ſ. Rechtsphiloſophie
S. 286. Foelix Revue étrangère t. IV et V. Esclavage et Traite des
N. p. Agenor de Gasparin. Par. 1838.
Die ältere Staatstheorie und Praxis war bei dieſer Frage ſehr befangen.
Schriften ſ. in v. Kamptz Lit., §. 122. Heutzutage beſteht im Princip kaum
noch ein Zweiſpalt. Selbſt v. Haller erkennt es als ein fundamentales an.
kunſt iſt der Unterſchied der Macht natürlich von großer Bedeutung. Die
dabei angenommene Eintheilung in Staaten des erſten, zweiten und drit-
ten, auch wohl vierten Ranges hat ihren guten Grund und iſt eine unleug-
bare Wahrhtit, nur aber nicht auf Bevölkerungsverhältniſſe numeriſch ſtreng
zurückzuführen.
resp. 1575). Pfeffinger, Vitr. illustr. I, 747. 748.
a Pufendorf, de systematibus civitatum, in ſ. diss. acad. sel. Lond.
Scan. 1675. p. 264. J. C. Wieland, de system. civ. Lips. 1777.
(Op. acad. I, n. 2). Pölitz Jahrb. der Geſch. und Staatskunſt. 1829.
I, 620. Chph. Lud. Stieglitz, quaest. iur. publ. Spec. I. Lips. 1830.
z. Völkerr. in Friedensz. I, 508) gebräuchlich worden.
ſen der Athener, dann die von den Römern unterworfenen populi liberi,
mit der Bedingung: ut majestatem P. R. comiter conservarent (vgl. L. 7.
§. 1. D. de captiv.) rechnen. Das Verhältniß der ſeit 1806 mediatiſir-
ten deutſchen Reichsſtände iſt, ſoweit es nach der deutſchen Bundesacte
Art. 14. ausſchließlich regulirt iſt, noch keine Halbſouveränetät zu nennen.
Preußiſcher und K. Ruſſiſcher Vermittelung durch freien Vertrag zwiſchen
Oldenburg und dem letztverſtorbenen Beſitzer, Grafen von Bentinck, näher
regulirt, und dieſes ſ. g. Berliner Abkommen d. d. 5. Juni 1825 durch Be-
ſchluß des Deutſchen Bundes vom 9. Juni 1829 unter die Garantie deſ-
ſelben genommen worden, vorbehaltlich der wohlbegründeten Rechte dritter
Perſonen.
nopel 1829 getroffen. Wegen der Ruſſiſchen Schutzgewalt über die Für-
ſtenthümer der Moldau und Wallachei vgl. §. 22.
Klüber dr. des gens §. 27.
S. 673. Ueberhaupt, S. 667 ff. Sainte Croix, des anciens gouvernem.
fédératifs. Strasb. 1800. A. E. Zinserling, le systême fédératif des
anciens mis en parallèle avec celui des modernes. Heidelb. 1809.
p. Odent, Par. 1843.
Gottfr. Scheidemantel, de nexu feudali inter gentes. Jen. 1767.
gelöſet ſeit 1818. Unter den deutſchen Staaten iſt er meiſtens durch den
Rheinbund beſeitigt worden. Als noch fortbeſtehend wird behauptet ein
lehnherrliches Verhältniß von Preußen (wegen Paderborn) gegen Waldeck
(wegen Pyrmont), von Churheſſen gegen Waldeck und Schaumburg-Lippe.
nach dem Pariſer Vertr. v. 5. Novbr. 1815 und der Conſtitut.-Acte vom
29. Decbr. 1817; c) die Fürſtenthümer der Moldau und Wallachei, ſeit
dem Frieden v. Adrianopel 1829 unter Ruſſiſchem Schutze; d) das Für-
ſtenthum Monaco, der Familie Grimaldi-Valentinois gehörig, ſeit dem Pa-
riſer Frieden von 1815 unter Sardiniſchem Schutz und Beſatzungsrecht; vor-
mals, ſeit 1641 bis zur Revolution, unter Franzöſiſchem Schutz, noch früher
unter Spaniſchem. Vgl. Moſer ausw. Staatsr. V, 3, 399. de Real, science
du Gouv. IV, 2, 3, 21. Murhard, N. Suppl. t. II. 1839. p. 343.
Weitläuftige gelehrte Nachweiſungen dieſes Satzes aus den Alten, deren
wir nicht weiter bedürfen, ſ. bei Groot J. B. ac P. II, 9, 3. u. Pufen-
dorf J. N. et G. VIII, 12, 7.
an (Polit. III, 1.). Allein bei den neueren Publiciſten iſt nur eine Stimme
darüber. S. Groot, §. 8, 1. a. a. O. Pufendorf, §. 1. a. a. O. Böcler,
de actis civitat. (Diss. acad. Vol. I, p. 881). Hert, de plurib. homi-
nib. unam person. sustinentib. §. 7. 8. Die Elemente des Staats blei-
ben ja unverändert.
aber dieſelbe Scholle macht nicht den Staat. S. auch Groot, §. 7. a. a. O.
Pufendorf, §. 9.
Nbſt. 110, S. 233.
1803 §. 3. g. E. wegen der landſtändiſchen Verfaſſungen im vormaligen
Fürſtenthum Münſter.
Hermes XXX, 1. S. 113. S. auch Groot, §. 10. Pufendorf, §. 5.
a. a. O. Wheaton, a. a. O. §. 20. p. 99. ferner das (Lübecker) Auſträ-
galurtheil in Sachen Preußen wider Bayern, die Anſprüche der Fürſtin Ber-
keley betr., in Leonhardi Auſträgalverf. des D. Bundes S. 645.
bona non intelliguntur nisi deducto aere alieno.
ben, Abh. von d. Kriegsraiſon und dem Convenienzrecht, in d. Samml.
auserl. jur. Abh. Leipz. 1768. S. 31 f. Verhandlungen darüber haben
am Deutſchen Bundestage im J. 1821 Statt gefunden. M. ſ. L. v. Dreſch
Abh. über Gegenſt. des öffentl. R. 1830. Nr. 1. Heffter, Beitr. z. d.
Staats- u. Priv.-Fürſtenr. S. 184. Klüber, öffentl. R. des D. Bundes
§. 175.
Ueberſchätzung betrachteten Gegenſtandes ſ. in v. Ompteda Lit. §. 195 ff.
und v. Kamptz §. 124 ff. Die älteren nur theilweis noch brauchbaren Werke
ſind: Zach. Zwanzig, Theatrum praecedentiae. Frkfrt. 1706. 1709. fol.
1746. Agostino Paradisi, Atteneo dell uomo nobile. Venet. 1731.
Gottfr. Stieve, Europ. Hofcerimon. Lpz. 1715. 1723. Eine gute Zuſam-
menſtellung der Hauptpunkte giebt Günther, Völkerr. I, S. 199 ff. S.
auch J. Chr. Hellbach, Hdb. des Rangrechts. Anſp. 1804. Fr. A. Mos-
heim, über den Rang der Europ. Mächte. Sulzb. 1819.
an ſich noch keine Präcedenz des lehnsherrlichen Staates mit ſich.
Staaten ohne Königliche Ehren.
ziehung auf das Bundesverhältniß, aber auch nur für dieſes.
Krone der vereinigten Königreiche Großbritanniens heißt eine kaiſerliche in
der Britiſchen Staatsſprache. S. (de Steck) Echantillon d’Essais. Halle
1789. p. 3.
Britiſche Commonwealth unter Cromwell, Frankreich als Republik, z. B. im
Frieden v. Campo Formio Art. 23. Wheaton I, 196.
räner Fürſt ohne Königliche Ehren einen Unterthanen zum Fürſten oder
Herzog creiren wollte. Vgl. Klüber’s öffentl. R. des D. Bundes §. 497.
I. a. E.
geln der Heraldik oder ſ. g. Wappenkunſt, l’art du blason. Eine Nach-
weiſung der darauf bezüglichen Schriften ſ. in Berend, Allgem. Schriften-
kunde der Wappenk. 1835. 3 Thle.
Völkerr. II, 4, 1.
ad L. Aquil.
den als für das ſ. g. Nothrecht der Einzelmenſchen. Die erſteren werden
freilich ſeltener in den Fall kommen, ſich darauf zu berufen. Man ſetze in-
deß einen kleinen Staat in Hungersnoth gebracht, und man wird gewiß
ihm keine Rechtsverletzung beimeſſen können, wenn er ſich, nach Erſchö-
pfung aller Mittel, ſogar mit Gewalt in den Beſitz des Nothwendigen bei
ſeinen Nachbaren zu ſetzen ſucht (Vattel II, 120.); freilich mit der Ver-
bindlichkeit einer wenigſtens künftig zu leiſtenden Entſchädigung. Bynkers-
hoeck, quaest. iur. publ. II, 15. Groot, II, 2, 9.
L. 1. C. quando liceat unicuique.
vention.
unter anderm die großen Coalitionen in Betreff der Spaniſchen Monarchie
vor Abſterben König Carls II., der Deutſche Fürſtenbund von 1785, die
Coalition gegen Napoleon u. ſ. f.
bisher Gewöhnliche, z. B. durch Zollerhöhung u. dgl., iſt dagegen noch
keine Rechtsverletzung.
rer Staaten iſt eine Beleidigung, z. B. die Nachprägung der Münzen ei-
nes Staates, beſonders mit Verringerung des Gehaltes; eben ſo der Miß-
brauch ſeines Wappens, ſeiner Flagge, überhaupt jeder Betrug. Vgl.
Vattel, I, §. 108.
deren ignoriren, wenn er ſie nicht anzufechten berechtigt iſt.
ſprochen werden. Dies meint wohl Vattel I, 190, wo er jede attaque
à la gloire d’une nation für eine Ehrenkränkung zu erklären ſcheint.
Ueberhaupt treten hier die Grundſätze der Privatinjurien in Anwendung.
des g. §. 69. S. auch Zachariä 40 Bücher. IV, 21.
aber darüber, ob es ein vollkommenes oder unvollkommenes Recht ſei. Nur
die Nothwendigkeit menſchlicher Bedürfniſſe giebt ein beſtimmtes Recht, wie
ſchon Cocceji und nach ihm Günther I, 225. Not. c. bemerkt hat. S.
auch Pufendorf, J. N. III, 3, 6. Die Verſagung von etwas dem Einen
bloß Nützlichen, dem Anderen Unſchädlichen iſt höchſtens ein unfreundliches
Benehmen. Viele, z. B. Groot, II, 2, 13 und Vattel II, 123. 132 —
134 nehmen auch hier ein Recht an, müſſen aber natürlich das Urtheil
über Schädlichkeit und Nichtſchädlichkeit dem Eigenthümer vorbehalten.
Weſtindien gemacht. Begreiflich können Colonien eines Staates hier nicht
als dritter Staat behandelt werden. Sie hängen von dem Mutterlande
und deſſen Beſtimmung ab. Oft hat dieſes ſich den Alleinhandel dahin
vorbehalten. Wir erinnern an die droits municipaux der Franzöſiſchen
Colonien.
Bevollm. der 8 Europ. Mächte v. 8. Febr. 1815. Päbſtl. Breve v. 3. Dcbr.
1839. Martens (Murhard) N. 5. XVI, 1034. Sodann verſchiedene Spe-
riecollecte, Werbeanſtalt. Kein Notar kann auf fremden Gebiet inſtrumen-
tiren, keine gerichtliche oder polizeiliche Verfolgung die Grenze überſchrei-
ten, kein Beamter im fremden Gebiet mit öffentlichem Charakter angeſtellt,
keine Decoration ſeinen Angehörigen giltig ertheilt werden ohne Genehmi-
gung (Placet, Exequatur) der auswärtigen Staatsgewalt.
Ausland v. 1842. Nr. 335 ff. Murhard, N. Suppl. t. III, p. 48. 238.
immer beobachtet. Sie hat zuweilen zu Empörung offen aufgefordert, oder
doch wenigſtens Anreizungen und Propaganden in ihrem Intereſſe beför-
dert, ja es iſt hin und wieder als ſtehende Politik erweislich geweſen. Doch
hat ſie ſich ſelten als Recht geltend zu machen gewagt, meiſt hat ſie ins-
geheim geſpielt und immer iſt ihr entgegengetreten worden. Vgl. Günther,
Völkerr. II, S. 276 f.
alteri non nocet iſt auch im Völkerrecht Wahrheit, muß aber im obi-
gen Sinn verſtanden werden, wie ſie im Civilrecht Anwendung leidet.
Auf keinen Fall kommt ein bloßes lucrum cessans in Betracht. Denn
multum interest utrum damnum quis faciat, an lucro quod adhuc fa-
inf. S. auch Cocceii, de iure nocendi aliis. in Vol. dissert. II, p. 1199.
jenigen Eigenſchaften, Titel und dergl. verſagen, welche ihnen von ihrem
Staat beigelegt ſind. Vgl. Schmelzing, Völkerr. §. 14.
ler. Dieſe laſſen Qualität und Competenz der Urkundenausſteller durch die
Behörden des fremden Landes, zuletzt gewöhnlich durch das Miniſterium
der auswärtigen Angelegenheiten legaliſiren; dann beglaubigen ſie deſſen
eigene Signatur. Unter Staaten die mit einander und mit ihren Einrich-
tungen genauer bekannt ſind, bedarf es ſolcher Weitläuftigkeiten nicht. In
Preußen iſt durch eine gemeinſchaftliche Verfügung der Miniſterien der Ju-
ſtiz- und ausw. Angel. v. 22. März 1833 (v. Kamptz Jahrb. XLI, 220)
eine paſſende Grenze gezogen; und ſo wird man es überall halten können,
wo man es ſich nicht zur Schande, ſondern zur Ehre rechnet, auch die
Inſtitute anderer Nationen zu kennen.
ſind von Story, Commentaries on the conflict of laws foreign and do-
privé. Par. 1843. Andere bloß auf das Civilrecht ſich beſchränkende Werke
ſ. nachher zu §. 37.
kerr. Hinſ. Dresd. 1817. Schmid, Lehrb. des gem. d. Staasr. §. 87.
88. und dazu die Bearbeiter des Strafrechts. Die Anſichten ſind jedoch
insgemein ſehr von einander abweichend.
27. und ein Urtheil der Halliſchen Juriſtenfacultät von 1832. (N. Arch.
des Crim.-Rechts Bd. XIV, S. 546.). Die daſelbſt ausgeſprochene Ueber-
zeugung ſteht bei ihm unerſchütterlich feſt.
S. 19 ff. und in den neueſten Strafgeſetzgebungen.
nämlich vermöge des Gedankens, daß jeder Staat zur Unterdrückung des
Unrechts, wo es auch vorkomme, ſeine Mitwirkung leiſten müſſe. Allein
ſo lange es verſchiedene Geſetze giebt, möchte doch wohl kein Staat ſeine
Geſetze ſolchen Fällen aufdringen dürfen, die nicht unter ihnen geboren ſind,
oder fremde Geſetze in einzelnen Fällen zu den ſeinigen machen können.
lein oder doch nebenbei berückſichtigt haben. Dieſe Meinung iſt jetzt von
allen Criminaliſten mit wenigen Ausnahmen aufgegeben, auch in den neuen
Strafgeſetzgebungen. Die Strafe beruht auf einer obligatio ex lege ge-
gen den Strafenden.
a. a. O. §. 90. II.
hauptet worden, z. B. von Schmid, a. a. O. §. 87. „eine allgemeine
Pflicht der Staaten, die Erhaltung einer ſittlich rechtlichen Ordnung unter
den Menſchen im Ganzen als ihren vornehmſten Zweck zu betrachten, da-
her auch einander in der Handhabung der Strafgerechtigkeit beizuſtehen“.
Allein man kann dies nur als einen moraliſchen Geſichtspunct gelten laſ-
ſen, der das freie Ermeſſen des Einzelſtaates nicht ausſchließt, ob der con-
crete Fall zu einer ſtrafrechtlichen Verfolgung, wie ſie der andere Staat
beabſichtigt, wirklich geeignet ſei. Gefordert werden kann hier Nichts!
xis iſt damit im Einklang, wenn nicht Verträge das Princip aufheben. Nur
Deutſchen Staatenbunde beſtehen nur Vereinbarungen wegen gegenſeitiger
Unterſtützung bei politiſchen Vergehungen.
Ungerechtigkeit einer Verfolgung entſcheiden.
Reglement vom 5. Nvbr. 1831. §. 81. (Foelix, p. 575.); außerdem iſt
der Grundſatz in der Praxis allenthalben angenommen. Nur die gleichar-
tige Beweiskraft in jedem anderen Staate läßt ſich bezweifeln, wenn
die fremden Acte nicht die geſetzlichen Requiſite der diesſeitigen haben.
nalen Privatrechts. Frkfrt. 1841. v. Wächter, über die Colliſion der Pri-
vatrechtsgeſetze, im Arch. f. civil. Praxis XXV.
Einfluß, inſofern ſie ſeinen bürgerlichen Status, mithin auch ſeine privat-
rechtliche Capacität verändern, wovon nachher, bei der bürgerlichen Rechts-
pflege.
Vielweiberei ſeiner Heimath anrufen, um in eine polygamiſche Verbin-
dung zu treten. Kein quoad vinculum in ſeiner Heimath geſchiedener Aus-
länder kann in einem Staate, der dieſe Eheſcheidung verwirft, eine neue gil-
tige Ehe ſchließen.
der nach den Geſetzen des Aufenthalts modificiren.
dieſes Inſtitut nicht haben, oder in anderer Art haben, die Stelle der wirk-
lichen Todeserweiſung vertreten; keine Legitimation eines unehelichen Kin-
des den in einem anderen Staat erforderlichen Nachweis der ehelichen Geburt.
nicht ändere, z. B. das Ziel der Minderjährigkeit, iſt nicht zu behaupten.
Doch iſt Einiges der Art zuweilen in Staatsverträgen vereinbart worden,
z. B. zwiſchen Preußen und Sachſen.
Geſetzgebung der Fall. Foelix, p. 48. 49.
Privatr. §. 35.
beſtimmten Ortes beſchränkt.
sion vaut titre u. dergl.
Obiges in den Hauptpuncten übereintrifft.
darüber, ob die Beobachtung der ortsgeſetzlichen Form etwas Facultatives
oder Nothwendiges ſei. Sprechen ſich die Staatsgeſetze nicht darüber aus,
ſo iſt gewiß die erſtere Anſicht die richtigere. Die Intereſſenten haben die
Wahl, entweder die ortsgeſetzliche Form zu beobachten, oder aber diejenige,
welche das Geſetz vorſchreibt, wornach die Vollziehung gefordert werden
kann. Wächter, S. 406. Wie wenig dabei ein ſ. g. in fraudem legis
agere in Betracht komme, ſ. ebendaſ. 413.
wöhnliche Anſicht iſt für die obige Lehre.
vatperſon. L. Höpfner, Beitr. z. civ. Praxis. Leipz. 1841. N. I. Vgl.
oben S. 66.
gerliche Juſtizpflege.
gleichgiltigen Rechtsſtreit brauchen die Richter nicht anzunehmen, ſelbſt wenn
die Parteien einverſtanden wären.
allem kommt es darauf an, welches etwa excluſive Princip die Geſetzgebung
u. Völkerr., I, n. 5. Schmid, teutſches Staatsrecht §. 86. Wächter,
Arch. S. 417. Ueber die Praxis der Einzelſtaaten Foelix, p. 360. Kapp-
ler, juriſt. Promtuar., Wort: „ausl. Urtheile“.
Sofern jedoch der Richter die Einrede nicht von Amtswegen zu beachten
hat, ſie alſo zum ius partis gehört und mit der Qualität der Obligation
in Verbindung ſteht, wird auch die Anſicht, daß es auf das Geſetz des ur-
ſprünglichen Rechtsverhältniſſes ankommt, immer die meiſte Anziehungskraft
ausüben. S. überhaupt Wächter, Arch. S. 408. Foelix, p. 140. Eine
beſondere Schwierigkeit macht dann freilich oft wieder die Veränderung der
Präſcriptionsgeſetze.
heit die Unbedingtheit des Römiſchen Oberbiſchofes zugegeben wird, daß
ſie auch keineswegs ein Glaubensſatz der Kirche iſt, und daß ſich in ihr
ſelbſt ein oppoſitionelles Syſtem gebildet hat, welches die Macht jenes Ober-
biſchofes einem höheren kirchlichen Willen unterwerfen, ihm nur die oberſte
ausführende Gewalt und eine proviſoriſche Geſetzgebung zugeſtehen will. In-
deſſen iſt dieſes Syſtem zu keiner allgemeinen Anerkennung gebracht. Dem
Beſitzſtande nach erſcheint der Pabſt als ein geiſtlicher Monarch, an wel-
chen die Gläubigen in ihrem Gewiſſen gebunden ſind, und der ſeinerſeits
nur an gewiſſe, von Chriſtus oder dem h. Geiſt ausgegangene, in Schrift
cordate. Leipz. 1830. 2 Bde. Weiss, Corp. iur. eccles. hod. Giess.
1833.
ſchlüſſe gebunden iſt, nicht aber an den Willen der actuellen Kirchenglie-
der, ſelbſt nicht der Biſchöfe, die er nur zuſammenberuft, wenn es ihm
gut dünkt. Kurz, das Bild einer in ſich unbeſchränkten Monarchie mit
alten Generalſtaaten oder Ständen, deren Rechte keine conſtitutionelle Ge-
währ erhalten haben!
consuet. Walter, Kirchenr. §. 62. Richter, Kirchenr. §. 181.
ſchof von Paris) de concordia Imp. et sacerd. III, 9, 8. „Conniven-
tia sedis Apostolicae id maxime praestat, ut bona fide Principes in eo
negotio tractando versentur, quod ad se pertinere non improbabili ra-
tione putant, ita ut patientia illa, si necesse sit, vicem privilegii et dis-
pensationis subeat.“
Seiten zugegeben.
den päbſtlichen Nuntien von Allen der Vortritt gelaſſen, auch von Ruß-
land und Großbritannien.
Vergl. Clauſen, Kirchenverf. überſ. v. Fries I, 27.
die Prüfung kirchlicher Verordnungen und Vollmachten vor ihrer Vollzie-
hung und Suspenſion derſelben bis zum regium Placet s. Exequatur; die
appellationes ab abusu (appels comme d’abus) gegen Ueberſchreitung der
Grenzen der geiſtlichen Gewalt; polizeiliche und ſtrafrechtliche Maaßregeln
gegen heimliche Verbreiter von kirchlichen Verordnungen, die der Kenntniß
des Staates entzogen werden ſollen; Beaufſichtigung des Verkehrs der Lan-
deskirche mit auswärtigen Kirchenoberen.
Schriften. Leipz. 1791. S. 412 f. Moſer, Beitr. in Friedensz. I, 307.
Günther, II, 415.
Schirmvogtei des Oeſterr. Kaiſers über die Römiſch-kathol. Kirche. Erf.
1830.
der diplomatiſchen Agenten, nicht auch die anderer Perſonen. Die um-
faſſendſte Erörterung bietet noch Bynckershoek, de jud. competente le-
gati. L.-B. 1721. überſetzt von Barbeyrac 1723. 1727. und verſchiedenen
Ausgaben des l’Ambassadeur par Wicquefort, a. E. beigefügt. Eine
Menge anderer Schriftnachweiſungen ſ. in Foelix, dr. intern. p. 266.
der Exterritoriale im fremden Staate thut, lediglich nach dem Geſetz ſei-
ner Heimath zu beurtheilen wäre, was gewiß nicht behauptet werden mag.
Man könnte ſich unter andern auf das Princip: locus regit actum nicht
berufen.
räns iſt, wo er fungiren ſoll, ohne letztere Eigenſchaft völlig aufgegeben zu
haben. Vergl. Bynkershoek, c. XI., §. 5 f.; c. XVIII, p. 6 a. E.
derwärts ein eigentliches Domicil haben können?
hinſichtlich der ehemaligen Reichsritter: nisi forte in quibusdam locis ra-
tione bonorum et respectu territorii vel domicilii aliis statibus repe-
riantur subjecti.“
auf Achtung.
ministre public. S. 5. §. 4. art. 6 et 8. Wheaton, I, 2, 3. §. 16. All-
gem. Preuß. G. O. I, 2, 66.
contractus Statt finden ſollte. Sehr richtig bemerkt ein Memoire des Ho-
fes von Verſailles v. 1772: „l’immunité du ministre public consiste
essentiellement à le faire considérer comme s’il continuait à résider
dans les états de son maître. Rien donc n’empêche d’emploier vis à
vis de lui les moiens de droit dont on userait s’il se trouvait dans
son domicile ordinaire. Flassan, hist. de la dipl. fr. VII, 22.
§. 13. Merlin, Rép. Ministre public., V, 4, 10.
eines Verzichts. Bynkershoek, c. XXIII.
nur auf diplomatiſchem Wege befördert werden. Eine etwas abweichende
Anſicht bei Bynkershoek, c. XVI., §. 19. S. indeſſen andererſeits die A.
G. O. für die Preuß. Staaten, I, 2, §. 66.
ten Buch 3. S. auch §. 63. a. E.
Ph. Jac. Elwert, de servitutib. s. iurib. in alieno territorio. Argent.
1674. C. J. C. Engelbrecht, de servitutib. iur. publ. Helmst. 1715.
1749. Nic. Thadd. Gönner, Entwick. des Begriffs u. d. Grundſätze der
deutſchen Staasrechtsdienſtbarkeiten. Erl. 1800. Das Meiſte hierin be-
zieht ſich auf Verhältniſſe des vormaligen Deutſchen Reichs, die darin ſ. g.
servitutes iur. publici germanici, im Gegenſatz der servit. iur. gentium.
Allgemeinen Inhals ſind: de Steck, éclaircissements de div. sujets. 1785.
n. 6.
darin zu weit, daß er auch die Nothrechte, welche die Staaten gegen ein-
ander ausüben und dulden müſſen, zu dieſen Servituten rechnet. Eben ſo
Engelbrecht. Andere ſcheinen wieder von den natürlichen Servituten gar
Nichts wiſſen zu wollen, wie Klüber, §. 139. n. a.
fluentem aquam recipiant. L. I. §. 22. D. de aqua. Ueber die hierbei
eintretenden ferneren Verhältniſſe vergl. Hirt, S. 135 f.
B. Acte Art. 17. geſchützte Poſtrecht des Hauſes Thurn und Taxis, ſofern
nicht durch Verträge Etwas geändert iſt, immerhin eine völkerrechtliche
Servitut. Dagegen iſt allerdings keine Servitut von der obigen Beſchaf-
fenheit denkbar, wenn ein Staat ſeinem eigenen Unterthan, oder ſelbſt ei-
nem fremden, ohne völkerrechtliche Garantie ein Hoheitsrecht zugeſteht.
Vielmehr iſt hier die Conceſſion lediglich nach dem inneren Staatsrecht zu
beurtheilen. Vergl. Engelbrecht II, 1, 12.
bei gewöhnlich verleihbaren Regalien die Vermuthung. Vergl. Klüber,
§. 138. 5°.
völlig unnütz. Beiſpiele von negativen Servituten ſind das Unterſagungs-
recht gegen die Anlage von Feſtungen, gegen Aufſtellung einer größeren
Heeresmacht u. ſ. w. Engelbrecht, II, 2, 27.
terthanen ausbedungen, in gewiſſen Gegenden Campechenholz zu fällen.
De Steck, essais, 1775. Gönner, §. 24. 25.
ſelten zur Sprache kommen. Eine andere Formel findet ſich bei Schmelzing,
§. 239. S. auch Gönner, §. 37. 38.
behaupten. Beide ſprechen aber nur vom Deutſchen Reich. Und ohne
Zweifel beſteht eine Geltung des Beſitzſtandes auch noch jetzt unter den
Deutſchen Bundesgenoſſen nach Bundesacte Art. 11.; allein unter ganz
freien Staaten kann dem präſumtiven Alleinberechtigten der bloße bishe-
rige Beſitzſtand gewiß nicht entgegengeſetzt werden.
Hoheitsrecht gilt kein Schluß auf ein anderes. Gönner, §. 81. Im Zwei-
fel nur der geringere Grad. Ebendaſ. §. 82.
Vattel, II, 54. Günther, Völkerr. I. 280 f. v. Kamptz, Völkerrechtl.
Erört. des Rechts der Europ. Mächte, in die Verfaſſung eines einzelnen
Staates ſich zu miſchen. Berl. 1821. (geprüft im Hermes, XI, 142.).
Traité sur le droit d’intervention par MM. D. et R. Par. 1823; in
Krug Dikäopolitik. Leipz., 1824. S. 322 f. Wheaton, histoire du progr.
etc. p. 394 f. Heiberg, das Princip der Nicht-Intervention. Leipz. 1842.
der neueſten Staatspraxis an. Sie iſt die Idee der Quadrupelalliance v.
22. April 1834 und des Additionalvertrages vom 18. Aug. ejsd. Martens,
(Murhard), Nouv. Rec. t. XI. 1837. p. 808 s. und t. XII, p. 716.
Praktiſch iſt ſie auch ſchon zuvor geübt worden.
ſche Bund ausgeſprochen durch Beſchluß v. 18. Septbr. 1834. Martens
(Murhard), N. Suppl. Goett. 1842. p. 56.
erlaubte Handlungen.
Bundes und übernommene Garantien berührt werden.
veräns, den anderen zur Rede zu ſtellen. Kl. Schr. VI, 287. Günther,
I, 293. Dort finden ſich Beiſpiele der Praxis des vorigen Jahrhunderts.
Auch die neueſte Zeit hat dergleichen.
gentium succurrendi injusta oppressis. Harderov. 1748. S. auch oben
S. 51.
§. 190.
ſche Reich auf den Grund eines Erbvertrages von 1016 u. 1018. Mas-
cov., de regni Burgund. ortu etc. I, §. 10.
den Familien ein Erbrecht ertheilt. Im Allgemeinen bezeichnet die Deut-
ſche Staatsſprache dergleichen Erbverträge durch Erbeinungen (uniones
hereditariae), einzelne derſelben durch Erbverbrüderungen (confraternitates
hereditariae), womit die Annahme des Brudernamens, auch wohl die Ver-
einigung der beiderſeitigen Beſitzungen zu einem Geſammteigenthum mit
eventueller Huldigungspflicht der Unterthanen verbunden war. M. ſ. Gün-
ther II, 106 und Beſeler, Vergabungen I, 215 ff.; II, 3, 90. Die noch
möglichen Anwartſchaften aus ſolchen Verträgen ſ. in Heinrich Gottlieb
Reichard, Monarchie, Landſtände und Bundesverfaſſung in Deutſchland.
Leipz. 1836. S. 149. 150. S. auch Wiener Congr. A. 99.
ten deutſchen Ganerbſchaften und noch jetzt hin und wieder beſtehenden Con-
dominate (S. Abſch. 2. dieſes Buches); die gemeinſame Regierung man-
cher Deutſcher Fürſtenhäuſer für gewiſſe Angelegenheiten, z. B. der Meck-
lenburgiſchen, ſo wie Herzoglich-Sächſiſchen Linien, die jüngere Linie Reuß,
in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. M. ſ. Klüber, öffentl. R.
d. teutſchen B. §. 81. Heffter, Beitr. z. Staats- u. Fürſtenr. S. 311.
In Gemeinweſen ſind noch größere Verſchränkungen der Organe der Staats-
gewalt denkbar.
ten (darüber ſchon J. J. Moſer, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der
Hauptregent auf fortgeſetzte Mitregierung verzichtet; bei einer Conſularregie-
rung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundſatz der l. 25.
D. ad municip.: „Magistratus (plures) cum unum magistratum admi-
nistrent, etiam unius hominis vicem sustinent.“ S. auch Hert, de
plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III,
p. 61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberech-
tigte ein Recht der Interceſſion und des Veto.
Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechts zurückführen.
Vergl. übrigens unten, Buch II. im Kriegsrecht, die Bemerkungen über die
Uſurpationen.
Idee aufgefaßt, nur eine Möglichkeit, welche erſt realiſirt werden muß,
eben ſo wie die dynaſtiſche Souveränetät.
kunde durch eine Erbverbrüderung (§. 47.) und ſo auch nach einigen an-
deren Grundgeſetzen.
ſchen Fürſten und die Souveränetät. Frkf. 1839. S. 109 und 119 als
Regel behauptet, ohne Zweifel gegen das hiſtoriſche Recht. Wegen der
Franzöſiſchen Krone wurde ebenfalls ſchon unter dem alten Regime eine
von Maurenbrechers Lehre abweichende Anſicht aufgeſtellt und durchgeſetzt,
als Ludwig XIV. verſucht hatte, ſeinen legitimirten außerehelichen Deſcen-
denten eine eventuelle Succeſſion in die Krone zu verſchaffen. Struvii,
Jurisprud. heroica t. IV. p. 544 sq. Die Erblichkeit einer Krone beſteht
zunächſt nur darin, daß ein gewiſſes Geſchlecht, und nur dieſes herrſche.
durch die Unterſcheidung von regna usufructuaria und patrimonialia an.
Groot, de J. B. I, 3, 11 f. Vergl. darüber Klüber §. 31.
ner Obedienzgeſandtſchaften von Seiten katholiſcher Regenten nach über-
nommener Regierung als Schuldigkeit. S. ebdſ. Not. e. Buder, de le-
gationib. obedientiae. Jen. 1737.
geht.
Peer von Großbritannien und Mitglied des Oberhauſes. Günther II, 271.
Ein noch neueres Beiſpiel iſt bekannt.
Frankreich, wie ausdrücklich nach deutſchen Verfaſſungen; z. B. Wirtemb.
Verf. Urk. §. 85. Braunſchw. §. 7. Altenb. §. 6. u. ſ. w. Die Verantwort-
lichkeit der Miniſter iſt dabei freilich nicht ausgeſchloſſen, ſo wie die Mit-
wirkung der Stände bei der Ausführung.
lich. Summus Pontifex ſchon ſeit dem dritten Jahrhundert. Papa ſeit
dem fünften Jahrh.; excluſiv ſeit Gregor VII. Richter, Lehrb. des Kir-
chenr. §. 110.
Jahrh. ward er auch den Königen gegeben; von dem Römiſchen Kaiſer je-
doch erſt ſeit dem 18. Jahrh. Fr. C. v. Moſer, kl. Schriften VI, 20.
Dem Türkiſchen Kaiſer (Padiſchah) wird das Prädicat Hoheit gegeben.
Moſer, Verſ. I, 238.
Königliche Hoheit, wegen des Königreichs Cypern. Lettre touchant
le titre d’Altesse roïale du Duc de Savoye. à Cologne 1701. Der
Herzog zu Holſtein-Gottorp erhielt es 1736. Moſer, Staatsr. IV, 193.
Verſuche I, 242.
Confédération Germanique, der Durchlauchtigſte Deutſche Bund. Klü-
ber, öffentl. R. §. 144. Auch die Republiken Polen, ohne den König, Ve-
nedig und Genua erhielten vormals den Titel: Serenissima Respublica.
Moſer, Verſ. I, 241.
Kirche; Spanien ſeit 1496 Rex Catholicus; England ſeit 1521 Defen-
sor fidei; Polen Rex Orthodoxus; Portugal ſeit 1748 Rex fidelissimus;
Hungarn ſeit 1758 Rex Apostolicus. Vergl. J. C. Becman, Syntagm.
dignitat. I, n. 2 u. 3. Der Pabſt ſelbſt nennt ſich Servus Servorum
Dei. Die Untergebenen dürfen dergleichen nicht gebrauchen. Moſer, verm.
Schr. Abh. I, 63.
apostolicae Sedis gratia. Seit dem 10. Jahrh. die weltlichen Fürſten.
Pfeffinger, Vitr. illustr. I, 4, 9.
dem alten Fürſtenherkommen zuſammen. Im Mittelalter gab es nur einen
Miniſterial- dann Feudalhofſtaat. Der moderne iſt vorzüglich aus dem Bur-
gundiſchen und Franzöſiſchen ſeit Louis XIV. hervorgegangen. Näheres
über ihn in Fr. C. v. Moſer, Hofrecht 1754. C. E. v. Malortie, der
Hofmarſchal. Hannov. 1842.
d’Aubigné, Hist. univ. III, 5, 5. Vergl. übrig. Stephanus Cassius,
de iure et iudice legator. II, 18. Pufendorf, VIII, 4, 21. Bynkers-
hoek, de jud. legat. III, 3.
lich das Verfahren von K. Heinrich VII. gegen König Robert v. Neapel
(Clem. 2. De sent. et re iud., Herm. Conring, de finib. imp. germ.
II, 22.), von Carl von Anjou gegen Conradin, und von K. Eliſabeth ge-
gen K. Maria beweiſen nicht das Gegentheil, ſo wenig als die Unthaten
des früheren Mittelalters. Vergl. Bynkershoek, de jud. leg. III, §.
16. 17.
Incognito unter fremdem Namen. J. J. Moſer, Grdſ. d. V. in Frie-
densz. S. 128 f. Jo. Chr. Dresler, de iurib. principis incognito pere-
grinantis odiosis. Martisb. 1730. Günther, I, 478.
ßeres Recht über die Seinen oder in Verwaltung der Hoheitsrechte haben
als daheim. Und da der Aufenthalt im fremden Staat von deſſen Bewil-
ligung abhängig iſt, ſo kann dieſer natürlich auch die Bedingungen ſtellen
oder gegen die Ausübung einer ihm mißfälligen Gerichtsbarkeit interveniren,
indem er augenblickliche Entfernung fordert.
ren im Mittelalter ſelbſt ohne erklärten Krieg nichts Seltenes. Ward, hi-
story I, 279. Pütter, Beitr. z. Völkerr. Geſch. S. 115.
II, §. 12. Leibnitz, de jure supremat. cap. XXV. Aber ſ. Jo. Tes-
mar, tribunal principis peregrinantis. Marp. 1675. Stephan. Cassius,
de iure et iud. legator. II, 18. Bynkersh., de jud. comp. leg. III,
3 sq. Franz Joach. Chſt. v. Grape, Unterſ., ob der Souverän eines Staa-
tes der Souveränetät deſſen unterworfen ſei, wo er ſich befindet? Frkf.
Leipz. 1752 und ſo die Neueren. Unbeſtimmt noch Günther I, 480.
priv. t. II, tit. 29. §. 361.
tis cum subdito. Lips. 1686. Pathenius, Diss. II. de marito reginae.
Gryphisw. 1707. Moſer, Verſ. I, 314. J. J. Surland, vom Gemahl
einer Königin. Halle 1777. v. Steck, vom Gemahl einer Königin. Berl.
1777.
Auch in Deutſchland iſt es nichts unerhörtes, nachgeborenen Prinzen bloße
höhere Adelstitel zu geben. Eichhorn, RGeſch. II, §. 301. not. c. Lü-
nig, thes. jur. Comitum. p. 390. Huld. ab Eyben. de tit. nobilis.
Giess. 1677. §. 7. Pfeffinger, ad Vitriar. I, 17, 3, 6. p. 575. t. II.
Schmid, Beitr. z. Geſch. des Adels 42. 43. Cocceji, de L. morganat. III, 12.
v. 20. März 1820. Ueber die Sitte der einzelnen Europäiſchen regieren-
den Häuſer vergl. die Hall. Allg. Lit. Zeit. v. 1829. Mai Nr. 96 ff.
heroic. II, 438. Hauptſächlich jedoch nur aus dem Standpuncte der Deut-
ſchen Reichsverfaſſung. Juriſtiſch wird ſich nach allgemeinen Grundſätzen
nicht leicht das Gegentheil des obigen Satzes erweiſen laſſen. Sogar der
Gemahl einer regierenden Dame wird nach Verlegung ſeines Domicils in
das Reich derſelben, ein Staatsunterthan, wenn ihm nicht ſonſt eine un-
abhängige Stellung zukommt.
vielfach verſchmolzen mit dem Landes-Staatsrecht. Seine Literatur ſ. in
Maurenbrecher, Geſch. des D. Staatsr. vor. §. 227.
Princeps legibus solutus est, erkennt doch an, daß es würdiger ſei, ſich
im Privatverkehr den Geſetzen unterzuordnen. L. 23. D. de legat. 3.
l. 4. C. de Legib. §. fin. J. quemadm. testam. infirm. Und ſo wird es
durchgängig auch in der neueren Staatspraxis gehalten, wo nicht der augen-
blickliche Wille des Souveräns Geſetz iſt. Denn es giebt in den neueren
Staaten kein anderes Recht als das geſetzliche. Dahin hat es auch in
Großbritannien die Praxis gebracht, ungeachtet ſonſt die Maxime beſteht:
the king is not bound by any statute unless expressly named therein;
und Pflicht zu gegenſeitiger Hilfe begründet iſt, ſo kann ein regierendes
Haus allerdings auch ſeinen auswärts verheiratheten Gliedern bei ungerech-
ter Behandlung im Auslande thätigen Beiſtand leiſten. Vgl. v. Martens,
Völkerr. §. 170. Günther II, 491.
aber durch einſeitigen Willen nicht ſittlich, alſo auch kein Recht werden.
deren Angehöriger er war, ein Recht, ſein Andenken in Ehren zu halten
und zu vertheidigen. L. 1. §. 4. 6. D. de injur.
wies, waren Chriſtine von Schweden 1654—1689, welche ſogar noch das
Recht der Exterritorialität mit eigener Gerichtsbarkeit in Frankreich in An-
ſpruch nahm (Bynkershoek, de jud. legat. c. III, 4 u. 16. und de Martens,
N. Causes célèbr. t. II. Append. No. IV.), Stanislaus Lescinsky 1709
— 1766, K. Carl IV. von Spanien ſeit 1808, K. Guſtav IV. von Schwe-
den, K. Ludwig von Holland.
§. 243 b. und Zachariä, Staats- u. Bundesr. §. 58.
anders. Die Unverletzbarkeit des Regierenden ſtellt ſich allein jeder Zwangs-
maaßregel wider die Perſon entgegen.
ſche und ſtaatsbürgerliche Unterſchiede unter den vorbemerkten Klaſſen ſtatt-
finden, und ob auch noch anderen außerdem die Rechte der Unterthanen
bewilligt werden ſollen. Wegen der auf der See geborenen ſ. den nächſt-
folgenden Abſchnitt.
Schilter, de iure peregrinor. in ej. Exercitatt. ad Digesta.
chariä 40 B. IV, 1, 258.
Vermögens opfern. Noch ſind nicht alle Reſte dieſer Gewohnheit durch
Freizügigkeits-Conventionen unter den Einzelſtaaten getilgt.
iſt dies zu weit gegangen. Alles hängt von dem Willen der Einzelſtaaten
ab. Schon das Staatsrecht der alten Welt war hierin verſchieden. Cic.
pro Balb. 12. „Sed nos (Romani) non possumus et hujus esse ci-
vitatis et cujusvis praeterea; ceteris omnibus concessum est. Ueber die
neuere Praxis ſ. ſchon Moſer, Verſ. VI, 52 und Günther II, 326.
erkannt iſt wenigſtens ein Verwendungsrecht im obigen Fall durch die Deut-
ſche Bundes-Conſtitution. Prov. Compet. Beſtimm. v. 12. Juni 1817.
§. 5. 3, c. Schlußacte Art. 37. 50 4. Vgl. Klüber, öffentl. R. §. 173 a.
die Bekanntmachung der Avocatorien in einem fremden Lande geſtattet zu
werden. J. J. Moſer, nachbarl. Staatsr. 118. 687. Vgl. übrigens den-
ſelben Verſuch des Völkerr. VI, Cap. 4 u. 6. In älterer Zeit hat man
nicht ſelten ein Vindicationsrecht behauptet! Z. B. noch Moſer, Grdſ. in
Friedensz. V, 1, §. 27. S. aber Günther III, 309 ff.
nem heimathlichen Staat nicht beſteuert werden. In der älteren Zeit wurde
bei Vermögensſteuern dies nicht immer beachtet. M. ſ. den deutſchen R.
A. v. 1544 §. 45. Mynsinger Cent. obss. V, 22. Klock, de contribu-
tion. c. XIII. Natürlich könnte durch Verträge und Obſervanz unter ein-
zelnen Staaten jenes ältere Syſtem noch Fortbeſtand haben.
kl. Schriften VI, 287. Günther, Völkerr. I, 280. Ehemals konnte man
Beſchwerden über die Staatsgewalten durch eine denunciatio evangelica
bei dem Pabſt anbringen. Alle Staaten haben indeß dieſen kirchlichen Re-
curs beſeitigt.
S. 58. Not. 1. Vergl. Günther, Völkerr. II, 262. 315. 323. v. Mar-
tens, Völkerr. §. 80. 87. Schmelzing, §. 142. Daher haben auch Er-
findungspatente eines Staates in einem anderen keine ausſchließende Kraft.
Foelix, droit internat. p. 575 s.
Vergl. v. Martens, Völkerr. §. 79. 93. Schmelzing, §. 132. 146. Es
kann auch nach den heutigen Verhältniſſen ein Unterſchied zwiſchen natio-
nalen und allgemeinen Civilrechten nicht mehr gemacht werden, wie zwi-
ſchen ius civile und ius gentium der Römer, ausgenommen inſofern ver-
Es verſtößt gegen das Princip: daß Niemand ſeinem natürlichen Richter
entzogen werden kann; gegen das Princip: actor rei forum sequitur, und
extra territorium ius dicenti impune non paretur. S. darüber und über
das Syſtem anderer Staaten Foelix, p. 213. Ueber das Verhalten der
Deutſchen Staaten dem franzöſiſchen bürgerl. Geſetzb. Art. 14. gegenüber
vergl. Kappler, juriſt. Promtuar., W.: Ausländer. S. 88 f. ed. 2.
rer Staaten. S. Foelix, p. 187 f. Gerechtfertigt wird das obige durch
die weltbürgerliche Stellung des Individuums, welche zu keiner Zeit recht-
los gelaſſen werden kann. Statusklagen unter Ausländern ſind natürlich auszu-
ſchließen, weil der Status eines Menſchen lediglich von dem vaterländiſchen
Recht abhängig iſt und ſich nur dort in Ausführung bringen läßt. Alle
anderen Anſprüche an die Perſon hingegen ſind beweglich und vollziehbar
mit der Perſon. Wegen Immobilarklagen iſt kein Zweifel.
liche Eigenſchaft geknüpft iſt. Die neuere Geſetzgebung iſt durchgängig auf
dieſem Wege und nur in einzelnen Puncten noch bedenklich. Daß Fremde
als Kläger Caution leiſten müſſen, iſt eine, durch natürliche Verſchiedenheit
der Verhältniſſe gerechtfertigte Regel; daher auch die allgemeine Praxis
derſelben. Vergl. Foelix, p. 169 s. Wenn dagegen Erbſchaften und Ver-
mächtniſſe einem Fremden entweder ganz vorenthalten oder einem Abzugsgeld
(ius defractus, traite foraine) unterworfen werden, ſo iſt dies noch ein
Reſt vormaliger Befangenheit, deſſen Beibehaltung dem Princip eines freien
Verkehrs der Nationen nicht mehr entſpricht, daher auch ſchon die häufige,
wiewohl noch nicht durchgängige Abſchaffung jener Sitte durch ausdrück-
liche Verträge.
der von Engliſchen Capern gegen Preußiſche Unterthanen gemachten Pri-
ſen. S. darüber Ch. de Martens, Causes célèbres. t. II, p. 1—88.
Martens, Völkerr. §. 95. Klüber, dr. d. g. §. 58.
tens, Völkerr. §. 88. Klüber, öffentl. Recht §. 407 h. und die Schriften
in v. Kamptz, Literat. §. 113.
466 a.
314. Martens, §. 74. Schilter, l. c. §. 52. Dem Alterthum waren
allgemeine Fremdenvertreibungen (ξενηλασίαι) nicht fremd. In neuerer
Zeit kommen ſie meiſt nur in Verbindung mit kriegeriſchen Maaßregeln
vor. Eine Vertheidigung der ſonſtigen Britiſchen Fremdenbill gab Can-
ning am 3. April 1824. Jetzt beſteht auch dort ein einfacheres, milderes
Syſtem, ein bloßes Einregiſtriren von 6—6 Monaten. S. Geo. 4, c. 54.
ſich dieſerhalb zahlloſe Verträge wegen der Vagabunden in gegenſeiti-
gem Intereſſe. S. beſonders de Martens, Suppl. VIII, 282 u. ſ. ff.
Ueber den Begriff eines Vagabunden Chr. Thomasius, de vagab. Lips.
1681. van Haesten, de vagabundis. Vltraj. 1773. Günther, II, 259.
Mittelalters waren ſie ſogar regelmäßig rechtlos. Pütter, Beitr 115.
Neuere Geſetze entzogen wenigſtens noch einzelnen Categorieen der Frem-
den ihren Schutz, z. B. den Zigeunern. Abegg, Unterſ. a. d. Strafrechts-
wiſſenſchaft S. 369. Erſt die neueſte Zeit hat die weltbürgerliche Rich-
tung unbedingt verfolgt. S. ſchon Real, Sc. du gouv. IV, 7, 1, 1. Vat-
tel, II, 1, 19 f. 6, 17. Günther, II, 344.
ſchen Mittelalter (Pütter, Beitr. S. 148.), der Britiſche Grundſatz, daß
ein Fremder nur durch ein Geſchworengericht, welches zur Hälfte aus Frem-
den beſteht, gerichtet werden ſoll.
für die ausländiſchen Rechtsverhältniſſe u. dgl. Martens, Völkerr. §. 88.
Schmelzing, §. 187. 188. Ueber den casus necessitatis ſ. Schilter l. c.
§. 46.
darüber Christ. Thomasius, de existimatione, fama et infamia extra
remp. Hal. 1709.
ber, §. 84. S. auch ſchon Vitriar. ill. Pfeff. III, 112. Pütter, Erört.
des d. Staats- u. Fürſtenr. I, S. 10.
die Lit. bei v. Kamptz, §. 121. Pütter, Beitr. 128. Schilter, l. c.
§. 32. 39. Mittermaier, Grdſ. des gem. deutſchen Privatr. 6 Ausg. §.
106. Gebrandmarkt ward es in Frankreich, wo es allein beſtehend geblieben
war, ſchon durch Decret der Nationalverſammlung vom 6. (18.) Aug. 1790.
völlig aufgehoben gegen andere Staaten die es ſelbſt nicht ausüben, durch
Geſetz v. 14. Juli 1819.
profugor. Lugd.-Bat. 1829. Die neueſte Staatenpraxis ſ. bei Foelix,
dr. intern. p. 578. Die ältere Literatur bei v. Kamptz, §. 111.
Verf. S. 428.
den, Großherzgth. Heſſen, Oldenburg, Braunſchweig, Altenburg. Indirect
auch in Belgien, durch Geſetz v. 30. Dcbr. 1836.
kaiſerliches Decret vom 23. Oct. 1811 nicht völlig ausgeſchloſſen. Allein
die neuere Staatspraxis iſt dagegen. Vergl. Foelix, no. 573 s.
Groot, Vattel. Aber die neuere Doctrin iſt überwiegend dagegen, wie die
Praxis. Die andere extreme Anſicht, daß nie ausgeliefert werden dürfe,
ſo z. B. von Pinheiro Ferreira, hat ſich bisher keinen Eingang verſchaffen
können.
haupten wollen. Vergl. die Allg. Augsb. Zeitung 1824. Beil. N. 32.
Dagegen das J. des débats v. 20. Febr. 1824. Gewiß wird ſich hier nicht
ſelten die Beſorgniß einer inadäquaten Beſtrafung geltend machen! Titt-
Unter den Deutſchen Bundesgliedern iſt die Auslieferung politiſcher Ver-
brecher Bundespflicht. Beſchluß v. 18. Aug. 1836.
ſind. Vergl. B. de Martens, Manuel diplom. §. 31. Deſſen Causes
célèbres. 1827. I, p. 326. Nur der Römiſche Stuhl geſtattet den frem-
den Geſandten ein Aſylrecht bei geringeren Vergehen, nach einer Declara-
tion vom Sptbr. 1815.
ßen, vom 25. Mai 1816.
auf wenige Arten von Verbrechen. Den neueſten mit Frankreich vom
13. Febr. 1843 ſ. in Gazette des Trib. v. 21. März d. J.
§. 14 a. E. Groot, II, 9, 1.
Privateigenthum haben die Publiciſten ein dominium eminens genannt.
Schriften in Struve, biblioth. jur. imp. II, 11. und in Pütter, Lit. des
Staatsr. III, 378. S. auch Vattel, I, 20, 235. 244. II, 7, 81.
Rutherford Instit. II, 9, 6.
das Verhältn. ausw. Kammergüter. Halle 1819. S. 48 f. 179 f.
ten, z. B. im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin. S. übrigens Gün-
ther, II, 216. Klüber, dr. d. g. §. 124. 128.
u. Fürſtenr. I, S. 289 f Vergl. auch Mich. Henr. Griebner, s. Chn.
Henr. Drewer, de iure territorii subordinati. Diss. I et II. Lips.
1727. In Frankreich gehörte vormals das Fürſtenthum Bar in dieſe Ca-
tegorie. Vergl. Merlin, Rep. univ. m. Bar.
ſich ſonſt mehrere, als jetzt, da ſolche Verhältniſſe ſtets ihren Nachtheil ha-
ben. Ein getheiltes Miteigenthum hat z. B. Preußen und Lippe an Lipp-
ſtadt. S. übr. Jo. Andr. Frommann, de condominio territorii. Tub.
1682. Ge. Jos. Wagner, diss. s. eod. tit. Mogunt. 1719.
als praktiſch war. Die Umwälzungen dieſes Jahrhunderts, beſonders die
Rheinb.-Acte Art. 34. haben ihn beſeitigt. S. übr. Henr. Hildebrand,
de territorio clauso et non clauso. Altorf. 1715. Klüber, öffentl. R.
des t. Bundes §. 277.
ben mit Montesquieu vorzüglich begonnen. Unter den Neueren vergl. Ideen
über das polit. Gleichgew. Leipz. 1814. C. IV.
die inneren Adern eines jeden Landes. Iſt ein Flußufer zur Grenze ge-
macht, ſo kann ſchwerlich der Fluß ſelbſt noch zur Hälfte dazu gerechnet
werden. Und eben ſo wenig wenn ein Fluß ganz dem Lande zugeſtanden
iſt, auch noch das jenſeitige Ufer. Dennoch iſt das Gegentheil behauptet
worden. Günther, II, 20. 21.
§. 22. 23.
gelegenen Grubendiſtrict Moresnet. S. auch Moſer, Verſ. V, 25. 354.
Günther, II, 17. 181.
II, 20. Schmelzing, §. 220. Klüber, §. 133. Zuweilen iſt der Thalweg zur
Grenze genommen, wie auf dem Rhein u. 1809. zwiſchen Rußland u. Schweden.
Günther, II, 25. 198.
Bodenſee. S. ſchon Buder, de dominio maris Suevici. Jen. 1742.
Moſer, nachb. Staatsr. 440.
über obwalten, ob ein gewiſſes Territorium bereits ein abgeſchloſſenes ſei.
In ſofern konnte Thomaſius de inutilitate brocardici: Qu. i. t. e. e. e.
d. t. ſchreiben.
dürfen nicht in ein fremdes Staatsgebiet ohne dortige Conceſſion verfolgt
werden.
torii. Lips. 1740. §. 20. das Eigenthum des Baumes zu Gunſten desje-
nigen Landes beſtimmt, auf deſſen Seite ſich allein eine Grenzmarke vor-
findet.
die Eigenthumsverhältniſſe an ſolchen Gegenſtänden iſt Pufendorf, IV, 6,
4 ff. Die Gegenwart wird ſchwerlich noch ſolcher Unterſuchungen bedür-
fen. Ob eine zuvor herrenloſe Sache bereits in das Privateigenthum über-
gegangen ſei, und welche Rechte dieſerhalb Statt finden ſollen, bleibt allein
der Geſetzgebung der Einzelſtaaten oder der vertragsmäßigen Vereinbarung
überlaſſen.
gelbrecht, de reunione pertinentiarum. Helmst. 1715. Günther II, 178.
dieſer Beziehung erregt. Vorſichtiger Weiſe wird man hier jeden zu gene-
rellen Ausdruck lieber vermeiden.
Colonien der Griechen betr. Altona 1808. Raoul-Rochette, histoire criti-
que des colonies etc. Par. 1815. Heeren, Ideen z. Geſch. der Menſch-
heit. — Die Geſchichte der neuern Coloniſation liegt noch zerſtreut in Spe-
cialwerken.
ſpiel neuerer Art. Vgl. Günther II, 132. Sonſt aber hat meiſtens die
neuere Politik die Coloniſation als Schatzkammer für den Staat ausgebeu-
tet oder monopoliſtiſch ausbeuten laſſen und die Hand zu ſehr darüber be-
halten.
ſitzes, wenn ſich der neue Eigenthümer nicht ſchon auf andere Weiſe im
Beſitz der Sache befindet. Möglichkeit, über die Subſtanz einer Sache frei
zu verfügen, iſt das Weſen des Eigenthums. Außer dem phyſiſchen Beſitz
kann ſie nur durch geſetzliche Fiction und Staatshilfe erlangt werden. Das
internationale Recht gewährt weder die Eine noch das Andere. Unter den
ältern Publiciſten, zum Theil noch jetzt iſt dieſes ſtreitig. S. darüber und
wegen der Staatenpraxis Günther II, 86.
Natur der Dinge und der Billigkeit am meiſten entſprechend, überdies auch
faſt von allen Staaten in ihr Rechtsſyſtem übertragen, für internationales
Recht erklären. S. ausführlich darüber v. Cancrin, Waſſerr. III, 2. Gün-
ther II, 57—62.
maßung iſt es, neue Inſeln außerhalb der Grenze als Abſchwemmungen
des Gebiets in Anſpruch zu nehmen (vgl. z. B. den Fall bei Wheaton,
intern. L. I, 216., oder wie Napoleon Holland als Anſchwemmung des
Rheines vindiciren wollte). Abſchwemmungen, ſo lange ſie nicht mehr zu-
rückgebracht werden können, ſind keine Anſchwemmungen.
IV, 7, 2. 3. und von Andern, obgleich nicht unwiderſprochen. Der Be-
ſitzer kann freilich über die Früchte factiſch disponiren und induſtrielle Früchte
ziehen, aber die natürlichen kann er dem Eigenthümer nicht entziehen. Siehe
jedoch noch §. 73. a. E.
wo das Recht der Staatsgewalt nur auf langen Beſitzſtand gegründet iſt
ohne erweislichen Rechtstitel.
als naturgemäß zugegeben werden. Daß aber gerade ein gewiſſer Einzel-
ſtaat ſeine Herrſchaft hier und da conſtituire, iſt keine Nothwendigkeit.
Zwecke, wie der Culturverbreitung, der Beförderung der der Handels- und
Induſtrie-Intereſſen, der Benutzung eines todten Capitals, geben noch kein
Recht dazu. Nur wenn irgendwo durch Ausſchließung die Erhaltung und
Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts geſtört würde, könnte mit gemein-
ſamer Zuſtimmung das Hinderniß beſeitigt werden. Vgl. übrigens Vattel
I, 18, §. 205 f. Günther II, 9.
207. 208. Günther II, 11. Ueber den Streit, welchen Bynkershoek de domin.
mar. c. 1. erregte, ſ. die ausführliche Anmerkung von Klüber dr. d. g. §. 126.
Vollmacht für alle Unterthanen eines Staates exiſtirt nicht. Nur der Sclave
einer Staatsgewalt würde für ſie unmittelbar erwerben.
quiritur, alſo auch nicht das Recht, welches ſie ferner gewährt. Vergl.
v. Savigny Beſitz S. 365.
Die Theilung der Indien zwiſchen Portugal und Spanien durch ihn iſt
bekannt. S. die Bullen v. 1454 1481. 1493. in Du Mont Corps univ.
III, 1, 200. III,2, 302. Schmauss C. jur. gent. I, 112. 130. Vgl.
Günther II, 7. Walter, Kirchenr. §. 342.
v. 1803, beſtätigt in dieſer Hinſicht durch die Rheiniſche und Deutſche Bun-
desacte.
censib. Altdorf. 1659. th. 11 u. 13. Martini de j. censuum. Colon.
1660. IV, n. 1. Grusemann, de censu reserv. Rinteln. 1705. §. 12.
„Census omnes in futurum creandos re in totum vel pro parte peremta,
aut infructuosa in totum vel pro parte effecta, volumus ad ratam pe-
rire.“ Magn. Bullar. Rom. t. II, p. 295. Vgl. Ge. Franzke var. re-
solut. IV, n. 9. Multz I, c. th. 69. Jedoch iſt dieſer, wiewoh in der
Billigkeit gegründete Satz, keinesweges allgemein zugeſtanden oder ein all-
gemeines Recht geworden. S. ſelbſt Cencius, S. Rotae Rom. decision.
ad tract. de censib. Lugd. 1658. dec. I. Martini l. c. cap. VIII, n.
224. s. Zoll, de censu reserv. Rint. 1705. §. 21.
jur. feud. II, 206.) de Cramer Obs. jur. univ. 741, §. 14. Du Mou-
lin z. Cout. de Paris. §. 12. No. 4. und zu Chassaneul de feudis. III,
§. 7. Cuiac. lib. I. feud. cap. 2.
oppignor. Hal. 1740. N. H. Gundling, de j. oppignorati territorii.
biet an Meklenburg. — Scheinbar war auch 1768. Corſica von Genua an
Frankreich Pfandweiſe gegeben. Martens Rec. VIII, 1, 229.
Staatsſchulden. Bonn 1831. von §. 24 an. Ob aber der R. Dep. h. Schluß
von 1803. beſonders §. 80. darnach zu erklären ſei, iſt eine andere Frage.
Zur Beantwortung der Frage: ob eine Schuld auf ein gewiſſes Land con-
trahirt ſei? vgl. v. Leonhardi, Austrägalverf. S. 640.
bitis princip. obligari possunt. Jen. 1675. (Praesid. acad. I, n. 20.)
de Neumann in Wolffsf. de part. et contract. Princ. I, 3, 86.
III, 3, 400 folg.
cujusque esse intelligitur, quod aeri alieno superest.“
Staatsoblig. in v. Leonhardi Austrägalverf. S. 550. Ferner das Urtheil
des OAG. zu Jena ebdſ. S. 888. 897.
(vgl. Günther II, 214.); die Praxis hat zu wenig Gelegenheit gehabt, dar-
über zu entſcheiden. Wir vereinigen uns im Allgem. mit Groot II, 10,
1. Pufendorf IV, 13. Gewiß im Sinn aller rechtlichen Nationen. Recht
muß Recht bleiben. Beſitz giebt ein ſolches noch nicht in ausſchließender
Weiſe.
Andern gut geheißen; er kann die demgemäß vollzogenen Handlungen nicht
anfechten.
commune omnium est et litora sicuti aer. — Usurpatum tamen et hoc
est, tametsi nullo iure, ut quis prohiberi possit ante aedes meas
vel praetorium meum piscari; quare si quis prohibeatur, adhuc iniu-
riarum agi potest.“ Gegen Jeden findet eine Injurienklage, d. h. im All-
gemeinen wegen Unrechts Statt, der den Andern an einem ſchon angefan-
genen Gebrauch einer ſolchen res communis hindert. Qui prior venit,
potior iure. Vgl. Klüber Dr. d. g. §. 47.
betreffenden ſ. bei v. Ompteda, §. 218 f. v. Kamptz §. 172 f.; vor-
züglich v. Cancrin, Abhl. v. dem Waſſerrechte. Halle 1789. Die Haupt-
puncte finden ſich bei Günther II, 25. Klüber §. 130. Wheaton, intern.
L. I, 4, §. 10. und histoire des progrès p. 99. s.
dia. Die Römer ſelbſt hatten dieſe Anſicht ſchwerlich ſelbſt. Vgl. Fr. Guil.
Pestel, de dominio maris mediterr. Rinteln. 1764.
1609) gerichtet, womit die publiciſtiſche Erörterung der Frage begann.
iſt: Jo. Borough, Imperium maris Britannici. London. 1686.
King’s chambres, das Meer innerhalb zweier Vorgebirge. Wheaton in-
tern. L. §. 7. l. c.
Entfernung von 100 Meilen angenommen. So auch noch von Don Car-
los Abreu, tratado sobre las prisas maritimas Cadix 1746. Andere ha-
ben 60 Meilen vorgeſchlagen. Vgl. Bodin. de rep. 1, 9. Seit Bynkers-
hoek iſt vorzüglich die Rückſicht auf Kanonenſchußweite aufgekommen. Gün-
ther II, 52.
ton, intern. L. a. a. O. §. 10. a. E. in Betreff eines hier zuläſſigen ta-
citus consensus.
Lande rechnen, namentlich die holländiſche Zuyderſee, deren Eigenſchaft als
Eigenthumsmeer nicht beſtritten wird.
und die darüber zwiſchen den Nordamerikaniſchen Freiſtaaten und Rußland
getroffene Vereinbarung ſ. Wheaton intern. L. a. a. O. §. 5.
Friedrichshamm v. 5/17. Septbr. 1809, wodurch der Bothniſche Meerbuſen
ſelbſt als Grenze genommen und die Inſeln darin nach der Nähe des Ufers
getheilt ſind. Martens N. Rec. t. I, p. 19. Vgl. den Grenzvertrag vom
8. Nvbr. 1810. Ebdſ. t. IV, p. 33.
287. Vgl. übrigens Jouffroy, p. 27. s.
tur. L. 3. D. de J. et J. Vgl. Vattel I, 23, §. 288.
Z. B. in einem Vertrage zwiſchen Großbritannien und Spanien v. 1790.
wegen der Südſeefiſcherei. Wheaton intern. L. §. 8. l. c. Ebenſo 1689.
zwiſchen Frankreich und Algier; in manchen Fällen 3 Lieues, z. B. im Pa-
riſer Frieden von 1763. Art. 5., ebendaſ. Art. 15. aber wieder 15 Meilen.
England erſtreckt ſeine Zollaufſicht auf 2 Meilen. Am richtigſten urtheilt wohl
Vattel I, 23. §. 289., welcher Alles von den Umſtänden abhängig ſein läßt.
Die weiteſte Grenze dürfte nach Rayneval, der ſichtbare Horizont von der
Küſte für die Aufſichtsanſtalten ſein. Die Kanonen des Landes können aber
allein nicht entſcheiden!
S. 39. Moſer, kl. Schriften IX, 290 f. Wheaton, histoire des pro-
grès p. 105 ff. S. auch Vattel, I, 23, §. 292.
Art. 108—117. u. 118. Die Geſchichte der Verhandlungen ſ. in Klüber
Acten des Wiener Congr. Bd. III. Vgl. Wheaton, histoire des progrès.
p. 388. s. Wilhelm v. Humboldt’s großes Verdienſt!
1820.
ſtandenen Streitigkeiten ſ. Klüber öffentl. Recht des t. Bundes §. 571.
ein unvollkommnes Recht ſei, alſo nur durch Verträge geſichert werden
könne. So meint auch noch mit Groot, Pufendorf und Vattel, Mr. Whea-
ton, intern. Law. II, 4, §. 12. Die intereſſante Verhandlung der Frage
in Betreff des Miſſiſippi (jetzt erledigt) und in Betreff des St. Lawrence-
Fluſſes ſ. ebend. §. 18. 19.
118. Wegen der deutſchen Flüſſe ſ. Klüber a. a. O. §. 567 f. Wegen
der Weichſel: Verträge zwiſchen Rußland und Preußen und Oeſterreich vom
3. Mai 1815.
Juriſten es ausdrücken. Die Folgerungen und Grenzen dieſer Anſicht ka-
men vorzüglich in der Angelegenheit des Carlo Alberto zur Sprache. Vgl.
den folg. §.
ten nur die auf Britiſchen Meeren gebornen als ſofort Eingeborne. Mo-
ſer Verſ. VI, 8.
der Schiffahrt ſ. bei v. Kamptz, §. 190.
IX, 252.
Buch III.
Lugd. B. 1770.
liger und zurückhaltender gegen Andere. Ueber das Navigationsſyſtem Groß-
britanniens vgl. Alexandre de Miltitz, Manuel des Consuls I, p. 182,
331. s., wozu aber noch das Statut 3 u. 4. Will. 4, c. 54 u. 56. zu
ſetzen iſt. Siehe auch v. Rotteck und Welker, Staats-Lexicon unter Navi-
gationsacte.
Die Britiſchen Seerichter nehmen ein Derelict an, wenn das Schiff ohne
Hoffnung einer Rückkehr ganz verlaſſen iſt. Jacobſon Seerecht, S. 774.
Einzelne Geſetze nehmen hier größere Rückſicht auf den Eigenthümer. Viele
laſſen die Frage unentſchieden und unterwerfen ſie nur den allgemeinen
Grundſätzen von Aufgebung (abandon) des Eigenthums.
nen ſchleunige Juſtiz tit. C. de naufrag. Ebenſo das Weſtgothiſche Ge-
ſetzbuch und Theodorich d. Gr. Im Mittelalter galt es aber trotz allen
päbſtlichen, kaiſerlichen, königlichen und vielen anderen Verboten noch als ein
wirkliches Recht. Pütter, Beitr. 118—128. Jetzt giebt es kein Europäi-
ſches Land mehr, wo es durch das Geſetz unterſtützt würde. S. ſchon
Jouffroy p. 51. Klüber dr. d. g. §. 77. de Miltitz l. c. I, p. 144. s.
Nur hinſichtlich des Bergelohnes und Verfahrens differiren die Geſetze und
Gebräuche. S. vorzüglich Jacobſon Seerecht S. 745 ff. Pöhls, Seerecht
Th. III, S. 968 f.
aus Frankreich hat man Aehnliches vernommen.
2, 15. Pufendorf III, 3, 8.
1843. und zwar ausdrücklich in Betreff der Kauffarteiſchiffe. Die bisherige
publiciſtiſche Ueberzeugung und Praxis iſt jedoch meiſt eine entgegengeſetzte
geweſen. S. insbeſondere Wheaton I, 2, §. 10. Jouffroy p. 28. Der
franzöſiſche Staatsrath ſelbſt hat am 22. Nov. 1806. entſchieden: que la pro-
tection accordée aux vaisseaux neutres ne saurait dessaisir la juridi-
ction territoriale pour tout ce qui touche aux intérêts de l’Etat. Wei-
ter ausgeführt ward dies in einem trefflichen Requiſitoire Dupins in der
Sache des Carlo Alberto. S. dieſes und die Erkenntniſſe der franzöſiſchen
Gerichtshöfe in Sirey Jurispr. 32, 1. 577 flgg. 33, 2, 238.
beſchränkter Zulaſſung von Kriegsſchiffen.
tet doch die Nationalehre, ſie wieder fortzulaſſen. So entſchieden die fran-
zöſiſchen Gerichte in der Sache der Schiffbrüchigen von Calais. Dieſelbe
Frage ward auch in der Sache des Carlo Alberto berührt.
ton Enquiry into the validity of the British claim to a right of visi-
tation and search of American vessels. Lond. 1842. Kein Unterſchied
zwiſchen droit de visite und droit de perquisition (right of search) kann
hier zur Löſung führen. Einen Finger hier geben, heißt die Hand in eine
Kette ſchmieden.
einſeitiges particulares Recht mit Ausnahme weniger allgemein zugeſtande-
Es gehört daher auch eine umfaſſendere Vorlage keineswegs ſchon in das
Syſtem des internationalen Rechts, ſondern in das Staats- und Privat-
recht der einzelnen ſelbſtändigen Länder. Als gemeinſame hiſtoriſche Grund-
lage dieſer Rechtsentwicklung haben aus dem Mittelalter her verſchiedene
Localgeſetze gedient, die ſich zu einer anerkannten Auctorität erhoben; ins-
beſondere
die Aſſiſen des bourgeois für das Königreich Jeruſalem;
das Seerecht von Oleron,
die Jugemens von Damme und Geſetze von Weſtkapelle,
die Coutümes von Amſterdam,
das Seerecht von Wisby,
der Conſolato del Mare,
der Guidon de la Mer,
das hanſeatiſche Seerecht
und andere weniger bedeutende, welche ſämmtlich wieder unter einander in
einer gewiſſen Verwandſchaft ſtanden.
Zur nähern Kenntniß dieſer und der neuern Seerechte dient vorzüglich
das treffliche Werk von Pardessus, collection des lois maritimes anté-
rieures au XVIII siècle. Par, 1828. ff. V Bde. 4. Ferner zum Hand-
gebrauch für die neueſten See- und Handelsgeſetze im internationalen Ver-
kehr: Alex. de Miltitz, Manuel des Consuls. t. 1. II.
In eben dieſen Werken, ferner in von Kamptz Lit. §. 160—171. 252
bis 255. finden ſich auch die hauptſächlichſten Schriften über das See-
und Haudelsrecht der einzelnen Nationen; eine zweckmäßige Auswahl und
Ergänzung der Literatur in Mittermaier Grundſ. des deutſchen Privatrechts
§. 26. und §. 44. a. E.
Als periodiſche Schriften wären endlich anzuführen: Henrichs, Archives
du Commerce II. éd. Par. 1833. 39. 21 Bde. und Nouvelles archives
du commerce p. Ternante et Colombel. Par. ſeit 1838.
§. 176.
Moſer, Verſ. VIII. de Neumann in Wolffsf. de pact. et contractib.
Princip. 1752. Vattel II. ch. 12.
nes Fürſten habe die Geltung eines Eidſchwurs. So z. B. de Neumann
l. c. §. 83. Es iſt nicht nöthig, hierzu ſeine Zuflucht zu nehmen, da nach
der Sittlichkeit des Rechts ein Unterſchied zwiſchen hohen und niedern nicht
zu machen iſt.
der Privatrechte eximiren und auf ſie immer nur das natürliche oder Völ-
kerrecht anwenden wollen, z. B. noch Hellfeld in der diss. de fontib. ju-
ris quo illustres utuntur, §. 37. (vor t. 1. Jurispr. heroic.) allein die
neuere Rechtsentwickelung iſt eine andere, wie bereits §. 56. bemerkt iſt.
Allgemeinen vermißt man jedoch in den meiſten Syſtemen ſchärfere Feſt-
ſtellungen.
gen de Neumann l. c. §. 217 s. Cocceji zu H. Groot, II, 610.
und Schmalz im Völkerr. S. 64. will hier nicht einmal eine Rückforde-
rung des ſchon Geleiſteten zulaſſen, und Schmelzing §. 383. ſtimmt ihnen
bei. Schwerlich wird indeß dieſer Satz als ein allgemein anerkannter oder
nothwendiger nachzuweiſen ſein. Auch der Empfänger hat in dieſem Fall
kein Recht auf das Gegebene. Alles muß in den frühern Stand zurück-
reten.
§. 144. Pufendorf III, 7. 11. Mably, droit des gens I, p. 27.
tii quaesitarum. Goetting. 1798.
Verſchiedenheit der Anſichten, hervorgebracht durch den Conflict des Rö-
miſchen Rechts mit naturrechtlichen Theorieen. Vgl. z. B. Groot II, 11,
18. und dazu Cocceji; Pufendorf III, 9, 4 f. de Neumann §. 151. Die
neueren Codificationen des Privatrechts haben ſich den obigen Sätzen als
den einfachſten und natürlichſten zugewendet. Vgl. Allg. Preuß. Landr. I,
5, §. 74. Code Nap. Art. 1121. 1165.
cip. I, 3, 90. I, 5, 219. Günther, Völkerr. II, 95.
Gleichheit und Ungleichheit der Völkerverträge geſagt worden iſt. S. z. B.
Vattel §. 172 ff. Groot hat die Theorie zuerſt mit darauf geführt, be-
ſtimmt durch Ariſtoteles. Dagegen hat ſich mit Recht ſchon Cocceji zu
Groot II, 12, 8 f. erklärt. S. auch Martens, E. Völkerr. §. 46 a. E.
u. §. 55.
nur der Beſitzſtand entſcheiden. Vergl. ſchon oben §. 10. 23. und 49.
Wegen der in der Britiſchen und Nordamerikaniſchen Verfaſſung liegen-
den Beſchränkungen vergl. Wheaton l. c. §. 5. 6. Auch andere neuere
Conſtitutionen bieten dergleichen dar. Allein die Präſumtion iſt für die
Staatsgewalt. Die Verfaſſung ſelbſt jedoch kann ſie nicht für ſich allein
zum Opfer bringen.
bezweifeln. Vgl. Moſer, Familienſtaatsr. 910. 1065. Henr. Hersemeyer,
de pact. gentilit. Mog. 1781. p. 109.
ſ. in v. Ompteda Literatur II, 585. und v. Kamptz N. Lit. §. 244.
Am einfachſten und der Wahrheit am Nächſten entſcheidet VattelL. II,
§. 209 sq.
16, wozu ihn die bei den Alten wohl übliche Deditio verleitete.
Schriften, womit zu vergl. Pufendorf III, 6. v. Neumann §. 192 ff.
Schmelzing §. 382.
Cocceji, ebdſ. II, 11, §. 1. p. 600 f.
juriſt. philoſ. u. crit. Aufſ. 1775. I, 5, N. 1. S. 307 f. Klüber dr. d.
g. §. 3. auch v. Neumann §. 52.
dergefunden Inſtit. Comment. III, §. 94. ſagt: „dicitur uno casu hoc
verbo (Spondesne? Spondeo) peregrinum quoque obligari posse, velut
si Imperator noster Principem alicujus peregrini populi de pace ita in-
terroget: Pacem futuram spondes? vel ipse eodem modo interrogetur:
quod nimium subtiliter dictum est; quia si quid adversus pa-
ctionem fiat, non ex stipulatu agitur, sed jure belli vindicatur.“ Alſo
völlige Freiheit der Form. Ueblich aber waren im Römiſchen Staatsver-
kehr allerdings drei verſchiedene Formen; nämlich einfache pactiones, spon-
siones und feierliche foedera. Liv. 34, 57. Cic. pro Balbo 12. pro
Rabir. 16. Sigon. de ant. jur. Hal. p. 465 s.
de vi foederum inter gentes. Goett. 1778. §. 23. und Schmalz, Eur.
Völkerr. S. 52 f. Allein warum ſollte das ernſtliche Verſprechen und
deſſen Annahme, wo man die ſchriftliche Form nicht gebrauchen will, vor-
ausgeſetzt, daß jene auch vollkommen erweislich ſind, weniger Kraft haben?
Beſonnener urtheilt Martens, E. V. §. 45. Schmelzing §. 377. Klü-
ber §. 141. 143. und ſo auch die Aelteren, z. B. v. Neumann, §. 226.
238. Ob übrigens der Vertrag in einem Inſtrument enthalten iſt oder in
gegenſeitigen Erklärungen, wie z. B. die neueren Vereinbarungen des Pab-
ſtes mit acatholiſchen Mächten zu Stande gekommen ſind, iſt gleichgiltig,
wenn dabei wirklich die Abſicht ſich gegenſeitig zu verpflichten, vorgewaltet
hat. Es kann auch nur ein Theil ſich ſchriftlich erklärt, der andere dieſe
Erklärung durch unzweideutige Zeichen und Handlungen angenommen ha-
ben. Vgl. Martens a. a. O. und Vattel, §. 234. Wheaton III, 2, 3.
roes. Barbeyrac, suppl. au Corps univ. de Du Mont. II, p. 197. Ael-
tere Schriften über dieſen Gegenſtand ſ. bei v. Kamptz §. 249. und über-
haupt Klüber dr. d. g. §. 142.
Anſicht der ausgezeichneteren Publiciſten. Vgl. Vattel II, 12, 156. Byn-
kershoek, quaest. iur. publ. II, 7. Klüber a. a. O. Wheaton l. c. §. 4.
Die Anſichten früherer Zeit finden ſich bei Wicquefort, l’Ambassad. II,
Einen Theils auf die des Andern nachziehend denkt. (Eine ähnliche faſt
noch weiter gehende, rein privatrechtliche Anſicht findet ſich in einem [Cel-
liſchen] Auſträgalurtheil bei v. Leonhardi, Auſträgalverf. S. 319 f.) Viele
Beiſpiele unratificirt gebliebener Verträge ſ. bei demſelben und bei Klüber
a. a. O. Pölitz, Völkerr. S. 158. Das conſtitutionelle Staatsrecht macht
es beſonders wichtig, bei jedem Vertrage die Ratification vorzubehalten.
Vattel §. 328. de Steck, Essais sur plusieurs matières n. 1. Mar-
tens Völkerr. §. 172. Klüber dr. d. g. §. 160. Wheaton, intern. L.
III, 2, §. 16. Viele Beiſpiele von Vermittelungen ſ. in Wicquefort,
l’Ambassadeur II, 11. Moſer Verſ. VIII, 421 f.
rechtl. Mater. n. 2. S. 49. Klüber §. 161.
riſche Verträge, Bündniſſe und aus beiden gemiſchte Verträge eingetheilt.
Eben ſo Klüber und Andere. Hierbei läßt ſich höchſtens wegen der Be-
nennungen ſtreiten. Sehr unglücklich erſcheint dagegen die Polemik von
Pölitz, Völkerr. §. 50 ff., welcher an die Stelle dieſer Eintheilung eine an-
dere in rein politiſche und privatrechtliche Staatenverträge ſetzen wollte.
Herrſchers ſchwerlich in die Reihe der verbotenen geſtellt werden, weil das
Römiſche Recht und auch noch einige neuere dergleichen als unmoraliſch
verwerfen.
eviction. Am ſtreitigſten ſind die Naturrechtslehrer immer wegen der Ge-
fahr der veräußerten aber noch nicht übergebenen Sache geweſen. Vergl.
z. B. Groot II, 12, 15. Pufendorf V, 5, 3.
die ältern Publiciſten. Groot II, 12, 24. Pufendorf V, 8, 3. Allein
auch die oben beigefügte Modification iſt bei dispoſitionsfähigen Parteien
unbeſtreitbar. Stryk, de diversis socior. pactis. Hal. 1708. p. 26. v. Neu-
mann l. c. §. 731. daher auch z. B. das A. L. R. für die Preuß. Staa-
ten II, 17, 245. dieſe Ausnahme im Privatrecht zugelaſſen hat.
Athen. Ger. Verf. S. 89 flg. und die Zuſätze dazu; auch Prolus. acad.
de antiquo j. gent. p. 7. s. Dergleichen Verträge ſind der erſte Schritt
zu einem völkerrechtlichen Verhältniß. Sie kommen in dieſer allgemeinen
Weiſe nicht mehr vor. Vgl. auch Vattel II, 12, §. 171.
liens d’une fraternité véritable et indissolubile et se considérant comme
compatriotes, ils se prêteront en toute occasion et en tout lieu assi-
stance, aide et sécours; se regardant envèrs leurs sujets et armées
comme pères de famille, ils les dirigeront dans le même esprit de fra-
ternité pour protéger la réligion, la paix et la justice.“ Art. II. „En
conséquence le seul principe en vigueur soit entre les dits gouverne-
mens soit entre leurs sujets sera celui de se rendre reciproquement
service, de se témoigner par une bienveillance inaltérable l’affection mu-
tuelle dont ils doivent être animés, de ne se considérer que comme
membres d’une même nation chrétienne etc.“ Als juriſtiſche Wirkung ſol-
cher Stipulationen kann hauptſächlich nur die Verbindlichkeit angeſehn wer-
den, jede Feindſeligkeit möglichſt auszuſchließen und freundſchaftlichen Vor-
ſtellungen und Verhandlungen bei Abweichung von dem Princip der Ver-
einigung Raum zu geben, darin alſo keine unbefugte Einmiſchung zu er-
kennen, und ſich eine den Umſtänden angemeſſene Unterſtützung zu leiſten.
beyrac, Suppl. au Corps univ. I, p. 282. 286. 288. 300. 355 und in
das Verf. prolus. acad. p. 8. 9.
de l’Europe II, 12. p. 287. ed. 1761. Bouchaud théorie des traités de
commerce. Par. 1777. J. C. W. v. Steck, Verſ. über Handels- und
Schiffahrtsverträge. Halle 1782. Klüber dr. d. g. §. 152. Saalfeld Eur.
Völkerr. §. 95. Nachweiſungen der Handelsverträge ſ. bei v. Steck a. a. O.
Lampredi, Remarques historiques. à Lond. et Par. 1788. t. II. v. Kamptz
Lit. §. 255 f. und in B. de Miltitz, Manuel des Consuls.
Moſer Verſ. V, 455., vorzüglich auch Günther II, 243 f.
die im ſpeciellen Fall anwendbaren Regeln der Auslegung. Wir werden
darauf im Kriegsrecht (Buch II, Abſchn. 2.) zurückkommen.
Proleg. H. Groot §. VIII.
causam (L. 28 D. comm. divid.) anwendbar auch auf Staatengemein-
ſchaften. Vgl. Ludolph. Hugo, de statu region. Germ. c. 6. §. 7.
hat von jeher Schwierigkeiten gemacht, namentlich in Folge des Weſtphäl.
Osnab. Friedens V, 52. Darüber ſ. ab Ickstadt, Opusc. t. II, 1 — 5.
Eine, das Obige ausſprechende, Feſtſetzung enthält für den deutſchen Bund
die Wiener Schlußacte v. 1820. Art. 15. Vgl. Klüber öffentl. R. des
t. B. §. 129.
ſtellt, z. B. Groot und [Pufendorf]VIII, 9, 6. und deren Schulen. Das
Verhältniß der Souveräne zu den Staaten iſt ſeitdem klarer geworden.
Richtige Anſichten finden ſich bei Vattel II, 12, §. 183 ff. Die bloße
Benennung der Souveräne, ohne der Staaten zu gedenken, thut an ſich
Nichts zur Sache. Zweifelhaft könnte die Frage ſein, ob der h. Bund ein
perſönlicher oder reeller ſei? S. indeß oben S. 161. den Art. 2. Nach den
Erklärungen, die gleich Anfangs von Seiten einiger Regierungen gemacht
worden ſind, ſollte die Idee eines Staatenvertrags ausgeſchloſſen ſein. Vgl.
Wiener Jahrbücher v. 1822. Bd. IV, S. 93.
Malen gegen die der Kirche nachtheiligen Staatenverträge proteſtirt. So
der Biſchof von Augsburg gegen den Religionsfrieden von 1555. Rom
gegen den Weſtphäliſchen Frieden und noch ſpäter. Die Staatsgewalten
haben ſich darüber hinausſetzen müſſen, und auch die Kirche iſt der Noth-
wendigkeit der Weltverhältniſſe unterworfen.
V, 12. Am ausführlichſten hat ſich Vattel II, 17. über die Vertragsaus-
legung verbreitet. S. auch v. Neumann Jus Princ. l. c. tit. 6. §. 221.
Rutherford, Instit. II, 7. Crome und Jaup Germanien II, 2, 161. Die
Rechtfertigung der obigen Sätze liegt meiſtens ſchon im vorhergehenden §.
(l. 37. D. de legat. I.) ohne Zweifel allenthalben angenommen wird.
Giess. 1709 u. 1753. C. F. Woller, de modis qui pactionib. publicis
firmandis proprii sunt. Vindob. 1775. Vattel II, 16, 235 f. v. Neu-
mann, I, tit. VII.
mann l. c. tit. VIII. Ueber die oben vorgetragenen Grundſätze, welche
großentheils ſogar dem die Kraft des Eides am meiſten in Schutz nehmen-
den canoniſchen Recht eigen ſind, wird unter den heutigen Rechtslehrern
und bei dem Conſens der neueren poſitiven Rechte kaum ein Streit ſein.
S. auch Vattel §. 225 f. Ueber den wirklichen Gebrauch des Eides bei
einzelnen Staatenverträgen (wovon das letzte Beiſpiel 1777 zwiſchen Frank-
reich und der Schweiz) vgl. Klüber dr. d. g. §. 155.
Vertragsfreiheit gezogen. Die ältere Zeit kannte auch Verpflichtungen zu
Schimpf und Schande, zur Ehr- und Rechtloſigkeit u. dgl. S. überhaupt
v. Neumann §. 256 f.
kommen meiſt noch gezwungene Geißeln vor (Buch II, Abſch. 4.). Ueber
das Rechtsverhältniß der Geißeln ſ. vorzüglich Groot III, 20, 52 f. Mo-
züglich Henr. Cocceji diss. de guarantia pacis. Fref. V. 1702. Moſer
Verſ. VIII, 335 f. v. Neumann §. 774 f. v. Steck Verſuche 1772.
No. 5. Neyron, essai sur les garanties. Goett. 1777. Scheidemantel
Repertorium II, 156 f. Vattel II, 16, §. 235 f. Klüber §. 157.
Cod. iur. gent. I, p. 8. Recueil des traités I, p. 471. Klüber §. 155.
not. c.
den Anderen nur die Befugniſſe einer einſeitigen Garantie. Vgl. v. Neu-
mann §. 792. 796.
v. Steck, Verſ. über verſch. Gegenſt. 1772. S. 48. und die bei v. Ompteda
§. 276. und v. Kamptz §. 250. angezeigten Schriften.
herleiten wollen. Allein dieſes ſind einſeitige Erklärungen.
v. 1748.
§. 796. a. E. Vattel §. 236.
S. die Streitſchriften in v. Kamptz Lit. S. 81. No. 5 flg.
1730. van Bynkershoeck, Quaest. jur. publ. II, 10. Frid. Platner,
de exceptionib. necessariis iur. publ. Lips. 1764. Roßmann, in Sie-
benkees juriſt. Mag. I, n. 4. Chr. Henr. Breuning, de causis iuste so-
luti foederis. Lips. 1762. C. E. Wächter, de modis tollendi pacta in-
ter gentes. Stuttg. 1779.
III, §. 115. 135 ff. u. S. 354. S. auch v. Neumann §. 183.
gent. etc. Hal. 1711. und Exercit. acad. II, n. 2. Ein Beiſpiel von
erzwungenem Vertrag war der, welchen die Britiſche Flotte am 19. Aug.
1742 von Neapel bewirkt e!
§. 4. 10.
als ſie die ihrer Angehörigen leiten und ordnen können. Die Annahme
der ſtillſchweigenden Bedingung: Rebus sic stantibus, iſt daher in obiger
Weiſe unvermeidlich. S. vorzüglich Sam. Cocceji, de clausula R. sic.
st. Die übrige Literatur der Frage bei Klüber §. 165. not. a.
eines bisher unabhängigen Staates mit einem anderen; Eintritt in ein
Schutzverhältniß zu einem anderen; Verluſt eines Theiles des Territoriums
und dgl. Vgl. auch Vattel II, §. 204.
I, p. 164. Vattel II, 200 f. Klüber §. 165. Not. c. wo die wichtigſten
Schriften angemerkt ſind, ſodann Schmelzing §. 403. Martens wollte
Principalartikel und Nebenartikel unterſcheiden. Völkerr. §. 59. Ein ſol-
cher Unterſchied iſt aber ſehr ſchwierig und immer wieder von dem indivi-
duellen Ermeſſen abhängig. Dagegen wird die Verletzung Eines Vertrages
noch nicht zur Aufhebung aller übrigen Verträge mit demſelben Contrahen-
ten berechtigen. S. Vattel a. a. O. Zuweilen iſt in Verträgen ausdrück-
lich vorbehalten, daß bei dem Eintritt von Vertragsverletzungen zuerſt güt-
liche [Verſtändigung] verſucht werden ſoll. Osnabr. Weſtph. Friede Art. 17.
§. 5. Frieden von Oliva, Art. 35. §. 2.
die Dauer der Völkerverträge Landsh. 1808. E. W. v. Tröltſch, Verſ.
einer Entw. d. Grundſätze, nach welchen die Fortdauer der Völkerverträge
zu beurtheilen. Ebendſ. 1809. Mably, dr. publ. I, p. 165 s.
der zu erlaſſen. Richtig bemerkt von v. Neumann §. 395.
oben §. 24. 25. 53.
zeigten Schriften zu verweiſen. Siehe auch Wheaton, intern. L. III, 2,
§. 8. und dann unten §. 122. 181.
ſchlüſſen d. Europ. Mächte. Gött. 1797.
rungsrecht begründet ſein. Vgl. Vattel II, 192.
über beobachtet. Einige ältere Schriftſteller und Lehrer des Naturrechts
wollten auch dergleichen Verbindlichkeiten geradezu leugnen. Was indeſſen
alle Geſetzgebungen und Rechtsverwaltungen civiliſirter Völker unter Pri-
vatperſonen als ein ſich von ſelbſt verſtehendes Recht angenommen haben,
kann unmöglich unter den Staatsgewalten ſelbſt eine Chimäre ſein. Siehe
übrigens auch v. Neumann Jus Princ. Priv. de pact. et contract. §. 824 f.
Nur wenn und ſoweit die Civilgeſetze der Völker in einzelnen Puncten aus-
einander gehen, kann eine Conteſtation Statt finden; nicht über die Prin-
cipien. Wahr iſt, daß in der Völkerpraxis nur ſehr ſelten Fälle der An-
wendung vorkommen werden.
der neueren Staatenpraxis anknüpfen läßt, ſiehe in v. Savigny Syſtem
§ 218 f.
rius detrimento locupletiorem fieri. Vergl. Toullier zu L. III, tit. 4.
Chap. 1. §. 20. 112.
nach dem Staatsrecht desjenigen Staates, auf welchen die Regierungsvor-
mundſchaft geht, beſtimmen.
übergangen oder nur beiläufig gewürdigt. Groot nimmt hier einen ganz
allgemeinen Standpunct II, 20. 21. Ebenſo Pufendorf III, 1. Special-
ſchriften ſind von Jo. Petr. de Ludewig, de iur. gent. laesionibus. Hal.
1741. (Obss. sel. Halens. VIII, obs. 6. 7.) de Neumann i. W. de
delictis et poenis principum. Frcf. ad M. 1753. (beinahe unbrauchbar,
weil ſich dieſe Schrift hauptſächlich nur auf den vormaligen deutſchen
Reichsſtaat bezieht).
tien für die Zukunft. Beiſpiele ſ. im folg. §.
zwar als äußerſte Grenze der ſtrengen Gerechtigkeit angeſehen werden, aber
ſie kann es nicht nach der Sittlichkeit. Es verhält ſich damit genau ſo
wie im Strafrecht. S. ſchon Augustin. Exposit. Psalm. 108. (und in
c. 1. C. 23. qu. 1.) „reddere mala pro malis-propinquum malis; con-
venit tamen et bonis. Unde et lex modum ultionis statuit: Oculum
pro oculo. Quae si dici potest, injustorum justitia est, non quia ini-
qua est ultio quam lex statuit, sed quia vitiosa est libido ulciscendi.“
S. auch Vattel II, 51. 52. 339. Nur gegen völlig rohe, wilde Völker
kann eine Talion als Repreſſalie ſich nothwendig machen.
digungen und Verletzungen finden ſich in der neuern Geſchichte:
1662. zwiſchen Spanien und Frankreich, wegen verletzter Präcedenz.
Ch. de Martens, Causes célèbr. II, 391. Schmauss Corp. J.
G. I, 760. Günther I, 233. 235.
1685. zwiſchen Genua und Frankreich. de Martens l. c. II, 399.
1687. zwiſchen England und Spanien. de Martens Nouv. C. cél.
II, 497.
1702. zwiſchen Venedig und Frankreich. de Martens Caus. cél.
II, 405.
1709. zwiſchen England und Rußland, wegen Verletzung des Geſand-
ten der letztern Macht. Ebdſ. I, 47.
1752. zwiſchen Schweden und Rußland. Ebdſ. II, 414.
1785. zwiſchen den Niederlanden und dem Kaiſer, wegen Verletzung
der kaiſerlichen Flagge auf der Schelde. Ebd. II, 271.
leg. cap. III. Huber, de jure civitatis I, 3, 3, 1. Thomasius, juris-
prud. divina. III, 9, 76. Ward, Enquiry II, p. 485.
cher Anzahl. S. Wicquefort, l’Ambassadeur I, sect. 27-29. u. Ward. Be-
ſonders lehrreich ſind die Fälle, welche Merlin, Répertoire m. Ministre
public, V, §. 4. n. XII. XIII. anführt. Vgl. auch wegen der Angele-
genheit des Grafen Ghillenborg und Görtz, und des Grafen Cellamare
(1717. 1718.) Ch. de Martens, Causes célèbres. I, 75 u. 179. We-
gen der Grundſätze im Einzelnen vgl. Bynkershoek l. c. cap. XVII—XX.
pune licere legato exequi quidquid sibi a principe est mandatum.“ etc.
auswärtiger Geſandten und dafür gegebenen Genugthuungen nachweiſen.
Vgl. auch Wicquefort, l’Ambassadeur. I, sect. XXVII. In der neue-
ſten Zeit haben beſonders Verletzungen des Völker-Seerechts im gegenſeiti-
gen Verkehr Anlaß zu Reclamationen und zu Gewährung von Entſchädi-
gungen gegeben.
ihre Mißbilligung ausdrücklich erklären müſſen. Ein Beiſpiel zwiſchen Frank-
reich und Sardinien ſ. bei Vattel II, 338.
der verletzten Rechte iſt Vattel II, 71—78. Vgl. auch Groot II, 17, 20.
behauptete Satz.
ſem Stück augenblicklich meiſt alle Glieder des diplomatiſchen Corps An-
theil an den Erörterungen, oder man fordert ſie dazu auf. Beiſpiele ſ. in
Ch. de Martens Causes célèbr. I, 83. 220.
Geſetze von Einzelſtaaten können dieſen Begriff in Betreff ihrer Untertha-
nen noch anders beſtimmen oder erweitern; allein ſie können dies nicht zum
Präjudiz anderer Staaten thun.
die Piraten mitverſtanden werden, communes hostes omnium. Die regel-
mäßige Strafe war der Tod. Verrina V, 26. Im Mittelalter Ertränkung.
Leibnit. Cod. iur. gent. Urk. 124. Einzelne Unterthanen haben jedoch das
Tödtungsrecht außer dem Falle eines Piratenangriffs nicht. Loccenius de
j. marit. II, 3. 9. Valin z. Ordonnanz von 1681. III, 9, 3. p. 236.
Bemerkenswerth iſt jetzt das franzöſiſche Geſetz v. 10. April 1825.
älteſte Grundlage der obigen Verträge vgl. Ward, Enqu. II, 331.
Vermeidung von Rangſtreitigkeiten gemacht worden. Fr. C. v. Moſer in
Schott jur. Wochenbl. Jahrg. III, S. 615 f.
1702. Ward, Enquiry, II, p. 216 s. Die neueſte Provocation erließ
K. Guſtav IV. an Napoleon. Die Sache ſelbſt bedarf keiner Erörterung
für das heutige Völkerrecht. Das Mittel iſt ein an ſich unzuläſſiges Ent-
ſcheidungsmittel, weil es die Entſcheidung auch zu Gunſten des im Unrecht
befindlichen Theiles wenden kann.
nendi controversias inter aequales et potissimum de arbitris compromis-
sariis. Lugd. B. 1738.
längſt von den Proceſſualiſten als eine natürliche erkannt und jeder Anfech-
tung entzogen. Vgl. im Allgemeinen v. Neumann J. princ. priv. t. VIII,
§. 1 sqq.
wöhnlich. Vgl. Hellfeld zu Struv. Jurispr. heroic. Cap. I, §. 21 u. ſ. w.
77. v. Neumann l. c. 12. 13.
auch l. 17. a. E. und l. 18. D. de recept. Die davon abweichende Vor-
ſchrift in cap. 2. de arbitr. in VI. iſt ſchwerlich als Regel des Völkerrechts
anzuſehen.
ſche Civilrecht geſtattet, beruht auf einer poſitiven Vorſchrift, welche jedoch
nicht in allen Civilrechten einmal beibehalten iſt.
das neuere Europa durch andere Ueberzeugungen von der Kraft der Ver-
träge jeder Giltigkeit entbunden. Vgl. Groot III, 20. 46. Unrichtig iſt
gewiß auch die Vorſtellung, daß wenn in dem Compromiß eine Conven-
tionalſtrafe bedungen worden, der Schuldigerklärte ſich durch Erlegung der
Strafe von der Erfüllung des Schiedsſpruches befreien könne!
79. D. pro soc. u. l. 9. D. qui satisd. cog. bezieht.
ges nationesque ac civitates peregrinas lex convenit, quomodo per re-
ciperatorem reddantur res reciperenturque, resque privatas inter se per-
sequantur.“
mann griech. Staatsverf. S. 687. Die Verſammlung der Amphictyonen
hatte ſchwerlich eine ſo große Bedeutung, als man ihr oft beigelegt hat.
des. Frkf. 1838.
v. Kamptz §. 270. Der Gebrauch der Repreſſalien, ſelbſt im Privatver-
kehr, iſt uralt. Sie heißen im Mittelalter auch pressaliae. Ueber ihre
Anwendung im Mittelalter vgl. Hüllmann, Städteweſen I, 197. Pütter,
Beitr. z. Völkerr. Geſch. I, 49. dann auch P. Frider. de Process. I,
cap. 46 sq. Ueber den neueren völkerrechtlichen Gebrauch: Groot III, 2.
v. Neumann, ius Princ. priv. t. VIII, §. 35. Martens Essai conc. les
armateurs I, §. 4. Steck, Essais p. 42. Vattel II, §. 342 f. Whea-
ton IV, 1, §. 2. 3. Nicht zu billigen iſt die Unterſcheidung von allge-
meinen und beſondern Repreſſalien, wenn man unter Erſteren die Verhän-
gung oder Erlaubniß aller und jeder Gewaltmaaßregeln wider Perſonen und
Sachen eines fremden Staates verſteht, ohne beſtimmte Grenze. Dieſes
wäre, wie ſchon der Großpenſionar Witt bemerkt hat, nichts anderes als
Eröffnung eines Kriegszuſtandes.
kerrechtswidrig behandelt ſind und keine Genugthuung gegeben wird. Hier
ſind die Repreſſalien die Genugthuung, die Strafe ſelbſt, zugleich auch ein
Zwang zu correcterem Handeln für die Zukunft.
den Geißeln zuſammen. S. auch Vattel §. 351. Selbſt wenn nächſtdem
lèbr. II, p. 1. und p. 151 s.
que) in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden u. ſ. w. Vgl. v. Mar-
tens, Pütter und Wheaton a. a. O. Dieſer Gebrauch beſteht nicht mehr.
der Schweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft wird es ausdrücklich als Grundſatz an-
geſehen, daß einzelne Cantons für die anderen Repreſſalien üben dürfen. Vgl.
Martens Völkerr. §. 256.
gleich dies von älteren Publiciſten, z. B. ſelbſt von Cocceji zu Groot noch
behauptet iſt.
Verſ. VIII, 485. Vattel II, §. 341. v. Martens, Völkerr. §. 250.
und Mittermaier deutſches Privatr. §. 110.
Repreſſalien gegen eine Ungerechtigkeit (injustitia). S. beſonders Jo. Go-
thofr. Bauer, in Opusc. t. I, p. 157 s.
genberg Bd. II, S. 321.
wöhnlichen Steuern belegt und den Verkehr damit hemmt, ſo kann der
Nachbarſtaat ſeinerſeits andere Artikel des Erſteren auf ähnliche Weiſe be-
handeln.
rit. p. 31. Nau’s Völkerſeerecht (1802.), §. 258 f.
Mexico im J. 1838 eingeleitete Blocade, welche letztere nachmals durch die
Mexicaniſche Kriegserklärung ſich in eine vollkommen kriegeriſche verwan-
delte. N. Suppl. au Rec. III, 570. und N. Recueil t. XVI, p. 803 f.
Dieſe Maaßregeln konnten, weil bis dahin weniger im Gebrauch, einiges
Bedenken verurſachen, ſind aber dennoch von andern Mächten, ſo viel be-
kannt, nicht entſchieden angefochten.
Alberic. Gentile, Joh. Gottl. Frdr. Koch und Joach. E. v. Beuſt ſ. bei
v. Ompteda §. 290. 291. v. Kamptz §. 271. 272. Eine allgemeine Ge-
imminentem praeveniendi. Specim. iurid. L. Bat. 1.
26. toutes les guerres qui n’auront pour but que de repousser des usur-
pateurs, de maintenir des droits légitimes, de garantir la liberté
de l’univers et d’éviter les violences et les oppressions des ambi-
tieux, als conformes à la justice.
keit die Gründe gerechter Kriege zu beſtimmen geſucht haben, und eine
rechtliche Verantwortlichkeit deſſen behaupten, der einen ungerechten Krieg
führt, wie z. B. von Groot und von Vattel III, §. 183 f. 190. Wie un-
begründet gerade hier die Unterſcheidung eines natürlichen und willkühr-
lichen Rechts ſei, erkannte ſchon Cocceji zu Groot III, 10, 3 f.
S. 105.
299. v. Kamptz §. 274. 280. 281.
nibus, quamvis saepe per eas respublica laedatur, non tamen in exi-
tium reipublicae contenditur: qui in alterutras partes discedent, vice
hostium non sunt eorum, inter quos jura captivitatum aut postliminio-
rum fuerint.“
p. 344. II, 209 f. Ein merkwürdiges Beiſpiel einer Kriegführung auf
eigene Hand gaben noch Mannsfeld und Bernhard von Weimar im 30 jäh-
rigen Kriege. S. auch Ward II, 312. Schill’s Zug ward reprobirt.
Beitr. z. Völkerr. Geſch. 141.
Pauli, de jure belli societatum mercatoriar. Hal. 1751.
ſtemen ſind zu beachten J. J. Moſer, Verſuche X, 1. Vattel III, §. 78 f.
Martens Völkerr. §. 292 f. Klüber §. 268 f. Schmalz S. 269. Whea-
ton III, 2, 11. ohne erhebliche Meinungsverſchiedenheiten.
Garantien. Vattel III, 91.
verſprochen hat, ſ. Groot II, 15, 13. und dazu Cocceji. Juridiſche Beſtim-
mungen werden indeß hierbei ſchwerlich ausreichen.
ſtenz des casus foederis ſ. bei Moſer a. a. O. S. 43 f. Dazu auch die
Beiſpiele bei Wheaton III, 2, §. 13.
und dergl. zu liefern. Hierüber ſ. J. J. Moſer, vermiſchte Abh. I, 84.
dierno hostem non efficientib. Hal. Sax. 1747.
1813. in Beziehung auf die franzöſiſche Alliance.
des 7 jähr. Krieges.
lands in den Griechiſchen Angelegenheiten: Nouv. Recueil t. XII, 1 sqq.;
an den particulären Feldzug Frankreichs gegen Antwerpen 1832. auf Grund
der Verträge mit Großbritannien vom 22. Oct. 1832. und mit Belgien
vom 10. Nov. d. J. Ebdſ. XIII, 39. 57.; an die Intervention in den
orientaliſchen Angelegenheiten: an S. Jean d’Acre —. Im 7 jähr. Kriege
war von einer während des Waffenſtillſtandes fortzuſetzenden Belagerung der
Feſtung Neiße die Rede. Flassan, dipl. franç. V, 146.
cere ita pati sit fas.“
X. an. S. auch oben S. 7 f.
14 Flor. J. VIII.: „Le droit de la guerre est fondé sur ce qu’un
peuple pour l’intérêt de sa conservation ou pour le soin de sa défense
des choses et non des personnes, qui constitue la guerre; elle est une
relation d’état à état, et non d’individu à individu. Entre deux ou
plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se
composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point
comme hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont
uniquement comme soldats.“ Völlig übereinſtimmend mit dem Obigen
und dem Nachfolgenden äußerte ſich auch Talleyrand in einer Depeſche an
Napoleon vom 20. Nov. 1806:
„Trois Siècles de civilisation ont donné à l’Europe un droit des
gens que, selon l’expression d’un écrivain illustre, la nature humaine
ne saurait assez reconnaître.
Ce droit est fondé sur le principe, que les nations doivent se faire:
dans la paix le plus de bien, et dans la guerre, le moins de mal qu’il
est possible.
D’après la maxime que la guerre n’est point une relation d’homme
à homme, mais une relation d’Etat à Etat, dans laquelle les particu-
liers ne sont ennemis qu’accidentellement, non point comme hommes,
non pas même comme membres ou sujets de l’Etat, mais uniquement
comme ses défenseurs, le droit des gens ne permet pas que le droit
de guerre, et le droit de conquête qui en dérive, s’étendent aux ci-
toyens paisibles, et sans armes, aux habitations et aux propriétés pri-
vées, aux marchandises du commerce, aux magasins qui les renferment,
aux charriots qui les transportent, aux bâtimens non armés qui les
voiturent sur les rivières ou sur les mers, en un mot à la personne
et aux biens des particuliers.
Ce droit né de la civilisation en a favorisé les progrès. C’est à
lui qui l’Europe à été redevable du maintien et de l’accroissement de
prospérité, au milieu même des guerres fréquentes qui l’ont divi-
sée.“ — — — — (Moniteur univ. du 5 Dcbr. 1806.)
ben, Groot III, 1, 19. 18, 4. Pufendorf II, 3, 23. J. J. Moſer,
IX, 1, 111 f. Bynkershoek, Quaest. I, 3. und die Schriften bei v.
Ompteda §. 300. v. Kamptz, §. 282 f.
ſtelle, kann nicht behauptet werden. In Verträgen iſt jedoch zuweilen dar-
auf zurückgegangen worden. v. Martens §. 262. Not. g.
Schriften bei v. Ompteda §. 295. vergl. mit v. Kamptz §. 275. ſodann
Vattel III, §. 51. Emerigon, traité des assurances I, 12, 35. v. Mar-
tens §. 262. Schmalz S. 223. Klüber §. 238.
von dem Franzöſiſchen Geſchwader weggenommenen navires Mexicains zu-
erſt als séquestrés pendant le cours du blocus und dann als capturés
à la suite de la déclaration de guerre betrachtet. Man ſtellte aber nach-
her in der Convention vom 9. März 1839 die Frage zum ſchiedsrichterli-
chen Ausſpruch: s’ils devaient être considérés comme légalement acquis
aux capteurs. de Martens Nouv. Rec. XVI, 610.
So noch im J. 1755 in Frankreich gegen die Engländer mit Trompeten
und Pauken. J. J. Moſer Verſ. IX, 45. Dabei muß eine billige Friſt
geſtattet werden. Vattel III, 63. Man kann aber auch, und dazu wird
die gegenwärtige Civiliſation gern hinneigen, einen unſchädlichen ferneren
Aufenthalt den unverdächtigen Perſonen gern geſtatten.
und zum Theil auch Mably droit publ. I, 169. Erörterungen der Frage
bei Frdr. Chph. Wächter, de modis tollendi pacta inter gentes. Sttgrd.
1780. §. 53 f. Leopold, de effectu novi belli Quoad vim obligandi pri-
stinar. pacification. Hlmst. 1792. J. J. Moſer, verm. Abh. I. Klü-
ber §. 165.
Unterthanen, ihre Perſonen und Güter im Fall eines Krieges in Sicher-
heit zu bringen. Mably a. a. O. de Steck Essais sur div. sujets. 1785.
p. 5. Ein anderes Beiſpiel bei Wheaton §. 8, 3. S. auch Klüber §. 152.
Martens §. 263. Vattel III, 175.
titel für Unterthanen u. dgl.
folgenden §. 128.
§. 81. mit den Worten: „den Schutz gegen auswärtige Feinde erwartet
der Staat lediglich von der Anordnung ſeines Oberhauptes.“ Eine
ſonſt allgemeine Formel der Kriegserklärungen war zwar die Aufforderung
an alle Unterthanen de courir sus aux ennemis; indeſſen deutete die-
ſes ſchon Vattel a. a. O. §. 227. auf ein bloßes Feſthalten feindlicher
Perſonen und Sachen. Jetzt möchte ſie wohl überhaupt nicht mehr vor-
kommen.
Gebiete der Strafrechtswiſſenſch. 1830. S. 86. „iſt, daß der Staat, den
im Kriegszuſtande das Unglück traf, in ſeinen Landestheilen feindliche Trup-
pen aufnehmen zu müſſen, weder Pflicht noch Intereſſe habe, jene Feinde
wider Angriffe zu ſichern, nachdem an die Stelle des rechtlichen ein Ge-
noch finden ſich Beiſpiele des Gegentheiles bis ins 16te Jahrhundert.
Ward, I, 252. 253.
— allenfalls ein bellum internecinum abgerechnet, welches nach dem
Standpunct unſerer Zeit wohl nicht vorkommt, — keineswegs der Rechtszu-
ſtand in dem Grade aufgehoben, daß für den Bürger, deſſen Rechte auch
vom Feinde ſelbſt im Weſentlichen anerkannt werden, eine Befreiung von
den ihn verbindenden Geſetzen, gegenüber wem es auch wolle, gerechtfertigt
werden könnte. Man muß nur die bereits gerügte Anſicht aufgeben, daß
das Criterium des Strafgeſetzes in dem Schutze zu ſuchen ſei, welchen es
Jemand gewähre. — In wie fern durch den Fall der Nothwehr oder ſon-
ſtige Modificationen, die durch den Einfluß des Krieges auf das Strafrecht
herbeigeführt werden, Strafloſigkeit oder Milderung der Strafe entſtehen
können, in wie fern das Gebiet der Gnade eintreten dürfe? gehört einer
andern Seite der Beurtheilung an.“ S. auch Frisius Rinia van Nauta,
de delictis adv. peregrinos, maxime adv. milites hostiles. Groning. 1825.
und des Verf. Lehrbuch des Crim. Rechts §. 37.
Freiheitskrieges bekannte, und auch in neueſter Zeit in Oſtindien geübt hat,
wären Verwüſtungen erlaubt:
a) pour forcer les habitans à satisfaire aux démandes de contri-
butions etc.;
b) pour engager l’ennemi à s’exposer en tachant de couvrir le
pays;
c) pour nuire à l’ennemi ou pour l’amener à la raison;
d) en cas de révolte ou de rebellion des habitans du pays!
v. Martens Völkerr. §. 274. (280.)
166. 167. v. Martens §. 268 f. Klüber §. 244. 262. 263. Die Schrif-
ten bei v. Ompteda §. 301. und v. Kamptz §. 289.
letzt, kann natürlich auf Bewahrung derſelben keinen Anſpruch machen.
S. Vattel §. 176.
denklicher iſt Groot III, 1, 21. Schriften ſ. noch bei v. Ompteda §. 303.
und v. Kamptz §. 291.
den. S. übrigens wegen des Obigen Vattel §. 181. Klüber §. 266.
Anfang des Kampfes, zeigen. Bouchaud, théorie des traités de com-
merce p. 377.
gebunden gehalten. Beiſpiele liefert Ward, I, 356. 357. Merkwürdig
auch die Magna Charta für England Art. 41.
in Kriegszeiten. 1750. Deſſelben Verſ. IX, 2, 49.
Pütter Beiträge, S. 47 ff.
Chriſten zu Sclaven zu machen und zu verkaufen. (1179.) Auch bei den
orientaliſchen Chriſten hatte man denſelben Grundſatz angenommen, wie
Nicephorus Greg c. 1260. berichtet. Vgl. Pütter Beitr. 69. 86.
III, c. 7. Moſer Verſ. IX, 2, 250. 311 f. Bynkershoek, Quaest. jur.
publ. I, 3. Vattel III, §. 139 f. Klüber §. 249. Wheaton IV, 2, 2.
Kriegsgefangenen finden ſich im Preußiſch Nordamericaniſchen Vertrage von
1799. Art. 24.
auf die erſt ſpäter zur Sprache zu bringenden Verhältniſſe des neutralen
Handels ſ. bei v. Kamptz §. 257.
719—731. Wheaton, intern. L. IV, 1, §. 22.
quaest. iur. publ. 1, 3.
Wheaton a. a. O. §. 13. vergl. mit Valin, Commentar zur Ordonn.
v. 1681. III, 6, 3.
1, 10. und Wheaton a. a. O. §. 14. Billig aber fragt man, wie ein
Alliirter ſich anmaßen dürfe, dem Verbündeten Geſetze ſeines Verhaltens
vorzuſchreiben und eine Jurisdiction über ſeine Unterthanen auszuüben,
wenn das Bündniß kein Recht dazu ertheilt?
§. 274 f. Einzelne Schriften bei v. Ompteda §. 308. v. Kamptz §. 306.
de captiv. et postl. Gaii Comment. II, 69. §. 17. J. de div. rer.
Vorfahren, „sua esse credebant quae ex hostibus cepissent. Unde in
centumviralibus iudiciis hasta praeponitur.“
nobis religiosa non sunt.“
J. de rer. divis. J. J. Barthelemy, Oeuvr. div. Par. 1798. I, 1.
ques et diplomat. Introduction Par. 1823. p. CXV. „Nous pensons
avec Grotius qu’on acquiert par une guerre iuste autant de choses
qu’il en faut pour indemniser complètement des frais de la guerre;
mais il n’est pas vrai que par le droit des gens on acquière le droit
de la propriété entière des biens des sujets. On n’admet plus au-
jourdhui le principe que la conquête engendre des droits. Il n’y a
d’immuable, dans la pratique des nations, que les principes qui déri-
vent immédiatement du droit de la nature.“ Zachariä 40 B. vom
Staate, IV, 1. S. 102. „Feindesgut, das Privateigenthum iſt, ſteht un-
ter dem Schutze des Völkerrechts; es darf nur ausnahmsweiſe, wenn und
in wie fern der Zweck des Krieges nach Zeit und Umſtänden nicht anders
erreichbar iſt, angetaſtet werden. Denn das Privatvermögen der Untertha-
nen iſt nur in ſofern ein Beſtandtheil der Kriegsmacht der Staaten, als
einem jeden Staate die Herrſchaft über das Vermögen ſeiner Unterthanen
zuſteht.“
Fehlerhaft iſt die Theorie der Meiſten, in ſofern ſie nämlich nicht zwiſchen
der bloßen Landesoccupation und der völligen Beſiegung des Feindes un-
terſcheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, diss. de iure victoriae,
und in ſeinem Commentar zu H. Groot III, 6.
und Stade von Dänemark, welches dieſe Beſitzungen den Schweden abge-
nommen hatte, durch Act ratificirt am 17. Juli 1715; vier Monate zuvor,
ehe Großbritannien den Krieg an Schweden erklärte!“ Britiſche Publici-
ſten nahmen dieſes gelegentlich in Schutz. Andere Beiſpiele bei Martens
§. 277. Not. b.
Publiciſten. S. beſonders Meermann, von dem Recht der Eroberung.
Erf. 1774. Pufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, §. 195. 196. Klüber
§. 256. v. Martens §. 277. Wheaton IV, 2, §. 16. Alle geſtehen we-
nigſtens zu, daß noch eine Beſtätigung der Erwerbung durch den Friedens-
ſchluß nöthig ſei. Dies iſt das Zugeſtändniß, daß die Beſitzergreifung allein
nicht genüget.
217. „Le droit de conquête n’a effet au préjudice des princes que sur
les biens qu’ils possèdent en qualité de princes et non sur les biens
qu’ils possèdent comme simple propriété.“
quête et l’occupation d’un Etat par un Souverain n’autorisent pas ce
souverain à disposer par donation ou autrement du domaine conquis
ou occupé.“ S. auch A. L. R. für die Preuß. Staaten I, 9, 198.
de iure victoris in res devictor. incorporales. Alt. 1720. v. Kamptz,
Beitr. z. St. u. Völkerr. N.9. B. W. Pfeiffer, das Recht der Kriegsero-
berung in Beziehung auf Staatscapitalien. 1823. Ferd. Carl Schweikart,
Napoleon und die Curheſſiſchen Capitalſchuldner. Königsb. 1833. Noch
andere in v. Kamptz Lit. §. 307.
ders von S. 82 an. S. auch Bynkershoeck, Quaest. jur. publ. 1, 7.
p. 177. v. Kamptz Beitr. a. a. O. §. 5. Not. 4. Es ſind dies aber
eben ausdrückliche conventionelle Beſtimmungen für einzelne Fälle, die noch
keine Regel begründen.
Publiciſten haben mit Liebhaberei dieſelbe beſprochen. S. die Schriften bei
Schweikart S. 53 f. Das Amphictyonenurtheil darüber iſt wahrſcheinlich
nur eine Fabel, Saint-Croix, des anciens gouv. fédérat. p. 52. Fr. W.
nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian conſtruirt man ſich den
Inhalt nach Belieben.
von den Publiciſten angenommen, welche überhaupt eine Occupation un-
körperlicher Dinge vertheidigen. Vgl. v. Kamptz a. a. O. §. 6. 7.
tannien und Nordamerica v. 1794. Vgl. Wheaton IV, 1, 12.
Vattel III, 196.
denken II, Nr. 20. S. aber ſchon Pufendorf VIII, 6, 21. Auch das
Allg. Preuß. Landrecht I, 9, §. 193. 197. ſtellt den Grundſatz auf: das
Recht Beute zu machen, kann nur vom Staat ertheilt werden. Und: ge-
gen denjenigen feindlichen Unterthan, der weder zur Armee gehört noch der-
ſelben folgt, kann nur mit ausdrücklicher Erlaubniß der Befehlshaber der Trup-
pen Beute gemacht werden.
1672. Art. 73.
Rechts vgl. Ziegler de jurib. majestat. I, 33, §. 79. Allein die Grund-
ſätze über die Vollendung einer Beſitzergreifung ſind keinem erheblichen
Zweifel unterworfen. Zu berückſichtigen iſt vorzüglich auch l. 3. §. 9. D. de vi.
iſt erſt alsdann für erobert zu achten, wenn ſie von den Truppen, welche
ſie gemacht haben, bis in ihr Lager, Nachtquartier oder ſonſt in völlige
Sicherheit gebracht worden. §. 202. So lange der Feind noch verfolgt
wird, bleibt dem vorigen Eigenthümer der abgenommenen Sachen ſein Recht
darauf vorbehalten.“
in Brabant, 1595.
Völker neuerer Zeit, einander in ihrem Seehandel recht wehe zu thun.
Hamb. 1800. Jouffroy, dr. maritime, p. 57 s. Zachariä 40 B. IV,
1, S. 111. Hinſichtlich der Praxis vgl. man N. Carlos Abreu, tratado
jurid. politico sobre las presas marit. Cadix 1746. Franz. 1758 u. 1802.
R. J. Valin zur Ordonn. v. 1681. und ſein traité des prises ou prin-
cipes de la iurispr. franç. concernant les prises; à la Rochelle et Par.
1782. v. Steck, Verſ. über Handels- und Schiffahrtsvertr. Halle 1782.
S. 171. G. F. de Martens, Essai concernant les armateurs. 1795. u.
deutſch im ſelb. J. Nau, Völkerſeerecht, §. 265 f. Wheaton, intern.
L. IV, 3, §. 9 f.
daß nicht einmal zur Ausübung von Repreſſalien Fiſcherböte des Feindes
als gute Priſe behandelt werden dürften. Sirey, I, 2, 331.
verfahren. Vgl. v. Steck, über Handelsvertr. S. 171. Nau, Völkerſeer. §. 257.
Wheaton, intern. L. IV, 1, §. 10. 11. Faber, N. Europ. Staatscanz-
lei VI, 426.
Franklins Meinung über dieſelbe: in Wheaton histoire p. 233.
Handelsvertrage von 1785. Art. 23. gethan. Die neueren Verträge beider
Staaten von 1799. und 1828. ſchweigen davon. Nau, im Völkerſeerecht
§. 279. (1802.) citirt auch noch den damals neueſten Vertrag Großbritan-
niens und Rußlands. Allein die Verträge dieſer Mächte von 1801. enthal-
ten nur eine Modification der Caperbefugniſſe.
nehmen dürfe? bezweifelt Derſelbe a. a. O. mit Valin. Der Feind kann
daraus freilich wohl keine Beſchwerde herleiten. Eher die Neutralen.
verordnet: „Güter und Schiffe, welche von Capern weggenommen werden,
ſind erſt für verloren anzuſehen, wenn dieſelben in einem feindlichen oder
neutralen Hafen aufgebracht worden.“
nanz von 1400 entwickelt. Vgl. Valin zur Ord. v. 1681. III, 9, 1.
übertragen werden. Vgl. Martens §. 37. Wheaton §. 14.
Wheaton §. 21.
sunt, non publicae sed occupantium fiunt.“ Vergl. mit l. 12. pr. D.
de captiv.
ch. II, V, 3. v. Steck, Verſ. über Handels- und Schiffahrtsvertr. S.
168. und über die Praxis des Satzes Moſer, Verſ. IX, 1, S. 45. 49.
Die arge Unbilligkeit derſelben iſt einleuchtend.
land, Opusc. acad. III, n. 1. Groot III, 20. Vattel III, ch. 16.
Martens Völkerr. VIII, 5. Klüber dr. d. g. §. 273 f. Pufendorf VIII, 7.
Niemand, der das Gegentheil behauptet. S. ſelbſt Bynkershoek Quaest. I,
1, der ſonſt Betrug gegen den Feind für erlaubt hält. Vgl. Wheaton IV,
2, 17. Specialſchriften bei v. Ompteda §. 302. v. Kamptz §. 290.
zwiſchen Frankreich und Großbritannien.
ſer Verſ. IX, 2, 452 f.
per §. 23.
Art aus dem Jahre 1673.
Praxis im Mittelalter: Ward, Enqu. I, 298 s.
Sonſtige Schriften bei v. Ompteda §. 315. v. Kamptz §. 300.
Friſt Entſatz kommen ſollte und dann es auf den Ausgang des Kampfes
ankommen zu laſſen. Ward II, 226 f.
acad. n. 5. Moſer Verſ. X, 2, 1. Vattel III, §. 233 f.
Vattel III, 245. vorgeſchlagene ſchwerlich vorzuziehen iſt, „de ne rien faire
de ce que l’ennemi aurait été intéressé d’empêcher et que, sans la trève,
il aurait probablement empêché.“ Beſonders ſtreitig iſt, ob einem bela-
gerten Ort erlaubt ſei, ſeine Mauern wiederherzuſtellen und neue Verthei-
digungsbarrièren aufzuführen? Bejaet wird es mit Recht von Groot §. 7.
noch beſtimmter in Bezug auf jede Vertheidigungsmaaßregel von Pufen-
dorf §. 10. Geleugnet von H. Cocceji zu Groot §. 10. von Vattel und
Wheaton IV, 2, 20. Daß der Belagerer ſeine Belagerungsarbeiten nicht
fortſetzen dürfe, iſt außer Zweifel.
is material: indeed it may be said to be of the very essence of the
contract. If any thing occurs to render its immediate execution im-
practicable, it becomes of no effect, or at least is subject to be varied
by fresh negotiation.“ Warnende Beiſpiele: die wiederaufgehobene Con-
vention von Kloſter Zeven 1757. Die Convention von El Ariſch, 1800.
Die Capitulation des Marſchalls St. Cyr, 1814.
§. 319. und v. Kamptz §. 315. Zu den bedeutenderen Monographien ge-
hört: H. Cocceji, disp. de iure belli in amicos. 1697. (Exerc. curios.
t. II.) Jo. Phil. Vogt, Samml. auserleſ. Abhl. Leipz. 1768. No. III.
Jo. Fr. Schmidlin, de iurib. et obligation. gentium mediar. in bello.
Sttg. et Ulm. 1780. Ferd. Galiani (Neapolitaniſcher Diplomat, 1787.)
dei doveri dei principi guerregianti verso i neutrali. Napoli 1782. über-
ſetzt u. mit Commentar von C. Ad. Cäſar. Leipz. 1790. Samhaber (od.
Stalpf), Abhl. über einige Rechte und Verbindlichkeiten neutraler Natio-
nen in Zeiten des Krieges. Würzb. 1791. Aug. Hennings Abhandl. über
die Neutralität, in ſ. Samml. v. Staatsſchr. I. Hamb. 1784. Dann ſind
zu vergleichen: Real, sc. du gouv. V, 2. J. J. Moſer, Verſuche X, 1,
147 f. Bynkershoeck, Quaest. 1, c. 8—15. v. Martens Völkerr. VIII,
7. Klüber dr. d. g. §. 279 f. Wheaton, intern. L. IV, ch. 3.
vom 27. Mai d. J. Congreßacte Art. 84. 92. und Anerkennungsacte vom
20. Nvbr. 1815. de Martens Suppl. VI, 157. 173. 740.
Art. 118. de Martens l. c. p. 254. 429.
p. 394. und Vertrag v. 19. April 1839. Art. 7. Ebend. XVI, 777.
v. 1658. 1659. hinſichtlich der Niederlande; im ſpaniſchen Succeſſions-
kriege, hinſichtlich Dänemarks. Vgl. Nau’s Völkerſeerecht §. 233. 234.
vom 31. Juli bis 6. Aug. 1815. Art. 4. de Martens N. R. II, p. 612.
In Betreff der einzelnen Fragen: Galiani I, c. 3.
america ſ. bei Wheaton IV, 3, 3.
3. §. 4. 6. 7. 9. Bouchaud, théorie des traités de commerce. p. 183.
ſehr zu bezweifeln, ob die Cantons vermöge der ihnen allgemein zugeſtande-
nen ja auferlegten ſteten Neutralität gegen die Europäiſchen Mächte noch
berechtigt ſein würden, mit einer derſelben gegen die andere, Militärcapitu-
lationen nach bereits ausgebrochenem Kriege ferner zu ſchließen.
geſtattet werden. Dr. marit. p. 92. Das dürfte zu weit gehen. Verkauf
iſt dem neutralen Staat nicht verboten, auch darf derſelbe nicht die Ur-
ſache werden, daß ein bewaffnetes Schiff ſeiner Beſtimmung zuwider wehr-
los den Feinden entgegengehe.
ein neutrales Land marſchiren zu laſſen, iſt man nicht ſchuldig. Und wann
es geſtattet, kann es nach den Umſtänden als eine Verletzung der Neutra-
lität angeſehen werden. Wann einem Theil ein ſolcher Durchzug bewil-
ligt, dem anderen abgeſchlagen wird, iſt es eine offenbare Parteilichkeit.
Wann ferner von einem Durchzug nur der eine Theil Nutzen zieht, der
andere hingegen ſich deſſen mit Nutzen nicht bedienen kann, — ſo kann
der Letztere an den neutralen Staat wohl verlangen, den Durchzug abzu-
ſchlagen.“ A. M. Galiani, doveri dei neutr. I, VIII, §. 4. und Mar-
tens Völkerr. §. 305.
lichkeit zur Geſtattung des Verkaufs hat der neutrale Staat nicht. Byn-
kershoeck, Quaest. I, 15. v. Steck, Handels- u. Schiffahrtsvertr. S. 176.
für den Drang nach kriegeriſcher Ehre keine Befriedigung finden kann. Er
muß ſie daher anderweitig ſuchen. Ferner kann eine Regierung Bedenken
tragen ſich der Gefahr eines Krieges, ſelbſt für eine gute Sache, auszuſetzen,
die Moral kann aber dem Einzelnen eine Theilnahme an der gerechten
Sache zur Pflicht machen. In Deutſchland gehörte ſonſt dieſes Eintreten
in fremde Heere zur „löblichen Geſtalt deutſcher Freiheit.“ Reichs Abſch.
v. 1570. §. 4.
ſuche über Handels- und Schiffahrtsvertr. S. 173. v. Martens über Ca-
per §. 13. Dieſe Verträge kann man aber nicht als eine Regel, ſondern
nur als Ausnahme von der Regel betrachten.
de iure recipiendi hostes alienos. Lips. 1777.
Schiffe ſich neben einander daſelbſt befinden vgl. Moſer Verf. X, 1, 159.
311. v. Martens Völkerrecht §. 307. Klüber §. 258. Not. b.
kein beſſeres Recht. Wheaton intern. L. IV, 3, 6 u. 7. v. Martens,
Caper §. 18. Vgl. Nau, Völkerſeer. §. 235.
de Real V, 2. a. E. In neueren Verträgen iſt es entweder ganz aufge-
hoben oder ausdrücklich nur gegen volle Entſchädigung geſtattet. Vgl. Nau,
Völkerſeer. §. 260. u. im Allgem. nach Groot III, 17, 1. v. Steck Essais, p. 7.
Noth. Es wird davon noch weiterhin die Rede ſein.
fert hierüber ſchätzenswerthe Materialien.
Ludwig XIV. geſtaltete dieſe erſt zu einem Syſteme. Das Seerecht wurde
dadurch zwar particulariſirt, allein auch dieſer Weg mußte erſt durchgegan-
gen werden, um im Kampfe über die Principien zu ſicheren völkerrechtli-
chen Regeln zu gelangen.
ſind es dieſe:
1) Que les vaisseaux neutres puissent naviguer librement de port en
port sur les côtes des nations en guerre;
2) que les effets apartenans aux sujets des dites puissances en guerre
soient libres sur les vaisseaux neutres à l’exception des marchan-
dise de contrebande;
3) que l’impératrice se tient quant à la fixation de celles-ci à ce
qui est enoncé dans l’Art. X. et XI. de son traité de commerce
avec la Grande-Britagne en étendant ces obligations à toutes les
puissances en guerre;
4) que pour déterminer ce qui characterise un port bloqué on n’ac-
260.) welcher nachher auch Dänemark am 23. Oct. 1801. und Schweden
am 18/30 März 1802. beigetreten iſt. Sie iſt gewiſſermaßen das bisherige
Britiſche Ultimatum. Vgl. Wheaton a. a. O. S. 314 f.
ber §. 310—316. Die darauf bezüglichen Schriften ſ. bei v. Kamptz
§. 257. Nr. 113 ff.
tion de la puissance qui l’attaque avèc des vaisseaux arrêtés et
suffisamment proches, un danger évident d’entrer;
5) que ces principes servent de règle dans les procedures et dans
les jugements sur la légalité des prises.
de Martens Rec. III, p. 158. Dazu kamen ſpäter noch einige andere
Puncte. Die weiteren Schickſale dieſes Syſtemes, ſeine Weiterverbreitung
durch Verträge, ſeine Wiederaufgebung von Seiten einzelner Mächte, ſeine
Erneuerung im J. 1800. und Wiederverlaſſung, ſind ſummariſch nachge-
wieſen von Klüber, dr. des gens §. 303—309. Wheaton a. a. O. S.
223. 311 ſ. Die Specialſchriften findet man angezeigt bei v. Kamptz
§. 258.
S. 188 f. Nau’s Völkerſeer. §. 200 f. Jouffroy dr. marit. p. 159.
Jacobſen Seerecht S. 677 f. Wheaton intern. L. IV, 3, 25. Deſſel-
ben histoire des progrès p. 84.
im J. 1803. wegen der franzöſiſchen Beſetzung Hannovers, ſo findet dieſes
allenfalls eine Rechtfertigung in der Gemeinſchaftlichkeit eines Fluſſes. Ge-
wiß ſind aber hier beſondere Modificationen zu Gunſten der Neutralen zu
ſtatuiren. Dennoch iſt dieſes nicht immer geſchehen. Vgl. Jacobſen S. 707.
ſcheinen die daran geknüpften unterſchiedlichen Wirkungen nicht begründet;
auch ſind ſie in der Praxis nicht angenommen.
Blocaderecht iſt das Edict der Generalſtaaten der vereinigten Niederlande
von 1630. (commentirt von Bynkershoeck in quaest. publ. I, 11.) worin
Neutralität von 1800. ließ denjenigen Hafen als blokirt gelten, où il y a
par la disposition de la puissance qui l’attaque avec des vaisseaux ar-
rêtés et suffisamment proches un danger évident d’entrer. Martens
Rec. VII, 176. Die Ruſſiſch Engliſche Convention vom Juni 1801.
ſetzte an die Stelle des et ein ou. Vgl. darüber Wheaton, hist. p. 326.
Das Preuß. Allg. Landrecht Th. I. Tit. 9. §. 219. hat die Neutralitäts-
convention als Norm beibehalten: „Für eingeſchloſſen iſt ein Hafen zu hal-
ten, wenn derſelbe durch eine feindliche Landbatterie oder durch Kriegsſchiffe,
die vor dem Hafen ſtationirt ſind, geſperrt iſt.“
gens. §. 297, Dieſe Verträge ſind aber ganz vereinzelt, und gehören dem
vorigen Jahrh. an. Nur der neueſte zwiſchen Preußen und Dänemark
vom Juni 1818., welcher Artikel 18. zwei (nicht zwanzig, wie Klüber an-
giebt) Schiffe verlangt, iſt von dieſem Jahrhundert. Martens N. R.
IV, 532.
zen Exorbitanz zeigen. Vgl. darüber Wheaton, histoire p. 86 s. Nach
geſunkener Macht haben die Niederlande ihre Sprache freilich geändert!
Staatsgewalt oder durch Kriegsſchiffe der blokirenden Staatsgewalt geſche-
hen ſind, werden für nicht ebenſo bindend gehalten. Z. B. die bloßen Be-
kanntmachungen in Häfen durch den kriegführenden Theil. Wenigſtens
rügte man dieſes franzöſiſcher Seits bei dem Blocadedecret der Republik
Chili von 1838. Martens, N. Rec. XV, p. 507.
auch die bewaffnete Neutralität von 1800. den Grundſatz durchſetzen: que
tout bâtiment naviguant vers un port bloqué ne pourra être regardé
comme contrevenient, que lorsqu’ après avoir été averti par le com-
mandant du blocus de l’état du port, il tâchera d’y pénétrer en em-
ploiant la force ou la ruse. Die Conventionen mit Großbritannien von
1801. haben dieſes wieder ausgelöſcht!
Republik Chili von 1838.
aus den Priſengerichtsentſcheidungen überzeugen kann. Es iſt die Ausübung
eines Strafrechtes, wozu man nicht die geringſte Befugniß aufweiſen kann!
Schon die bloße Verſegelung mit der Beſtimmung nach einem blokirten
Hafen genügt! Jacobſen, S. 682. 687. Man confiscirt Schiffe und Gut,
auch wenn es dem Blocadegeſchwader ſchon vorbeigefahren iſt! S. 698.
ebdſ. Welch’ ein Recht!
das Herankommen bis zum Blocadegeſchwader, wenn die Schiffe beſonders
aus weiter Ferne kommen. Schwediſch-Nordamericaniſcher Vertrag vom
4. Sept. 1816. Art. 13. und 4. Juli 1827. Art. 18. Martens Rec. IV,
258. N. rec. VII, 280.; ferner die Nord- und Südamericaniſchen Ver-
träge von 1824. 25. 31. 32. 36. Vergl. den von den Hanſeſtädten mit
Mexico geſchloſſenen v. 15. Sept. 1828. Art. 20. N. Suppl. I, 687.
ſtädte mit Mexico vom 15. Sept. 1828. giebt unbedingt ein ſolches Wie-
derauslaufen frei.
land; die Holländer 1652 gegen Großbritannien; Beide 1689 in Gemein-
ſchaft gegen Frankreich. (Dumont Corps diplomatique VII, 2, p. 238.
Wheaton, histoire p. 90.) Dann 1793 die Coalition gegen Frankreich,
indem man zur Rechtfertigung geltend zu machen ſuchte, gegen Frankreich
könne in ſeinen damaligen Zuſtänden das ordentliche Völkerrecht nicht be-
obachtet werden. Wheaton, histoire p. 284 s. Im J. 1798 erklärte
Großbritannien alle Häfen und Waſſermündungen Belgiens blokirt! Vgl.
Nau’s Völkerſeer. §. 209—213.
bei dem Ausſpruch eines Urtheils gegen holländiſche neutrale Schiffe zu er-
klären: „Wenn ihr gefaßt werdet, ſo ſeid ihr blokirt. Großbritannien
ſchließt wegen ſeiner inſulariſchen Lage natürlich alle Häfen von Spanien
und Frankreich. Es hat ein Recht, ſich dieſe Lage als ein Geſchenk der
Vorſehung zu Nutze zu machen!“ v. Martens, Erzählungen merkw. Fälle
II, S. 35.
kershoeck quaest. jur. publ. I. c. 10. Joh. Gottl. Heineccius, respond.
Kessler, de navib. ob mercium illicitar. vecturam commissis. Halae
1721 u. 1740. Auch in ſ. Opusc. var. Syll. p. 321 s. v. Juſti, hiſtor.
und juriſt. Schriften I, 141 ff. Chriſtian Gottl. Schmidt, auserl. Abhdl.
das deutſche Staatsrecht betreffend 1768. I. Nr. 1. Robert Ward, Es-
say of contraband. Lond. 1801. Ferner v. Steck, Handels- und Schif-
fahrtsvertr. p. 190 u. f. Essais v. 1785. p. 68 s. Nau’s Völkerſeerecht
§. 153 ff. u. 192 ff. Jouffroy le droit des gens maritime p. 102 sqq.
Wheaton international Law. IV, 3, §. 21. Deſſelben histoire des pro-
grès p. 75 u. f.
im Mittelater eine verbotene und deshalb verfallene Waare. Carpentier,
gloss. nov. Tom. I. col. 1113.
Valens und Gratian.
von 1215. (Innocent. III.); cap. 6 u. 17. X de judaeis et sarac.
ſich dann die neueren Handels- und Schiffahrtsverträge des jetzigen Jahr-
hunderts anſchließen, deren wir noch weiterhin gedenken werden.
9, 11. im Allg. Preuß. Landr. II, 8, §. 2034 f. vgl. mit I, 9, §. 216 ff.
und in vielen andern Staatsgeſetzgebungen.
prud. nat. §. 789., woran ſich dann die Uebrigen angeſchloſſen haben. Vgl.
Jouffroy, S. 111. Daſſelbe Syſtem hat auch noch Klüber §. 288 f. feſt-
die Anſichten früherer Publiciſten einer Critik unterwirft.
1661. Art. 12. von der Contrebande als von einem Verbrechen geſprochen,
welches eine Strafe verdiene qualis summis criminibus debetur!
1800. iſt keine Beſtätigung dieſer Anſicht zu finden. Es iſt darin das
Princip der Kriegscontrebande nicht negirt, ſondern nur gegen willkührliche
Ausdehnung gekämpft und eine Verſtändigung dieſerhalb gefordert und vor-
bereitet worden.
Allgemeinheit und bedarf für jeden Kriegsfall einer beſonderen Auslegung.
er von ſpäteren Publiciſten weiter ausgebeutet worden iſt. Vgl. Wheaton,
histoire p. 75. 293.
gen die Holländer wegen des Schiffbauholzes von 1779 giebt davon Zeugniß.
reich hielt dieſe Regel in dem Utrechter Vertrag mit England im Jahre
1713 feſt. Man findet ſie ferner in den Verträgen der bewaffneten Neu-
tralität (Nau §. 157.) und darnach in dem Allg. Preuß. Landr. Th. II,
Tit. 8. §. 2034 ff. Selbſt Großbritannien geſtand ſie in dem Vertrage
mit Rußland vom Juni 1801. Art. 2. Nr. 1. zu. (Man vgl. Wheaton,
histoire p. 324 u. f.) Auch in den neueſten Verträgen iſt ſie vorherr-
ſchend geblieben; ſo in den Verträgen der Nord- und Südamericaniſchen
Staaten; mit Columbien v. 3. Dec. 1824. mit Chili v. 16. Mai 1832.
Art. 14. mit Centralamerica vom 5. Dec. 1825. mit dem Mexicaniſchen
zuvorerwähnten americaniſchen Verträgen auch Cavalleriepferde mit erwähnt.
darauf bezüglichen Verbotes. v. Martens Erzählungen II, 166. Frank-
reich hat ſie nie unter die Contrebande eingeſchloſſen. Pothier, de la pro-
priété. No. 104. Valin z. Code de Prises. Art. 11. Großbritannien
nur unter vermeintlich außerordentlichen Umſtänden. Wheaton, intern. L.
II, p. 198.
zu Contrebande gerechnet haben. Vgl. überhaupt Jouffroy p. 136 f.
1836. Art. 17. Nouv. rec. Tom. VI, p. 831. Tom. X, p. 334. Tom.
XI, p. 442. Tom. XIII, p. 554. Nouv. suppl. Tom. II, p. 415. Fer-
ner in dem Handelsvertrage Frankreichs mit Braſilien vom 28. Januar
1826. Art. 21. Nouv. rec. Tom. VI, p. 874. mit Texas vom 25. Sept.
1839. Art. VI. Nouv. rec. Tom. XIII, p. 988. In dem Handelsver-
trage Preußens mit Braſilien vom 9. Juli 1827. Nouv. rec. Tom. VII,
p. 274. und mit Mexico vom 18. Febr. 1831. Art. 11. Nouv. rec. Tom.
XII, p. 544. Endlich in dem Vertrage der freien Hanſeſtädte mit Ve-
nezuela vom 27. Mai 1837. Art. 16. N. R. Tom. XIV, p. 242.
auch Jouffroy p. 154.
Die Praxis hat allerdings nicht immer dieſen Unterſchied gemacht. We-
gen Frankreich vgl. z. B. Jacobſen S. 656.
americaniſchen Freiſtaaten mit den Südamericaniſchen.
p. 154.
11. Juli 1799. und beſtätigt in dem vom 1. Mai 1828. de Martens rec.
T. VI, p. 679. und Nouv. rec. Tom. VII, p. 615.
22. 23. Jouffroy p. 136.
noch einigen Schein für ſich hatte, da Frankreich weſentlich nur den Hol-
ländern Licenzen und Päſſe zu dem Handel mit den Colonien ertheilt hatte.
S. über die Maxime und ihre wiederholte Anwendung Jouffroy p. 199.
Wheaton histoire p. 157. Die jetzigen Colonialverhältniſſe laſſen fürs Erſte
eine Wiederkehr der Anwendung kaum befürchten. Merkwürdig übrigens,
daß Hübner, ſonſt ein ſo großer Vertheidiger der Neutralen, dennoch ihnen
den Handel mit den Colonien eines Kriegführenden nicht erlauben wollte,
wenn er vor dem Kriege ihnen unterſagt war. Hübner, de la Saisie des
bâtimens neutres. I, 1, 4, 6.
Waare behaupten. Allein es iſt zu beſorgen, daß die dafür gegebenen Gründe
die harte Kriegspraxis nicht beſeitigen.
ſen. Vgl. Jouffroy p. 206. Jacobſen Seerecht S. 694. 741.
Piraterie, der Seehandel ziemlich einfacher Natur, ohne die vielfachen Com-
plicationen des neueren directen und indirecten Handels- und Frachtver-
kehrs. Streitigkeiten mit befreundeten Neutralen wurden ſchiedsrichterlich
oder ſonſt in conventionellem Wege verhandelt; Nichtverbündeten hielt man
ſich zu keinem Recht ſchuldig.
des lois maritim. t. II, p. 303. und zwar cap. 231. (in anderen Aus-
gaben 276. auch 273. u. 264.), in der franzöſiſchen Ueberſetzung des ſpa-
niſch-romaniſchen Grundtextes alſo lautend: Lorsqu’un navire armé al-
lant ou revenant, ou étant en course, rencontrera un navire marchand,
si ce dernier appartient à des ennemis, ainsi que sa cargaison, il est
inutile d’en parler, parceque chacun est assez instruit pour savoir ce
qu’on doit faire, et, dans ce cas, il n’est pas nécessaire de donner de
règle.
Mais si le navire qui sera pris appartient à des amis, tandis que
les marchandises qu’il porte appartiennent à des ennemis, l’amiral du
navire armé peut forcer et contraindre le patron du navire qu’il aura
pris à lui apporter ce qui appartiendra aux ennemis, et même il peut
l’obliger à le garder jusqu’à ce qu’il soit en lieu de sûreté; mais il
faut pour cela que l’amiral on un autre pour lui ait amarré le navire
pris a sa poupe en lieu où il n’ait pas craint que des ennemis le lui
navire tout le fret qu’il aurait dû recevoir s’il avait porté la cargaison
là où il devait la décharger ou de la manière qui sera écrite sur le
régistre. Si, par événement, on ne trouve point de régistre, le patron
doit être cru à son serment sur le montant du fret.
Encore plus, si, par événement, lorsque l’amiral on quelque autre
pour lui sera en lieu où il puisse mettre la prise en sûreté, il veut
que le navire porte la marchandise confisquée, le patron ne peut s’y
refuser. Mais ils doivent faire une convention à cet égard, et, quel-
que convention ou accord qui intervienne entre eux, il faut que l’ami-
ral on celui qui le représente la tienne.
Si, par événement, il n’est fait entre eux aucune promesse un con-
vention relativement au fret, il faut que l’amiral ou celui qui le repré-
sente paie an patron du navire qui aura porté dans le lieu qu’ils lui
auront prescrit les marchandises capturées, un fret égal à celui qu’un
autre navire devrait avoir pour des marchandises pareilles, et même
davantage, sans aucune contestation; bien entendu que ce paiement ne
doit être fait qu’ après que le navire sera arrivé au lieu où l’amiral,
ou celui qui tient sa place, aura mis sa prise en sûreté, et que ce lieu
jusqu’ auquel il fera porter la prise, soit en pays d’amis.
Lorsque le patron du navire capturé ou quelques-uns des matelots
qui sont avec lui, disent qu’ils ont des effets qui leur appartiennent,
si ce sont des marchandises, ils ne doivent pas être crus à leur sim-
ple parole; mais on doit s’en rapporter au régistre du navire, si l’on
en trouve un. Si, par évènement, on n’en trouve point, le patron ou
les matelots doivent affirmer la vérité de leur assertion. S’ils font ser-
ment que ces marchandises leur appartiennent, l’amiral, ou celui qui
le représente, doit les délivrer sans aucune contestation en ayant égard
cependant à la bonne réputation et à l’estime dont jouissent ceux qui
prêteront ce serment et réclameront les marchandises.
Si le patron capturé refuse de porter les marchandises ennemies qui
seront sur son navire, jusqu’à ce que ceux qui les auront prises soient
en lieu de sûreté, malgre l’ordre que l’amiral lui en donne, celui-ci
peut le couler à fond ou l’y faire couler, s’il le veut, sauf qu’il doit
sauver les personnes qui montent le navire; et aucune autorité ne peut
lui en demander compte, quelques soient les demandes et plaintes,
qu’on lui en fasse. Mais il faut entendre que toute la cargaison de
ce navire, on la majeure partie, appartient à des ennemis.
Si le navire appartient à des ennemis et sa cargaison à des amis,
les marchands qui s’y trouvent et à qui la cargaison appartiendra en
tout on en partie, doivent s’accorder avec l’amiral pour racheter à un
prix convenable et comme ils pourront ce navire qui est de bonne
einem Vertrage der Städte Piſa und Arles von 1221 und in zwei Ver-
trägen Eduards III. von England mit den Seeſtädten Biscayens und Caſti-
liens von 1351 und mit den portugiſiſchen Städten Lisboa und Porto.
(v. Steck, Handelsvertr. S. 211.) Ferner in den engliſchen Verträgen
mit Burgund von 1406, mit Genua von 1460, mit dem Herzoge von
Bretagne 1486, mit dem Erzherzog Philipp von Oeſterreich 1495. Nau’s
Völkerſeer. §. 175. Weiterhin noch Handelsvertrag zwiſchen England und
Dännemark v. 29. Nov. 1669. Art. 20.
lien bei Leibnitz, Cod. jur. gent. Prodr. n. XVIII. wird als usus in hoc
occidentali mari indelebiliter observatus erwähnt, res hostium et bona
leur faire supporter aucune injustice. Mais si les marchands ne veu-
lent pas faire un accord avec l’amiral, celui-ci a le droit d’amariner
le navire et de l’envoyer au lieu ou lui-même aura armé, et les mar-
chands sont obligés de payer le fret de ce navire de même que s’il
avait porte leur cargaison au lieu pour lequel elle était destinée, et
rien de plus.
Si, par événement, les marchands éprouvent quelque lésion en raison
de la violence que l’amiral leur aura faite, celui-ci ne doit leur répon-
dre de rien, puisqu’ils n’ont pas voulu faire d’accord avec lui pour le
rachat de ce navire qui était de bonne prise, encore par une autre
raison, parceque souvent le navire vaut plus que les marchandises qu’il
porte.
Mais cependant, si les marchands ont annoncé le désir de faire un
accord, comme il est déjà dit ci-dessus, et que l’amiral s’y soit refusé
par orgueil ou par esprit de jactance, et, comme il a été dit, emmène
avec les marchands la cargaison sur laquelle il n’avait aucun droit,
ceux-ci ne sont pas obligés de payer de fret, en tout ni en partie, à
cet amiral: au contraire, il est obligé de leur rendre et restituer tout
le dommage qu’ils éprouveront on qu’ils auront possibilité d’éprouver
par l’effet de cette violence.
Mais lorsque le navire armé se trouve avec le navire capturé en
un lieu où les marchands ne pourraient pas réaliser l’accord qu’ils
ont fait, si ces marchands sont des hommes connus, et tels qu’il n’y
ait point à craindre l’inexécution de l’accord fait avec eux, l’amiral ne
doit point leur faire violence; et s’il leur fait violence, il est obligé de
payer le dommage qu’ils souffriront; mais si, par évènement, les mar-
chands ne sont pas des gens connus on ne peuvent pas payer le ra-
chat, l’amiral peut agir comme il a été dit.
§. 16. und histoire des progr. p. 56. nachgewieſenen Schriftſteller: Alb.
Gentilis Hisp. advoc. I, 27. Groot III, 6, 6. u. 26. I, 5, not. 6.
Zouch, jus fecial. II, 8, 5. u. 6. Bynkershoeck, quaest. I, 13 u. 14.
Heineccius, de nav. ob vectur. merc. comm. II, 8. u. 9. Robinſon,
Collectan. marit. p. 25. 26. 149. 171. 176. Loccenius de jure marit.
II, 4, 12. Vattel III, 115.
dann auch ſelbſt derjenige Fall, wenn ein Neutraler ſeine an ſich unverbo-
tenen Güter auf ein feindliches bewaffnetes Schiff geladen haben ſollte,
wofern der Eigenthümer nur nicht etwa ſelbſt an einem Widerſtande wider
den Angriff des Kriegsgegners Theil genommen hat. Wenigſtens die nord-
americaniſche Priſenpraxis hat nach Wheaton ebdſ. p. 257. §. 28. dieſe
billige Anſicht gefaßt.
sint, nisi obstiterit securitas specialiter super hoc concessa, impune et
licite iure bellorum capi posse. Eine niederländiſche Entſcheidung von
1438. für die Freiheit der neutralen Waaren auf feindlichen Schiffen führt
Groot an, Not. e. zu J. B. ac P. III, 1, 5, 4.
ſten Anſichten, nach welchen die auf neutralen Schiffen geladenen Güter
behandelt werden. Landsh. 1808.
Capitulationen der Krone Frankreich verſchiedene Bewilligungen, darunter
auch die obige, machte. Flassan, dipl. franc. I, 225 f. Die ferneren
Verträge mit anderen Mächten finden ſich allegirt in Büſch Beſtreben der
Völker ꝛc. Hamb. 1800. S. 56 ff. Ein letztes Beiſpiel iſt der Vertrag
mit Texas vom 25. Sept. 1839. Art. 4. Nouv. Recueil t. XVI, p. 989.
während des vorigen Jahrhunderts. Nau’s Völkerſeer. §. 177.
wohl von Neuem im Aachener von 1748.
americaniſchen Staaten ſeit 1824, desgleichen in den Verträgen mit Preu-
ßen von 1799 u. 1828, worüber zu vergl. Wheaton hist. p. 461. 462.
Art. 8. Frankreichs und Nordamericas v. 1778. Art. 14. Der vereinig-
ten Niederlande u. Nordamericas v. 8. Oct. 1782. Art. 12.
hunderts an. Einzelne polemiſche Schriften ſ. bei Klüber §. 293a. Eine
Prüfung der verſchiedenen Anſichten findet ſich bei Jouffroy S. 213 ff.
Vgl. Nau Völkerſeer. §. 216.
in dem zuvor angeführten Consolato del mar; nur über einzelne Puncte
hat es Streitigkeiten unter den Völkern gegeben. Eine große Menge von
Verträgen, worin das Durchſuchungsrecht ausdrücklich zugeſtanden und nä-
her beſtimmt iſt, findet ſich angegeben bei Nau §. 163. und v. Martens
über Caper §. 21.
die Flüſſe des Feindes innerhalb der durch Seetonnen bezeichneten Gren-
zen eindringen und Schiffe angreifen, widrigenfalls ſie als Seeräuber be-
handelt werden. v. Martens über Caper §. 18.
felhaften Character eines Kriegsſchiffes ertheilen, Verhandlungen über dieſe
Frage finden ſich in v. Martens Erzählungen merkwürdiger Fälle. Bd. II,
S. 1 u. f.
ſen. So zuletzt mit der Republik Texas im Jahre 1839.
in Robinſon, Adm. Rep. I, p. 340. Wheaton intern. L. II, p. 250.
Mächten vom Jahre 1801 in Bezug auf convoiirte Schiffe. (§. 170.)
Engländer und Franzoſen, vgl. Jacobſen Seerecht S. 22. 67. 87. 410 f.
praxis neuerer Zeit unter dem Einfluß der ſo noblen, wie billigen Re-
quiſitorien von Portalis bekannt. Siehe übrigens auch v. Martens über
Wheaton histoire p. 93 f.
vaisseau ou les vaisseaux de la marine royale ou impériale, qui ac-
compagneront le convoi d’un ou de plusieurs bâtimens marchands, que
son convoi n’a à bord aucune marchandise de contrebande, doit suffire
pour qu’il n’y ait lieu à aucune visite sur son bord ni à celui des bâ-
timents de son convoi.
außerordentlich wichtig, Formen und Beglaubigungen feſtzuſtellen, welche
das Schiffs- und Waareneigenthum ihrer Nation gegen Anfechtung ſichern
können. In der britiſchen Praxis wird hierbei großer, Leider! zu viel Werth
auf den Eid gelegt.
pulations dictées par le désir des intéressés, de maintenir les droits im-
préscriptibles de nations neutres, et donner une nouvelle preuve de
leur loyauté et de leur amour pour la justice les hautes parties con-
tractantes prennent ici l’engagement le plus formel, de renouveller les
défenses les plus sevères à leurs capitaines, soit de hautbord, soit de
la marine marchande, de charger, tenir, on recéler à leurs bord au-
cun des objets, qui, aux termes de la présente convention, pourraient
être reputés de contrebande, et de tenir respectivement la main à l’exé-
cution des ordres qu’elles feront publier dans leurs amirautés et par-
tout où besoin sera, à l’effet de quoi l’ordonnance, qui renouvellera
cette défense sous les peines les plus graves, sera imprimée à la suite
du présent acte, pour qu’il n’en puisse être prétendu cause d’igno-
rance.
Les hautes parties contractantes voulant encore prévenir tout sujet
de dissension à l’avenir en limitant le droit de visite des vaisseaux
marchands allant sous convoi, aux seuls cas où la puissance belli-
gérante pourrait essuier un préjudice réel par l’abus du pavillon neu-
tre, sont convenues:
1) Que le droit de visiter les navires marchands appartenant aux su-
jets de l’une des puissances contractantes et naviguant sous le
convoi d’un vaisseau de guerre de la dite puissance n’en sera exercé,
que par les vaisseaux de guerre de la partie belligérante, et ne
s’étendra jamais aux armateurs, corsaires ou autres bâtimens, qui
n’appartiennent pas à la flotte impériale on royale de leurs Ma-
jestés, mais que leurs sujets aurient armés en guerre.
2) Que les propriétaires de tous les navires marchands appartenant
aux sujets de l’un des Souverains contractans, qui seront desti-
nés à aller sous convoi d’un vaisseau de guerre, seront tenus,
avant qu’ils ne recevaient leurs instructions de navigation, de pro-
duire au commandant du vaisseau de convoi leurs passeports et
certificats ou lettres de mer, dans la forme annexée au présent
traité.
3) Que, lorsqu’un tel vaisseau de guerre, ayant sous convoi des na-
vires marchands, sera rencontré par un vaisseau ou des vaisseaux
de guerre de l’autre partie contractante qui se trouvera alors en
état de guerre, pour éviter tout désordre, on se tiendra hors de
la portée du canon, à moins que l’état de la mer on le lieu de
la rencontre ne nécessite un plus grand rapprochement; et le
commandant du vaisseau de la puissance belligérante enverra une
chaloupe à bord du vaisseau de convoi, où il sera procédé réci-
proquement à la verification des papiers et certificats qui doivent
constater, d’une part que le vaisseau de guerre neutre est auto-
de sa nation, chargés de telle cargaison et pour tel port; de l’au-
tre part, que le vaisseau de guerre de la partie belligérante ap-
partient à la flotte impériale on royale de leurs Majestés.
4) Cette verification faite, il n’y aura lieu à aucune visite, si les
papiers sont reconnus en règle, et s’il n’éxiste aucun motif vala-
ble de suspicion. Dans le cas contraire, le commandant du vais-
seau de guerre neutre (y étant duement requis par le comman-
dant du vaisseau ou des vaisseaux de la puissance belligérante)
doit amener et detenir son convoi pendant le temps nécessaire
pour la visite des bâtiments qui le composent; et il aura la fa-
culté de nommer et déléguer un ou plusieurs officiers pour assi-
ster à la visite des dits bâtiments, laquelle se fera en sa présence
sur chaque bâtiment marchand, conjointement avec un on plu-
sieurs officiers préposés par le commandant du vaisseau de la par-
tie belligérante.
5) S’il arrive que le commandant du vaisseau ou des vaisseaux de
la puissance en guerre, ayant examiné les papiers trouvás à bord,
en ayant interrogé le maître et l’equipage du vaisseau, appercevra
des raisons justes et suffisantes pour detenir le navire marchand,
afin de procéder à une recherche ulterieure, il notifiera cette in-
tention au commandant du vaisseau de convoi, qui aura le pou-
voir d’ordonner à un officier de rester à bord du navire ainsi
détenu, et assister à l’examen de la cause de sa détention. Le
navire marchand sera amené tout de suite au port le plus proche
et le plus convenable appartenant à la puissance belligérante, et
la recherche ultérieure sera conduite avec toute la diligence pos-
sible.
tikel 14. der Convention von 1799 für die Dauer des Erſteren beibehalten
ward. Ferner die Verträge Nordamericas mit den Central- und Südame-
ricaniſchen Freiſtaaten von 1824 ff. auch den Vertrag Frankreichs mit Texas
von 1839. Art. 5.
darüber v. Martens Erzählungen I, S. 299 f. Vgl. Jacobſen Seerecht
S. 577. Wheaton intern. L. IV, 3, §. 27.
zunächſt auch dasjenige Schiff gelten, welches ſich einem feindlichen Con-
voi angeſchloſſen hat. Allein ein Confiscationsgrund folgt daraus nicht.
Vgl. Wheaton a. a. O. §. 29.
ner ſchriftlichen Verhandlung über die Anhaltung und über die Gründe der-
ſelben, wie das franzöſiſche Priſenrecht verlangt. Jacobſen S. 564.
L. IV, 3, §§. 6—10. u. IV, 2, §. 13. Jacobſen Seerecht S. 584.
Ferreira in den Noten zu v. Martens Introduction, §. 317. Desgl. von
Jouffroy S. 296. Nach dem Grundſatz: spoliatus ante omnia restituen-
dus, und nach Analogie des Arreſtverfahrens ſollte freilich wohl erſt der
Captor nachweiſen, daß er einen genügenden Grund zur Wegnahme gehabt
habe. Aber dies umgeht man!
ken ſich darauf, eine unparteiiſche Juſtiz in Priſenſachen gegenſeitig zur
Pflicht zu machen, oder unverdächtige Richter zu poſtuliren (wie der eng-
liſch-ruſſiſche Vertrag von 1801). Einige Verträge haben auch die Mit-
theilung der betreffenden Priſenurtheile ſtipulirt. So die Verträge der nord-,
mittel- und ſüdamericaniſchen Republiken unter Einander.
Betrachtungen darüber ſ. bei Jacobſen Seerecht S. 544 ff. u. 441 f.
hat Jouffroy S. 299 f. verſucht. Vgl. auch noch v. Martens über Caper
§. 30.
§. 84. Wheaton IV, 2, 15. Hierher gehört das preußiſche Verfahren
gegen Großbritannien im Jahre 1752 und die damalige diplomatiſche Ver-
handlung, dargeſtellt in v. Martens Erzählungen I, 236 ff. Ch. de
Martens causes célèbr. II, p. 1 f.
IV, 3, p. 194 s. Vgl. Nau, Völkerſeer. §. 209. Büſch über das Be-
ſtreben der Völker Kap. 8 u. 13. Wegen älterer approximativer Präce-
dentien vgl. ſchon oben §. 162.
1807 mit den entgegengeſetzten britiſchen Conſeil-Verordnungen v. 7. Jan.
1807 u. 11. Nov. 1807. Klüber ebdſ. §. 312 f.
1715, während des nordiſchen Krieges beeinträchtigt durch die ſchwediſchen
Caper, ein Geſchwader nach der Nordſee zur Beſchützung des britiſchen
Handels, kann alſo auch andern nicht das Nämliche beſtreiten. Lamberti,
histoire du siècle XIV. t. IX, p. 251.
leicht dabei, daß die Theilnehmer an derſelben das Baltiſche Meer für ein
geſchloſſenes erklärten, worin feindliche Kriegsſchiffe keinen Zutritt haben
und keine Feindſeligkeiten geduldet werden ſollten. Martens Rec. II, p.
195. 205. 250. Großbritannien hat ſich am 18. Dcbr. 1807 dagegen
ausgeſprochen.
und Joh. Gottfr. Sammet, de neutralium obligatione. Lips. 1761.
ter, Beitr. S. 189., der aber gerade auch nur in dem Verzicht der See-
mächte auf ihre bisherige Praxis, namentlich auf die Zulaſſung von Pri-
ſencapern beſteht. Gewiß iſt alles dort Geſagte ſehr beherzigungswerth.
Leider iſt es ſchon oft vergeblich geſagt.
1716 mit einer gänzlichen Intermiſſion der Feindſeligkeiten und der einge-
tretene Friedenszuſtand wurde nur noch 10 Jahre ſpäter durch gegenſeitige
Schreiben der Souveräne anerkannt. de Steck Essais sur divers sujets
de polit. n. 2.
wendung geeignet ſein, was H. Cocceji in ſeiner Abhandlung de postlimi-
nio et amnestia von einen Friedensſchluß ohne Amneſtieclauſel deducirt hat.
victoriae §. 10—32. und im Comment. zu Groot III, 8. wobei jedoch
Einzelnes einer Berichtigung bedürfen würde, namentlich, daß der Sieger
über den beſiegten Staat keine andere Gewalt erlange, als diejenige, welche
ihm über den eigenen bisherigen Staat zuſtand!
Aber die Frage iſt eine ſtaatsrechtliche und keine völkerrechtliche für den
Souverän. Es giebt auch Beiſpiele genug von Dispoſitionen des ſiegenden
Souveräns über eroberte Länder zu eigenen oder fremden Gunſten, nament-
lich zu Gunſten ſeiner Familienglieder.
Schriftſtellern über die Friedensſchlüſſe geſagt iſt, beruhet in der That nur
auf einer Anwendung der allgemeinen Vertragslehre. Die Specialſchriften
über Frieden und Friedensſchlüſſe bei v. Ompteda §. 323. und v. Kamptz
§. 321. ſind von keiner ſonderlichen Bedeutung. S. indeß noch Chrſtn.
captivor. Lips. 1754. Klüber dr. d. g. §. 325. Vattel IV, 37.
de amnestia und Vattel IV, 49. Dagegen Pinheiro-Ferreira in den No-
ten zu Letzterem. Häufig wird Obiges in den Friedensverträgen ausdrück-
lich erklärt. S. z. B. den Hubertsburger Frieden v. 1763. Art. 2. An-
ders verhält es ſich wohl mit den beſonderen Privatverpflichtungen, welche
gegen den Feind von Einzelnen contrahirt worden ſind, um ſich von abge-
forderten Kriegsleiſtungen zu befreien.
u. ſ. f. Neuſtadt 1817.
Schriften. Vornehmlich H. v. Cocceji de postliminio et amnestia 1691.
v. Steck, de amnestia in Obss. subsec. n. 13. Dazu Groot III, 20, 15.
que illa nequit esse pax, atque adeo paci ista lex inesse intelligitur.“
Vgl. Klüber dr. d. g. §. 324. Wheaton, intern. L. IV, 4. H. Cocceji
behauptete faſt allein das Gegentheil.
genen für ihre Bedürfniſſe, Wheaton a. a. O. §. 3. Schuldverſchreibun-
gen für erlaubte kriegsrechtliche Requiſitionen — wiewohl dieſes nicht für un-
zweifelhaft gehalten wird. Klüglich werden daher in Friedensſchlüſſen alle Ver-
ſchreibungen pour cause de guerre für nichtig erklärt; ſ. z. B. den Teſchener
Frieden v, 1779. Art. 5. Unbedenklich ſind es die nur durch kriegsrechts-
widrige Vergewaltigung erzwungenen. Vgl. Osnabr. Friedensſchl. IV, 46.
Folgendes: The effect of a treaty of peace is to put an end to the
war and to abolish the subject of it. It is an agreement to waive all
discussion concerning the respective rights and claims of the parties,
and to bury in oblivion the original causes of the war. It forbids the
revival of the same war by resuming hostilities for the original cause
which first kindled it, or for whatever may have occurred in the course
ween the parties does not imply that they are never again to make
war against each other for any cause whatever. The peace relates to
the war which it terminates: and is perpetual, in the sense that the
war cannot be revived for the same cause. This will not, however,
preclude the right to claim and resist, if the grievances which origi-
nally kindled the war be repeated — for what would furnish a new
injury and a new cause of war equally just with the former.
If an abstract right be in question between the parties, on which
the treaty of peace is silent, it follows, that all previous complaints
and injury, arising under such claim, are thrown into oblivion, by the
amnesty, necessarity implied, if not expressed: but the claim itself is
not thereby settled either one way or the other. In the absence of
express renunciation or recognition, it remains open for future discus-
sion. And even a specific arrangement of a matter in dispute, if it
be special and limited, has reference only to that particular mode of
asserting the claim, and does not preclude the party from any subse-
quent pretensions to the same thing on other grounds. Hence the uti-
lity in practice of requiring a general renunciation of all pretensions
to the thing in controversy, which kas the effect of precluding for ever
the assertion of the claim in any mode.
§. 99 u. 122. Wir wiſſen dafür keine andere Entſcheidung. S. übrigens
auch Groot III, 20, 19.
Weitere Anwendungen des Satzes werden ſich bei dem Poſtliminium er-
geben.
(t. IV, p. 140 s.) Vattel IV, §. 31. Wheaton a. a. O. §. 6. We-
gen der Früchte ſ. auch Schweikart, heſſiſche Staatscapitalien S. 72 ff.
ſagt Mr. Wheaton intern. L. IV, 4, 5., „that wherever a capture
takes place at sea, after the signature of the treaty of peace, mere
ignorance of the fact will not protect the captor from civil responsa-
bility in damages; and that, if he acted in good faith, his own govern-
ment must protect him and save him harmly.“ Noch wird hinzuge-
fügt: „When a place or country is exempted from hostility by articles
of peace, it is the duty of the state to give its subjects timely notice
of the fact and it is bound in iustice to indemnity its officers and sub-
jects who act in ignorance of the fact. In such a case it is the actual
wrong-doer who is made responsible to the iniured party, and not
the superior commanding officer of the fleet, unless he be on spot and
actually participating in the transaction. Nor will damages be decreed
by the prize court, even against the actual wrong-doer, after the lapse
of a great time.“ Es gründet ſich dieſes jedoch nur auf eine Entſcheidung
von Will. Scott in Sachen des Mentor (vgl. Jacobſen Seer. S. 565.),
gegen deren Principien immerhin Manches zu erinnern ſein dürfte. In
Frankreich ſcheint man alle Priſen für gut zu halten, welche der Captor
noch vor erlangter Kenntniß von dem Frieden gemacht hat. Sirey, Rec.
général. III, 2, 15.
per II, §. 38.
Groot daſelbſt §. 25. und Pufendorf VIII, 8, 9. den zur Erfüllung ge-
ſetzten Termin als einen ſtricten betrachten, wo ohne unvorhergeſehene Hin-
derniſſe keine purgatio morae zuläſſig ſei, ſo geht dieß über das Billigkeits-
princip hinaus, welches in allen Staatenverträgen voran ſtehen muß. §. 94.
Vgl. Vattel IV, 26. 27. 50.
Tractat zwiſchen Dänemark und Genua von 1756. Art. 37. Wenck Cod.
jur. Gent. III, p. 103. Ueber den Unterſchied eines Friedensbruches und
eines neuen Krieges ſ. Vattel IV, 42.
ihre Giltigkeit verlieren, welche ſich auch ſchon aus den vorgetragenen Grund-
ſätzen beantwortet, vgl. noch J. J. Moſer, vermiſchte Abhandlung Nr. 1.
und P. C. A. Leopold, de effectu novi belli quoad vim obligandi pri-
stinarum obligationum. Helmst. 1792.
bedeutendſten iſt Sam. de Cocceji diss. de regimine usurpatoris. Frcf.
Viadr. 1702. (auch in dem Commentar zu H. Groot I, 4, §. 15.) Ludw.
Schaumann, die rechtl. Verhältniſſe des legitimen Fürſten, des Uſurpators
und des unterjochten Volks. Caſſel 1820. Pfeiffer, das Recht der Kriegs-
eroberung in Bezug auf Staatscapitalien. Caſſel 1823. Ferner die Zeit-
ſchrift Nemeſis X, 2, 127 f.
früheren Anſichten in der Schrift: über die verbindende Kraft der Regie-
rungshandlungen des Eroberers. Heidelb. 1816. bedeutend modificirt hat.
ch. XXVII. „invasor quem usurpatorum vocant, ex victoria in subje-
ctos nanciscitur exercitium iuris regii, quod in ipsa possessione et ad-
ministratione consistit, quia illi ipsi devicti subjectique cives victori non
possunt non praestare obsequium. Interim rex injuste expulsus retinet
salvum et intactum ius regni.“ S. auch Cocceji a. a. O.
1806 in Beſitz genommen hatte. Schweikart, Napoleon und die Curheſ-
ſiſche Staatsgl. S. 25 f. Aehnliche proviſoriſche Verwaltungen und Gou-
vernements wurden von den Alliirten 1813 u. 1814 eingeſetzt.
ergeben. v. Dalwigk, juriſtiſche Aufſätze. Frankf. 1796. No. II, S. 25.
Der osnabrückſche Friedensſchluß IV, 49. behält ſich für ſolche Fälle eine
Reviſion der Urtheile vor.
niſchen Digeſten: de captivis et postliminio reversis (49, 15.) und des
Codex: de postliminio reversis et redemptis (8, 51.), bei v. Ompteda
§. 328. und v. Kamptz §. 313., vorzüglich: Henr. Cocceji, de jure post-
liminii 1683. und de postliminio in pace et amnestia. 1752. (Exercit.
cur. I, n. 46. 78.) J. H. Boecler, de p. Argent. 1713. C. v. Byn-
kershoeck, Quaest. jur. publ. I, 16. Hiernächſt Groot III, 9. Vattel
III, ch. 14.
miſchen Rechts, nehmen den Satz nur mit vielen Beſchränkungen und als
Ausnahme an. Vattel, welcher ihn im §. 216. noch behauptet, widerſpricht
ſich ſelbſt im §. 214.
iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n. 5.)
§. 213. Klüber dr. d. g. §. 270.
§. 203. Allein ein Rechtsanſpruch beſteht nicht. Verhandlungen über die
Frage im britiſchen Parlament ſ. in Wheaton histoire p. 379. Auch am
Wiener Congreß kam dieſelbe in einer weiteren Form, worunter gewiſſermaßen
L. IV, 2, 16. In wie weit dem Eroberer ein Verfügungsrecht über Ein-
zelnes zuſteht? haben wir bereits im zweiten Abſchnitt dieſes Buches §. 131 fgg.
erörtert.
ten von Klüber, dr. d. g. §. 258. 259. und die dort angeführten Schrif-
ten. Sodann Wheaton, intern. L. I, 2, §. 20.; überdies B. W. Pfeif-
fer, in wie fern ſind Regierungshandlungen eines Zwiſchenherrſchers für
den rechtmäßigen Regenten nach deſſen Rückkehr verbindlich? 1819.
liche Entſcheidung. Klüber, Acten des W. Congr. V, 10. 29—33.
Man vergl. ſchon die Conſtitutionen der römiſchen Imperatoren im Titel
des Theodoſiſchen Codex: de infirmandis his quae sub tyrannis ant bar-
baris gesta sunt (15, 14.), namentlich const. 9. S. übrigens Cocceji
zu Groot III, 6, 9.
die Entſcheidung über die Napoleoniſch-Weſtphäliſchen Domänenverkäufe
und Einziehung von Staatscapitalien in uſurpirten deutſchen Landen. Meh-
rere richterliche Entſcheidungen ſind im obigen Sinne erlaſſen worden;
doch fehlt es auch nicht an entgegengeſetzten Urtheilen. Das Beſte, was
für die Nichtgiltigkeit der obigen Veräußerungen geſagt werden konnte, fin-
gewiß aus der bloßen Fügſamkeit unter den Willen des Eroberers, aus der
Huldigungsleiſtung, aus der Annahme von Aemtern noch nicht gefolgert
werden, da Alles dies nur einem Zwange zuzuſchreiben und als das ein-
zige Mittel, ſich Schlimmeres zu erſparen oder ſo Viel als möglich zu
retten, ergriffen ſein konnte.
Bundestage, Sitzung v. 4. Dec. 1823.
Sorgfalt für die Gefangenen durch Beſtellung von Curatoren.
übrigens nicht außer Zweifel iſt.
med. 16.
Vgl. den vorher angeführten Canon u. Capitul. Franc. libr. VII. c. 157.
Groot III, 9, §. 9. und dazu Cocceji. Das Gegentheil folgert man auch
aus Nov. 22, c. 7.
in der diss. de postlim. et amnest. und zu Groot S. 133. dargelegt.
Leyſer spec. 659. med. 1—3. Cocceji zu Groot III, 9. 15.
equus, equa, quae frena recipere solet.“ Vgl. mit l. 2. D. h. t.
sed hostili depraedatione ad adversarios transierunt, quaecunque in agris
vel in mancipiis ante tenuerunt sive a fisco possidentur, sive aliquid
ex his per principem cuicunque datum est, sine ullius contradictione
personae, tempore quo redierint, vindicent ac praesumant: si tamen cum
adversariis non sua voluntate fuerint sed captivitate se detentos esse
probaverint.“
per §. 40 n. f. Jouffroy droit maritime p. 313.
71. u. f. Einen ueuerlichen Vertrag zwiſchen Spanien und Großbritannien
vom Februar 1814 in dem Nouv. Suppl. II. 640. Eine Erörterung der
Frage, ob die Clauſel in den Handelsverträgen „den eigenen Landesunter-
thanen gleich“ oder doch „wie die am meiſten begünſtigte Nation behandelt
zu werden“, auch ein Privilegium in Betreff der Repriſen gewähre? ſ. bei
v. Martens §. 57 u. 58.
nommenen neutralen Schiffes adoptirt zu haben. Sirey recueil. I, 2, 201.
genſtand ſ. bei v. Ompteda §. 207. 208. und bei v. Kamptz §. 138. Die
bedeutendſten, wenn auch in vielen Stücken nicht mehr brauchbaren, da-
von ſind:
Il Cerimoniale historico e politico di Gregorio Leti. 6 Vol. Am-
stell. 1685. 12.
Friedrich Wilhelm v. Winterfeld. Teutſche und Cerimonial Politika.
3 Thle. Frankf. u. Leipz. 1700 u. 1702. 8.
Gottfr. Stievens Europäiſches Hofcerimonial. Leipz. 1714. 2. 1723.
Joh. Chr. Lünig Theatrum cerimoniale historico-politicum. Leipz.
1716. 2. 1719. 20.
Julius Bernhard v. Rohr Einleitung zur Cerimonialwiſſenſchaft. Ber-
lin 1730. 2. 1735.
Georg Chr. Gebauer Programma de cerimon. natura atque jure.
Götting. 1737.
Cérémonial diplomatique des cours de l’Europe par Rousset. II.
Amsterd. et à la Haye 1739. fol.
Joh. J. Moſer Verſuch des neueſten europ. Völkerr. Th. II.
In allen dieſen Schriften iſt indeſſen Staats- und Hofcerimonial nebſt
Staatsgalanterie untereinander vermiſcht, und, was wahrhaft Cerimonial-
recht ſei? nicht dargethan worden.
von Friedrich Carl v. Moſer. Daneben ſ. J. J. Moſer Verſuche Th. I.
c. 6. S. 331.
Kürze aus Klüber droit des gens §. 101—103. entnehmen, und darnach
auch aus de Martens manuel diplomatique §. 39. ſo wie deſſen guide
diplomatique.
20. 88.
liirten Souveräne bei ſich bewirthete.
V, p. 993. J. J. Moſer, Vermiſchte Abhandlungen aus dem Völkerrecht
II, Nr. 6. Deſſelben Verſuch II, 481. Beiträge II, 441. Fr. Carl v.
Moſer kleine Schriften IX, 287. X, 218. XII, 1 ff. Bouchaud théo-
rie des traités de commerce p. 41. v. Cancrin, Abhandl. I, §. 80. Pe-
stel, Selecta cap. juris gent. marit. §. 7. Encyclopéd. méthodique.
Marine, T. II. m. honneurs Tom. III. m. saluer. Klüber, droit des
gens §. 117 ff. v. Martens europ. Völkerr. §. 154 ff.
einzelnen Staaten nicht ſchlechterdings dabei ſtehen.
ſtimmungen. Vgl. wegen Großbritannien Laws of the admirality T. II,
p. 303. wegen Frankreich Ordonnance v. 31. Oct. 1827 und v. 1. Juli
1831. (de Martens et Murhard nouv. rec. X, 380. 381.), wegen Spa-
nien Abreu Colleccion Phil. IV. P. VII, p. 642. Carol. II. P. I,
p. 549.
laß zu Streitigkeiten und ſelbſt Gewaltmaaßregeln gegeben. Zugeſtanden
ward der Anſpruch von den Vereinigten Niederlanden 1667, 1674 u. 1783.
Vgl. Nau Völkerſeerecht §. 139.
ſer kleine Schriften XII, 22. Klüber droit des gens §. 121. Nau §. 143.
ſind im Allgemeinen: Alberici Gentilis de legationib. libr. III. Londin.
tions sur les Ambassadeurs des Romains, comparés avèc les moder-
nes. Zwickau 1834.
quefort, L’ambassadeur et ses fonctions. à la Haye 1680. 81. II. und
öfter, ein Buch an ſich von ſehr geringem Werth, abſtrahirt von ſeinem
compilatoriſchen Inhalt; Les droits des Ambassadeurs et des autres
Ministres publics les plus éminents par J. Gottl. Uhlich, à Leipz. 1731.
Joh. Freih. v. Pacaſſi, Einleit. in die ſämmtl. Geſandſchaftsrechte. Wien
1777. Franz Xav. v. Moshamm, europ. Geſandſchaftsrecht. Landsh. 1805.
Merlin Repert. univ. de la Jurispr. m. „Ministre public.“ Ueberdies
Vattel IV, Cap. 5. J. J. Moſer Verſuch, Th. 3. und Beiträge zu dem
neueſten Europäiſchen Völkerr. Th. 3. Klüber dr. d. g. §. 166. Schmel-
zing, Völkerr. II, S. 90 f. Charles Bar. de Martens Manuel diploma-
tique. Leipz. et Paris. 1822. Deſſelben Guide diplomatique. Paris et
Leipzig. 1832. auch par M. de Hofmann. Bruxell. 1838. und Traité
complet de diplomatie par un ancien Ministre. Paris 1833. 3 Vols.
(darüber foreign Quarterly Review. 1834. Fevr.) Vollſtändige Nachwei-
ſungen der geſammten älteren Literatur ſ. in Struv biblioth. iur. nat. et
gent. in C. H. v. Römers Handb. für Geſandte I. Leipz. 1791. v. Omp-
teda II, 534 f. v. Kamptz N. Lit. §. 200.
hältniſſe nicht von der Centralgewalt der Eidgenoſſenſchaft abhängig ſind.
Vormals gab es auch wohl Städte und Corporationen unter landesherrli-
cher Gewalt, welche dennoch in gewiſſen Angelegenheiten, z. B. in Kriegs-
und Handelsſachen Geſandte ſchicken konnten. Vattel nennt in dieſer Be-
ziehung auch die ſchweizeriſchen Städte Neuchatel und Bienne als des
droit de bannière (jus armorum) genießend und daher zu geſandtſchaftli-
chen Miſſionen berechtigt.
pfangen und zu behandeln ſind die bei de Real t. V, p. 140 ff. und in
Rousset, Cerem. diplom. t. II, p. 481. abgedrucktem angeblichen Geſetze
Kaiſer Carls V. in Betreff der Geſandten. S. auch v. Martens Erzäh-
lungen I, S. 371. So wenig bei ihrem Inhalt Bedenken Statt finden,
ſo wenig ſcheint das Aufſchreiben ſolcher Geſetze der Zeit Kaiſer Carls V.
zu entſprechen. Bis auf beſſeren Beweis halten wir ſie für apokryphiſch.
Ein ähnliches Actenſtück über die Immunitäten der Geſandten wird wei-
erhin zu erwähnen ſein.
178. Merlin, Sect. III, n. 3. Klüber, dr. d. g. §. 176. 187.
hältniß ihrer Unterthanen, z. B. die franzöſiſche, obſchon nicht ohne alle
Ausnahme. Merlin a. a. O. S. 250. Erſt ſeit Ludwig XVI. iſt das
Princip der Nichtannahme franzöſiſcher Unterthanen als diplomatiſcher Agen-
ten für fremde Staaten ſtreng feſtgehalten worden. Eben ſo ſind die
ſchwediſchen Geſetze dagegen. Cod. Leg. Succ. de criminib. §. 7. Aus
beſonderen Rückſichten empfängt der deutſche Bund keine frankfurter Bür-
Ausdruck verbunden, wie mit Recht von Pinheiro-Ferreira zu Vattel IV,
70. gerügt iſt.
Groot II, 18, 4. Wicquefort I, sect. 2. Bynkershoeck de foro com-
petente legator. c. I.
nere Rechtfertigung ſ. bei Ward, Enquiry II, 494.
Die deshalb getroffene Verabredung vom Jahre 1816 ſ. in Klübers Staats-
archiv II.
ſandten für ein Staatsverbrechen erklärt; z. B. in l. 7. D. ad leg. Jul.
de vi publica. Allgem. L. R. für die Preuß. Staaten Th. II. Tit. 20.
§. 135. 136. Bairiſches Strafgeſetzbuch I. Art. 306.
Schriften 4. Nr. 2. Schmelzing Völkerr. §. 339.
officiellen Character nicht gegen eine Critik geſchützt ſein, welche auch ge-
gen einen anderen Schriftſteller zuläſſig iſt; ſogar eine perſönlich kränkende
N. e. woſelbſt die entgegenſtehende Anſicht v. Römer’s angeführt iſt. Eine
Menge Beiſpiele von Verletzungen geſandtſchaftlicher Perſonen und dafür ge-
gebenen Genungthuungen ſ. in B. de Martens Causes célèbr. II, 390.
439 f.
accusation. und dazu Bynkershoeck de iudice comp. c. 6. Merlin V,
§. 4. Die Hauptanſichten der neueren Publiciſten ſind auch dargeſtellt in
Wheaton histoire p. 170.
dabei nicht angegriffen wird. Die beim Beſuch eines Bordells oder einer
gemeinen Geſellſchaft erlittene Unbill vermag ſchwerlich eine völkerrechtliche
Ahndung zu begründen. Vgl. l. 15. §. 15. D. de injur. Si quis virgines
appellasset si tamen ancillari veste vestitas, minus peccare videtur; multo
minus si meritricia veste vestitae fuissent.
— iſt auch der Grund der obigen Vorſchriften des römiſchen Rechts.
lichen Sachen des Geſandten kann aus der Natur des Geſandtſchaftsver-
hältniſſes allerdings wohl nicht hergeleitet werden, wie ſolches auch neuer-
dings wieder von Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, 92 fgg. und ſchon von
vielen Aelteren bemerkt, auch nicht allezeit in der Praxis der einzelnen Staa-
ten angenommen iſt. Freilich aber eine Gerichtsbarkeit ohne die Möglich-
keit einer Zwangsrealiſirung hat ſehr wenig Bedeutung, und die Gren-
zen, bis wohin ſie demnach gehen kann, ihre großen Schwierigkeiten. Da-
her erklärt ſich die Annahme der Exterritorialitätsfiction in der neueren
Staatenpraxis.
über Obiges: „IX. Le caractère d’Ambassadeur est si respectable, que
quand même il feroit un traité contraire aux intérêts du Prince qui l’a
envoié, ce Prince n’en serait pas moins tenû d’observer inviolablement
le traité. Autrement il violeroit le droit des gens et de la societé ci-
vile. — X. Si un Ambassadeur devient infidèle au Prince qui l’envoie,
et s’il le trahit en faveur du Prince chez lequel il réside, tous les trai-
tés qu’il conclura dans cette situation seront absolument nuls, de quel-
que espèce et nature qu’ils soient. — XI. Aucun Prince ne pourra,
sans encourir le blâme d’infamie, tenter de corrompre l’Ambassadeur
d’un autre, quand même cet autre Prince seroit son ennemi, parcequ’une
séduction de cette nature blesse le droit des gens. S’il arrive qu’un
Ambassadeur devienne infidèle à son prince, le souverain chez lequel
il reside doit le lui renvoier chargé de fers. — XII. Qu’il soit défendu
à l’Ambassadeur de recevoir des présens du Prince avèc lequel il traite,
surtout si l’on peut soupçonner que par là ce Prince veut l’obliger à
favoriser set intérêts. Il peut néanmoins selon l’usage établi dans les
cours, recevoir, à la fin des négociations l’illustre marque de bienveil-
lance que les souverains ont coutume de donner en pareille conjon-
cture; mais lorsqu’il est de retour dans sa patrie il doit mettre ce
présent aux pieds de son prince et reconnoître qu’il ne le tient que de
sa bonté.“ S. übrigens auch Jo. Chr. Eschenbach, Imperans — an
factum ministri contra jussum specialem agentis ratum habere sit ob-
ligatus? Rost. 1753. Aug. Gtthf. Schmuck (s. Eisler) de contractu
legati contra mandatum arcanum valido. Vitemb. 1758.
„Lorsque les Ambassadeurs dévront passer par d’autres souverainetés
que celles où leur maître les a envoié, il faudra qu’ils soient munis de
Passeports pour éviter tous fâcheux accidens, car à leur passage, ils
ne peuvent prétendre d’autres égards que ceux qui sont accordés par
le droit des gens et aux étrangers selon leur rang et leur fortune;
mais la correspondence mutuelle des nations veut qu’un caractère si
éminent soit respecté partout.“ Eine ähnliche Anſicht ſtellte Vattel auf
IV, 84. Allein es iſt Alles nur guter Wille des dritten Staates. Die
richtige Anſicht ſ. bei Merlin V, §. 3. n. 4. und §. 5. n. 14. Ward,
Enquiry II, 556 s. Wheaton intern. L. III, 1, 11.
152. B. de Martens C. cel. I, 285.
ſchied beſtehe, wie Bielfeld institut. politiq. T. II, p. 272. zu behaupten
ſcheint. Nur zwiſchen Legaten a (oder de) latere und den Nuntien be-
ſteht der Unterſchied, daß jene aus der Zahl der Cardinäle ſind, letztere nicht.
ſchen Ambacht=Amt. Eine ſeltſame Etymologie des Wortes giebt Pin-
heiro Ferreira zu Vattel IV, 70.
Congreſſes getroffen worden, nämlich:
a) in dem Protokoll der Bevollmächtigten der acht hauptſächlichen Un-
terzeichner der Congreßacte vom 19. März 1815.
„Pour prévenir les embarras, qui se sont souvent présentés, et qui
pourraient naître encore des prétentions de préséance entre les diffé-
rens agens diplomatiques, les plénipotentiaires des puissances signa-
taires du traité de Paris sont convenus des articles qui suivent; et
ils croient devoir inviter ceux des autres têtes couronnées à adopter
le même règlement:
celle des ambassadeurs, légates ou nonces;
celle des envoyés, ministres ou autres accrédités auprès des sou-
verains;
celle des chargés d’affaires accredités auprès des ministres char-
gés des affaires étrangères.
Art. II. Les ambassadeurs, légates ou nonces, ont seuls le caractère
représentatif.
Art. III. Les employés diplomatiques en mission extraordinaire,
n’ont à ce titre, aucune supériorité de rang.
Art. IV. Les employés diplomatiques prendront rang entre-eux
dans chaque classe, d’après la date de la notification officielle de
leur arrivée.
Le présent règlement n’apportera aucune innovation relative-
ment aux représentans du Pape.
Art. V. Il sera déterminé dans chaque état un mode uniforme pour
la réception des employés diplomatiques de chaque classe.
Art. VI. Les liens de parenté ou d’alliance de famille entre les
cours, ne donnent aucun rang à leurs employés diplomatiques.
Il en est de même des alliances politiques.
Art. VII. Dans les actes ou traités entre plusieurs puissances, qui
admettent l’alternat le sort décidera entre les ministres, de l’ordre
qui devra être suivi dans les signatures.“
Le présent règlement est inseré an protocote des plénipoten-
tiaires des huit puissances signataires du traité de Paris dans leur
séance du 19. Mars 1815.
b) In dem Aachener Protocolle der Bevollmächtigten von Oeſtreich, Frank-
reich, Großbritannien, Preußen und Rußland vom 21ſten November
1818.
„Pour éviter les discussions desagréables qui pourraient avoir lieu à
l’avenir sur un point d’étiquette diplomatique que l’annexe du recès de
Vienne par laquelle les questions de rang ont été réglées ne parait
pas avoir prévu, il est arrêté entre les cinq cours que les ministres
résidens accrédités auprès d’elles formeront par rapport à leur rang une
classe intermediaire entre les ministres du second ordre et les chargés
d’affaires.“
Wegen der ſucceſſiven Ausbildung der obigen Claſſification vgl. Merlin
a. a. O. Sect. I. Schmelzing, Völkerr. §. 281.
in der römiſch-katholiſchen Kirchenſprache als Söhne des Papſtes gelten.
Moſer Verſ. III, 5. und Beitr. III, 7. Merlin, sect. II, §. 2. n. 1.
ſel derſelben (chiffre chiffrant et déchiffrant) auch wohl eines ſ. g. chiffre
banal, zur Correſpondenz mit den übrigen Geſandten derſelben Macht. Vgl.
J. L. Klüber Kryptographie. Tübing. 1809. Callière, sur la manière de
négocier. chap. 20.
IX, 655.
ten Stelle V, 3, 3, „que son caractère public ne se développe dans
toute son étendue, que lorsqu’il est reconnu et admis par le sou-
verain à qui il remet ses lettres de créance. Mais pour ce qui est de
la protection du droit des gens, de la sureté et de l’inviolabilité de sa
personne, il doit en jouir dès qu’il a mis le pied dans le pays où il
est envoié, et qu’il s’est fait connaître.“
dings iſt es noch ſpäterhin doctrinell beſtritten worden, z. B. von Cocceji und
neuerdings zum Theil von Pinheiro Ferreira.
Immunités accordées par l’Empereur aux Ambassadeurs (angeblich von
Carl V) ſind wohl ebenſo apocryphiſch, als die ſchon oben angeführten
Lois (S. 334.). Beſondere Verordnungen einzelner Staaten finden ſich
abgedruckt bei v. Martens a. a. O. I, 330. u. II, 344.
ziehen, welches ein Staatsunterthan an effectiv ſchon in ſeinen Händen be-
findlichen Sachen wider einen fremden Geſandten ohne Zuthun der Juſtiz
auszuüben vermag. Privatrechte kann der geſandtſchaftliche Character nicht
beſeitigen.
und diss. Lips. 1695. n. XVI. Bynkershoeck, l. c. cap. 21. Merlin
V, §. 5. n. 4.
in v. Martens Erzähl. I, S. 217 f. Bar. de Martens, Causes célèbr.
I, 174. In der älteren Zeit hat man freilich von Seiten der Geſandten
ſtarke Prätenſionen gemacht und jede Perquifition abweiſen wollen. Vgl.
z. B. B. de Martens l. c. II, 371.
III, 3, 37, 45 sqq. J. J. Moſer Verſ. IV, 155. Deſſen Beitr. IV,
185. v. Martens Völkerr. Hptſt. VII. Klüber §. 215. 216. Schmel-
zing §. 355.
werden können, hängt von den auf ſie in Anwendung kommenden bürger-
lichen Geſetzen ab.
jud. comp. legati cap. 24. und 17—19. Vgl. Wheaton hist. p. 170 s.
Fixirt iſt die Anſicht hauptſächlich ſeit Groot II, 18. §. 4.
Verfahren der Praxis gerechtfertigt. S. Merlin a. a. O. sect. 5. §. 4.
Nr. 10—13. Ward, Enquiry II, 486. 506. Unter den neueren Pu-
bliciſten findet ſich irgends eine abweichende Anſicht. Die ältere Literatur
kershoeck Cap. 18. §. 6. darlegt.
Gründen ſiehe bei Bynkershoeck de jud. compet.; ſonſtige Schriften bei
v. Ompteda §. 265. und v. Kamptz §. 236.
quiry II, 497.
einer Anklage eines fremden Geſandten wurde 1765 von dem Chevalier
D’Eon wider den franzöſiſchen Ambassadeur de Guerchy gemacht, indeſſen
ſcheint die Sache keinen Fortgang gehabt zu haben. Moſer Verſuch 419.
Ward gedenkt dieſes Falles nicht in ſeiner ſorgfältigen Auseinanderſetzung
der Frage.
ſ. bei Bynkershoeck a. a. O. c. 15 u. 21. Merlin sect. V, §. 6. n. 2.
und IV, n. 4 s.
II, 370.
oben angeführten geſetzlichen Verordnungen einzelner Staaten in v. Mar-
tens Erzähl. Th. I u. II. Anhang. Dazu wegen Rußland die Ukas von
1817 im Nouv. Recueil t. III, p. 96.
Groot II, 18, 4.
IV, 52.
in Frankreich. Merlin, sect. V, §. 7.
teſſes den Rang vor den Ambaſſadricen.
hierin beſtimmte Grenzen.
lamentsact von 1709. B. de Martens Causes célèbr. I, 59.; wegen
Frankreich und mehrerer anderer Staaten Merlin; wegen Preußen Allgem.
Ger. Ordn. Th. I, Tit. 2. §. 63. 67 ff. K. däniſche Verordn. v. 8. Oct.
1708. (v. Martens Erzähl. I, 353.) ferner die nordamerican. Congreßacte
v. 1790 (ebend. II, S. 397.) — Desgleichen die Auctorität der gewichtig-
ſten Publiciſten. Vgl. Ward, Enquiry II, 553 f. Merlin, sect. VI, n.
2 s. Streitigkeiten, welche hierüber noch im J. 1790 am Pfälziſchen Hofe
mit dem Preußiſchen Miniſter bei Gelegenheit eines Falles vorkamen, ob-
ſchon zu keinem Reſultat gediehen, ſ. noch in B. de Martens Nouv. cau-
ses cél. II, 22 f. Dagegen auch wieder einen Fall, wo durch Repreſſa-
lien die Exterritorialität der Domeſtiken aufrecht erhalten ward in deſſelben
Causes célèbr. I, 247.
I, c. 28.
gen letzteren Falle nicht für ſich allein handeln darf.
n. 6.
Hausgenoſſen der Geſandten ihrer Privilegien für verfallen und nach den
Geſetzen ſtrafbar, wenn ſie die Juſtiz beleidigen. v. Martens Erzählungen
I, 339.
und wenden, um eigentlich von den obigen Perſonen nichts auszuſagen.
Holland war das Princip durch eine Ordonnanz vom 29. März 1651 an-
erkannt. Vgl. auch Moſer Beitr. IV, 530. Allerdings ſcheint jedoch die
Praxis aller Staaten nicht darüber entſchieden zu ſein. Frankreich bewil-
ligte wenigſtens vormals den Agenten der Hanſeſtädte für ihre öffentlichen
Handelsangelegenheiten keine völkerrechtlichen Prärogativen. Merlin Sect. I,
Nr. 5. a. E.
ſtaaten wechſelſeitig zuſenden, zwar eine Befreiung von der ausländiſchen
tig das ſchon öfter angeführte Manuel des Consuls par Alex. de Miltitz.
Londres et Berlin 1837 u. f.
an ihrem Stationsorte.
v. Miltitz, insbeſondere auch das Reſumé daſelbſt T. II, P. I, p. 394.
Sehr erhebliche Beiträge dazu waren ſchon durch v. Martens Verſuch ei-
ner hiſtoriſchen Entwickelung des Wechſelrechts geliefert. Vgl. überdies von
Steck, Handelsvertr. S. 215. und deſſelben Verſuche S. 119.
welche noch kein beſtimmtes Herkommen beſteht, iſt es nicht unterlaſſen.
Es giebt aber auch Beiſpiele von Verträgen, wodurch die Anſtellung von
Conſuln gegenſeitig ausgeſchloſſen ward. v. Steck, Essais sur div. sujets
int. p. 52. So zwiſchen Frankreich und den Niederlanden, wovon indeß
jetzt abgegangen ſcheint.
welcher eine beſondere Flagge führt, das Recht zur Anſtellung von Conſuln.
der Conſuln findet ſich in dem Vertrage Frankreichs und Spaniens vom
13. März 1769. Wenck codex juris gent. T. III, p. 746. Martens
rec. T. I, p. 629. Unter den neueren Verträgen iſt bemerkenswerth der
Vertrag zwiſchen Frankreich und der Republik Texas vom 25. Sept. 1839.
Art. 8—13.
nien von 1769. Art. 2.
Das allgemeine Princip iſt noch vor kurzem durch ein arrêt der cour
roiale von Aix im Jahre 1843 (mitgetheilt in der Gazette des Tribunaux
von dem gedachten Jahre) ausgeſprochen:
Attendu que si les Ambassadeurs sont indépendants de l’autorité
souveraine du pais dans lequel ils exercent leur ministère, ce pri-
vilège n’est pas applicable aux consuls;
qui ceux ci ne sont que des agens commerciels; que si les lois de
police et de securété obligent en général tous ceux qui habitent
le territoire français il en resulte que l’étranger, qui se trouve
1. §. 22.
moiens à faciliter l’exercice de la justice criminelle;
attendu que si la convention diplomatique dont le consul d’Espagne
se prévaut pour être dispensé de venir déposer devant la cour
était sans inconvéniences pour le tems où elle fut faite, alors que
la procédure criminelle était sécrète, elle est inapplicable aujourdhui
où d’après le droit public qui nous régit les débats sont publiques
et où les temoins sont tenus de déposer oralement devant le
jury;
mais attendu que le consul est étranger; qu’il a pu ignorer l’éco-
nomie et le mécanisme de la procédure criminelle française et qu’il
y a de la bonne foi dans son refus;
la Cour declare n’y avoir lieu à condamner Mr. Soller à l’amende.
Ob dieſer Ausſpruch in allen Theilen richtig ſei, laſſen wir dahingeſtellt.
reſidenten regelmäßig der Fall. Geſchäftsträger erhalten ihre Vollmachten
vom Miniſter des Auswärtigen in ſeiner Staatsfunction, und verlieren alſo
durch den zufälligen Amtswechſel nicht ihren öffentlichen Character. Vgl.
Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, 76.
F. C. Moſer kl. Schriften, VIII, 81. IX, 1. B. de Martens C. cél. II,
485. Bei Conſuln vertritt die Zurücknahme des Exequatur die Stelle der
Zurückſendung.
Pütter, Beitr. 167.
Bemerkung: dès qu’un Ambassadeur est mort, il rentre aussitôt dans
la vie privée!
Engelbrecht, obss. sel. for. sp 4.
Moſer Verſ. IV, 569.
Beiträge 432. ff. Jetzt vertritt meiſtens die Ertheilung von Orden die
Stelle der vormaligen Geldgeſchenke.
ebenfalls, obwohl meiſt nur in ſeiner Aeußerlichkeit. S. indeſſen noch:
Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgard u. Tübing. 1838.
des negociations chap. 2., womit auch noch Macchiavelli del Principe cap. 25.
verglichen werden kann.
de Martens Guide dipl. Bibl. choisie t. I, p. 509.
burg konnte er noch in ein Stammbuch ſchreiben: Legatus est vir bonus
peregre missus ad mentiendum reipublicae causa.
quarterly Rev. a. a. O. S. 28.
S. 34. 35. Allein dieſes paßt nur auf die Zeiten der Republik, in ihrer
tugendhaften Selbſtverleugnung. Zu anderen Zeiten haben ſie den Beweis
des Gegentheils gegeben.
Mably I, 18.
nes von ihm gemißbilligten Tractates von 1661.
Wiſſenſchaften findet ſich in v. Dreſch kleinen Schriften 1827. S. 11 f.
chung des Miniſteriums der auswärtigen Angelegenheiten vom 1827 be-
ſtimmt worden, daß jeder Aspirant zur diplomatiſchen Laufbahn drei Jahr
ſtudirt und ein Auscultatur-Examen beſtanden, demnächſt ein Jahr bei ei-
ner Regierungsbehörde und ein Jahr bei einer Juſtizbehörde gearbeitet ha-
ben, alsdann aber eine Prüfung beſonders auch zur Ermittelung der Kennt-
niſſe von der inneren Verwaltung, den Cultur- und gewerblichen Zuſtänden
beſtehen muß.
Janin: mais le roi entend que Vous tirez Vous-même les principales
instructions de ce que vous avez à faire.
bassadeur par Don Antonio de Vera et de Cuniga, par Lancelotte.
Par. 1635 u. f. De Callières, de la manière de negocier avec les Sou-
verains. Par. 1716. n. é. II. t. Londr. 1750. Ryswick 1756. Pecquet,
de l’art de negocier avec les Souverains. Paris 1736. à la Haye 1738.
Mably, principes de négociation. Ibid. 1737. (ſpäter auch Einleitung zu
Foreign quarterly Rev. XIII, p. 4.
Anweiſung mit Fürſten und Republiken zu unterhandeln. Aufgeſtellt von
einem Staatsmanne in der Einſamkeit. Leipzig 1811. 8.
ſprachen. Frankf. 1750. v. Rohr, Einleitung in die Cerimonialwiſſenſchaft.
S. 405. J. J. Moſer Verſ. II, 153.
abgefaßt. Einzelne Mächte, z. B. die päpſtliche Curie, bedient ſich in
ihren völkerrechtlichen Urkunden noch jetzt derſelben Sprache.
Memoiren von Brienne nachzuſehen ſind. (v. Schiller, allgem. Samml.
hiſtor. Mem. Abth. II. Bd. 17. S. 143.)
Congreßacte Art. 120. mit den Worten: La langue française ayant été
exclusivement employée dans toutes les copies du présent traité il est
reconnu par les puissances qui ont concouru à cet acte, que l’emploi
de cette langue, ne tirera point à conséquence pour l’avenir; de sorte
que chaque puissance se réserve d’adopter, dans les négociations et con-
ventions futures, la langue dont elle s’est servie jusqu’ ici dans ses
relations diplomatiques, sans que le traité actuel puisse être cité comme
exemple contraire aux usages établis.“
keiner anderen Sprache als der engliſchen bei diplomatiſchen Communica-
tionen zu bedienen. — Die Pforte communicirt in arabiſcher Sprache, ge-
wöhnlich aber mit lateiniſchem, jetzt auch wohl franzöſiſchem Translat. Sie
hält keinen Tractat für verbindlich, der nicht auch in ihrer Sprache abge-
faßt worden.
de la dipl. franç.: „Le style diplomatique à quelque sujet, qu’il s’ap-
plique, ne doit pas être celui de l’academicien mais celui d’un penseur
froid, revêtant d’une expression pure et exacte une logique non inter-
rompue. La chaleur qui fait presque toujours le succès de l’éloquence
doit en être exclue.“
ſelben Abhandl. von Canzleifehlern (kleine Schriften V, 229.). Von Ahn-
dung fehlerhafter Schreiben. Frankfurt 1750.
ſer Verſuch II, 164 u. f. Sneedorf style des cours. chap. 2. Baron
Martens manuel dipl. chap. 9. Außerdem auch noch J. Chrſtn. Lünig,
theatrum cerimoniale historico politicum. Leipz. 1720. Jeder Hof rich-
tet ſich auch wohl ſein eigenes Cerimonialbuch ein.
aufgenommen worden. Unzweifelhaft iſt der Gebrauch dieſes Wortes ein
befugter, da er ſchon in dem mittelalterlichen Latein einen officiellen Auf-
ſatz über ſtattgehabte Verhandlungen und Erklärungen bedeutete, ebenſo wie
das Wort registratura, registratio.
Schriften über die wichtigſten europäiſchen Congreſſe; angezeigt in v. Omp-
teda §. 180 f. v. Kamptz §. 74—91. Wegen der neueren ſeit dem Wie-
ner Congreß auch die freilich noch nicht vollſtändigen Mittheilungen in der
Fortſetzung von v. Martens Recueil de traités.
zum Staats- und Völkerrecht I, S. 63 u. f. Sie berührt indeſſen vor-
nehmlich nur die militäriſchen Spione.
fahren] fand nach dieſen Grundſätzen im Jahre 1780 gegen den britiſchen
Major André, ungeachtet aller Verwendungen, Statt. v. Martens Erzäh-
lungen I, 303.
in v. Ompteda Lit. II, 484 ff., v. Kamptz n. Lit. 97. 99 und in Klüber
dr. des gens §. 42. Ueber den Einfluß der Idee des Gleichgewichts auf das
Völkerrecht vergl. den folgenden §.
rung der Völkerrechte decretirte die franzöſiſche Nationalverſammlung am
28. Oct. 1792 und beauftragte damit den Abbé Gregoire. Als die Repu-
blik aus ihrer Iſolirung gegen andere Mächte heraustrat, gab ſie das Project
auf. — Von den ſ. g. vermutheten Völker-Conventionen (conventions pré-
sumées), welche Einige als Quelle des Völkerrechts nennen, wird bei den
Verträgen die Rede ſein, ſo weit ſie nicht ſchon unter eine der vorſtehenden
Categorien fallen.
man auch von einem Cerimonial-Charakter der diplomatiſchen Perſonen ſpricht.
[27]§§. 13. 14. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
Es ſind damit nur accidentelle Rechte, den weſentlichen, aus der Natur der
Verhältniſſe fließenden Rechten hinzutretende gemeint. Keineswegs gehört aber
etwa das ganze ſ. g. Cerimonial der Höfe, Staatsbehörden u. ſ. w. in den Be-
reich des Völkerrechts; ſondern nur diejenigen Gebräuche, worauf Staaten
und Regierungen unter einander zu beſtehen ein Recht haben. Klagen über
Mißverſtand des Wortes und ungebührliches Hineinziehen des ganzen Cerimo-
niels in das Völkerrecht finden ſich ſchon in v. Ompteda Lit. §. 206.
politiſchen und ſtaatsbürgerlichen Rechte der Einzelnen in den Staaten, wel-
chen ſie angehören. Für dieſe giebt es kein gleichförmiges, allenthalben giltiges
Princip. Ihre Geſtaltung und Veränderung iſt die That der Macht oder
des Volksgeiſtes.
In der franzöſiſchen Erklärung der Rechte des Menſchen und Bürgers,
welche der Conſtitution vom 3. Septbr. 1791 voranging, wurden jene ver-
ſchiedenen Rechte mit einander in Verbindung gebracht.
allein ausmachen können? iſt eine müßige Schulfrage, und beantwortet ſich
leicht aus den gegebenen Merkmalen des wahren Staates.
Daß unabhängige Raubvölker und Horden noch keine Staaten ſind, dar-
über war die ältere und neuere Staatstheorie einverſtanden. S. auch H.
Groot III, 3. I, 1. mit den Citaten aus Cic. Philipp. IV, 15. und den Rö-
miſchen Juriſten.
Staatenpraxis und publiciſtiſche Lehre überein. Fälle der Anwendung erga-
ben ſich bei dem Abfall der Vereinigten Niederlande und hiernächſt Portu-
[40]Erſtes Buch. §. 24.
gals von Spanien, der Nordamerikaniſchen Colonialländer von Großbritan-
nien, der Südamerikaniſchen Staaten von Spanien, Griechenlands von der
Türkei, Belgiens vom Königreich der Niederlande. Wichtig ſind in dieſer
Beziehung vorzüglich die Verhandlungen zwiſchen Großbritannien und Frank-
reich über deſſen Anerkennung der Nordamerikaniſchen Unabhängigkeit. S.
Ch. de Martens, nouv. causes célèbres. t. I. 1843. p. 370—498; dann das
Verhalten der Europäiſchen Höfe in Bezug auf die Südamerikaniſchen Staa-
ten. Unter den Publiciſten, welche die Frage größtentheils auch im obigen
Sinne beantworten, nennen wir Moſer, Verſuch des n. E. Völkerr. VI,
126 f. Günther, Völkerr. I, 76. Schmalz, Völkerr. S. 36 f. Klüber, dr.
des gens. §. 23. Wheaton, intern. L. I, 1, 2. §. 19. p. 96. Die mehr
ſtaatsrechtliche Frage, ob und unter welchen Umſtänden es einem Theile ei-
nes Staates erlaubt ſei, ſich von dem Ganzen loszureißen, iſt ſchon in älte-
rer Zeit (z. B. von H. Groot III, 20, 41, 2. und ſeinem Commentator H.
Cocceji zu II, 5, 24, 2; ferner v. Pufendorf J. N. et G. VIII, 11. §. 4.)
berührt, in neuerer Zeit aber begreiflicher Weiſe ſehr verſchiedentlich beant-
wortet worden. Von Einmiſchungen in ſolche Begebenheiten Seitens dritter
Staaten wird weiterhin die Rede ſein.
reits im Mittelalter auf den Concilien unter den Abgeſandten der verſchiede-
nen Nationen. Dadurch und durch den regen Verkehr der weltlichen Mächte
mit dem Römiſchen Stuhl erhielten die Päbſte Gelegenheit, ihre Autorität
geltend zu machen, und die Rangordnung der Fürſten iſt von ihnen mehrmals
beſtimmt worden. Unter anderen von Julius II., im J. 1504, wonach fol-
gender Klimax gebildet war: der Römiſche Kaiſer, der Römiſche König, der
König von Frankreich, Spanien, Arragonien, Portugal, England, Sicilien,
Schottland, Ungarn, Navarra, Cypern, Böhmen, Polen, Dänemark; die Re-
publik Venedig, der Herzog von Bretagne, von Burgund; die Kurfürſten von
Bayern, Sachſen und Brandenburg, der Erzherzog von Oeſterreich, der Her-
zog von Savoyen, der Großherzog von Florenz, der Herzog von Mailand,
von Bayern, Lothringen u. ſ. w. Die Verbindlichkeit dieſer und ähnlicher
Beſtimmungen iſt niemals allgemein anerkannt. Eben ſo ſind mehrere ver-
tragsmäßige Beſtimmungen unter einzelnen Regierungen mit der Zeit und
durch veränderte Umſtände hinfällig geworden.
Die verſchiedenen Prätenſionen und Rangſtreitigkeiten einzelner Mächte ſind
in den obigen Schriften (zu §. 28.) vermerkt, in der Kürze bei Günther
§. 18 f. Der ritterliche Freimuth Guſtav Adolphs von Schweden und der
[49]§. 29. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
nachherigen Regentſchaft trat zuerſt ſolchen eiteln Prätenſionen offen und kühn
entgegen; ſein Wort: que toutes les têtes couronnées étaient égales hat
ſich in der Folge ſogar noch in einer weiteren Ausdehnung Anklang verſchafft.
dieſer Beziehung die Verhandlungen wegen des Preußiſchen Königs- und Ruſſi-
ſchen Kaiſertitels. Specielle Gründe des Widerſpruchs können ſein: offenbare
Verkleinerung der conventionellen Bedeutung eines Titels durch Annahme
deſſelben ohne zureichende Grundlage und Mittel zu ſeiner würdevollen Auf-
rechthaltung; Emporhebung über andere Staaten und daher Zurückſetzung der-
ſelben. Daß der Römiſche Stuhl ein Verleihungsrecht von politiſchen Titeln
habe, wie früher wohl behauptet und in Anſpruch genommen worden iſt,
wird ſchwerlich in unſerer Zeit noch vertheidigt werden. Preußiſche Publici-
ſten haben den letzten Kampf darüber geführt. S. beſ. de Ludewig, Opusc.
miscell. I, p. 1 u. 129.
Uebereinſtimmend mit dem Obigen iſt eine Beſchlußnahme der Bevollmäch-
tigten am Aachner Congreß, abgedruckt in Meisel, Cours de stile diplomat.
Dresd. 1824. t. II, p. 593.
Protocole séparé. Séance du 11 Octbr. 1818 entre les cinq puissances.
„La conférence aiant été informée de l’intention de Son Alt. Roïale
..... de prendre le titre de Roi et aiant pris connaissance des
lettres addressées par ce prince aux souverains pour obtenir leur con-
sentement à cette démarche“:
„Les Ministres des 5 Cabinets réunis à Aix 1. Ch. prenant en considé-
ration que le but de leur réunion est celui de consolider d’ordre actuel
des choses, et non pas de créer de nouvelles combinaisons, considerant
de plus que le titre porté par un souverain n’est pas un objet de simple
étiquette mais un fait tenant à des rapports essentiels et à d’importantes
questions politiques, sont d’avis qu’en leur qualité collective ils ne sau-
raient prononcer sur cette démande; pris separément les Cabinets de-
clarent qu’attendu que la demande de S. A. R. ...... n’est
justifiée par aucun motif satisfaisant, il n’y a rien qui puisse les enga-
ger à y accéder.“
„Les Cabinets prennent en même tems l’engagement de ne reconnaitre
à l’avenir aucun changement ni dans les titres des souverains ni dans
ceux de princes de leurs maisons sans en être préalablement convenus
entre eux.“
„Ils maintiennent ce qui à été statué à cet egard jusqu’ici par des
actes formels. Les 5 Cabinets appliquent explicitement cette dernière
reserve au titre d’Altesse Roïale, qu’ils n’admettront désormais que pour
les chefs des maisons Granducales, l’Electeur de Hesse y compris, et
pour leurs Héritiers presomtifs.“
Sign. Metternich. Richelieu. Castelreagh. Wellington. Hardenberg.
Bernstorff. Nesselrode. Capo d’Istria.
Wir können natürlich die Authenticität nicht verbürgen.
ſtenz anderer Staaten und ihrer Rechte ganz zu ignoriren. So hat man
z. B. Einſchmuggelungen in fremde Staatsgebiete, ſelbſt in der gerichtlichen
Praxis nicht ſelten für etwas ganz erlaubtes betrachtet, deſſen man ſich nicht ein-
mal zu ſchämen brauche. Ein anderes Syſtem hat der Gerichtshof, deſſen
Mitglied zu ſein ich die Ehre habe, in Betreff der Frage angenommen, ob
ein Schmuggelvertrag nach dem Ausland den guten Sitten zuwider ſei, und
dieſe Frage bejaht, aus folgenden Gründen, welche weſentlich die obigen Grund-
ſätze des §. beſtätigen:
„In Erwägung, daß dem Reviſions- und Caſſationshofe die Beurtheilung
der Frage nicht entzogen iſt: ob eine Convention den guten Sitten zuwider
ſei? indem es ſich dabei nicht von zufälligen Vorſtellungen, ſondern von feſt-
ſtehenden Begriffen handelt, die, wo ſie das Geſetz berückſichtigt, auch als
Theil von dieſem ſelbſt anzuſehen ſind;
daß nun aber der Begriff des ſittlich Erlaubten oder Unerlaubten nicht bloß
auf das Gebiet eines beſtimmten einzelnen Staates beſchränkt und damit ab-
geſchloſſen werden kann;
daß die Sittlichkeit des Willens, welche die Grundlage der guten Sitten
iſt, weſentlich auch darin beſteht, Niemand in ſeinem Recht zu verletzen und
ſich dadurch nicht mit dem Schaden des Anderen zu bereichern;
daß nun jeder Einzelſtaat das unbeſtreitbare Recht hat, von den aus dem
Auslande einzuführenden Waaren Nachweiſungen zu fordern und Abgaben zu
erheben;
daß zwar andere Staaten die Ausübung dieſes Rechts nicht zu erleichtern
oder zu unterſtützen haben, eine Beeinträchtigung deſſelben aber nichts deſto
weniger ein Unrecht bleibt, folglich auf Seiten desjenigen, der ſie vorſätzlich,
beſonders aus Eigennutz unternimmt oder vertragsweiſe veranlaßt, eine un-
läugbare Unſittlichkeit darſtellt;
daß daher der Rheiniſche Appellationsgerichtshof mit Recht die in Rede
ſtehende Convention wegen Einſchmuggelung von Waaren in ein fremdes be-
freundetes Land, als den guten Sitten zuwider und deshalb für ungiltig er-
klärt hat.“ u. ſ. w.
In entgegengeſetzter Weiſe hat noch der Pariſer Appellhof 1835 geurtheilt:
que la contrebande à l’étranger n’est pas une cause illicite d’obligation.
viel häufiger als jetzt, beſonders in dem vormaligen Deutſchen Reichsſtaate.
Darüber ſ. Moſer, Nachbarl. Rechte 239 f. Engelbrecht, II, 2. Römer,
Völkerrecht der Deutſchen S. 230. Unter den ehemaligen Rheinbundſtaaten
ſcheinen ſämmtliche Staatsſervituten gegenſeitig durch die Rheinbundsacte
Art. 34. aufgehoben zu ſein. Klüber, Abh. u. Beobacht. I. 1830. S. 1—
57. v. Kamptz, Beitr. zum Staats- u. Völkerr. I, 140. Doch giebt es
darüber eine große Meinungsverſchiedenheit. Einige wollen davon die negati-
ven Servituten ausnehmen, z. B. Brauer, Beitr. z. Staatsr. der Rheinbund-
ſtaaten S. 264. Maurenbrecher, Deutſches Staatsr. §. 138 e. Andere die-
jenigen Servituten, welche in einem kaiſerlichen Privilegium ihren Grund ha-
ben, z. B. Medikus, Rhein. Bund IV, S. 184. Nur die nicht weſentlichen
Hoheitsrechte dürften der Regel nach auszunehmen ſein. Schmelzer, Ver-
hältniß ausw. Kammergüter. 1819. S. 75.
Sicherungsmitteln zu begnügen, oft zu wirklicher Intervention geſchritten.
Verhandlungen über die große Frage haben unter anderen die Franzöſiſchen
Staatsumwälzungen, die Congreſſe von Troppau, Laibach und Verona, die
Belgiſche Angelegenheit mit ſich geführt. Aber es hat dabei nicht an Mei-
nungsverſchiedenheiten gefehlt. Man vergl. Wheaton, Intern. Law II, 1, 4.
Heiberg, a. a. O.
Moſer, Verſ. I, 185 f. Die conforme Praxis des Römiſchen Stuhles erhel-
let aus dem bereits S. 23 Not. 1. angeführten, hier im Auszuge beifolgen-
den Actenſtück:
Gregorius Episcopus Servus Servorum Dei ad futuram rei
memoriam.
Solicitudo Ecclesiarum, quo Romani Pontifices ex commissa sibi
divinitus Christiani Gregis custodia assidue urgentur, eos ipso simpel-
lit, ut quod in terrarum gentiumque omnium orbe ad rectam rei sa-
crae procurationem, atque ad animarum salutem magis expediat, nitan-
tur impense conciliare. Ea tamen identidem est temporum conditio,
das Princip ausgeſprochen in einem Parlamentsact (II, Henry VII.),
nämlich im Weſentlichen dahin, that he, who is actually King, whether
by election or by descent, yet being once King, all acts done by him
as King, are lawful and justifiable, as by any King; daher auch Crom-
wells Gedanken auf den Königstitel. Oliv. Cromwell and his times, by
Coxe. p. 328.
[93]§. 49. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
eae in imperio statuque Civitatum vicissitudines, commutationesque, ut
inde propediantur ipsi haud raro, quominus spiritualibus populorum
necessitatibus prompte, libereque subveniant. Posset enim ab iis po-
tissimum, qui secundum elementa mundi sapiunt, rapi in invidiam au-
ctoritas eorundem, quasi studio partium permoti judicium quodammodo
de personarum juribus ferant, si pluribus de Principatu contendenti-
bus quidpiam ipsi pro illarum regionum Ecclesiis, ac praesertim ad
earum Episcopos adsciscendos decernant, re cum iis collata, qui actu
ibidem summa rerum potiuntur. Infestam hanc, perniciosamque su-
spicionem omni fere aetate insectati sunt Romani Pontifices, quorum
tanti interest, ipsius fallaciam patefieri, quanti stat aeterna illorum sa-
lus, quibus ob id caussae opportuna denegentur, vel saltem diutius,
ac par est differantur auxilia.
[Es folgt nun die Aufzählung früherer päbſtlicher Erklärungen, insbeſon-
dere von Clemens V.: Clem. si summus Pontifex, de sent. exc.; von Jo-
hannes XXII., Pius II., Sixtus IV., Clemens XI. Dann heißt es weiter:]
Quare audita selecta Venerabilium Fratrum Nostrorum S. R. E.
Cardinalium Congregatione, de Apostolicae potestatis plenitudine, motu
proprio, ac de matura deliberatione, praedictam Constitutionem feli-
cis Recordationis Clementis V Praedecessoris Nostri, quam occasione
non absimilium super aliquo Principatu contentionum ceteri Praede-
cessores Nostri Joannes XXII, Pius II, Sixtus IV et Clemens XI ap-
probarunt et innovarunt, exemplis eorundem inducti, iisque prorsus
inhaerentes, similiter approbamus, ac denuo sancimus, declarantes pro
futuris quoque temporibus, quod si quis a Nobis vel a Successoribus
Nostris, ad spiritualis Ecclesiarum Fideliumque Regiminis negotia
componenda, titulo cujuslibet dignitatis etiam regalis ex certa scien-
tia, verbo, constitutione, vel literis, aut legatis quoque hinc inde ora-
toribus nominetur, honoretur, seu quovis alio modo, actuve, quo ta-
lis in eo dignitas facto agnoscatur, aut si easdem ob causas cum iis,
qui alio quocumque Gubernationis genere rei publicae praesunt, tra-
ctari, aut sanciri aliquid contigerit, nullum ex actibus, ordinationibus
et conventionibus id generis jus iisdem attributum, acquisitum, proba-
tumque sit, ac nullum adversus ceterorum jura et privilegia ac pa-
tronatus discrimen, jacturaeque et immutationis argumentum illatum
censeri possit ac debeat: quam quidem de jurium partium incolumi-
tate conditionem pro adjecta actibus istiusmodi habendam semper esse
edicimus, decernimus et mandamus, illud iterum Nostro ac Romano-
rum Pontificum Successorum Nostrorum nomine denunciantes, in hu-
juscemodi temporum, locorum personarumque circumstantiis ea tan-
tum quaeri, quae Christi sunt, atque unice, veluti susceptorum con-
siliorum finem, ea ob oculos versari, quae ad spiritualem aeternam-
que Populorum felicitatem facilius conducant.
Decernentes, hasce literas semper firmas validas et efficaces exis-
tere et fore, suosque plenarios et integros effectus sortiri et obtinere,
[94]Erſtes Buch. §. 50.
atque ab eis ad quos spectat et pro tempore quandocumque spectabit
inviolabiter observari debere: in contrarium facientibus etiam expressa
specifica et individua mentione dignis non obstantibus quibuscumque.
Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam nostrae approbatio-
tionis, Sanctionis, declarationis, denunciationis, decreti, mandati, ac
voluntatis infringere vel ei ausu temerario contraire; si quis autem
hoc attentare praesumpserit, indignationem Omnipotentis Dei ac Bea-
torum Petri et Pauli Apostolorum ejus se noverit incursurum. Da-
tum Romae apud Sanctam Mariam Majorem Anno Incarnationis Do-
minicae Millesimo octingentesimo trigesimo primo Nonis Augusti Pon-
tificatus Nostri Anno primo.
B. Card. Pacca Pro-Dat. — Th. Card. Bernettus.
Visa de Curia
D. Testa. V. Cugnonius.
Loco † plumbi.
legenheits- und Parteiſchriften beſteht, worin bald die Rechte der Kriegfüh-
renden, bald die der Neutralen vertheidigt ſind, iſt genauer nachgewieſen bei
v. Kamptz §. 257. Die früheſten Bemerkungen finden ſich bereits bei Alb.
Gentilis, de iure belli I, 21. ſodann bei Groot III, 1, 5. 9, 4. 17, 3. H.
Cocceji, de iure belli in amicos (Exerc. cur. II, p. 19.) bei Bynkershoeck
Quaest. j. publ. I, cap. 10 sq. Hiernächſt in den Streitſchriften, welche
ſich auf die Praxis Großbritanniens in den Seekriegen vor dem Pariſer und
Hubertsburger Frieden (1763.) bezogen, dargelegt im Discourse on the con-
duct of Great Britain in respect to neutral nations during the present
war. by Charles Jenkinson (nachherigem Lord Liverpool) Lond. 1757. (2
1794. 3 1801.); außerdem die bei v. Kamptz Nro. 17—21. erwähnten
Staats- und Privatſchriften, welche die Streitigkeit zwiſchen Großbritannien
und Preußen (im Jahre 1752.) betrafen; dann im Allgemeinen die ſchon
S. 231. angeführte Schrift des Spaniers D. Carlos Abreu von 1758., am
Meiſten die Schrift des Däniſchen Publiciſten Martin Hübner:
[257]§. 154. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
De la saisie des bâtimens neutres etc. à la Haye. 1759. (Deutſch
ebendaſ. 1789.)
für die Freiheit der Neutralen! (Ueb. ſ. Syſtem vgl. Wheaton hist. p. 159 s.)
Nachhall fand dieſes in Jo. Ehrenreich de Behmer † 1777. Observations
du droit de la nature et des gens touchant la capture et la détentions
des vaisseaux et effets neutres. Hamb. 1771. und lateiniſch im nov. ius
controv. — Noch lebhafter wurde indeß der Kampf während des Nordame-
ricaniſchen Befreiungskrieges. Hauptwerke aus dieſer Zeit ſind, im Geiſt der
bewaffneten Neutralität und darüber hinaus:
Ferd. Galiani dei doveri etc. (ſ. oben S. 243. Note 1.)
Lampredi del commercio dei popoli neutrali in tempo di guerra.
Fiorenza 1788. Franz. par Penchet, Par. 1802.
In Deutſchland:
Totze, la liberté de la navigation. Lond. et Amst. 1780.
Aus der Zeit der franzöſiſchen Revolutionskriege ſtammen:
de Steck, Essais sur div. sujets. 1799.
D. A. Azuni, sistema universale dei Principii del diritto marit. 1795.
Franz. 1805.
Büſch, über das Beſtreben der Völker n. Z. einander in ihrem Seehan-
del recht wehe zu thun. Hamb. 1800.
Prof. Schlegel: sur la visite des bâtimens neutres. Copenh. 1800.
und die Gegenſchriften der engliſchen Publiciſten Alex. Croke und
Rob. Ward.
Rayneval, de la liberté des mers. Par. 1801.
Jo. Nic. Tetens, Considérations sur les droits réciproques des puis-
sances belligérantes et des puissances neutres. Copenh. 1805. (zu-
erſt deutſch 1802.)
Jouffroy, le droit des gens maritime. 1806.
Zuletzt noch:
(Biedermann) Manuel diplomatique sur le dernier état de la con-
troverse concernant les droits des neutres. Leipz. 1814.
Vgl. wegen dieſer Literatur auch Jacobſen, Seerecht S. 521 f.
- J. J. Moſer, Einleitung zu den Canzleigeſchäften. Hanau 1750.
- Chr. v. Beck, Verſ. einer Staatspraxis und Canzleiübung aus der Politik
der Staaten und Völker. Wien 1754. ed. II. 1773. - Chriſt. Dan. Voß, Handb. der allg. Staatswiſſenſchaften Th. IV. Leipz.
1799. Staatsgeſchäftenlehre oder Staatspraxis. - Heinrich Benſen, Verſuch einer ſyſtem. Entw. der Lehre von den Staats-
geſchäften. Erlang. 1800. 1802. 2 Th. - Die Staatsgeſchäftenlehre in ihren allgem. Umriſſen. Wien 1814. 2 Th.
- Fr. C. Moſer, Verſuch einer Staatsgrammatik. Frankf. 1749.
Beſondere Schriften für die diplomatiſche Staatenpraxis:
- J. S. Sneedorf, essai d’un traité du style des cours. Goett. 1751. 8. n.
edit. par du Clos. Goett. 1776. - Ch. de Martens, manuel diplomatique. Par. 1822.
- Deſſelben Guide diplomatique.
- Meisel cours de style diplomatique t. I. II. Dresd. 1823.
- S. auch noch v. Kamptz N. Lit. §. 146.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bjh7.0