[][][][][[1]]
Danton’s Tod.

Dramatiſche Bilder
aus
Frankreichs Schreckensherrſchaft


Frankfurt am Main.:
Druck und Verlag vonJ. D. Sauerländer.
1835.
[[2]][[3]]

Perſonen.



    • Georg Danton,

    • Legendre,

    • Camille Desmoulins,

    • Hérault-Séchelles,

    • Lacroix,

    • Philippeau,

    • Fabre d’Eglantine,

    • Mercier,

    • Thomas Payne,
    • Deputirte.


    • Robespierre,

    • St. Juſt,

    • Barrére,

    • Collot d’Herbois,

    • Billand Varennes,
    • Mitglieder des Wohlfahrts-
      Ausſchuſſes.


  • Chaumette, Procurator des Gemeinderaths.

  • Dillon, ein General.

  • Fouquier Tinville, öffentlicher Ankläger.

  • 1*
    [[4]]
  • Herrmann, Dumas, Präſidenten der Revolutions-
    Tribunals.

  • Paris, ein Freund Danton’s.

  • Simon, Soufleur.

  • La Flatte.

  • Julie, Danton’s Gattin.

  • Lucile, Gattin des Camille Desmoulins.

    • Roſalie,

    • Adelaide,

    • Marion,
    • Griſetten.


    Männer und Weiber aus dem Volk, Griſetten, Depu-
    tirte, Henker u. ſ. w.


[[5]]

Erſter Act.


Hérault Séchelles, einige Damen (am Spieltiſch),
Danton, Julie, ſeine Gattin, (etwas weiter
weg, Danton auf einem Schemel zu den Füßen
Juliens).

Danton.

Sieh die hübſche Dame, wie artig ſie die Kar-
ten dreht! Ja wahrhaftig, ſie verſteht’s; man
ſagt, ſie halte ihrem Manne immer das Coeur und
andern Leuten das Carreau hin. Ihr könntet Einen
noch in die Lüge verliebt machen.


Julie.

Glaubſt du an mich?


Danton.

Was weiß ich! Wir wiſſen wenig von einander.
Wir ſind Dickhäuter, wir ſtrecken die Hände nach
einander aus; aber es iſt vergebliche Mühe, wir
reiben nur das grobe Leder an einander ab, — wir
ſind ſehr einſam.


[6]
Julie.

Du kennſt mich, Danton.


Danton.

Ja, was man ſo kennen heißt. Du haſt dunkle
Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint,
und ſagſt immer zu mir: lieber Georg! Aber

(er deutet ihr auf Stirn und Augen)

da, da, was
liegt hinter dem? Geh1, wir haben grobe Sinne.
Einander kennen? Wir müßten uns die Schädel-
decken aufbrechen und die Gedanken einander aus
den Hirnfaſern zerren. —


Eine Dame
(zu Hérault).

Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?


Hérault.

Nichts.


Dame.

Schlagen Sie den Daumen nicht ſo ein, es iſt
nicht zum Anſehen.


Hérault.

Geh’n Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne
Phyſiognomie. —


Danton.

Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.


Julie
(ſich abwendend).

Oh!


[7]
Danton.

Die Leute ſagen, im Grab ſei Ruhe, und Grab
und Ruhe ſeien eins. Wenn das iſt, lieg’ ich in dei-
nem Schooß ſchon unter der Erde. Du ſüßes
Grab, deine Lippen ſind Todtenglocken, deine Stimme
iſt mein Grabgeläute, deine Bruſt mein Grabhügel
und dein Herz mein Sarg. —


Dame.

Verloren!


Hérault.

Das war ein verliebtes Abentheuer, es koſtet
Geld, wie alle andern.


Dame.

Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie
ein Taubſtummer, mit den Fingern gemacht.


Hérault.

Ei, warum nicht? Man will ſogar behaupten,
gerade die würden am leichteſten verſtanden. Ich
zettelte eine Liebſchaft mit einer Kartenkönigin an,
meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prin-
zen. Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging
ſchlecht, die Dame lag immer in den Wochen, je-
den Augenblick erwiſchte ſie einen Buben. Ich würde
meine Tochter dergleichen nicht ſpielen laſſen, die
[8] Herren und Damen falleń ſo ſeltſam durcheinander
und die Buben kommen gleich hinten nach.


(Cammille Desmoulins und Philippeau
treten ein.)

Hérault.

Philippeau, welche trübe Augen! Haſt du dir
ein Loch in die rothe Mütze geriſſen? Hat der
heilige Jakob ein böſes Geſicht gemacht? Hat es
während des Guillotinirens geregnet? Oder haſt
du einen ſchlechten Platz dabei bekommen und nichts
ſehen können?


Camille.

Du parodirſt den Sokrates. Weißt du auch,
was der Göttliche den Alcibiades fragte, als er ihn
eines Tages finſter und niedergeſchlagen fand? Haſt
du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren,
biſt du im Wettlauf oder im Schwertkampf beſiegt
worden? Hat ein Andrer beſſer geſungen oder beſ-
ſer die Cither geſchlagen? Welche klaſſiſchen Re-
publikaner! Nimm einmal unſere Guillotinenro-
mantik dagegen!


Philippeau.

Heute ſind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir
waren im Irrthum, man hat die Hebertiſten nur
[9] auf’s Schaffot geſchickt, weil ſie nicht ſyſtematiſch
genug verfuhren, vielleicht auch weil die Decemvirn
ſich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche
Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete,
als ſie.


Hérault.

Sie möchtens uns zu Antediluvianern machen.
St. Juſt ſäh’ es nicht ungern, wenn wir wieder
auf allen Vieren kröchen, damit uns der Advokat
von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhr-
machers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herr-
gott erfände.


Philippeau.

Sie würden ſich nicht ſcheuen, zu dem Behuf
an Marat’s Rechnung noch einige Nullen zu hän-
gen. Wie lange ſollen wir noch ſchmutzig und blu-
tig ſein wie neugeborne Kinder, die Guillotine zur
Wiege haben und mit Köpfen ſpielen? Wir müſ-
ſen vorwärts: Der Gnadenausſchuß muß durchge-
ſetzt, die ausgeſtoßenen Deputirten müſſen wieder
aufgenommen werden.


Hérault.

Die Revolution iſt in das Stadium der Reor-
ganiſation gelangt. — Die Revolution muß auf-
[10] hören und die Republik muß anfangen. — In un-
ſern Staatsgrundſätzen muß das Recht an die Stelle
der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend
und die Nothwehr an die der Strafe treten. Jeder muß
ſich geltend machen und ſeinen Naturtrieb durchſetzen
können. Er mag vernünftig oder unvernünftig, ge-
bildet oder ungebildet, gut oder böſe ſein, das geht
den Staat nichts an. Wir Alle ſind Narren, und
Keiner hat das Recht, einem Andern ſeine eigen-
thümliche Narrheit aufzudringen und ihm ein Ge-
ſetz daraus zu machen. — Jeder muß in ſeiner Art
genießen können, jedoch ſo, daß Keiner auf Unkoſten
eines Andern genießen oder ihn in ſeinem eigen-
thümlichen Genuß ſtören darf.


Camille.

Die Staatsform muß ein durchſichtiges Gewand
ſein, das ſich dicht an den Leib des Volkes ſchmiegt.
Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der
Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß ſich darin
ausdrücken. Die Geſtalt mag nun ſchön oder häß-
lich ſein, ſie hat einmal das Recht, zu ſein wie ſie
iſt, wir ſind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach
Belieben zuzuſchneiden. — Wir werden den Leuten,
welche über die nackten Schultern der allerliebſten
[11] Sünderin Frankreich den Nonnenſchleier werfen wol-
len, auf die Finger ſchlagen. — Wir wollen nackte
Götter, Bachantinnen, olympiſche Spiele, und me-
lodiſche Lippen; ach, die gliederlöſende, böſe Liebe!
Wir wollen den Römern nicht verwehren, ſich in
die Ecke zu ſetzen und Rüben zu kochen, aber ſie
ſollen uns keine Gladiatorſpiele mehr geben wollen.
— Der göttliche Epicur und Venus müſſen ſtatt
der Heiligen, Marat und Chalier die Thürſteher
der Republik werden. — Danton! du wirſt den
Angriff im Convent machen.


Danton.

Ich werde, du wirſt, er wird. Wenn wir bis
dahin noch leben, ſagen die alten Weiber. Nach
einer Stunde werden ſechzig Minuten verfloſſen ſein.
Nicht wahr, mein Junge?


Camille.

Was ſoll das hier? das verſteht ſich von ſelbſt.


Danton.

O, es verſteht ſich Alles von ſelbſt. Wer ſoll
denn aber alle die ſchönen Dinge in’s Werk ſetzen?


Philippeau.

Wir und die ehrlichen Leute.


[12]
Danton.

Das „und“ dazwiſchen iſt ein langes Wort,
es hält uns ein wenig weit auseinander, die Strecke
iſt lang, die Ehrlichkeit verliert den Athem, eh wir
zuſammen kommen. Und wenn auch! — den ehr-
lichen Leuten kann man Geld leihen, man kann
bei ihnen Gevatter ſtehn und ſeine Töchter an ſie
verheirathen, aber das iſt Alles!


Camille.

Wenn du das weißt, warum haſt du den Kampf
begonnen?


Danton.

Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte der-
gleichen geſpreizte Katone nie anſehn, ohne ihnen
einen Tritt zu geben. Mein Naturell iſt einmal ſo.


(Er erhebt ſich.)

Julie.

Du gehſt?


Danton
(zu Julie).

Ich muß fort, ſie reiben mich mit ihrer Politik
noch auf. —

(Im Hinausgehn)

Zwiſchen Thür und
Angel will ich euch prophezeien: die Statue der
Freiheit iſt noch nicht gegoſſen, der Ofen glüht,
wir Alle können uns noch die Finger dabei ver-
brennen.

(Ab.)

[13]
Camille.

Laßt ihn! Glaubt ihr: er könne die Finger da-
von laſſen, wenn es zum Handeln kömmt?


Hérault.

Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man
Schach ſpielt.


Eine Gaſſe.


Simon. Sein Weib.

Simon
(ſchlägt das Weib).

Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du
wurmſtichiger Sündenapfel!


Weib.

Zu Hülfe! Hülfe!


(Es kommen Leute gelaufen:)

Reißt ſie auseinander, reißt ſie auseinander!


Simon.

Nein, laßt mich, Römer! Zerſchellen will ich dies
Geripp! Du Veſtalin!


Weib.

Ich eine Veſtalin? Das will ich ſehen, ich?


Simon.

So reiß ich von den Schultern dein Gewand,
[14] Nackt in die Sonne ſchleudr’ ich dann dein Aas,
In jeder Runzel deines Leibes niſtet Unzucht.


(Sie werden getrennt.)

Erſter Bürger.

Was giebt’s?


Simon.

Wo iſt die Jungfrau? Sprich! Nein, ſo kann
ich nicht ſagen. Das Mädchen; nein, auch das nicht;
die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht!
Nur noch ein Name; o, der erſtickt mich! Ich
habe keinen Athem dafür.


Zweiter Bürger.

Das iſt gut, ſonſt würde der Name nach
Wein riechen.


Simon.

Alter Virginius, verhülle dein kahles Haupt, —
der Rabe Schande ſitzt darauf, und hackt nach dei-
nen Augen. Gebt mir ein Meſſer, Römer!


(Er ſinkt um.)

Weib.

Ach er iſt ſonſt ein braver Mann, er kann nur
nicht viel vertragen; der Wein ſtellt ihm gleich ein Bein.


Zweiter Bürger.

Dann geht er mit dreien.


[15]
Weib.

Nein, er fällt.


Zweiter Bürger.

Richtig, erſt geht er mit dreien, und dann fällt
er auf das dritte, bis das dritte ſelbſt wieder fällt.


Simon.

Du biſt die Vampyrzunge, die mein wärmſtes
Herzblut trinkt.


Weib.

Laßt ihn nur, das iſt ſo die Zeit, worin er im-
mer gerührt wird; es wird ſich ſchon geben.


Erſter Bürger.

Was gibt’s denn?


Weib.

Seht ihr: ich ſaß da ſo auf dem Stein in der
Sonne, und wärmte mich; — ſeht ihr, denn wir haben
kein Holz, ſeht ihr —


Zweiter Bürger.

So nimm deines Mannes Naſe.


Weib.

Und meine Tochter war da hinunter gegangen
um die Ecke, — ſie iſt ein braves Mädchen und er-
nährt ihre Eltern.


Simon.

Ha, ſie bekennt.


[16]
Weib.

Du Judas, hätteſt du mir ein Paar Hoſen hin-
aufzuziehen, wenn die jungen Herren nicht gegen
ſie — artig wären? Du Weinfaß, willſt du ver-
durſten, wenn das Brünnlein zu laufen auf-
hört? He! — Wir arbeiten mit allen Gliedern,
warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat
geſchafft, wie ſie zur Welt kam, und es hat
ihr weh gethan; kann ſie für ihre Mutter nicht auch
ſchaffen, he? Und thut’s ihr auch weh dabei,
he? Du Dummkopf!


Simon.

Ha, Lucretia! ein Meſſer; gebt mir ein Meſſer,
Römer! Ha, Appius Claudius!


Erſter Bürger.

Ja, ein Meſſer, aber nicht für das arme Kind!
Was that es? Nichts! Ihr Hunger bettelt. Ein
Meſſer für die Leute, die das Fleiſch unſerer Wei-
ber und Töchter kaufen! Weh über die, ſo mit den
Töchtern des Volkes buhlen! Ihr habt Kollern im
Leib und ſie haben Magendrücken, ihr habt Löcher
in den Jacken und ſie haben warme Röcke, ihr habt
Schwielen in den Fäuſten und ſie haben Sammt-
hände. Ergo ihr arbeitet und ſie thun nichts, ergo
[17] ihr habt’s erworben und ſie haben’s geſtohlen, ergo:
wenn ihr von eurem geſtohlnen Eigenthum ein Paar
Heller wieder haben wollt, müßt ihr buhlen und
betteln, ergo: ſie ſind Spitzbuben und man muß ſie
todtſchlagen.


Dritter Bürger.

Sie haben kein Blut in den Adern, als was ſie
uns ausgeſogen haben. Sie haben uns geſagt:
ſchlagt die Ariſtokraten todt, das ſind Wölfe! Wir
haben die Ariſtokraten an die Laterne gehenkt. Sie ha-
ben geſagt: das Veto frißt euer Brod! wir haben
das Veto todtgeſchlagen. Sie haben geſagt: die
Girondiſten hungern euch aus; wir haben die Gi-
rondiſten guillotinirt. Aber ſie haben die Todten
ausgegraben, und wir laufen wie zuvor auf nackten
Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut
von den Schenkeln ziehen und uns Hoſen daraus
machen, wir wollen ihnen das Fett auslaſſen und
unſere Suppen damit ſchmelzen. Fort! Todtgeſchla-
gen, wer kein Loch im Rock hat!


Erſter Bürger.

Todtgeſchlagen, wer leſen und ſchreiben kann!


Zweiter Bürger.

Todtgeſchlagen, wer auswärts geht!


2
[18]
(Alle ſchreien:)

Todtgeſchlagen, todtgeſchlagen!


(Einige ſchleppen einen jungen Menſchen herbei.)

Einige Stimmen.

Er hat ein Schnupftuch! ein Ariſtokrat! an die
Laterne! an die Laterne!


Zweiter Bürger.

Was? er ſchneuzt ſich die Naſe nicht mit den
Fingern? An die Laterne!


(Eine Laterne wird heruntergelaſſen.)

Junger Menſch.

Ach, meine Herrn!


Zweiter Bürger.

Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!


Einige ſingen:

Die da liegen in der Erden,

Von de Würm gefreſſe werden;

Beſſer hangen in der Luft,

Als verfaulen in der Gruft!

Junger Menſch.

Erbarmen!


Dritter Bürger.

Nur ein Spielen mit einer Hanf-Locke um den
Hals! Es iſt nur ein Augenblick! Wir ſind
[19] barmherziger, als ihr. Unſer Leben iſt der Mord
durch Arbeit; wir hängen ſechzig Jahre lang am
Strick und zapplen, aber wir werden uns losſchneiden.
— An die Laterne!


Junger Menſch.

Meinetwegen, ihr werdet deßwegen nicht hel-
ler ſehen.


Die Umſtehenden.

Bravo! Bravo!


Einige Stimmen.

Laßt ihn laufen!

(Er entwiſcht.)

Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern
und Ohnehoſen.

Robespierre.

Was gibt’s da, Bürger?


Dritter Bürger.

Was wird’s geben? Die Paar Tropfen Bluts
vom Auguſt und September haben dem Volk die
Backen nicht roth gemacht. Die Guillotine iſt zu
langſam. Wir brauchen einen Platzregen.


Erſter Bürger.

Unſere Weiber und Kinder ſchreien nach Brod,
wir wollen ſie mit Ariſtokratenfleiſch füttern. He!
todtgeſchlagen, wer kein Loch im Rock hat!


2*
[20]
Alle.

Todtgeſchlagen! Todtgeſchlagen!


Robespierre.

Im Namen des Geſetzes!


Erſter Bürger.

Was iſt das Geſetz?


Robespierre

Der Wille des Volkes.


Erſter Bürger.

Wir ſind das Volk, und wir wollen, daß kein
Geſetz ſei; ergo: iſt dieſer Wille das Geſetz, ergo:
im Namen des Geſetzes gibt’s kein Geſetz mehr,
ergo: todtgeſchlagen.


Einige Stimmen.

Hört den Ariſtides, hört den Unbeſtechlichen!


Ein Weib.

Hört den Meſſias, der geſandt iſt, zu wählen
und zu richten; er wird die Böſen mit der Schärfe
des Schwertes ſchlagen. Seine Augen ſind die
Augen der Wahl, und ſeine Hände ſind die Hände
des Gerichts.


Robespierre.

Armes, tugendhaftes Volk! Du thuſt deine
Pflicht, du opferſt deine Feinde. Volk! du biſt
[21] groß. Du offenbarſt dich unter Blitzſtrahlen und
Donnerſchlägen. Aber, Volk, deine Streiche dür-
fen deinen eignen Leib nicht verwunden; du mor-
deſt dich ſelbſt in deinem Grimm. Du kannſt nur
durch deine eigne Kraft fallen, das wiſſen deine
Feinde. Deine Geſetzgeber wachen, ſie werden deine
Hände führen, ihre Augen ſind untrügbar, deine
Hände ſind unentrinnbar. Kommt mit zu den Ja-
cobinern. Eure Brüder werden euch ihre Arme
öffnen, wir werden ein Blutgericht über unſere
Feinde halten.


Viele der Stimmen.

Zu den Jacobinern! Es lebe Robespierre!


(Alle ab.)

Simon.

Weh mir, verlaſſen!

(Er verſucht, ſich aufzurichten.

Weib.

Da!

(Sie unterſtützt ihn.)

Simon.

Ach meine Baucis, du ſammelſt Kohlen auf
mein Haupt.


Weib.

Da ſteh!


Simon.

Du wendeſt dich ab? Ha, kannſt du mir ver-
[22] geben, Portia? Schlug ich dich? Das war nicht
meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahn-
ſinn that es. Sein Wahnſinn iſt des armen Ham-
let Feind. Hamlet that’s nicht, Hamlet verläugnet’s.
Wo iſt unſere Tochter, wo iſt mein Sannchen?


Weib.

Da um das Eck herum.


Simon.

Fort zu ihr! Komm mein tugendreich Gemal.


(Beide ab.)

Der Jacobinerklubb.


Ein Lyoner.

Die Brüder von Lyon ſenden uns, um in eure
Bruſt ihren bittern Unmuth auszuſchütten. Wir
wiſſen nicht, ob der Karren, auf dem Ronſin zur
Guillotine fuhr, der Todtenwagen der Freiheit war,
aber wir wiſſen, daß ſeit jenem Tage die Mörder
Chalier’s wieder ſo feſt auf den Boden treten, als
ob es kein Grab für ſie gäbe. Habt ihr vergeſſen,
daß Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs
iſt, den man mit den Gebeinen der Vorräther zu-
decken muß? Habt ihr vergeſſen, daß dieſe Metze
[23] der Könige ihren Ausſatz nur in dem Waſſer der
Rhone abwaſchen kann? Habt ihr vergeſſen, daß
dieſer revolutionäre Strom die Flotten Pitt’s im
Mittelmeere auf den Leichen der Ariſtrokraten muß
ſtranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die
Revolution. Der Athemzug eines Ariſtokraten iſt
das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling ſtirbt
für die Republik, ein Jacobiner tödtet für ſie.
Wißt: finden wir in euch nicht mehr die Spann-
kraft der Männer des 10. Auguſt, des September
und des 31. Mai, ſo bleibt uns, wie dem Patien-
ten Gaillard, nur der Dolch des Cato.


(Beifall und verwirrtes Geſchrei.)

Ein Jacobiner.

Wir werden den Becher des Socrates mit
euch trinken!


Legendre
(ſchwingt ſich auf die Tribüne).

Wir haben nicht nöthig, unſere Blicke auf Lyon
zu werfen. Die Leute, die ſeidene Kleider tragen,
die in Kutſchen fahren, die in den Logen im Thea-
ter ſitzen und nach dem Dictionär der Akademie
ſprechen, tragen ſeit einigen Tagen die Köpfe feſt
auf den Schultern. Sie ſind witzig und ſagen,
man muß Marat und Chalier zu einem doppel-
[24] ten Märtyrenthum verhelfen, und ſie in effigie
guillotiniren.


(Heftige Bewegung in der Verſammlung.)

Einige Stimmen.

Das ſind todte Leute. Ihre Zunge guillotinirt ſie.


Legendre.

Das Blut dieſer Heiligen komme über ſie! Ich
frage die anweſenden Mitglieder des Wohlfahrts-
Ausſchuſſes, ſeit wann ihre Ohren ſo taub ge-
worden ſind? —


Collot d’Herbois
(unterbricht ihn).

Und ich frage dich, Legendre, weſſen Stimme
ſolchen Gedanken Athem gibt, daß ſie lebendig wer-
den und zu ſprechen wagen? Es iſt Zeit, die
Masken abzureiffen. Hört! die Urſache verklagt
ihre Wirkung, der Ruf ſein Echo, der Grund ſeine
Folge. Der Wohlfahrts-Ausſchuß verſteht mehr
Logik, Legendre. Sei ruhig. Die Büſten der Hei-
ligen werden unberührt bleiben, ſie werden wie
Meduſenhäupter die Verräther in Stein verwandeln.


Robespierre.

Ich verlange das Wort.


Die Jacobiner.

Hört, hört den Unbeſtechlichen!


[25]
Robespierre.

Wir warteten nur auf den Schrei des Unwil-
lens, der von allen Seiten ertönt, um zu ſprechen.
Unſere Augen waren offen, wir ſahen den Feind
ſich rüſten und ſich erheben, aber wir haben das
Lärmzeichen nicht gegeben; wir ließen das Volk ſich
ſelbſt bewachen, es hat nicht geſchlafen, es hat an
die Waffen geſchlagen. Wir ließen den Feind aus
ſeinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn
anrücken, jetzt ſteht er frei und ungedeckt in der
Helle des Tages, jeder Streich wird ihn treffen, er
iſt todt, ſobald ihr ihn erblickt habt. — Ich habe
es euch ſchon einmal geſagt: in zwei Abtheilungen,
wie in zwei Heereshaufen ſind die inneren Feinde
der Republik zerfallen. Unter Bannern von ver-
ſchiedener Farbe und auf den verſchiedenſten We-
gen eilen ſie alle dem nämlichen Ziele zu. Die
eine dieſer Faktionen iſt nicht mehr. In ihrem
affectirten Wahnſinn ſuchte ſie die erprobteſten Pa-
trioten als abgenutzte Schwächlinge bei Seite zu
werfen, um die Republik ihrer kräftigſten Arme zu
berauben. Sie erklärte der Gottheit und dem Eigen-
thum den Krieg, um eine Diverſion zu Gunſten
der Könige zu machen. Sie parodirte das erhabene
[26] Drama der Revolution, um dieſelbe durch ſtudire
Ausſchweifungen bloszuſtellen. Hebert’s Triumph
hätte die Republik in ein Chaos verwandelt, und
der Despotismus war befriedigt. Das Schwert
des Geſetzes hat den Verräther getroffen. Aber
was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Ver-
brecher einer andern Gattung zur Erreichung des
nämlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts ge-
than, wenn wir noch eine andere Faction zu ver-
nichten haben. — Sie iſt das Gegentheil der vor-
hergehenden. Sie treibt uns zur Schwäche, ihr
Feldgeſchrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk
ſeine Waffen und die Kraft, welche die Waffen führt,
entreißen, um es nackt und entnervt den Königen
zu überantworten. — Die Waffe der Republik iſt
der Schrecken, die Kraft der Republik iſt die Tu-
gend, — die Tugend, weil ohne ſie der Schrecken ver-
derblich, — der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend
ohnmächtig iſt. Der Schrecken iſt ein Ausfluß der
Tugend, er iſt nichts anders als die ſchnelle, ſtrenge
und unbeugſame Gerechtigkeit. Sie ſagen: der
Schrecken ſei die Waffe einer despotiſchen Regie-
rung, die unſrige gleiche alſo dem Despotismus.
Freilich, aber ſo wie das Schwert in den Händen
[27] eines Freiheitshelden dem Säbel gleicht, womit der
Satellit des Tyrannen bewaffnet iſt. Beherrſche
der Despot ſeine thierähnlichen Unterthanen durch
den Schrecken, er hat Recht als Despot; zerſchmet-
tert durch den Schrecken die Feinde der Freiheit,
und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder
Recht. Die Revolutions-Regierung iſt der Despo-
tismus der Freiheit gegen die Tyrannei. Erbarmen
mit den Royaliſten! rufen gewiſſe Leute. Erbarmen
mit Böſewichtern? Nein! Erbarmen für die Un-
ſchuld, Erbarmen für die Schwäche, Erbarmen für
die Unglücklichen, Erbarmen für die Menſchheit!
In einer Republik ſind nur Republikaner — Bürger;
Royaliſten und Fremde ſind Feinde. Die Unter-
drücker der Menſchheit beſtrafen iſt Gnade, ihnen
verzeihen iſt Barbarei. Alle Zeichen einer falſchen
Empfindſamkeit ſcheinen mir Seufzer, welche nach
England oder Öſterreich fliegen. — Aber, nicht zu-
frieden, den Arm des Volks zu entwaffnen, ſucht
man noch die heiligſten Quellen ſeiner Kraft durch
das Laſter zu vergiften. Dies iſt der feinſte, ge-
fährlichſte und abſcheulichſte Angriff auf die Frei-
heit. Das Laſter iſt das Kainszeichen des Ariſto-
kratismus. In einer Republik iſt es nicht nur ein
[28] moraliſches ſondern auch ein politiſches Verbrechen;
der Laſterhafte iſt der politiſche Feind der Freiheit,
er iſt ihm um ſo gefährlicher, je größer die Dienſte
ſind, die er ihr ſcheinbar erwieſen. Der gefährlichſte
Bürger iſt derjenige, welcher leichter ein Dutzend
rothe Mützen verbraucht, als eine gute Handlung
vollbringt. Ihr werdet mich leicht verſtehen, wenn
ihr an Leute denkt, welche ſonſt in Dachſtuben leb-
ten und jetzt in Caroſſen fahren und mit ehema-
ligen Marquiſinnen und Baroneſſen Unzucht trei-
ben. Wir dürfen wohl fragen, iſt das Volk gepfän-
det, oder ſind die Goldhände der Könige gedrückt
worden, wenn wir Geſetzgeber des Volkes mit al-
len Laſtern und allem Luxus der ehemaligen Höf-
linge Parade machen, wenn wir dieſe Marquiſe und
Grafen reiche Weiber heirathen, üppige Gaſtmähler
geben, ſpielen, Diener halten und koſtbare Kleider
tragen ſehen? — Wir dürfen wohl ſtaunen, wenn
wir ſie Einfälle haben, ſchöngeiſtern und ſo etwas
von gutem Ton bekommen hören. Man hat vor
Kurzem auf eine unverſchämte Weiſe den Tacitus
parodirt, ich könnte mit dem Salluſt antworten und
den Catilina traveſtiren; doch ich denke, ich habe
keine Striche mehr nöthig, die Porträts ſind fertig.
[29] — Keinen Vertrag, keinen Waffenſtillſtand mit den
Menſchen, welche nur auf Ausplünderung des Vol-
kes bedacht waren, welche dieſe Ausplünderung un-
geſtraft zu vollbringen hofften, für welche die Re-
publik eine Spekulation und die Revolution ein
Handwerk war! In Schrecken geſetzt durch den
reißenden Strom der Beiſpiele ſuchen ſie ganz leiſe
die Gerechtigkeit abzukühlen. Man ſollte glauben,
jeder ſage zu ſich ſelbſt: wir ſind nicht tugendhaft
genug, um ſo ſchrecklich zu ſein. Philoſophiſche
Geſetzgeber! erbarmt euch unſerer Schwäche; ich
wage euch nicht zu ſagen, daß ich laſterhaft bin;
ich ſage euch alſo: ſeid nicht grauſam. Beruhige
dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrio-
ten, ſagt euern Brüdern zu Lyon: das Schwert des
Geſetzes roſte nicht in den Händen, denen ihr es
anvertraut habet. Wir werden der Republik ein
großes Beiſpiel geben.

(Allgemeiner Beifall.)

Viele Stimmen.

Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!


Präſident.

Die Sitzung iſt aufgehoben.


[30]

Eine Gaſſe.


Lacroix. Legendre.

Lacroix.

Was haſt du gemacht, Legendre. Weißt du
auch, wem du mit deinen Büſten den Kopf her-
unterwirfſt?


Legendre.

Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das
iſt Alles.


Lacroix.

Du biſt ein Selbſtmörder, ein Schatten, der
ſein Original und ſomit ſich ſelbſt ermordet.


Legendre.

Ich begreife nicht.


Locroix.

Ich dächte: Collot hätte deutlich geſprochen.


Legendre.

Was macht das? Er war wieder betrunken.


Lacroix.

Narren, Kinder und — nun? — Betrunkne
ſagen die Wahrheit. Wen glaubſt du denn, daß
Robespierre mit dem Catilina gemeint habe?


[31]
Legendre.

Nun?


Lacroix.

Die Sache iſt einfach. Man hat die Atheiſten
und Ultrarevolutionärs auf’s Schaffot geſchickt; aber
dem Volk iſt nicht geholfen, es läuft noch baarfuß
in den Gaſſen und will ſich aus Ariſtokraten-Leder
Schuhe machen. Der Guillotinen-Thermometer darf
nicht fallen; noch wenige Grade, und der Wohl-
fahrts-Ausſchuß kann ſich ſein Bett auf dem Revo-
lutionsplatz ſuchen.


Legendre.

Was haben damit meine Büſten zu ſchaffen?


Lacroix.

Siehſt du es noch nicht? Du haſt die Contre-
Revolution officiell bekannt gemacht, du haſt die
Decemvirn zur Energie gezwungen, du haſt ihnen
die Hand geführt. Das Volk iſt ein Minotaurus,
der wöchentlich ſeine Leichen haben muß, wenn er
ſie nicht auffreſſen ſoll.


Legendre.

Wo iſt Danton?


Lacroix.

Was weiß ich! Er ſucht eben die mediceiſche
[32] Venus ſtückweiſe bei allen Griſetten im Palais-
Royal zuſammen; er macht Moſaik, wie er ſagt.
Der Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade
iſt. Es iſt ein Jammer, daß die Natur die Schön-
heit, wie Medea ihren Bruder, zerſtückt, und ſie ſo
in Fragmenten in die Körper geſenkt hat. — Gehn
wir in’s Palais-Royal!

(Beide ab.)

Ein Zimmer.


Danton. Marion.

Marion.

Nein, laß mich! So zu deinen Füßen. Ich will
dir erzählen!


Danton.

Du könnteſt deine Lippen beſſer gebrauchen.


Marion.

Nein, laß mich einmal ſo. Meine Mutter war
eine kluge Frau; ſie ſagte mir immer: die Keuſch-
heit ſei eine ſchöne Tugend. Wenn Leute in’s Haus
kamen, und von manchen Dingen zu ſprechen an-
fingen, hieß ſie mich aus dem Zimmer gehen; frug
ich, was die Leute gewollt hatten, ſo ſagte ſie: ich
ſolle mich ſchämen; gab ſie mir ein Buch zu leſen,
[33] ſo mußte ich faſt immer einige Seiten überſchlagen.
Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war Alles
heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht be-
griff, ich mochte auch Niemand fragen, ich brütete
über mir ſelbſt. Da kam der Frühling, es ging
überall etwas um mich vor, woran ich keinen Theil
hatte. Ich gerieth in eine eigene Atmoſphäre, ſie
erſtickte mich faſt. Ich betrachtete meine Glieder,
es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und
verſchmölze dann wieder in Eins. Ein junger Menſch
kam zu der Zeit in’s Haus; er war hübſch und
ſprach oft tolles Zeug, ich wußte nicht recht, was
er wollte, aber ich mußte lachen. Meine Mutter
hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht.
Endlich ſahen wir nicht ein, warum wir nicht eben
ſo gut auf — ſonſt eine Art uns miteinander un-
terhalten, als bloß auf zwei Stühlen neben einan-
der ſitzen dürften. Ich ſah nicht ab, warum man
mir das Geringere gewähren und das Größere ent-
ziehen wollte. Aber ich wurde wie ein Meer, was
Alles verſchlang und ſich tiefer und tiefer wühlte.
Es war für mich nur Ein Gegenſatz da, alle Män-
ner verſchmolzen in Einen Leib. Meine Natur war
einmal ſo, wer kann da drüber hinaus? Endlich
3
[34] merkt’ er’s. Er kam eines Morgens und küßte mich,
als wollte er mich erſticken; ſeine Arme ſchnürten
ſich um meinen Hals, ich war in unſäglicher Angſt.
Da ließ er mich los, und lachte, und ſagte: er hätte
faſt einen dummen Streich gemacht, ich ſolle mein
Kleid nur behalten und es brauchen, es würde ſich
ſchon von ſelbſt abtragen, er wolle mir den Spaß
nicht vor der Zeit verderben, es wäre doch das
Einzige, was ich hätte. Dann ging er, ich wußte
wieder nicht, was er wollte. Den Abend ſaß ich
am Fenſter, ich bin ſehr reizbar und hänge mit
Allem um mich nur durch eine Empfindung zu-
ſammen; ich verſank in die Wellen der Abendröthe.
Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder
liefen voraus, die Weiber ſahen aus den Fenſtern.
Ich ſah hinunter, ſie trugen ihn in einem Korb
vorbei, der Mond ſchien auf ſeine bleiche Stirn,
ſeine Locken waren feucht, er hatte ſich erſäuft. Ich
mußte weinen. Das war der einzige Bruch in mei-
nem Weſen. Die andern Leute haben Sonn- und
Werktage, ſie arbeiten ſechs Tage und beten am
ſiebenten, ſie ſind jedes Jahr auf ihrem Geburts-
tag einmal gerührt und denken auf Neujahr einmal
nach. Ich begreife nichts davon; ich kenne keinen
[35] Abſatz, keine Veränderung; ich bin immer nur eins,
ein ununterbrochenes Sehnen und Faſſen, eine
Gluth, ein Strom. Meine Mutter iſt vor Gram
geſtorben; die Leute weiſen mit Fingern auf mich,
das iſt dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was
man ſeine Freude hat, an Reliquien oder an Le-
bendigen, an Blumen oder Kinderſpielſachen; es iſt
das nämliche Gefühl; wer am meiſten genießt,
betet am meiſten.


Danton.

Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz
in mich faſſen, ſie nicht ganz umſchließen?


Marion.

Danton, deine Lippen haben Augen.


Danton.

Ich möchte ein Theil des Äthers ſein, um dich
in meiner Fluth zu baden, um mich auf jeder
Welle deines ſchönen Leibes zu brechen.


Lacroix, Adelaide, Roſalie treten ein.
Lacroix (bleibt in der Thüre ſtehn).

Ich muß lachen, ich muß lachen.


Danton.

Nun?


3*
[36]
Lacroix.

Die Gaſſe fällt mir ein.


Danton.

Und?


Lacroix.

Auf der Gaſſe waren Hunde, eine Dogge und
ein Bologneſer Schooßhündlein, die quälten ſich.


Danton.

Was ſoll das?


Lacroix.

Das fiel mir nun grade ſo ein, und da mußt’
ich lachen. Es ſah erbaulich aus! Die Mädel
guckten aus den Fenſtern; man ſollte vorſichtig ſein
und ſie nicht einmal in der Sonne ſitzen laſſen.
Die unmoraliſchen Mücken erwecken ihnen ſonſt
allerhand erbauliche Gedanken. Legendre und ich
ſind faſt durch alle Zellen gelaufen, mehr als eine
apokalyptiſche Dame hing uns an den Rockſchößen
und wollte den Segen. Legendre gibt einer die
Disciplin, aber er wird einen Monat dafür zu
faſten bekommen. Da bringe ich zwei von ihnen.


Marion.

Guten Tag, Demoiſelle Adelaide, guten Tag
Demoiſelle Roſalie.


[37]
Roſalie.

Wir hatten ſchon lange nicht das Vergnügen.


Marion.

Es war mir recht leid.


Adelaide.

Ach Gott, wir ſind Tag und Nacht beſchäftigt.


Danton
(zu Roſalie).

Ei, Kleine, du haſt geſchmeidige Hüften be-
kommen.


Roſalie.

Ach ja, man vervollkommnet ſich täglich.


Lacroix.

Was iſt der Unterſchied zwiſchen dem antiken
und einem modernen Adonis?


Danton.

Und Adelaide iſt ſittſam-intereſſant geworden;
eine pikante Abwechslung. Ihr Geſicht ſieht aus
wie ein Feigenblatt, das ſie ſich vor den ganzen
Leib hält. So ein Feigenbaum an einer ſo gang-
baren Straße gibt einen erquicklichen Schatten.


Lacroix.

So höre doch; ein moderner Adonis wird nicht
von einem Eber, ſondern von Säuen zerriſſen; er
bekommt ſeine Wunde nicht am Schenkel, ſondern
[38] in den Leiſten, und aus ſeinem Blut ſproſſen nicht
Roſen hervor —


Danton.

O laß das; Fräulein Roſalie iſt ein reſtaurirter
Torſo, woran nur die Hüften und Füße antik ſind.
Sie iſt eine Magnetnadel; was der Pol-Kopf ab-
ſtößt, zieht der Pol-Fuß an.


Lacroix.

Zwei barmherzige Schweſtern; jede dient in
einem Spital, d. h. in ihrem eignen Körper.


Roſalie.

Schämen Sie ſich, unſere Ohren roth zu machen!


Adelaide.

Sie ſollten mehr Lebensart haben.


(Adelaide und Roſalie ab.)

Danton.

Gute Nacht, ihr hübſchen Kinder!


Lacroix.

Gute Nacht, ihr Silbergruben.


Danton.

Sie dauern mich, ſie kommen um ihr Nachteſſen.


Lacroix.

Höre, Danton, ich komme von den Jacobinern.


[39]
Danton.

Nichts weiter?


Lacroix.

Die Lyoner verlaſen eine Proclamation; ſie
meinten, es bliebe ihnen nichts übrig, als ſich in
die Toga zu wickeln. Jeder machte ein Geſicht,
als wollte er zu ſeinem Nachbar ſagen: Paetus, es
ſchmerzt nicht! — Legendre rief: man wolle Cha-
liers und Marats Büſten zerſchlagen. Ich glaube,
er will ſich das Geſicht wieder roth machen; er iſt
ganz aus der terreur herausgekommen, die Kinder
zupfen ihn auf der Gaſſe am Rock.


Danton.

Und Robespierre?


Lacroix.

Fingerte auf der Tribüne und ſagte: die Tu-
gend muß durch den Schrecken herrſchen. Die Phraſe
machte mir Halsweh.


Danton.

Sie hobelt Bretter für die Guillotine.


Lacroix.

Und Collot ſchrie wie beſeſſen, man müſſe die
Masken abreißen.


Danton.

Da werden die Geſichter mitgehen.


[40]
(Paris tritt ein.)

Lacroix.

Was gibt’s, Fabricius?


Paris.

Von den Jacobinern weg ging ich zu Robes-
pierre; ich verlangte eine Erklärung. Er ſuchte
eine Miene zu machen wie Brutus, der ſeine Söhne
opfert. Er ſprach im Allgemeinen von den Pflich-
ten, ſagte: der Freiheit gegenüber kenne er keine
Rückſicht, er würde Alles opfern, ſich, ſeinen Bru-
der, ſeine Freunde.


Danton.

Das war deutlich; man braucht nur die Scala
herumzukehren, ſo ſteht er unten, und hält ſeinen
Freunden die Leiter. Wir ſind Legendre Dank
ſchuldig, er hat ſie ſprechen gemacht.


Lacroix.

Die Hebertiſten ſind noch nicht todt, das Volk
iſt materiell elend, das iſt ein furchtbarer Hebel.
Die Schaale des Blutes darf nicht ſteigen, wenn
ſie dem Wohlfahrts-Ausſchuß nicht zur Laterne wer-
den ſoll; er hat Ballaſt nöthig, er braucht einen
ſchweren Kopf.


[41]
Danton.

Ich weiß wohl, — die Revolution iſt wie Sa-
turn, ſie frißt ihre eigenen Kinder. (Nach einigem
Beſinnen.) Doch, ſie werden’s nicht wagen.


Lacroix.

Danton, du biſt ein todter Heiliger; aber die
Revolution kennt keine Reliquien, ſie hat die Ge-
beine aller Könige auf die Gaſſe und alle Bildſäu-
len von den Kirchen geworfen. Glaubſt du, man
würde dich als Monument ſtehen laſſen?


Danton.

Mein Name! das Volk!


Lacroix.

Dein Name! du biſt ein Gemäßigter, ich bin
einer, Camille, Philippeau, Hérault. Für das Volk
ſind Schwäche und Mäßigung eins; es ſchlägt die
Nachzügler todt. Die Schneider von der Section
der rothen Mütze werden die ganze römiſche Ge-
ſchichte in ihrer Nadel fühlen, wenn der Mann des
September ihnen gegenüber ein Gemäßigter iſt.


Danton.

Sehr wahr, und auſſerdem — das Volk iſt
wie ein Kind, es muß Alles zerbrechen, um zu
ſehen, was darin ſteckt.


[42]
Lacroix.

Und auſſerdem, Danton, ſind wir laſterhaft, wie
Robespierre ſagt, d. h. wir genießen; und das Volk
iſt tugendhaft, d. h. es genießt nicht, weil ihm die
Arbeit die Genußorgane ſtumpf macht; es beſäuft
ſich nicht, weil es lein Geld hat, und es ſchweift
nicht aus, weil es nach Käſe und Häring aus dem
Hals ſtinkt, und die Mädel davor einen Ekel haben.


Danton.

Es haßt die Genießenden, wie ein Eunuch die
Männer.


Lacroix.

Man nennt uns Spitzbuben und

(ſich zu den
Ohren Danton’s neigend)

es iſt, unter uns geſagt,
ſo halbwegs was Wahres daran. Robespierre und
das Volk werden tugendhaft ſein, St. Juſt wird
einen Roman ſchreiben, und Barrière wird eine
Carmagnole ſchneidern und dem Convent das Blut-
mäntelchen umhängen und — ich ſehe Alles.


Danton.

Du träumſt. Sie hatten nie Muth ohne mich,
ſie werden keinen gegen mich haben; die Revolution
iſt noch nicht fertig, ſie könnten mich noch nöthig
haben, ſie werden mich im Arſenal aufheben.


[43]
Lacroix.

Wir müſſen handeln.


Danton.

Das wird ſich finden.


Lacroix.

Es wird ſich finden, wenn wir verloren ſind.


Marion
(zu Danton).

Deine Lippen ſind kalt geworden, deine Worte
haben deine Küſſe erſtickt.


Danton
(zu Marion).

So viel Zeit zu verlieren, das wär’ der Mühe
werth.

(Zu Lacroix.)

Morgen geh’ ich zu Robes-
pierre, ich werde ihn ärgern, da kann er nicht
ſchweigen. Morgen alſo! Gute Nacht, meine
Freunde, gute Nacht, ich danke euch.


Lacroir.

Packt euch, meine guten Freunde, packt euch!
Gute Nacht, Danton, der mons Veneris wird dein
tarpeiſcher Fels.


[44]

Zweiter Act.


Ein Zimmer.


Robespierre. Danton. Paris.

Robespierre.

Ich ſage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn
ich das Schwert ziehe, iſt mein Feind, — ſeine
Abſicht thut nichts zur Sache; wer mich verhindert,
mich zu vertheidigen, tödtet mich ſo gut, als wenn
er mich angriffe.


Danton.

Wo die Nothwehr aufhört, fängt der Mord an;
ich ſehe keinen Grund, der uns länger zum Tödten
zwänge.


Robespierre.

Die ſociale Revolution iſt noch nicht fertig; wer
eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt ſich ſelbſt
ſein Grab. Die gute Geſellſchaft iſt noch nicht
todt, die geſunde Volkskraft muß ſich an die Stelle
[45] dieſer nach allen Richtungen abgekitzelten Klaſſe
ſetzen. Das Laſter muß beſtraft werden, die Tu-
gend muß durch den Schrecken herrſchen.


Danton.

Ich verſtehe das Wort Strafe nicht. — Mit
deiner Tugend, Robespierre! — Du haſt kein Geld
genommen, du haſt keine Schulden gemacht, du haſt
immer einen anſtändigen Rock getragen und dich
nie betrunken. Robespierre, du biſt empörend recht-
ſchaffen. Ich würde mich ſchämen, dreißig Jahre
lang mit der nämlichen Moralphyſiognomie zwiſchen
Himmel und Erde herumzulaufen, blos um des
elenden Vergnügens willen, Andere ſchlechter zu
finden, als mich. — Iſt denn nichts in dir, was
dir nicht manchmal ganz leiſe, heimlich ſagte: du
lügſt, du lügſt?!


Robespierre.

Mein Gewiſſen iſt rein.


Danton.

Das Gewiſſen iſt ein Spiegel, vor dem ein Affe
ſich quält; jeder putzt ſich, wie er kann und geht
auf ſeine eigne Art auf ſeinen Spaß dabei aus.
Das iſt der Mühe werth, ſich darüber in den Haa-
ren zu liegen. Jeder mag ſich wehren, wenn ein
[46] andrer ihm den Spaß verdirbt. Haſt du das Recht,
aus der Guillotine einen Waſchzuber für die un-
reine Wäſche anderer Leute und aus ihren abgeſchla-
genen Köpfen Fleckkugeln für ihre ſchmutzigen Klei-
der zu machen, weil du immer einen ſauber gebür-
ſteten Rock trägſt? Ja, du kannſt dich wehren,
wenn ſie dir drauf ſpucken oder Löcher hineinreißen;
aber was geht’s dich an, ſo lang ſie dich in Ruhe
laſſen? Wenn ſie ſich nicht geniren, ſo herum zu
gehen, haſt du deswegen das Recht, ſie in’s Grab-
loch zu ſperren? Biſt du der Polizeiſoldat des
Himmels? und — kannſt du es nicht eben ſo gut
mit anſehn, als dein lieber Herrgott, ſo halte dir
dein Schnupftuch vor die Augen.


Robespierre.

Du läugneſt die Tugend? —


Danton.

Und das Laſter. Es gibt nur Epicuräer, und
zwar grobe und feine; Chriſtus war der feinſte;
das iſt der einzige Unterſchied, den ich zwiſchen den
Menſchen herausbringen kann. Jeder handelt ſei-
ner Natur gemäß, d. h. er thut, was ihm wohl
thut. — Nicht wahr, Unbeſtechlicher, es iſt grau-
ſam, dir die Abſätze ſo von den Schuhen zu treten?


[47]
Robespierre.

Danton, das Laſter iſt zu gewiſſen Zeiten
Hochverrath.


Danton.

Du darfſt es nicht prohibiren, um’s Himmels-
willen nicht, das wäre undankbar, du biſt ihm zu
viel ſchuldig, durch den Contraſt nämlich. — Übri-
gens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unſere
Streiche müſſen der Republik nützlich ſein, man
darf die Unſchuldigen nicht mit den Schuldigen
treffen.


Robespierre.

Wer ſagt dir denn, daß ein Unſchuldiger ge-
troffen worden ſei?


Danton.

Hörſt du, Fabricius? Es ſtarb kein Unſchul-
diger!

(Er geht; im Hinausgehen zu Paris:)

Wir
dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müſſen uns
zeigen!

(Danton und Paris ab.)

Robespierre
(allein).

Geh’ nur! Er will die Roſſe der Revolution
am Zügel halten, wie ein Kutſcher ſeine dreſſirten
Gäule; ſie werden Kraft genug haben, ihn zum
Revolutionsplatz zu ſchleifen. — Mir die Abſätze
von den Schuhen treten! — Um bei deinen Be-
[48] griffen zu bleiben! — Halt! Halt! Iſt’s das eigent-
lich? — Sie werden ſagen: ſeine gigantiſche Ge-
ſtalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich
hätte ihn deßwegen aus der Sonne gehen heißen. —
Und wenn ſie Recht hätten? — Iſt’s denn ſo noth-
wendig? Ja, ja, die Republik! Er muß weg! —
Es iſt lächerlich, wie meine Gedanken einander
beaufſichtigen. — Er muß weg. Wer in einer Maſſe,
die vorwärts drängt, ſtehen bleibt, leiſtet ſo gut
Widerſtand, als trät’ er ihr entgegen, er wird zer-
treten. — Wir werden das Schiff der Revolution
nicht auf den ſeichten Berechnungen und den Schlamm-
bäuken dieſer Leute ſtranden laſſen, wir müſſen die
Hand abhauen, die es zu halten wagt, und wenn
er es mit den Zähnen packte! — Weg mit einer
Geſellſchaft, die der todten Ariſtokratie die Kleider
ausgezogen und ihren Ausſatz geerbt hat. — Keine
Tugend! die Tugend ein Abſatz meiner Schuhe!
Bei meinen Begriffen! — Wie das immer wieder
kommt. — Warum kann ich den Gedanken nicht
los werden? Er deutet mit blutigem Finger im-
mer da, da hin! Ich mag ſo viel Lappen darum
wickeln, als ich will, das Blut ſchlägt immer durch.

(Nach einer Pauſe:)

Ich weiß nicht, was in mir
[49] das Andere belügt.

(Tritt an’s Fenſter.)

Die Nacht
ſchnarcht über der Erde und wälzt ſich im wüſten
Traum. Gedanken, Wünſche, kaum geahnt, wirr
und geſtaltlos, die ſcheu ſich vor des Tages Licht
verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand,
und ſtehlen ſich in das ſtille Haus des Traumes.
Sie öffnen die Thüren, ſie ſehen aus den Fenſtern,
ſie werden halbwegs Fleiſch, die Glieder ſtrecken
ſich im Schlaf, die Lippen murmeln. — Und iſt
nicht unſer Wachen ein hellerer Traum, ſind wir
nicht Nachtwandler, iſt nicht unſer Handeln, wie
das im Traum, — nur deutlicher, beſtimmter, durch-
geführter? Wer will uns darum ſchelten? In
einer Stunde verrichtet der Geiſt mehr Thaten des
Gedankens, als der träge Organismus unſeres Lei-
bes in Jahren nachzuthun vermag. Die Sünde iſt
im Gedanken. Ob der Gedanke That wird, ob ihn
der Körper nachſpielt, das iſt Zufall.


(St. Juſt tritt ein.)

Robespierre.

He, wer da im Finſtern? He, Licht, Licht!


St. Juſt.

Kennſt du meine Stimme?


4
[50]
Robespierre.

Ah, du St. Juſt!


(Eine Dienerin bringt Licht.)

St. Juſt.

Warſt du allein?


Robespierre.

Eben ging Danton weg.


St. Juſt.

Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er
machte ſeine revolutionäre Stirn und ſprach in Epi-
grammen, er duzte ſich mit den Ohnehoſen, die
Griſetten liefen hinter ſeinen Waden drein und die
Leute blieben ſtehen und ziſchelten ſich in die Ohren,
was er geſagt hatte. Wir werden den Vortheil des
Angriffs verlieren. Willſt du noch länger zaudern?
Wir werden ohne dich handeln. Wir ſind entſchloſſen.


Robespierre.

Was wollt ihr thun?


St. Juſt.

Wir berufen den Geſetzgebungs-, den Sicher-
heits- und den Wohlfahrts-Ausſchuß zu feierlicher
Sitzung.


Robespierre.

Viel Umſtände.


[51]
St. Juſt.

Wir müſſen die große Leiche mit Anſtand be-
graben, wie Prieſter, nicht wie Mörder; wir dür-
fen ſie nicht verſtümmeln, all ihre Glieder müſſen
mit hinunter.


Robespierre.

Sprich deutlicher.


St. Juſt.

Wir müſſen ihn in ſeiner vollen Waffenrüſtung
beiſetzen und ſeine Pferde und Sclaven auf ſeinem
Grabhügel ſchlachten. — Lacroix.


Robespierre.

Ein ausgemachter Spitzbube, geweſener Advoka-
tenſchreiber, gegenwärtig General-Lieutenant von
Frankreich. Weiter!


St. Juſt.

Hérault-Séchelles. —


Robespierre.

Ein ſchöner Kopf!


St. Juſt.

Er war der ſchöngemalte Anfangsbuchſtabe der
Conſtitutions-Acte, wir haben dergleichen Zierrath
nicht mehr nöthig, er wird ausgewiſcht. — Phi-
lippeau, Camille! — —


4*
[52]
Robespierre.

Auch den?


St. Juſt
(überreicht ihm ein Papier).

Das dacht’ ich. Da lies!


Robespierre.

Aha, der alte Franziskaner! Sonſt nichts? Er
iſt ein Kind, er hat über euch gelacht.


St. Juſt.

Hier, hier!

(Er zeigt ihm eine Stelle.)

Robespierre
(lieſt).

„Dieſer Blutmeſſias Robespierre auf ſeinem
Kalvarienberge zwiſchen den beiden Schächern Con-
thon und Collot, auf dem er opfert und nicht ge-
opfert wird. Die Guillotinen-Betſchweſtern ſtehen
wie Maria und Magdalena unten. St. Juſt liegt
ihm wie Johannes am Herzen, und macht den Con-
vent mit den apokalyptiſchen Offenbarungen des
Meiſters bekannt; er trägt ſeinen Kopf wie eine
Monſtranz.“


St. Juſt.

Ich will ihn den ſeinigen wie St. Denis tra-
gen machen.


Robespierre
(lieſt weiter).

„Sollte man glauben, daß der ſaubere Frack
des Meſſias das Leichenhemd Frankreichs iſt, und
[53] daß ſeine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden
Finger Guillotinmeſſer ſind? — Und du, Barrère,
der du geſagt haſt: auf dem Revolutionsplatz werde
Münze geſchlagen. Doch ich will den alten Sack
nicht aufwühlen, er iſt eine Wittwe, die ſchon ein
halbes Dutzend Männer hatte und die ſie begraben
half. Wer kann was dafür? Das iſt ſo ſeine
Gabe, er ſieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem
Tode das hippokratiſche Geſicht an. Wer mag ſich
auch zu Leichen ſetzen und den Geſtank riechen?“ —
Alſo auch du, Camille? — Weg mit ihnen! Raſch!
nur die Todten kommen nicht wieder. Haſt du die
Anklage bereit?


St. Juſt.

Es macht ſich leicht. Du haſt die Anklage bei
den Jakobinern gemacht.


Robespierre.

Ich wollte ſchrecken.


St. Juſt.

Ich brauche nur durchzuführen, die Fälſcher ge-
ben das Ei und die Fremden den Apfel. — Sie
ſterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.


Robespierre.

Dann raſch, morgen! Keinen langen Todes-
[54] kampf! Ich bin empfindlich ſeit einigen Tagen.
Nur raſch!

(St. Juſt ab.)

Robespierre
(allein).

Ja wohl, Blutmeſſias, der opfert und nicht ge-
opfert wird. Er hat ſie mit ſeinem Blut erlöſt und
ich erlöſe ſie mit ihrem eignen. Er hat ſie ſündi-
gen gemacht und ich nehme die Sünde auf mich.
Er hatte die Wolluſt des Schmerzes, und ich habe
die Qual des Henkers. Wer hat ſich mehr ver-
läugnet? Ich oder er? — Und doch iſt was von
Narrheit in dem Gedanken. — Was ſehen wir nur
immer nach dem Einen? Wahrlich, des Menſchen
Sohn wird in uns Allen gekreuzigt, wir ringen
Alle im Gethſemane-Garten im blutigen Schweiß,
aber es erlöſt Keiner den Andern mit ſeinen Wun-
den. Mein Camille! — Sie gehen Alle von mir
— es iſt Alles wüſt und leer — ich bin allein.


Ein Zimmer.


Danton, Lacroix, Philippeau, Paris,
Camille Desmoulins
.

Camille.

Raſch, Danton, wir haben keine Zelt zu
verlieren.


[55]
Danton
(kleidet ſich um).

Aber die Zeit verliert uns. — Das iſt ſehr
langweilig, immer das Hemd zuerſt und dann die
Hoſen drüber zu ziehen, und des Abends in’s Bett
und Morgens wieder heraus zu kriechen und einen
Fuß immer ſo vor den andern zu ſetzen, da iſt
gar kein Abſehen, wie es anders werden ſoll. Das
iſt ſehr traurig, und, daß Millionen es ſchon ſo
gemacht haben, und, daß Millionen es wieder ſo
machen werden, und, daß wir noch obendrein aus
zwei Hälften beſtehen, die beide das Nämliche thun,
ſo daß Alles doppelt geſchieht, — das iſt ſehr traurig.


Camille.

Du ſprichſt in einem ganz kindiſchen Ton.


Danton.

Sterbende werden kindiſch.


Lacroix.

Du ſtürzeſt dich durch dein Zögern in’s Ver-
derben, du reißeſt alle deine Freunde mit dir. Be-
nachrichtige die Feiglinge, daß es Zeit iſt, ſich um
dich zu verſammeln, fordere ſowohl die vom Thale
als die vom Berge auf. Schreie über die Tyrannei
der Decemvirn, ſprich von Dolchen, rufe Brutus
an, dann wirſt du die Tribüne erſchrecken, und
[56] ſelbſt die um dich ſammeln, die man als Mitſchul-
dige Hebert’s bedroht. Du mußt dich deinem Zorn
überlaſſen. Laßt uns wenigſtens nicht entwaffnet
und erniedrigt wie der ſchändliche Hebert ſterben.


Danton.

Du haſt ein ſchlechtes Gedächtniß, du nannteſt
mich einen todten Heiligen. Du hatteſt mehr Recht,
als du glaubteſt. Ich war bei den Sectionen, ſie
waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin
eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die
Gaſſe; du hatteſt Recht.


Lacroix.

Warum haſt du es dazu kommen laſſen?


Danton.

Dazu? Ja wahrhaftig, es war mir zuletzt lang-
weilig, immer im nämlichen Rock herumzulaufen,
und die nämlichen Falten zu ziehen! Das iſt er-
bärmlich, ſo ein armſeliges Inſtrument zu ſpielen,
auf dem eine Saite immer nur einen Ton an-
gibt! — Das iſt nicht zum Aushalten. Ich wollte
mir’s bequem machen. Ich hab’ es erreicht; die
Revolution ſetzt mich in Ruhe, aber auf andere
Weiſe, als ich dachte. — Übrigens auf was ſich
ſtützen? — Unſere Metzen könnten es noch mit den
[57] Guillotinen-Betſchweſtern aufnehmen; ſonſt weiß ich
nichts. Es läßt ſich an den Fingern herzählen:
Die Jacobiner haben erklärt, daß die Tugend an
der Tagesordnung ſei. Die Cordeliers nennen mich
Hebert’s Henker, der Gemeinderath thut Buße. Der
Convent — das wäre noch ein Mittel! aber es
gäbe einen 31. Mai, ſie würden nicht gutwillig
weichen. Robespierre iſt das Dogma der Revolu-
tion, es darf nicht ausgeſtrichen werden. Es ginge
auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, die
Revolution hat uns gemacht. — Und, — wenn es ginge
— ich will lieber guillotinirt werden, als guilloti-
niren laſſen. Ich habe es ſatt; wozu ſollen wir
Menſchen mit einander kämpfen? Wir ſollten uns
neben einander ſetzen und Ruhe haben. Es wurde
ein Fehler gemacht, wie wir geſchaffen wurden; es
fehlt uns freilich etwas, ich habe keinen Namen
dafür, aber wir werden es uns einander nicht aus
den Eingeweiden herauswühlen, was ſollen wir uns
darum die Leiber aufbrechen? Geht, wir ſind elende
Alchymiſten.


Camille.

Pathetiſcher geſagt, würde es heißen: wie lange
ſoll die Menſchheit in ewigem Hunger ihre eignen
[58] Glieder freſſen? Oder, wie lange ſollen wir Schiff-
brüchige auf einem Wrack in unlöſchbarem Durſt
einander das Blut aus den Adern ſaugen? Oder,
wie lange ſollen wir Algebraiſten im Fleiſch bel’m
Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X
unſere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern ſchreiben?


Danton.

Du biſt ein ſtarkes Echo.


Camille.

Nicht wahr? — ein Piſtolenſchuß ſchallt gleich
wie ein Donnerſchlag. Deſto beſſer für dich, du
ſollteſt mich immer bei dir haben.


Philippeau.

Und Frankreich bleibt ſeinen Henkern?


Danton.

Was liegt daran? Die Leute befinden ſich ganz
wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr
verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig
zu ſein, oder um überhaupt keine Langeweile zu
haben? — Ob ſie nun an der Guillotine oder am
Fieber oder am Alter ſterben! Es iſt noch vorzu-
ziehen, ſie treten mit gelenken Gliedern hinter die
Couliſſen und können im Abgehen noch hübſch ge-
ſtikuliren und die Zuſchauer klatſchen hören. Das
[59] iſt ganz artig und paßt für uns, wir ſtehen immer
auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernſt
erſtochen werden. Es iſt recht gut, daß die Lebens-
zeit ein wenig reduzirt wird, der Rock war zu lang,
unſere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das
Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat
auch Athem und Geiſt genug für ein Epos in
fünfzig oder ſechzig Geſängen? ’s iſt Zeit, daß man
das bischen Eſſen nicht mehr aus Zubern, ſondern
aus Liqueur-Gläschen trinkt, ſo bekömmt man doch
das Maul voll, ſonſt konnte man kaum einige
Tropfen in dem plumpen Gefäß zuſammenrinnen
machen. Endlich — — ich müßte ſchreien, das iſt
mir der Mühe zu viel, das Leben iſt nicht der Ar-
beit werth, die man ſich macht, es zu erhalten.


Paris.

So flieh’, Danton!


Danton.

Nimmt man das Vaterland an den Schuhſohlen
mit? — Und endlich — und das iſt die Haupt-
ſache: ſie werden’s nicht wagen.

(Zu Camille.)

Komm,
mein Junge, ich ſage dir: ſie werden’s nicht wagen.
Adieu, Adieu!

(Danton und Camille ab.)

[60]
Philippeau.

Da geht er hin.


Lacroix.

Und glaubt kein Wort von dem, was er geſagt
hat. Nichts als Faulheit! Er will ſich lieber
guillotiniren laſſen, als eine Rede halten.


Paris.

Was thun?


Lacroix.

Heim gehen und als Lucretia auf einen anſtän-
digen Fall ſtudiren.


Eine Promenade.


Spaziergänger.

Ein Bürger.

Meine gute Jaqueline, ich wollte ſagen Corn
— — wollt’ ich: Cor — —


Simon.

Cornelia, Bürger, Cornelia.


Bürger.

Meine gute Cornelia hat mich mit einem Knäb-
lein erfreut.


Simon.

Hat der Republik einen Sohn geboren.


[61]
Bürger.

Der Republik? Das lautet zu allgemein; man
könnte ſagen —


Simon.

Das iſt’s grade, das Einzelne muß ſich dem
Allgemeinen —


Bürger.

Ach ja, das ſagt meine Frau auch.


Bänkelſänger
(ſingt).

Was doch iſt, was doch iſt

Aller Männer Freud’ und Lüſt?

Bürger.

Ach mit dem Namen, da komme ich gar nicht
in’s Reine.


Simon.

Tauf’ ihn, Pike Marat.


Bänkelſänger.

Unter Kummer, unter Sorgen

Sich bemühn vom frühen Morgen,

Bis der Tag vorüber iſt.

Bürger.

Ich hätte gern drei; es iſt doch was mit der
Zahl drei, und dann was Nützliches und was
Rechtliches; jetzt hab’ ich’s: Pflug, Robespierre.
Und dann das dritte?


[62]
Simon.

Pike.


Bürger.

Ich dank’ Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robes-
pierre, das ſind hübſche Namen, das macht ſich ſchön.


Simon.

Ich ſage dir, die Bruſt deiner Cornelia wird
wie das Euter der römiſchen Wölfin — nein, das
geht nicht, Romulus war ein Tyrann, das geht nicht.


(Gehn vorbei.)

Ein Bettler
(ſingt.)

Eine Hand voll Erde und ein wenig Moos!
Liebe Herren, ſchöne Damen!


Erſter Herr.

Kerl, arbeite, du ſiehſt ganz wohlgenährt aus.


Zweiter Herr.

Da!

(Er gibt ihm Geld.)

Er hat eine Hand wie
Sammet. Das iſt unverſchämt.


Bettler.

Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?


Zweiter Herr.

Arbeit, Arbeit! du könnteſt den nemlichen haben;
ich will dir Arbeit geben, komm’ zu mir, ich wohne —


Bettler.

Herr, warum habt Ihr gearbeitet?


[63]
Zweiter Herr.

Narr, um den Rock zu haben.


Bettler.

Ihr habt Euch gequält, um einen Genuß zu
haben, denn ſo ein Rock iſt ein Genuß, ein Lum-
pen thut’s auch.


Zweiter Herr.

Freilich, ſonſt geht’s nicht.


Bettler.

Daß ich ein Narr wäre. Das hebt einander.
Die Sonne ſcheint warm an das Eck und das geht
ganz leicht.

(Singt.)

Eine Hand voll Erde und ein
wenig Moos — —


Roſalie
(zu Adelaiden).

Mach fort, da kommen Soldaten.


Bettler.

Iſt auf dieſer Erde einſt mein letztes Lods!
Meine Herren, meine Damen!


Soldat.

Halt! wo hinaus, meine Kinder?

(Zu Roſalie.)


Wie alt biſt du?


Roſalie.

So alt wie mein kleiner Finger.


[64]
Soldat.

Du biſt ſehr ſpitz.


Roſalie.

Und du ſehr ſtumpf.


Soldat.

So will ich mich an dir wetzen.

(Er ſingt.)

Chriſtinlein, lieb’ Chriſtinlein mein

Thut dir der Schaden weh,

Schaden weh, Schaden weh, Schaden weh!

Roſalie
(ſingt).

Ach nein, ihr Herrn Soldaten,

Ich hätt’ es gerne meh’,

Gerne meh, gerne meh, gerne meh!

Danton und Camille treten auf.

Danton.

Geht das nicht luſtig? — Ich wittre was in
der Atmoſphäre, es iſt, als brüte die Sonne
Unzucht aus.

(Gehen vorbei.)

Junger Herr.

Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abend-
licht an den Bäumen, das Blinken eines Sternes — —


Madame.

Der Duft einer Blume, die natürlichen Freuden,
[65] dieſer reine Genuß der Natur!

(Zu ihrer Tochter.)


Sieh, Eugenie — nur die Tugend hat Augen dafür.


Eugenie
(küßt ihrer Mutter die Hand).

Ach, Mama! Ich ſehe nur Sie.


Madame.

Gutes Kind!


Junger Herr
(ziſchelt Eugenien in’s Ohr).

Sehen Sie dort die hübſche Dame mit dem
alten Herrn?


Eugenie.

Ich kenne ſie.


Junger Herr.

Man ſagt, ihr Friſeur habe ſie à l’enfant friſirt.


Eugenie
(lacht).

Böſe Zunge!


Junger Herr.

Der alte Herr geht neben ihr, er ſieht das
Knöspchen ſchwellen und führt es in die Sonne
ſpazieren, und meint, er ſei der Gewitterregen, der
es habe wachſen machen.


Eugenie.

Wie unanſtändig! ich hätte Luſt, roth zu werden.


Junger Herr.

Das könnte mich blaß machen. —


5
[66]
Danton
(zu Camille.)

Muthe mir nur nichts Ernſthaftes zu. Ich
begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gaſſe
ſtehen bleiben und einander in’s Geſicht lachen.
Ich meine, ſie müßten zu den Fenſtern und zu den
Gräbern herauslachen, und der Himmel müſſe
berſten und die Erde müſſe ſich wälzen vor Lachen.


(Gehen ab.)

Erſter Herr.

Ich verſichere Sie, eine auſſerordentliche Ent-
deckung. Alle techniſchen Künſte bekommen dadurch
eine andere Phyſiognomie. Die Menſchheit eilt
mit Rieſenſchritten ihrer hohen Beſtimmung entgegen.


Zweiter Herr.

Haben Sie das neue Stück geſehen? Ein baby-
loniſcher Thurm, ein Gewirr von Gewölben, Trepp-
chen, Gängen und das Alles ſo leicht und kühn in
die Luft geſprengt. Man ſchwindelt bei jedem Tritt.
Ein bizarrer Kopf.

(Er bleibt verlegen ſtehen)

Erſter Herr.

Was haben Sie denn?


Zweiter Herr.

Ach nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze, ſo!
Ich danke Ihnen, kaum kann ich vorbei; das konnte
gefährlich werden.


[67]
Erſter Herr.

Sie fürchteten doch nicht?


Zweiter Herr.

Ja, die Erde iſt eine dünne Kruſte, ich meine
immer, ich könnte durchfallen, wo ſo ein Loch iſt. —
Man muß mit Vorſicht auftreten, man könnte durch-
brechen. Aber gehn Sie in’s Theater, ich rathe
es Ihnen.


Ein Zimmer.


Danton. Camille. Lucile.
Camille.

Ich ſage Euch, wenn ſie nicht Alles in hölzer-
nen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Con-
certen und Kunſt-Ausſtellungen, ſo haben ſie weder
Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Mario-
nette, wo man den Strick hereinhängen ſieht, an
dem ſie gezerrt wird, und deren Gelenke bei jedem
Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, welch ein
Charakter, welche Conſequenz! Nimmt Einer ein
Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht
ihm Rock und Hoſen an, macht ihm Hände und
Füße, färbt ihm das Geſicht, und läßt das Ding
5*
[68] ſich drei Acte hindurch herumquälen, bis es ſich
zuletzt verheirathet oder ſich todt ſchießt — ein
Ideal! — Fiedelt einer eine Oper, welche das
Schweben und Senken im menſchlichen Leben wie-
dergibt, wie eine Thonpfeife mit Waſſer die Nachti-
gall — die Kunſt! — Setzt die Leute aus dem
Theater auf die Gaſſe — die erbärmliche Wirklich-
keit! — Sie vergeſſen ihren Herrgott über ſeinen
ſchlechten Copiſten. Von der Schöpfung, die glü-
hend, brauſend und leuchtend in ihnen ſich jeden
Augenblick neu gebiert, hören und ſehen ſie nichts.
Sie gehen in’s Theater, leſen Gedichte und Romane,
ſchneiden den Fratzen darin die Geſichter nach, und
ſagen zu Gottes Geſchöpfen: wie gewöhnlich! —
Die Griechen wußten, was ſie ſagten, wenn ſie
erzählten, Pygmalions Statue ſei lebendig gewor-
den, habe aber keine Kinder bekommen.


Danton.

Und die Künſtler gehn mit der Natur um wie
David, der im September die Gemordeten, wie ſie
aus der Force auf die Gaſſe geworfen wurden,
kaltblütig zeichnete und ſagte: ich erhaſche die letzten
Zuckungen des Lebens in dieſen Böſewichtern.


(Danton wird herausgerufen.)

[69]
Camille.

Was ſagſt du, Lucile?


Lucile.

Nichts, ich ſehe dich ſo gern ſprechen.


Camille.

Hörſt mich auch?


Lucile.

Ei freilich.


Camille.

Habe ich recht? Weißt du auch, was ich
geſagt habe?


Lucile.

Nein, wahrhaftig nicht.


(Danton kömmt zurück.)

Camille.

Was haſt du?


Danton.

Der Wohlfahrts-Ausſchuß hat meine Verhaftung
beſchloſſen. Man hat mich gewarnt und mir einen
Zufluchtsort angeboten. Sie wollen meinen Kopf;
meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüßig.
Mögen ſie ihn nehmen, was liegt daran? Ich werde
mit Muth zu ſterben wiſſen; das iſt leichter, als
zu leben.


[70]
Camille.

Danton, noch iſt es Zeit.


Danton.

Unmöglich, — aber ich hätte nicht gedacht —


Camille.

Deine Trägheit!


Danton.

Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen
brennen mich.


Camille.

Wo gehſt du hin?


Danton.

Ja, wer das wüßte!


Camille.

Im Ernſt, wohin?


Danton.

Spazieren, mein Junge, ſpazieren.

(Er geht.)

Lucile.

Ach, Camille!


Camille.

Sei ruhig, lieb Kind.


Lucile.

Wenn ich denke, daß ſie dies Haupt! — — Mein
Camille, das iſt Narrheit, gelt, ich bin wahnſinnig?


[71]
Camille.

Sei ruhig, Danton und ich ſind nicht Eins.


Lucile.

Die Erde iſt weit und es ſind viel Dinge dar-
auf, warum denn grade das eine? Wer ſollte mir’s
nehmen? Das wäre arg. Was wollten ſie auch
damit anfangen?


Camille.

Ich wiederhole dir: du kannſt ruhig ſein. Geſtern
ſprach ich mit Robespierre; er war freundlich. Wir
ſind ein wenig geſpannt, das iſt wahr; verſchiedene
Anſichten, ſonſt nichts!


Lucile.

Such’ ihn auf.


Camille.

Wir ſaßen auf einer Schulbank. Er war immer
finſter und einſam. Ich allein ſuchte ihn auf und
machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer
große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.


Lucile.

So ſchnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur
das

(ſie küßt ihn)

und das! Geh! Geh!

(Camille ab.)


— Das iſt eine böſe Zeit. Es geht einmal ſo.
Wer kann da drüber hinaus? Man muß ſich faſſen

(ſingt.)

[72]
Ach ſcheiden, ach ſcheiden, ach ſcheiden,

Wer hat ſich das Scheiden erdacht?

Wie kommt mir grade das in den Kopf? Das iſt
nicht gut, daß es den Weg ſo von ſelbſt findet. — Wie
er hinaus iſt, war mir’s, als könnte er nicht mehr
umkehren, und müſſe immer weiter weg von mir,
immer weiter. — Wie das Zimmer ſo leer iſt; die
Fenſter ſtehen offen, als hätte ein Todter darin ge-
legen. Ich halt’ es da oben nicht aus.

(Sie geht.)

Freies Feld.


Danton.

Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieſer Stille
mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen
meines Athems nicht Lärmen machen.

(Er ſetzt ſich
nieder, nach einer Pauſe.)

Man hat mir von einer
Krankheit erzählt, die einem das Gedächtniß verlie-
ren mache. Der Tod ſoll etwas davon haben.
Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß
er vielleicht noch kräftiger wirke und einem Alles
verlieren mache. — Wenn das wäre! — Dann lief’
ich wie ein Chriſt, um einen Feind, d. h. mein
Gedächtniß, zu retten. — Der Ort ſoll ſicher ſein,
[73] ja für mein Gedächtniß, aber nicht für mich; mir
gibt das Grab mehr Sicherheit, es ſchafft mir we-
nigſtens Vergeſſen. Es tödtet mein Gedächtniß.
Dort aber lebt mein Gedächtniß und tödtet mich.
Ich oder es? Die Antwort iſt leicht.

(Er erhebt ſich
und kehrt um.)

— Ich kokettire mit dem Tod, es
iſt ganz angenehm, ſo aus der Ferne mit dem
Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. — Eigentlich muß
ich über die ganze Geſchichte lachen. Es iſt ein
Gefühl des Bleibens in mir, was mir ſagt: mor-
gen und übermorgen und weiter hinaus iſt Alles
wie eben. Das iſt leerer Lärm, man will mich
ſchrecken; ſie werden’s nicht wagen!

(Ab.)

Ein Zimmer.


(Es iſt Nacht.)

Danton.
(am Fenſter).

Will denn das nie aufhören? Wird das Licht
nie ausglühen und der Schall nie modern; will’s
denn nie ſtill und dunkel werden, daß wir uns die
garſtigen Sünden einander nicht mehr anhören und
anſehen? — September! —


[74]
Julie.
(ruft von innen.)

Danton! Danton!


Danton.

He?


Julie.
(tritt ein).

Was rufſt du?


Danton.

Rief ich?


Julie.

Du ſprachſt von garſtigen Sünden und dann
ſtöhnteſt du: September!


Danton.

Ich, ich? Nein, ich ſprach nicht, das dacht’ ich
kaum, das waren nur ganz leiſe heimliche Gedanken.


Julie.

Du zitterſt, Danton.


Danton.

Und ſoll ich nicht zittern, wenn ſo die Wände
plaudern? Wenn mein Leib ſo zerſchellt iſt, daß
meine Gedanken unſtät, umirrend mit den Lippen
der Steine reden? Das iſt ſeltſam.


Julie.

Georg, mein Georg!


[75]
Danton.

Ja, Julie, das iſt ſeltſam. Ich mögte nicht
mehr denken, wenn das gleich ſpricht. Es gibt
Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben
ſollte. Das iſt nicht gut, daß ſie bei der Geburt
gleich ſchreien, wie Kinder; das iſt nicht gut.


Julie.

Gott erhalte dir deine Sinne, Georg! Georg,
erkennſt du mich?


Danton.

Ei warum nicht! Du biſt ein Menſch und dann
eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde
hat fünf Welttheile, Europa, Aſien, Afrika, Ame-
rika, Auſtralien und zwei mal zwei macht vier. Ich
bin bei Sinnen, ſiehſt du?—Schrie’s nicht Septem-
ber? Sagteſt du nicht ſo was?


Julie.

Ja, Danton, durch alle Zimmer hört’ ich’s.


Danton.

Wie ich an’s Fenſter kam —

(er ſieht hinaus)


die Stadt ruhig, alle Lichter aus.


Julie.

Ein Kind ſchreit in der Nähe.


[76]
Danton.

Wie ich an’s Fenſter kam — durch alle Gaſſen
ſchrie und zetert’ es: September!


Julie.

Du träumteſt, Danton; faß’ dich.


Danton.

Träumteſt? ja, ich träumte; doch das war an-
ders, ich will dir es gleich ſagen, mein armer Kopf
iſt ſchwach, gleich! ſo, jetzt hab’ ich’s. Unter mir
keucht die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte ſie
wie ein wildes Roß gepackt, mit rieſigen Gliedern
wühlt’ ich in ihren Mähnen und preßt ich ihre
Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare
flatternd über dem Abgrund; ſo ward ich geſchleift.
Da ſchrie ich in der Angſt und ich erwachte. Ich
trat an’s Fenſter — und da hört’ ich’s, Julie. —
Was das Wort nur will? Warum gerade das?
Was hab’ ich damit zu ſchaffen? Was ſtreckt es nach
mir die blutigen Hände? Ich hab’ es nicht geſchla-
gen. — O hilf mir, Julie, mein Sinn iſt ſtumpf.
War’s nicht im September, Julie?


Julie.

Die Könige waren noch vierzig Stunden von
Paris.


[77]
Danton.

Die Feſtungen gefallen, die Ariſtokraten in
der Stadt.


Julie.

Die Republik war verloren.


Danton.

Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im
Rücken faſſen, wir wären Narren geweſen, zwei
Feinde auf einem Brett; wir oder ſie, der Stärkere
ſtößt den Schwächeren hinunter, iſt das nicht billig?


Julie.

Ja, Ja.


Danton.

Wir ſchlugen ſie, das war kein Mord, das war
Krieg nach innen.


Julie.

Du haſt das Vaterland gerettet.


Danton.

Ja, das hab’ ich, das war Nothwehr, wir mußten.
— Der Mann am Kreuze hat ſich’s bequem gemacht;
es muß ja Ärgerniß kommen, doch wehe dem, durch
welchen Ärgerniß kommt. — Es muß; das war
dies Muß! — Wer will der Hand fluchen, auf die
der Fluch des Muß gefallen? — Wer hat das Muß
[78] geſprochen, wer? Was iſt das, was in uns lügt,
ſtiehlt und mordet? — Puppen ſind wir, von un-
bekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts,
nichts wir ſelbſt, — die Schwerter, mit denen Geiſter
kämpfen! — man ſieht nur die Hände nicht, wie im
Mährchen. — Jetzt bin ich ruhig.


Julie.

Ganz ruhig, lieb Herz?


Danton.

Ja, Julie, komm zu Bette.


Strasse vor Danton’s Hauſe.


Simon. Bürgerſoldaten.

Simon.

Wie weit iſt’s in der Nacht?


Erſter Bürger.

Was in der Nacht?


Simon.

Wie weit iſt die Nacht?


[79]
Erſter Bürger.

So weit als zwiſchen Sonnenuntergang und
Sonnenaufgang.


Simon.

Schuft, wieviel Uhr?


Erſter Bürger.

Sieh auf dein Zifferblatt.


Simon.

Wir müſſen hinauf! Fort, Bürger! Wir haften
mit unſern Köpfen dafür. Todt oder lebendig! Er
hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn, Bürger.
Der Freiheit eine Gaſſe! — Sorgt für mein Weib!
Eine Eichenkrone werde ich ihr hinterlaſſen. —
Nur vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das
Vaterland verdient machen.


Zweiter Bürger.

Ich wollte, das Vaterland machte ſich um uns
verdient. Über all den Löchern, die wir in anderer
Leute Körper machen, iſt noch kein einziges in un-
ſern Hoſen zugegangen.


Erſter Bürger.

Willſt du, daß dir dein Hoſenlatz zuginge?
He, he, he!


[80]
Die Andern.

He, he, he!


Simon.

Fort, fort!


(Sie dringen in Danton’s Haus.)

Der National-Convent.


Eine Gruppe von Deputirten.

Legendre.

Soll denn das Schlachten der Deputirten nicht
aufhören? — Wer iſt noch ſicher, wenn Danton fällt?


Ein Deputirter.

Was thun?


Ein Anderer.

Er muß vor den Schranken des Convents ge-
hört werden. — Der Erfolg dieſes Mittels iſt ſicher;
was ſollen ſie ſeiner Stimme entgegen ſetzen?


Ein Anderer.

Unmöglich, ein Dekret verhindert uns.


Legendre.

Es muß zurückgenommen oder eine Ausnahme
geſtattet werden. Ich werde den Antrag machen;
ich rechne auf eure Unterſtützung.


[81]
Der Präſident.

Die Sitzung iſt eröffnet.


Legendre
(beſteigt die Tribüne).

Vier Mitglieder des National-Convents ſind ver-
floſſene Nacht verhaftet worden. Ich weiß, daß
Danton einer von ihnen iſt, die Namen der Übrigen
kenne ich nicht. Mögen ſie übrigens ſein, wer ſie
wollen, ſo verlange ich, daß ſie vor den Schranken
gehört werden. — Bürger, ich erkläre es: ich halte
Danton für eben ſo rein, wie mich ſelbſt, und ich
glaube nicht, daß mir irgend ein Vorwurf gemacht
werden kann. Ich will kein Mitglied des Wohl-
fahrts- oder des Sicherheits-Ausſchuſſes angreifen,
aber gegründete Urſachen laſſen mich fürchten, Privat-
haß und Privatleidenſchaften möchten der Freiheit
Männer entreiſſen, die ihr die größten Dienſte erwie-
ſen haben. Der Mann, welcher im Jahr 1792
Frankreich durch ſeine Energie rettete, verdient
gehört zu werden; er muß ſich erklären dürfen,
wenn man ihn des Hochverraths anklagt.


(Heftige Bewegung.)

Einige Stimmen.

Wir unterſtützen Legendre’s Vorſchlag.


6
[82]
Ein Deputirter.

Wir ſind hier im Namen des Volkes, man kann
uns ohne den Willen unſerer Wähler nicht von
unſeren Plätzen reißen.


Ein Anderer.

Eure Worte riechen nach Leichen, ihr habt ſie
den Girondiſten aus dem Munde genommen. Wollt
ihr Privilegien? Das Beil des Geſetzes ſchwebt
über allen Häuptern.


Ein Anderer.

Wir können unſern Ausſchüſſen nicht erlauben,
die Geſetzgeber aus dem Aſyl des Geſetzes auf die
Guillotine zu ſchicken.


Ein Anderer.

Das Verbrechen hat kein Aſyl, nur gekrönte
Verbrechen finden eins auf dem Thron.


Ein Anderer.

Nur Spitzbuben appelliren an das Aſylrecht.


Ein Anderer.

Nur Mörder erkennen es nicht an.


Robespierre.

Die ſeit langer Zeit in dieſer Verſammlung un-
bekannte Verwirrung beweiſet, daß es ſich um große
[83] Dinge handelt. Heute entſcheidet ſich’s, ob einige
Männer den Sieg über das Vaterland davon tragen
werden. — Wie könnt ihr eure Grundſätze weit
genug verläugnen, um heute einigen Individuen
das zu bewilligen, was ihr geſtern Chabot, Delan-
cienz und Fabre verweigert habt? Was ſoll dieſer
Unterſchied zu Gunſten einiger Männer? Was
kümmern mich die Lobſprüche, die man ſich ſelbſt
und ſeinen Freunden ſpendet? Nur zu viele Erfah-
rungen haben uns gezeigt, was davon zu halten ſei.
Wir fragen nicht, ob ein Mann dieſe oder jene
patriotiſche Handlung vollbracht habe; wir fragen
nach ſeiner ganzen politiſchen Laufbahn. — Legendre
ſcheint die Namen der Verhafteten nicht zu wiſſen;
der ganze Convent kennt ſie. Sein Freund Lacroix
iſt darunter. Warum ſcheint Legendre das nicht zu
wiſſen? Weil er wohl weiß, daß nur die Scham-
loſigkeit Lacroix vertheidigen kann. Er nannte nur
Danton, weil er glaubt, an dieſen Namen knüpfe
ſich ein Privilegium. Nein, wir wollen keine Privi-
legien, wir wollen keine Götzen!

(Beifall.)

Was
hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor
Briſſot, Fabre, Chabot, Hebert voraus? Was ſagt
man von dieſen, was man nicht auch von ihm ſagen
6*
[84] könnte? Wodurch verdient er einen Vorzug vor
ſeinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene
Individuen und Andere, die ſich nicht betrügen
ließen, ſich um ihn reihten, um in ſeinem Gefolge
dem Glück und der Macht in die Arme zu laufen?
— Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche
Vertrauen in ihn ſetzten, deſto nachdrücklicher muß
er die Strenge der Freiheitsfreunde empfinden. —
Man will euch Furcht einflößen vor dem Miß-
brauche einer Gewalt, die ihr ſelbſt ausgeübt habt.
Man ſchreit über den Deſpotismus der Ausſchüſſe,
als ob das Vertrauen, welches das Volk euch ge-
ſchenkt, und das ihr dieſen Ausſchüſſen übertragen
habt, nicht eine ſichere Garantie ihres Patriotismus
wäre. Man ſtellt ſich, als zittre man. Aber ich
ſage euch, wer in dieſem Augenbicke zittert, iſt ſchul-
dig, denn nie zittert die Unſchuld vor der öffent-
lichen Wachſamkeit.

(Allgemeiner Beifall.)

Man hat
auch mich ſchrecken wollen; man gab mir zu verſte-
hen, daß die Gefahr, indem ſie ſich Danton nähere,
auch bis zu mir dringen könne. — Man ſchrieb
mir, Danton’s Freunde hielten mich umlagert, in
der Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbin-
dung, der blinde Glaube an erheuchelte Tugenden
[85] könnten mich beſtimmen, meinen Eifer und meine
Leidenſchaften für die Freiheit zu mäßigen. — So
erkläre ich denn: nichts ſoll mich aufhalten, und
ſollte auch Danton’s Gefahr die meinige werden.
Wir haben alle etwas Muth und etwas Seelengröße
nöthig. Nur Verbrecher und gemeine Seelen fürch-
ten, Ihresgleichen an ihrer Seite fallen zu ſehen,
weil ſie, wenn keine Schaar von Mitſchuldigen ſie
mehr verſteckt, ſich dem Licht der Wahrheit ausgeſetzt
ſehen. Aber wenn es dergleichen Seelen in dieſer
Verſammlung gibt, ſo gibt es in ihr auch heroiſche.
Die Zahl der Schurken iſt nicht groß; wir haben
nur wenige Köpfe zu treffen und das Vaterland iſt
gerettet.

(Beifall.)

Ich verlange, daß Legendre’s
Vorſchlag zurückgewieſen werde.


(Die Deputirten erheben ſich ſämmtlich zum Zeichen
allgemeiner Beiſtimmung.)

St. Juſt.

Es ſcheint in dieſer Verſammlung einige empfind-
liche Ohren zu geben, die das Wort: Blut nicht
wohl vertragen können. Einige allgemeine Betrach-
tungen mögen ſie überzeugen, daß wir nicht grau-
ſamer ſind als die Natur und als die Zeit. Die
Natur folgt ruhig und unwiderſtehlich ihren Geſetzen;
[86] der Menſch wird vernichtet, wo er mit ihnen in
Conflict kommt. Eine Änderung in den Beſtand-
theilen der Luft, ein Auflodern des telluriſchen
Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer
Waſſermaſſe und eine Seuche, ein vulkaniſcher Aus-
bruch, eine Überſchwemmung begraben Tauſende. —
Was iſt das Reſultat? Eine unbedeutende, im großen
Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der phyſiſchen
Natur, die faſt ſpurlos vorüber gegangen ſein würde,
wenn nicht Leichen auf ihrem Wege längen. — Ich
frage nun: ſoll die geiſtige Natur in ihren Revo-
lutionen mehr Rückſicht nehmen, als die phyſiſche?
Soll eine Idee nicht eben ſo gut wie ein Geſetz
der Phyſik vernichten dürfen, was ſich ihr widerſetzt?
Soll überhaupt ein Ereigniß, was die ganze Geſtal-
tung der moraliſchen Natur, d. h. der Menſchheit,
umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? Der
Weltgeiſt bedient ſich in der geiſtigen Sphäre unſerer
Arme eben ſo, wie er in der phyſiſchen Vulkane
und Waſſerfluthen gebraucht. Was liegt daran,
ob ſie nun an einer Seuche oder an der Revolution
ſterben? — Die Schritte der Menſchheit ſind lang-
ſam, man kann ſie nur nach Jahrhunderten zählen,
hinter jedem erheben ſich die Gräber von Genera-
[87] tionen. Das Gelangen zu den einfachſten Erfin-
dungen und Grundſätzen hat Millionen das Leben
gekoſtet, die auf dem Wege ſtarben. Iſt es denn
nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der
Geſchäfte raſcher iſt, auch mehr Menſchen auſſer
Athem kommen? — Wir ſchließen ſchnell und ein-
fach: da Alle unter gleichen Verhältniſſen geſchaffen
worden, ſo ſind Alle gleich, die Unterſchiede abge-
rechnet, welche die Natur ſelbſt gemacht hat. —
Es darf daher Jeder Vorzüge und darf daher Keiner
Vorrechte haben, weder im Einzelnen, noch eine
geringere oder größere Klaſſe von Individuen. Jedes
Glied dieſes in der Wirklichkeit angewandten Satzes
hat ſeine Menſchen getödtet. Der 14. Juli, der
10. Auguſt, der 31. Mai ſind ſeine Interpunktions-
zeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nöthig, um in
der Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter
gewöhnlichen Umſtänden hätte er ein Jahrhundert
dazu gebraucht, und wäre mit Generationen inter-
punktirt worden. Iſt es da ſo zu verwundern, daß
der Strom der Revolution bei jedem Abſatz, bei
jeder neuen Krümmung ſeine Leichen ausſtößt? —
Wir werden unſerm Satze nach einige Schlüſſe
hinzuzufügen haben; ſollen einige hundert Leichen
[88] uns verhindern, ſie zu machen? — Moſes führte
ſein Volk durch das rothe Meer und in die Wüſte,
bis die alte verdorbene Generation ſich aufgerieben
hatte, ehe er den neuen Staat gründete. Geſetz-
geber! Wir haben weder das rothe Meer noch die
Wüſte, aber wir haben den Krieg und die Guillo-
tine. Die Revolution iſt wie die Töchter des Pelias;
ſie zerſtückt die Menſchheit, um ſie zu verjüngen.
Die Menſchheit wird aus dem Blutkeſſel wie die
Erde aus den Wellen der Sündfluth mit urkräf-
tigen Gliedern ſich erheben, als wäre ſie zum erſten-
mal geſchaffen.


(Langer anhaltender Beifall. Einige Mitglieder
erheben ſich im Enthuſiasmus.)

St. Juſt.

Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in
Europa und auf dem ganzen Erdkreiſe den Dolch
des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern
wir auf, dieſen erhabenen Augenblick mit uns zu theilen.


(Die Zuhörer und die Deputirten ſtimmen die
Marſeillaiſe an.)

[89]

Dritter Act.


Das Luxemburg.


Ein Saal mit Gefangenen.
Chaumette, Payne, Mercier, Hérault de
Séchelles
und andere Deputirten.

Chaumette
(zupft Payne am Aermel.)

Hören Sie, Payne, es könnte doch ſo ſein! Vor-
hin überkam es mich ſo, ich habe heute Kopfweh,
helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlüſſen, es
iſt mir ganz unheimlich zu Muth.


Payne.

So komm, Philoſoph Anaxagoras, ich will dich
katechiſiren. — Es gibt keinen Gott, denn:
entweder hat Gott die Welt geſchaffen oder nicht.
Hat er ſie nicht geſchaffen, ſo hat die Welt ihren
Grund in ſich und es gibt keinen Gott, da Gott
nur dadurch Gott wird, daß er den Grund alles
Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt
[90] nicht geſchaffen haben; denn entweder iſt die Schöp-
fung ewig wie Gott, oder ſie hat einen Anfang.
Iſt letzteres der Fall, ſo muß Gott ſie zu einem
beſtimmten Zeitpunkt geſchaffen haben. Gott muß
alſo, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal thä-
tig geworden ſein, muß alſo einmal eine Verände-
rung in ſich erlitten haben, die den Begriff Zeit
auf ihn anwenden läßt, was beides gegen das Weſen
Gottes ſtreitet. Gott kann alſo die Welt nicht
geſchaffen haben. Da wir nun aber ſehr deutlich
wiſſen, daß die Welt oder daß unſer Ich wenig-
ſtens vorhanden iſt und daß ſie dem Vorhergehen-
den nach alſo auch ihren Grund in ſich oder in
etwas haben muß, das nicht Gott iſt, ſo kann es
keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.


Chaumette.

Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht, ich
danke, danke.


Mercier.

Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung
nun ewig iſt?!


Payne.

Dann iſt ſie ſchon keine Schöpfung mehr, dann
iſt ſie Eins mit Gott oder ein Attribut deſſelben,
[91] we Spinoza ſagt, dann iſt Gott in Allem, in
Ihnen, Wertheſter, im Philoſophen Anaxagoras und
in mir. Das wäre ſo übel nicht, aber ſie müſſen
nir zugeſtehen, daß es gerade nicht viel um die
himmliſche Majeſtät iſt, wenn der liebe Herrgott
in jedem von uns Zahnweh kriegen, lebendig begra-
ben werden, oder wenigſtens die ſehr unangenehmen
Vorſtellungen davon haben kann.


Mercier.

Aber eine Urſache muß doch da ſein.


Payne.

Wer läugnet das? Aber wer ſagt Ihnen denn,
daß dieſe Urſache das ſei, was wir uns als Gott,
d. h. als das Vollkommenſte denken? Halten Sie
die Welt für vollkommen?


Mercier.

Nein.


Payne.

Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommenen
Wirkung auf eine vollkommene Urſache ſchließen? —
Voltaire wagte es eben ſo wenig, es mit Gott, als
mit den Königen zu verderben, deswegen that er
es. Wer einmal nichts hat, als Verſtand, und ihn
[92] nicht einmal conſequent zu gebrauchen weiß oder
wagt, iſt ein Stümper.


Mercier.

Ich frage dagegen, kann eine vollkommene Ur-
ſache eine vollkommene Wirkung haben, d. h. kann
etwas Vollkommenes was Vollkommenes ſchaffen? —
— Iſt das nicht unmöglich, weil das Geſchaffene
doch nie ſeinen Grund in ſich haben kann, was
doch, wie Sie ſagten, zur Vollkommenheit gehört.


Chaumette.

Schweigen Sie! Schweigen Sie!


Payne.

Beruhige dich, Philoſoph. Sie haben Recht;
aber, muß denn Gott einmal ſchaffen, kann er nur
was Unvollkommenes ſchaffen, ſo läßt er es geſcheidter
ganz bleiben. Iſt’s nicht ſehr menſchlich, uns Gott
nur als ſchaffend denken zu können? Weil wir
uns immer rühren und ſchütteln müſſen, um uns
nur immer ſagen zu können: wir ſind! müſſen wir
Gott auch dies elende Bedürfniß andichten? —
Müſſen wir, wenn ſich unſer Geiſt in das Weſen
einer harmoniſch in ſich ruhenden, ewigen Seligkeit
verſenkt, gleich annehmen, ſie müſſe den Finger
ausſtrecken und über Tiſch Brodmännchen kneten, —
[93] aus überſchwänglichem Liebesbedürfniß, wie wir uns
ganz geheimnißvoll in die Ohren ſagen? Müſſen
wir das Alles, blos um uns zu Götterſöhnen
zu machen? Ich nehme mit einem geringern
Vater vorlieb, wenigſtens werde ich ihm nicht
nachſagen können, daß er mich unter ſeinem
Stande in Schweinſtällen oder auf den Galeeren
habe erziehen laſſen. — Schafft das Unvollkommene
weg; dann allein könnt ihr Gott demonſtriren,
Spinoza hat es verſucht. Man kann das Böſe
läugnen, aber nicht den Schmerz, nur der Verſtand
kann Gott beweiſen, das Gefühl empört ſich dage-
gen. — Merke dir es, Anaxagoras, warum leide
ich? Das iſt der Fels des Atheismus. Das leiſeſte
Zucken des Schmerzes, und rege es ſich nur in
einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung
von oben bis unten.


Mercier.

Und die Moral?


Payne.

Erſt beweiſt ihr Gott aus der Moral und dann
die Moral aus Gott. Was wollt ihr denn mit
eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für
ſich was Böſes oder was Gutes gibt, und habe
[94] deswegen doch nicht nöthig, meine Handlungsweiſe
zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was
ihr angemeſſen, iſt für mich gut und ich thue es,
und was ihr zuwider, iſt für mich bös und ich thue
es nicht und vertheidige mich dagegen, wenn es mir
in den Weg kommt. Sie können, wie man ſo ſagt,
tugendhaft bleiben und ſich gegen das ſogenannte
Laſter wehren, ohne deswegen ihren Gegner ver-
achten zu müſſen, was ein gar trauriges Gefühl iſt.


Chaumette.

Wahr, ſehr wahr!


Hérault.

O Philoſoph Anaxagoras, man könnte aber auch
ſagen: damit Gott Alles ſei, müſſe er auch ſein
eignes Gegentheil ſein, d. h. vollkommen und un-
vollkommen, bös und gut, ſelig und leidend; das
Reſultat freilich würde gleich Null ſein, es würde
ſich gegenſeitig heben, wir kämen zu Nichts. — Freue
dich, du kommſt glücklich durch, du kannſt ganz
ruhig in Madame Momero das Meiſterſtück der
Natur anbeten.


Chaumette.

Ich danke Ihnen verbindlichſt, meine Herren.


(Ab.)

[95]
Payne.

Er traut noch nicht, er wird ſich zu guter Letzt
noch die Ölung geben, die Füße nach Mecca zu
legen, und ſich beſchneiden laſſen, um ja keinen Weg
zu verfehlen.


(Danton, Lacroix, Camille, Philippeau wer-
den hereingeführt.)

Hérault
(läuft auf Danton zu und umarmt ihn).

Guten Morgen! Gute Nacht! — ſollte ich ſagen.
Ich kann nicht fragen, wie haſt du geſchlafen? Wie
wirſt du ſchlafen?


Danton.

Nun gut, man muß lachend zu Bett gehn.


Mercier
(zu Payne).

Dieſe Dogge mit Taubenflügeln! Er iſt der
böſe Genius der Revolution, er wagte ſich an ſeine
Mutter, aber ſie war ſtärker als er.


Payne.

Sein Leben und ſein Tod ſind ein gleich großes
Unglück.


Lacroix
(zu Danton.)

Ich dachte nicht, daß ſie ſo ſchnell kommen würden.


Danton.

Ich wußt’ es, man hatte mich gewarnt.


[96]
Lacroix.

Und du haſt nichts geſagt?


Danton.

Zu was? Ein Schlagfluß iſt der beſte Tod;
wollteſt du zuvor krank ſein? Und — ich dachte
nicht, daß ſie es wagen würden.

(Zu Hérault.)

Es
iſt beſſer, ſich in die Erde legen, als ſich Leichdörner
auf ihr laufen; ich habe ſie lieber zum Kiſſen, als
zum Schemel.


Hérault.

Wir werden wenigſtens nicht mit Schwielen an
den Fingern der hübſchen Dame Verweſung die
Wangen ſtreicheln.


Camille
(zu Danton).

Gib dir nur keine Mühe, du magſt die Zunge
noch ſo weit zum Hals heraushängen, du kannſt
[d]ir damit doch nicht den Todesſchweiß von der
Stirne lecken. O Lucile! das iſt ein großer Jammer.


(Die Gefangenen drängen ſich um die neu
Angekommenen.)

Danton
(zu Payne).

Was Sie für das Wohl Ihres Landes gethan,
habe ich für das meinige verſucht. Ich war weni-
ger glücklich, man ſchickt mich auf’s Schaffot; mei-
netwegen, ich werde nicht ſtolpern.


[97]
Mercier
(zu Danton).

Das Blut der Zweiundzwanzig erſäuft dich.


Ein Gefangener
(zu Hérault).

Die Macht des Volkes und die Macht der Ver-
nunft ſind eins.


Ein Anderer
(zu Camille.)

Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Ver-
beſſerung der Straßenbeleuchtung hat in Frankreich
nicht heller gemacht.


Ein Anderer.

Laßt ihn! das ſind die Lippen, welche das Wort
Erbarmen geſprochen.


(Er umarmt Camille, mehrere Gefangene
folgen ſeinem Beiſpiel.)

Philippeau.

Wir ſind Prieſter, die mit Sterbenden gebetet
haben, wir ſind angeſteckt worden und ſterben an
der nämlichen Seuche.


Einige Stimmen.

Der Streich, der Euch trifft, tödtet uns Alle.


Camille.

Meine Herren, ich beklage ſehr, daß unſere
Anſtrengungen ſo fruchtlos waren; ich gehe auf’s
7
[98] Schaffot, weil mir die Augen über das Loos einiger
Unglücklichen naß geworden.


Ein Zimmer.


Fouquier-Tinville, Hermann.

Fouquier.

Alles bereit?


Hermann.

Es wird ſchwer halten; wäre Danton nicht dar-
unter, ſo ginge es leicht.


Fouquier.

Er muß vortanzen.


Hermann.

Er wird die Geſchwornen erſchrecken, er iſt die
Vogelſcheuche der Revolution.


Fouquier.

Die Geſchwornen müſſen wollen.


Hermann.

Ein Mittel wüßt’ ich, aber es wird die geſetz-
liche Form verletzen.


Fouquier.

Nur zu.


[99]
Hermann.

Wir loſen nicht, ſondern ſuchen die Handfeſten aus.


Fouquier.

Das muß gehen, das wird ein gutes Hecken-
feuer geben. Es ſind ihrer neunzehn. Sie ſind
geſchickt zuſammengewürfelt. Die vier Fälſcher,
dann einige Banquiers und Fremde. Das iſt ein
pikantes Gericht. Das Volk braucht dergleichen.
Alſo zuverläßige Leute. Wer zum Beiſpiel?


Hermann.

Leroi, er iſt taub und hört daher nichts von all’
dem, was die Angeklagten vorbringen. Danton mag
ſich den Hals bei ihm rauh ſchreien.


Fouquier.

Sehr gut; weiter!


Hermann.

Vilatte und Lamiere, der eine ſitzt immer in der
Trinkſtube und der andere ſchläft immer. Beide
öffnen den Mund nur, um das Wort: ſchuldig
zu ſagen. — Girard hat den Grundſatz, es dürfe
Keiner entwiſchen, der einmal vor das Tribunal
geſtellt ſei. Renaudin —


Fouquier.

Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.


7*
[100]
Hermann.

Sei ruhig, vor einigen Tagen kommt er zu mir
und verlangt, man ſolle allen Verurtheilten vor der
Hinrichtung zur Ader laſſen, um ſie ein wenig matt
zu machen; ihre trotzige Haltung ärgere ihn.


Fouquier.

Ah, ſehr gut. Alſo ich verlaſſe mich drauf!


Hermann.

Laß mich nur machen.


Das Luxemburg.


Ein Corridor.
Lacroix, Danton, Mercier
und andere Ge-
fangene auf und abgehend.

Lacroix
(zu einem Gefangenen).

Wie, ſo viel Unglückliche, und in einem ſo
elenden Zuſtande?


Der Gefangene.

Haben Ihnen die Guillotinen-Karren nie geſagt,
daß Paris eine Schlachtbank iſt?


Mercier.

Nicht wahr, Lacroix? Die Gleichheit ſchwingt
[101] ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revo-
lution fließt, die Guillotine republikaniſirt! Da klat-
ſchen die Galerien und die Römer reiben ſich die
Hände; aber ſie hören das Röcheln der Opfer nicht.
Geht einmal Euern Phraſen nach, bis zu dem
Punkt, wo ſie verkörpert werden. Blickt um Euch,
das Alles habt Ihr geſprochen, es iſt eine mimiſche
Überſetzung Eurer Worte. Dieſe Elenden, ihre
Henker und die Guillotine ſind Eure lebendig ge-
wordenen Reden. Ihr bautet Euer Syſtem, wie
Bajazet ſeine Pyramiden, aus Menſchenköpfen.


Danton.

Du haſt Recht! — Man arbeitet heut zu Tag
Alles in Menſchenfleiſch. Das iſt der Fluch unſerer
Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. — Es
iſt gerade ein Jahr, daß ich das Revolutions-Tri-
bunal ſchuf. Ich bitte Gott und die Menſchen dafür
um Verzeihung, ich wollte neuen Septembermorden
zuvorkommen, ich hoffte, Unſchuldige zu retten,
aber dieſer langſame Mord mit ſeinen Formalitäten
iſt gräßlicher und eben ſo unvermeidlich. Meine
Herren, ich hoffte, Sie Alle dieſen Ort verlaſſen
zu machen.


[102]
Mercier.

O, herausgehen werden wir.


Danton.

Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie
das enden ſoll.


Das Revolutions-Tribunal.


Hermann
(zu Danton).

Ihr Name, Bürger.


Danton.

Die Revolution nennt meinen Namen. Meine
Wohnung iſt bald im Nichts und mein Name im
Pantheon der Geſchichte.


Hermann.

Danton, der Convent beſchuldigt Sie, mit Mira-
beau, mit Dumouriez, mit Orleans, mit den Giron-
diſten, mit den Fremden und der Faction Lud-
wigs XVII. konſpirirt zu haben.


Danton.

Meine Stimme, die ich ſo oft für die Sache
des Volkes ertönen ließ, wird ohne Mühe die Ver-
läumdung zurückweiſen. Die Elenden, welche mich
[103] anklagen, mögen hier erſcheinen, und ich werde ſie
mit Schande bedecken. Die Ausſchüſſe mögen ſich
hierher begeben, ich werde nur vor ihnen antworten.
Ich habe ſie als Kläger und als Zeugen nöthig.
Sie mögen ſich zeigen. — Übrigens, was liegt mir
an Euch und Eurem Urtheil? Ich habe es Euch
ſchon geſagt: das Nichts wird bald mein Aſyl ſein;
— das Leben iſt mir zur Laſt, man mag mir es
entreißen, ich ſehne mich danach, es abzuſchütteln.


Hermann.

Danton, die Kühnheit iſt dem Verbrecher, die
Ruhe der Unſchuld eigen.


Danton.

Privatkühnheit iſt ohne Zweifel zu tadeln, aber
jene Nationalkühnheit, die ich ſo oft gezeigt, mit
welcher ich ſo oft für die Freiheit gekämpft habe,
iſt die verdienſtvollſte aller Tugenden. — Sie iſt
meine Kühnheit, ſie iſt es, der ich mich hier zum
Beſten der Republik gegen meine erbärmlichen An-
kläger bediene. Kann ich mich faſſen, wenn ich
mich auf eine ſo niedrige Weiſe verläumdet ſehe?
— Von einem Revolutionär, wie ich, darf man
keine kalte Vertheidigung erwarten. Männer meines
Schlages ſind in Revolutionen unſchätzbar, auf
[104] ihrer Stirne ſchwebt das Genie der Freiheit.

(Zeichen
von Beifall unter den Zuhörern.)

— Mich klagt man
an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orleans
konſpirirt, zu den Füßen elender Deſpoten geſeſſen
zu haben; mich fordert man auf, vor der unent-
rinnbaren, unbeugſamen Gerechtigkeit zu antworten.
— Du elender St. Juſt wirſt der Nachwelt für
dieſe Läſterung verantwortlich ſein!


Hermann.

Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten;
gedenken Sie Marat’s, er trat mit Ehrfurcht vor
ſeine Richter.


Danton.

Sie haben die Hände an mein ganzes Leben
gelegt, ſo mag es ſich denn aufrichten und ihnen
entgegentreten, unter dem Gewicht jeder meiner
Handlungen werde ich ſie begraben. — Ich bin
nicht ſtolz darauf. Das Schickſal führt uns die
Arme, aber nur gewaltige Naturen ſind ſeine Or-
gane. — Ich habe auf dem Marsfelde dem König-
nigthum den Krieg erklärt, ich habe es am 10.
Auguſt geſchlagen, ich habe es am 21. Januar
getödtet, und den Königen einen Königskopf als
Fehdehandſchuh hingeworfen.

(Wiederholte Zeichen
[105] von Beifall. — Er nimmt die Anklage-Acte.)

— Wenn
ich einen Blick auf dieſe Schandſchrift werfe, fühle
ich mein ganzes Weſen beben. Wer ſind denn die,
welche Danton nöthigen mußten, ſich an jenem denk-
würdigen Tage

(am 10. Auguſt)

zu zeigen? Wer
ſind denn die privilegirten Weſen, von denen er
ſeine Energie borgte? — Meine Ankläger mögen
erſcheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es
verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven
und ſie in das Nichts zurückſchleudern, aus dem ſie
nie hätten hervorkriechen ſollen.


Hermann
(ſchellt).

Hören Sie die Klingel nicht?


Danton.

Die Stimme eines Menſchen, welcher ſeine Ehre
und ſein Leben vertheidigt, muß deine Schelle über-
ſchreien. — Ich habe im September die junge Brut
der Revolution mit den zerſtückten Leibern der Ari-
ſtokraten geäzt. Meine Stimme hat aus dem Golde
der Ariſtokraten und Reichen dem Volke Waffen
geſchmiedet. Meine Stimme war der Orkan, welcher
die Satelliten des Despotismus unter Wogen von
Bajonetten begrub.

(Lauter Beifall.)

[106]
Hermann.

Danton, Ihre Stimme iſt erſchöpft. Sie ſind
zu heftig bewegt. Sie werden das Nächſtemal Ihre
Vertheidigung beſchließen. Sie haben Ruhe nöthig.
— Die Sitzung iſt aufgehoben.


Danton.

Jetzt kennt Ihr Danton, noch wenige Stunden —
und er wird in den Armen des Ruhmes entſchlummern.


Das Luxemburg.


Ein Kerker.
Dillon, Laflotte
, ein Gefangenwärter.

Dillon.

Kerl, leuchte mir mit deiner Naſe nicht ſo in’s
Geſicht. Ha, ha, ha!


Laflotte.

Halte den Mund zu, deine Mondſichel hat einen
Hof. Ha, ha, ha, ha!


Wärter.

Ha, ha, ha! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei
ihrem Schein leſen könntet?


(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)

[107]
Dillon.

Gib her!


Wärter.

Herr, mein Mondſchein hat Ebbe bei mir gemacht.


Laflotte.

Deine Hoſen ſehen aus, als ob Fluth wäre.


Wärter.

Nein, ſie ziehen Waſſer.

(Zu Dillon.)

Sie hat
ſich vor Eurer Sonne verkrochen, Herr; Ihr müßt
mir das geben, das ſie wieder feurig macht, wenn
Ihr dabei leſen wollt.


Dillon.

Da Kerl! Pack’ dich.

(Er gibt ihm Geld. Wärter
ab. — Lieſt.)

Danton hat das Tribunal erſchreckt,
die Geſchwornen ſchwankten, die Zuhörer murrten.
Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte
ſich um den Juſtizpallaſt und ſtand bis zu den
Bänken. Eine Hand voll Geld, ein Arm endlich, — —
hm! hm!

(Er geht auf und ab, und ſchenkt ſich von
Zeit zu Zeit aus einer Flaſche ein.)

— Hätt’ ich nur
den Fuß auf der Gaſſe. Ich werde mich nicht ſo
ſchlachten laſſen. Ja, nur den Fuß auf der Gaſſe!


Laflotte.

Und auf dem Karren, das iſt eins.


[108]
Dillon.

Meinſt du? Da liegen noch ein Paar Schritte
dazwiſchen, lang genug, um ſie mit den Leichen der
Decemvirn zu meßen. — — Es iſt endlich Zeit,
daß die rechtſchaffnen Leute das Haupt erheben.


Laflotte
(für ſich).

Deſto beſſer, um ſo leichter iſt es zu treffen.
Nur zu, Alter, noch einige Gläſer und ich werde flott.


Dillon.

Die Schurken, die Narren, ſie werden ſich zu-
letzt noch ſelbſt guillotiniren.

(Er läuft auf und ab.)

Laflotte
(bei Seite).

Man könnte das Leben ordentlich wieder lieb
haben, wie ſein Kind, wenn man ſich’s ſelbſt gege-
ben. Das kommt grade nicht oft vor, daß man
ſo mit dem Zufall Blutſchande treiben und ſein
eigener Vater werden kann. Vater und Kind zu-
gleich. Ein behaglicher Ödipus!


Dillon.

Danton und Camille’s Weiber mögen Aſſignaten
unter das Volk werfen, das iſt beſſer als Köpfe.


Laflotte.

Ich würde mir hintennach die Augen nicht aus-
[109] reißen; ich könnte ſie nöthig haben, um den guten
General zu beweinen.


Dillon.

Die Hand an Danton! — Wer iſt noch ſicher?
Die Furcht wird ſie vereinigen.


Laflotte.

Er iſt doch verloren. Was iſt’s denn, wenn
ich auf eine Leiche trete, um aus dem Grab zu
klettern?


Dillon.

Nur den Fuß auf der Gaſſe! Ich werde Leute
genug finden, alte Soldaten, Girondiſten, Ex-Adelige;
wir erbrechen die Gefängniſſe, wir müſſen uns mit
den Gefangenen verſtändigen.


Laflotte.

Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schur-
kerei. Was thut’s? Ich hätte Luſt, auch das zu
verſuchen; ich war bisher zu einſeitig. Man bekommt
Gewiſſensbiſſe, das iſt doch eine Abwechslung; es
iſt nicht ſo unangenehm, ſeinen eigenen Geſtank zu
riechen. — Die Ausſicht auf die Guillotine iſt mir
langweilig geworden, ſo lange auf die Sache zu
warten! Ich habe ſie im Geiſt ſchon zwanzigmal
[110] durchprobirt. Es iſt auch gar nichts Pikantes mehr
dran, es iſt ganz gemein geworden.


Dillon.

Man muß Danton’s Frau ein Billet zukom-
men laſſen.


Laflotte.

Und dann — ich fürchte den Tod nicht, aber
den Schmerz. — Es könnte wehe thun, wer ſteht
mir dafür? Man ſagt zwar, es ſei nur ein Augen-
blick; aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaaß,
er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz iſt die
einzige Sünde, und das Leiden iſt das einzige
Laſter; ich werde tugendhaft bleiben.


Dillon.

Höre, Laflotte, wo iſt der Kerl hingekommen?
Ich habe Geld, das muß gehen; wir müſſen das
Eiſen ſchmieden, mein Plan iſt fertig.


Laflotte.

Gleich, gleich! ich kenne den Schließer, ich werde
mit ihm ſprechen, du kannſt auf mich zählen, Gene-
ral, wir werden aus dem Loch kommen

(für ſich im
Hinausgehen)

, um in ein anderes zu gehen, ich in
das weiteſte, die Welt, — er in das engſte, das Grab.


[111]

Der Wohlfahrts-Ausſchuſs.


St. Juſt, Barrère, Callot d’Herbois,
Billaud, Varennes
.

Barrère.

Was ſchreibt Fouquier?


St. Juſt.

Das zweite Verhör iſt vorbei. Die Gefangenen
verlangen das Erſcheinen mehrerer Mitglieder des
Convents und des Wohlfahrts-Ausſchuſſes, ſie appel-
liren an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen.
Di Bewegung der Gemüther ſoll unbeſchreiblich
ſein. — Danton parodirte den Jupiter und ſchüt-
telte die Locken.


Callot.

Um ſo leichter wird ihn Samſon packen.


Barrère.

Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fiſchwei-
ber und die Lumpenſammler könnten uns weniger
impoſant finden.


Billaud.

Das Volk hat einen Inſtinkt, ſich treten zu
laſſen, und wäre es nur mit Blicken, dergleichen
[112] inſolente Phyſiognomien gefallen ihm. Solche Mienen
ſind ärger, als ein adliges Wappen; der feine Ari-
ſtokratismus der Menſchenverachtung ſitzt auf ihnen,
es ſollte ſie jeder einſchlagen helfen, den es ver-
drießt, einen Blick von oben herunter zu erhalten.


Barrère.

Er iſt wie der hörnerne Siegfried, das Blut
der Septembriſeurs hat ihn unverwundbar gemacht.
— Was ſagt Robespierre?


St. Juſt.

Er thut, als ob er etwas zu ſagen hätte. Die
Geſchwornen müſſen ſich für hinlänglich unterrichtet
erklären und die Debatten ſchließen.


Barrère.

Unmöglich, das geht nicht.


St. Juſt.

Sie müſſen weg, um jeden Preis, und ſollten
wir ſie mit den eignen Händen erwürgen. Wagt!
— Danton ſoll uns das Wort nicht umſonſt gelehrt
haben. Die Revolution wird über ihre Leichen
nicht ſtolpern, aber bleibt Danton am Leben, ſo
wird er ſie am Gewand faſſen und er hat etwas in
ſeiner Geſtalt, als ob er die Freiheit nothzüchtigen
könnte.

(St. Juſt wird herausgerufen.)

[113]
(Der Schließer tritt ein.)

Schließer.

In St. Pelagie liegen Gefangene am Sterben,
ſie verlangen einen Arzt.


Billaud.

Das iſt unnöthig, ſo viel Mühe weniger für
den Scharfrichter.


Schließer.

Es ſind ſchwangere Weiber dabei.


Billaud.

Deſto beſſer, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.


Barrère.

Die Schwindſucht eines Ariſtokraten ſpart dem
Revolutions-Tribunal eine Sitzung. Jede Arznei
wäre contrerevolutionär.


Callot
(nimmt ein Pavier).

Eine Abſchrift! ein Weibername!


Barrère.

Wohl eine von denen, die gezwungen ſein möch-
ten, zwiſchen einem Guillotinenbrett und dem Bett
eines Jacobiners zu wählen. Die wie Lucretien
nach dem Verluſt ihrer Ehre ſterben, aber etwas
ſpäter als die Römerin — im Kindbett, oder aus Alters-
ſchwäche. — Es mag nicht ſo unangenehm ſein,
8
[114] einen Tarquinius aus der Tugendrepublik einer Jung-
frau zu treiben.


Callot.

Sie iſt zu alt. Madame verlangt den Tod,
ſie weiß ſich auszudrücken, das Gefängniß liegt auf
ihr wie ein Sargdeckel. Sie ſitzt erſt ſeit vier
Wochen. Die Antwort iſt leicht.

(Er ſchreibt und lieſt.)


Bürgerin, es iſt noch nicht lange genug, daß du
den Tod wünſcheſt.


Barrère.

Gut geſagt. Aber Callot, es iſt nicht gut, daß
die Guillotine zu lachen anfängt; die Leute haben
ſonſt keine Furcht mehr davor, man muß ſich nicht
ſo familiär machen.


(St. Juſt kommt zurück.)

St. Juſt.

Eben erhalte ich eine Denunciation. Man con-
ſpirirt in den Gefängniſſen; ein junger Menſch,
Namens Laflotte, hat Alles entdeckt. Er ſaß mit
Dillon im nämlichen Zimmer. Dillon hat getrun-
ken und geplaudert.


Barrère.

Er ſchneidet ſich mit ſeiner Bouteille den Hals
ab; das iſt ſchon mehr vorgekommen.


[115]
St. Juſt.

Danton’s und Camille’s Weiber ſollen Geld
unter das Volk werfen, Dillon ſoll ausbrechen, man
will die Gefangenen befreien, der Convent ſoll
geſprengt werden.


Barrère.

Das ſind Mährchen.


St. Juſt.

Wir werden ſie aber mit dem Mährchen in Schlaf
erzählen. Die Anzeige habe ich in Händen, dazu
die Keckheit der Angeklagten, das Murren des Volks,
die Beſtürzung der Geſchwornen; ich werde einen
Bericht machen.


Barrère.

Ja, geh, St. Juſt, und ſpinne deine Perioden,
worin jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt
ein abgeſchlagener Kopf iſt.


St. Juſt.

Der Convent muß dekretiren, das Tribunal ſolle
ohne Unterbrechung den Proceß fortführen, und
dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte
ſchuldige Achtung verletzte oder ſtörende Auftritte
veranlaßte, von den Debatten ausſchließen.


8*
[116]
Barrère.

Du haſt einen revolutionären Inſtinkt, das
lautet ganz gemäßigt und wird doch ſeine Wirkung
thun. Sie können nicht ſchweigen, Danton muß
ſchreien.


St. Juſt.

Ich zähle auf Eure Unterſtützung. Es gibt
Leute im Convent, die eben ſo krank ſind wie Dan-
ton, und welche die nämliche Kur fürchten. Sie
haben wieder Muth bekommen, ſie werden über Ver-
letzung der Formen ſchreien.


Barrère
(ihn unterbrechend).

Ich werde ihnen ſagen: Zu Rom wurde der
Conſul, welcher die Verſchwörung des Catilina ent-
deckte, und die Verbrecher auf der Stelle mit dem
Tod beſtrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt.
Wer waren ſeine Ankläger?


Callot
(mit Pathos).

Geh, St. Juſt, die Lava der Revolution fließt.
Die Freiheit wird die Schwächlinge, welche ihren
mächtigen Schooß befruchten wollten, in ihren Um-
armungen erſticken, die Majeſtät des Volkes wird
ihnen wie Jupiter der Semele, unter Donner und
Blitz erſcheinen und ſie zu Aſche glühen. Geh,
[117] St. Juſt, wir werden dir helfen, der Donnerkeil
muß die Häupter der Feiglinge zerſchleudern.


(St. Juſt ab.)

Barrère.

Haſt du das Wort Kur gehört? Sie werden
noch aus der Guillotine ein Specificum machen.
Sie kämpfen nicht mit den Moderirten, ſie kämpfen
mit dem Laſter.


Billaud.

Bis jetzt geht unſer Weg zuſammen.


Barrère.

Robespierre will aus der Revolution einen Hör-
ſaal für Moral machen und die Guillotine als Ka-
theder gebrauchen.


Billaud.

Oder als Betſchemel.


Callot.

Auf dem er aber alsdann nicht ſtehen, ſondern
liegen ſoll.


Barrère.

Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf
dem Kopf ſtehen, wenn die ſogenannten Spitzbuben
von den ſogenannten rechtlichen Leuten gehängt
werden ſollten.


[118]
Callot
(zu Barrère).

Wann kommſt du wieder nach Clichy?


Barrère.

Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.


Barrère
(allein).

Die Ungeheuer! — „Es iſt noch nicht lange
genug, daß du den Tod wünſcheſt!“ Dieſe Worte
hätten die Zunge müſſen verdorren machen, die ſie
geſprochen. — Und ich? — Als die Septembri-
ſeurs in die Gefängniſſe drangen, faßt ein Gefan-
gener ſein Meſſer, er drängt ſich unter die Mörder,
er ſtößt es in die Bruſt eines Prieſters, er iſt
gerettet! — Wer kann was dawider haben? — Ob
ich nun unter die Mörder dränge, oder mich in den
Wohlfahrts-Ausſchuß ſetze, ob ich ein Guillotinen-
oder ein Taſchenmeſſer nehme? Es iſt der näm-
liche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umſtänden,
die Grundverhältniſſe ſind ſich gleich. — Und dürft’
er Einen morden, dürft’ er auch Zwei, auch Drei,
auch noch mehr? wo hört das auf? da kommen
die Gerſtenkörner, machen zwei einen Haufen, dann
Vier, wie viel dann? Komm, mein Gewiſſen,
komm, mein Hühnchen, komm, da iſt Futter. —
Doch — war ich auch Gefangener? Verdäch-
[119] tig war ich, das läuft auf Eins hinaus, der Tod
war mir gewiß.

(Ab.)

Die Conciergerie.


Lacroix, Danton, Philippeau, Camille.

Lacroix.

Du haſt gut geſchrieen, Danton; hätteſt du dich
früher ſo um dein Leben gequält, es wäre jetzt an-
ders. Nicht wahr, wenn der Tod Einem ſo unver-
ſchämt nahe kommt und ſo aus dem Hals ſtinkt
und immer zudringlicher wird?


Camille.

Wenn er noch ſeinen Raub unter Ringen und
Kampf aus den heißen Gliedern riß! aber ſo in
allen Formalitäten, wie bei der Hochzeit mit einem
alten Weibe, wie die Pakten aufgeſetzt, wie die Zeu-
gen gerufen, wie das Amen geſagt und wie dann
die Bettdecke gehoben wird und es langſam herein-
kriecht mit ſeinen kalten Gliedern!


Danton.

Wär’ es ein Kampf, daß die Arme und Zähne
einander packten! aber es iſt mir, als wäre ich in
[120] ein Mühlwerk gefallen und die Glieder würden mir
langſam ſyſtematiſch von der kalten phyſiſchen Ge-
walt abgedreht. So mechaniſch getödtet zu werden!


Camille.

Und dann da liegen, allein, kalt, ſteif in dem
feuchten Dunſt der Fäulniß! Vielleicht, daß Einem
der Tod das Leben langſam aus den Fibern mar-
tert, mit Bewußtſein vielleicht, ſich wegzufaulen!


Philippeau.

Seid ruhig, meine Freunde. Wir ſind wie die
Herbſtzeitloſe, welche erſt nach dem Winter Samen
trägt. Von Blumen, die verſetzt werden, unterſchei-
den wir uns nur dadurch, daß wir über dem Ver-
ſuch ein wenig ſtinken. Iſt das ſo arg?


Danton.

Eine erbauliche Ausſicht! Von einem Miſthaufen
auf den andern. Nicht wahr, die göttliche Klaſſen-
theorie? Von Prima nach Secunda, von Secunda
nach Tertia und ſo weiter? Ich habe die Schul-
bänke ſatt, ich habe mir Geſäßſchwielen wie ein
Affe darauf geſeſſen.


Philippeau.

Was willſt du denn?


[121]
Danton.

Ruhe.


Philippeau.

Die iſt in Gott.


Danton.

Im Nichts: Verſenke dich in was Ruhigers, als
in das Nichts, und wenn die höchſte Ruhe Gott
iſt, iſt nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein
Atheiſt; der verfluchte Satz! Etwas kann nicht zu
Nichts werden! und ich bin Etwas, das iſt der
Jammer! — Die Schöpfung hat ſich ſo breit
gemacht, da iſt nichts leer. Alles voll Gewimmels.
Das Nichts hat ſich ermordet, die Schöpfung iſt
ſeine Wunde, wir ſind ſeine Blutstropfen, die Welt
iſt das Grab, worin es fault. — Das lautet ver-
rückt, es iſt aber doch was Wahres dran.


Camille.

Die Welt iſt der ewige Jude, das Nichts iſt
der Tod, aber er iſt unmöglich. O! nicht ſterben
können, nicht ſterben können! wie es im Lied heißt.


Danton.

Wir ſind Alle lebendig begraben, und wie Kö-
nige in drei- oder vierfachen Särgen beigeſetzt, unter
dem Himmel, in unſern Häuſern, in unſern Röcken
[122] und Hemden. — Wir kratzen fünfzig Jahre lang
am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben
könnte! dem wäre geholfen. — Da iſt keine Hoff-
nung im Tod; er iſt nur eine einfachere, das Leben
eine verwickeltere, organiſirtere Fäulniß, — das iſt der
ganze Unterſchied! — Aber ich bin gerad’ einmal
an dieſe Art des Faulens gewöhnt, der Teufel weiß,
wie ich mit einer andern zurecht komme. — O Julie!
Wenn ich allein ginge! — Wenn ſie mich ein-
ſam ließe! — Und wenn ich ganz zerfiele, mich
ganz auflöſte — ich wäre eine Handvoll gemar-
terten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur
Ruhe finden bei ihr. — Ich kann nicht ſterben,
nein, ich kann nicht ſterben. Wir müſſen ſchreien,
ſie müſſen mir jeden Lebenstropfen aus den Glie-
dern reißen.


Ein Zimmer.


Fouquier, Amar, Voulaud.

Fouquier.

Ich weiß nicht mehr, was ich antworten ſoll;
ſie fordern eine Commiſſion.


[123]
Amar.

Wir haben die Schurken, da haſt du, was du
verlangſt.

(Er überreicht Fouquier ein Papier.)

Voulaud.

Das wird ſie zufrieden ſtellen.


Fouquier.

Wahrhaftig, das hatten wir nöthig.


Amar.

Nun raſch, daß wir und ſie die Sache vom
Hals bekommen.


Das Revolutions-Tribunal.


Danton.

Die Republik iſt in Gefahr und er hat keine
Inſtruction! Wir appelliren an das Volk, meine
Stimme iſt noch ſtark genug, um den Decemvirn
die Leichenrede zu halten. — Ich widerhole es, wir
verlangen eine Commiſſion, wir haben wichtige Ent-
deckungen zu machen. Ich werde mich in die Cita-
delle der Vernunft zurück ziehen, ich werde mit der
Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde
zermalmen.

(Zeichen des Beifalls.)

[124]
(Fouquier, Amar, Voulaud treten ein.)

Fouquier.

Ruhe, im Namen der Republik, Achtung dem
Geſetz! Der Convent beſchließt: — In Betracht,
daß in den Gefängniſſen ſich Spuren von Meute-
reien zeigen, in Betracht, daß Danton’s und Camil-
le’s Weiber Geld unter das Volk werfen und daß
der General Dillon ausbrechen und ſich an die
Spitze der Empörer ſtellen ſollen, um die Ange-
klagten zu befreien; in Betracht endlich, daß dieſe
ſelbſt unruhige Auftritte herbei zu führen ſich bemüht
und das Tribunal zu beleidigen verſucht haben,
wird das Tribunal ermächtigt, die Unterſuchung
ohne Unterbrechung fortzuſetzen, und jeden Ange-
klagten, der die dem Geſetze ſchuldige Ehrfurcht
außer Augen ſetzen ſollte, von den Debatten aus-
zuſchließen.


Danton.

Ich frage die Anweſenden, ob wir dem Tribu-
nal, dem Volke, oder dem National-Convent Hohn
geſprochen haben?


Viele Stimmen.

Nein! Nein!


[125]
Camille.

Die Elenden, ſie wollen meine Lucile morden!


Danton.

Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen.
Ich ſehe großes Unglück über Frankreich herein-
brechen. Das iſt die Dictatur; ſie hat ihren Schleier
zerriſſen, ſie trägt die Stirne hoch, ſie ſchreitet über
unſere Leichen.

(Auf Amar und Voulaud deutend.)


Seht da die feigen Mörder, ſeht da die Raben
des Wohlfahrts-Ausſchuſſes! Ich klage Robes-
pierre, St. Juſt und ihre Henker des Hochverraths
an. Sie wollen die Republik im Blut erſticken.
Die Gleiſe der Guillotinen-Karren ſind die Heer-
ſtraßen, in welchen die Fremden in das Herz des
Vaterlandes dringen ſollen. — Wie lange ſollen die
Fußtapfen der Freiheit Gräber ſein? — Ihr wollt
Brod und ſie werfen euch Köpfe hin. Ihr dürſtet
und ſie machen euch das Blut von den Stufen der
Guillotine lecken.

(Heftige Bewegung unter den Zu-
hörern, Geſchrei des Beifalls, viele Stimmen: es lebe
Danton, nieder mit den Decemvirn! — Die Gefangenen
werden mit Gewalt hinausgeführt.)

[126]

Platz vor dem Juſtiz-Palaſte.


(Ein Volkshaufe.)

Einige Stimmen.

Nieder mit den Decemvirn! Es lebe Danton!


Erſter Bürger.

Ja, das iſt wahr, Köpfe ſtatt Brod, Blut
ſtatt Wein!


Einige Weiber.

Die Guillotine iſt eine ſchlechte Mühle und Sam-
ſon ein ſchlechter Bäckerknecht; wir wollen Brod,
Brod!


Zweiter Bürger.

Euer Brod — das hat Danton gefreſſen! Sein
Kopf wird euch Allen Brod geben; er hatte Recht.


Erſter Bürger.

Danton war unter uns am 10. Auguſt, Danton
war unter uns im September. Wo waren die Leute,
die ihn angeklagt haben?


Zweiter Bürger.

Und Lafayette war mit euch in Verſailles und
war doch ein Verräther.


[127]
Erſter Bürger.

Wer ſagt, daß Danton ein Verräther ſei?


Zweiter Bürger.

Robespierre.


Erſter Bürger.

Und Robespierre iſt ein Verräther.


Zweiter Bürger.

Wer ſagt das?


Erſter Bürger.

Danton.


Zweiter Bürger.

Danton hat ſchöne Kleider, Danton hat ein
ſchönes Haus, Danton hat eine ſchöne Frau, er
badet ſich in Burgunder, ißt das Wildpret von
ſilbernen Tellern. — Danton war arm, wie ihr.
Woher hat er das Alles? — Das Veto hat es
ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. — Der
Herzog von Orleans hat es ihm geſchenkt, damit
er ihm die Krone ſtehle. — Der Fremde hat es
ihm gegeben, damit er euch Alle verrathe. Was
hat Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr
kennt ihn Alle.


[128]
Alle.

Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nie-
der mit dem Verräther!


Eine Gaſſe.


Dumas, ein Bürger.

Bürger.

Wie kann man nach einem ſolchen Verhör ſo
viel Unſchuldige zum Tod verurtheilen?


Dumas.

Das iſt in der That außerordentlich, aber die
Revolutionsmänner haben einen Sinn, der andern
Menſchen fehlt, und dieſer Sinn trügt ſie nie.


Bürger.

Das iſt der Sinn des Tiegers. — Du haſt
ein Weib.


Dumas.

Ich werde bald eins gehabt haben.


Bürger.

So iſt es denn wahr?


Dumas.

Das Revolutions-Tribunal wird unſere Ehe-
[129] ſcheidung ausſprechen; die Guillotine wird uns von
Tiſch und Bette trennen.


Bürger.

Du biſt ein Ungeheuer!


Dumas.

Schwachkopf! du bewunderſt Brutus.


Bürger.

Von ganzer Seele.


Dumas.

Muß man denn gerade römiſcher Conſul ſein
und ſein Haupt mit der Toga verhüllen können,
um ſein Liebſtes dem Vaterlande zu opfern? Ich
werde mir die Augen mit dem Ärmel meines rothen
Fracks abwiſchen; das iſt der ganze Unterſchied. —
Geh, du begreifſt mich nicht.

(Sie gehen ab.)

Ein Zimmer.


Julie, ein Knabe.

Julie.

Es iſt aus. Sie zitterten vor ihm. Sie tödten
ihn aus Furcht. Geh! ich habe ihn zum Letztenmal
geſehen; ſag’ ihm, ich könne ihn nicht ſo ſehen.

(Sie gibt ihm eine Locke.)

Da, bring’ ihm das —
und ſag’ ihm, er würde nicht allein gehn. Er ver-
9
[130] ſteht mich ſchon, und dann ſchnell zurück, ich will
ſeine Blicke aus deinen Augen leſen.


Die Conciergerie.


Lacroix, Hérault, auf einem Bett, Danton,
Camille,
auf einem andern.

Lacroix.

Die Haare wachſen Einem ſo und die Nägel,
man muß ſich wirklich ſchämen.


Hérault.

Nehmen Sie ſich ein wenig in Acht, Sie nießen
mir das ganze Geſicht voll Sand.


Lacroix.

Und treten Sie mir nicht ſo auf die Füße,
Beſter, ich habe Hühneraugen.


Hérault.

Sie leiden noch an Ungeziefer.


Lacroix.

Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz
los wäre.


Hérault.

Nun, ſchlafen Sie wohl, wir müſſen ſehen, wie
[131] wir mit einander zurecht kommen, wir haben wenig
Raum. — Kratzen Sie mich nicht mit Ihren Nägeln.
Schlaf! — So zerren Sie nicht ſo am Leintuch, es
iſt kalt da unten.


Danton.

Ja, Camille, morgen ſind wir durchgelaufene
Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den
Schooß wirft.


Camille.

Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel
ſich Pantoffel geſchnitten und damit auf der Erde
herumtappen. Es geht aber auch danach. — Meine
Lucile!


Danton.

Sei ruhig, mein Junge.


Camille.

Kann ich’s? Glaubſt du, Danton?! Kann ich’s?
Sie können die Hände nicht an ſie legen, das Licht
der Schönheit, das von ihrem ſüßen Leibe ſich aus-
gießt, iſt unlöſchbar. Sieh, die Erde würde nicht
wagen, ſie zu verſchütten, ſie würde ſich um ſie
wölben, der Grabdunſt würde wie Thau an ihren
Wimpern funkeln, Kryſtalle würden wie Blumen
um ihre Glieder ſprießen und helle Quellen in
Schlaf ſie murmeln.


9*
[132]
Danton.

Schlafe, mein Junge, ſchlafe.


Camille.

Höre, Danton, unter uns geſagt, es iſt ſo elend,
ſterben zu müſſen. Es hilft auch zu nichts. Ich
will dem Leben noch die letzten Blicke aus ſeinen
hübſchen Augen ſtehlen, ich will die Augen offen
haben.


Danton.

Du wirſt ſie ohnehin offen behalten. Samſon
drückt einem die Augen nicht zu. Der Schlaf iſt
barmherziger. Schlafe, mein Junge, ſchlafe.


Camille.

Lucile, deine Küſſe phantaſiren auf meinen Lip-
pen, jeder Kuß wird ein Traum, meine Augen
ſinken und ſchließen ihn feſt ein.


Danton.

Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem
Picken ſchiebt ſie die Wände enger um mich, bis ſie
ſo eng ſind wie ein Sarg. — Ich las einmal als
Kind ſo eine Geſchichte, die Haare ſtanden mir zu
Berg. — Ja, als Kind! das war der Mühe werth,
mich ſo groß zu füttern und mich warm zu halten.
Blos Arbeit für den Todtengräber! — Es iſt mir,
[133] als röch’ ich ſchon. Mein lieber Leib, ich will mir
die Naſe zuhalten und mir einbilden, du ſeiſt ein
Frauenzimmer, was vom Tanzen ſchwitzt, und dir
Artigkeiten ſagen. Wir haben uns ſonſt ſchon mehr
mit einander die Zeit vertrieben. — Morgen biſt
du eine zerbrochene Fiedel, die Melodie darauf iſt
ausgeſpielt. Morgen biſt du eine leere Flaſche, der
Wein iſt ausgetrunken, aber ich habe keinen Rauſch
davon und gehe nüchtern zu Bett. Das ſind glück-
liche Leute, die ſich noch betrinken können. Morgen
biſt du eine durchgerutſchte Hoſe, du wirſt in die
Garderobe geworfen, und die Motten werden dich
freſſen. — Ach, das hilft nichts. Ja wohl, es iſt
ſo elend, ſterben müſſen. Der Tod äfft die Geburt;
bei’m Sterben ſind wir ſo hülflos und nackt, wie
neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das
Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir
können im Grab ſo gut wimmern, wie in der
Wiege. Camille! Er ſchläft

(indem er ſich über ihn
bückt)

, ein Traum ſpielt zwiſchen ſeinen Wimpern.
Ich will den goldnen Thau des Schlafes ihm nicht
von den Augen ſtreifen.

(Er erhebt ſich und tritt
an’s Fenſter.)

Ich werde nicht allein gehn, ich
danke dir, Julie. — Doch hätte ich anders ſterben
[134] mögen, ſo ganz mühelos, ſo wie ein Stern fällt,
wie ein Ton ſich ſelbſt aushaucht, ſich mit den
eignen Lippen todt küßt, wie ein Lichtſtrahl in
klaren Fluthen ſich begräbt. — Wie ſchimmernde
Thränen ſind die Sterne durch die Nacht geſprengt,
es muß ein großer Jammer in dem Auge ſein, von
dem ſie abträufelten.


Camille.

O!

(Er hat ſich aufgerichtet und taſtet nach der Decke.)

Danton.

Was haſt du, Camille?


Camille.

O, o!


Danton
(ſchüttelt ihn).

Willſt du die Decke herunterkratzen?


Camille.

Ach du, du, o halt mich, ſprich, du!


Danton.

Du bebſt an allen Gliedern, der Schweiß ſteht
dir auf der Stirne.


Camille.

Das biſt du, das ich; ſo, — das iſt meine Hand!
ja, jetzt beſinn’ ich mich. O Danton, das war
entſetzlich.


[135]
Danton.

Was denn?


Camille.

Ich lag ſo zwiſchen Traum und Wachen. Da
ſchwand die Decke und der Mond ſank herein, ganz
nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt’ ihn. Die
Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte ſich geſenkt,
ich ſtieß daran, ich betaſtete die Sterne, ich tau-
melte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das
war entſetzlich, Danton.


Danton.

Die Lampe wirft einen runden Schein an die
Decke, das ſahſt du.


Camille.

Meinetwegen, es braucht gerade nicht viel, um
Einem das bischen Verſtand verlieren zu machen.
Der Wahnſinn faßte mich bei den Haaren.

(Er er-
hebt ſich.)

Ich mag nicht mehr ſchlafen, ich mag
nicht verrückt werden.

(Er greift nach einem Buch.)

Danton.

Was nimmſt du?


Camille.

Die Nachtgedanken.


[136]
Danton.

Willſt du zum voraus ſterben? Ich nehme die
Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie
aus dem Betſtuhl, ſondern wie aus der Kammer
eines Mädchens wegſchleichen.


Platz vor der Conciergerie.


Ein Schließer, zwei Fuhrleute mit Karren, Weiber.

Schließer.

Wer hat Euch herfahren geheißen?


Erſter Fuhrmann.

Ich heiße nicht Herfahren, das iſt ein kurioſer
Name.


Schließer.

Dummkopf, wer hat dir die Beſtallung dazu
gegeben?


Erſter Fuhrmann.

Ich habe keine Stallung dazu gekriegt, nichts als
zehn Sous für den Kopf.


Zweiter Fuhrmann.

Der Schuft will mich um’s Brod bringen.


Erſter Fuhrmann.

Was nennſt du dein Brod. —

(Auf die Fenſter
der Gefangenen deutend:)

Das iſt Wurmfraß.


[137]
Zweiter Fuhrmann.

Kleine Kinder ſind auch Würmer und die wollen
auch ihr Theil davon. O, es geht ſchlecht mit un-
ſerm Metier und doch ſind wir die beſten Fuhrleute.


Erſter Fuhrmann.

Wie das?


Zweiter Fuhrmann.

Wer iſt der beſte Fuhrmann?


Erſter Fuhrmann.

Der am weiteſten und am ſchnellſten fährt.


Zweiter Fuhrmann.

Nun Eſel, wer fährt weiter, als der aus der
Welt fährt, und wer fährt ſchneller, als der’s in
einer Viertelſtunde thut? — Genau gemeſſen iſt’s
eine Viertelſtunde von da bis zum Revolutionsplatz.


Schließer.

Raſch, ihr Schlingel! Näher an’s Thor; Platz
da, ihr Mädel!

(Sie fahren vor.)

Zweiter Fuhrmann
(zu den Weibern).

Was gafft ihr?


Ein Weib.

Wir warten auf alte Kameraden.


Zweiter Fuhrmann.

Meint ihr, mein Karren wär eure Winkelhäuſer?
[138] Er iſt ein anſtändiger Karren, er hat den König
und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel
gefahren.


Lucile
(tritt auf. Sie ſetzt ſich auf einen Stein unter die
Fenſter der Gefangenen).

Camille, Camille!

(Camille erſcheint am Fenſter.)


— Höre, Camille, du machſt mich lachen mit dem
langen Steinrock und der eiſernen Maske vor dem
Geſicht, kannſt du dich nicht bücken? Wo ſind
deine Arme? — Ich will dich locken, lieber Vogel


(ſingt:)

Es ſtehen zwei Sternlein an dem Himmel,

Scheinen heller als der Mond,

Der ein’ ſcheint vor Feinsliebchens Fenſter,

Der andere vor die Kammerthür.

Komm, komm, mein Freund! leiſe die Treppe hinauf,
ſie ſchlafen Alle. Der Mond hilft mir ſchon lange
warten. Aber du kannſt nicht zum Thor herein,
das iſt eine unleidliche Tracht. Das iſt zu arg
für den Spaß, mach’ ein Ende. Du rührſt dich
auch gar nicht, warum ſprichſt du nicht? Du machſt
mir Angſt. — Höre! die Leute ſagen, du müßteſt
ſterben, und machen dazu ſo ernſthafte Geſichter. —
Sterben! ich muß lachen über die Geſichter. Ster-
[139] ben! Was iſt das für ein Wort? Sag’ mir es,
Camille. Sterben! Ich will nachdenken. Da, da iſt’s.
Ich will ihm nachlaufen, komm, ſüßer Freund,
hilf mir fangen, komm! komm!

(Sie läuft weg.)

Camille
(ruft).

Lucile! Lucile!


Die Conciergerie.


Danton, an einem Fenſter, welches in das
nächſte Zimmer geht, Camille, Philippeau,
Lacroix, Hérault.

Danton.

Du biſt jetzt ruhig, Fabre.


Eine Stimme
(von innen).

Am Sterben.


Danton.

Weißt du auch, was wir jetzt machen werden?


Stimme.

Nun?


Danton.

Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht haſt
des vers.


[140]
Camille
(für ſich).

Der Wahnſinn ſaß hinter ihren Augen. Es
ſind ſchon mehr Leute wahnſinnig geworden, das iſt
der Lauf der Welt. Was können wir dazu? Wir
waſchen unſere Hände. Es iſt auch beſſer ſo.


Danton.

Ich laſſe Alles in einer ſchrecklichen Verwirrung.
Keiner verſteht das Regieren. Es könnte vielleicht
noch gehn, wenn ich Robespierre meine Waden
hinterließe.


Lacroix.

Wir hätten die Freiheit proſtituirt!


Danton.

Ich laſſe ihm keine ſechs Monate Friſt, ich
ziehe ihn mit mir.


Camille
(für ſich).

Der Himmel verhelf’ ihr zu einer behaglichen
fixen Idee. Die allgemeinen fixen Ideen, welche
man die geſunde Vernunft tauft, ſind unerträglich
langweilig. Der glücklichſte Menſch war der, welcher
ſich einbilden konnte, daß er Gott Vater, Sohn und
heiliger Geiſt ſei.


Lacroix.

Die Eſel werden ſchreien: es lebe die Republik,
wenn wir vorbeigehn.


[141]
Danton.

Was liegt daran? Die Sündfluth der Revo-
lution mag unſere Leichen abſetzen, wo ſie will, mit
unſern foſſilen Knochen wird man noch immer allen
Königen die Schädel einſchlagen können.


Hérault.

Ja, wenn ſich gerade ein Simſon für unſere
Kinnbacken findet.


Danton.

Sie ſind Cainsbrüder.


Lacröix.

Nichts beweiſt mehr, daß Robespierre ein Nero
iſt, als der Umſtand, daß er gegen Camille nie
freundlicher war, als zwei Tage vor deſſen Ver-
haftung. Iſt es nicht ſo, Camille?


Camille.

Meinetwegen, was geht das mich an? — Was
ſie aus dem Wahnſinn ein reizendes Ding gemacht
hat. Warum muß ich jetzt fort? Wir hätten
zuſammen mit ihm gelacht, es gewiegt und geküßt.


Danton.

Wenn einmal die Geſchichte ihre Grüfte öffnet,
kann der Despotismus noch immer an dem Duft
unſerer Leichen erſticken.


[142]
Hérault.

Das ſind Phraſen für die Nachwelt; nicht wahr,
Danton, uns gehen ſie eigentlich nichts an.


Camille.

Er zieht ein Geſicht, als ſolle er verſteinern
und von der Nachwelt als Antike ausgegraben wer-
den. — Das verlohnt ſich auch der Mühe, Mäulchen
zu machen und Roth aufzulegen und mit einem
guten Accent zu ſprechen; wir ſollten einmal die
Masken abnehmen, wir ſähen dann, wie in einem
Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen ural-
ten, zahnloſen, unverwüſtlichen Schafskopf, nichts
mehr, nichts weniger! Die Unterſchiede ſind ſo
groß nicht, wir Alle ſind Schurken und Engel,
Dummköpfe und Genie’s, und zwar das Alles noch
in Einem; die vier Dinge finden Platz genug in
dem nämlichen Körper, ſie ſind nicht ſo breit, als man
ſich einbildet. Schlafen, Verdauen, — das treiben Alle;
die übrigen Dinge ſind nur Variationen aus ver-
ſchiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da
braucht man ſich auf die Zehen zu ſtellen und
Geſichter zu ſchneiden, da braucht man ſich vor
einander zu geniren! Wir haben uns Alle am
nämlichen Tiſche krank gegeſſen und haben Leib-
[143] grimmen, was haltet ihr euch die Servietten vor
das Geſicht? Schreit nur und greint, wie es euch
ankommt. Schneidet nur keine ſo tugendhaften und
ſo witzigen und ſo heroiſchen und ſo genialen Grimaſ-
ſen, wir kennen uns ja einander, ſpart euch die
Mühe.


Hérault.

Ja, Camille, wir wollen uns bei einander ſetzen
und ſchreien; nichts dummer, als die Lippen zuſam-
menzupreſſen, wenn Einem was weh thut. —
Griechen und Götter ſchrien, Römer und Steiker
machten die heroiſche Fratze.


Danton.

Die einen waren ſo gut Epikuräer wie die an-
dern. Sie machten ſich ein ganz behagliches Selbſt-
gefühl zurecht. Es iſt nicht ſo übel, ſeine Toga
zu drapiren und ſich umzuſehen, ob man einen
langen Schatten wirft. Was ſollen wir uns zerren?
Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Roſenkränze oder
Weinlaub vorbinden oder uns nackt tragen?


Philippeau.

Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch
über der Erde zu ſtehen, um von all dem wirren
Schwanken und Flimmern nichts mehr zu ſehen
[144] und die Augen nur von einigen großen, göttlichen
Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für
welches das Ineinanderſchreien und der Zeter, die
uns betäuben, ein Strom von Harmonien ſind.


Danton.

Aber wir ſind die armen Muſikanten und unſere
Körper die Inſtrumente. Sind denn die häßlichen
Töne, welche auf ihnen herausgepfuſcht werden, nur
da, um höher und höher dringend und endlich leiſe
verhallend wie ein wollüſtiger Hauch in himmliſchen
Ohren zu ſterben?


Hérault.

Sind wir wie Ferkel, die man für fürſtliche Tafeln
mit Ruthen todt peitſcht, damit ihr Fleiſch ſchmack-
hafter werde?


Danton.

Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochs-
armen dieſer Welt gebraten und mit Lichtſtrahlen
gekitzelt werden, damit die Götter ſich über ihr
Lachen freuen?


Camille.

Iſt denn der Äther mit ſeinen Goldaugen eine
Schüſſel mit Goldkarpfen, die am Tiſch der ſeligen
Götter ſteht, und die ſeligen Götter lachen ewig
[145] und die Fiſche ſterben ewig und die Götter erfreuen
ſich ewig am Farbenſpiel des Todtenkampfes?


Danton.

Die Welt iſt das Chaos. Das Nichts iſt der
zu gebärende Weltgott.


(Der Schließer tritt ein.)

Schließer.

Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen
halten vor der Thür.


Philippeau.

Gute Nacht, meine Freunde, legen wir ruhig
die große Decke über uns, unter welcher alle Her-
zen ausglühen und alle Augen zufallen.


(Sie umarmen einander.)

Hérault
(nimmt Camille’s Arm).

Freue dich, Camille, wir bekommen eine ſchöne
Nacht. Die Wolken hängen am ſtillen Abend-
himmel wie ein ausglühender Olymp mit verblei-
chenden, verſinkenden Göttergeſtalten.


10
[146]

Ein Zimmer.


Julie.

Das Volk lief in den Gaſſen, jetzt iſt Alles
ſtill. Keinen Augenblick möcht’ ich ihn warten
laſſen.

(Sie zieht eine Phiole hervor.)

Komm, lieb-
ſter Prieſter, deſſen Amen uns zu Bette gehen
macht.

(Sie tritt an’s Fenſter.)

Es iſt ſo hübſch,
Abſchied zu nehmen; ich habe die Thüre nur noch
hinter mir zuzuziehen.

(Sie trinkt.)

— Man möchte
immer ſo ſtehn. — Die Sonne iſt hinunter, der
Erde Züge waren ſo ſcharf in ihrem Licht, doch
jetzt iſt ihr Geſicht ſo ſtill und ernſt, wie einer
Sterbenden. — Wie ſchön das Abendlicht ihr um
Stirn und Wangen ſpielt. — Stets bleicher und
bleicher wird ſie, wie eine Leiche treibt ſie abwärts
in der Fluth des Äthers; will denn kein Arm ſie
bei den goldnen Locken faſſen und aus dem Strom
ſie ziehen und begraben? — Ich gehe leiſe. Ich
küſſe ſie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer ſie
aus dem Schlummer wecke. — Schlafe, ſchlafe.


(Sie ſtirbt.)

[147]

Der Revolutions-Platz.


(Die Wagen kommen angefahren und halten vor der
Guillotine. Männer und Weiber ſingen und tanzen die
Carmagnole. Die Gefangenen ſtimmen die Mar-
ſeillaiſe an.)

Ein Weib mit Kindern.

Platz! Platz! Die Kinder ſchreien, ſie haben
Hunger. Ich muß ſie zuſehen machen, daß ſie
ſtill ſind. Platz!


Ein Weib.

Höre, Danton, du kannſt jetzt die Würmer
heirathen.


Eine Andere.

Hérault, aus deinen hübſchen Haaren laß ich
mir eine Perücke machen.


Hérault.

Ich habe nicht Waldung genug für einen ſo
abgeholzten Berg.


Camille.

Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch ſchreien: ihr
Berge fallet auf uns!


10*
[148]
Ein Weib.

Der Berg iſt auf Euch oder Ihr ſeid ihn viel-
mehr hinunter gefallen.


Danton
(zu Camille.)

Ruhig, mein Junge, du haſt dich heiſer geſchrien.


Camille
(gibt dem Fuhrmann Geld).

Da, alter Charon, dein Karren iſt ein guter
Präſentirteller. — Meine Herren, ich will mich zuerſt
ſerviren. Das iſt ein klaſſiſches Gaſtmahl, wir
liegen auf unſern Plätzen und verſchütten etwas
Blut als Libation. Adieu, Danton.

(Er beſteigt
das Blutgerüſt, die Gefangenen folgen ihm, einer nach
dem andern. Danton ſteigt zuletzt hinauf.)

Lacroix
(zu dem Volke).

Ihr tödtet uns an dem Tage, wo ihr den Ver-
ſtand verloren habt; ihr werdet ſie an dem tödten,
wo ihr ihn wiederbekommt.


Einige Stimmen.

Das war ſchon einmal da; wie langweilig.


Lacroix.

Die Tyrannen werden über unſern Gräbern den
Hals brechen.


Hérault
(zu Danton).

Er hält ſeine Leiche für ein Miſtbeet der Freiheit.


[149]
Philippeau
(auf dem Schaffot).

Ich vergebe Euch; ich wünſche, Eure Todes-
ſtunde ſei nicht bitterer als die meinige.


Hérault.

Dacht’ ich’s doch, er muß ſich noch einmal in
den Buſen greifen und den Leuten da unten zeigen,
daß er reine Wäſche hat.


Fabre.

Lebe wohl, Danton. Ich ſterbe doppelt.


Danton.

Adieu, mein Freund. Die Guillotine iſt der
beſte Arzt.


Hérault
(will Danton umarmen).

Ach Danton, ich bringe nicht einmal einen
Spaß heraus. Da iſt’s Zeit.


(Ein Henker ſtößt ihn zurück.)

Danton
(zum Henker).

Willſt du grauſamer ſein als der Tod? Kannſt
du verhindern, daß unſere Köpfe ſich auf dem Boden
des Korbes küſſen?


[150]

Eine Gaſſe.


Lucile.

Es iſt doch was wie Ernſt daran. Ich will
einmal nachdenken. Ich fange an, ſo was zu begrei-
fen. Sterben — Sterben —! — Es darf ja
Alles leben, Alles, die kleine Mücke da, der Vogel.
Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens
müßte ſtocken, wenn nur der eine Tropfen verſchüt-
tet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekom-
men von dem Streich. — Es regt ſich Alles, die
Uhren gehen, die Glocken ſchlagen, die Leute lau-
fen, das Waſſer rinnt, und ſo Alles weiter bis da,
dahin! — Nein, es darf nicht geſchehen, nein, ich
will mich auf den Boden ſetzen und ſchreien, daß
erſchrocken Alles ſtehn bleibt, Alles ſtockt, ſich nichts
mehr reget.

(Sie ſetzt ſich nieder, verhüllt ſich die
Augen und ſtößt einen Schrei aus. Nach einer Pauſe
erhebt ſie ſich.)

Das hilft nichts, das iſt noch Alles
wie ſonſt, die Häuſer, die Gaſſe, der Wind geht,
die Wolken ziehen. Wir müſſen’s wohl leiden.


(Einige Weiber kommen die Gaſſe herunter.)

Erſtes Weib.

Ein hübſcher Mann, der Hérault.


[151]
Zweites Weib.

Wie er bei’m Conſtitutionsfeſt ſo im Triumph-
bogen ſtand, da dacht’ ich ſo, der muß ſich gut auf
der Guillotine ausnehmen, dacht’ ich. Das war
ſo eine Ahnung.


Drittes Weib.

Ja, man muß die Leute in allen Verhältniſſen
ſehen; es iſt recht gut, daß das Sterben ſo öffent-
lich wird.

(Sie gehen vorbei.)

Lucile.

Mein Camille! Wo ſoll ich dich jetzt ſuchen?


Der Revolutions-Platz.


Zwei Henker an der Guillotine beſchäftigt.

Erſter Henker
(ſteht auf der Guillotine und ſingt:)

Und wenn ich hame geh’

Scheint der Mond ſo ſcheeh.

Zweiter Henker.

He, holla! Biſt bald fertig?


Erſter Henker.

Gleich, gleich!

(Singt:)

Scheint in meines Ellervaters Fenſter.

Kerl, wo bleibſt ſo lang? —

So, die Jacke her!

(Sie gehen ſingend ab.)

[152]
Und wann ich hame geh’

Scheint der Mond ſo ſcheeh.
(Ab.)

Lucile
(tritt auf und ſetzt ſich auf die Stufen der Guillotine.)

Ich ſetze mich auf deinen Schooß, du ſtiller


Todesengel.
(Sie ſingt:)

Es iſt ein Schnitter, der heißt Tod,

Hat Gewalt vom höchſten Gott.

Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf
gelullt, ihn unter deinen Roſen erſtickt haſt. Du
Todtenglocke, die du ihn mit deiner ſüßen Zunge
zu Grabe ſangſt.

(Sie ſingt:)

Viel hunderttauſend ſind ungezählt,

Was nur unter die Sichel fällt.

(Eine Patrouille tritt auf.)

Ein Bürger.

He, wer da?


Lucile
(ſinnend und wie einen Entſchluß faſſend plötzlich:)

Es lebe der König!


Bürger.

Im Namen der Republik!


(Sie wird von der Wache umringt und weggeführt.)

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Büchner, Georg. Danton's Tod. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bjb8.0