Critiſcher, Poetiſcher,
und anderer geiſtvollen
Schriften,
Zur Verbeſſerung
des Urtheiles und des Witzes
in den Wercken
der Wohlredenheit und der Poeſie.
Bey Conrad Orell und Comp.1743.
Verſuch
eines
Epiſchen
Gedichtes
von David dem Koͤnig
in Juda;
mit Vorrede und Anmerckungen
uͤber die Anlage deſſelben;
Nach den Begriffen der vornehmſten
Kunſtverſtaͤndigen.
[[4]][5]
Vorrede
Von der Tuͤchtigkeit der Geſchichte
Davids zu einem heroiſchen Gedichte.
EJn poetiſches Auge ſiehet in dem er-
ſten Anblicke, daß in der Geſchichte
Davids gantz wuͤrdige und bequeme
Materien enthalten ſind, ſolche erhabene,
groſſe und wunderbare Vorſtellungen daraus
zu verfertigen, welche in dem Epiſchen Ge-
dichte herrſchen ſollen, den Geiſt auf einen
hohen Grad der edelſten Neigungen und Em-
pfindungen zu erheben. Die Tugenden eines
Helden, die Großmuth, die Standhaftigkeit,
die Gottesforcht, fanden ſich in dem vor-
trefflichſten Maaſſe bey ihm; Er war mit dem
Geiſt des Herren angefuͤllet, er hatte die Gunſt
Gottes, der Himmel war in allen ſeinen Un-
ternehmungen mit ihm; er ward durch eine
Menge wunderbarer Begegniſſe von dem
Schaͤferſtande auf den Koͤniglichen Stuhl
in Juda und Jſrael erhoben; er war einer
von den Stamm-Vaͤtern, aus welchen der
Heiland der Welt gebohren werden ſollte.
Das Volck, welches er beherrſchete, war das
eigenthuͤmliche und erwehlte Volck Gottes,
A 3wel-
[6]Verſuch eines Gedichtes
welchem der Hoͤchſte ſeine Gegenwart auf eine
ausnehmende Art gegoͤnnet, und es gewuͤrdi-
get, daß er ſelbſt die Religion und die Policey
bey ihm eingerichtet, und ihre Sitten und
Geſetze verfaſſet hat.
Eine Materie aus der wahren Religion,
wie damahls die Juͤdiſche war, hat vor einem
Gedichte, das auf die Heidniſche Mytholo-
gie gegruͤndet iſt, den Vortheil der Wahr-
ſcheinlichkeit in ſeinen wunderbarſten Erdich-
tungen. Wo der Poet ſeine Zuflucht zu den
Gottheiten der Heiden nehmen muß, hoͤret
die Wahrſcheinlichkeit bey unſern Leſern alſo-
bald auf, weil ihnen nicht wahrſcheinlich vor-
kommen kan, was von ihnen nicht nur vor
falſch, ſondern vor unmoͤglich gehalten wird;
Nun iſt unmoͤglich, daß durch die Macht die-
ſer Goͤtzen, die ein eiteles Hirngeſpinſte ſind,
Dinge geſchehen, welche die Natur und das
Vermoͤgen der Menſchen uͤderſteigen. Hier-
zu koͤmmt, daß die wahre Religion eine an-
dere Hoheit, eine andere Wuͤrde, eine andere
Majeſtaͤt, ſo wohl in den himmliſchen und den
hoͤlliſchen Verſammlungen, als in den Wahr-
ſagungen und den feyerlichen Solennitaͤten mit
ſich fuͤhret, als die Heidniſche thun wuͤrde.
Die Hebraͤiſche hat in dieſen Stuͤcken, in den
Feſten, den Ceremonien, den Sitten, einen
ſolchen Pomp, mit welchem die Heidniſchen
Opfer-
[7]von David.
Opfer- und Feſt-Gebraͤuche in keine Verglei-
chung kommen.
Die Materie von der Geſchichte Davids
hat uͤberdieß den Vortheil, daß ſie durchge-
hends bekannt iſt, und die Gunſt der Leſenden
zum voraus hat. Wiewohl ſie von einem ſo
groſſen Alter iſt; wiewohl die Perſonen und
die Sitten von uns und unſern Sitten ſo weit
entfernet ſind, ſo ſind ſie uns doch nicht frem-
de; wir haben ſie in friſchem Gedaͤchtniß, und
ſind fuͤr ſie ſchon zuvor mit Ehrfurcht, Hoch-
achtung, Freundſchaft und Zuneigung einge-
nommen. Der Poet hat einen wichtigen Vor-
ſprung, der eine Materie erwehlt, welche ſchon
in ſich die Gunſt und die Liebe der Zuhoͤrer
hat.
Bey dieſen vortheilhaften Dingen erfordert
eben dieſe Materie eine groſſe Vorſichtigkeit,
daß der Poet mit der Anſtaͤndigkeit, und mit
der Majeſtaͤt rede, welche ihr gebuͤhrt und ei-
gen iſt. Der Mangel deſſen hat gemacht,
daß verſchiedene Gedichte, die auf die wahre
Religion gegruͤndet waren, mit allem Rechte
getadelt worden. Es iſt wider die Vernunft
und wider die Heiligkeit der Religion, daß
man ſich hieruͤber ſo viel Freyheit herausneh-
me, als Virgil genommen hat, da er von ſei-
ner Religion redet. Eine ſolche Materie will
deßwegen von einem Kopfe tractirt werden,
A 4der
[8]Verſuch eines Gedichtes
der die Mythologiſchen Hilffsmittel der al-
ten Poeten nicht noͤthig hat, ſeinen Geiſt zu
erhitzen, und ſeinen Talent aufzuwecken; der
die Poeſie, die Redensarten, und die Erfin-
dungen der Griechen und der Roͤmer ohne
Schaden entbehren kan.
Wen dieſe und dergleichen Betrachtungen
auf den Entſchluß gefuͤhrt haben, Hand an
dieſe Materie zu legen, der muß vor allen
Dingen bemuͤhet ſeyn, die Geſchichte Davids
dergeſtalt an eine eintzige Haupthandlung
zu binden, daß aus dieſer alle die uͤbrigen na-
tuͤrlich herausfallen; ſie muͤſſen mit derſelben
ſo genau verknuͤpft werden, daß man ſie vor
Theile derſelben anſehen muß. Dieſe Ein-
heit der Handlung wird nicht darum erfordert,
weil wir ſie im Homer finden, oder weil Ari-
ſtoteles ſie vorgeſchrieben hat, ſondern weil Ho-
mer, und Ariſtoteles aus ihm, erkennt haben,
und die Einſicht in die Natur des Menſchen
es ſo giebt, daß der Geiſt und das Gemuͤthe da-
durch beyſammen behalten, und vor Verwir-
rung und Kaltſinnigkeit bewahret, und weit tie-
fere Eindruͤcke gemachet werden. Sie ſchlieſ-
ſet die Mannigfaltigkeit der Begegniſſe und
Umſtaͤnde nicht aus, nur bedinget man, daß
dieſe der Einheit nicht im Lichte ſtehen, noch den
Zuſammenhang verdruͤßlich und verwirrt
machen. Dieſes erhaͤlt man, wann die Bege-
ben-
[9]von David.
benheiten in eine ſolche Ordnung geſetzt wer-
den, daß ſie ungezwungen aus einander her-
vor fallen, inſonderheit, wann ſie ſaͤmtlich an
eine Angelegenheit geknuͤpft ſind, welche be-
ſtaͤndig im Geſichte behalten wird. Ferner
wann eine Sache, eine Regung, eine Perſon
etliche mahl, und allemahl in einem verſchiede-
nen Lichte mit Vermeidung aller Widerho-
lung vorgeſtellet wird. Daher entſteht nun
eine wuͤrckungsreiche herrliche Einfalt.
Gravina, der es vor einen Eigenſinn der
Kunſtlehrer gehalten, daß ſie nur denjenigen
vor einen geſchickten Epiſchen Erzehler halten,
der wenig Sachen, ſo auf eins looslauffen,
nicht aber den, der viele und vortreffliche Sa-
chen erzehlt, muß nichtsdeſtoweniger geſte-
hen, daß er es
„auch ſelber vor die groͤſſe-
„ſte Kunſt halte, wenn man den Geiſt mit
„einem Wercke von einem wohl-eingetheilten
„Ebenmaaſſe angenehmer einnehmen und un-
„terhalten koͤnne, wo die Geſchichte ſich zwar
„in viele Begegniſſe ausbreitet, und dennoch
„auf eine einzige hinauslaͤuft, wie viele Li-
„nien, die in einem Mittelpuncten zuſam-
„menlauffen. Aber er fuͤget hinzu, er koͤn-
„ne nicht begreiffen, warum ein Poet, der
„wahrſcheinliche Dinge erzehlet, und mit le-
„bendigen Farben ſchildert, nur darum weil
„ſie ohne obige Kunſt auf eine andere Art
A 5„er-
[10]Verſuch eines Gedichtes
„erfunden und angeordnet ſind, nicht vor
„einen Epiſchen Poeten und Erzehler ſollte
„gehalten werden, zumahl, da die Sachen
„in der Natur auf ſehr verſchiedene Arten
„geſchehen koͤnnen, und eben darum vergoͤn-
„net ſeyn ſollte, ſie auch auf verſchiedene Art
„zu erfinden und zu erzehlen, entweder wie
„ſie an einem Bande und einer Angelegen-
„heit hangen, oder wie ſie vielfaͤltig unter-
„ſchieden, und in groſſer Anzahl ſind.„
Al-
lein, wenn der erſtere Weg der vortrefflichere
iſt, und hoͤhere Wuͤrckungen thut, mit was
vor Recht heißt er es einen Eigenſinn, wenn
wir demſelben den Vorzug vor dem andern
geben? Jſt es doch in der Natur des Men-
ſchen, daß er allemahl das erwehlet, was er
vor das beſte erkennet? Sollten wir dem Poe-
ten nicht dancken, der uns mit dieſer Menge
von gantz verſchiedenen Begegniſſen und Ge-
ſchichten verſchonet, die ohne Ende auf einan-
der gehaͤuffet, und oͤfters ſo in einander verſte-
ket werden, daß ſie lauter Verwirrung in dem
Geiſte verurſachen, das Gedaͤchtniß ohne
Noth belaͤſtigen, und denen, welche gerne das
Ende ſehen moͤchten, ſo ſehr mißfallen, daß
ſie ſolche uͤberhuͤpfen, damit ſie der Haupt-
Handlung nacheilen. Wir wollen dieſem
Kunſtrichter, wann er nichts weiters verlan-
get, gerne einraͤumen, daß ſeine zuſammenge-
rei-
[11]von David.
reigeten Geſchichten auch Epiſche Erzehlungen
ſeyn, aber nur im kleinen, maſſen eine jede
eine eigene Fabel ausmachet, und der Poet,
wann er mit einer fertig iſt, ſein Werck vol-
lendet hat, ſo daß er die Laͤnge des Epiſchen
Gedichtes nicht anders erhalten kan, als
wann er etliche derſelben hinter einander ſetzet,
welches ihm ſehr leicht iſt, geſtalt es nur in
ſeiner Willkuͤhr ſteht, zehne, zwantzig und noch
mehrere hinter einander zu ſchreiben, weil ihm
von der Kunſt kein Ziel vorgeſchrieben iſt, und
er eben ſo wenig an zwanzig, als an zehne ge-
bunden iſt. Aber die Eindruͤcke von allen
dieſen Erzehlungen werden um ſo viel ſchwaͤcher
ſeyn, als ſie verſchiedener, und von mehrern
Arten ſind. Wie viel gewiſſer und nach-
druͤcklicher trifft der Poet das menſchliche Ge-
muͤthe, der ſich keine Zwiſchengeſaͤnge, kei-
ne Neben-Handlungen erlaubt, welche nicht
nothwendige Theile der Haupt-Handlung
ſeyn; welche man mit deſto groͤſſerm Ver-
gnuͤgen lieſt, je weniger Muͤhe es uns koſtet,
ſie zu behalten, und wo das Hertz dem Affect
ſich um ſo viel leichter ergiebt, weil der Ver-
ſtand nicht beſchaͤfftiget iſt, die Umſtaͤnde, ſo
denſelben erreget haben, aus einander zu le-
ſen; endlich wo die Mannigfaltigkeit mit der
Einfaltigkeit verbunden iſt. Man hat dann kei-
ne Verwirrung zu befahren, welche das, was
uns
[12]Verſuch eines Gedichtes
uns ein Zeitvertreib ſeyn ſollte, zu einer Ar-
beit und einer Lection machen wuͤrde; Man
darf auch nicht fuͤrchten, daß man nur ſchwa-
che Eindruͤcke auf das Hertz thue, wie dieje-
nigen, die ſich beſtreben, verſchiedene und vie-
lerley Eindruͤcke zu machen.
Es iſt wahr, der andere Weg iſt viel leich-
ter, und es erfordert weniger Geiſt, zu ma-
chen, daß in viele und abgeſonderte Handlun-
gen eine Menge vielfaͤltiger Begebenheiten
kommen, man erkennet darinnen weder Kunſt
noch Geiſt des Poeten, und ein gemeiner Ge-
lehrter wird dieſes bald eben ſo gut zuwege
bringen, als ein ſcharfſinniger Kopf. Dieje-
nigen, welche ſich dergeſtalt mit einem Schatze
von Materien verſehen, thun es aus Miß-
trauen auf ihre eigene Kraͤfte, ſie muͤſſen ei-
nen Leib haben, auf welchen ſie ſich ſtuͤtzen
koͤnnen, und weil ſie nicht ſo viel eigenthuͤmli-
ches haben, daß ſie uns damit angenehm un-
terhalten koͤnnen, ſo wollen ſie, daß die Be-
gebenheiten und die Erzehlung uns ergetzen.
Minus illis ingenio laborandum fuit, in
cujus locum materia ſucceſſerat. Man
ſieht ſie halb huͤpfend und halb fliegend von
einer Erzehlung zur andern, wie von einem
Aſte zum andern flattern, wie ein Vogel, der
ſeinen Fluͤgeln noch nicht weiter, als auf eine
ſehr kurtze Zeit trauen darff, und alle drey
Schrit-
[13]von David.
Schritte ſich niederlaſſen muß, aus Furcht,
daß es ihm an Kraͤften fehle; excurſusque
breves tentat.
Wie dem ſeyn mag, ſo iſt die Kuͤhnheit
in einem ſchweren Unternehmen der Verzei-
hung werth, wann es ihr gleich nicht gluͤcket:
Jch habe darum kein Bedencken zu ſagen, wie
ich nach einigen geſchwinden Ueberlegungen die
Geſchichte Davids an den Mittelpunct ei-
ner kurtzen Handlung haͤngen wollte. Jch
wollte den Anfang von dem Feldzug des Koͤ-
nigs Achis von Gad wider den Koͤnig Saul
machen; als in welchem Saul umgekommen
iſt, und die lange Verfolgung und das Elend
Davids ein Ende erlanget hat, indem er erſt-
lich zum Koͤnig in Juda, und nicht lange her-
nach auch in Jſrael gekroͤnet worden. Man
muͤßte David in dieſem Kriegeszug einen be-
ſondern Antheil geben, welches auf den Hi-
ſtoriſchen Grund geſchehen koͤnnte, daß Achis
ihn mit ſich zu Felde nehmen wollen, und da
er dieſes ihm angezeiget, von ihm zur Antwort
bekommen, er werde ihn aus der That kennen
lernen. Auf dieſe fluͤchtigen Spuren koͤnnte
man erdichten, daß David mit Jonathan ein
Verſtaͤndniß gehabt, ihm die Philiſter in den
Gebuͤrges-Engen von Gilboa in einen Hinter-
halt zu liefern, welches aber ruckgaͤngig ge-
worden, weil die Fuͤrſten der Philiſter es ge-
rochen,
[14]Verſuch eines Gedichtes
rochen, und den David zuruͤck geſandt haͤtten.
Man wuͤrde weiter erdichten, der Herr haͤtte
dieſes alſo geleitet, theils damit David zu rech-
ter Zeit zuruͤcke waͤre, denen von Amaleck den
Raub von Menſchen und von Habe wieder abzu-
jagen, den ſie zu Ziklag erbeutet hatten; theils
damit Saul auf Gilboa erſchiagen, und Da-
vid auf ſeinen Stuhl erhoben wuͤrde. Die
Pluͤnderung Ziklags wuͤrde eine hertzruͤhren-
de Scene abgeben. Abners Abfall von dem
Hauſe Sauls, ſeine und Jsboſeths Ermor-
dung, muͤßten etwas naͤher zn dieſen Zeiten her-
bey gezogen, und in eine Verknuͤpfung damit
geſetzet werden. Was dem David vor dieſer Zeit
an Sauls Hofe, und in waͤhrendem Elende
begegnet, und die merckwuͤrdigſten Begeben-
heiten unter ſeiner Regierung muͤßten in der
Form von Zwiſchengeſaͤngen, bald kuͤrtzer,
bald mit mehrerm hin und wieder angebracht
werden; zum Exempel in Davids Unterredun-
gen mit Saul, mit Jonathan, mit Agis, mit
Abner, mit Joab, mit Michal, in geſchickt-
eingefuͤhrten Offenbarungen und dergleichen.
Jn allen dieſen Begegniſſen muͤßte beſtaͤndig
auf David geſehen werden, in jeder muͤßte
ein Stuͤck von ſeinem Character in einem eige-
nen Lichte gewieſen werden. Jch glaube nicht,
daß dieſe Begegniſſen dergeſtalt heilig und hoch-
wuͤrdig ſeyn, daß man, da man den Grund
der-
[15]von David.
derſelben behaͤlt, eine Gottloſigkeit begehe,
wenn man ſie in den kleinern Umſtaͤnden er-
gaͤntzet, vermehret, vermindert, oder ſonſt ver-
aͤndert. Nicht erlauben, dergleichen Sachen
darinnen zu veraͤndern, und alſo alles Erdich-
ten mit denſelben unterſagen, iſt ſo viel als
den Gebrauch dieſer Materien verbieten,
dann wer an die eintzigen abſonderlichen Um-
ſtaͤnde gebunden waͤre, welche davon in den
Buͤchern der Koͤnige von Juda und Jſrael auf-
geſchrieben ſind, der wuͤrde kein Poete, ſondern
ein Geſchichtſchreiber ſeyn. Was das Gedichte
von der Hiſtorie im Grunde unterſcheidet, iſt
dieſes, daß der Poet die Sachen betrachtet, nicht
wie ſie wuͤrcklich geſchehen ſind, ſondern wie ſie
haͤtten geſchehen koͤnnen, ſo daß er das Auge viel-
mehr auf das Wahrſcheinliche uͤberhaupt, als
auf das wuͤrckliche Wahre, das in einem beſon-
dern Falle begegnet iſt, richtet. Demnach
giebt er vor allen Dingen Acht, ob in ſeiner
Materie, etwann eine Begebenheit ſey, die
wofern ſie auf eine andere Art geſchehen ſeyn
wuͤrde, wahrſcheinlicher oder wunderbarer
ausgefallen waͤre, und aus dieſer oder einer
andern Urſache mehr Ergetzen mit ſich gebracht
haͤtte, und alle dieſe Begebenheiten, die zu
mehrerm Vergnuͤgen des Leſers auf eine ande-
re Art haͤtten begegnen koͤnnen, aͤndert und
verſetzet er ohne Scheue fuͤr das Wahre, oder
die
[16]Verſuch eines Gedichtes
die Hiſtorie, und ordnet die Zufaͤlle auf eine
Weiſe und in der Maſſe, wie es ihn am vor-
traͤglichſten duͤncket, indem er mit dem veraͤn-
derten Wahren das Erdichtete allerorten be-
gleitet. Doch will ich hiermit dem Poeten
kein Recht ertheilen, dieſe Freyheit ſo weit zu
mißbrauchen, daß er ein Unternehmen oder
eine Haupt-Handlung, die wichtig, und von
jedermann vor wahr bekannt und angenommen
ſind, gaͤntzlich umkehre, zum Exempel, daß
er Rom vor beſieget, und Carthago vor ſieg-
haft, ausgebe.
Jch koͤnnte mit leichter Muͤhe meine Ge-
waͤhrmaͤnner fuͤr dieſe Betrachtungen und Lehr-
ſaͤtze geben, (maſſen ich mir ſolche in den
verſtaͤndigſten Kunſtlehrern bemercket habe,)
wann ich ſie nicht mit ſo ſtarcken Gruͤnden be-
feſtiget hielte, daß es nicht noͤthig iſt, ſie mit
dem Anſehen vornehmer Nahmen zu bekraͤf-
tigen. Es iſt indeſſen offenbar, daß das Ge-
dichte von David, von welchem ich in folgen-
den Blaͤttern den Anfang liefere, nach andern
Lehrſaͤtzen, und einem andern Plane, als
der von mir gutgeheiſſene iſt, angeleget, und
angefangen worden. Jch habe dieſen Anfang
in dem vierten Theile der Liebes-Geſchichte
von der Roͤmiſchen Octavia angetroffen, wo
er als ein abſonderliches Werck einer Perſon,
die ſonſt in dieſem Roman keine Figur macht,
ein-
[17]von David.
eingetragen iſt. Vermuthlich iſt er von eben
dem Erfindungs-reichen Verfaſſer, welcher
die uͤbrigen Stuͤcke dieſes groſſen Romans
verfertiget, und die groͤſſeſte Kunſt darinnen
bewieſen hat, daß er die kurtzen Sinnen und
Gedaͤchtniß der Leſer durch zehnfach verwi-
kelte und in einander geſteckte Geſchichtes-Er-
zehlungen in eine ungeduldige Verzweifelung
ſetzet. Die Epiſodia ſtecken daſelbſt, nach
der Vorſtellung des Verfaſſers der Romanti-
ſchen Mythoſcopie, ſo enge in einander, wie
die Tunicæ oder Haͤutgen einer Zwiebel, oder
die ptolomeiſchen Sphaͤren, oder die Raͤder in
einem Uhrwercke. Wir werden die Spuren
von dieſem Geiſte der Verwickelung auch ſchon
in dieſem kleinen Anfang des Gedichtes von
David wahrnehmen. Dieſes und anders, wo-
von ich oben geredet habe, wird uns Anlaß
zu etlichen Anmerckungen geben, mit welchen
ich gedencke, des Leſers eigene Betrachtungen
uͤber die epiſche Art von Schriften hervorzu-
locken, und das iſt eine von den Haupt-Urſa-
chen, daß ich dieſes unreife und erſt halb-ge-
bohrne Stuͤcke von einem deutſchen epiſchen
Gedichte in dieſer Sammlung wieder aufgele-
get habe.
[[18]][19]
Die Geſchichte des Davids,
Koͤnigs in Juda.
Er
B 2
[20]Verſuch eines Gedichtes
Ja
[21]von David.
Es
B 3
[22]Verſuch eines Gedichtes
Saul
[23]von David.
B 4Und
[24]Verſuch eines Gedichtes
Drum
[25]von David.
B 5Ey!
[26]Verſuch eines Gedichtes
Sie
[27]von David.
Nichts
[28]Verſuch eines Gedichtes
Jſt
[29]von David.
Nicht,
[30]Verſuch eines Gedichtes
Den
[31]von David.
Wie
[32]Verſuch eines Gedichtes
Nach
14
[33]von David.
[Crit. Sam̃l. X. St.] CDieß
[34]Verſuch eines Gedichtes
Muſt
[35]von David.
C 2Die
[36]Verſuch eines Gedichtes
Er
[37]von David.
C 3Ja
[38]Verſuch eines Gedichtes
Die
[39]von David.
Zu
C 4
[40]Verſuch eines Gedichtes
Ob
[41]von David.
C 5Und
[42]Verſuch eines Gedichtes
Wann
[43]von David.
Was
[44]Verſuch eines Gedichtes
Ver-
[45]von David.
Und
[46]Verſuch eines Gedichtes
Drum
[47]von David.
Drauf
[48]Verſuch eines Gedichtes
Der
[49]von David.
[Crit. Sam̃l. X. St.] DUnd
[50]Verſuch eines Gedichtes
Wie
[51]von David.
D 2Noch
[52]Verſuch eines Gedichtes
Jch
[53]von David.
D 3Daß
[54]Verſuch eines Gedichtes
Wollt
[55]von David.
D 4Von
[56]Verſuch eines Gedichtes
Denckt
[57]von David.
Sich
D 5
[58]Verſuch eines Gedichtes
Der
[59]von David.
Die
[90[60]]Verſuch eines Gedichtes
Er
[61]von David.
Daß
[62]Verſuch eines Gedichtes
Jm-
[63]von David.
Da
[64]Verſuch eines Gedichtes
Das
[65]von David.
Das dritte Buch.
Das
26
[Crit. Sam̃l. X. St.] E
[66]Verſuch eines Gedichtes
Es
[67]von David.
E 2Den
[68]Verſuch eines Gedichtes
Die
[69]von David.
Jndeſ-
E 3
[70]Verſuch eines Gedichtes
Es
28
[71]von David.
E 4Zum
[72]Verſuch eines Gedichtes
Der
[73]von David.
E 5Ge-
[74]Verſuch eines Gedichtes
Der
[75]von David.
Haͤtt
[76]Verſuch eines Gedichtes
Nun
[77]von David.
An
[78]Verſuch eines Gedichtes
Als
[79]von David.
Er
[80]Verſuch eines Gedichtes
Die
[81]von David.
[Crit. Sam̃l. X. St.] FWo-
[82]Verſuch eines Gedichtes
Jſt
[83]von David.
Und
F 2
[84]Verſuch eines Gedichtes von David.
[85]
Des Herrn Vatry Gedancken von
den Choͤren in den Trauerſpielen.
DEr Hr. Abt Vatry, ein Mitglied der
Frantzoͤſiſchen Academie der Alterthuͤ-
mer und der Literatur, hat in einer ei-
genen Diſſertation gezeiget, daß das
Trauerſpiel in ſeinem Urſprunge nichts anders als ein
Hymnus zum Lobe des Bacchus geweſen, wo man
geſungen und getanzet; Als nachgehends die Ma-
terien, von welchen man Gelegenheit genommen,
dieſen Gott zu loben, erſchoͤpfet worden, haben die
Poeten ſich genoͤthiget geſehen, ihre Zuflucht zu
verſchiedenen Erfindungen zu nehmen, damit ſie
nicht allezeit einerley wieder aufwaͤrmen muͤßten.
Daher ſeyn die Epiſodia entſtanden, die wir heu-
tiges Tages Actus heiſſen; dieſe habe man durch
einen oder mehr Hiſtrionen zwiſchen zweyen ſol-
chen Lobgeſaͤngen oder Choͤren ſagen laſſen. Aus
dieſen Epiſodien oder Handlungen ſey nachmahls
der Coͤrper des Trauerſpiels geworden, und die
Choͤre ſeyn zulezt nichts weiter als ein Theil der-
ſelben geweſen, den man mit den andern auf eine
wahrſcheinliche Art habe zuſammen ordnen muͤſ-
ſen. Jndeſſen habe man dieſelben nicht bloß der
Gewohnheit zu gefallen behalten, ſondern wegen
der groſſen Vortheile, welche das Trauerſpiel daher
empfangen habe.
Dieſe Vortheile beſtuhnden nach Herrn Vatry
in folgenden Stuͤcken: Erſtlich dieneten ſie in das
Trauerfpiel mehr Ordnung und mehr Verſchie-
F 3den-
[86]Hrn. Vatry Gedancken
denheit zu bringen. Zweytens gaben ſie ihm eine
gewiſſe Pracht und Hoheit. Drittens vermehre-
ten ſie das pathetiſche Weſen in demſelben.
Sie brachten erſtlich mehr Ordnung in das
Trauerſpiel, indem ſie eine natuͤrliche Folge der
verſtaͤndigen Wahl der aufgefuͤhrten Handlung
und des Ortes der Scene waren, und uͤberdieß
den meiſten Regeln des Theaters zum Grunde die-
neten. Sie brachten mehr Verſchiedenheit in
daſſelbe, theils an Vorrath von Sachen, theils in
Anſehung der Vorſtellung. Bey den Alten war
der Platz der Scene allemahl ein oͤffentlicher Ort.
Die Zuſeher muͤſſen ſich einbilden koͤnnen, daß ſie
bey der Handlung gegenwaͤrtig ſeyn; und wie koͤn-
nen ſie ſich dieſes einbilden, wenn ſie ſich in einem
Cabinet begiebt? Ueber dieſes muß eine Handlung,
wann ſie mit genugſamer Wahrſcheinlichkeit auf
den Schauplatz gebracht werden ſoll, landkuͤndig
und lautbar ſeyn, ſie muß unter den Vornehm-
ſten des Staats begegnen, und von einer Natur
ſeyn, daß ein gantzes Volck ſich darum bekuͤmmert.
Daher folgt, daß ſie eine groſſe Anzahl Zeu-
gen, die ſich derſelben annehmen, an einen Ort
verſammeln muß. Dieſe Zeugen formieren den
Chor. Es waͤre nicht natuͤrlich, daß Leute, die
an der Handlung Antheil nehmen und ihren Aus-
gang mit Ungeduld erwarten, allezeit ohne ein Wort
zu ſagen da ſtuͤhnden; vielmehr erfodert die Ver-
nunft, daß ſie ſich von dem unterreden, was eben
dann vorgehet, was ſie zu hoffen, oder zu fuͤrch-
ten haben, ſo oft die Hauptperſonen von dem
Schauplatz abgetreten, und ihnen darzu Zeit und
Muſſe
[87]von den Choͤren.
Muſſe geben. Das iſt alſo die Materie und der
Jnnhalt der Geſaͤnge des Chors. Und dergeſtalt
entſpringt die Nothwendigkeit der Choͤre von der
verſtaͤndigen Wahl der theatraliſchen Handlung,
und des Ortes der Scene. Gleichwie man ſie
mit keiner Manier in ein Cabinet hinein fuͤhren
koͤnnte, alſo kan man ſie auf einem oͤffentlichen
Platze nicht ausſchlieſſen, und alſo bekommen der
Ort der Scene, die Handlung und der Chor, ei-
nes von dem andern eine Wahrſcheinlichkeit.
Man muß nur ein Trauerſpiel des Sophocles ſorg-
faͤltig unterſuchen, ſo wird man wahrnehmen, daß
die meiſten Grundregeln des Theaters eine natuͤr-
liche Folge der Choͤre ſind. Die Alten beobach-
ten die Einheit des Ortes beſtaͤndig; ſie hielten die-
ſe Regel vor ſo beſchaffen, daß ſie niemahls verle-
zet werden doͤrfte. Die Urſache deſſen iſt, weil
man die Wahrſcheinlichkeit lieber in denen Sachen
aus der Acht ſetzen muß, wo es noͤthig iſt, Saͤtze
und Schluͤſſe zu machen, wenn man ſie gewahr
werden ſoll, als in ſolchen Sachen, welche in die
Sinnen fallen, und einen aufmerckſamen Zuſeher
erſtes Anblickes argern. Man macht uns heu-
tiges Tages glauben, daß, was erſt ein Saal gewe-
ſen, einesmahls ein Garten geworden ſey, und man
verwandelt ohne Bedencken das Zimmer einer
Printzeßin in einen Tempel, oder einen oͤffentlichen
Platz. Die Choͤre hinderten die Alten, daß ſie
dieſen Fehler nicht begiengen. Dann da der Chor
ſchier niemahls von dem Schauplatze gieng, wann
er ihn einmahl betreten hatte, ſo waͤre es augen-
ſcheinlich laͤcherlich geweſen, wann man den Schau-
F 4platz
[88]Hrn. Vatry Gedancken
platz veraͤndert haͤtte, da die Perſonen, die ihn in-
nen gehabt, nicht von ihrem Platze gekommen waͤ-
ren. Die Choͤre dieneten auch die Dauer der
Handlung anzuzeigen: die Auffuͤhrung eines
Trauerſpieles daurete bey ihnen kaum eine laͤngere
Zeit, als man zu der geſpielten Handlung ſelber
noͤthig gehabt haͤtte. Dieſe Richtigkeit gab ihm
ein wahrſcheinliches Anſehen, das eine von ſeinen
groͤſſeſten Schoͤnheiten ausmachete.
Ueber dieſes hielten ſie den Zuſeher auf, ohne
daß ſie ihn muͤſſig ſtehen lieſſen, und ſie banden das
Ende eines Aufzuges mit dem Anfange des folgen-
den zuſammen, welches mehr bedeutet, als man
meynen moͤchte, maſſen dieſe Verbindung dienet,
die Einheit der Handlung zu bemercken. Unſere
fuͤnf Aufzuͤge, die von einander geſondert ſtehen,
formieren gewiſſermaſſen fuͤnf verſchiedene Stuͤcke,
die man nach einander ſpielt. Mit welcher Wahr-
ſcheinlichkeit begeben ſich uͤbrigens alle tragiſchen
Handlungen allemahl auf einerley Art, und ver-
ſchwinden die ſpielenden Perſonen ordentlicher
Weiſe, als wenn es abgeredet worden waͤre, vier-
mahl?
Es iſt leicht zu ſehen, was vor eine Mannigfal-
tigkeit die Choͤre in die Tragoͤdie brachten. Was vor
Mannigfaltigkeit kan in der That nicht eine Mu-
ſik mit ſich fuͤhren, welche ſich in alle die verſchie-
dene Gemuͤthesſtaͤnde, und alle die verſchiedene
Empfindungen ſchicket, die in einem geſchickten
Trauerſpiele vorkommen? ‒ ‒ ‒ ‒
Alleine, wendet man ein, es iſt nichts unnatuͤr-
lichers, als in eine ſo ernſtliche und ſo gravitaͤtiſche
Hand-
[89]von den Choͤren.
Handlung, als die Handlung eines Trauerſpie-
les ſeyn ſoll, Geſaͤnge, Lieder und Taͤntze zu un-
termiſchen? Jſts nicht laͤcherlich, daß man drohe,
klage, ſterbe, indem man ſingt; und daß ein Trupp
Leute, die von Furcht oder Schrecken eingenom-
men ſind, dieſe verſchiedenen Empfindungen mit-
telſt der Taͤntze an den Tag lege? Die alſo reden,
geben nicht recht Achtung auf die Natur des
Trauerſpieles, es iſt zwar eine Nachahmung ei-
ner ernſtlichen Handlung, aber es iſt nicht allein
eine Nachahmung, ſondern auch ein Gedichte,
und ein Gedichte, das ein Schauſpiel werden ſoll.
Als ein Gedichte ſchmuͤckt es ſich mit allem demje-
nigen aus, was am bequemſten iſt, die Phantaſie
zu entzuͤcken, und das Ohr zu bezaubern; als ein
Schauſpiel trachtet es vor allen andern den Augen
zu gefallen, und man muß ſich bißweilen von der
Wahrſcheinlichkeit ein wenig entfernen, damit man
deſto beſſer gefalle. Alsdann kan der Geiſt, der
durch einen maͤchtigern Reitz geblendet wird, nicht
wahrnehmen, daß man ihn betriegt, und uͤberlie-
fert ſich, ſo groß er iſt, dem Ergetzen, das man ihm
gewaͤhret. Aus dieſer Urſache raͤumt man dem
Wunderbaren in dem Epiſchen Gedichte einen
Platz ein; und aus dieſer Urſache hat die Fabel
ſelbſt, die von Wahrſcheinlichkeit entbloͤßt iſt, ſo
viel Annehmlichkeit. Die Nachahmungen, wel-
che am meiſten Aehnlichkeit mit den nachgemach-
ten Sachen haben, ſind nicht die vollkommenſten
Wercke der Kunſt; diejenigen, welche auf die voll-
kommenſte Art nachahmen, muͤſſen billig den Vor-
zug vor den andern bekommen. Eine Statue von
F 5Ertz
[90]Hrn. Vatry Gedancken
Ertz oder von Marmor wird bewundert, eine von
Wachs iſt fuͤrchterlich. Das Trauerſpiel ahmet
nicht allein durch die Rede nach, ſondern auch durch
die Toͤne und die Gebehrden. Die Muſik und
der Tantz muͤſſen in dieſen beyden Stuͤcken vorne
an ſtehen, und man kan ſagen, daß das Trauer-
ſpiel ohne ſie nicht vollkommen nachahme. ‒ ‒
Jn Wahrheit, wenn man die Muſik aus dem
Trauerſpiel verbannen muß, damit es deſto wahr-
ſcheinlicher werde, ſo ſollte man ihm auch den Vers
nehmen, denn es iſt nicht natuͤrlicher, in der Heftig-
keit einer Leidenſchaft in Verſen zu reden, als zu
ſingen. Aus derſelben Urſache wird man die Sta-
tuen mahlen muͤſſen, weil der bloſſe Stein die Na-
tur nicht zum genaueſten nachahmet, und die Far-
be des Fleiſches, der Haare, und der Kleidung
nicht ausdruͤckt.
Laſſet uns izo ſehen, auf was vor eine Art die
Choͤre dem Schauſpiel Pracht und Pomp mit-
theilen. Man bilde ſich einmahl vor, was vor ei-
ne Wuͤrckung dieſe groſſe Anzahl Actores von ver-
ſchiedenem Geſchlecht und Alter thun mußte, aus
welchen der Chor zuſammen geſetzet war. Jhre
Taͤntze, ihre Geſaͤnge, die Pracht ihrer Kleider,
mußten nothwendig die Pracht des Schauſpieles
auf eine wunderbare Art erheben. Eines von den
beſten Mitteln die Leute an ſich zu ziehen, und ſie
gleichſam zu bezaubern, ſind jederzeit die Muſik,
und die Ceremonien geweſen, und dieſe letztern ha-
ben ohne Zweifel die Alten unter dem allgemeinen
Nahmen der Taͤntze mit eingeſchloſſen.
Dieſe
[91]von den Choͤren.
Dieſe groſſe Anzahl Leute, die an der Hand-
lung Antheil nehmen, macht ſie noch erheblicher,
groͤſſer und ſcheinbarer: Man ſtreiche den Antheil,
den ein verſammeltes Volck an einer Handlung
nimmt, mit Worten heraus, man mache nach-
druͤckliche Beſchreibungen von ſeiner Furcht, oder
ſeiner Wuth; das thut es nicht, man wird davon
ganz anders eingenommen werden, wenn man es
ſelbſt auf den Schauplatz treten ſieht, wo es von
ſeinen Haͤuptern vorgeſtellt wird, und wenn man
ein Zeuge ſeiner verſchiedenen Bewegungen iſt.
Der Endzweck der dramatiſchen Gedichte iſt
unlaͤugbar die Unterrichtung des Volckes; nun
ſcheint es, der Chor ſey vordem zu dieſem Ende
auf eine abſonderliche Art gewiedmet geweſen.
Der Poet darf eine groſſe Anzahl Lebensregeln in
ſeinen Scenen nicht wagen, weil es mit der Wahr-
heit, ſo zu dem Geſpraͤche erfodert wird, ſchlechter-
dings ſtritte: Aber nichts hindert ihn, daß er nicht
in den Choͤren die erhabenſte Sittenlehre vortrage.
Man findet groſſe Schwierigkeiten vor ſich,
wenn man den Zuſeh[e]r von vielen Sachen benach-
richtigen will, die er wiſſen muß, und wenn man
machen ſoll, daß die Perſonen ſich vor ihm ihrer
verſchiedenen Gedancken halber auslaſſen; die
Monologi ſind faſt allemahl tadelhaft, wegen der
wenigen Wahrſcheinlichkeit, daß einer mit ſich
ſelbſt eine lange Rede fuͤhre; der Gebrauch, daß
man allemahl vertraute Perſonen zu den Haupt-
perſonen auffuͤhrt, iſt keiner von den geringſten
Maͤngeln unſers Theaters, ſie ſind insgemein in
dieſem oder jenem Stuͤcke laͤcherlich, aber vornehm-
lich,
[92]Hrn. Vatry Gedancken
lich, weil ſie unſer Trauerſpiel mit etwas haͤusli-
chem beflecken, das mit dem, was es ſeyn ſollte,
ſchlechterdings ſtreitet. Es ſollte nemlich ein Ge-
dicht ſeyn, das ſich beſtaͤndig mit Erdichtungen em-
por hebt, und wo alles mit einer hoͤhern und praͤch-
tigern Art zugehet, als in der wuͤrcklichen Natur.
Die Choͤre der Alten, die bey der Handlung be-
ſtaͤndig gegenwaͤrtig waren, damit ſie alle die Ein-
druͤcke empfiengen, welche die Reden und Begeg-
niſſen erwecken ſollten, und die gewiedmet waren,
zu hoͤren und zu fragen, loben, tadeln, rathen und
fragen alles das, was der Zuſeher ſelbſt fragen
wuͤrde, wenn es ihm erlaubt waͤre zu reden; mit
einem Worte ſie thun alles, was ein eifriger und
getreuer Freund thun ſollte, aber ſie thun dieſes
mit einer Art, welche ſich vor die Majeſtaͤt des
Theaters weit beſſer ſchicket.
Man wird einwenden, daß viele Sachen insge-
heim geredet und gethan werden muͤſſen, woraus
die ſchoͤnſten und anzuͤglichſten Scenen formiert
werden, und dieſer wuͤrde man ſich berauben, ſo-
bald der Ort der Scene ein oͤffentlicher Platz waͤ-
re, und man nichts als in Gegenwart vieler Zeu-
gen ſagen koͤnnte. Hr. Vatry antwortet, daß
dergleichen Scenen bey den Alten nicht ſo haͤuffig
ſeyn mußten, als ſie bey uns heut zu Tage ſind.
Jhre Tragoͤdie handelten nicht ſo ſehr von heimli-
chen Anſchlaͤgen, oder geheimen Comploten, als
von hohen Verrichtungen, die vor den Augen aller
Welt lagen. Ueber dieſes blieben die Choͤre nie-
mahls in der Gleichguͤltigkeit, ſondern fielen alle-
mahl einem Theile zu. Ille tegat commiſſa. Sie
hiel-
[93]von den Choͤren.
hielten ſich an eine von den vornehmſten Perſonen.
Jſt es nun etwas ungereimtes, daß die, deren der
Chor ſich annimmt, ihre Gemuths-Gedancken vor
ihm eroͤffnen? Es wird einem geſchickten Poeten
niemahls an Mitteln fehlen, ſeine Choͤre mit ſei-
ner Materie auf eine wahrſcheinliche Art zu ver-
binden; zumahl da das ſo viel waͤre, als nicht wiſ-
ſen, was das Theatrum iſt, wenn man auf dem-
ſelben eine ſo aberglaͤubige Sorgfalt fodern wollte,
die nichts geſtattete, was ſich nur zween Schritte
weit von dem gewoͤhnlichen Gebrauche entfernete.
Aber geſezt, es ſey ungemein ſchwer, die Choͤre
gluͤcklich anzubringen, das iſt kein genugſamer
Grund ſie zu verwerffen, wofern ſie ſonſt nothwen-
dig ſcheinen. Man hat Recht, von einem Poeten
zu fodern, daß er Wunderwercke thun ſolle.
Aber der trefflichſte Nutzen der Choͤre in dem
Trauerſpiele der Alten iſt unlaͤugbar das pathetiſche
Weſen, welches ſie verurſacheten. Jhre edle und
majeſtaͤtiſche Tragoͤdie entlehnte von der Morale
ihre ſchoͤnſten Lebensregeln, machte ſich ein Anſehen
mit der Religion, und putzete ſich mit ihren feyer-
lichſten Ceremonien. Und indem ſie alles zu ihrem
Vortheil anwendete, was die Poeſie vor Witz und
Anmuth hat, die Geiſter einzunehmen, und die Her-
zen zu ruͤhren, that ſie noch dazu, was immer die
Sinnen blenden kan; worbey ſie allezeit ihren
Hauptendzweck ſeyn ließ, einen Abſcheu vor dem
Laſter einzupflanzen, und aus dem Theater eine
Schule der Tugenden zu machen, und daſſelbe vor
eines der beſten Mittel zu gebrauchen, womit man
die Leute ihrer Pflichten erinnern, und ſie in den
Schrancken halten konnte.
Die
[94]Vatry Gedanken von den Choͤren.
Die Tragoͤdie, die dergeſtalt angeſehen wird,
hat ihre eigenen Leidenſchaften; alle ihre Vollkom-
menheit beſteht darinnen, daß ſie dieſe rechtſchaf-
fen in die Gemuͤther einpraͤge, und dazu dieneten
die Choͤre. Jedermann kennt die Macht der Muſik
und des Tantzes, und weiß aus eigener Erfahrung,
was vor Eindruͤcke ſie tuͤchtig ſind zu machen. Al-
ſo dieneten die Choͤre mittelſt dieſer beyden unge-
mein viel, die Leidenſchaften zu erregen. Es muͤſ-
ſen Intermedia ſeyn, aber darum muß man die Zu-
ſeher nicht erkalten laſſen; vielmehr muß man die
Leidenſchaften, die man einmahl rege gemacht, in
der Hoͤhe behalten und verſtaͤrcken. Nichts thut
dieſes beſſer als die Choͤre, die durch ihre Taͤntze
und Geſaͤnge die Geiſter mit Jdeen der Materie
gemaͤß anfuͤlleten, und dadurch den Empfindungen,
welche die Reden der Perſonen erreget hatten, eine
neue Staͤrcke mittheileten. Ueberdieß dieneten die
Choͤre die Leidenſchaften zu erregen, indem ſie den
Zuſehern andere Zuſeher, die ſtarck geruͤhret wa-
ren, vor Augen brachten. Es muß eben nicht ein
grauſamer oder ein jaͤmmerlicher Anblick ſeyn, der
uns Furcht oder Mitleiden einjagen ſoll; es iſt oͤf-
ters ſchon genug, daß wir jemand ſehen, der von
dieſen beyden Leidenſchaſten heftig eingenommen iſt,
wenn wir dieſelben ebenfalls empfinden ſollen.
Der Epiſche Poet muß ſich in
Acht nehmen, daß die Quantitaͤt
Materie, die er ſich vornimmt
abzuhandeln, nicht ſo groß ſey,
daß das Gedicht, wenn er nach-
gehends in der Ausfuͤhrung der
Fabel einige Zwiſchenfabeln
unterflechten, und die Sachen,
die in ihrer Natur einfaͤltig ſind,
auszieren und ausbilden will,
zu einer ungemeſſenen und
ungeheuren Groͤſſe anwachſe;
oder daß er, dieſes zu vermeiden,
genoͤthiget ſey, die Zierrathen
und die Ausbildungen der Poeſie
wegzulaſſen, die zu einem poeti-
ſchen Wercke erfodert werden,
und ſich bloß in den Schrancken
der einfaͤltigen Hiſtorie aufzuhal-
ten. Jn dieſe Gefahr begiebt ſich
ein Poet, der das gantze Leben ei-
nes Helden zur Materie ſeiner
Arbeit nimmt, denn da es an
groſſen und verſchiedenen Bege-
benheiten ſo reich iſt, muß das
Gedichte eine uͤbermaͤſſige Groͤſſe
bekommen, wann er eine jede von
dieſen Handlungen nach der
Pflicht eines Poeten mit ihren
Urſachen, Fortgang und Ende
ausfuͤhren, und darbey die Zier-
rathen der Poeſie anbringen will.
Und wie wird in dieſem Fall das
Gedaͤchtniß zureichen moͤgen,
daß es alle dieſe mannigfaltigen
Dinge, wie ſie in ihrem verſteck-
ten Zuſammenhange vereiniget
ſind, behalten koͤnne, ohne ſich
zu verirren?
Dieſer lange Lobſpruch ſtuͤhnde
in einem Lob-Gedichte gut genug;
aber in einem epiſchen Gedichte
iſt er faſt an jedem Orte uͤberfluͤſ-
ſig, weil daſelbſt der Charaeter
des Helden nicht durch Zuͤge der
Worte und Beſchreibungen, ſon-
dern durch Handlungen im Unter-
nehmen und Ausfuͤhren beruͤhm-
ter Thaten vorgeſtellt werden
muß. Der Poet muß uns frey-
lich gleich Anfangs die Haupt-
Perſon, mit welcher er unſern
Geiſt beſchaͤftigen, und unſer
Hertz einnehmen will, anzeigen,
aber zu dieſem Ende muß er die-
ſelbe in eigner Perſon auftre-
ten, und ſich mit Empfindungen,
Reden und Thaten bey uns in
Gunſt ſetzen laſſen; ſie muß von
ihm bey Zeiten in wichtigen Um-
ſtaͤnden und einer hohen Ge-
muͤths-Verfaſſung nicht beſchrie-
ben, ſondern vor Augen geſtellt
werden. Jn dem Vortrage des
Gedichtes iſt darum ein characte-
riſierender Lobſpruch unnuͤtzlich
und unnoͤthig, weil wir dieſen
ſchon in den folgenden Handlun-
gen mit lebendigen und redenden
Farben antreffen werden. Da
erfordert die Sache ſelbſt nichts
mehrers, als daß das Vorhaben
des Poeten, nemlich die Haupt-
Handlung, die er beſingen will,
nach ihrem vornehmſten Geſich-
tespunct nachdruͤcklich und ein-
faͤltig angezeiget werde. Homer
hat mit groſſer Einfalt geſagt:
Muſe ſinge den verderblichen Un-
willen des Achilles, welcher den
Griechen ſo viel Schaden und Un-
gluͤck zugefuͤget, und ſo manchen
dapfern Held vor der Zeit dem
Pluto zugeſchickt, und ihre Leiber
den Hunden und den Voͤgeln des
Himmels zur Speiſe vorgeworf-
fen. Cowley der ſich, wie unſer
Poet, vorgenommen hatte, den
gantzen Lebenslauf Davids zu
beſingen, hat den Jnhalt ſeiner
Davideis mit mehrern Worten,
und mit viel untermiſchten Lob-
reden folgendergeſtalt vorgetra-
gen: Jch ſinge den Mann, der
das Scepter von Juda in der rech-
ten Hand getragen, welche zu-
vor den Hirtenſtab gefuͤhrt hat-
te, der aus dem beſten Poeten der
beſte Koͤnig geworden; welches
die zwo vornehmſten Gaben des
Himmels ſind; Aber vorher hat-
te er viel Gefaͤhrlichkeiten und viel
Arbeit auszuſtehen; indem Saul
und die Hoͤlle ſeinem maͤchtigen
Schickſal vergeblich den Weg ver-
ſchraͤncketen. Auch ſeine Krone
gab ihm eben ſo ſchwere Arbeit,
uͤbte ſeine Geduld und ſein
Schwerdt eben ſo ſehr, ſo lange
als die boßhafte Fortun ihren Be-
zwinger verfolgete, biß daß er mit
unermuͤdeter Tugend alle Boß-
heit zu Hauſe und allen Trutz der
Fremden beſiegete; Jhre Staͤrcke
beſtuhnd auf Armeen, ſeine auf
dem Herrn der Heerzeuge.
Andere Poeten trachten mit
allem Fleiſſe die Leſer von ihren
eigenen Perſonen zu entfernen,
und ihnen weiß zu machen, daß
ihre Wercke von weit hoͤhern und
ſelbſt Goͤttlichen Perſonen ver-
fertiget worden, und ſie nur die
Abſchreiber derſelben geweſen
ſeyn. Unſer Poet hat kein Be-
dencken, ſich vor den Verfaſſer
anzugeben, und den Beyſtand
der Muſe zu verachten.
Eine ſolche Beſcheidenheit iſt
bey den Poeten nicht gewoͤhnlich.
Sie ſind vielmehr gewohnt ſich
uͤber den Rang der gemeinen
Menſchen mit der Hoheit ihrer
Gedancken, und ihrer Ausdruͤcke
hinaufzuſetzen. Sie geben ſich
vor begeiſtert, und ihre Wercke
vor die Arbeit himmliſcher Per-
ſonen aus, ſie fuͤhren eine eigene
Sprache, ſie haben ein eigenes
Tonmaß und dergleichen. Sie
doͤrffen darum auch deſto vorneh-
mer von ihren Gedichten reden,
weil der Ruhm, den ſie ihnen bey-
legen, nicht ihr eigen, ſondern der-
jenigen iſt, von welchen ſie ihre
Einfaͤlle empfangen haben. Un-
ſer Poet hat ſich dieſer poetiſchen
Vorrechte begeben, indem er ſich
vor einen ordentlichen Menſchen
ausgibt, der mit uns geradezu
gehen will, und uns mit den zau-
beriſchen Kunſtſtuͤcken der Poe-
ſie nicht zu taͤuſchen begehrt. Die
geringe Hofnung, die er damit zu
hohen Vorſtellungen machet, gibt
ihm nun zwar den Vortheil, daß
Cowley hat ſeine Davideis
von einem weit ſpaͤthern Zeit-
puncten angefangen; nemlich
da Saul nach einer Verſoͤhnung
mit David in die vorige Wuth
verfaͤllt, und einen Wurfpfeil
nach ihm ſchießt, mit dem er ihn
zwar verfehlet, aber, nachdem er
in ſein Hauß entflohen, ihn da-
ſelbſt durch ſeine Trabanten auf-
ſuchen laͤßt, und als er durch die
Liſt der Michal auch da entwiſcht,
weiter verfolget, bis er in das
Land Moab gefluͤchtet. Er be-
ſchreibt dieſes nicht ohne das
Miniſterium Deorum, indem
er die Hoͤlle aufſchließt, und
die Teufel darinnen auffuͤhrt, ſich
wider David zu verbinden, dann
den Himmel eroͤffnet, und eine
Goͤttliche Geſandſchaft zu Davids
Schutze nach der Erde ſchickt.
wartet, und fodern kan, aber da-
mit iſt der Nachtheil verknuͤpfet,
daß das Gemuͤthe der Leſenden
nur ſchwaͤchlich und langſam aus
ſeiner Kaltſinnigkeit geſetzet und
angefeuret wird.
Dieſe Ueberlegungen ſind weit
lebhafter, wie ſie v. 158. u. folg.
Saul ſelber in den Mund gelegt
werden; wo er ſagt:
Was kan ich ohne Gott? Gott ſagte mir ſonſt fuͤr ꝛc.
Hier waͤre genug geweſen, es mit zweyen Worten anzudeuten.
Dieſe beyden Zeilen geben ſo
viel von Davids Schoͤnheit zu ge-
dencken, daß man ohne Abbruch
des Begriffes etliche von den vor-
hergehenden Zeilen haͤtte weglaſ-
ſen koͤnnen.
Die lange Erzehlung ſcheinet
mir eben ſo lange, als die lange
Berathſchlagung uͤber eine Sa-
che von dieſer Natur.
Dieſer Abſchied hat ſeine
Schoͤnheiten, indem er die Liebe
der Thalmais und den Helden-
muth Jonathans in ſehr kleinen,
aber wohl-erfundenen Umſtaͤnden
geſchickt ausdruͤckt. Solche ſind:
Daher verſchwieg ſie nur ꝛc.
Und was ihr Herz beweint ꝛc.
Er ſchaut ſie lieblich an, ꝛc.
Jn Opitzen Zlatna und dem
Lobe des Feld-Lebens wuͤrde dieſe
Beſchreibung der Land-Ruhe
trefflich gut ſtehen; ich will ſie
auch in dem Epiſchen Gedichte
nicht verwerffen, wann ſie in ein
paar Zeilen gebracht wird, und
keinen Theil der Haupt-Hand-
lung ausmachet; dieſe muß nach
der Natur des Epiſchen Gedich-
tes edel und erhaben ſeyn. Jch
verſtehe eine Erhabenheit, die in
den Unternehmungen einer krie-
geriſchen Dapferkeit, in ausneh-
menden Thaten der Großmuth,
der Liebe zum Vaterland, zur Re-
ligion, der Klugheit in Staats-
Sachen, der Hoͤflichkeit und der-
gleichen beſteht. Wer ſich vorge-
nommen hat den Lebens-Lauf ei-
nes Helden zu beſchreiben, wird
nothwendig eine Menge ſchlech-
terer und unwuͤrdiger Tha-
ten darinnen antreffen, welche
die Hoheit des Epiſchen Gedich-
tes unterbrechen, allermaſſen die
Menſchlichkeit nicht zulaͤßt, daß
ein Held durch eine lebenslange
Folge und Reihe von groſſen und
erhabenen Umſtaͤnden und Hand-
lungen fortgefuͤhrt werde.
Jn dieſen Gedancken wird uns
gar tief in das Hertz Davids hin-
ein zu ſehen geſtattet, und ſie ſind
ſo beſchaffen, daß wir nothwendig
eine groſſe Hochachtung fuͤr ſeine
Gottesfurcht und ſeine Aufrich-
tigkeit empfangen. Die Vor-
ſtellungen ſind ſehr nachdruͤklich:
Sein Herze fragt ihn ſtets:
Sag an, was macheſt du?
Nicht daß ſein hoher Muth
wollt zu regieren ſcheuen ꝛc.
Was bin ich mehr als Saul,
ꝛc. Was ſoll mir dann die
Kron ꝛc.
Der Poet verlaͤßt David in den
kleinſten Umſtaͤnden nicht, er fol-
get ihm zu ſeiner Heerde, hilft
ihm nicht allein den Baͤren, und
den Loͤwen uͤberwinden, ſondern
decket ihn noch mit einem Bette
in einer verſchloſſenen Hoͤhle,
welche er von einem treuen Schaͤ-
durch verbindet er in der That
den aufmerckſamen Leſer an die
Perſon ſeines Helden. Er hat
wohl gewußt, daß die Sachen
den Leſer nicht ruͤhren, wann ſie
nicht umſtaͤndlich ausgebildet
werden. Aber wenn er ſich vorge-
nommen hat, der Perſon Davids ſo
genau zu folgen, und alle ſchoͤnen
Stellen ſo umſtaͤndlich vorzuſtel-
len, ſo hat er eine kuͤrtzere Mate-
rte, und nicht einen Lebens-Lauf
vor ſich nehmen ſollen. So muß
er nothwendig das Maaß eines
vernuͤnftigen Werks uͤberſchreitẽ.
Wenn nicht nur David, ſon-
dern auch ſeine Freunde und Ver-
traute in ſo kleinen Umſtaͤnden ſo
weitlaͤufftig aufgefuͤhrt werden,
wie in dieſer Unterredung und
der Fortſetzung derſelben, dieſe
Frauens-Perſonen, ſo wird das
ſchwache Gedaͤchtniß unter der
groſſen Anzahl Dinge, Beſchrei-
bungen und Vorſtellungen erli-
gen, ehe wir David noch auf
dem Throne Sauls werden zu ſe-
hen bekommen. Sonſt ſind der-
gleichen kleine Umſtaͤnde und Ge-
ſpraͤche an ſich ſelbſt gantz beque-
me die Gemuͤther mit Lebhaftig-
keit und Eindruck zu offenbaren.
Man muß nur darauf ſehen, daß
ſie mit den Haupt-Theilen des
Gedichtes in einem gehoͤrigen
Maſſe Verhaͤltniſſes ſtehen, und
der Majeſtaͤt des Jnhalts nicht
nachtheilig werden.
Die Stellung, in welche Da-
vid geſetzt worden, die Reden die-
ſer Frauensperſonen, an wel-
chen er ſo groſſen Antheil hat, ih-
nen unwiſſend mit anzuhoͤren,
iſt romanhaft, und zu artig fuͤr
die Hoheit des heroiſchen Gedich-
tes. Eine lange Liebesverwirrung,
die in dem Verfolge kommen
ſoll, wird dadurch vorbereitet.
Der Herr Pope hat die Gedan-
ken gehabt, daß in dem heroi-
ſchen Gedichte und dem Trauer-
ſpiele keine Liebesſachen Platz
haben. Er hat geglaubt, daß al-
le zaͤrtlichen Empfindungen, und
alles, was der Liebestaͤndeley
gleich ſieht, ſich mit den erhabe-
nen und heftigen Bewegungen,
womit dieſe Gedichte angefuͤllet
ſind, uͤbel reimen. Er meinte,
man koͤnnte, was die Liebe betraͤf-
fe, ſich an dem begnuͤgen, was
man davon in der Comoͤdie, der
Elegie und der Ode vor ſich fin-
det. Der Hr. la Motte hat zwar
die Liebe in den Trauerſpielen
vertheidigen wollen, aber keinen
beſſern Grund zu ihrer Rechtfer-
tigung vorgebracht, als daß man
dem Frauenzimmer ſich damit ge-
faͤllig machen muͤſſe, weil dieſes
faſt die einzige Regung ſey, um
welche ſich die Leute von dem
ſchoͤnern Geſchlechte annehmen.
Wenn wir dennoch betrachten,
daß die wahre Liebe eine Schwach-
heit iſt, die einen Menſchen viel-
mehr demuͤthig als groß machen
kan, und ihm nur allzu gerne
etwas laͤcherliches anhaͤnget, ſo
werden wir ſie aus ernſthaften
und großmuͤthigen Gedichten
heraus wuͤnſchen, ſo oft ſie nicht
mit einer groſſen Vorſichtigkeit
eingefuͤhrt, und nicht von andern
edlern Regungen, ſo ſich damit
vereinigen, erhoͤhet und geadelt
wird.
Dieſes lange Epiſodium haͤngt
mit dem duͤnneſten Faden an der
Geſchichte Davids, nemlich weil
er in der Zeit, da es erzehlet
ward, ungefehr und ungeſehen
in einem Winckel ſtuhnd, wo er
die Erzehlung anhoͤren konnte.
Der Jnnhalt deſſelben iſt uͤber-
haupt comiſch, anſtatt daß er he-
roiſch ſollte ſeyn. Er gehet Da-
vid nicht weiter an, als daß er ſei-
ne romantiſche Qual und Ver-
wirrung vermehren muß. Sehet
V. 1248. und folg.
Er fuͤhret auch weiter kein Licht
in ſeine Geſchichte, als daß wir
zufaͤlligerweiſe einige Nachrich-
ten von dem Zuſtande der vori-
gen Zeiten, und des Regiments
in Jſrael daraus ſchoͤpfen moͤgen;
welche uns in zehn Zeilen eben
ſo vollkommen haͤtten erzehlt
werden koͤnnen. Alſo werden
wir um ſo viele Zeilen, als die-
ſer Zwiſchengeſang hat, ohne
Noth von der Geſchichte ver-
ſchmiſſen, und in unſerm Ver-
langen nach dem Fortgange der-
ſelben betrogen. Das erhitzteſte
Gemuͤthe wuͤrde in einem ſolchen
und ſo gleichguͤltigen Zwiſchen-
geſange wieder erkalten.
Von dieſer Verliebung des
Joels hat die wahre Geſchichte
nicht ein Wort. Der Poet hat
ſie in dieſelbe auf die bloſſe Nach-
richt von Joels ungerechtem Ge-
richte und verderbtem Hertzen
eingeſchoben. Er iſt dazu in ſo
weit berechtiget geweſen, als ein
Poet alle Urſachen der Begegniſſe
erklaͤren muß, welche zu dem Ge-
webe ſeiner Materie gehoͤren,
daher man ihn Meiſter daruͤber
laffen, und von ihm nicht fodern
muß, daß er die Sachen ſage, wie
ſie wuͤrcklich geweſen, wann er ſie
nur ſagt wie ſie ſeyn koͤnten oder
ſollten, und deßfalls die Wahr-
ſcheinlichkeit und die Nothwen-
digkeit in Obacht nimmt. Der
Fehler iſt, daß uns die Perſon
Joels gantz gleichguͤltig iſt, zu-
mahl da ſeine Geſchicht den Da-
vid nichts angehet, den Lauf des
Gedichtes hemmet, und den Ein-
druck zerſtreuet.
Dieſe Umſchreibung leget ihr
der Poet um ſeiner Abſicht willen
in den Mund; nemlich weil er
David in der Ungewißheit und
Verwirrung haben wollte, welche
von beyden, die Merob oder die
Michal, ihn liebete.
Folgende umſtaͤndliche Be-
ſchreibung iſt wieder ein anmu-
thiges Stuͤcke von einem Schaͤ-
fergedichte.
Dieſer moraliſche Lehrſatz haͤtte
eine ungleich groͤſſere Lebhaftig-
keit erhalten, wann er als eine
Folge und Frucht der Liebe Mi-
chals zu dem Schaͤfer David ein-
gefuͤhrt worden waͤre, indem nem-
lich Michal alles das vor ange-
nehm und liebenswuͤrdig angeſe-
hen, was mit ihrem Geliebten ei-
nige Verwandſchaft hatte; und
ihre Ausſpruͤche nach der Vor-
ſchrift ihrer Leidenſchaft gegeben.
So wie dieſer Satz hier ange-
bracht iſt, hat er ein allzu dogma-
tiſches Ausſehen.
Dieſe Ungewißheit Davids macht
ihn in unſern Augen vielmehr
ſchwach und halb laͤcherlich als
groß; ſie iſt gar nicht bequem,
unſere Hochachtung fuͤr ihn zu
vermehren. Er liebet und weiß
nicht wen; er liebet mit groſſer
Treue an zweyen Orten zugleich:
Jn den Comoͤdien werden die
verliebten Marquiſe ſo ſchnelle
V. 570. 571.
und mit ſolcher Ungewißheit ent-
zuͤcket.
Mit dieſem Verſe wird das er-
ſte Buch, eh es vollendet iſt, ab-
gebrochen, es ſey, daß der Ver-
faſſer der Octavia ſolches mit
Vorſatz an dem Orte abgeſchnit-
ten, wo die Begierde groß gewe-
ſen war, zu vernehmen, wie Da-
vid ſeine rechte Liebſte moͤgte ge-
funden haben, oder daß wircklich
nicht ein mehrers von dieſem er-
Wir haͤtten in dem zweyten B.
zu vernehmen gehabt, wie die Phi-
liſter ſich zu Damin gelagert, wie
der rieſenmaͤſſige Goliath vor ihr
Lager heraus getreten, und die
Jſraeliten zum Kampf gefodert;
wie David in das Lager Jſraels
gekommen, und Saul um Er-
laubniß gebeten, daß er den
Kampf mit Goliath aufnehmen
doͤrfte. Hier haͤtten verſchiede-
ne Neden Davids, Sauls und Go-
liaths eingeruͤckt werden koͤnnen.
Darauf waͤre der Kampf, und die
Niederlage Goliaths und der Phi-
liſter beſchrieben worden. Cowley
hat dieſe Dinge in ſeinem dritten
Buch erzehlet, wo er ſie dem Joab
in den Mund leget, der dem Koͤnig
von Moab die Geſchichte Davids
bis zu der Zeit erzehlet, da Michal
Sauls Trabanten mit dem hoͤl-
zernen Bilde, das ſie ihnen in
Davids Bette vor ihn gewieſen,
geaͤffet, und ihm auf die Flucht
geholfen hat.
Romanſchreiber haben es oͤfters
im Gebrauche, daß ſie die Begier-
de des Leſers auf dem hoͤchſten
Grad erwecken, und wann ſie das
erhalten haben, ſeiner ſpotten,
oder ihn doch ein paar Baͤnde auf
die Aufloͤſung harren laſſen. Das
iſt gewiß, daß der Leſer in dieſem
erſten B. nicht vernommen haͤt-
te, auf welche Art, oder durch
welchen Zufall David die gefun-
den, die ihn liebete, und die er
ſich ſo kuͤnſtlich vorbereitet zu lie-
ben; allermaſſen er im dritten
B. deßwegen noch in der Unge-
wißheit ſtehet:
Er ſtehet bey ſich an, wer ihn von beyden liebet.
V. 436.
Wann ich muthmaſſen darf, ſo
haͤtten wir in dieſem Ausgange
des erſten Buchs nur noch zu ver-
nehmen gehabt, daß der alte Jſai
nach David geſchickt, damit er ihn
mit Speiſe fuͤr ſeine Bruͤder in
das Lager ſendete. Davids freu-
diges Verlangen dieſem Befehl
zu folgen, der ihm Gelegenheit
gab, das Feldlager Jſraels und
ſeine Helden zu betrachten, haͤtte
dabey ausgedruͤckt werden koͤñen.
Einige kuͤhne Worte, welche ihm
ſein entſchloſſenes Hertz und groß-
muͤthige Empfindungen mochten
auf die Zunge geworffen haben,
wuͤrden Michal in eine furchtſame
Unruhe geſetzt, und dem Poeten
Gelegenheit gegeben haben, ſeine
gewoͤhnliche Geſchicklichkeit mit-
telſt einer ſolchen Verfaſſung
der Gebaͤhrden und der Reden
dieſer Printzeßin zu erweiſen, daß
ihre Liebe dem David noch gantz
zweydeutig geblieben waͤre.
Jn dieſem dritten Buche wird
der triumphierende Einzug Sauls
beſchrieben. Der Poet ent-
decket darinnen einen ſo groſſen
Pracht und Reichtum an Waffen,
Kleidern, Ruͤſtungen, mit Beute
beladenen Waͤgen, ꝛc. als er ſelbſt
an Ausdruͤcken, mahleriſchen
Beſchreibungen beſitzet, wovon
wir etliche treffliche Exempel vor
Augen legen koͤnnten, wann es
unſer gegenwaͤrtiges Vorhaben
erheiſchete. Wir bitten hier viel-
mehr anzumercken, daß aller die-
ſer Pracht und Pomp, in den Sa-
chen und der Redensart, nur un-
belebt und ziemlich kalt geblieben
waͤre, wenn der Poet die Kunſt
nicht gehabt haͤtte, ihm durch die
Einmiſchung verſchiedener Lei-
denſchaften, Leben und Regung
mitzutheilen. Er iſt ſorgfaͤltig
eine jede von ſeinen Perſonen in
einer abſonderlichen Regung vor-
zuſtellen, wovon er uns umſtaͤnd-
liche Nachrichten giebt. Jona-
thans freundſchaftliches Vergnuͤ-
gen bey Davids Ruhm; der
Merob mißvergnuͤgte Liebe zu
Adriel; der Michal Zaͤrtlichkeit,
die mit Unruhe, Furcht und Eifer-
ſucht abwechſelt; Sauls Zufrie-
denheit mit ſeinem Siege, und
hernach entſtehender Eiferneid
gegen David; Davids Ungewiß-
heit, wen er lieben ſollte, u. heim-
licher Zug nach der Michal; das
ſind die Affecten, mit welchen der
Dichter ſeine Beſchreibung leb-
loſer, obgleich gantz praͤchtiger
Dinge gleichſam belebet und be-
ſeelet hat. Der Fehler iſt, daß
einige von dieſen Affecten nicht
edler und heroiſcher ſind, ſo daß
auch dieſes dritte Buch die Hoheit
nicht hat, die man in dem epiſchen
Gedichte mit allem Rechte ver-
langet.
So traurig ich auch bin, doch euer beyder lachen.)
Weil der Poet es hier ſelbſt
durch die Thalmais bekennen
laͤßt, daß die Liebe eine laͤcherli-
che Neigung ſey, ſo wundert uns
deſto mehr, daß er ihr in einem
Gedichte, wo nur die erhabenſten
Empfindungen und Hertzensge-
dancken herrſchen ſollen, ſo viel
Platz eingeraͤumt hat. Wenn er
nicht in dem Vortrage ſeines
Vorhabens geſagt haͤtte, daß er
die hohen Wercke und den Lebens-
lauf Davids beſingen wollte, ſo
koͤnnte ich glauben, er haͤtte nichts
anders im Willen gehabt, als Da-
vids Vermaͤhlung mit der Michal
zu ſingen; und dieſes haͤtte er
der Natur dieſer Materie gemaͤß
nicht in einem heroiſchen Gedich-
te, ſondern bloß in einem ver-
miſchten heroiſch-comiſchen thun
wollen. Mit dieſer Abſicht waͤre
denn geſchickt zuſammengehan-
gen, daß er in dem erſten B.
die drey Printzeßinnen in Davids
Hoͤle gebracht, in dem zweyten
den Sieg uͤber Goliath beſchrie-
ben, welcher ihm ein Recht auf
Sauls Tochter erworben, und in
dem dritten alle die Liebes-Sym-
ptomata aus einander geſetzt, wel-
che bey der Michal und der Merob
entſtanden. Auch die Geſchichte
von Adriel im zweyten B. waͤ-
re dann deſto weniger uͤberfluͤßig,
weil ſie uns mit Merobs Hertzen
bekannt machete, die ihr Vater
erſtlich dem David vermaͤhlen
wollte. Jn dieſem Falle haͤtten
wir nicht zu befuͤrchten, daß das
Gedichte zu einer uͤbermaͤſſigen
und das Gedaͤchtniß betaͤubenden
Laͤnge angewachſen waͤre, denn
dem Poeten waͤre izo nichts wei-
ters uͤbrig geblieben, als das
Raͤthſel von der Merob und der
Michal Liebe aufzuloͤſen, u. die er-
ſtere dem Adriel vermaͤhlen zu
laſſen, welches zwar nach Sauls
Vorhaben dem David leid thun
ſollen, aber in der That zu Be-
foͤrderung der Liebe Michals ge-
dienet haͤtte, welche nun nichts
weiter gehindert, als daß David
die von Saul ihm auferlegte Mor-
gengabe von hundert Vorhaͤuten
eroberte. Jn drey oder vier Buͤ-
chern haͤtte dieſes alles ausge-
fuͤhrt werden koͤnnen, wann der
Poet gleich die Weitlaͤuffigkeit
haͤtte gebrauchen wollen, mit wel-
cher er angefangen hat.
Jch wo nicht gar entdeckt, doch nah gekommen bin.)
Jch habe von der Sprache und
dem Sylbenmaſſe dieſes Gedich-
tes nichts geſagt, weil das nicht
zu meinem Vorhaben gehoͤrete.
Dieſes erſtreckete ſich nicht wei-
ter, als auf die Abſicht, die Er-
findungen, die Anlage und Ver-
faſſung. Jn den aͤuſſerlichen
Dingen koͤnnte die Nachlaͤſſigkeit
ſchwerlich groͤſſer ſeyn. Zum
Exempel, in der verworrenen
Wortfuͤgung, in den verſtellten
Deelinierfaͤllen, in den ausgelaſ-
ſenen Huͤlffszeitwoͤrtern, in den
abgebiſſenen Buchſtaben, in dem
Verſaͤumniß der Abſchnitte, in
Cacophonien, in dem ungleichen
Klange des Reimkuppels. Dieſes
alles habe ich dem Verfaſſer uͤber-
ſehen, und das Auge davon auf
das innerliche Weſen ſeines Ge-
dichtes abgelencket. Alles zeiget
uns, daß man uns ſeine Arbeit ge-
liefert hat, wie ſie nach der erſten
Erfindung verfaſſet, und zu Pa-
peir gebracht worden, wo der erſte
Ausdruck, der in den Sinn gekom-
men, ſtehen geblieben. Darum
muͤſſen wir auch die Kunſt und
die Geſchicklichkeit des Verfaſſers
nicht nach dieſem unreifen und
unausgearbeiteten Anfange beur-
theilen. Mir hat er indeſſen An-
laß gegeben, von verſchiedenen
Sachen, die beym Epiſchen Ge-
dichte zu beobachten ſind, meine
Gedancken zu erklaͤren, und mit
Exempeln, die zwar a contrario
hergenommen ſind, vor Augen
zu legen.
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Bodmer, Johann Jakob. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjgj.0