[C. Finke geſt.]
beiFerdinand Dümmler.
1835.
Buch der Liebe.
In dieſes Buch möcht ich gern ſchreiben, von dem
geheimnißvollen Denken einſamer Stunden der Nacht,
von dem Reifen des Geiſtes an der Liebe wie an der
Mittagsſonne.
Die Wahrheit will ich ſuchen, und fordern will ich
von ihr die Gegenwart des Geliebten, von dem ich wäh-
nen könnte er ſei fern.
Die Liebe iſt ein inniges Ineinanderſein; ich bin
nicht von dir getrennt wenn es wahr iſt, daß ich liebe.
Dieſe Wellen die mich längs dem Ufer begleiten,
die reifende Fülle der Gelände die ſich im Fluß ſpiegelt,
der junge Tag, die flüchtenden Nebel, die fernen Gipfel
die die Morgenſonne entzündet, das alles ſeh ich an,
und wie die Biene den Honig ſammelt aus friſchen
Tagebuch. 1
[2] Blüthen, ſo ſaugt mein Blick aus allem die Liebe, und
trägt ſie heim und bewahrt ſie im Herzen wie die Biene
den Honig in der Zelle.
So dacht ich am heutigen Morgen da ich am Rhein
hinfuhr und durch dies aufgeregte Leben der Natur mich
drängte, fort, dem ſtillen einſamen Abend entgegen, weil
es da iſt als ſage mir eine Stimme, der Geliebte iſt
da; — und weil ich da die Erinnerungen des Tages
wie Blumen vor ihm ausſtreue; und weil ich da mich
an die Erde legen kann und ſie küſſen Dir zu lieb,
dieſe ſchöne Erde die den Geliebten trägt, daß ich mich
hinfinden kann zu ihm.
Namen nennen Dich nicht!
Ich ſchweige und nenne Dich nicht, ob's auch ſüß
wär', Dich bei Namen zu rufen.
O Freund! ſchlanker Mann! weicher hingegoſſner
Gebärde, Schweigſamer! — Wie ſoll ich Dich umſchrei-
ben, daß mir Dein Name erſetzt ſei? — Beim Na-
men rufen iſt ein Zaubermittel, den Entfernten zur Er-
innerung aufzuregen; hier auf der Höhe, wo die wal-
[3] digen Schluchten ſiebenfaches Echo zurückgeben, wag'
ich nicht Deinen Namen preiß zu geben; ich will nicht
hören eine Stimme, die eben ſo heiß ſo eindringend
Dir ruft.
O Du! Du ſelbſt! — ich will Dir's nicht ſagen,
daß Du es ſelbſt biſt; drum will ich dem Buch Deinen
Namen nicht vertrauen, wie ich dem Echo ihm nicht
vertraue.
Ach, Deinen Namen berühre ich nicht! ſo ganz ent-
blößt von irdiſchem Beſitzthum nenne ich Dich mein.
Nicht ſchlafen gehen, ohne mit Dir zu ſprechen —
ſo müde wie ich auch bin! Die Augenlieder ſinken, und
trennen mich von Dir; Mich trennen nicht die Berge
und die Flüſſe, und nicht die Zeiten, und nicht Deine
eigne Kälte, und daß Du nichts weißt von mir, wie
ich Dich liebe. — Und mich trennt der Schlaf? —
Warum denn trennen? ich wühle mich in Deinen Bu-
ſen, dieſe Liebesflammen umzingeln Dein Herz, und ſo
ſchlafe ich ein.
1*
[4]
Nein ich will Dich nicht nennen, Du den ich rufe:
gieb mir Gehör! Du hörſt Dich ja gern beſchwätzen —
ſo hör' auch mir zu; nicht wie jene, die von Dir, über
Dich ſchwätzen, zu Dir, in Deinem Anſchauen ſammeln
ſich meine Gedanken; wie der Quell, der das Geſtein
ſpaltet und niederrauſcht durchs Schattenthal, Blum'
um Blume anhaucht; ſo hauch' ich Dich an, ſüßer
Freund!
Er murmelt nur, der Bach; er plätſchert, er lispelt,
wenige Melodieen wechſeln ſeinen Lauf; aber vernimm's
mit freundlichem Ohr, da wirſt Du jauchzen hören;
Klagen, Bitten und Trotzen, und noch wirſt Du hören
und empfinden, Geheimniſſe, feierliche, leuchtende, die
nur der verſteht, der die Liebe hat.
Ich bin nicht mehr müde, ich will nicht mehr ſchla-
fen, der Mond iſt aufgegangen mir gegenüber, Wol-
ken jagen und decken ihn, immer wieder leuchtet er
mich an.
Ich denke mir Dein Haus, die Treppe, daß die
im Schatten liege, und daß ich an dieſer Treppe ſitze,
[5] und jenſeits die Ebene vom Mond beleuchtet. Ich denke,
daß die Zeiten jagen und eilen und mannigfach ſich ge-
ſtalten wie jene Wolken, und daß der Menſch an der
Zeit hängt, und glaubt, mit ihr eile alles vorüber, und
das reine Licht, das durch die Zeiten bricht, wie der
Mond durch die fliehenden Wolken, das anerkennt er
nicht. —
O ja doch! — erkenne meine Liebe; und denke, daß,
da die Zeit vorüber eilt, ſie doch das eine hat, daß im
flüchtigen Moment ſich eine Ewigkeit erfaſſen laſſe.
Schon lange iſt Mitternacht vorüber, da lag ich
im Fenſter bis jetzt, und da ich mich umſehe, iſt das
Licht tief herabgebrannt.
Wo war ich ſo tief in Gedanken, — ich hab' ge-
dacht, Du ſchläfſt, und hab' über den Fluß geſehen, wo
die Leute Feuer angezündet haben bei ihrem Linnen,
das auf der Bleiche liegt, und hab' ihren Liedern zu-
gehört, die ſie ſingen um wach zu bleiben; — ich auch
wache und denke an Dich, es iſt ein groß Geheim-
niß der Liebe, dies immerwährende Umfaſſen Deiner
[6] Seele mit meinem Geiſt, und es mag wohl manches
daraus entſtehen, was keiner ahndet.
Ja Du ſchläfſt! träumſt Du? und iſt es Dir wahr,
was Du träumſt? — wie mir, wo ich zu Deinen Füßen
ſitze und ſie im Schoos halte, und der Traum mir ſelbſt
die Zügel hält, daß ich nichts denke, als nur dies, daß
ich in Deiner Nähe bin?
Liebſter! Geſtern war ich tief bewegt, und war
ſehnſüchtig; weil man viel über Dich geſprochen hat
was nicht wahr iſt, da ich Dich beſſer kenne. Durch
das Gewebe Deiner Tage zieht ſich ein Faden, der ſie
mit dem Überirdiſchen verbindet. Nicht durch jedes Da-
ſein ſchlingt ſich ein ſolcher Faden, und jedes Daſein
zerfällt ohne dieſen.
Daß dein Daſein nicht zerfalle, ſondern daß Alles
ewige Wirklichkeit ſei, das iſt wonach ich verlange; Du
der Du ſchön biſt, und deſſen Gebärden gleichfalls ſchön
ſind, weil ſie Geiſt ausdrücken: Schönheit begreifen,
heißt das nicht Dich lieben? — und hat die Liebe nicht
die Sehnſucht, daß Du ewig ſein mögeſt? — Was kann
ich vor Dir, als nur Dein geiſtig Bild in mich aufne-
[7] men! — Ja ſieh', das iſt mein Tagwerk, und was ich
anders noch beginne — es muß alles vor Dir weichen.
Dir im Verborgnen dienen in meinem Denken, in mei-
nem Treiben, Dir leben, mitten im Gewühl der Men-
ſchen oder in der Einſamkeit Dir gleich nahe ſtehen;
eine heilige Richtung zu Dir haben, ungeſtört, ob Du
mich aufnimmſt oder verläugneſt.
Die ganze Natur iſt nur Symbol des Geiſtes; ſie
iſt heilig, weil ſie ihn ausſpricht; der Menſch lernt durch
ſie den eignen Geiſt kennen, daß der auch der Liebe be-
darf; daß er ſich anſaugen will an den Geiſt, wie ſeine
Lippe an den Mund des Geliebten. Wenn ich Dich
auch hätte, und ich hätte Deinen Geiſt nicht, daß der
mich empfände, gewiß das würde mich nie zu dem er-
ſehnten Ziel meines Verlangens bringen.
Wie weit geht Liebe? Sie entfaltet ihre Fahnen,
ſie erobert ihre Reiche; im Freudejauchzen, im Sieges-
toben eilt ſie ihrem ewigen Erzeuger zu. — So weit
geht Liebe, daß ſie eingeht, von wo ſie ausgegangen iſt.
Und wo zwei in einander übergehen, da hebt ſich
die Grenze des Endlichen zwiſchen ihnen auf. Aber ſoll
ich klagen, wenn Du nicht wieder liebſt? — iſt dies
Feuer nicht in mir und wärmt mich? — und iſt ſie nicht
allumfaſſende Seligkeit, dieſe innere Gluth? —
[8]
Und Wald und Gebirg' und Strand am Fluß,
ſonnebeglänzt, lächeln mir entgegen, weil mein Herz,
weil mein Geiſt ewigen Frühling ihnen entgegen haucht.
Ich will Dich nicht verſcherzen ſchöne Nacht, wie
geſtern; ich will ſchlafen gehen in Deinen Schoos; Du
wiegſt mich dem Morgenlicht entgegen, und die friſchge-
weckten Blumen pflücke ich dann, mir zur Erinnerung
an die Träume der Nacht. So ſind freundliche Küſſe,
wie dieſe halberſchloſſ'ne Roſen, ſo leiſes Flüſtern wie
der Blüthenregen, ſo wanken die Gedanken wie die be-
wegten Blumen im Gras; ſo träufelt Zähre auf Zähre,
die das Auge füllen mit Übermaaß vom Glück, wie die
Regentropfen von den Äſten niederperlen, und ſo ſchlägt
das ſehnende Herz, wie die Nachtigall ſchlägt vom Mor-
genroth begeiſtert; ſie jubelt, weil ſie liebt, ſie ſeufzt,
aus Liebe, ſie klagt um Liebe; drum ſüße Nacht: ſchla-
fen! dem Morgenroth entgegen ſchlafen, das mir bringt
die ſüßen Früchte all', die der Liebe reifen.
[9]
Freund! ſie iſt nicht erfunden dieſe innere Welt,
ſie beruht auf Wiſſen und Geheimniß, ſie beruht auf
höherem Glauben; die Liebe iſt der Weltgeiſt dieſes
Inneren, ſie iſt die Seele der Natur.
Gedanken ſind in der geiſtigen Welt, was Empfin-
dung in der ſinnlichen Welt iſt; es iſt Sinnenluſt mei-
nes Geiſtes, der mich an Dich feſſelt, daß ich Dich denke;
es bewegt mich tief, daß Du biſt, in dieſe ſinnliche Welt
geboren biſt. Daß Deine ſinnliche Erſcheinung Zeugniß
giebt von der Ahndung, von der Offenbarung, die ich
von Dir habe.
Liebe iſt Erkenntniß; ich kann Dich nur genießen
im Denken, das Dich verſtehen, empfinden lernt; wenn
ich Dich aber einmal ganz verſtehe, gehörſt Du dann
mein? — kannſt Du irgend wem gehören, der Dich nicht
verſtände? iſt Verſtehen nicht ſüßes, ſinnliches Übergehen
in den Geliebten? — eine einzige Grenze iſt; ſie trennt
das Endliche vom Unendlichen; Verſtehn hebt die Grenze
auf; zwei die einander verſtehen, ſind ineinander unend-
lich; — Verſtehen iſt lieben; was wir nicht lieben, das
verſtehen wir nicht; was wir nicht verſtehen, iſt nicht
für uns da.
1**
[10]
Da ich Dich aber haben möchte, ſo denke ich an
Dich, weil Denken Dich verſtehen lernt.
Wenn ich nicht ganz bin, wie Du mich lieben müß-
teſt, ſo iſt mein Bewußtſein von Dir vernichtet. Das
aber fördert mich, bringt mich Dir näher, wenn auch
mein ſinnliches Handeln, mein äußeres Leben ſich im
Rythmus der Liebe bewegt; wenn nichts Einfluß auf
mich hat, als das Gefühl, daß ich Dein gehöre, durch
eignen freien Willen Dir gewidmet bin.
Ich hab' Dich nicht in dieſem äußeren Leben; An-
dere rühmen ſich Deiner Treue, Deines Vertrauens, Dei-
ner Hingebung; ergehen ſich mit Dir im Labyrinth
Deiner Bruſt; die Deines Beſitzes gewiß ſind, die
Deiner Luſt genügen.
Ich bin nichts, ich habe nichts, deſſen Du begehrſt;
kein Morgen weckt Dich, um nach mir zu fragen; kein
Abend leitet Dich heim zu mir; Du biſt nicht bei mir
daheim.
Aber Vertrauen und Hingebung hab' ich in dieſer
Innenwelt zu Dir; alle wunderbaren Wege meines Gei-
[11] ſtes führen zu Dir, ja ſie ſind durch Deine Vermittlung
gebahnt.
Das Sonnenlicht ſtiehlt ſich durch dieſe Büſche in
meinen Schooß und ſpielt unter dem Schatten der be-
wegten Blätter. Warum kam ich denn heute ſchon vor
Tag' hier herauf? Hier, wo die Ferne ſich vor mir
aufthürmt, und in's Unendlich verliert.
Ja ſo geht es weiter und immer weiter; die Län-
der ſteigen hinter einander am Horizont auf, und wir
glauben auf Bergeshöhen an Himmelsrand zu ſteigen;
da breiten ſich fruchtbeladne Thale vor uns aus, von
dunklen Hügelwänden umſchloſſen, und die Lämmer wei-
den hier wie dort.
Und wie die Berge hinter einander aufſteigen, ſo
die Tage, und keiner iſt der letzte vor dem der eine
Ewigkeit entfaltet.
Wo iſt der Tag, die Stunde, die mich aufnimmt,
wie ich dich, ſpielender Sonnenſchein? — Wiederſehn
nimm mich auf! — Du! auf meines Lebens Höhen ge-
lagert, von himmelreinen Lüften umwebt, nimm mich
[12] auf in deinen Schooß; laß den Strahl der Liebe, der
aus meinem Aug' hervorbricht, in deinem Buſen ſpielen,
wie dieſer Morgenſonnenſtrahl.
Geſtern hab' ich mich geſehnt; ich dachte jeden Au-
genblick, er ſei mir verloren, weil ich Dich nicht hatte.
Dich haben einen Augenblick; wie ſelig könnte mich
das machen.
Wie reich biſt Du, da Du ſo beſeligen kannſt,
Ewigkeiten hindurch mit jedem Augenblick!
Geſtern war es früher Morgen, da ich Dir ſchrieb;
ich hatte Buch und Schreibzeug mit, und ging noch vor
Tag dem Thal entlang, das von beiden Seiten eng in
Bergwände eingelagert iſt; da rieſeln die Bäche nieder
ins ſanfte Gras, und lallen wie Wiegenkindchen. Was
ſollt' ich machen? es war mir im Herzen, auf der Lippe,
und im thränenſchwellenden Auge; ich mußte Dir's kla-
gen, ich mußte Dir's wehmüthig vorhalten, daß ich Dich
nicht habe, und da war die Sonne ſo freundlich; da
rauſchte es, da bewegte ſich's hinter mir; — war es ein
Wild? war's ein Anklang aus der Ferne? ich ſtieg
raſch aufwärts, ich wollte Dich ereilen, und auf der
[13] Höhe; da öffnete ſich dem Blick die weite Ferne; die
Nebel theilten ſich, es war mir als träteſt Du meinen Bit-
ten entgegen geheimnißvoll, und ſchauteſt mich an, und
nähmſt mich auf an Deinem mir unerforſchten Buſen.
Jeder ewige Trieb, er erwirbt und erreicht, er iſt
außer der Zeit. — Was hab' ich zu fürchten? — Dieſe
Sehnſucht, iſt ſie vergänglich, ſo wirſt Du mit ihr ver-
ſchwinden; iſt ſie es nicht, ſo wird ſie erreichen, wonach
ſie ſtrebt, und ſchon jetzt hab' ich ihr eine Innenwelt,
mannigfaltig und eigenthümlich zu verdanken; Wahr-
nehmungen und Gedanken nähren mich, und ich fühle
mich in einem innig lebendigen Einverſtändniß mit Dei-
nem Geiſt.
Die Natur iſt kindlich, ſie will verſtanden ſein, und
das iſt ihre Weisheit, daß ſie ſolche Bilder malt, die
der Spiegel unſerer inneren Welt ſind, und wer ſie an-
ſchaut, in ihre Tiefen eingeht, dem wird ſie die Fragen
innerer Räthſel löſen; wer ſich ihr anſchmiegt, der wird
ſich in ihr verſtanden fühlen; ſie ſagt jedem die Wahr-
heit, dem Verzweiflenden wie dem Glücklichen. Sie be-
leuchtet die Seele und bietet ihren Reichthum dem Be-
dürftigen; ſie reizt die Sinne und entzückt den Geiſt
durch übereinſtimmende Bedeutung.
Ich glaube auch von Dir, daß Du dies manchmal
[14] empfunden haſt, wenn Du allein durch Wälder und
Thäler ſtreifſt; oder wenn Du vom Schattenlager die
weite Ebene am Mittag überſchauſt, dann glaub' ich,
daß Du die Sprache der Stille in der Natur verſtehſt;
ich glaub', daß ſie mit Dir Gedanken wechſelt, daß Du
in ihr Deine höhere Natur geſpiegelt empfindeſt, und
wenn auch ſchmerzlich oft durch ſie erſchüttert, ſo glaub'
ich doch nicht, daß Du Dich vor ihr fürchteſt, wie an-
dre Menſchen.
So lang' wir Kinder ſind im Gemüth, ſo lang'
übt die Natur Mutterpflege an uns; ſie flößt Nahrung
ein von der der Geiſt wächſt, dann entfaltet ſie ſich
zum Genius; ſie forde[r]t auf zum Höchſten, zum Selbſt-
verſtändniß, ſie will Einſicht in die inneren Tiefen; und
welcher Zwieſpalt auch in dieſen ſein möchte, welcher
Vernichtung auch preiß gegeben, — das Vertrauen in
die höhere Natur, als in unſeren Genius, wird die ur-
ſprüngliche Schönheit wieder herſtellen. Das ſag' ich
heute vor Schlafengehen zu Dir; zu Dir ſpreche ich
hier, getrennt durch Länder und Flüſſe, getrennt, weil
Du meiner nicht denkſt; und jeder, der es wüßte, der
würde es Wahnwitz nennen; und ich rede zu Dir aus
meiner tiefſten Seele, und ob Du ſchon mit Deinen
Sinnen mich nicht wahrnimmſt, ſo dringt mein Geiſt
[15] darauf, Dir alles zu ſagen; hier aus der Ferne rede ich
mit Dir, und mein ganzes ſinnliches Leben iſt mir nichts
gegen dieſe Geiſterſprache. Du biſt in mitten meines
Innern, es iſt nicht mehr eins, es iſt zu zweien in mir
geworden.
Dir gezogen iſt.
Leg' dich, brauſendes Herz, wie der Wind ſich legt,
der die Wolken zerreißt; die Donner ſind verrollt, die
Wolken haben ausgeregnet, ein Stern nach dem an-
dern geht auf.
Die Nacht iſt ganz ſtille, ich bin ganz allein, die
Ferne iſt ſo weit, ſie iſt ohne Ende; nur da wo ein Lie-
bender wohnt, da iſt eine Heimath und keine Ferne; wenn
Du nun liebteſt, ſo wüßt' ich, wo die Ferne aufhört.
Ja, leg' dich Herz! Tobe nicht, halt ruhig aus.
Schmiege Dich, wie die Natur ſich ſchmiegt unter der
Decke der Nacht.
Was haſt Du Herz? fühlſt Du nicht? ahndeſt Du
nicht? — wie ſich's auch füge und wende; die Nacht
deckt Dich und die Liebe.
[16]
Die Nacht bringt Roſen an's Licht. Wenn ſich
die Finſterniß dem Lichte aufthut, dann entfallen ihrem
Schooß die Roſen.
Es iſt freilich Nacht in dir, Herz. Dunkle geheim-
nißvolle Nacht webt Roſen, und ergießt ſie alle, wenn's
tagt, der Liebe zur Luſt in den Schooß.
Ja Seufzen, Klagen das iſt deine Luſt; Bitten,
Schmeicheln: nimmt das kein Ende, Herz?
Am Abend ſchreib ich, wenn auch nur wenige Zei-
len; es dauert doch bis ſpät in die Nacht.
Viel hab' ich zu denken, manche Zauberformel
ſpreche ich aus eh ich den Freund in meinen Kreis
banne. Und hab ich Dich! — dann: — was ſoll ich
da ſagen? — Was ſoll ich Dir neues erfinden, was
ſollen die Gedanken Dir hier auf dieſen Blättern vor-
tanze[n]? —
Hier in den Weinbergen ſteht ein Tempel; erbaut
nach dem Tempel der Diana zu Epheſus.
Geſtern im Abendroth ſah ich ihn in der Ferne lie-
gen; er leuchtete ſo kühn ſo ſtolz unter den Gewitter-
[17] wolken; die Blitze umzingelten ihn. So denke ich mir
Deine leuchtende Stirne, wie die Kuppel jenes Tempels,
unter deſſen Gebälk die Vögel ſich bargen, denen der
Sturm das Gefieder aufblätterte; ſo ſtolz gelagert und
beherrſchend die Umgebung.
Heute Morgen, obſchon der Tempel eine Stunde
Wegs von meiner Wohnung entfernt iſt; weil ich am
Abend Dein Bild in ihm zu ſehen wähnte, dacht' ich
hier her zu gehen und Dir hier zu ſchreiben. Kaum
daß der Tag ſich ahnden ließ, eilt' ich durch bethaute
Wieſen hier her. — Und nun leg' ich die Hand auf
dieſen kleinen Altar, umkreiſ't von neun Säulen, die
mir Zeugen ſind, daß ich Dir ſchwöre.
Was Liebſter? — Was ſoll ich Dir ſchwören? Wohl,
daß ich Dir ferner getreu ſein will, ob Du es achteſt
oder nicht? — oder daß ich Dich heimlich lieben will,
heimlich; nur dieſem Buch, und nicht Dir es bekennend?
Treu ſein kann ich nicht ſchwören, das iſt zu ſelbſtſtän-
dig, und ich bin ſchon an Dich aufgegeben, und vermag
nichts über mich; da kann ich für Treue nicht ſtehen.
Heimlich Dich lieben, nur dieſem Buch es bekennen? —
das kann ich nicht, das will ich nicht; dies Buch iſt der
Wiederhall meiner Geheimniſſe, und an Deiner Bruſt
wird er anſchlagen. O nimm ihn auf, trink' ihn, laſſe
[18] Dich laben; einen einzigen heißen Mittag gehe Dein
Blick unter, trunken, ein einziges mal, dieſem glühenden
klaren Liebeswein.
Was ſoll ich Dir ſchwören? —
Heut' will ich Dir ſagen, wie es geſtern war: ſo
unter Dach, einer ſchöneren Vorwelt, vom tauſen[d]farbi-
gen Morgenlicht umwebt, die Hand auf dieſem Altar,
der früher wohl nie unter myſtiſchen Beziehungen be-
rührt war; Herr! — da war mein Herz auf eine wun-
derliche Weiſe befangen; — ich fragte Dich zum Scherz,
in ſüßem Ernſt: „was ſoll ich ſchwören?“ — und da
fragt' ich mich wieder: „iſt das die Welt in der du
lebſt?“ und kannſt du ſcherzen mit dir ſelbſt, hier in
der einſamen Natur, wo alles ſchweigt und feierlich
Gehör giebt deiner innern Stimme? — Dort im fernen
Gefild', wo die Lerche jubelnd aufſteigt, und am Ge-
ſimſe des Tempels, wo die Schwalbe ihr Neſt birgt und
zwitſchert? Und ich lehnt' meine Stirne an den Stein,
und dachte Dich; ich lief hinab an's Ufer, und ſammelte
Balſamkräuter, und legte ſie auf den Altar; ich dachte:
mögten die Blätter dieſes Buchs voll Liebe einmal Dei-
[19] nem Geiſt duften, wie dieſe Kräuter, dem Geiſt jener
ſchönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut
iſt. — Dein Geiſt ſpricht ja die heilige Ordnung der
Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich
ihm was bleibe, das iſt dann einerlei.
Ja ſüßer Freund! ob ich Dir was bin: was ſoll
ich danach fragen? — weiß ich doch, daß die Lerche
nicht umſonſt jubelnd aufſteigt, daß der Morgenwind
nicht ungefühlt in den Zweigen liſpelt, ja daß die ganze
Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen verſunken iſt;
was ſollt' ich zagen, von Dir nicht verſtanden nicht ge-
fühlt zu ſein? — Drum will ich nicht ſchwören Dir et-
was zu ſein; es iſt mir gewiß, daß ich Dir bin, was
in einſtimmender Schönheit ein Ton der Natur, eine
geiſtige Berührung dieſer ſinnlichen Welt Dir ſein kann.
Dieſe Tage, dieſe Gegenden ſie tragen das Antlitz
des Paradieſes. Die Fülle lacht mich an in der reifen-
den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und einſam bin
ich wie der erſte Menſch; und ich lerne wie dieſer herr-
ſchen und gebieten dem Glück: daß die Welt ſoll
[20] ſein wie ich will. Ich will es, daß Du mich ſelig ma-
cheſt, nur weil ich Dich weiß und kenne, und weil Dein
ſittlich Gefühl der Raum iſt meiner geiſtigen Schöpfun-
gen; in Dich hinein nur kann ich ja dieſe Welt der
Gefühle legen, Dir nur kann ich dieſe Phänomene einer
erhöhten Rührung erſcheinen laſſen. — Deine Schönheit
iſt Güte, die mich nährt, ſchützt, mir lohnt, mich tröſtet
und mir den Himmel verheißt; kann ein Chriſt beſſer
organiſirt ſein, als ich? —
Ich ſitze nun einmal mitten in dieſer reichen Natur,
mit Herz und Seele; ſo muß ich denn immer wieder
von dieſem Doppelgeſpann ſchreiben.
Heute war ich in einem andern Tempel, der an der
Höhe liegt, und den herrlichſten deutſchen Fluß in ſeiner
glorreichſten Pracht beherrſcht, wo man unzählige Orte
und Städte ſieht, die an ſeinen Ufern in ſeinen Gauen
weiden. In dieſem ſonnenhellen Himmel liegen ſie da,
wie ruhende Heerden.
Was ſoll mir dieſe Pracht der Natur? was ſoll
mir dies wimmlende Leben, dieſe mannigfaltige Ge-
ſchäftigkeit, die ſich durch die bunten Fluren zieht? —
[21] es eilen die Schifflein hin und her aneinander vorüber,
jedes hat ſeiner Reiſe Ziel; — Wie jener Schiffe eines
haſt auch Du Dein Ziel; und es geht an mir vorüber,
raſch wie des Glücklichen Bahn, ſchneller am Pfad des
einſam Verlaſſnen vorüber fährt. Und ich höre dann
nicht mehr von Dir, daß Du nach mir fragſt; und Dei-
nem Gedächtniß verhallen, wie meine Seufzer, ſo die
Spuren der Erinnerung.
So dacht' ich, dort auf der Höhe im Tempel, wie
ich niederſah in das allſeitig ausgebreitete Treiben der
Menſchen; wie ich mir überlegte, daß neue Intereſſen
Dich jeden Augenblick aufnehmen können, und mich
gänzlich aus Deiner Welt bannen. Und ich hörte die
Wellen brauſen in der Tiefe, und Gevögel umflatterte
meinen Sitz, der Abendſtern winkte, daß ich heimgehen
möge. Um ſo näher dräng' ich mich jetzt an Dich: o
öffne Deinen Buſen und laſſe mich ausruhen von der
Thränen bewegten Ahndung, ich ſei Dir nichts, ich ſei
Dir vergeſſen. O nein, vergeſſe mich nicht, nimm mich,
halt' mich feſt und laſſe die Stille um uns her den
Seegen ſprechen über Uns.
[22]
Du haſt mir's beim Abſchied damals geſagt, Du
haſt mir's abgefordert, ich möge Dir alles ſchreiben, und
genau was ich denke und fühle, und ich möchte gern;
aber Liebſter, die wunderlichen Wege, die mit dämmern-
der Fackel der Verſtand kaum beleuchtet, wie ſoll ich die
Dir beſchreiben? — Dieſe Träume meines Glückes (denn
glücklich träum' ich mich) ſie ſind ſo ſtürmiſch ſo wun-
derlich gelaunt, es iſt ſo unſcheinbar, was ich mir manch-
mal erſinne.
Mein Glück, wie ich's mir denke, wie ſoll ich Dir's
beſchreiben? Sieh' die Mondsſichel am wolkenloſen
Himmel, und die breitäſtige, reich belaubte Linde; denke!
ſieh' unter ihrem flüſternden Laub, die flüſternd auch,
einander umfaſſen die Beiden; wie einer den andern
bedarf und feurig liebend an ihm hinauf reicht, wie je-
ner mit freundlichem Willen ſich ihm neigt, und dieſem
Flüſtern der Liebe Gehör giebt; und denke noch: die
Mondesſichel, die Sterne müßten nicht untergehen, bis
dieſe Seelen in einander geſättigt, ihre Schwingen aus-
breiten und höheren Welten zufliegen.
Dies ſpräche heute mein Glück aus o lieber Freund,
es ſpräche es einmal in vollem umfaſſenden Sinn aus.
So wie das Aug' die Schönheit erfaßt, ſo auch der
[23] Geiſt; er umfaſſet den Inbegriff der innern Schönheit
wie der äußern, mit Schmeichelworten bringt er beide
in Einklang, und der Leib wirkt magiſch auf den Geiſt
der ſo ſchmeichelt, und ſo dieſer auf ihn zurück, daß
beide in einander aufblühen, und das nennen wir be-
geiſternde Schönheit. Mein Freund, das iſt das Flü-
ſtern der Liebe, wenn Liebende einander ſagen, daß ſie
ſchön ſind.
Wo iſt denn der Ruheſitz der Seele? wo fühlt ſie
ſich beſchwichtigt genug um zu athmen und ſich zu be-
ſinnen? — im engen Raum iſt's, im Buſen des Freun-
des; — in Dir heimathlich ſein, das führt zur Beſinnung.
Ach wie wohl iſt mir, wenn ich ganz wie ein Kind
in Deiner Gegenwart ſpielen darf; wenn alles was ich
beginne, von dem Gefühl Deiner Nähe geheiligt iſt;
und daß ich mich ergehen kann in Deiner Natur, die
keiner kennt, keiner ahndet. — Wie ſchön iſt's, daß ich
allein mit Dir bin, dort wo die Sterne ſich ſpieglen in
der klaren Tiefe Deiner Seele.
Gönne es mir, daß ich ſo meine Welt in Dir ein-
[24] gerichtet habe; vernichte nicht mit Deinem Willen, was
Willkühr nie erzeugen könnte.
Ich küſſe Deiner Füße Spuren, und will mich nicht
herein drängen in Deine Sinnenwelt, aber ſei mit mir
in meiner Gedankenwelt; lege freundlich die Hand auf
das Haupt, das ſich beugt, weil es der Liebe geweiht iſt.
Der Wind raſſelt am Fenſter; welche Länder hat
er ſchon durchſtreift? Wo kommt er her? Wie ſchnell
hat er die Strecke von Dir zu mir durchflogen? hat er
keinen Athemzug, in ſeinem Raſen und Toben, keinen
Hauch von Dir mit fortgeriſſen?
Ich habe den Glauben an eine Offenbarung des
Geiſtes; ſie liegt nicht im Gefühl oder im Schauen oder
im Vernehmen; ſie bricht hervor aus der Geſammtheit
der auffaſſenden Organe; wenn die alle der Liebe die-
nen, dann offenbaren ſie das Geliebte; ſie ſind der
Spiegel der inneren Welt.
Ein Daſein im Geliebten haben ohne einen Stand-
punkt ſinnlichen Bewußtſeins, was kann mächtiger uns
von unſerer geiſtigen Macht und Unendlichkeit über-
zeugen? —
Soll-
[25]
Sollte ich Dir heute nichts zu ſagen haben? —
Was ſtört mich denn heute am frühen Morgen? viel-
leicht, daß die Sperlinge die Schwalben hier aus dem
Neſt unter meinem Fenſter vertrieben haben? — Die
Schwalben ſind geſchwätzig, aber ſie ſind freundlich und
friedlich; die Sperlinge argumentiren, ſie behaupten,
und laſſen ſich ihren Witz nicht nehmen. Wenn die
Schwalbe heimkehrt von den Kreisflügen um ihre Hei-
math, dann ergießt ſich die Kehle in lauter liebkoſende
Mittheilung, ihr gegenſeitiges Gezwitſcher iſt das Ele-
ment ihrer Liebesluſt, wie der Äther das Element ihrer
Weltanſchauung iſt. Der Sperling fliegt da und dort-
hin, er hat ſein Theil Eigenſucht, er lebt nicht wie die
Schwalbe im Buſen des Freundes.
Und nun iſt die Schwalbe fort, und der Sperling
hat ihren Wohnſitz, wo ſüße Geheimniſſe und Träume
ihre Rollen ſpielten.
Ach! — Du! meine ſchlüpfrige Feder hätte ſchier
Deinen Namen geſchrieben, während ich im Zorn bin,
daß die Schwalbe vom Sperling verjagt iſt. — Ich bin
die Schwalbe, wer der Sperling iſt das magſt Du wiſ-
ſen, aber ich bin wahrhaftig die Schwalbe.
Tagebuch. 2
[26]
Geſang unter meinem Fenſter; ſie ſitzen auf der
Bank an der Hausthür; der Mond wie er mit den
Wolken ſpielt, hat ſie wohl zum Singen gebracht, oder
auch die Langeweile der Ruhe; die Stimmen verbreiten
ſich durch die Einſamkeit der Nacht, da hört man nichts
als nur das Plätſchern der Wellen am Ufer, die die
langen gehaltenen Intervalle dieſes Geſangs ausfüllen.
Was iſt dieſer Geſang für mich? warum bin ich
in ſeine Gewalt gegeben, das ich mich der Thränen
kaum enthalte? — es iſt ein Ruf in die Ferne; wärſt
Du jenſeits, wo ſeine letzten Töne verhallen, und em-
pfändeſt den Ausdruck der herzlichen Sehnſucht, den
er in mir aufgeregt hat, und wüßteſt, daß in Dir das
Glück der Befriedigung läge!
Ach ſchlafen! nicht mehr dem Geſang zuhören, da
ich doch aus der Ferne nicht das Echo des Gleichge-
ſtimmten vernehme!
Es iſt wenig, was ich Dir hier mittheile: eintöni-
ger Geſang, Mondesglanz, tiefe Schatten, geiſtermäßige
Stille, Lauſchen in die Ferne, das iſt alles, und doch —
es giebt nichts, was ein volles Herz Dir mehr zu bie-
ten vermögte!
[27]
Freund! Morgendämmerung weckt mich ſchon, und
ich habe doch geſtern tief in die Nacht hinein gewacht.
Freund! ſüßer! Geliebter! es war eine kurze Zeit des
Schlafs, denn ich hab' von Dir geträumt; im Wachen
oder im Traum, mit Dir, da eilen die Roſſe unbändig.
drum pocht das Herz und Wange und Schläfe er-
hitzt, weil die Zeit ſo rückſichtslos auf die ſeligen Mi-
nuten vorüberjagt. Wenn die Angſt um die Flucht
des Beſitzes nicht wär', wie wär' da Lieb' und Luſt
ein tiefer Friede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe!
wenn wir an Gräbern vorüber gehen, und uns beſinnen,
wie ſie da verdeckt liegen und beſchwichtigt, die pochen-
den Herzen, dann befällt uns feierliche Rührung; wenn
aber die Liebe ſich einſenken könnte zu zweien, wie ſie
es bedarf, ſo tief abgeſchieden wie im Grab, und wenn
auch die Weltgeſchichte über die Stätte hintanzte, —
was ging ſie uns an? — ja das kann ich wohl fra-
gen, aber Du nicht.
Was ich träumte? Wir ſtanden aneinander ge-
lehnt im nächtlichen Dämmerlicht, das Sternenlicht ſpie-
gelte ſich in Deinen Augen. Traumlicht, Sternenlicht.
Augenlicht ſpiegelten in einander. — Dies Auge, das
hier folgt den Zeilen, die meine Hand an Dich ſchreibt,
2*
[28] in ungemeſſene Ferne, — denn ach wie fern Du mir
biſt das kann ja doch nur Dein Herz entſcheiden —
dies Auge ſah heute Nacht in Deinem Auge den Schein
des Mondes ſich ſpieglen.
Ich träumte von Dir; Du träumteſt mit mir;
Du ſprachſt; ich empfinde noch den Ton Deiner Stimme;
was Du ſagteſt, weiß ich nicht mehr; Schmeichelreden
waren's, denn mit Deinen Reden gingen Schauer von
Wolluſt durch mich.
Gott hat alles gemacht, und alles aus Weisheit
und alle Weisheit für die Liebe, und doch ſagen ſie, ein
Liebender ſei toll!
Weisheit iſt die Atmoſphäre der Liebe, der Liebende
athmet Weisheit, ſie iſt nicht außer ihm, nein, — ſein
Athem iſt Weisheit, ſein Blick ſein Gefühl, und dies
bildet ſeinen Nymbus, der ihn abſondert von allem,
was nicht der Wille der Liebe iſt der Weisheit iſt.
Weisheit der Liebe giebt alles, ſie lenkt die Phantaſie im
Reich der Träume, und ſchenkt der Lippe die ſüße Frucht,
die ihren Durſt löſcht, während die Unbegeiſterten ſich
nach dem Boden umthun, dem ſie den Saamen anver-
trauen möchten, aus dem ihr Glück reifen könnte, um
das ſie ihre Vorſicht betrügt.
Ich aber ſauge Genuß aus dieſen Träumen, aus
[29] dieſen Wonnen, die mir ein Wahn von Schmerz, ein
eingebildetes Glück erregt; und die Weisheit, die [mei-
ner] Begeiſtrung zuſtrömt; ſie ſchifft mich auf ihren ho-
hen ſtolzen Wellen, weit über der Grenze des gemeinen
Begriffs, den wir Verſtand nennen, und weit über dem
Beruf der irdiſchen Lebensbahn, auf der wir unſer Glück
ſuchen.
Wie ſchön, daß die Weisheit der Liebe wirklich
meine Träume beherrſcht, daß der Gott das Steuer
lenkt, wo ich keinen Willen habe, und mich im Schlaf
da hinüberſchifft zum Ziel, um das ich, es zu erreichen,
immer wachen möchte. Warum träumſt Du nicht auch
von mir? warum rufſt Du mich nicht an Deine Seite?
warum mich nicht in Deinem Arm halten und freund-
lich Deinen Blick in meinen tauchen? —
Du biſt ja hier; dieſe ſonnigen Pfade ſie ſchlingen
ſich durcheinander und führen endlich auch zu Dir, o
wandle auf ihnen; ihre labyrinthiſche Verkettungen: ſie
löſen ſich vielleicht auf, da wo Dein Blick den meinen
trifft, wie das Räthſel meiner Bruſt, da wo Dein Geiſt
den meinen berührt.
[30]
Heute las ich in dieſen Blättern; lauter Seufzen
und Sehnen.
Wie würde ich beſchämt vor Dir ſtehen, wenn Du
in dieſem Buch läſeſt! ſo bleibt es denn verborgen, und
nur zu eigener Schmach geſchrieben? — Nein, ich muß
an Dich denken und glauben, daß dies alles einmal an
Deinem Geiſt vorüberzieht; wenn es auch manchmal in
mir iſt, als wollt' ich Dich fliehen; Dich und dieſe ſelt-
ſame Laune der Sehnſucht; Laune muß ich ſie nennen,
denn ſie will alles und begehrt nichts. Aber dieſes Ab-
wenden von Dir, wird doppelter Reiz; da ſprengt mich's
hinaus, die Berge hinan, noch im erſten Frühroth, als
könnt' ich Dich erjagen, und was iſt das Ende? daß
ich mich wieder zum Buch wende. Nun was hat's denn
auf ſich? die Tage gehen vorüber ſo oder ſo, und was
könnt' ich verſäumen, wenn ich in dieſen Blättern mich
ſammle?
Heute war ich früh draußen, ich ging den erſten
Feldweg, die Feldhühner ſchreckten vor mir auf, ſo früh
war's noch; die Wieſen lagen da im Morgenglanz,
[31] überſponnen mit Fäden, an denen die Thauperlen auf-
gereiht waren.
Manchmal hält die Natur Dir die Wage, und ich
empfinde die Wahrheit der Worte: „Weg du Traum,
ſo gold' du biſt, hier auch Lieb' und Leben iſt.“
So ein Gang, wenn ich wieder unter die Menſchen
komme, macht mich einſam.
Ach, die zahmen Menſchen, ich verſtehe ihren Geiſt
nicht. Geiſt lenkt, er deutet, er fliegt voran auf immer
neuen Wegen oder er kommt entgegen wie die Leiden-
ſchaft und ſenkt ſich in die Bruſt und regt ſich da.
Geiſt iſt flüchtig wie Äther, drum ſucht ihn die Liebe,
und wenn ſie ihn erfaßt dann geht ſie in ihm auf.
Das iſt meine Liſt daß die Liebe dem Geiſt nachgeht.
Dir geh' ich nach auf einſamen Wegen, wenn's
ſtill und ruhig iſt dann liſpelt jedes Blatt von Dir,
das vom Wind gehoben wird, da laſſe ich meine Ge-
danken ſtill ſtehen, und lauſche, da breiten ſich die Sinne
aus wie ein Netz um Dich zu fangen, es iſt nicht der große
Dichter, nicht Dein weltgeprieſener Ruhm! in Deinen
Augen liegt's, in dem nachläſſigen und feierlichen Be-
wegen Deiner Glieder, in den Schwingungen Deiner
Stimme, in dieſem Schweigen und Harren, bis die
Sprache aus der Tiefe Deines Herzens ſich zum Wort
[32] entfaltet; wie Du gehſt und kommſt und Deinen Blick
über alles ſchweifen läßt, dies iſt es und nichts anders
was mich erfreut, und keine glänzende Eigenſchaft kann
dieſe Leidenſchaft erregenden Zeichen überwiegen.
Da ſtreif ich hin zwiſchen Hecken, ich dräng' mich
durch's Gebüſch, die Sonne brennt, ich leg mich in's
Gras, ich bin nicht müde, aber weil meine Welt eine
Traumwelt iſt. Es zieht mich hinüber nur Augenblicke,
es hebt mich zu Dir, den ich nicht mit Menſchen ver-
gleiche. — Mit den Streiflichtern und ihren blauen
Schatten, mit den Nebelwolken die am Berg hinziehen,
mit dem Vögelgeräuſch im Wald, mit den Waſſern die
zwiſchen Geſtein plätſchern, mit dem Wind, der dem
Sonnenlicht die belaubten Äſte zuwiegt; mit dieſem
vergleich ich Dich gern, da iſt's als wenn Deine
Laune hervorbräche! — Das Summen der Bienen,
das Schwärmen der Käfer trägt mir Deine Nähe zu,
ja ſelbſt das ferne Gebell der Hunde im Nachtwind,
weckt mir Ahndungen von Dir; wenn die Wolken mit
dem Mond ſpielen, wenn ſie im Licht ſchwimmen, ver-
klärt: da iſt alles Geiſt, und er iſt deutlich aus Deiner
Bruſt gehaucht; da iſt's als wendeſt Du Geiſt Dich
mir entgegen, und wärſt zufrieden von dem Athem der
Liebe wie auf Wellen getragen zu ſein.
[33]
Sieh! ſo lieb ich die Natur, weil ich Dich liebe, ſo
ruh ich gern in ihr aus und verſenk mich in ſie, weil
ich gern in Dein Andenken mich verſenke.
Ach da Du nirgends biſt, und doch da biſt, weil
ich Dich mehr empfinde als alles andere; ſo biſt Du
gewiß in dieſem tauſendfachen Echo meines Gefühls.
Ich weiß einen! wie mit Kindeslächeln hat er ſich
mit der Weisheit, mit der Wiſſenſchaft befreundet. Das
Leben der Natur iſt ihm Tempel und Religion; alles
in ihr iſt ihm Geiſterblick, Weiſſagung, ein jeder Ge-
genſtand in ihr ward ihm zum eigenthümlichen Du,
in ſeinen Liedern klingt die göttliche Luſt ſich in allem
zu empfinden, alle Geheimniſſe in ſich aufzunehmen, ſich
in ihnen verſtändlich zu werden.
Wenn der Saame in die Erde kommt, wird er le-
bendig, und dies Leben ſtrebt in ein neues Reich in die
Luft. Wenn der Saame nicht ſchon Leben in ſich hatte,
konnte es nicht in ihm geweckt werden, es iſt Leben was
2**
[34] in's Leben übergeht. — Wenn der Menſch nicht ſchon
Seeligkeit in ſich hätte, könnte er nicht ſelig werden.
Der Keim zum Himmel liegt in der Bruſt wie der Keim
zur Blüthe im verſchloſſnen Saamen liegt. — Die Seelig-
keit iſt ſo gut ein Erblühen in einem höheren Element,
wie jener Pflanze, die aus dem Saamen durch die Erde
in ein höheres Element in die Luft geboren wird. Al-
les Leben wird durch ein höheres Element genährt, und
wo es ihm entzogen iſt, da ſtirbt es ab.
Erkenntniß, Offenbarung iſt Saamen eines höheren
Lebens, das irdiſche Leben iſt der Boden in dem er ein-
geſtreut iſt, im Sterben bricht die ganze Saat an's
Licht. Wachſen, blühen, Früchte tragen von dem Saa-
men, den der Geiſt hier in uns gelegt hat, das iſt das
Leben nach dem Tod.
Du biſt der Äther meiner Gedanken, ſie ſchweben
durch Dich hin und werden von Dir im Flug getragen
wie die Vögel in der Luft.
An Dich denken, im Bewußtſein von Dir verwei-
len, das iſt ein Ausruhen vom Flug, wie der Vogel
ausruht im Neſt.
Geiſt im Geiſt iſt unendlich, aber Geiſt in den Sin-
nen im Gefühl iſt Unendliches im Endlichen erfaßt.
Meine Gedanken umſchwärmen Dich wie die Bie-
[35] nen den blühenden Baum. Sie berühren tauſend Blü-
then und verlaſſen eine, um die andre zu beſuchen, und
jede iſt ihnen neu; ſo wiederholt ſich auch die Liebe und
jede Wiederholung iſt ihr neu.
Liebe iſt immerdar erſtgeboren, ſie iſt ewig ein ein-
ziger Moment, Zeit iſt ihr nichts, ſie iſt nicht in der
Zeit da ſie ewig iſt; ſie iſt kurz die Liebe. Ewigkeit iſt
eine himmliſche Kürze.
Nichts Himmliſches geht vorüber, aber das Zeitliche
geht vorüber am Himmliſchen.
Hier auf dem Tiſch liegen Trauben im Duft, und
Pfirſich im Pelz und buntgemalte Nelken; die Roſe
liegt vorne und fängt den einzigen Sonnenſtrahl auf
der durch die verſchloſſenen Fenſterladen dringt. Wie
glüht die Roſe! Pſyche nenne ich ſie; — wie lockt das
glühende Roth den Strahl in den innerſten Kelch! wie
duftet ſie; — hier lobt das Werk den Meiſter. Roſe
wie lobſt du das Licht! — wie Pſyche den Eros lobt. —
[36] Unendlich ſchön iſt Eros, und ſeine Schönheit durchleuch-
tet Pſyche, wie das Licht die Roſe. — Und ich, die da
wähnt von Deiner Schönheit eben ſo durchleuchtet zu
ſein, trete vor den Spiegel ob es mich auch wie ſie
verſchönt.
Der Strahl iſt dem Abend gewichen, die Roſe liegt
im Schatten ich durchſtreife Wald und Flur, und auf
einſamen Wegen denk' ich an Dich, daß Du auch wie
Licht mich durchdringſt.
Sehnſucht und Ahnung liegen in einander, eins treibt
das andre hervor.
Der Geiſt will ſich vermählen mit dem Begriff: ich
will geliebt ſein, oder ich will begriffen ſein, das iſt eins.
Darum thut der Geiſt wohl, weil wir fühlen, wie
aus dem irdiſchen Leben das geiſtige in's himmliſche
übergeht und unſterblich wird.
Die Liebe iſt das geiſtige Auge, ſie erkennt das
Himmliſche, es ſind Ahnungen höherer Wahrheiten die
uns der Liebe begehren machen.
In Dir ſeh ich tauſend Keime die der Unſterblich-
keit aufblühen, ich mein' ich müſſe ſie alle anhauchen. —
[37] Wenn Geiſter einander berühren das iſt göttliche Elec-
trizität.
Alles iſt Offenbarung; ſie giebt den Geiſt, und dann
den Geiſt des Geiſtes. Wir haben den Geiſt der Liebe,
und deſſen Geiſt iſt der Liebe Kunſt.
Alles iſt nichtig, nur der Wille reicht drüber hin-
aus, nur der Wille kann göttlich ſein.
Wie begierig iſt die Seele nach Wahrheit, wie
durſtet ſie, wie trinkt ſie! — wie die lechzende Erde die
tauſend Pflanzen zu nähren hat den fruchtbaren Ge-
witterregen trinkt; die Wahrheit iſt auch elektriſch
Feuer wie der Blitz. — Ich fühl den weiten wolken-
durchjagten Himmel in meiner Bruſt; ich fühl den feuch-
ten Sturmwind in meinem Kopf; das weiche Heranrol-
len der Donner, wie ſie ſteigen, mächtig, und das elek-
triſche Feuer des Geiſtes begleiten. — Das Leben: eine
Laufbahn die mit dem Tod abſchließt durch die Liebe,
durch den Geiſt; ein geheim, verborgen Feuer das ſich
bei dieſem Abſchluß in's Licht ergießt.
Ja elektriſch Feuer! das glüht das brauſ't, und
[38] die Funken, die Gedanken, die fahren zum Schornſtein
heraus.
Wer mich berührt im Gefühl meiner Geiſtigkeit
mit dem zuſammen erbrauſ't der Geiſt gewitterhaft und
ſpielt im Pulsſchlag der Stürme im elektriſchen Zittern
der Luft. Das hab' ich gedacht wie wir mit einander
ſprachen und Du meine Hand berührteſt.
[Geſchrieben] nach dem Gewitter wie ſich's nach dem
Sturm noch einmal erhellen wollte und die Nacht dem
nachträglichen Tag das Regiment abnahm.
Schon manch Vorurtheil hab' ich gelöſt, ſo jung
wie ich bin, wenn ich auch das eine löſen könnte, daß
die Zeit nichts verjährt, Hunger und Durſt werden auch
nicht älter; ſo iſt's auch mit dem Geiſt, in der Gegen-
wart bedingt er ſchon die Zukunft. Wer Anſprüche an
die Zukunft macht, wer der Zeit voraneilt, wie kann der
der Zeit unterworfen ſein?
Ich hab' bemerkt an den Bäumen, immer iſt hinter
dem abwelkenden Blatt ſchon der Keim einer zukünfti-
gen Blüthe verborgen; ſo iſt auch das Leben im jun-
gen friſchen kräftigen Leib die nährende Hülle der Gei-
[39] ſtesblume; und wie ſie welkt und abfällt in der irdiſchen
Zeit, ſo drängt ſich aus ihr hervor der Geiſt als ewige
himmliſche Blüthe.
Wenn ich im ſpäten Herbſt im Vorübergehen das
todte Laub von den Hecken ſtreifte, da ſammelte ich mir
dieſe Weisheit ein; ich öffnete die Knoſpen ich grub die
Wurzeln aus, überall drängte ſich das Zukünftige aus
der geſammten Kraft des Gegenwärtigen hervor; ſo
iſt denn kein Alter, kein Abſterben, ſondern ewiges
Opfern der Zeit an das neue junge Frühlingsleben,
und wer ſich der Zukunft nicht opferte, wie unglücklich
wär der! —
Zum Tempeldienſt bin ich geboren, wo mir nicht
die Luft des Heiligthums heimathlich entgegenweht da
fühl ich mich unſicher als hab ich mich verirrt.
Du biſt mein Tempel wenn ich mit Dir ſein will
reinige ich mich von des Alltäglichen Bedrängniß wie
einer der Feierkleider anlegt; ſo biſt Du der Eingang
zu meiner Religion.
Ich nenne Religion das was den Geiſt auf der Le-
bensſtufe des Augenblicks ergreift und im Gedeihen wei-
[40] terbildet wie die Sonne Blüthen und Früchte. Du
ſiehſt mich an wie die Sonne und fächelſt mich an wie
der Weſtwind, unter ſolchen Reizungen blühen meine
Gedanken.
Dieſe Lebensepoche mit Dir zieht eine Grenze, die
das Ewige umfaßt, weil alles was ſich innerhalb ihrer
bildet das Überirdiſche ausſpricht ſie zieht einen Kreis
um ein inneres Leben; nenne es Religion, Offenbarung
über alles was der Geiſt Unermeßliches zu faſſen vermag!
Was wacht das weckt! gewiß in Dir wacht was
mich weckt. Es geht eine Stimme von Dir aus die mir
in die Seele ruft. — Was durch dieſe Stimme geweckt
wird iſt Geheimniß; erwachtes Geheimniß iſt Erleuchtung.
Manches ſehe und fühl ich was ſchwer iſt auszu-
ſprechen. Wer liebt lernt wiſſen, das Wiſſen lehrt
Lieben, ſo wachſe ich vielleicht in die Offenbarung die
jetzt noch Ahndung iſt. Ich habe das Gefühl von
dem Zeitpunkt an wo mir's ſo freudig in die Sinne
kam, meine Gedanken mein geiſtiges Leben in Deinen
Buſen zu ergießen, als habe ich mich aus tiefem Schat-
tenthal erhoben in die ſonnigen Lüfte.
[41]
In dem Garten wo ich noch als Kind ſpazierte
da wuchs die Jungfrauenrebe hoch empor an plattem
Geſtein. Damals hab ich oft ihre kleine Sammtrüſſel
betrachtet mit denen ſie ſich anzuſaugen ſtrebt, ich be-
wunderte dies unzertrennliche Anklammern in jede Fuge,
und wenn der Frühling erſchöpft war, und die Som-
mergluthen dem jungen weichen Keimleben dieſer zarten
Pflanze einfeuerten, da fielen allmählig ihre zierlichen
rothgefärbten Blätter zum Schmuck des Herbſtes in's
Gras. Ach ich auch! abſterbend aber feurig werd' ich
von Dir Abſchied nehmen; und dieſe Blätter werden
wie jenes rothe Laub auf dem grünen Raſen ſpielen
der dieſe Zeiten deckt.
Ich bin nicht falſch gegen Dich; — Du ſagſt:
„Wenn Du falſch biſt, Du hätteſt keine Ehre
davon ich bin leicht zu betrügen.“
Ich will nicht falſch ſein, ich frage nicht ob Du
falſch biſt, ſondern wie Du biſt will ich Dir dienen.
Den Stern der dem Einſamen jeden Abend leuchtet,
den wird er nicht verrathen.
[42]
Was haſt Du mir gethan was mich zur Falſchheit
bewegen könnte, alles was ich an Dir verſtehe das be-
glückt mich; Du kannſt weder Aug noch Geiſt beleidi-
gen, und es hat mich weit über jede kleinliche Bedin-
gung erhoben, daß ich Dir vertrauen darf; und aus
dem tiefſten Herzen kann ich Dir immer nur den reinen
Wein einſchenken in dem Dein Bild ſich ſpiegelt.
Nicht wahr, Du glaubſt nicht, daß ich falſch bin? —
Es giebt böſe Fehler die an uns he[r]vorbrechen wie
Fieber; es hat ſeinen Verlauf und wir emfinden in der
Geneſung daß wir ſchmerzlich krank waren; aber Falſch-
heit iſt ein Gift das ſich in des Herzens Mitte erzeugt,
könnte ich Dich nicht mehr in dieſer Mitte herbergen,
was ſollte ich anfangen?
In meinen Briefen wollte ich Dir nichts ſagen,
aber hier im Buch da laſſe ich Dir die Hand in meine
Wunde legen und es thut weh, daß Du an mir zwei-
feln kannſt; ich will Dir erzählen aus meinen Kinder-
tagen, aus der Zeit eh ich Dich geſehen hatte. Wie
mein ganzes Leben ein Vorbereiten war auf Dich; wie
lange kenne ich Dich ſchon, wie oft hab' ich Dich ge-
ſehen mit geſchloſſenen Augen, und wie wunderbar war's
wie endlich die wirkliche Welt ſich in Deiner Gegenwart
an die lang gehegte Erwartung anſchloß.
[43]
In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich
erzogen, ich glattes braunes feingegliedertes Rehchen,
zahm und freundlich zu jedem Liebkoſenden, aber un-
bändig in eigenthümlichen Neigungen. Wer konnte mich
vom glühenden Fels losreißen in der Mittagsſonne? —
wer hätte mich gehemmt die ſteilſten Höhen zu erklet-
tern und die Gipfel der Bäume? wer hätte mich aus
träumender Vergeſſenheit geweckt mitten unter den Leben-
den, oder meine begeiſterten Nachtwanderungen geſtört,
auf nebelerfülltem Pfad! — Sie ließen mich gewähren die
Parzen und Muſen und Grazien, die da alle eingeklemmt
waren im engen Thal, das vom Geklapper der Müh-
len dreifaches Echo in den umgrenzenden Wald rief,
vom Goldſandfluß durchſchnitten, deſſen Ufer jenſeits
eine Bande Zigeuner in Pacht hatte, die Nachts im
Wald lagerten und am Tag das Gold fiſchten, dieſſeits
aber durch die Bleicher benutzt war und durch die wie-
hernde Pferde und Eſel die zu den Mühlen gehörten.
Da waren die Sommernächte mit Geſang der einſamen
Wächter und Nachtigallen durchtönt, und der Morgen
mit Geſchrei der Gänſe und Eſel begonnen; da machte
die Nüchternheit des Tags einen rechten Abſchnitt von
dem Hymnus der Nacht.
[44]
Manche Nächte hab' ich da im Freien zugebracht,
ich kleines Ding von acht Jahren; meinſt Du das war
nichts? — mein Heldenthum wars, denn ich war kühn
und wußte nichts davon. Die ganze Gegend, ſo weit ich
ſie ermeſſen konnte war mein Bett; ob ich an Ufers-
rand von Wellen umſpühlt, oder auf ſteilem Fels, vom
fallenden Thau durchnäßt ſchlief, das war mir einerlei.
Aber Freund! wenn die Dämmerung wich, und der
Morgen ſeinen Purpur über mir ausbreitete, und mich,
nachdem ich dem Geſang der ſteigenden Lerche ſchon im
Traum gelauſcht hatte, unter tauſendfachem Jubel aller
befiederten Kehlen weckte, was meinſt Du wie ich mich
fühlte? — nichts geringer als göttlicher Natur fühlt'
ich mich, und ich ſah herab auf die ganze Menſchheit.
Solcher Nächte zwei erinnere ich mich, die ſchwül wa-
ren wo ich aus den beklommenen Schlafſälen zwiſchen
den Reihen von Tiefſchlafenden mich ſchlich und hinaus
in's Freie eilte, und mich die Gewitter überraſchten, und
die breite blühende Linde mich unter Dach nahm; die
Blitze feuerten durch ihre tiefhängenden Zweige; dies
urplötzliche Erleuchten des fernen Waldes und der ein-
zelnen Felszacken erregte mir Schauer, ich fürchtete mich
und umklammerte den Baum der kein Herz hatte was
dem meinen entgegen ſchlug.
[45]
O lieber Freund! — hätte ich nun den lebendigen
Pulsſchlag gefühlt unter dieſes Baumes Rinde, dann
hätte ich mich nicht gefürchtet; dies kleine Bewegen,
dies Schlagen in der Bruſt kann Vertrauen erregen,
und kann den Feigen zum Helden umwandeln; denn
wahrlich! — fühlt' ich Dein Herz an meinem ſchlagen
und führteſt Du mich in den Tod, ich eilte triumphirend
mit Dir!
Aber damals in der Gewitternacht unter dem Baum
da fürchtete ich mich, mein Herz ſchlug heftig, das
ſchöne Lied: „Wie iſt Natur ſo hold und gut die
mich am Buſen hält“ das konnte ich damals noch
nicht ſingen, ich empfand mich allein mitten im Gebraus
der Stürme, doch war mir ſo wohl, mein Herz ward
feurig. — Da läuteten die Sturmglocken des Kloſter-
thurms, die Parzen und Muſen eilten im Nachtgewand
mit ihren geweihten Kerzen, in das gewölbte Chor, ich
ſah unter meinem ſturmzerzauſten Baum die eilenden
Lichter durch die langen Gänge ſchwirren; bald tönte
ihr ora pro nobis herüber im Wind, ſo oft es blitzte
zogen ſie die geweihte Glocke an, ſo weit ihr Schall
trug, ſo weit ſchlug das Gewitter nicht ein.
Ich allein jenſeits der Klauſur, unter dem Baum
in der ſchreckenvollen Nacht! und jene alle, die Pflege-
[46] rinnen meiner Kindheit, wie eine verzagte verſchüchterte
Heerde, zuſammen gerottet in dem innerſten feuerfeſten
Gewölb ihres Tempels, Litaneien ſingend um Abwen-
dung der Gefahr. Das kam mir ſo luſtig vor unter
meinem Laubdach, in dem der Wind raſte und der Don-
ner wie ein brüllender Löwe die Litanei ſammt dem
Geläut verſchlang; an dieſem Ort hätte keines von je-
nen mit mir ausgehalten das machte mich ſtark gegen
das einzige ſchreckenvolle gegen die Angſt, ich fühlte
mich nicht verlaſſen in der allumfaſſenden Natur. Der
herabſtrömende Regen verdarb ja nicht die Blumen auf
ihrem feinen Stengel, was ſollte er mir ſchaden, ich
hätte mich ſchämen müſſen, vor dem Vertrauen der klei-
nen Vögel, hätt' ich mich gefürchtet.
So hab ich allmählig Zuverſicht gewonnen und
war vertraulich mit der Natur, und hab' zum Scherz
manche Prüfung beſtanden, Sturm und Gewitter zog
mich hinaus und das machte mich freudig; die heiße
Sonne ſcheute ich nicht, ich legte mich in's Gras unter
die ſchwärmenden Bienen mit Blüthenzweigen im Mund
und glaubte feſt ſie würden meine Lippen nicht ſtechen,
[47] weil ich ſo befreundet war mit der Natur; und ſo bot
ich allem Trotz was andre fürchteten, und in der Nacht
in ſchauerlichen Wegen im finſtern Gebüſch, da lockte
es mich hin da wars überall ſo heimlich und nichts war
zu fürchten.
Oben im erſten und höchſten Garten ſtand die Klo-
ſterkirche auf einem Raſenplatz der am felſigen Boden
hinab grünte und mit einem hohen Gang von Trauben
umgeben war, er führte zur Thüre der Sacriſtey vor
dieſer ſaß ich oft wenn ich meine Geſchäfte in der Kirche
verſehen hatte, denn ich war Sacriſtan, ein Amt, dem
es oblag den Kelch in dem die geweihten Hoſtien be-
wahrt wurden zu reinigen und die Kelchtücher zu wa-
ſchen, dies Amt wurde nur dem Liebling unter den jung-
fräulichen Kindern vertraut, die Nonnen hatten mich
einſtimmig dazu erwählt. In dieſer Thürwölbung ſaß
ich manchen heißen Nachmittag, links in der Ecke des
Kreuzbaues das Bienenhaus unter hohen Taxusbäumen,
rechts der kleine Bienengarten, bepflanzt mit duftenden
Kräutern und Nelken, aus denen die Bienen Honig ſaugten.
In die Ferne konnte ich von da ſehen; die Ferne die ſo
wunderliche Gefühle in der Kinderſeele erregt, die ewig eins
und daſſelbe vor uns liegt, bewegt in Licht und Schat-
ten, und zuerſt ſchauerliche Ahnungen einer verhüllten
[48] Zukunft in uns weckt; da ſaß ich und ſah die Bienen
von ihren Streifzügen heimkehren, ich ſah wie ſie ſich
im Blumenſtaub wälzten und wie ſie weiter und wei-
ter flogen in die ungemeſſene Ferne; wie ſie im blauen
Sonnedurchglänzten Äther verſchwebten, und da ging mir
mitten in dieſen Anwandlungen von Melancholie auch
die Ahndung von ungemeſſenem Glück auf.
Ja die Wehmuth iſt der Spiegel des Glücks; Du
fühlſt, Du ſiehſt in ihr ausgeſprochen ein Glück nach
dem ſie ſich ſehnt. Ach und im Glück wieder durch al-
len Glanz der Freude durchſchimmernd dieſe ſchmerzliche
Wolluſt. Ja das Glück iſt auch der Spiegel dieſer aus
unergründlichen Tiefen aufſteigenden Wehmuth. Und
jetzt noch in der Erinnerung wie in den Kindertagen,
füllt ſich meine Seele mit jener Stimmung, die leiſe mit
der Dämmerung hereinbrach und dann wieder nachgab,
wenn das Sonnenlicht mit dem Sternenlicht gewechſelt
hatte und der Abendthau meine Haare losringelte. Die
kalte Nachtluft ſtählte mich, ich buhlte, ich neckte mich
mit den tauſend Augen der Finſterniß, die aus jedem
Buſch mir entgegen blitzten. Ich kletterte auf die Ka-
ſtanienbäume und legte mich ſo ſchlank und elaſtiſch
auf ihre Äſte; wenn dann der Wind durchſchwirrte und
jedes Blatt mich anflüſterte, da wars als redeten ſie
meine
[49] meine Sprache. Am hohen Traubengeländer, das ſich
an die Kirchenmauer anlehnte ſtieg ich hinauf, und hörte
die Schwalben in ihrem Neſtchen plaudern; halb träu-
mend zwitſchern ſie zwei- dreiſylbige Töne und aus
tiefer Ruhe ſeufzt die kleine Bruſt, einen ſüßen Wohl-
laut der Befriedigung. Lauter Liebesglück, lauter Be-
hagen, daß ihr Bettchen von befreundeter Wärme durch-
ſtrömt iſt.
O Weh über mich, daß mir im Herzen ſo unend-
lich weh iſt, blos weil ich dies Leben der Natur mit
angeſchaut habe in meinen Kindertagen; dieſe tauſend-
fältigen Liebesſeufzer, die die Sommernacht durchſtöhnen,
und inmitten dieſer ein einſames Kind, einſam bis in's
innerſte Mark, das da lauſcht, ihren Seeligkeiten, ihrer
Inbrunſt, das in dem Kelch der Blumen nach ihren Ge-
heimniſſen forſcht, das ihren Duft in ſich ſaugt wie eine
Lehre der Weisheit, das erſt über die Traube den See-
gen ſpricht ehe es ſie genießt.
Aber da war ein hoher Baum mit feinen phanta-
ſtiſchen Zweigen, breiten Sammtblättern, die ſich wie
ein Laubdach ausdehnten; oft lag ich in ſeiner kühlen
Umwölbung und ſah hinauf wie das Licht durch ihn
äugelte, und da lag ich mit freier Bruſt in tiefem
Schlaf; ja mir träumte von ſüßen Gaben der Liebe,
Tagebuch. 3
[50] gewiß! ſonſt hätte ich den Baum nicht ſogleich verſtan-
den da ich erwachte. Weil eben die reife Frucht ſich
von ſeinen Zweigen gelöſt hatte und im fallen auf
meine Bruſt ihr Saft mich netzte; dies ſchöne dunkle
überreife Blut der Maulbeere, ich kannte ſie nicht, ich
hatte ſie nie geſehen, aber mit Zutrauen verzehrten ſie
meine Lippen wie Liebende den erſten Kuß verzehren.
Und es giebt Küſſe von denen fühl' ich, ſie ſchmecken
wie Maulbeeren.
Sag' ſind das Abentheuer? — und würdig, daß ich
ſie Dir erzähle?
Und ſoll ich Dir noch mehr erzählen von dieſen
einfachen Ereigniſſen, die ſo gewöhnlich ſind wie der
Athem, der die Bruſt hebt? und doch fanden ſie auf
der reinen, noch unbeſchriebenen Tafel der Erinnerung
einen unverlöſchbaren Eindruck. Sieh', wie dem Kind'
in den Windeln die ganze ſinnliche Natur zur Nah-
rung ſeiner Kräfte gedeiht, bis es mannbar wird
und mit ſeinen Gliedern das Pferd regiert und das
Schwert, ſo gedeiht auch das Empfinden der Geiſtigkeit
des Naturlebens zur Nahrung des Geiſtes. Nicht jetzt
[51] noch würde ich jene Sonnenſtrahlen mit dem Auge der
Erinnerung auffangen, nicht mich der Wolkenzüge als
erhabener Begebniſſe erinnern, die Blumen der ver-
ſchwundenen Frühlinge würden mir nicht heute noch
mit ihren Farben und Formen zulächlen, und die reifen
Früchte, denen ich liebkoſte, eh' ich ſie genoß, würden
mich nicht nach verſchwundenen Jahren wie aus den
Träumen ſeeliger Genüſſe, mahnen an die heimliche Luſt.
— Sie lachten mich an dieſe runden Äpfel, die geſtreif-
ten Birnen, und die ſchwarzen Kirſchen, die ich mir aus
den höchſten Zweigen erkletterte. O keine Erinnerung
brennt mehr in meinem Herzen, auf meinen Lippen, die
dieſer den Rang abliefe; nicht Du, nicht andre haben für
die ſüße Koſt der Kirſche auf höchſtem Gipfel im brennen-
den Sonnenlicht gereift, oder der waldeinſamen Erdbeere
unter bethautem Gras aufgefunden, mich nur einmal ent-
ſchädigt. Drum weil er denn in den Geiſt ſo tief einge-
graben iſt, der Genuß kindlicher Jugend, ſo tief wie die
Flammenſchrift der Leidenſchaft, ſo iſt er wohl auch eine
göttliche Offenbarung und er bedingt viel in der Bruſt
in der er haftet.
Gedanken ſind auch Pflanzen, ſie ſchweben im gei-
ſtigen Äther, die Empfindung iſt ihre Muttererde, in
der ſie ihre Wurzeln ausdehnen und nähren; der Geiſt
3*
[52] iſt ihre Luft, in dem ſie ihre Blüthen ausbreiten und
ihren Duft; der Geiſt, in dem viele Gedanken ihre Blü-
then treiben, der iſt ein gewürziger Geiſt, in ſeiner
Nähe athmen wir ſeine Verklärung. Die ganze Natur
iſt aber ein Spiegel von dem, was im Geiſtesleben vor-
geht. Keinen Sommervogel hab' ich umſonſt nachge-
jagt; mein Geiſt empfing dadurch die Befähigung, ei-
nem verborgenen, idealiſchen Reiz nachzujagen, und hab
ich das klopfende Herz in die hohen Kräuter der blü-
henden Erde gedrückt: ich lag am Buſen einer göttli-
chen Natur, die meiner Inbrunſt, meiner Sehnſucht
kühlenden Balſam zuträufelte, der alles Begehren in
geiſtiges Schauen umwandelte. —
Die wandelnden Heerden in der Abenddämmerung
mit ihrem Geläut', die ich oben von der Mauer herab
mit ſtillem Entzücken betrachtete; die Schalmey des
Schäfers der in Mondnächten ſeine Schafe von Triften
zu Triften leitete, das Bellen des Hundes in der Ferne,
die jagenden Wolken, die aufſeufzenden Abendwinde,
das Rauſchen des Fluſſes, das ſanfte Anklatſchen der
Wellen am ſteinigen Ufer, das Einſchlafen der Pflan-
zen, ihr Einſaugen des Morgenlichtes, das Kämpfen
und Spielen, der Nebel, — o ſag', welcher Geiſt hat
mir das geiſtig noch einmal geboten? — Du? — haſt
[53] Du Dich ſo traulich an mich geſchmiegt wie die Abend-
ſchatten? hat Deine Stimme wehmüthig freundlich in
mich eingedrungen wie jene ferne Rohrpfeife? hat der
Hund mir angeſchlagen, es nahe ſich einer auf heimli-
cher Fährte dem mein Herz entgegenſchlägt? und habe
ich nach glücklichen Stunden, wie jene ſchlaftrunkne
Natur mit dem Bewußtſein befriedigter Sehnſucht,
mich der Ruhe hingegeben? Nein! nur in dem Spie-
gel der Natur hab' ich's erfahren, und die Bilder einer
höheren Welterſcheinung geſehen. So nimm denn jene
Mittheilungen als Ereigniſſe hohen Genuſſes und rei-
zender Liebesbegebenheiten auf, was hab' ich alles durch
ſie ahnden und begreifen gelernt! und was können wir
mehr vom Leben fordern, was kann es Beſſeres in uns
vorbereiten, als die Befähigung zur Seeligkeit! Wenn
alſo Sinne und Geiſt ſo bewegt war durch das Regen
in der Natur, wenn die Begierde geſpannt war durch
ihr Schmachten, wenn ihr Durſten, ihr Trinken, ihr
Brennen und Verzehren, ihr Erzeugen und Ausbrüten
das Herz durchſtrömte; ſag', was hätte ich da nicht
erfahren im Liebesglück; und welche Blume würde mir
im Paradies nicht duften? und welche Frucht mir nicht
reifen?
Darum nimm ſie auf, dieſe Hieroglyphen höherer
[54] Seeligkeit, wie ſie mein Gedächtniß nach einander auf-
zeichnet. O ſieh' doch, das Buch der Erinnerung
blättert ſich ja grade in Deiner Gegenwart an dieſen
merkwürdigen Stellen auf; Du! — Du wirſt mir vielleicht
im Paradieſe die Äpfel vom unverbotenen Baum pflük-
ken; an Deiner Bruſt werde ich dort aufwachen, und
die Melodieen einer beſeeligenden Schöpfung werden
meine Luſt in Deinen Buſen hauchen.
Eins bewahr' im Herzen: daß Du mir den reinſten
Eindruck von Schönheit gemacht haſt, dem ich unmittel-
bar gehuldigt habe, und daß nichts dem urſprünglichen
in Deiner Natur Eintrag thun könne, und daß meine
Liebe innig mit dieſem einverſtanden iſt.
Nur ſo weit geht die Höhe der Seeligkeit, als ſie
begriffen wird; was der Geiſt nicht umfaßt, das macht
ihn nicht glücklich, vergebens würden Cherubim und
Seraphim ihn auf ihren Schwingen höher tragen; er
vermögte nie, ſich da zu erhalten.
[55]
Ahndungen ſind Regungen die Flügel des Geiſtes
höher zu heben; Sehnſucht iſt ein Beweis, daß der Geiſt
eine höhere Seeligkeit ſucht; Geiſt iſt nicht allein Faſ-
ſungsgabe, ſondern auch Gefühl und Inſti[n]kt des Höhe-
ren, aus dem er ſeine Erſcheinung, den Gedanken ent-
wickelt; der Gedanke aber iſt nicht das Weſentliche,
wir könnten ſeiner entbehren, wenn er nicht für die
Seele der Spiegel wär', in dem ſie ihre Geiſtigkeit
erkennt.
Der verſchloſſne Saame und die Blüthe, die aus
ihm erwächſt, ſind einander nicht vergleichbar, und doch
iſt ſein erſtes [Keimen] die Ahndung dieſer Blüthe, und
ſo wächſt und gedeiht er fort mit geſteigerter Zuverſicht,
bis Blüthe und Frucht ſeinen erſten Inſtinkt bewährt,
der, wenn er verloren gehen könnte, keine Blüthe und
Früchte tragen würde.
Und wenn ich's auch in's Buch ſchreibe, daß ich
heute traurig bin, kann mich's tröſten? wie öde ſind
[56] dieſe Zeilen! ach ſie bezeichnen die Zeit des Verlaſſen-
ſeins! Verlaſſen! war ich denn je vereint mit dem,
was ich liebte? War ich verſtanden? — ach warum
will ich verſtanden ſein? — alles iſt Geheimniß, die
ganze Natur, ihr Zauber, die Liebe, ihre Beſeligung,
wie ihre Schmerzen. Die Sonne ſcheint, und treibt
Blüthe und Frucht, aber ihr folgen die Schatten, und
die winterliche Zeit. — Sind denn die Bäume auch ſo
troſtlos, ſo verzweiflungsvoll in ihrem Winter, wie das
Herz in ſeiner Verlaſſenheit? — ſehnen ſich die Pflan-
zen? ringen ſie nach dem Blühen, wie mein Herz heute
ringt, daß es lieben will, daß es empfunden ſein will? —
Du mich empfinden? — Wer biſt Du, daß ich's von
Dir verlangen muß? — Ach! — die ganze Welt iſt
todt; in jedem Buſen iſt's öde! gäb's ein Herz, einen
Geiſt, der mir erwachte! —
Komm! laß uns noch einmal die hängenden Gär-
ten, in denen meine Kindheit einheimiſch war, durchlau-
fen; laß Dich durch die langen Laubgänge geleiten zu
dem Glockenthurm, wo ich mit leichter Mühe das Seil
in Schwung brachte, um zu Tiſch oder zum Gebet zu
[57] rufen; und Abends um ſieben Uhr läutete ich dreimal
das Angelus, um die Schutzengel zur Nachtwache bei
den Schlafenden zu rufen. O damals ſchnitt mir das
Abendroth in's Herz, und das ſchweifende Gold, in das
ſich die Wolken ſenkten; o ich weiß es noch wie heute,
daß es mir weh that, wenn ich ſo einſam durch das
ſchlafende Blumenfeld ging, und weiter, weiter Himmel
um mich, der in beſchwingter Eile ſeine Wolken zuſam-
men trieb, wie eine Heerde, die er weiter führen wollte,
der rothes und blaues und gelbes Gewand entfaltete,
und dann wieder andre Farben, bis die Schatten ihn
übermannten. Da ſtand ich und ſah die verſpäteten
Vögel mit raſcher Eile nach ihrem Neſt fliegen; und
dachte: wenn doch einer in meine Hand flög, und ich
fühlte ſein klein Herzchen pochen, ich wollte zufrieden
ſein; ja ich glaubte ein Vögelchen nur, das mir zahm
wär', könne mich glücklich machen. Aber es flog kein
Vogel in meine Hand, ein jeder hatte ſchon anders ge-
wählt, und ich war nicht verſtanden mit meiner Sehn-
ſucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur be-
ſtehe blos aus dem Begriff aufgeregter Gefühle, davon
komme das Blühen aller Blumen, und dadurch ſchmelze
ſich das Licht in alle Farben, und darum hauche der
Abendwind ſo leiſe Schauer über's Herz, und deßwegen
3**
[58] ſpiegle ſich der Himmel, umgränzt vom Ufer, in den
Wellen. Ich ſah das Leben der Natur, und glaubte,
ein Geiſt der der Wehmuth die meine Bruſt erfüllte
entſprach, ſei dies Leben ſelbſt; es ſeien ſeine Regun-
gen, ſeine Gedanken, die dies Tag- und Nach[t]wandlen
der Natur bilde; ja und ich junges Kind fühlte, daß
ich einſchmelzen müſſe in dieſen Geiſt, und daß es al-
lein Seligkeit ſei, in ihm aufzugehen; ich rang, ohne
zu wiſſen was Tod ſei, dahin aufgelöſt zu ſein; ich
war unerſättlich die Nachtluft mit vollen Zügen einzu-
athmen, ich ſtreckte die Hände in die Luft, und das
flatternde Gewand, die fliegenden Haare bewieſen mir
die Gegenwart des liebenden Naturgeiſtes; — ich ließ
mich küſſen von der Sonne mit verſchloſſenen Augen,
und dann öffnete ich ſie und mein Blick hielt es aus;
ich dachte: läßt Du Dich küſſen von ihr, und ſollteſt
nicht vertragen können ſie anzuſehen?
Von dem Kirchgarten führte eine hohe Treppe,
über die das Waſſer ſchäumend hinabſtürzte, zum zwei-
ten Garten, der rund war, mit regelmäßigen Blumen-
ſtücken ein groß Baſſin umgab, in dem das Waſſer
ſprang; hohe Piramyden von Taxus umgaben das Baſ-
ſin, ſie waren mit purpurrothen Beeren überſäet, deren
jede ein kryſtallhelles Harztröpfchen ausſchwitzte; ich weiß
[59] noch alles, und dies beſonders war meine Lieblingsfreude,
die erſten Strahlen der Morgenſonne in dieſen Harz-
diamanten ſich ſpieglen zu ſehen.
Das Waſſer lief aus dem Baſſin unter der Erde
bis zum Ende des runden Gartens, und ſtürzte von da
wieder eine hohe Treppe hinab in den dritten Garten,
der den runden Garten ganz umzog, und grad' ſo tief
lag, daß die Wipfel ſeiner Bäume wie ein Meer den
runden Garten umwogten. Es war ſo ſchön, wenn ſie
blüthen, oder auch wenn die Äpfel und die Kirſchen
reiften, und die vollen Äſte herüber ſtreckten. Oft lag
ich unter den Bäumen in der heißen Mittagsſonne, und
in der lautloſen Natur wo ſich kein Hälmchen regte,
fiel die reife Frucht neben mir nieder in's hohe Gras;
ich dachte: „dich wird auch keiner finden!“ da ſtreckte
ich die Hand aus nach dem goldnen Apfel und berührte
ihn mit meinen Lippen, damit er doch nicht gar umſonſt
geweſen ſein ſolle.
Nicht wahr, die Gärten waren ſchön! — zauberiſch!
Da unten ſammelte ſich das Waſſer in einem ſteiner-
nen Brunnen, der von hohen Tannen umgeben war;
[60] dann lief es noch mehrere Terraſſen hinab, immer in
ſteinerne Becken geſammelt, wo es denn unter der Erde
bis zur Mauer kam, die den tiefſten alle andern um-
gebenden Garten einſchloß, und von da ſich in's Thal
ergoß, denn auch dieſer letzte Garten lag noch auf einer
ziemlichen Höhe; da floß es in einem Bach weiter, ich
weiß nicht wohin. So ſah ich denn von oben hinab
ſeinem Stürzen, ſeinem Sprudlen, ſeinem ruhigen Lauf
zu; ich ſah, wie es ſich ſammelte und kunſtreich empor-
ſprang und in feinen Strahlen umherſpielte; es ver-
barg ſich, es kam aber wieder und eilte wieder eine
hohe Treppe hinab; ich eilte ihm nach, ich fand es im
klaren Brunnen von dunklen Tannen umgeben in denen
die Nachtigallen hauſten; da war es ſo traulich, da
ſpielte ich mit bloßen Füßen in dem kühlen Waſſer. —
Und dann lief's weiter verborgen, und wie es ſich au-
ßerhalb der Mauer hinabſtürzte, das ſah ich mit an
und konnte es nicht weiter verfolgen, ich mußt' es halt
dahin laufen laſſen. — Ach es kam ja Welle auf Welle
nach, es ſtrömte unaufhaltſam die Treppe hinab; der
Waſſerſtrahl im Springbrunnen ſpielte Tag und Nacht
und verſiegte nimmer, aber da wo es mir entlief, da
grade ſehnte ſich mein Herz nach ihm, und da konnte
ich nicht mit; und wenn ich nun Freiheit gehabt hätte
[61] und wäre mit gezogen durch alle Wieſen, durch alle
Thäler, durch die Wüſte, wo der Bach mich am End'
hingeführt haben möchte!
Ja Herr, ich ſehe dich brauſen und ſtrömen, ich ſeh
dich kunſtreich ſpielen, ich ſehe dich ruhig dahin wan-
deln, Tag für Tag und plötzlich deine Bahn lenken
hinaus aus dem Reich des Vertrauens, wo ein lieben-
des Herz ſeine Heimath wähnte, unbekümmert daß es
verwaiſt bleibe.
So hat denn der Bach, an deſſen Ufern ich meine
Kindheit verſpielte, mir in ſeinen kryſtallnen Wellen
das Bild meines Geſchickes gemalt, und damals hab'
ich's ſchon betrauert, daß die mir ſich nicht verwandt
fühlten.
O komm nur, und ſpiel' meine Kindertage noch
einmal mit mir durch, du biſt mir's ſchuldig, daß du
meine Seufzer in deine Melodieen verhallen läßt, ſo
lange ich nicht weiter gehe, als meine kindliche Sehn-
ſucht am Bach; die es auch geſchehen laſſen mußte, daß
er ſich losriß und ſich energiſche Bahn brach in die
Fremde. — In der Fremde, wo es gewiß war, daß
mein Bild ſich nicht mehr in ihm ſpiegelte.
[62]
Heute haben wir grünen Donnerstag, da hab' ich
kleiner Tempeldiener viel zu thun; alle Blumen, die
das frühe Jahr uns gönnt, werden abgemäht, Schnee-
glöckchen, Krokus, Maaslieb und das ganze Feld voll
Hyazinthen ſchmücken den weißen Altar, und dann
bring' ich die Chorhemdchen und zwölf Kinder mit auf-
gelöſten Haaren werden damit bekleidet; ſie ſtellen die
Apoſtel vor. Nachdem wir mit brennenden blumenge-
ſchmückten Kerzen den Altar umwandelt haben, laſſen
wir uns im Halbkreis nieder, und die alte Äbtiſſin mit
ihrem hohen Stab von Silber, umwallt vom Schleier
und langem, ſchleppendem Chormantel knieet vor uns,
um uns die Füße zu waſchen. Eine Nonne hält das
ſilberne Becken, und gießt das Waſſer ein, die andre
reicht die Linnen zum Abtrocknen; indeſſen läutet es
mit allen Glocken, die Orgel ertönt, zwei Nonnen ſpie-
len die Violine, eine den Baß, zwei blaſen die Poſaune,
eine wirbelt auf den Pauken, alle übrigen ſtimmen mit
hohen Tönen die Litanei an: „Sanct Petrus, wir grü-
ßen dich — du biſt der Fels auf den die Kirche baut.“
Dann geht es zum Paulus, und ſo die Reihe durch
werden alle Apoſtel begrüßt, bis alle Füße gewaſchen
ſind. — Nun ſiehſt Du, das iſt ein Tag, auf dem wir
[63] uns ſchon ein Vierteljahr lang halb ſelig gefreut haben.
Die ganze Kirche war voll Menſchen, ſie drängten ſich
um unſere Prozeſſion und weinten Thränen der Rührung
über die lachenden, unſchuldigen Apoſtel.
Von nun an iſt der Garten wieder offen, der den
Winter über unzugänglich war; jedes läuft an ſein
Blumengärtchen, da hat der Rosmarin gut überwintert,
die Nelkenpflänzchen werden unter dem dürren Laub
hervorgeſcharrt, und ſo manches junge Keimchen meldet
den vergeſſnen vorjährigen Blumenflor. Erdbeeren wer-
den verpflanzt, und die blühenden Veilchen ſorgfältig
herausgehoben und in Scherben verſetzt; ich trage ſie
an mein Bett, und lege den Kopf dicht an ſie heran,
damit ich ihren Duft die ganze Nacht ein- und ausathme.
O was erzähle ich dies alles dem Mann, der fern
ab von ſolchen Kindereien ſeinen Geiſt zu andern Sphä-
ren trägt! warum Dir, dem ich ſchmeichlen, den ich lok-
ken will; Du ſollſt mir freundlich ſein, Du ſollſt Dir
unbewußt, mich allmählig lieben; während ich ſo mit
Dir plaudere, könnte ich Dir nun nichts anders ſagen-
was Dir wichtiger wär', was Dich bewegte, daß Du
[64] mich „geliebtes Kind“ nennteſt, mich an's Herz drückteſt
in ſüßer Regung über das, was Du vernimmſt?
Ach ich weiß nichts beſſeres, ich weiß keine ſchönere
Freuden als die jener erſten Frühlinge, keine innigere
Sehnſucht als die nach dem Aufblühen meiner Blumen-
knoſpen, keinen heißeren Durſt, als der mich befiel, wenn
ich mitten in der ſchönen blühenden Natur ſtand, und
alles voll üppigem Gedeihen um mich her. Nichts hat
freundlicher und mitleidiger mich berührt als die Son-
nenſtrahlen des jungen Jahr's, und wenn Du eiferſüch-
tig ſein könnteſt ſo wär' es nur auf dieſe Zeit, denn
wahrlich ich ſehne mich wieder dahin.
Eine Sonne geht uns auf, ſie weckt den Geiſt wie
den jungen Tag, mit ihrem Untergang geht er ſchlafen;
wenn ſie aufſteigt erwacht ein Treiben im Herzen wie
der Frühling, wenn ſie hoch ſteht glüht der Geiſt mäch-
tig, er ragt über das Irdiſche hinaus und lernt aus
Offenbarungen; wenn ſie ſich dem Abend neigt, da
tritt die Beſinnung ein, ihrem Untergang folgt die Er-
innerung; wir beſinnen uns in der Schattenruh auf
das Wogen der Seele im Lichtmeer, auf die Begeiſtrung
[65] in der Zeit der Gluth, und mit dieſen Träumen gehen
wir ſchlafen. Manche Geiſter aber ſteigen ſo hoch, daß
ihnen die Liebesſonne nimmermehr untergeht, und der
neue Tag ſchließt ſich an den verſinkenden an.
Die einſame Zeit iſt allein was mir bleibt; weſſen
ich mich erinnere das war in der Einſamkeit erlebt, und
was ich erlebt habe das hat mich einſam gemacht; die
ganze weite Welt umſpielt in allen Farben den einſa-
men Geiſt, ſie ſpiegelt ſich in ihm, aber ſie durchdringt
ihn nicht.
Geiſt iſt in ſich und was er wahrnimmt, was er
aufnimmt das iſt ſeine eigne Richtung, ſein Vermögen;
es iſt ſeine höchſte Offenbarung, daß er erfaſſe was er
vermag. Ich glaub' im Tod mags ihm wohl offenbar
werden, früher hat er nur ungläubige Anſchauungen
davon; hätte ich früher geglaubt ſo hätte der Geiſt
auch zu erreichen geſtrebt was er [unmöglich] wähnte und
hätte erlangt wonach er ſich ſehnte, denn Sehnſucht iſt
ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, ſie
iſt Inſpiration und macht den Geiſt kühn. Dem Geiſt
ſoll nichts zu kühn ſein, denn weil er alles vermag; er
[66] iſt der Krieger dem keine Waffe verſagt, er iſt der
Reiche deſſen Fülle Unendliches ſpendet, er iſt der See-
lige dem alles Wolluſt iſt; ja wohl, Geiſt iſt die
Gottheit! Die Bruſt ſaugt die Luft in ſich und ent-
läßt ſie wieder, um ſie wieder zu trinken, und das iſt
Leben. — Der Geiſt trinkt ſehnend die Gottheit, und
haucht ſie wieder aus um ſie abermals zu trinken und
das iſt ſein Leben; alles andre iſt Zufall, iſt Spur,
Geſchichte des Geiſtes, aber nicht ſein Leben,
Darum iſt der Geiſt einſam weil ihn nur ein ein-
ziges belebt, das iſt die Liebe. Die Liebe iſt das All.
Der Geiſt iſt einſam weil die Liebe alles allein iſt. Die
Liebe iſt nur für den, der ganz in ihr iſt. Liebe und
Geiſt ſchauen ſich einander an, denn ſie ſind in ſich al-
lein und können nur ſich ſehen.
Ich war auch einſam damals in der Kindheit, die
Sterne äugelten mich an, ich begriff ſie, die Liebe ſpricht
durch ſie.
Die Natur iſt die Sprache der Liebe, die Liebe
ſpricht zur Kindheit durch die Natur. Der Geiſt iſt
Kind hier auf Erden, drum hat die Liebe die ſüße, ſee-
[67] lige, kindliche Natur als Sprache für den Geiſt ge-
ſchaffen.
Wär' der Geiſt ſelbſtſtändig, vielleicht führte die
Liebe eine andre Sprache. — Die Natur lenkt und reicht
dar was der Geiſt bedarf; ſie lehrt, ſie erzählt, ſie er-
findet, ſie tröſtet, ſie beſchützt und vertritt ſeine Unmün-
digkeit, vielleicht wenn ſie den Geiſt aus der Kindheit
herausgeleitet hat, lenkt ſie ihn nicht mehr, ſie läßt ihn
dann ſelbſtſtändig walten, vielleicht iſt das jenſeitige
Leben der Frühling des Geiſtes, ſo wie dieſes ſeine
Kindheit iſt. Denn wir ſehnen uns ja nach dem Früh-
ling, nach der Jugend bis zum letzten Augenblick, und
dieſes Erdenleben iſt nur ein Vorbilden für das Jugend-
leben des Geiſtes, ſie entläßt ihn aus der Kindheit, wie
das Saamenkorn den Keim entläßt in's Ätherleben.
Blühen iſt Geiſt, es iſt Schönheit, es iſt Kunſt,
und ſein Duftausſtrömen iſt abermals Streben in ein
höheres Element.
Komm mit Freund! ſcheue nicht den feuchten Abend-
thau, ich bin ein Kind und Du biſt ein Kind, wir lie-
gen gern unter freiem Himmel, und ſehen den gemäch-
[68] lichen Zug [der] Abendwolken, die im purpurnen Gewand
dahin ſchwimmen. O komme! — kein ſeligerer Traum,
kein beglückenderes Ereigniß als Ruhe! ſtille [Ruhe] im
Daſein; beglückt daß es ſo iſt, und kein Wähnen es
könne anders ſein, oder es müſſe anders kommen. Nein!
nicht im Paradies wird es ſchöner ſein, als dieſe Ruhe
iſt die keine Rechenſchaft giebt, kein Überſchauen des
Genuſſes, weil jeder Augenblick ganz ſelig iſt. Solche
Minuten erleb' ich mit Dir, nur weil ich Dich denke an
meiner Seite in jenen Kinderjahren; da ſind wir eines
Sinnes, was ich erlebe ſpiegelt ſich in Dir, und ich lerne
es in Dir begreifen, und was erlebte ich wenn ich's
nicht in Dir anſchaute? — In was empfindet ſich der
Geiſt, durch was beſitzt er ſich, als nur dadurch, daß er
die Liebe hat? — Ich habe Dich Freund! Du wandelſt
mit mir, Du ruhſt an meiner Seite, meine Worte ſind
der Geiſt den Deine Bruſt aushaucht.
Alle ſinnliche Natur wird Geiſt, aller Geiſt iſt ſinn-
liches Leben der Gottheit. — Augen Ihr ſeht! — Ihr
trinkt Licht, Farben und Formen! — O Augen, Ihr ſeid
genährt durch göttliche Weisheit, aber alles tragt Ihr
[69] Der Liebe zu Ihr Augen, daß die Abendſonne ihre Glo-
rie über Euch ſpielen läßt, und der Wolkenhimmel eine
heilige Farbenharmonie Euch lehrt, in die alles ein-
ſtimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der ſilberne
Fluß, der ſchwarze Wald, der Nebelduft, das giebt Euch
Ihr Augen die Mutter Natur zu trinken, während der
Geiſt den ſchönen Abend verlebt im Anſchauen des Ge-
liebten. O Ihr Ohren, Euch umtönt die weite Stille, in
ihr erhebt ſich das leiſe Heranbrauſen des Windes, es
naht ſich ein zweites, es trägt Euch Töne zu aus der
Ferne, die Wellen ſchlagen ſeufzend an's Ufer, die Blät-
ter liſpeln, nichts regt ſich in der Einſamkeit was nicht
ſich Euch vertraute Ihr Ohren. Ihr werdet getränkt
durch das ganze Walten der Natur, während Ohr und
Aug und Sprache und Genuß im Buſen des Freundes
tief verſunken iſt. Ach paradieſiſches Mahl, wo die Koſt
ſich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wolluſt iſt,
und dieſe Offenbarung wird.
Dieſe Frucht! duftend, reif, niederſinkend aus dem
Äther! — welcher Baum hat ſie abgeſchüttelt von den
überreichen Äſten? während wir Wange an Wange ge-
lehnt, ihrer und der Zeit vergeſſen. Dieſe Gedanken,
ſind ſie nicht die Äpfel die der Baum der Weisheit
trägt und die er Liebenden in den Schooß ſchüttelt, die
[70] in ſeinem Paradieſe wohnen und in ſeinem Schatten
ruhen. — Damals war die Liebe in der Kindesbruſt,
die ihre Gefühle wie der junge Keim ſeine Blüthen,
dichtgefaltet und verſchränkt umſchloß. Damals war
ſie! — und ihrem Drängen dehnte ſich der Buſen,
und öffnete ſich ihre Blüthen zu entfalten.
Ein Nönnchen wurde eingekleidet, eine andre ha-
ben wir begraben, während den drei Jahren, als ich
im Kloſter war; dem einen hab ich den Cypreſſenkranz
auf den Sarg gelegt, ſie war die Gärtnerin und hatte
lange Jahre den Rosmarin gepflegt, den man ihr auf's
Grab pflanzte; ſie war achtzig Jahre alt, und der Tod
berührte ſie ſanft, während ſie Abſenker von ihren Lieb-
lingsnelken machte, da hockte ſie am Boden und hielt
die Pflanzen in der Hand, die ſie eben einſetzen wollte;
ich war der Vollſtrecker ihres Teſtaments, denn ich nahm
die Pflanzen aus der erſtarrten Hand und ſetzte ſie in
die friſch aufgewühlte Erde, ich begoß ſie mit dem letz-
ten Krüglein Waſſer, was ſie am Madlenenbrünnchen
geholt hatte, die gute Schweſter Monika! wie ſchön
wuchſen dieſe Nelken! dunkelroth waren ſie und groß. —
[71] Da mich ſpäter der, der mich liebt und kennt,
einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blu-
men, die ich junges Kind aus der erſtorbenen Hand des
hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und
ob es wohl ſo kommen werde, daß auch mich der Tod
beim pflanzen der Blumen überraſche; der Tod, der
triumphirende Herold des Lebens, der Befreier von ir-
diſcher Schwere.
Aber jene andre Nonne, jung und ſchön, deren
lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum
Altar trug: — ich hab' nicht geweint, da man die alte
Gärtnerin zu Grabe trug, obſchon ſie meine Freundin
geweſen war, und mir manche Gartenkunſt gelehrt hatte.
Es kam mir ſo natürlich vor und ſo behaglich, daß ich
nicht einmal darüber verwundert war; aber damals,
als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Roſen
auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel,
unter dem Geläute aller Glocken, vor der in alle üppige
Pracht gekleideten jugendlichen Braut Chriſti einherſchritt;
da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Biſchof
ſtand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob
ſie ſich Chriſto vermählen wolle, und man ihr auf ihr
Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen
Haare abſchnitt, welche ich auf einem goldenen Teller
[72] empfing, da fielen meine Thränen auf dieſe Haare, und
da ich hin zum Altar trat, um ſie dem Biſchof zu über-
reichen, da ſchluchzte ich laut und alles Volk weinte mit.
Die junge Braut legte ſich an die Erde, es wurde
ein Leichen-Tuch über ſie gebreitet, die Nonnen wallten
von allen Seiten herbei, je zu zweien Blumenkörbe tra-
gend. Ich ſtreute die Blumen auf das Leichen-Tuch,
während ein Requiem geſungen wurde. Sie wurde als
Todte eingeſegnet und Gebete über ſie geſprochen; das
irdiſche Leben war beendet, ich hob als Auferſtehungs-
engel die Todtendecke auf; das himmliſche Leben be-
ginnt, die Nonnen umringen ſie, in ihrer Mitte wird
ſie vom weltlichen Staat entkleidet, Ordenskleid Man-
tel und Schleier werden ihr angelegt, worauf ſie in die
Hände des Biſchofs die Gelübde des Gehorſams, der
Keuſchheit und der Armuth ablegt. Ach wie war ich
beklommen, da der Biſchof ihr das Kruzifix reichte, um
es als ihren Bräutigam zu küſſen. Ich wich nicht von
ihrer Seite; am Abend, da die Nonne allein in ihrer Zelle
ſaß, kniete ich noch vor ihr, mit meinem verwelkten Roſen-
kranz auf dem Kopf; ſie war eine Franzöſin, eine Gräfin
D'antelot. „Mon enfant,“ fragte ſie, „mon cher ange
gardien, pourquoi as tu pleuré ce matin l'orsqu'on ma
coupé les cheveux?“ ich ſchwieg eine Weile ſtill aber
dann
[73] dann fragte ich leiſe: „Madame, est-ce que Jesus Christ
a aussi une barbe noire?“
Dieſe ſchöne Frau war mit vielen andern hohen
Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hat-
ten und aus Frankreich vertrieben waren in unſer Klo-
ſter gekommen; dieſe zogen alle weiter, ſie allein blieb
zurück, ſie wandelte viel im Garten, ſie hatte einen
blitzenden Ring am Finger, den ſie küßte wenn ſie in
der dunklen Allee allein war. Da las ſie ihre Briefe
mit leiſer Stimme und mit einem feinen weißen Tuch
trocknete ſie die weinenden Augen. Ich belauſchte ſie,
ich liebte ſie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein
ſchöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den
Garten. Sie ſprachen zärtlich miteinander. Der Mann
hatte einen ſchwarzen Bart, er war größer als ſie, er
hielt ſie in ſeinen Armen und ſah auf ſie herab, und
ſeine glänzenden Thränen blieben in ſeinem ſchwarzen
Bart hängen; das ſah ich, denn ich ſaß in der dunkeln
Laube an deren Eingang ſie ſtanden. Er ſeufzte tief
und laut, er drückte ſie an's Herz, und ſie küßte die
glänzenden Thränen im ſchwarzen Bart auf.
Noch oft wandelte die ſchöne Frau in dieſen ein-
ſamen Alleen, noch oft ſah ich ſie, weinend unter dem
Tagebuch. 4
[74] Baum wo er Abſchied genommen hatte, und endlich
nahm ſie den Schleier.
Ich habe mehrere Tage nicht in's Buch geſchrieben,
wie hab' ich mich danach geſehnt! Im Wandern durch
fremde Straßen hab' ich Deiner gedacht. Hier der Spiel-
und Tummelplatz Deiner Jugendjahr, da üben der Eh-
renbreitſtein; er heißt wie die Baſis Deines Ruhms, ſo
muß der Würfel heißen auf dem Dein Denkmal einſt
ſtehn wird.
Geſtern fielen mir wunderliche Gedanken aus den
Wolken, ich hätte ſie gern aufgeſchrieben, ich war nicht
allein, ich mußte ſie halt mit den wechſelnden Wellen
im Strom dahin ziehen laſſen.
Alles was dem Weſen der Liebe nicht zuſagt iſt
Sünde, und alles was Sünde iſt ſagt dem Weſen der
Liebe nicht zu. Die Liebe hat eine perſönliche Gewalt
die ein Recht an uns übt; ich unterwerfe mich ihrer Rüge,
ſie, und ſie allein iſt die Stimme meines Gewiſſens.
[75]
Welche Anregungen auch im Leben vorkommen,
welche Wendungen auch ein Geſchick nimmt, ſie iſt der
Weg der Modulation der alle fremde Tonarten harmo-
niſch auflöſ't, ſie giebt die Erkenntniß den Takt einer
wahrhaft ſittlichen Größe. Sie iſt ſtrenge und dieſe
Strenge erregt leidenſchaftlich für die Liebe, ich brenne
vor Begierde zu thun was ihr gemäß iſt. Ich will gern
jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmeſſen.
Jetzt geh ich ſchlafen; könnt' ich Dir beſchreiben
wie wohl mir iſt!
Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiederſähe!
Heute! in wenig Sekunden träteſt Du hier in meine
vier Wände, in denen ich ſchon ſeit einem Sommer das
Zauberhandwerk treibe, Dich zu beſitzen; ja und man-
chen Augenblick warſt Du mein, meine Liebe zog Dich
heran. Ich ſah in die Ferne, im Herzen ſah ich nach Dir,
und erkannte Dich. Etwas ſich aneignen, etwas be-
ſitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas beſitzen,
wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was
Du beſitzeſt im Geiſt, das erkennſt Du, was Du er-
4*
[76] kennſt, das nimmt Dich ein, was Dich einnimmt, das
erſchließt Dir eine neue Welt.
Der Geiſt will Selbſtherrſcher ſein! der eigne Be-
ſitz iſt ſeine wahre Kraft; jede Wahrheit, jede Offenba-
rung iſt ein Berühren des eigenen Geiſtes, durchdringſt
Du ihn, ſchmilzt Deine Seele in Deinen Geiſt: dann
haſt Du alles was Du vermagſt, und jede Offenbarung
und Dein Leben iſt Dein fortwährendes Wiſſen, und
Dein Wiſſen iſt Dein Sein, Dein Erzeugen, alle Er-
kenntniß iſt Liebe, drum iſt es ſo ſelig zu lieben, weil
im Lieben der Beſitz liegt der eignen göttlichen Natur.
Haſt Du geliebt? es war eine Spur göttlicher Na-
tur, Du hobſt die Grenze Deines Seins auf und dehn-
teſt Dich aus im Beſitz Deiner Liebe. Dieſes Ausdehnen
iſt der Kreislauf Deiner geiſtigen Natur; was Du liebſt,
daß iſt ein Reich in das Du geboren biſt, daß Du ver-
magſt in ihm zu leben. Ach es iſt ſo groß, ſo unend-
lich das Reich der Liebe, und doch umſchließt es das
menſchliche Herz.
[77]
So wollen wir dann das Kloſter verlaſſen, in dem
kein Spiegel war, und in dem ich alſo während vier
Jahren vergeblich die Bekanntſchaft meiner Geſichts-
züge, meiner Geſtalt geſucht haben würde, doch iſt es mir
in dieſer ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken,
wie ich wohl ausſehe, es war mir eine große Über-
raſchung, wie ich im dreizehnten Jahr zum erſtenmal
mit zwei Schweſtern, umarmt von der Großmutter, die
ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle,
aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden
Wangen, mit ſchwarzem, fein gekräuſeltem Haar; ich
kenne ſie nicht, aber mein Herz ſchlägt ihr entgegen,
ein ſolches Geſicht hab' ich ſchon im Traum geliebt, in
dieſem Blick liegt etwas, was mich zu Thränen bewegt,
dieſem Weſen muß ich nachgehen, ich muß ihr Treue
und Glauben zuſagen; wenn ſie weint, will ich ſtill
trauern, wenn ſie freudig iſt, will ich ihr ſtill dienen,
ich winke ihr, — ſiehe, ſie erhebt ſich und kommt mir
entgegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht län-
ger bezweifeln, daß ich mein Bild im Spiegel erblickt.
Ach ja, dieſe Prophezeihung iſt mir wahr gewor-
den, ich habe keinen andern Freund gehabt als mich
ſelber, ich habe nicht um mich, aber oft mit mir geweint;
[78] ich habe geſcherzt mit mir, und das war noch rührender
[daß] am Scherz auch kein andrer Theil nahm, hätte
mir damals einer geſagt es ſucht jeder in der Liebe nur
ſich, und es iſt das höchſte Glück ſich in ihr finden,
ich hätt' es nicht verſtanden, doch iſt in dieſem kleinen
Ereigniß eine hohe Wahrheit verborgen, die gewiß nur
wenige faſſen: finde Dich, ſei Dir ſelber treu, lerne
Dich verſtehen, folge Deiner Stimme, nur ſo kannſt Du
das Höchſte erreichen. Du kannſt nur Dir treu ſein
in der Liebe, was Du ſchön findeſt das mußt Du lieben
oder Du biſt Dir untreu.
Schönheit erzeugt Begeiſtrung, aber Begeiſtrung
für Schönheit iſt die höchſte Schönheit ſelbſt. Sie ſpricht
das erhöhte, verklärte Ideal des Geliebten durch ſich
ſelbſt aus.
Gewiß die Liebe erzieht eine höhere Welt aus der
Sinnenwelt; der Geiſt wird durch die Sinne genährt,
gepflegt und getragen, er wächſt und ſteigt durch ſie
zur Selbſtbegeiſtrung zum Genie, denn Genie iſt das
überirdiſche ſelige Leben einer durch die ſinnliche Natur
erzeugten himmliſchen Begeiſtrung.
Du erſcheinſt mir wie dies himmliſche Erzeugniß
meiner Sinnenwelt, wenn ich ſo vor Dir ſtehe und Dir
ausſpreche wie ich Dich liebe, und doch wenn ich ſo
[79] vor Dir ſtehe dann, fühl ich wie Deine ſinnliche Er-
ſcheinung mich verklärt und zur himmliſchen Natur in
mir wird.
Jetzt bin ich dreizehn Jahr alt, jetzt rückt die Zeit
an, die aus dem Schlaf weckt, die jungen Keime haben
Trieb, und rücken aus ihrer braunen Hülle hervor ans
Licht, und die Liebe des Kindes neigt ſich den aufkei-
menden Geſchlechtern der Blumen; ſein Herz glüht ver-
ſchämt und innig ihren vielfarbigen duftenden Reizen
entgegen, und ahndet nicht, daß während dem eine
Keimwelt von tauſendfältigen Geſchlechtern der Sinne
und des Geiſtes ſich aus der Bruſt hervor, dem Leben,
dem Licht entgegen drängt. — Siehſt Du wohl, hier
beſtätigt, was ich ſage: die Liebe zu der aufkeimenden
Blüthenwelt der ſinnlichen Natur erregt die ſchlafenden
Keime einer geiſtigen Blüthenwelt; indem wir die ſinn-
liche Schönheit gewahr werden, erzeugt ſich in uns ein
geiſtig Ebenbild, eine himmliſche Verklärung deſſen, was
wir ſinnlich lieben. — So war meine erſte Liebe, im
Garten: in der Geisblattlaube war ich jeden Morgen
mit der Sonne und drängte mich dem Aufbrechen ihrer
[80] röthlichen Knoſpen entgegen, und wie ich in die erſchloſſ-
nen Kelche blickte, da liebte ich und betete die Sinnen-
welt in den Blüthen an, und ich miſchte meine Thrä-
nen mit dem Honig in ihren Kelchen. Ja, glaub's, es
war mir ein beſonderer Reiz, die Thräne, die unwill-
kührlich mir in's Auge gedrungen, da hinein zu betten,
ſo wechſelte die Luſt mit der Wehmuth. Die jungen
Feigenblätter, wie ſie zuerſt ſo rein und dicht gefaltet
aus dem Keim hervorſteigen und vor der Sonne ſich
ausbreiten: Ach Gott! Du! warum ſchmerzt die Schön-
heit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe ſich untüch-
tig fühlt ſie ganz zu umfaſſen, ſo iſt die glücklichſte
Liebe von Wehmuth durchdrungen, weil ſie ihrer eignen
Sehnſucht kein Genüge thun kann, ſo macht mich Deine
Schönheit wehmüthig, weil ich Dich nicht genug lieben
kann. — O verlaſſe mich nicht, ſei mir nur ſo weit
willig geſinnt, wie der Thau den Blumen geſinnt iſt;
Morgens weckt er ſie und nährt ſie, und Abends reinigt
er ſie vom Staub und kühlt ſie von der Hitze des Ta-
ges. So mache Du es auch, wecke und nähre meine
Begeiſtrung in der Frühe, und kühle meine Gluth und
reinige mich von Sünden am Abend.
[81]
Haſt Du mich lieb? — Ach! ein Herabneigen Dei-
nes Angeſichts auf mich, wie die wogenden Zweige der
Birke, — wie ſchön wär' das! — oder auch, daß Du
mich anhauchteſt im Schlaf, wie der Nachtwind über
die Fluren hinſtreift; mehr nicht, mein Freund, verlang'
ich von Dir, daß der Athem des Geliebten Dich berührt,
welche Seligkeit kannſt Du dieſer gleichſtellen? —
So hell und deutlich hab' ich damals nicht gefühlt,
wie ich heut' in der Erinnerung fühle, ich war ſo un-
mündig wie die junge Saat, aber ich wurde vom Lichte
genährt und dem Selbſtbewußtſein entgegen geführt,
wie jene, wenn ſie durch die Ähre ihrer ſelbſt gewiß
wird; und heute bin ich reif, und ſtreue die goldnen
Fruchtkörner der Liebe zu Deinen Füßen aus, mehr nicht
beſagt mein Leben.
Die Nachtigall war anders gegen mich geſinnt wie
Du, ſie ſtieg herab von Aſt zu Aſt und kam immer
näher, ſie hing ſich an den äußerſten Zweig, um mich
zu ſehen, ich wendete leiſe mich zu ihr, um ſie nicht zu
ſcheuchen, und ſiehe da! Aug' in Nachtigallenaug', wir
4**
[82] blickten uns an und hielten's aus. Dazu trugen die
Winde die Töne einer fernen Muſik herüber, deren all-
umfaſſende Harmonie wie ein in ſich abgeſchloſſnes Gei-
ſteruniverſum erklang, wo jeder Geiſt alle Geiſter durch-
dringt, und alle jedem ſich fügen; vollkommen ſchön
war dies Ereigniß, dies erſte Annähern zweier gleich
unbewußten, unſchuldigen Naturen, die noch nicht er-
fahren hatten, daß aus Liebesdurſt, aus Liebesluſt das
Herz im Buſen ſtärker und ſtärker klopft. Gewiß, ich
war freundlich und gerührt durch dies Annähern der
Nachtigall, wie ich mir denke, daß Du allenfalls freund-
lich bewegt werden könnteſt durch meine Liebe, aber
was hat die Nachtigall bewogen, mir nachzugehen,
warum kam ſie herab vom hohen Baum und ſetzte ſich
mir ſo nah', daß ich ſie mit der Hand hätte haſchen
können, warum ſah ſie mich an und zwar mir in's
Auge? — das Aug' ſpricht mit uns, es antwortet auf
den Blick, die Nachtigall wollte mit mir ſprechen, ſie
hatte ein Gefühl, einen Gedanken mit mir auszutau-
ſchen. (Gefühl, iſt der Keim des Gedankens,) und wenn
es ſo iſt, welchen tiefen, gewaltigen Blick läßt uns hier
die Natur in ihre Werkſtatt thun: wie bereitet ſie ihre
Steigerungen vor, wie tief legt ſie ihre Keime, wie weit
iſt es noch von der Nachtigall bis zu dem Bewußtſein
[83] zwiſchen zwei Liebenden, die ihre Inbrunſt ſo deutlich
im Lied der Nachtigall geſteigert empfinden, daß ſie
glauben müſſen, ihre Melodieen ſeien der wahre Aus-
druck ihrer Empfindungen. —
Am andern Tag kam ſie wieder, die Nachtigall,
ich auch, mir ahndete ſie würde kommen, ich hatte die
Guitarre mitgenommen, ich wollte ihr was vorſpielen,
an der Pappelwand war's, der wilden Roſen-Hecke ge-
genüber, die ihre langen ſchwankenden Zweige über die
Mauer des Nachbargartens hereinſtreckte und mit ihren
Blüthen beinah bis wieder an den Boden reichte; da
ſaß ſie und ſtreckte ihr Hälschen, ſah mir zu, wie ich
mit dem Sand ſpielte. Nachtigallen ſind neugierig,
ſagen die Leute, bei uns iſt's ein Sprüchwort: du biſt
ſo neugierig wie eine Nachtigall; aber warum iſt ſie
denn neugierig auf den Menſchen, der ſcheinbar gar
keine Beziehung auf ſie hat? — was wird einſtens aus
dieſer Neugierde ſich erzeugen? — O! nichts umſonſt,
alles braucht die Natur zu ihrem raſtloſen Wirken, es
will und muß weiter gehen in ihren Erlöſungen. Ich
ſtieg auf eine hohe Pappel, deren Äſte von unten auf
zu einer bequemen Treppe rund um den Stamm gebil-
det waren; da oben in dem ſchlanken Wipfel band ich
mich feſt an die Zweige mit der Schnur, an der ich die
[84] Guitarre mir nachgezogen hatte, es war ſchwül, nun
regten ſich die Lüfte ſtärker und trieben ein Heer von
Wolken über uns zuſammen. — Die Roſenhecke wurde
hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber
der Vogel ſaß feſt; je brauſender der Sturm, je ſchmet-
ternder ihr Geſang, die kleine Kehle ſtrömte jubelnd ihr
ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Re-
gen behinderte ſie nicht, die brauſenden Bäume, der
Donner übertäubte und ſchreckte ſie nicht, und ich auch
auf meiner ſchlanken Pappel wogte im Sturmwind nie-
der auf die Roſenhecke, wenn ſie ſich hob, und ſtreifte
über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin
durch den Takt zu mäßigen. Wie ſtill war's nach dem
Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieſer Begeiſtrung
im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung ſich über die
weiten Gefilde, meine kleine Sängerin ſchwieg, ſie war
müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in
uns, und unſere geſammten Kräfte aufregt, daß ſie ihm
dienen, wenn der ganze Menſch nichts mehr iſt, als nur
dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er ſelbſt,
und die Ruhe folgt auf ſolche Anſtrengung, wie mild
iſt es da, wie ſind da alle Anſprüche, ſelbſt etwas zu
ſein, aufgelöſt in Hingebung an den Genius! So iſt
Natur, wenn ſie ruht vom Tagwerk: ſie ſchläft, und
[85] im Schlaf giebt es Gott den Seinen. So iſt der Menſch,
der unterworfen iſt dem Genius der Kunſt, dem das
elektriſche Feuer der Poeſie die Adern durchſtrömt,
den prophetiſche Gabe durchleuchtet, oder der, wie Beet-
hoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, ſondern
im Äther Mutterſprache iſt. Wenn ſolche ruhen von
begeiſterter Anſtrengung, dann iſt es ſo mild, ſo kühl,
wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen
Natur, und mehr noch in der Bruſt der kleinen Nach-
tigall, denn die ſchlief wahrſcheinlich heute noch tiefer
als alle andren Vögel, und um ſo kräftiger und um ſo
inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im
Schlaf giebt, vergolten haben, ich aber ſtieg nach ein-
geathmeter Abendſtille von meinem Baum herab, und
durchdrungen von den hohen Ereigniſſen des eben Er-
lebten, ſah ich unwillkührlich die Menſchheit über die
Achſel an.
Alles ändert ſich, die Menſchen denken anders, wenn
ſie älter ſind, als in der Jugend. Ach! — was werde
ich denn einſtens denken, wenn mich dies irdiſche Leben
ſo lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht
[86] gehe ich, ſtatt zu dem Freund, dann in die Kirche, viel-
leicht bete ich dann, ſtatt zu lieben! Ach, wie werd'
ich's dem Lieben gleichthun im Beten? — ich weiß nicht,
Küſſen ausdrücken. — Hab' ich je Andacht empfunden,
ſo war's an Deiner Bruſt, Freund! — Tempelduft, den
Deine Lippen hauchen, Geiſt Gottes, den Deine Augen
predigen, es ſtrömt von Dir aus eine begeiſternde Macht,
Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geiſt, alles ſtrömt
eine Heiligung aus. O Du! — Deine Kniee feſt an
meine Bruſt drückend, frag' ich nicht mehr, was das für
eine Seligkeit ſein möge, die im Himmel dem Frommen
bereitet iſt. — Gott von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen?
— wie oft hab' ich mit geſchloſſnen Augen Deiner Nähe
mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Gelieb-
ten in unſer Herz, — ja Geliebter! — was haben wir
im Herzen, als nur Gott? — Und wenn wir ihn da
nicht empfänden, wie und wo ſollten wir ſeine Spur
ſuchen? —
Was fasle ich vom Frühling, was ſpreche ich
von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? — Du!
— das Bewußtſein von Dir verzehrt mir jede Re-
[87] gung; ich kann nicht lächeln zum Scherz, ich kann
nicht mich freuen, ich kann nicht hoffen mit den an-
dern, daß ich Dich kenne. Daß ich Dich weiß, macht
meine Sinne ſo ſtill.
O heute iſt ein wunderbarer Tag! — heute leide
ich Schmerzen, ſo ſchwer iſt die Seele! Du biſt nah,
ich weiß es, gar nicht fern iſt der Weg zu Dir, aber
mich trennt der kleine Raum, wie die Unendlichkeit, der
Moment der Sehnſucht iſt es, der gefühlt und befrie-
digt ſein will, und wenn der Geliebte den nicht ahndet,
wenn er die Liebe verſäumt was kann mich ihm nah
bringen! Ach, ſchauerlicher Tag, der heute in Erwar-
tung und Sehnſucht verging!
Wen mache ich zum Vertrauten? wer fühlt menſch-
lich mit mir? — wem klag' ich über Dich? — wer
iſt mein Freund? — wer darf's wagen auf dieſen Stu-
fen hinan zu ſteigen, auf denen ich mich aller menſchli-
chen Berührung enthoben habe? — wer darf die Hand
mir an die Stirn legen und ſagen: der Friede ſei mit
dir? —
Dir klag ich's, den ich ſuche, Dir ruf ich's zu, über
[88] die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderſchlag überfliege
ich die Zeit, das Leben; ich jage ſie hinter mich die Mi-
nuten der Trennung, und nun, Ihr Inſeln der Seligen,
findet mein Anker keinen Grund. Wildes Geſtad'! —
feindſeliger Strand! — Ihr laſſet mich nicht landen,
nicht nahen des Freundes Bruſt, der kennt die Geheim-
niſſe und den göttlichen Urſprung und meines Lebens
Ziel. Er hat, daß ich ihn ſchauen lerne, des Lichtes
unbefleckten Glanz mir im Geiſte geweckt, er hat beglei-
tend in raſchen Liedern die Genüſſe, die Leiden der Liebe,
mich gelehrt zwiſchen beiden voranſchreitend, den Schick-
ſalsſchweſtern, mit leuchtender Fackel des Eros zu be-
ſtrahlen den Weg.
Heute iſt ein andrer Tag: die böſe Furcht iſt ge-
ſtillt, es tobt nicht, es brauſt nicht mehr im Herzen, die
Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte
Stille. — Ach heute iſt die Sonne nicht hinab, ihre letz-
ten Strahlen breiten ſich unter Deine Schritte; ſie wan-
delt die Sonne, ſie ſteht nicht ſtill, ſie führt Dich ein
bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Vio-
len geflochtene Kranz. O liebſter! — dann ſteh' ich
[89] ſchweigend vor Dir, und der Duft der Blumen wird
für mich ſprechen bei Dir.
Ich bin freudig wie der Delphin, der auf weitru-
hendem Meeresplan ferne Flöten vernimmt; er jagt
muthwillig die Waſſer in die glänzende Stille der Luft-
höhen, daß ſie auf der glatten Spiegelfläche einen
Perlenrauſch verbreiten; jede Perle ſpiegelt das Univer-
ſum und zerfließt, ſo jeder Gedanke ſpiegelt die ewige
Weisheit und zerfließt.
Deine Hand lehnte an meiner Wange, und Deine
Lippe ruhte auf meiner Stirn, und es war ſo ſtill, daß
Dein Athem verhauchte, wie Geiſterathem. Sonſt eilt
die Zeit den Glücklichen, aber diesmal jagte die Zeit
nicht; eine Ewigkeit, die nie endet iſt dieſe Zeit, die ſo
kurz war, ſo in ſich, daß ihr kein Maaß kann ange-
legt werden.
An milden Frühli[n]gstagen, wo dünnes Gewölk der
jungen Saat den fruchtbringenden Regen ſpendet, da
iſt es ſo wie jetzt in meiner Bruſt; mir ahndet, wie
dem kaum gewurzelten Keim ſeine künftige Blüthe ahn-
det, daß Liebe ewige, einzige Zukunft ſei.
[90]
Gut ſein begnügt die Seele, wie das Wiegenlied
die Kinderſeele zum Schlaf befriedigt. Gut ſein iſt die
heilige Ruhe, die der Saame des Geiſtes haben muß
ehe er wieder gezeitigt iſt zur Saat. — Der Geiſt aber
ahndet, daß Gutſein die Vorbereitung zu einem tiefen
unerforſchlichen Geheimniß iſt. Das haſt Du mir an-
vertraut Goethe! — geſtern Abend beim Sternenhim-
mel am offnen Fenſter, wo ein Lüftchen nach dem an-
dern hereinſchwirrte und wieder hinaus. — Wenn alſo
die Seele gut iſt: das iſt eine Ruhe, ein Einſchlafen
im Schooß Gottes, wie der Saame im Schooß der Na-
tur ſchläft eh er keimt. Wenn aber der Geiſt das Gute
will, ſo will er die Gottheit ſelbſt; ſo will er jenes
Geheimniß der Güte als Speiſe und Nahrung und
Vorbereitung ſeiner nahen Verwandlung; ſo pocht er
an, wie der verborgne Strom im Felſenſchooß, daß er
an's Licht will. Solchen kühnen Muth hat Dein Geiſt,
daß ſeinem Dringen Thor und Riegel aufgethan wur-
den, und daß er hervorbrauſen durfte, über alle Zeiten
hinweg wo Geiſt in Geiſt greift, Well in Well gebo-
ren, Well in Well verloren.
Solcherlei Geſpräche führten wir geſtern Abend,
und Du ſagteſt noch: „kein Menſch würde glauben,
daß wir beide ſo mit einander ſprechen.
[91]
Wir ſprachen auch von der Schönheit: Schönheit
iſt wenn der Leib von dem Geiſt, den er herbergt ganz
durchdrungen iſt. Wenn das Licht des Geiſtes von dem
Leib den er durchdringt ausſtrömt und ſeine Formen
umkreiſ't das iſt Schönheit. Dein Blick iſt ſchön, weil
er das Licht Deines Geiſtes ausſtrömt und in dieſem
Lichte ſchwimmt.
Der reine Geiſt bildet ſich einen reinen Leib im
Wort, das iſt die Schönheit der Poeſie. Dein Wort
iſt ſchön weil der Geiſt, den es herbergt hindurch dringt
und es umſtrömt.
Schönheit vergeht nicht! der Sinn, der ſie in ſich
aufnimmt hat ſie ewig und ſie vergeht ihm nicht.
Nicht das Bild das ſie ſpiegelt, nicht die Form,
die ihren Geiſt ausſpricht, hat die Schönheit: nur der
hat ſie, der in dieſem Spiegel den eignen Geiſt ahndet
und erſehnt.
Schönheit bildet ſich in dem, der ſie ſucht, und im
Bilde wiederzugeben ſucht, und in dem, der ſie erkennt
und ſich ihr gleich zu bilden ſehnt.
Jeder ächte Menſch iſt Künſtler, er ſucht die Schön-
heit, und ſucht ſie wiederzugeben ſo weit er ſie zu faſſen
vermag. Jeder ächte Menſch bedarf der Schönheit als
der einzigen Nahrung des Geiſtes.
[92]
Die Kunſt iſt der Spiegel der innerſten Seele, ihr
Bild iſt es wie ſie aus Gott hervorging, was die Kunſt
Dir ſpiegelt. Alle Schönheit iſt eine Erkenntniß Deiner
eignen Schönheit.
Die Kunſt iſt es, die Dir ein ſinnliches Ebenmaaß
des Geiſtes vor die leiblichen Augen zaubert.
Jeder Lebenstrieb iſt Schönheitstrieb, ſieh die Pflanze
ihre Triebe alle ſind erfüllt mit der Sehnſucht zu blü-
hen, und die Befriedigung dieſer Sehnſucht lag ſchon
im Saamenkorn vorbereitet; alſo iſt wohl Sehnſucht die
ſicherſte Gewährleiſtung. Wer ſich nach ewiger Schönheit
ſehnt, der wird ſie haben und genießen.
Alles was ich hier ſage ſchriebſt Du mir in's Herz,
wenn ich's noch nicht mit rechter Freiheit ausſpreche? —
weil ich's nicht ganz zu faſſen vermag.
Geſtern Abend da ſtreifte Dein Aug' über die fer-
nen Gebirge und da ſagteſt Du: „die Leidenſchaft, die
in's Herz geboren iſt ſoll auch wachſen und gedeihen,
denn es iſt keine Begierde der nicht das göttliche gegen-
überſtände um ſie ſeelig zu machen.“
[93]
Sie haben mich eingeführt in ihren Tempel die
Genien, und hier ſtehe ich verzagt, aber nicht fremd,
dieſe Lehren ſind mir verſtändlich, dieſe Geſetze ge-
ben mir Weisheit, das Trachten der Liebe iſt nicht
Trachten vergänglicher Menſchen. Alle Blumen, die
wir brechen, werden unſterblich im Opfer, — ein lie-
bend Herz entſchwingt ſich feindſeligem Loos.
Ich ſoll Dir erzählen von den Zeiten, wo ich Deinen
Namen noch nicht hatte nennen lernen? gewiß Du haſt
Recht, wiſſen zu wollen, was mich auf Dich vorberei-
tete, ich ſagte Dir, daß Blumen und Kräuter zuerſt mich
anſahen, daß ich erkannte, im Blick ſei eine Frage, eine
Forderung, die ich nur mit zärtlichen Thränen beant-
worten konnte, dann lockte mich die Nachtigall, und ihr
ſelbſtſtändig Handlen, ihr Geſang, ihr Annähern und
Zurückziehen lockte mich noch mehr als das Leben der
Blumen, ich war ihr näher im Gemüth, ihr Umgang
hatte etwas reizendes; aus meinem Bettchen konnte ich
ihr nächtlich Lied hören, ihr melodiſch Stöhnen weckte
mich, ich ſeufzte mit ihr, und legte ihrem Geſang Ge-
[94] danken unter, auf die ich tröſtende Antworten erfand.
Ich erinnere mich, daß ich damals unter blühenden
Bäumen Ball ſpielte, ein junger Mann, der ihn fing,
brachte mir ihn und ſagte: „du biſt ſchön!“ — Dies
Wort brachte mir Feuer in's Herz, es glühte auf, wie
meine Wangen, aber ich dachte auf die Nachtigall, de-
ren Geſang mich wahrſcheinlich nächtlich verſchöne und
in dieſem Augenblick brach die heilige Wahrheit in mei-
nem Geiſte auf, daß alles, was über das Irdiſche er-
hebt, Schönheit erzeugt, und ich widmete mich der Nach-
tigall mit mehr Eifer, mein Herz hielt pochend ſtill, und
ließ ſich von ihren Tönen berühren wie von göttlichem
Finger — ich wollte ſchön ſein und Schönheit war mir
göttlich, ich neigte mich vor dem Gefühl der Schönheit,
und überlegte nicht, ob es äußerlich war oder innen. —
Indeſſen hab' ich bis heute immer in der Schönheit,
wo ſie ſich mir zeigte, eine nahe Verwandtſchaft gefühlt,
in Bildern und Statuen, in Gegenden, in ſchlanken
Bäumen. Obſchon ich nun nicht ſchlank bin, ſo regt
ſich doch etwas in meinem Geiſt, was dieſer Schlank-
heit entſpricht, und ob Du auch lächelſt, ich ſage Dir,
während ich mit dem Blick ihre himmelanſtrebenden
Wipfel verfolge, ſcheinen mir meine Eingebungen auch
Himmel anſtrebend, und wie im Windesrauſchen die
[95] weichen Zweige hin- und herwogen, ſo wogt ein Gefüh-
gleichſam als belaubtes Gezweig eines hohen Gedan-
kenſtammes in mir. Und ſo wollte ich nur ſagen, daß
alle Schönheit erzieht, und daß der Geiſt, der wie ein
treuer Spiegel ihre Schönheit faſſet durch daſſelbe, aber
auch zu dem höheren Aufſchwung kommt, der geiſtig
dieſe ſelbe Schönheit iſt, nämlich allemal ihre göttliche
Offenbarung. — So denke denn Du, wie Du mir ein-
leuchten mußt, da Du ſchön biſt. Schönheit iſt Erlö-
ſung. Schönheit iſt Befreiung vom Zauber, Schönheit
iſt Freiheit, himmliſche; hat Flügel und durchſchneidet
den Äther. — Schönheit iſt ohne Geſetz, vor ihr ſchwin-
det jede Grenze, ſie löſt ſich auf in alles, was ihren
Reiz zu empfinden vermag, ſie befreit vom Buchſtaben,
denn ſie iſt Geiſt. — Du biſt empfunden von mir, Du
machſt mich frei vom Buchſtaben und vom Geſetz. —
Sieh dieſe Schauer die mich überwogen, es iſt der Reiz
Deiner Schönheit, der ſich auflöſt, mir im Gefühl, daß
ich ſelber ſchön bin und Deiner würdig.
Der Sommer geht vorüber, und die Nachtigall
ſchweigt, ſie ſchweigt, ſie iſt ſtumm und läßt ſich auch
[96] nicht mehr ſehen. Ich lebte da ohne Zerſtreuung die
Tage hindurch; ihre Nähe war mir eine liebe Gewohn-
heit, es ſchmerzt mich, ſie zu entbehren, hätte ich doch
etwas, was ſie mir erſetzt! vielleicht ein ander Thier, —
an die Menſchen dachte ich nicht, im Nachbargarten iſt
ein Reh in einer Umzäunung, es läuft hin und her an
der Bretterwand und ſeufzt, ich mache ihm eine Öffnung,
wo es den Kopf durchſtecken kann. Der Winter hat al-
les mit Schnee bedeckt, ich ſuche ihm Moos von den
Bäumen; wir kennen uns, wie ſchön ſind ſeine Augen;
welche tiefe Seele ſieht mich aus dieſen an, wie wahr,
wie warm! es legt gern den Kopf in meine Hand und
ſieht mich an, ich bin ihm auch gut, ich komme ſo oft
es mich ruft; in den kalten hellen Mondnächten hör'
ich ſeine Stimme, ich ſpringe aus dem Bett, mit bloßen
Füßen lauf' ich durch den Schnee, um dich zu beſchwich-
tigen. Dann biſt du ruhig, wenn du mich geſehen haſt,
wunderbares Thier, das mich anſieht, anſchreit, als wenn
es um Erlöſung bäte. Welch feſtes Vertrauen hatt' es
auf mich, die ich nicht ſeines Gleichen bin! armes Thier,
du und ich ſind getrennt von unſers Gleichen, wir ſind
beide einſam, und wir theilen dies Gefühl der Einſam-
keit; p wie oft hab' ich für dich in den Wald gedacht,
wo du lang auslaufen konnteſt, und nicht ewig in die
Runde,
[97] Runde, wie hier in deinem Verſchlag; dort liefſt du
doch deines Weges immer zu, und konnteſt mit jedem
Schritt hoffen, endlich einen Gefährten zu treffen, hier
aber war deines Ziels kein Ende, und doch war alle
Hoffnung abgeſchnitten. Armes Thier! wie ſchaudert
mich dein Geſchick, und wie nah verwandt mag es
dem meinen ſein! Ich auch lauf' in die Runde, da
oben ſeh' ich die Sterne ſchimmern, aber ſie halten alle
feſt, keiner ſenkt ſich herab, und von hier aus iſt es ſo
weit bis zu ihnen, und was ſich lieben laſſen will, das
ſoll mir nah kommen; aber ſo war mir's in der Wiege
geſungen, daß ich mußte einen Stern lieben und der
Stern blieb mir fern; lange Zeit hab' ich nach ihm ge-
ſtrebt und meine Sinne waren aufgegangen in dieſem
Streben, ſo daß ich nichts ſah, nichts hörte und auch
nichts dachte, als nur meinen Stern, der ſich nicht vom
Firmament losreißen werde, um ſich mir zu neigen. —
Mir träumt, der Stern ſenkt ſich tiefer und tiefer, ſchon
kann ich ſein Antlitz erkennen, ſein Strahlen wird zum
Auge, es ſieht mich an und meine Augen ſpiegeln ſich
in ihm. Sein Glanz umbreitet mich, von allem auf
Erden, ſo weit ich denken kann, ſo weit mich meine
Sinne tragen, bin ich getrennt durch meinen Stern.
Tagebuch. 5
[98]
Nichts hab' ich zu verlieren, nichts hab' ich zu ge-
winnen, zwiſchen mir und jedem Gewinn ſchwebſt Du,
der göttlich ſtrahlend im Geiſt, alles Glück überbietet;
zwiſchen mir und jedem Verluſt biſt Du, der ſich mir
menſchlich herabneigt.
Ich verſtehe nur das Eine, an Deinem Buſen die
Zeit zu verträumen; — ich verſtehe nicht Deiner Schwin-
gen Bewegung, die Dich in den Äther tragen, da dro-
ben in ſchwindelnder Höhe über mir, im ewigen Blau
Dich ſchwebend erhalten.
Mich und die Welt umkleidet Dein Glanz, Dein
Licht iſt Traumlicht der höheren Welt, wir athmen ihre
Luft, wir erwachen im Duft der Erinnerung; ja ſie duf-
tet uns, ſie hebt uns, und trägt unſer ſchwankendes
Loos auf ihren ſpiegelnden Fluthen der Götter allum-
faſſenden Armen entgegen.
Du aber haſt's mir in der Wiege geſungen, daß
ich Deinem Geſang, der in Träumen mich wiegt über
das Loos meiner Tage, träumend auch lauſche bis an's
End' meiner Tage.
[99]
Einmal ſchon, im Kloſter hatten mich die Geiſter
bewogen, mich ihnen zu geſellen, in den hellen Mond-
nächten lockten ſie mich; ich durchwanderte wunderliche
dunkle Gänge, in denen ich die Waſſer rauſchen hörte,
ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich;
der Mond ſchien in ſein bewegtes Waſſer und gewan-
dete die Geiſter, die auf ſeinem wogenden Spiegel ſich
mir zeigten in Silberglanz; — ſie kamen, ſie bedeute-
ten mein fragendes Herz, und verſchwanden wieder, es
kamen andere, ſie legten Geheimniſſe auf meine Zunge,
berührten alle Lebenskeime in meiner Bruſt, bezeichneten
mich mit ihrem Siegel, ſie verhüllten meinen Willen,
meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich
ausgegangen war.
Wie war das? — wie beriethen ſie mich? — durch
welche Sprache gab ſich ihre Lehre kund? — und wie
ſoll ich Dir darlegen, daß es ſo war? — und was ſie
mir lehrten? —
Die Mondnacht deckte mich im ſüßen, tiefen Kin-
desſchlaf, dann trat ſie aus ſich ſelbſt hervor und be-
rührte mich an meinen Augen, daß ſie ihrem Licht er-
wachten, und ſenkte ſich mit magnetiſcher Gewalt in
meine Bruſt, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,
5*
[100] die nicht geheuer waren, forteilte in tiefer, regungsloſer
Nacht, bis ich zum Springbrunnen kam zwiſchen Blu-
menbeeten, wo jede Blume, jedes Kraut in täuſchender
Dämmerung ein Traumgeſicht ausdrückte, wo ſie buhl-
ten und ſtritten mit der Phantaſie. Dort ſtand ich
und ſah, wie der von den Lüften bewegte Waſſerſtrahl
hinüber und herüberſchwankte und wie die Mondesſtrah-
len das bewegte Waſſer durchwebten, und wie der Blitz
mit zingelnder Eile ſilberne Hieroglyphen in die wogen-
den Kreiſe ſchrieb; da kniete ich in den feuchten Sand,
und beugte mich über dies ſchwindelnde Lichtweben, und
lauſchte mit allen Sinnen, und mein Herz hielt ſtill,
und ich nahm es an, als ob mir dieſe ſchwindenden
Strahlenzüge etwas hinſchrieben, und mein Herz war
freudig, als ob ich ſie verſtanden hätte, daß ihr Inhalt
mir Glück andeute; ich ging zurück durch die langen
dunklen labyrinthiſchen Gänge, vorüber an Bildern von
wunderlichen Heiligen in gelaſſener Ruhe, bis zu mei-
nem Bettchen, das im Erker am Fenſter eingeklemmt
war, da öffnete ich leiſe das Fenſter dem Mondlicht,
und ließ es meine Bruſt anſtrahlen; — ja, mich um-
armte in jenen glücklichen, glückbringenden Momenten
ein freudegeiſtiges Gefühl, groß, allumfaſſend, es um-
armte von außen mein Herz; mein Herz fühlte ſich um-
[101] faßt von einer liebenden Gewalt, der es ſich anſchmiegte
im Schlummer, der von dieſer Gewalt aus über mich
kam. Wie ſoll ich dieſe Gewalt nennen? — Lebens-
geiſt? ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was ich erfahren
hatte, aber ein Begegniß war es mir, ein wichtiges
Ereigniß, und ich war im Herzen als wie der Keim, der
aus erſter Verhüllung an's Licht hervorbricht; ich ſaugte
Licht mit dem Geiſt, und ſah mit dieſem, was ich vor-
her mit leiblichem Auge nicht geſehen haben würde, al-
les was die Natur mir ſpielend darbot, gab mir eine
Erinnerung an ein Verborgenes in mir, die Farben und
Formen der Pflanzenwelt ſah ich mit tiefem, genießen-
dem, verzehrendem Blick, durch den die Nahrung in
meinen Geiſt übergehe.
Ach, wir wollen ſchweigen, wir wollen leiſen Ne-
belflor über dies Geheimniß ziehen, durch den uns ſein
Inhalt ahnungsweiſe durchſchimmert, ja wir wollen
ſchweigen, Freund! wir können's ja doch nicht in Wor-
ten enthüllen. Aber pflanzt doch der irdiſche Menſch
und ſäet in den Buſen der Erde, die vorher unbefruch-
tet war, daß ihre nährenden Kräfte eindringen in die
Frucht ihrer Erzeugniſſe. Hätte ſie Bewußtſein ihres
ſinnlichen Gefühls, dann würde dies Gefühl zu Geiſt
in ihr werden; — ſo vergleiche ich den Menſchengeiſt
[102] mit ihr, ein vom himmliſchen Geiſtesäther umſchwebtes
Eiland; es wird aufgelockert und urbar gemacht und
göttlicher Saame wird ſeinen ſinnlichen Kräften ver-
traut und dieſe Kräfte regen ſich und ſprießen in ein
höheres Leben, das dem Licht angehört, welches Geiſt
iſt, und die Frucht, die dieſer göttlicher Saame trägt,
iſt die Erkenntniß, die wir genießen, damit unſere der
Seeligkeit zuwachſenden Kräfte gedeihen.
Wie ſoll ich's noch darlegen, daß dieſes leiſe Schau-
ern und Spielen der Lüfte, des Waſſers, des Mondlichts
mir wirklich Berührung mit der Geiſterwelt war? —
Wie Gott die Schöpfung dachte, da ward der einzige
Gedanke: „Es werde“ ein Baum, der alle Welten trägt
und ſie reift. So iſt auch dieſer Hauch, dies Geliſpel
der Natur in nächtlicher Stille, ein leiſer Geiſterhauch,
der den Geiſt weckt und ihn beſäet mit allen Gedanken,
die ewig währen.
Ich ſah ein Inneres in mir, ein Höheres, dem ich
mich unterworfen fühlte, dem ich alles opfern ſollte,
und wo ich's nicht that, da fühlte ich mich aus der
Bahn der Erkenntniß herausgeworfen, und noch heute
muß ich dieſe Macht anerkennen, ſie ſpricht allen ſelbſti-
ſchen Genuß ab, ſie trennt von den Anſprüchen an das
allgemeine Leben, und hebt über dieſe hinweg. Es iſt
[103] ſonderbar, daß das, was wir für uns ſelbſt fordern,
gewöhnlich auch das iſt, was uns unſerer Freiheit be-
raubt; wir wollen gebunden ſein mit Banden, die uns
ſüß deuchten, und unſerer Schwachheit eine Stütze, eine
Verſicherung ſind; wir wollen getragen ſein, gehoben
durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht,
daß wir dieſer Forderung das Ruhmwürdige und die
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt
ſein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's
nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver-
drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be-
dürfniſſe hat, und ſie befriedigt wiſſen will durch äußere
Vermittlung? —
Was iſt die Forderung, die wir außer uns machen
anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und
was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde-
rung dieſer Schwäche, die Gebundenheit unſerer Freiheit
in dieſer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent-
behre, als daß ſie von der Befriedigung eines Triebes,
einer Neigung, eines Bedürfniſſes abhänge.
Wir alle ſollen Könige ſein, und je widerſpenſtiger,
je herriſcher der Knecht in uns, je herrlicher wird ſich
die Herrſcherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger
der Geiſt, der überwindet.
[104]
Der Genius, der ſelbſt die Flügel regt, ſich in den
blauen Äther erhebt und Lichtſtrahlen ausſendet, der
Macht hat, die Seeligkeit durch eigne Kräfte zu erzeu-
gen. Wie ſchön, wenn der ſich vor Dir beugt und Dich
lieben will, der nicht um Liebe klagt, nicht ſie fordert,
ſondern ſie giebt. — Ja ſchön und herrlich: übergehen
ineinander, in den Lichtſpähren des Geiſtes, in aller
Glorie der Freiheit aus eignem, kräftigem Willen.
Die Erde liegt im Äther wie im Ei, das Irdiſche
liegt im Himmliſchen wie im Mutterſchooß, die Liebe
iſt der Mutterſchooß des Geiſtes.
Es giebt keine Weisheit, keine Erkenntniß des Wah-
ren, die mehr will, als die Liebe zu ihr.
Jede Wahrheit buhlt um die Gunſt des Menſchen-
geiſtes.
Gerechtigkeit gegen alle beurkundet die wahre Liebe
zu dem Einen.
Je allſeitiger, je individueller.
Nur der Geiſt kann von Sünden frei machen.
Willſt Du allein ſein mit dem Geliebten, ſo ſei al-
lein mit Dir.
Willſt Du den Geliebten erwerben, ſo ſuche Dich
zu finden, zu erwerben in ihm.
[105]
Du erwirbſt, Du haſt Dich ſelbſt, wo Du liebſt;
wo Du nicht liebſt, entbehrſt Du Dich.
Biſt Du allein mit Dir, ſo biſt Du mit dem Genius.
Du liebſt in dem Geliebten nur den eignen Genius.
Gott lieben iſt Gott genießen, wenn Du das Gött-
liche anbeteſt, ſo giebſt Du Deinem Genius ein Gaſt-
mahl.
Sei immer mit Deinem Genius, ſo biſt Du auf
dem graden Weg zum Himmel.
Eine Kunſt erwerben, heißt dem Genius einen ſinn-
lichen Leib geben.
Eine Kunſt erworben haben bedeutet, den Geiſt
nicht mehr Verdienſt, als dem Vater eines bedeutenden
Kindes. — Die Seele war da, und der Geiſt hat ſie
in die ſichtbare, fühlbare Welt geboren.
Wenn Du einen Gedanken haſt, der Dich belehrt,
ſo fühlſt Du wohl, es iſt Dein liebender Genius, der
Dir ſchmeichelt, der Dir liebkoſ't. Er will Dich bewe-
gen zur Leidenſchaft für ihn.
Und alle Wahrheit iſt Eingebung, und alle Einge-
bung iſt Liebkoſung, iſt Inbrunſt von Deinem Genius
zu Dir, er will Dich bewegen, in ihn überzugehen.
Liebſt Du, ſo nimmt Dein Genius eine ſinnliche
Geſtalt an.
5**
[106]
Gott iſt Menſch geworden in dem Geliebten, in
welcher Geſtalt Du auch liebſt, — es iſt das Ideal
Deiner eignen höheren Natur, was Du im Geliebten
berührſt.
Die wahre Liebe iſt keiner Untreue fähig, ſie ſucht
den Geliebten, den Genius, wie den Proteus unter jeg-
licher Verwandlung.
Geiſt iſt göttlicher Kunſtſtoff, in der ſinnlichen Na-
tur liegt er als unberührtes Material. Das himmliſche
Leben aber iſt, wenn Gott ihn als Kunſtſtoff benützt,
um ſeinen Geiſt in ihm zu erzeugen.
Drum iſt das ganze himmliſche Leben nur Geiſt, —
und jeder Irrthum iſt Verluſt des Himmliſchen. Darum
iſt jede Wahrheit eine Knoſpe, die durch die himmliſchen
Elemente blühen und Früchte tragen wird. Darum ſol-
len wir die Wahrheit in uns aufnehmen wie die Erde
den Saamen, als Mittel, durch welches unſere ſinnlichen
Kräfte in ein höheres Element hinüberblühen.
Indem Du denkſt, ſei immer liebend gegen Deinen
Genius, ſo wird Dir die Fülle des Geiſtes nie ausgehen.
Die echte Liebe empfindet den Geiſt auch im Leib,
in der ſinnlichen Schönheit. Schönheit iſt Geiſt, der ei-
nen ſinnlichen Leib hat.
Aller Geiſt geht aus Selbſtbeherrſchung hervor.
[107]
Selbſtbeherrſchung iſt, wenn Deinem Genius die
Macht über Deinen Geiſt gegeben iſt, die der Liebende
dem Geliebten über ſich einräumt.
Mancher will ſich ſelbſt beherrſchen, daran ſcheitert
jeder Witz, jede Liſt, jede Ausdauer, er muß ſich ſelbſt
beherrſchen laſſen durch ſeinen Genius, durch ſeine ide-
aliſche Natur.
Du kannſt den Geiſt nicht erzeugen, Du kannſt ihn
nur empfangen.
Du berührſt Dich mit dem Geliebten in allem, was
Du erhaben über Dich fühlſt.
Du biſt im Geheimniß der Liebe mit ihm, in al-
lem, was Dich begeiſtert.
Nichts ſoll Dich trennen von dieſem göttlichen Selbſt,
alles, was eine Kluft zwiſchen Dir und dem Genius bil-
det, iſt Sünde.
Nichts iſt Sünde, was mit ihm nicht entzweit, je-
der Scherz, jeder Muthwill', jede Kühnheit iſt durch ihn
ſanctionirt, er iſt die göttliche Freiheit in uns.
Wer ſich durch die Äußerung dieſer göttlichen Frei-
heit beleidigt fühlt, der lebt nicht in ſeinem Genius,
deſſen Weisheit iſt nicht Inſpiration, ſie iſt After-
weisheit.
Die Erkenntniß des Böſen iſt ein Abwenden aus
[108] der Umarmung der idealiſchen Liebe, die Sünde ſpiegelt
ſich nicht im Aug' des Geliebten.
Du ſaugſt göttliche Freiheit aus dem Blick der Liebe,
der Blick des Genius ſtrahlt göttliche Freiheit. —
Es giebt ein wildes Naturleben, daß durch alle
Abgründe ſchweift, den göttlichen Genius nicht kennt,
aber ihn nicht verläugnet. Es giebt ein zahmes, culti-
virtes Tugendleben, das ihn von ſich ausſchließt.
Wer die Tugend übt aus eigner Weisheit, der iſt
ein Sklave ſeiner kurzſichtigen Bildungsanſtalt. — Wer
dem Genius vertraut, der athmet göttliche Freiheit;
deſſen Fähigkeiten ſind zertheilt in alle Regionen, und
er wird ſich überall wiederfinden im göttlichen Element.
Ich habe oft mit dem Genius geſpielt in der Nacht,
ſtatt zu ſchlafen, und ich war müde, und er weckte mich
zu vertraulichen Geſprächen und ließ mich nicht ſchlafen.
So ſprach der Dämon heute Nacht mit mir, da
ich verſuchte Dir deutlich zu machen, in welchen wun-
derlichen Mittheilungen ich in dieſen Kinderjahren be-
griffen war; es ſetzte Gedanken in mir ab, ich erwog
ſie nicht, ich glaubte an ſie, ſie waren wohl andrer
Art, aber das Eigene hatten ſie, wie auch noch jetzt,
daß ich ſie nicht als Selbſtgedachtes, ſondern als Mit-
getheiltes empfinde.
[109]
Du biſt gut, Du willſt nicht, daß ich dies ſüße Ge-
ſchwätz mit Dir abbreche, es iſt doch allenfalls ſo ſchön
und ſo verſtändlich wie das Blinken der Sterne was
ich Dir hier ſage, und wenn es auch nur wär' eine
Melodie, die ſich durch meinen Geiſt Luft machte! ſie
iſt äußerſt lieblich dieſe Melodie und lehrt Dich träumen.
O lerne ſchöne Träume durch mein Geſchwätz, die
Dich beflügeln und mit Dir den kühlen Äther durch-
ſchiffen.
Wie herrlich ſchreiteſt Du auf dieſen Traumteppi-
chen! wie wühlſt Du Dich durch die tauſendfältigen
Schleier der Phantaſie, und wirſt immer klarer und
deutlicher Du ſelber, der da verdient geliebt zu ſein, da
begegneſt Du mir und wunderſt Dich über mich, und
gönnſt es mir, daß ich zuerſt Dich fand.
Schlafe! ſenke Deine Wimpern ineinander, laſſe
Dich umweben ſo leiſe wie mit Sommerfäden auf der
Wieſe. Umweben laſſe Dich mit Zauberfäden, die Dich
in's Traumland bannen, ſchlafe! Und gieb vom
weichen Pfühle träumend ein halb Gehör.
[110]
Am Weinacht Morgen, — das waren drei Jahre
eh' ich Dich geſehen habe, — gingen wir bei früher
Zeit in die Kirche; es war noch Nacht, eine Laterne
leuchtete voran, um durch den Schnee den Fußpfad zu
finden, wir kamen an einer verödeten, verfallnen Klo-
ſterkirche vorüber, der Wind pfiff durch die zerbrochnen
Fenſter und klapperte mit den loſen Dachziegeln; „in
dieſem Gemäuer hauſen die Geiſter,“ ſagte der Later-
nenträger, „da iſt es unſicher!“ — Am Abend, im Zim-
mer der Großmutter, wo eine eben ſo verödete und
verfallene Geſellſchaft eine Spielparthie machte, er-
innerte ich mich dieſer Bemerkung; ich dachte, wie ſchau-
erlich es ſein müſſe, da allein zu ſein, und wie ich um
alles in der Welt jetzt nicht dort ſein möchte. Kaum
hatte ich mir dies überlegt, ſo war die Frage innerlich,
ob ich's nicht wagen möchte? — ich ſchüttelte den Ge-
danken ab, er kam wieder, immer furchtſamer war ich,
immer mehr wehrte ich mich gegen dieſen unausführba-
ren Einfall, immer dringender wurde die Aufforderung
dazu. Ich wollte ihr entgehen, und ſetzte mich in eine
andere Ecke des wohlerleuchteten Zimmers, aber da war's
grade der offnen Thür eines dunklen Raumes gegen-
über, und nun ſpielten und zingelten Winke in der
[111] Finſterniß, ſie webten und ſchwebten bis an mich heran.
Ich wickelte mich in den Fenſtervorhang vor dieſen
Scheinweſen in der dunklen Kammer, ich drückte die
Augen zu und träumte in mich hinein, da war ein
freundlich Zureden in mir, ich ſolle an die Kloſtermauer
gehen, wo die Geiſter ſpuken. Es war acht Uhr Abends,
ich überlegte, wie ich's wagen ſolle, in dieſer Stunde
einen einſamen weiten Weg zu gehen, den ich nicht ge-
nau kannte und den ich ſelbſt bei Tag' nicht allein
machen würde. — Es zog mich immer tiefer in einen
vertrauten, abgeſchloſſenen Kreis; die Stimmen der
Spielenden vernahm ich wie aus weiter Ferne, wie eine
fremde Welt, die außer meinem Kreis ſich rege.
Ich öffnete die Augen, und ſah die wunderlichen,
unauflösbaren Räthſelgeſichter der Spielenden dort ſiz-
zen, vom hellen Kerzenſchein beleuchtet; ich hörte die
Ausrufungen des L'Hombreſpiels wie Bannſprüche und
Zauberformeln, dieſe Menſchen mit ihrem wunderlichen
Beginnen waren geſpenſterhaft, ihre Kleidung, ihre Ge-
bärden unverſtändlich, grauſenerregend; der Spuk war
mir zu nahe gekommen, ich ſchlich mich leiſe hinaus.
Auf der Hoftreppe athmete ich wieder frei, da lag der
reine Schneeteppich zu meinen Füßen, und deckte ſanft
anſchwellend alle Unebenheiten, da breiteten die bereiften
[112] Bäume ihre ſilbernen Zweige unter dem wandelnden
Mondlicht aus. Dieſe Kälte war ſo warm, ſo freund-
lich, hier war nichts unverſtändlich, nichts zu fürchten,
es war, als ſei ich den böſen Geiſtern da drinnen ent-
wiſcht; hier draußen ſprachen die guten um ſo vernehm-
licher zu mir, ich zauderte keinen Augenblick mehr, ih-
rem Geheiß zu folgen. Wie es auch werden mag, leiſe
und behend kletterte ich über das Hofthor, jenſeits werfe
ich mein Kleid über den Kopf um mich zu verhüllen,
und in flüchtigen Sprüngen ſetze ich über den Schnee.
Manches begegnet mir, dem ich ausbeuge, mit geſtei-
gerter Angſt und klopfendem Herzen komme ich an,
ſcheu und furchtſam ſeh ich mich um, aber ich zaudere
nicht, den öden Platz zu betreten; ich bahne mir einen
Weg durch das zuſammengefallne, überſchneite Geſtein,
bis zur Kirchmauer, an die ich den Kopf anlehnte. Ich
lauſche, ich höre das Klappern der Ziegeln im Dach,
und wie der Wind in dem loſen Sparrwerk raſſelt,
ich denke: „ob das die Geiſter ſind?“ — ſie ſenken
ſich herab, — ich ſuche meine Angſt zu bekämpfen, ſie
ſchweben in geringer Höhe über mir, — die Furcht be-
ſchwichtigt ſich allmählig; es war, als ob ich die
offne Bruſt dem Hauch des Freundes biete, den ich kurz
vorher noch für meinen Feind gehalten hatte.
[113]
Wie ich zum erſtenmal vor Dir ſtand, — es war
im Winter 1807 — da erblaßte ich und zitterte, aber
an Deiner Bruſt, von Deinen Armen umſchloſſen, kam
ich ſo zu ſeeliger [Ruhe], daß mir die Augenlieder zufie-
len und ich einſchlief.
So iſt's wenn wir Nektar trinken, die Sinne ſind
dieſer Koſt nicht gewachſen. Da mildert der Schlaf
den Sturm der Beſeeligung, und vermittelt und ſchützt
die gebrochnen Kräfte; könnten wir umfaſſen, was
uns in einem Moment geboten iſt, könnten wir ſein
verklärendes Anſchauen ertragen, ſo wären wir hell-
ſehend; könnte ſich die Macht des Glückes in uns
ausbreiten, ſo wären wir allmächtig; drum bitte ich
Dich, wenn es wahr iſt, daß Du mich liebſt, begrabe
mich in Deinem Denken, decke mir Herz und Geiſt mit
Schlaf, weil ſie zu ſchwach ſind, um ihr Glück zu tra-
gen. Ja Glück! wer ſich mit ihm verſtändigte, wie mit
einem Geiſt, dem er ſich gewachſen fühlte, der müßte
durch es ſeine irdiſche Natur zur göttlichen verklären.
Geſtern kam ein Brief von Dir, ich ſah das blaue
Couvert auf dem Tiſch liegen und erkannte ihn von
weitem, ich verbarg ihn im Buſen und eilte in mein
einſames Zimmer an den Schreibtiſch, ich wollte Dir
gleich beim erſten Leſen die Fülle der Begeiſtrung nie-
[114] derſchreiben. Da ſaß ich und faltete die Hände über
dem Schatz und mochte ihn nicht vom warmen Herzen
herunternehmen. Du weißt, ſo hab' ich mich auch nie
aus Deinen Armen losgemacht; Du warſt immer der
erſte, und ließeſt die Arme ſinken und ſagteſt: „nun
geh!“ — und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen.
Hätte ich dem Deiner Augen gefolgt, ſo wär' ich bei
Dir geblieben, denn die ſagten: „komme her!“
Ich ſchlief alſo ein über dem Bewachen meines
Kleinods im Buſen, und da ich erwachte, las ich die
zwei Zeilen von Deiner Hand geſchrieben: „Ich war
auch einmal ſo närriſch wie Du, und damals war ich
beſſer als jetzt.“
O Du! — von Dir ſagt die öffen[t]liche Stimme,
Du ſeiſt glücklich, ſie preiſen Deinen Ruhm, und daß
an den Strahlen Deines Geiſtes Dein Jahrhundert ſich
zum Äthergeſchlecht ausbrüte, zum Fliegen und Schwe-
ben über Höhen, und den Flug nach Deinen Winken
zu richten; aber doch ſagen ſie, Dein Glück überſteige
noch Deinen Geiſt. O wahrlich, Du biſt Deines Glückes
Schmid, der es mit kühnem, kräftigem Schlag eines
Helden zurecht ſchmiedet; was Dir auch begegne, es
muß ſich fügen, die Form auszufüllen, die Dein Glück
bedarf, der Schmerz, der Andre zum Mißmuth und zur
[115] Klage bewegen würde, der wird ein Stachel für Deine
Begeiſtrung. Was Andre niederſchlägt, das entfaltet
Deinen Flug, der Dich den Bedrängniſſen enthebt, wo
Du den reinen Äther trinkſt und die [Empfindung] des
Elends Dich nicht verdirbt. Du nimmſt Dein Geſchick als
Koſt nur aus den Händen der Götter und trinkſt den bit-
teren Kelch, wie den ſüßen mit dem Gefühl der Überle-
genheit. Du läßt Dich nicht berauſchen, wie ich mich
berauſchen laſſe auf dem Weg, der zu Dir führt, Du
würdeſt nicht, wie ich, der Verzweiflung hingegeben ſein,
wenn ein Abgrund Dich von Deinem Glück trennte.
Und ſo hat Unglück nichts mit Dir zu ſchaffen, Du
weißt es zu ſchaffen, Dein Glück, in jedem kleinem Er-
eigniß, wie die allſeelige Natur auch der geringſten
Blume eine Blüthezeit gewährt, in der ſie duftet und
die Sonne ihr in den Kelch ſcheint.
Du giebſt jedem Stoff, jedem Moment alles, was
ſich von Seeligkeit in ihn bilden läßt, und ſo haſt Du
mir gegeben, da ich doch zu Deinen Füßen hingegeben
bin; und ſo hab' auch ich einen Moment Deines Glük-
kes erfüllt. Was will ich mehr! da in ihm eine Auf-
gabe liegt, bis zum letzten Athemzug.
[116]
Ich vergleiche Dich mit Recht jener freundlichen,
kalten Winternacht, in der ſich die Geiſter meiner be-
mächtigten, in Dir leuchtet mir nicht die Sonne, in Dir
funkeln mir tauſend Sterne, und alles Kleinliche, was
der Tag beleuchtet, ſchmilzt mir unberührt in ſeinen
vieleckigen Widerwärtigkeiten in erhabenen Maſſen zu-
ſammen.
Du biſt kalt und freundlich und klar und ruhig,
wie die helle Winternacht; Deine Anziehungskraft liegt
in der idealiſchen Reinheit, mit der Du die hingebende
Liebe aufnimmſt und ausſprichſt, Du biſt wie der Reif
jener Winternacht, der die Bäume und Sträucher mit
allen kleinen Zweigen, Sproſſen und Knoſpen zukünfti-
ger Blüthe mit weicher Silberdecke umkleidet. Wie
jene Nacht, wechſelnd mit Mond- und Sternenlicht, ſo
beleuchteſt Du Dein Begreifen und Belehren in tauſend
ſich durchkreuzenden Lichtern, und deckſt mit milder Däm-
merung und verſchmilzſt im Schatten; die aufgeregten
Gefühle übergießeſt Du mit idealiſchen Formen, jede
Stimmung wird durch Dein liebendes Verſtehen indivi-
dueller und reizender, und durch Dein ſanftes Beſchwich-
tigen wird die heftige Leidenſchaft zum Genie.
[117]
Von jenen abentheuerlichen Geiſter-Nachtwegen
kam ich mit durchnäßten Kleidern zurück, vom geſchmol-
zenen Schnee, man glaubte, ich ſei im Garten geweſen.
Über Nacht vergaß ich Alles, erſt am andern Abend
um dieſelbe Stunde fiel mir's wieder ein, und die Angſt,
die ich ausgeſtanden hatte; ich begriff nicht, wie ich
hatte wagen können, dieſen öden Weg in der Nacht
allein zu gehen, und auf dem wüſten, ſchaurigen Platz
zu verweilen; ich ſtand an die Hofthüre gelehnt, heute
war's nicht ſo milde und ſtill wie geſtern, die Winde
hoben ſich und brauſ'ten dahin, ſie ſeufzten auf zu mei-
nen Füßen und eilten nach jener Seite, die ſchwanken-
den Pappeln im Garten beugten ſich und warfen die
Schneelaſt ab, die Wolken trieben mit ungeheurer Eile,
was feſt gewurzelt war, ſchwankte hinüber, was ſich
ablöſen konnte das nahmen die jagenden Winde unauf-
haltſam mit ſich. — In einem Nu war auch ich über
die Hofthür, und im flüchtigen Lauf athemlos bis an
die Kirche gekommen, und nun war ich ſo froh, daß
ich da war; ich lehnte mich an das Gemäuer bis der
Athem beſchwichtigt war, es war, als ob Leib und Seele
in dieſer Verborgenheit geläutert würden, ich fühlte die
Liebkoſungen von meinem Genius in der Bruſt, ich
[118] fühlte ſie als echte Mittheilungen im Geiſt. Alles iſt
göttliche Mittheilung was wir erfahren, alles Erken-
nen iſt Aufnehmen des Göttlichen, es kommt nur auf
die zweifelloſe, unſchuldige Empfängniß unſeres Geiſtes
an, daß wir auch den Gott in uns empfinden. Wie
ich zum erſtenmal vor Dir ſtand, und mich Dein Blick
wie ein Zauberſtab berührte, da verwandelteſt Du allen
Willen in Unterwerfung, es kam mir nicht in den Sinn,
etwas Anders zu verlangen, als in dieſer Lichtatmo-
ſphäre, in die mich Deine Gegenwart aufnahm zu ver-
weilen, ſie war mein Element; ich bin oft aus ihm
verdrängt worden, immer durch eigene Schuld. Die
ganze Aufgabe des Lebens iſt ja das Beharren in ihm,
und die Sünde iſt das was uns daraus verdrängt.
So erlangen wir Seeligkeit, wenn wir auf dem
Weg uns zu erhalten wiſſen, auf dem wir ſie ahnden.
Nie hatte ich eine beſtimmtere Überzeugung von ihr, als
wenn ich glaubte von Dir geliebt zu ſein. Und was
iſt ſie denn, dieſe Seeligkeit? — Du biſt fern, wenn
Du Dich der Geliebten erinnerſt, ſo ſchmilzt Deine
Seele in dieſe Erinnerung ein und berührt ſo, liebend die
[119] Geliebte, wie die Sonnenſtrahlen wärmend den Fluß
berühren, wie die leiſen Frühlingslüfte, die den Duft
und den Blüthenſtaub zu dem Fluß tragen, der dieſe
ſchönen Geſchenke des Frühlings mit ſeinen Wellen ver-
miſcht. Wenn alles Wirken in der Natur ſich geiſtig
in ſich ſelbſt fühlt, ſo empfindet der Fluß dieſe liebko-
ſenden Berührungen als ein innerlichſtes Weſentlich-
ſtes. — Warum ſollte ich dies bezweifeln? — warum
empfinden wir die Entzückungen des Frühlings, als nur
weil er den Rythmus angiebt, mit dem der Geiſt ſich
aufzuſchwingen vermag? — alſo wenn Du meiner ge-
denkſt, ſo giebſt Du den Rythmus an, mit dem meine
Begeiſtrung ſich zu dem Begriff von Seeligkeit aufzu-
ſchwingen vermag.
Ach ich fühls! mich durchzücken leiſe Schauer, daß
Du meiner gedenken ſollteſt in der Ferne, daß das Be-
hagen, die Luſt Deiner Tage einen Augenblick erhöht
wird durch meine Liebe. Sieh', ſo ſchön iſt das Geweb'
meiner innern Gedankenwelt, wer möchte es zerſtören!
Muſik! jeder Ton in ihr iſt weſentlich, iſt der Keim ei-
ner Modulation, in die die ganze Seele ſich fügt, und
ſo verſchieden, ſo in ſich abgeſchloſſen die melodiſchen
Formen ſind, in die dieſe Gedankenwelt ſich ergießt: ſo
[120] umfaßt ſie doch und vernimmt die Harmonie, wie der
Ocean alle Strömungen in ſich aufnimmt.
So gehört denn auch zu unſerm vögelſingenden,
blütheſchneienden Frühling, wo der Fluß zwiſchen duf-
tenden Kräutern tanzt, und ein Herz im andern lebt,
jener kalte vom Wind und Schnee durchkreuzte Win-
ter, wo die eiſige Luft mir den Athem an den Haaren
zu Reif anſetzte, wo ich ſo wenig wußte, was mich in
den Winterſturm hinausjage, als wo der Wind her-
kam, und wo er hineilte. Ach, Herz und Sturmwind
eilten der Gegenwart zuvor in die Zukunft, alſo Dir
entgegen. — Darum riß es mich ſo unwiderſtehlich aus
dem ſtummen Daſein dem ſchönen Augenblick entgegen,
der mein Leben in allen ſeinen Aſpirationen entwickeln
und in Muſik auflöſen ſollte.
Es kann dem Winter nichts ungleicher ſein als
der Frühling, der unter ſeiner eiſigen Decke der Zukunft
harrt; es kann dem im Saamen verſchloſſnen, in der
Erde
[121] Erde verborgenen Keim nichts fremder ſein als das
Licht, und doch iſt es ſeine einzige Richtung; der Ge-
nius des Lebens treibt aus ihm hervor, um ſich mit dem
Licht zu vermählen. —
Dieſes Anſchmiegen an eine Geiſterwelt, dies Ver-
trauen auf die geheime Stimme, die mich ſo ſeltſame
Wege leitete, die mir nur leiſe Winke gab, — was
war es anders als ein unwillkührliches Folgen dem
Geiſt, der mich reizte, wie das Licht das Leben!
Meine verödete Kirche ſtand dieſſeits an der Höhe
einer Mauer, die tief hinabging, einen Bleichplatz um-
ſchloß, der jenſeits vom Mainfluß begrenzt war. Wäh-
rend mir vor der Höhe dieſer Mauer ſchwindelte und
ich furchtſam ausweichen wollte, hatte ich mich unwill-
kührlich hinübergeſchwungen, und ſo fand ich im nächt-
lichen Dunkel kleine Spalten in der Mauer, in die
ich Hände und Füße einklemmte, und hervorragende
Steine, auf denen ich mir hinabhalf; ohne zu bedenken,
ob und wie ich wieder hinaufkommen werde, hatte ich
den Boden erreicht; eine Wanne, die wohl im Sommer
zum Bleichen gedient hatte, und im Herbſt war ver-
Tagebuch. 6
[122] geſſen worden, rollte ich bis zum Ufer, ſtellte ſie da auf
und ſetzte mich hinein, und ſah dem Eisgang zu; es
war mir eine behagliche, befriedigende Empfindung, ſo
als eingerahmtes Bild der erhabenen Winternatur in's
Antlitz zu ſchauen. Es war, als habe ich einer gehei-
men Anforderung Genüge geleiſtet. — Im Hinaufklet-
tern fand ich eben ſo kleine Lücken und Steine unter
Händen und Füßen, wie ich ſie brauchte. — Von nun
an konnte kein Wetter, kein Zufall mich abhalten, ich
überwand alle Schwierigkeiten; ohne zu wiſſen wie
fand ich mich an meiner Geiſtermauer, an der ich je-
den Abend hinabkletterte und in meiner Wanne ſitzend
dem Treiben der Eisſchollen zuſah. Eine ſtieß an's
Ufer, ich ſträubte mich nicht mehr gegen die dämoniſchen
Eingebungen, zuverſichtlich ſprang ich drauf und ließ
mich eine Weile forttreiben. Dann ſprang ich auf die
nächſte, bis ich endlich in der Mitte des Stromes da-
hin ſegelte. — Es war eine wunderbare Nacht! wa-
rum? — jeder Naturmoment iſt wunderbar, iſt unge-
heuer, wo er in ſeiner Freiheit waltet über den Men-
ſchengeiſt, ich habe mich ihm preis gegeben, und ſo
wirkte er als höchſtes Ereigniß. — Am fernen Horizont
ſchimmerte ein dunkles Roth, ein trübes Gelb, und mil-
derte die Finſterniß zur Dämmerung, das Licht, gefeſ-
[123] ſelt in den Umarmungen der Nacht; dahin ſchaute ich,
dahin trug mich mein eiſiger Seelenverkäufer, und der
Wind, der ſich kaum über die Höhe des Fluſſes hob,
ſpielte und klatſchte zu meinen Füßen mit den Falten
meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen
Stolz in meiner Bruſt, noch heute hebt mich die Erin-
nerung der ſchmeichelnden Winde zu meinen Füßen,
noch heute durchglüht mich die Begeiſtrung jener küh-
nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor ſechs Jah-
ren, ſondern in dieſer kalten Winternacht wär', in der
ich hier ſitze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei-
ner Liebe alles aufzuſchreiben. Eine gute Strecke hatte
ich mich dahin treiben laſſen, da war ich eben ſo wil-
lenlos, als ich den Fluß hinabgeſchwommen war, wie-
der umgekehrt, ich ſchritt ruhig von einer nachkommen-
den Eisſcholle zur andern, bis ich mich glücklich am
Ufer befand. Zu Hauſ' im Bett überlegte ich, wo mich
wohl noch dieſe Wege hinführen möchten; es ahndete
mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück
führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer
der nächſten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine
zufällige Reiſe in die Stadt meine nächtlichen Geiſter-
wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte,
war dieſer mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte
6*
[124] mich bewegen können, ſie aus eigener Willkühr zu wa-
gen. — Sie lenkten freilich einen Weg, dieſe freundli-
chen Nachtgeiſter, der nicht wieder umlenkt, ſie belehrten
mich, wollten mich lehren der Tiefe, dem Ernſt, der
Weisheit meines Glückes nachzugehen und ſeine Beſee-
ligung nur als ſeinen Abglanz zu betrachten. So
machen es die Menſchen, während ihr Geſchick ihnen
einen vorübergehenden Genuß darbietet, wollen ſie ewig
dabei verweilen, und verſäumen ſo, ſich ihrem Glück,
das vorwärts ſchreitet, zu vertrauen, und ahnden nicht,
daß ſie den Genuß verlaſſen müſſen, um dem Glück
nachzugehen und es nicht aus den Augen zu laſſen.
Nur das Eine iſt Glück, was dem idealiſchen Men-
ſchen in uns entwickelt, und nur in ſo fern ihn Genuß
in den Äther hebt, und ihn fliegen lehrt in ungekannten
Regionen, iſt er ihm wahre Beſeeligung. — Gewiß, ich
möchte immer bei Dir ſein, in Dein Antlitz ſchauen,
Rede mit Dir wechſeln, die Luſt würde nimmer verſie-
gen; aber doch ſagt mir eine geheime Stimme, daß es
Deiner nicht würdig ſein würde, mir dies als Glück zu
ſetzen. Vorwärts eilen in den ewigen Ocean, das ſind
[125] die Wege, die mir auf eiſiger Bahn die Geiſter vor-
ſchrieben, auf denen ich Dich gewiß nicht verlieren
werde, da auch Du nicht umkehrſt, und ich nie an Dir
vorüberſchreiten werde, und ſo iſt gewiß das einzige
Ziel alles Begehrens die Ewigkeit.
Die Reiſe nach der Stadt hatte der Krieg veran-
laßt. Wir flüchteten vor dem Getümmel der Öſtreicher
mit den Franzoſen; es war zu fürchten, daß unſer klei-
nes Stadtparadies mit ſeinen wohlgeordneten Luſtre-
vieren nächſtens unter den Hufen kämpfender Reiterei
zertrümmert werde. Der Feind war nur flüchtig durch
Feld und Wald geſprengt, hatte über den Fluß geſetzt
und die heimliche Ruh' des beginnenden Frühjahrs la-
gerte ſchützend über den Saatfeldern, deren junges Grün
ſchon aus dem ſchmelzenden Schnee hervorragte, da wir
wieder zurückkehrten.
Die kräftigen Stämme der Kaſtanienallee, Du kennſt
ſie wohl! manche Träume Deiner Frühlingstage flatter-
ten dort mit der jungen Nachtigallenbrut um die Wette,
wie oft biſt Du dort an Liebchens Arm dem aufgehen-
den Mond entgegen geſchlendert! Ich mag nicht dran
[126] denken; Du wirſt Dich der heiteren Ausſichten des wim-
melnden Lebens auf dem Fluß am Tag, ſeiner ruheflü-
ſternden Schilfgeſtade in warmen Sommernächten und
ſeiner ringsum blühenden Gärten, zwiſchen denen ſich
die reinlichen Straßen vertheilen, noch gar wohl erin-
nern und auch ſeiner Bequemheit für Deine Liebesan-
gelegenheiten. Seitdem hat ſich die Gegend wie die
Lebensweiſe, und auch die Bevölkerung in's wunderbare
geſpielt, und keiner würde es glauben, der's nicht ge-
ſehen hat, und jeder, der mit ſeinem Reiſejournal in der
Taſche von ſeiner Reiſe um die Welt hier durchkäm',
würde glauben in die Stadt der Mährchen verſetzt zu
ſein*); eine myſtiſche Nation wandelt in bunter, wun-
derbarer Kleidung zwiſchen den andern durch; die Greiſe
und Männer mit langen Bärten in Purpur und grün
und gelben Talaren, die Hälfte des Gewandes immer
von verſchiedener Farbe, die wunderſchönen Jünglinge
und Knaben in eng anliegendem Wams, mit Gold ver-
brämt, die eine Hoſe grün, die andre gelb oder roth,
daherſprengend auf muthigen Roſſen mit ſilbernen Glöck-
chen am Hals, oder am Abend durch die Straße auf
der Guitarre und Flöte präludirend, bis ſie vor Lieb-
[127] chens Fenſter halt machen. Denke Dir dies alles und
den milden Sommerhimmel, der ſich drüber wölbt, und
deſſen Gränzen eine blühende, tanzende und muſizirende
Welt umfließt; denke Dir den Fürſten jenes Volkes
mit ſilbernem Bart, weißem Gewand, der vor dem Thor
ſeines Palaſtes auf öffentlicher Straße auf prächtigen
Teppichen und Polſtern lagert, umgeben von ſeinem
Hofſtaat, wo jeder einzelne ein abſonderliches Zeichen
ſeines Amts und Würde an ſeiner fabelhaften Kleidung
hat. Da ſpeiſ't er unter freiem Himmel, gegenüber den
luſtigen Gärten, hinter deren zierlichen Gittern hohe Py-
ramiden blühender Gewächſe aufgeſtellt ſind, und mit
feinem Drathflor umzogene Volieren, wo der Goldfaſan
und der Pfau zwiſchen den ruckſenden Haustauben ein-
herſtolzieren, und die kleinen Singevögel jubeln, alles
von zartem, grünem Raſen umſchloſſen, wo mancher
Waſſerſtrahl emporſchießt; die Knaben in verbrämten
Kleidern goldne Schüſſeln bringen indeſſen aus den off-
nen Fenſtern des Palaſtes Muſik erſchallt. Wir Kinder
machten manchmal im Vorübergehen da Halt, und ſa-
hen und hörten dem Verein ſchöner Jünglinge in Ge-
ſang, Flöte und Guitarre zu; aber damals wußte ich
nicht, daß nicht überall die Welt ſo heiter lieblich, ſo
reinen Genuſſes ſich ausbreite; und ſo fand ich es auch
[128] nicht wunderbar, wenn die Nacht einbrach und aus
dem Nachbarsgarten die herrlichſten Symphonieen her-
überſchallten, von einem Orcheſter der erſten Künſtler
aufgeführt, wenn die herrlichen, großen Bäume mit ſo
viel bunten Lampen geſchmückt waren, als Sterne ſich
am Himmel blicken ließen; da ſuchte ich einen einſamen
Weg und ſah den glühenden Johanniswürmchen zu,
wie ſich die im Flug durchkreuzten, und ich war über-
raſcht von dem wunderbaren Leuchten, und ich dachte
Nachts an dieſe Thierchen und freute mich auf den an-
dern Abend, um ſie wieder zu ſehen, auf die Menſchen
aber freute ich mich nicht, — ſie leuchteten mir nicht
ein, ich verſtand und ahndete nicht, daß man ſich mit
ihnen verſtändigen könne; — manche Sommernacht
auch ſchwamm die Capelle von blaſenden Inſtrumenten
auf dem Main, bald hinab und hinauf, begleitet von
vielen Nachen, auf denen ſich kaum ein Flüſtern hören
ließ, ſo tief ernſt hörten ſie der Muſik zu. Da wurde
ich auch mitgeſchaukelt auf den ſanften Wellen, und ſah
die wechſelnden Schatten und Lichter und Mondſtrah-
len, und ließ das kühle Waſſer über meine Hände lau-
fen. So war das Sommerleben, das plötzlich durch
die rückkehrenden Kriegsſcenen unterbrochen ward. Da
war an kein Flüchten zu denken, am Morgen, da wir
[129] erwachten, hieß es: „hinab in den Keller! die Stadt
wird beſchoſſen, die Franzoſen haben ſich hereingewor-
fen, die Rothmäntel und die Todtenköpfe ſprengen von
allen Seiten heran, um ſie heraus zu jagen!“ Da war
ein Zuſammenlaufen auf den Straßen, da erzählte man
ſich von den Rothmänteln, daß die kein Pardon gäben,
alles zuſammenhauen, daß ſie fürchterliche Schnurrbärte
haben, rollende Augen, blutrothe Mäntel, damit das
vergoſſene Blut nicht ſo leicht zu bemerken ſei. Allmäh-
lig wurden die Fenſterladen geſchloſſen, die Straßen
leer, die erſte Kugel, die durch die Straßen flog, eilte
alles in die Keller, auch wir, Großmutter, Tante, eine
alte Couſine von achtzig Jahren, die Köchin, die Kam-
merjungfer, ein männlicher Hausgenoſſe. Da ſaßen wir,
die Zeit wurde uns lang, wir lauſchten — eine Bombe
flog in unſern Hof, ſie platzte. Das war doch eine Di-
verſion, aber nun ſtand zu erwarten, daß Feuer aus-
brechen könne. Allerlei, was meiner Großmutter unend-
lich wichtig war, von Büchern, von Bildern, fiel ihr
ein, ſie hätte es gern in den Keller gerettet. Der männ-
liche Hausgenoſſe demonſtrirte, wie es eine Unmöglichkeit
ſei, den heiligen Johannes, ein Bild was die wunder-
bare Eigenſchaft hatte, die Fabel geltend zu machen,
er ſei ein Raphael, jetzt aus dem oberen Saal herunter
6**
[130] zu ſchaffen, indem es viel zu ſchwer ſei; ich entfernte
mich leiſe, ſtieg zum Saal, hob das ſchwere Bild ab,
nahm es an der Schnur über den Rücken, und ſo kam
ich, noch eh' die Verhandlung beendigt war, zum Er-
ſtaunen Aller und zur großen Freude der Großmutter,
zur Kellertreppe herabgepoltert, ich meldete noch, wie
ich aus dem Saalfenſter geſehen und alles ſtill ſei; ich
bekam die Erlaubniß noch mehr zu retten, ich bekam
die Schlüſſel zur Bibliothek um Kupferwerke zu holen,
mit freudiger Eile ſprang ich die Treppe hinauf, in die
Bibliothek hätt' ich längſt gern mich eingeſtohlen, da
war eine Sammlung prachtvoller Muſcheln, wunderba-
rer Steine, getrockneter Pflanzen, da hingen Straußen-
eier an den Wänden, Kokusnüſſe, da lagen alte Waf-
fen, ein Magnetſtein, an dem alle Näh- und Strickna-
deln hängen blieben, da ſtanden Schachteln voll Brief-
ſchaften, Toiletten mit wunderlichem altem Geſchirr und
Geſchmeid', Zitternadeln mit Sternen von bunten Stei-
nen, o ich freute mich, den Schlüſſel zu haben, ich
holte herunter, was man verlangte, zog den Schlüſſel
ab, ohne abzuſchließen, und dachte mir eine ſtille, ein-
ſame Nacht, in der ich, alles durchſuchend und betrach-
tend, ſchwelgen wolle. Das Schießen hatte wieder
angefangen, einzelne Reiter hörte man in geſtrecktem
[131] Galopp die furchtbare Stille der Straße unterbrechen,
die Furcht im Keller ſtieg, man dachte jedoch nicht daran,
daß ich verletzt werden könne, und ich auch nicht; ich
ſprach nicht aus, daß ich mich nicht fürchte, und fühlte
auch nicht, daß ich Gefahr lief, und ſo überkam ich
das ſchöne Amt, alle zu bedienen, für alle Bedürfniſſe
zu ſorgen. Ich hörte verſchiedentlich die Reiter vor-
überſprengen. „Daß mag ein Rothmantel ſein!“ dachte
ich, lief eilig an's Fenſter des unteren Geſchoſſes, riß
den Laden auf, — ſiehe, da hielt er in der mitten Straße
mit gezogenem Säbel, langem fliegendem Schnurrbart,
dicken ſchwarzen geflochtenen Haarzöpfen, die unter der
rothen Pelzmütze hervor hingen, der rothe Mantel
ſchwebte in den Lüften, wie er die Straße hinabflog, —
alles wieder todten ſtill! — ein junger Menſch in Hemd-
ärmeln, bloßem Kopf, todtenblaß, blutbeſpritzt, rennt
verzweiflungsvoll hin und wieder, raſſelt an den Haus-
thüren, klopft an den Läden, keiner thut ſich auf, mir
klopft das Herz, ich winke — er ſieht es nicht. Jetzt
eilt er auf mich zu, bittend, — da ertönt der Schall
eines Pferdes; er ſchmiegt ſich in die Vertiefung des
Hofthors, der Reiter, der ihn ſuchend verfolgt, ſprengt
an ihm vorbei, hält einen Augenblick, ſpäht in die Ferne,
wendet um und — fort. O, jeder Blick, jede Bewegung
[132] des Reiters und des Pferdes haben ſich tief in mein
Gehirn geprägt, und der arme Angſterfüllte eilt hervor
und ſchwingt ſich am ſchwachen Kinderarm herein in die
rettenden Wände, aber kaum, — da iſt der Reiter ſchon
wieder, er ſprengt an mich heran, ich rühr' mich nicht
vom Fenſter, er verlangt Waſſer, — ich eile in die
Küche es ihm zu holen, nachdem er getrunken und nach-
dem ich ihn die Straße hinabreiten geſehen erſt, mache
ich meinen Laden zu, und nun ſehe ich mich nach mei-
[ner] geretteten Beute um. Hätte ſich der Rothmantel
auf ſeinem Pferde in die Steigbügel geſtellt, ſo hätte
er meinen Geretteten entdeckt, dieſer küßte mir zitternd
die Hände, und ſagte mit leiſer Stimme: „o mon dieu,
mon dieu!“ ich lachte vor Freuden, aber dann brach ich
in Thränen aus, denn es rührte mich, der Retter eines
Menſchen geworden zu ſein, ſo ohne mich zu beſinnen,
ſo ohne zu wiſſen wie. — Und Du auch! — rührt es
Dich nicht? — freut es Dich nicht, daß es mir gelun-
gen iſt? — mehr als alle Schmeichelreden, die ich Dir
ſagen könnte? — „Sauvez-moi! cachez-moi!“ ſagte er,
„mon père et ma mère prieront pour vous!“ ich faßte
ihn bei der Hand und führte ihn ſchweigend leiſe über
den Hof nach dem Holzſtall: dort unterſuchte ich ſeine
Wunde, das Blut abwaſchen konnte ich nicht, ich hatte
[133] kein Waſſer, holen mochte ich auch keins, der Nachbar
Andree, deſſen Du Dich auch erinnern mußt, war mit
mehreren Freunden auf ſein Obſervatorium geſtiegen
um das Kriegsweſen zu beobachten, er konnte mich be-
merken. Ein einzig Mittel hatte ich erfunden: ich leckte
ihm das Blut ab, — denn es ihm ſo mit Speichel ab-
zuwaſchen, ſchien mir zu unbeſcheiden; er ließ mich ge-
währen, ich zog leiſe und ſanft die anklebenden Haare
zurück, — da flog ein Huhn mit großem Geſchrei vom
oberen Holz herunter, wir hatten es verſcheucht von
dem Ort, wo es ſeine Eier zu legen pflegte, ich kletterte
hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße Haut
legte ich über die Wunde — es mag wohl geheilt ha-
ben, ich will's hoffen! — Nun eilte ich wieder in den
Keller, die eine Schweſter ſchlief, die andere betete vor
Angſt, die Großmutter ſchrieb an einem kleinen Tiſch
bei Licht ihr Teſtament, die Tante hatte den Thee be-
reitet, ich bekam die Schlüſſel zur Speiſekammer, um
Wein und kalte Speiſen zu holen, da dachte ich auch
an den Magen meines armen Gefangenen, und brachte
ihm Wein und Brod. So ging der Tag vorüber und
die Gefahr, der Keller wurde verlaſſen, mein Geheim-
niß fing an mich zu beklemmen; ich beobachtete jeden
Schritt der Hausgenoſſen, der Köchin half ich in der
[134] Küche, ich holte ihr Waſſer und Holz, unter dem Vor-
wand, daß es doch noch gefährlich ſein könne unter
freiem Himmel, ſie ließ ſich's gefallen; — endlich und
endlich kam die Nacht, der Nachbar hatte Rapport ge-
bracht, daß nichts zu fürchten ſei vor der Hand, und
ſo legte man ſich zur Ruhe, deren man ſo ſehr bedurfte.
Ich hatte meine Schlafſtätte im Nebenzimmer der Groß-
mutter, von da konnte ich den Holzſtall, der vom Mond
beſchienen war, beobachten, ich ordnete nun meinen Plan:
für's erſte mußten Kleider geſchafft werden, die den Sol-
daten verläugneten. Wie gut, daß ich die Bibliothek
offen gelaſſen! da oben hing ein Jagdkleid und Mütze
— von welchem Schnitt, ob alt- oder neumodiſch —
wußt' ich nicht. Wie ein Geiſt ſchlich ich auf bloßen
Strümpfen an der Tante Zimmer vorbei, ſchwebend
trug ich's herunter, damit die metallnen Knöpfe nicht
raſſelten, er zog es an, es ſaß wie angegoſſen — Gott
hat es ihm angepaßt! und die Jagdmütze dazu! ich
hatte das Geld, was man mir ſchenkte, immer in das
Kiſſen eines ledernen Seſſels geſteckt, weil ich keine Ge-
legenheit hatte es zu brauchen. Jetzt durchſuchte ich
den Seſſel, und es fand ſich eine ziemliche Baarſchaft
zuſammen, die ich meinem Geretteten als Zehrpfennig
einhändigte. Nun führte ich ihn durch den mondbe-
[135] ſchienenen, blütheduftenden Garten; wir gingen langſa-
men Schrittes Hand in Hand bis hinter die Pappel-
wand, an die Mauer, wo alle Jahr die Nachtigall in
der Roſenhecke ihr Neſt baute, es war grade die Zeit,
was half's — dies Jahr mußte ſie geſtört werden. Da
wollte er mir danken, da nahm er mich auf ſeine Arme
und hob mich hoch, er warf die Mütze ab und legte
den verbundenen Kopf auf meine Bruſt, was hatte ich
zu thun? ich hatte die Arme frei, ich faltete ſie über
ſeinem Kopf zum Gebet; er küßte mich, ſtieg über die
Roſenhecken-Mauer in einen Garten, der zum Main
führte, da konnte er ſich überſetzen, denn es waren
Nachen am Ufer.
Es giebt unerwartete Erfahrungen, die ſind ver-
geſſen, gleich als ob ſie nicht erlebt wären, und erſt
dann wenn ſie wieder aus dem Gedächtnißbrunnen her-
aufſteigen ergiebt ſich ihre Bedeutung — es iſt als ob
eine Lebenserfahrung dazu gehörte, ihre Wichtigkeit
empfinden zu lernen; es ſind andre Begebniſſe, auf die
man mit Begeiſtrung harrt, und die ſchwimmen ſo gleich-
gültig vorüber wie das fließende Waſſer. — Wie Du
mich fragteſt, wer mir den erſten Kuß gegeben habe,
deſſen ich mich deutlich erinnere, da ſchweifte mein Be-
ſinnen hin und her wie ein Weberſchiffchen, bis allmäh-
[136] lig dies Bild des Erretteten lebhaft und deutlich her-
vortrat, und in dieſem Wiederhall des Gefühls erſt
werde ich gewahr, welche tiefe Spuren ſie in mir zurück-
gelaſſen! — So giebt es Gedanken wie Lichtſtrahlen,
die einen Augenblick nur das Gefühl der Helle geben,
und dann verſchwinden, aber ich glaube gewiß, daß ſie
ewig ſind und uns wieder berühren in dem Augenblick,
wo unſere ſittliche Kraft auf die Höhe ſteigt, mit der al-
lein wir ſie zu faſſen vermögen. Ich glaube: mit uns
ſelbſt in's Gericht gehen, oder wenn Du willſt, Krieg
führen mit allen Mächten, iſt das beſte Mittel höherer
Gedanken theilhaftig zu werden. Es giebt eine Art Lum-
pengeſindel auch im Geiſt, das alle Befähigung zur
Inſpiration unterdrückt, und ſich wuchernd ausbreitet;
dahin gehören die Anſprüche aller Art nach außen:
wer etwas von außen erwartet, dem wird es in dem
Innern nicht kommen, aller Reiz der nach Außen zur
Verſündigung wird, kann im Innerſten conzentrirt zur
Tugend werden; — das Gefühl, das ſo wie es ſich mit
der Oberfläche des Lebens berührt, gleich zur Eitelkeit
anſchießt, in der innerſten Seele feſtgehalten, wird ſich zu
einer demüthigen Unterwerfung an die Schönheit aus-
bilden. Und ſo könnte wohl jede Verkehrtheit daher
entſtehen, weil ihr Reiz fehl geht in ſeiner Befriedi-
[137] gung. Alle Anſprüche, aller Reiz, alle Leidenſchaft ſoll
befriedigt werden, aber nur durch das Göttliche, und
ſo nicht der Sklave der Leidenſchaft, ſondern unſerer
höheren Natur werden.
Wenn ich mich über mich ſelbſt ſtelle und über
mein Thun und Treiben, dann kommen mir gleich Ge-
danken von denen empfinde ich ſie haben eine beſtimmte
Beziehung auf eine beſtimmte Erſcheinung in mir, wie
gewiß auch bei den verſchiednen Epochen in dem Pflan-
zenleben die Nahrung eine verſchiedne geiſtige Richtung
annimmt, daß zum Beiſpiel beim Blühen der Nahrungs-
ſtoff, der doch aus denſelben Elementen beſteht, eine in
ſich ſelbſt erhöhte geiſtige Verwandlung vornimmt,
denn er äußert ſich ja nicht mehr blos vegetirend in
dem Leben der Pflanze, ſondern duftend wiſſend in ih-
rem Geiſt. Gedanken dieſer Art beglücken mich, wenn
ich Frieden mit mir ſchließe und den Schlaf gleichſam
annehme als Verſöhnung mit mir ſelbſt; ſo geſtern
Abend fühlte ich vor dem Einſchlafen, als ob mich mein
Inneres in Liebe aufgenommen habe, und da ſchlief ich
die Ruhe bis tief in meine Seele hinein, und wachte
von Zeit zu Zeit auf, und hatte Gedanken. Ich ſchrieb
ſie, ohne ſie weiter zu ſpinnen, oder ihren Gehalt zu
wägen, ja ſelbſt manche, ohne ſie ganz zu verſtehen,
[138] mit Bleiſtift auf — und ſchlief dann gleich wieder fort,
aber bald weckte mich's wieder auf; dieſe Gedanken
waren wie Ausrufungen meiner Seele in der Empfin-
dung von Behagen. Ich will ſie hier abſchreiben, wie
ich ſie nach einander erfahren. Ob ſie Werth und Ge-
halt haben, laſſe ich unberührt, aber immer werden ſie
ein Beweis ſein, daß der Geiſt auch im Schlaf lebendig
wirkt. Ich glaub', daß jede Handlung ihre unendlichen
Folgen hat; daß uns die Wahrheit Genuß gewährt, daß
alſo jeder Genuß eine Wahrheit zum tiefſten Grunde hat,
daß alſo jeder Genuß durch ſeine Wahrh[e]it [legitimirt] iſt.
Ich glaube, daß alle Ahndungen Spiegelungen der
Wahrheit ſind.
Der Geiſt iſt Auge, je ſchärfer er ſieht, je deutlicher
wird die Ahndung, je reiner tritt das Spiegelbild der
Wahrheit in der Empfindung auf. Die Vielheit ſoll
zur Einheit führen, der Spiegel faſſet Alles in einen
Strahl zuſammen.
Das Licht gebärt das allſeitige Leben und Streben
in die Einheit, in das Reich des Göttlichen.
Die Philoſophie iſt Symbol der Leidenſchaft zwi-
ſchen Gott und dem Menſchen.
Die Liebe iſt eine Metamorphoſe der Gottheit.
Jeder Gedanke iſt die Blüthe einer Pflanze; was
[139] iſt dann aber ihre Frucht? — Die Wirkung auf unſer
Inneres iſt ihre Frucht.
Zum Denken des wahren Geiſtes gehört die Un-
ſchuld. Nur mit der unſchuldigen Pſyche beredet ſich
der Geiſt.
Der Geiſt ſtellt die erkrankte Unſchuld her. Die
Frucht des Geiſtes genießen, macht unſchuldig, das iſt
die Wirkung der Frucht.
Das Sinnliche iſt Symbol des Geiſtigen, iſt Spie-
gel einer noch nicht in die geiſtige Erfahrung getretnen
Wahrheit.
Geiſtige Erfahrung iſt gebornes Leben. Wenn wir
Beſitzer der geiſtigen Wahrheit ſind, dann iſt das Sinn-
liche aufgelöſt.
Alles Sinnliche iſt unverſtanden, durch ſein Ver-
ſtehen wird es geiſtig.
Geiſtige Entwicklung macht große Schmerzen, ſie
iſt der Beweis, wie ſehr der Geiſt mit dem Phyſiſchen
zuſammenhängt.
Der Geiſt, der keine Schmerzen macht, iſt Leben
nach der Geburt.
Oft ſtirbt der Geiſt, ſein Tod iſt Sünde. Aber er
erſteht wieder zum Leben; die Auferſtehung von den
Todten macht Schmerzen.
[140]
Der Geiſt iſt ein Zauberer, er kann Alles! wenn
ich mit dem vollen Gefühl der Liebe vor Dich hintrete,
dann biſt Du da.
Was iſt denn Zauberei? die Wahrheit des Gefühls
geltend machen. —
Die Sehnſucht hat allemal Recht, aber der Menſch
verkennt ſie oft.
Der Menſch hat einen ſinnlichen Leib angenom-
men, damit er in ihm zur Wahrheit komme; das Ir-
diſche iſt da, damit ſich in ihm das Göttliche manifeſtire.
Das ganze Wirken der Natur iſt nur ein Trieb,
der Wahrheit nachzugehen.
Die Wahrheit hat keinen Leib, aber das ſinnliche
Leben iſt die Spur ihres Wegs.
Manchmal hab' ich den Trieb, mich von Dir, wie
ich Dich ſinnlich erkenne, abzuwenden, und an das gött-
liche Geheimniß Deines Daſeins zu appeliren, dann
fühl' ich, daß ſich alle verſchiedenen Neigungen in ei-
ner auflöſen.
Gewiß! die Liebe iſt Inſtinkt einer höheren Gemein-
ſchaft, einer göttlichen Natur mit dem Geliebten. Drum
ſchließt Liebe alle verſchiedene Neigungen aus.
Wenn wir erſt wiſſen, daß alle äußeren Augen ein
inneres Auge ſind, das uns ſieht, ſo thun wir Alles
[141] dem inneren Auge zu lieb, denn wir wollen in unſerer
geheimen Handlung der Schönheit geſehen ſein.
Unſer Trieb, ſchön zu handeln, iſt der Trieb, dem
innern Auge wohlgefällig zu erſcheinen. Drum iſt der
Trieb nach Anerkenntniß, nach Ruhm, eine verkehrte
Befriedigung dieſer angebornen, unvertilgbaren Neigung,
weil ihr Urſprung göttlich iſt. — Was haben wir von
allem äußeren Glanz, von dem Gaukelſpiel des Beifalls
einer unwiſſenden Menge, wenn wir vor dem Auge des
inneren Genius nicht beſtehen, wenn unſere Schönheit
vor ihm zer[r]üttet iſt! ich will nur für meine Schönheit
leben, ich will nur ihr huldigen, denn ſie iſt der Ge-
liebten ſelbſt. —
Wenn wir den Blick des inneren Auges umſchrei-
ben, ſo haben wir die Kunſt und das Wiſſen.
Alles Wiſſen ſoll ſich zur Kunſt erheben, es ſoll
eben ſo unſchuldig die Wahrheit nachahmen wie die
bildende Kunſt, und ſo wird ſie ein Spiegel der Wahr-
heit, ein Bild, in dem wir ſie erkennen.
Denken iſt ein unmittelbares Nachahmen der Wahr-
heit es iſt nicht ſie ſelbſt, ſie hat keinen Leib, ſie hat
nur eine Erſcheinung.
Suche nur die Wahrheit in Deinem Innern, ſo
[142] haſt Du den Vortheil, ſie zu finden und Dich zugleich
in ſie aufzulöſen.
In Deinem Innern wirſt Du ein lebendiges Bewe-
gen wahrnehmen, wie das Bewegen des Waſſers, es
iſt nichts als ein Bewegen, ſich in die Wahrheit auf-
zulöſen.
Alles Leben löſ't ſich in eine höhere Wahrheit auf,
geht in eine höhere Wahrheit über, wär' es anders, ſo
wär' es Sterben.
Schönheit iſt eine Auflöſung der ſinnlichen An-
ſchauung in eine höhere Wahrheit; Schönheit ſtirbt
nicht, ſie iſt Geiſt.
Alle Disharmonie iſt Unwahrheit. —
Wenn Du ſchlafen willſt, ſo ergieb Dich Deinem
innern Mond. Schlaf' in dem Mondlicht Deiner Na-
tur! Ich glaub', das erzieht und nährt Deinen inneren
Menſchen, wie das Mondlicht den Geiſt der Pflanze
ernährt und befördert.
Wer von ſelbſt ſeinen Geiſt der Natur unterwirft,
für den giebt es keinen Tod.
Der Geiſt muß ſo mächtig werden, daß er den Tod
des Leibes nicht empfindet.
Der Geiſt braucht nicht zu denken, und kann doch
mächtig ſein, blos durch die Reinheit des Willens.
[143]
In allem nur ſich ſehen, und gegen ſich den rein-
ſten Willen haben, dann iſt der Geiſt mächtig.
Auch der ſinnliche Schlaf ſoll ſo genoſſen werden,
daß er ein geiſtiger Balſam ſei.
Vielleicht vererben ſich die geiſtigen Reichthümer
wie die irdiſchen, vielleicht vertheilen die Geiſter ihre
Fähigkeiten auf ihre Nachkommen! „Ich erkenne an
dem Gedanken, weß Geiſtes Kind du biſt.“ Dies Sprüch-
wort beurkundet meine Bemerkung.
Wachſen iſt das Gefühl, daß das Uranfänglichſte
zu ſeinem Urſprung in die Ewigkeit dringt.
Der Genius allein kann die verletzte Unſchuld her-
ſtellen. O komm Genius, und befriede Dich mit mir!
Hier übermannte mich ein tieferer Schlaf. — Am
Morgen fand ich mein beſchriebenes Papier, ich erin-
nerte mich ſeiner kaum, aber ſehr deutlich erinnerte ich
mich des Behagens in der Nacht, und daß es eine Em-
pfindung war, wie dem Kind in der Wiege das Schau-
keln ſein muß, und ich dachte, daß ich oft ſo träumen
möchte. —
Nun will ich Dir auch gleich die Geſchichte meines
zweiten Kuſſes erzählen; er folgte beinah unmittelbar
auf den erſten, und was denkſt Du von Deinem Mäd-
chen, daß es ſo leichtfertig geworden! ja diesmal wurde
[144] ich leicht fertig, und zwar mit einem Freund von Dir. —
Es klingelt, haſtig ſpringe ich an die Hausthür, um zu
öffnen; ein Mann in ſchwarzer Kleidung, ernſten An-
ſehens, etwas erhitzten Augen, tritt ein, — noch ehe er
ſeinen Namen genannt, oder geſagt, was ſein Verlan-
gen iſt, küßt er mich; noch ehe ich mich beſinnen konnte,
geb' ich ihm eine Ohrfeige, und dann erſt ſeh' ich ihm
ergrimmt in's Antlitz und erkenne ein freundliches Ge-
ſicht, das gar nicht erſchreckt und nicht erbittert über
mein Verfahren zu ſein ſcheint; um meiner Verlegenheit
zu entgehen — denn ich wußte nicht ob ich Recht oder
Unrecht gethan hatte — öffne ich ihm raſch die Thüren
zu den Zimmern der Großmutter. Da war nun meine
Überraſchung bald in Schrecken umgewandelt, da dieſe
mit der höchſten Begeiſtrung ausrief, einmal über das
andre: „Iſt es möglich? Herder, mein Herder! daß Euer
Weg Euch zu dieſer Grillenhütte führt? — ſeid tauſend-
mal umarmt, und hier folgten dieſe tauſend Umarmun-
gen, während denen ich mich leiſe davonſchlich und
wünſchte, es möge in dieſem Schwall von Liebkoſungen
die eine untergehen, die ihm mit einer Ohrfeige war
beantwortet worden. Allein, dem nicht ſo, er vergaß
weder Kuß noch Ohrfeige, er ſchielte an das Herz der
Großmutter von ihren umfaſſenden Armen gefeſſelt über
ihre
[145] ihre Achſel hinaus, nach der Enkelin und machte ihr
einen bittenden Vorwurf. Ich verſtand ihn ſogleich,
und machte mich ihm auch verſtändlich, er ſolle mich
nicht verklagen ſonſt wolle ich mich rächen, und ſchlich
hinter die Vorzimmer. Allein Herder hatte keine An-
dacht mehr für die Großmutter, für ihre ſchönen Erin-
nerungen aus der Schweiz, für ihre Mittheilungen aus
den Briefen von Julie Bondeli, für ihre Schmeichelre-
den und begeiſterte Lobſprüche, für ihre Reden von ge-
lehrten Dingen. Er fragte, ob ſie ihm nicht ihre En-
kelkinder wolle zeigen? ſo wurden wir ihm denn alle
drei feierlich vorgeführt und von der Großmutter zugleich
belehrt, wie glücklich wir ſeien, ihn zu ſehen und von
ihm geſegnet zu ſein. Er war auch gar nicht faul,
ging raſch auf mich zu, legte mir die Hand auf den
Kopf unter welcher ich ihn drohend anſah, und ſagte
langſam und feierlich: „dieſe da ſcheint ſehr ſelbſtſtän-
dig, wenn Gott ihr dieſe Gabe als eine Waffe für ihr
Glück zugetheilt hat ſo möge ſie ſich ihrer ungefährdet
bedienen, daß alle ſich ihrem kühnen Willen fügen, und
niemand ihren Sinn zu brechen gedenke.“ Ziemlich
verwundert war die Großmutter über dieſen wunderli-
chen Segen, noch mehr aber, daß er die Schweſtern
nicht ſegnete, die doch ihre Lieblinge waren. Wir wur-
Tagebuch. 7
[146] den entlaſſen und gingen in den Garten; — wir tru-
gen damals breite Schärpen von blau und weiß ge-
flammter Seide, auf dem Rücken waren ſie in Schleifen
gebunden, die in der vollen Breite, welche wohl eine
Elle betrug, ausgebreitet waren, ſo daß ſie gleichſam
Schmetterlingsflügel bildeten. Während ich in meinem
Blumenbeet arbeitete, haſchte mich Einer an dieſen Flü-
geln; es war Herder, „ſiehſt du, kleine Pſyche,“ ſagte
er, „mit den Flügeln genießt man wohl die Freiheit,
wenn man ſie zu rechter Zeit zu brauchen weiß, aber
an den Flügeln wird man auch gefangen, und was
giebſt du, daß ich dich wieder los laſſe?“ — er ver-
langte einen Kuß, ich verneigte mich und küßte ihn,
ohne das Geringſte einzuwenden.
Der Kuß des geretteten Franzoſen war ganz im
Einverſtändniß meiner Empfindung, ich kam ihm auf
halbem Weg entgegen, und doch war er unmittelbar
darauf vergeſſen, und jetzt erſt, nach ſechs Jahren,
tauchte er aus meiner Erinnerung auf, als eine neue
Erſcheinung. Herder's Kuß war von meiner Seite ganz
willenlos oder eher unwillig angenommen, und doch
hab' ich ihn nicht vergeſſen; ich konnte in erſter Zeit
den Eindruck nicht verwinden, er verfolgte mich im
Traum; bald war mir's, als habe ich wider meinen
[147] Willen etwas weggeſchenkt, bald überraſchte es mich,
daß dieſer große bedeutende Mann mich ſo dringend
aufgefordert hatte ihn zu küſſen, dies war mir eine
räthſelhafte Erfahrung. Herder ſah mich ſo feierlich
an, nachdem er mich geküßt hatte, daß mich ein Schauer
befiel; der räthſelhafte Name Pſyche, deſſen Bedeutung
ich nicht verſtand, verſöhnte mich einigermaßen mit ihm
und wie denn manches Zufällige, was vielen unſcheinbar
vorüberſchweift, einen tief rührt und eine währende Be-
deutung für ihn gewinnt, ſo war mir dies unbegriffne
Wort Pſyche ein Talisman, der mich einer unſichtbaren
Welt zuführte, in der ich mich unter dieſem Namen be-
griffen dachte.
So lehrte mir Amor das A B C, und in meiner
Geisblattlaube in der die Spinnen rund um mich her
dem beflügelten Inſektenvolk Netze ſtellten, ſeufzte die
kleine beflügelte Pſyche über dieſer problematiſchen Lection.
Ach Herr! — im Anfang des Jahres iſt die Sonne
mild ſie ſchmeichelt den jungen Trieben, dann ſpaltet ſie
die Keime und wird immer dringender, die geöffnete
Knoſpe kann ſich nicht wieder in die kühle Kammer be-
wußtloſer Dunkelheit verſchließen, ihre Blüthe fällt dem
glühenden Strahl, der ſie erſt lockte als Opfer.
[148]
Dritter Kuß.
Der blinde Herzog von Aremberg, der ſchöne, deſ-
ſen Zügen die geheiligte Würde der Legitimität aufge-
prägt war, wollte gegen meinen Willen mir dieſen Kuß
geben, ich aber war wie die ſchwankende Blume im
Winde, die der Schmetterling vergeblich umtanzt. Laß
Dir's erzählen und ausmalen mit dieſen bunten Farben
aus dem Muſchelkaſten des Kindes, mit denen ich da-
mals noch meine Welt ausmalte, und ſie verſtand, und
Du wirſt ſie auch verſtehen und Dich freuen, daß Du
mit mir in den Spiegel ſiehſt, in dem ich mich erkenne
und den Genius, der mich zu Dir lenkt.
Er war ſchön der Herzog! — ſchön für das groß-
gewölbte Kinderauge, das noch kein Menſchenantlitz er-
blickt hatte, deſſen Züge Geiſt ausſtrömten. Wenn er
ſtundenlang bei der Großmutter ſaß und ſich von ihr
erzählen ließ ſtand ich neben ihm und ſtarrte ihn an;
ich war in Betrachtung dieſer reinen erhabenen Züge
verſunken, die dem gewöhnlichen Menſchen nie geſchenkt
werden.
Die reine, ſtarke Stirn, deren Mitte eine Feuerſtelle
hatte für den göttlichen Brand des Zorns, dieſe Naſe,
höher, kühner, trotzbietender als ſein ſchauerliches Schick-
ſal, dieſe feinen feuchten Lippen, die mehr als alles an-
[149] dre, Befehl und Herrſcherwürde ausſprachen, die Luft
tranken und ausſeufzten die tiefſte Melancholie, dieſe
feinen Schläfe, ſich an den Wangen niederſchmiegend
zum aufgeworfnen Kinn, wie der metallne Helm der
Minerva! — Laß mich malen Goethe, aus meinem
kleinen Muſchelkaſten, es wird ſo ſchön! ſieh ſie an, die
grellen abſtechenden Farben, die der philoſophiſche Ma-
ler vermeidet, aber ich, das Kind, ich male ſo; und
Du, der dem Kinde lächelt wie den Sternen, und in
deſſen Begeiſtrung Kindereinfalt ſich miſcht mit dem
Seherblick des Weiſen, freue Dich der grellen bunten
Farben meiner Phantaſie.
So war er, der ſchöne, blinde Herzog, ſo iſt er
noch jetzt in dem Zauberſpiegel der Erinnerung, der alle
Bilder meiner Kindheit gefeſſelt hält, der ſie in Perlen
reiht und Dir als Opfer zu Füßen legt; ſo war ſeine
Geſtalt oft niedergebeugt im Schmerz um die erblindete
Jugend, dann ſtolz erſtreckt, ſich aufrichtend, heiter ver-
ächtlich ironiſch lächelnd, wenn er die tief verſunknen
Augenſterne gegen das Licht wendete. Da ſtand ich
und ſtarrte ihn an, wie der Schäferknabe tief vergeſſen
ſeiner Heerde und ſeines Hundes, den an den einſamen
Felſen geſchmiedeten, von der abgewendeten Welt un-
beklagten Prometheus anſtarrt; da ſtand ich und ſaugte
[150] den reinen Thau, den die tragiſche Muſe aus ihrer
Urne ſprengt, um den Staub der Gemeinheit zu däm-
pfen, indem ich in tiefer, bewußtloſer Betrachtung über
ihn verſunken war. — Es war in ſeinem zwanzigſten
Jahr, im tollen, glühenden Übermuth der Jugend, im
Gefühl ſeiner überwiegenden Schönheit, und im gehei-
men Bewußtſein alles deſſen, was dieſer zu Gebot ſtand,
daß er am Tag der Jagd über die gedeckte Tafel ſprang,
mit ſeinen Sporn das Tiſchzeug mit Service und Pracht-
aufſatz auf die Erde riß und am Boden zerſchmetterte,
um ſeinem liebſten Freund an den Hals zu ſpringen,
zu umarmen, mit ihm tauſend Abentheuer zu beſprechen.
Sie theilten ſich auf der Jagd, und der erſte Schuß,
den der Freund that, war in beide Augenſterne des
Herzogs.
Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum
Bewußtſein über ſein Unglück gekommen; ſo wie ich ihn
ſah, erſchien er mir ganz zu ſich und ſeinem Schickſal
ſich verhaltend, ohne Mangel, wenn ich andre hörte ſa-
gen: „wie ſchade, wie traurig, daß der Herzog blind
iſt!“ ſo fühlte ich's nicht mit, im Gegentheil dachte ich;
„wie ſchade, daß ihr nicht alle blind ſeid, um die Ge-
meinheit eurer Züge nicht mit dieſen vergleichen zu dür-
fen!“ Ja Goethe! Schönheit iſt ja das ſehende Aug'
[151] Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenſtand es mit
Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der
Herzog auch nicht geſehen habe, — er war dem göttli-
chen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war
allemal nicht das bitterſte Schickſal.
Wenn ich ſo neben ihm ſtand und in Gedanken
verſunken mit ihm ſeufzte da fragte er: qui est là? —
Bettine! „Amie viens que je touche tes traits, pour les
apprendre par coeur!“ und ſo nahm er mich auf den
Schooß, und fuhr mit dem Zeigfinger über meine Stirn,
Naſe und Lippen, und ſagte mir Schönes über meine
Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er ſie ſe-
hen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt
nach Offenbach zur Großmutter, ich ſaß neben ihm, er
fragte, ob wir noch in der Stadt ſeien, ob Häuſer da
ſeien und Menſchen? — ich verneinte es, wir waren
auf dem Land, da verwandelte ſich plötzlich ſein Ge-
ſicht, er griff nach mir, er wollte mich an's Herz ziehen,
ich erſchrack; ſchnell wie der Blitz hatte ich mich den
Schlingen ſeiner Arme entzogen und duckte nieder in
der Ecke des Wagens; er ſuchte mich, ich lachte heim-
lich, daß er mich nicht fand, da ſagte er: „Ton
coeur est-il si méchant pour mépriser, pour se jouer
d'un pauvre aveugle?“ da fürchtete ich mich der Sünde
[152] meines Muthwillens, ich ſetzte mich wieder an ſeine
Seite und ließ ihn gewähren, mich an ſich ziehen, mich
heftig an ſein Herz drücken, nur mit dem Geſicht beugte
ich aus und gab ihm die Wange wenn er nach dem
Mund ſuchte. Er fragte, ob ich einen Beichtvater
habe? — ob ich dieſem erzählen werde, daß er mich ge-
küßt habe. Ich ſagte naiv ſchalkhaft: wenn er glaube,
daß dies dem Beichtvater Vergnügen machen werde, ſo
wolle ich's ihm erzählen. „Non, mon amie, cela ne lui
plaira pas, il n'en faut rien dire, cela ne lui plaira abso-
lument pas, n'en dites rien à personne.“ In Offenbach
erzählte ich's der Großmutter, die ſah mich an und
ſagte: „mein Kind! ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ — Im Nachhauſefahren fragte er, ob ich
der Großmutter geſagt habe, daß er mich geküßt habe;
ich ſagte „ja.“ Nun, war die Großmutter bös? —
„Nein,“ „et bien? est ce qu'elle n'a rien dit?“ —
„oui!“ — „et quoi?“ — „ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ „O oui!“ rief er, „elle a bien raison! ein
blinder Mann, ein armer Mann!“ und ſo rief er ein-
mal ums andre: „ein blinder Mann, ein armer
Mann!“ bis er endlich in einen lauten Schrei der
Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durch's Herz
drang, aber meine Augen blieben trocken, während ſei-
[153] nen erſtorbenen, Thränen entfielen. Dem Herzog iſt
ſeit dem ein feierliches Monument in meinem Herzen
errichtet.
Wir hatten einen ſchönen Garten am Haus, Eben-
maaß und Reinlichkeit war ſeine Hauptzierde, an bei-
den Seiten liefen Spaliere hin mit ausländiſchen Frucht-
bäumen, im mitten Gang ſtanden dieſe Bäume ſo edel,
ſo hoch, ſo frei von jedem Fehl, ſie hingen ihre ſchlan-
ken Äſte ſchwertragend im Herbſt an den Boden, es
war ſo ſtill in dieſem Garten wie in einem Tempel, im
Eingang waren auf beiden Seiten zwei gleichmäßige
Teiche, in deren Mitte Blumeninſeln waren, hohe Pap-
peln begränzten ihn und vermittelten die Nachbarſchaft
zu den Bäumen in den angränzenden Gärten. Denke
doch wie es mir da erging, wie da alles ſo einfach war
und wie ich Deiner bewußt ward.
Warum wühlt's mir im Herzen wenn ich mich dran
erinnere, daß die Blüthenkätzchen von den Pappeln,
und dieſe braunen klebrigen Schaalen von den Knoſpen
mich beregneten, wie ich da ſo ſtill in der Mittagsſtunde
ſaß und dem Streben der jungen Weinranken nachſpührte,
7**
[154] wie die Sonnenſtrahlen mich umwebten, die Bienen mich
umſummten, die Käfer hin- und herſchwirrten, die Spinne
ihr Netz in's Gitter der Laube hing. — In ſolcher Stunde
bin ich Deiner zum erſtenmal inne geworden. — Da
lauſchte ich, da hörte ich in der Ferne den Lärm der
Welt, da dachte ich: du biſt außer dieſer Welt, aber
mit wem biſt Du? — Wer iſt bei dir? — Da beſann
ich mich auf nah und fern, da war nichts was mir an-
gehörte. Da konnte ich nichts erfaſſen, mir nichts den-
ken was mein ſein könne. Da trat zufällig, oder war's
in den Wolken geſchrieben, Deine Geſtalt hervor; ich
hatte von Dir nichts weiter gehört als Tadel, man hatte
in meiner Gegenwart geſagt: Goethe iſt nicht mehr ſo
wie ſonſt, er iſt ſtolz und hochmüthig, er kennt die al-
ten Freunde nicht mehr, ſeine Schönheit hat gewaltig
abgenommen, und er ſieht nicht mehr ſo edel aus wie
ſonſt; noch manches wurde von der Tante und Groß-
mutter über Dich geſprochen, was zu Deinem Nachtheil
war. Ich hatte es nur im Vergeſſen angehört, denn
ich wußte nicht wer Du ſeiſt. — Jetzt in dieſer Ein-
ſamkeit und abgeſchloſſnen Stille unter den Bäumen
die eben blühen wollten, da kamen dieſe Reden mir
wieder in's Gedächtniß; da ſah ich im Geiſt wie die
Menſchen, die über Dich urtheilen wollten, Unrecht hat-
[155] ten, ich ſagte zu mir ſelbſt: Nein! er iſt nicht unſchön,
er iſt ganz edel, er iſt nicht übermüthig gegen mich.
Trotzig iſt er nur gegen die Welt, die da draußen lärmt,
aber mir, die freundlich von ihm denkt iſt er gewogen
und zugleich fühlte ich als ob Du mir gut ſeiſt und ich
dachte mich von Deinem Arm umfaßt, und getrennt
durch Dich von der ganzen Welt, und im Herzen ſpürte
ich Dir nach, und führte freundliche Geſpräche in Ge-
danken mit Dir, da kam nachher meine Eiferſucht wenn
man von Dir ſprach oder Deinen Namen ſagte, es war
als habe man Dich aus meiner Bruſt gerufen. Vergeſſe
nicht Goethe, wie ich Dich lieben lernte, daß ich nichts
von Dir wußte als daß man Dich in meiner Gegen-
wart böslich erwähnt hatte; die Tante ſprach von Dei-
ner Freigeiſterei und daß Du nicht an den Teufel glaubſt
ich glaubte auf der Stelle auch nicht an den Teufel,
und war ganz Dein und liebte Dich, ohne zu wiſſen,
daß Du der Dichter ſeiſt von dem die Welt ſo Großes
ſpreche und erwarte, das kam alles ſpäter; damals
wußt' ich nur, daß die Leute Dich tadelten und mein
Herz ſagte: Nein, er iſt größer und ſchöner als Alle,
und da liebte ich Dich mit heißer Liebe bis auf heut
und trotzte der ganzen Welt bis auf heut und wer über
Dich ſprach von dem wendete ich mich ab, ich konnte
[156] es nicht anhören. Wie ich aber endlich Deine Herrlich-
keit faſſen ſollte, da dehnten mir große Schmerzen die
Bruſt aus, ich legte in Thränen mein Angeſicht auf das
erſte Buch was ich von Dir in Händen bekam, es war
der Meiſter, mein Bruder Clemens hatte es mir ge-
bracht. Wie ich allein war da ſchlug ich das Buch auf,
da las ich Deinen Namen gedruckt, den ſah ich an als
wie Dich ſelber. Dort auf der Raſenbank wo ich we-
nig Tage vorher zum erſtenmal Deiner gedachte und
Dich im Herzen in Schutz nahm, da ſtrömte mir eine
von Dir geſchaffne Welt entgegen, bald fand ich die
Mignon wie ſie mit dem Freund redet, wie er ſich ih-
rer annimmt, da fühlt ich Deine Gegenwart, ich legte
die Hand auf das Buch und es war mir in Gedanken
als ſtehe ich vor Dir und berühre Deine Hand, es war
immer ſo ſtill und feierlich wenn ich allein mit dem
Buch war, und nun gingen die Tage vorüber und ich
blieb Dir treu, ich hab' an nichts anders mehr gedacht
womit ich mir die Zeit ausfüllen ſolle. Deine Lieder waren
die erſten, die ich kennen lernte, o wie reichlich haſt Du
mich beſchenkt für dieſe Neigung zu Dir, wie war ich
erſtaunt und ergriffen von der Schönheit des Klangs,
und der Inhalt, den ich damals nicht gleich faſſen
konnte, wie ich den allmählig verſtehen lernte was hat
[157] dies alles in mir angeregt, was hab ich erfahren und
genoſſen, und welche Geſchicke hab' ich erlebt, wie oft
hat Eiferſucht gegen dieſe Lieder mich erregt, und in
manchen da fühlte ich mich beſungen und beglückt. —
Ja warum ſollte ich mich nicht glücklich träumen? —
welche höhere Wirklichkeit giebt es denn als der Traum?
— Du wirſt nie im Schooß des erſehnten Glückes fin-
den was Du von ihm geträumt hatteſt. — Jahre ge-
hen dahin, daß einer dem andern ſich nahe wähnt, und
doch wird ſich nie die eigenthümliche Natur an's Licht
wagen, der erſte Augenblick freier unbedingter Bewegung
trennt Freundſchaft und Liebe. Die ewige unverſiegbare
Quelle der Liebe iſt ja eben daß ſie Geheimniſſe in ihren kla-
ren Wellen führt. Das Unendliche, der Sehnſucht begehr-
liche des Geiſtes iſt aber, daß er ewige Räthſel darlege.
Drum mein Freund, träume ich, und keine Lehren der
Weisheit gehen ſo tief in mich ein und begeiſtern mich
zu immer neuen Anſchauungen wie dieſe Träume, denn
ſie ſind nicht gebaut auf Mißverſtändniſſe ſondern auf
das heilige Bedürfniß der Liebe. — Mein erſtes Leſen
Deiner Bücher! ich verſtand ſie nicht, aber der Klang,
der Rythmus, die Wahl der Worte, denen Du Deinen
Geiſt vertrauteſt, die riſſen mich hin ohne daß ich den
Inhalt begriff, ja ich möchte ſagen, daß ich viel zu tief
[158] mit Dir beſchäftigt war als daß die Geſchichte Deiner
Dichtungen ſich hätte zwiſchen uns drängen können;
ach es hatte mir niemand von Dir geſagt er iſt der
größte, der einzige Menſch unter allen, ich mußte es
alles ſelbſt erfahren wie ich Deine Bücher allmählig
verſtehen lernte, wie oft fühlte ich mich beſchämt durch
dieſe machtausübenden Begeiſtrungen, da ſtand ich und
redete im Spiegel mit mir: „Er weiß von Dir nichts,
in dieſer Stunde läuten ihm andere Glocken, die ihn
da- und dorthin rufen, er iſt heiter, der Gegenwärtige
iſt ihm der Liebſte, armes Kind! dich nennt ſein Herz
nicht,“ da floſſen meine Thränen, da hab ich mich ge-
tröſtet, und hatte Ehrfurcht vor dieſer Liebe als vor et-
was ganz Erhabnem. Ja es iſt wahr, es iſt ein höhe-
rer Menſch innewohnend, dem ſollen wir immer nach-
gehen, ſeinem Willen Folge leiſtend und keinem andern
ſollen wir Altäre bauen und Opfer bringen, nichts ſoll
außer ihm geſchehen, wir ſollen von keinem Glück wiſ-
ſen als nur in ihm.
So hab ich Dich geliebt indem ich dieſer inneren
Stimme willfahrte, blind war ich und taub für alles,
kein Frühlingsfeſt und kein Winterfeſt feierte ich mit,
auf Deine Bücher, die ich immer leſen wollte, legte ich
den Kopf und ſchloß mit meinen Armen einen Kreis um
[159] ſie und ſo ſchlief ich einen ſüßen Schlaf, während die
Geſchwiſter in ſchönen Kleidern die Bälle beſuchten, und
ich ſehnte mich immer früher zum ſchlafen zu kommen,
blos um da zu ſein wo ich Dir näher war. So ging
die Zeit zwiſchen ſechszehn und achtzehn Jahren hin,
dann kam ich zu Deiner Mutter, mit der ich von Dir
ſprach als ob Du mitten unter uns ſeiſt, dann kam ich
zu Dir und ſeit dem weißt Du ja, daß ich nie aufge-
hört habe mit Dir innerhalb dieſes Kreiſes zu wohnen,
den ein mächtiger Zauber um uns zieht. Und Du weißt
von da an alles was in meinem Herzen und Geiſt vor-
geht, drum kann ich Dir nichts anders mehr ſagen als
zieh' mich an Dein Herz und bewahr mich an demſel-
ben Dein Lebe[n] lang.
Gute Nacht, morgen reiſe ich in die Wetterau.
Reiſe in die Wetterau.
Wie es hier ausſieht, das muß ich Dir beſchreiben.
Eine weite Ebne, lauter Korn, von allen Seiten, als
wär' die Erde ein runder Teller, aber doch mit einem
Rand, denn ſanft ſchwillt die Fläche in die Runde bergan,
[160] abwechſelnd umkränzt von Wald und Berggipfeln.
Da ſtehe ich in der Mitte im wogenden Korn! hätte
ich Pfeil und Bogen und ſchöſſe nach allen Richtungen
vom Mittelpunkt aus, ſo würde mein Pfeil einer alten
Burg zu fliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo
eine auftaugt, da wandre ich hin; da hab' ich manchen
Graben zu überſpringen, manch Waſſer zu durchwaten,
Wälder zu durchkreuzen, ſteile Klippen zu erklettern;
wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüſteneien und
ſchwindelhohe Felswände, ſo wär' ich der kühnſte Aben-
theurer. — An jeder alten Ruine ein kleines Schwal-
benneſt von Menſchenwohnung angemörtelt, wo wun-
derliche ſteinalte Leute wohnen, abgelöſt von den mei-
ſten Beziehungen mit ihres Gleichen, und doch mit ei-
nem herzrührenden wolkendurchblitz[t]en Blick verſehen. —
Geſtern gingen wir wohl eine gute Stunde durch ſchön
geordnete Traubengänge, bis wir an die ſteile Höhe ka-
men, wo die Feſtungsmauern beginnen, und das Hinan-
ſteigen nur durch Geübtheit oder Kunſtſprünge erleich-
tert wird. Da oben haben ſich ein paar mitleidige
Birnbäume erhalten, und Eichen mit großem breitem
Laubdach, und eine Linde im ſchwimmenden, heißen
Dampf ihrer Blüthe. Mitten in dieſer ehrwürdigen Ge-
ſellſchaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf ſpärlichem
[161] Raſen ein alter Mann mit ſilbernem Haar und ſchlief.
Das unreife Obſt, was von den Bäumen gefallen war,
lag geſammelt an ſeiner Seite, ſeinen Händen war
wahrſcheinlich das daneben liegende, ſehr zerleſene, offene
Geſangbuch entfallen, auf das ein ſchwarzer Hund mit
glühenden Augen die Schnautze gelegt hatte; er machte
Miene zu bellen, allein um ſeinen Herrn nicht zu wek-
ken, hielt er an ſich, wir auch gingen im weiteren Kreiſe
um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß
wir keine böſe Abſicht hatten. Aus dem Speiſekorb
nahm ich ein weißes Brod und Wein, ich wagte mich
ſo nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann
ging ich nach der andern Seite und überſah mir das
Thal; es war geziert mit Silberbändern, die in's Kreuz
die grünen Matten einſchnürten, der ſchwarze Wald
umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die
Heerden wandelten über die Wieſen, die Wolkenheerde
zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchſchimmert,
und ließ die blaſſe Mondesſichel allein ſtehen, dort über
dem ſchwarzen Tannenhorſt; ſo umwandelte ich rund
meine Burg und ſah hinab und hinauf, überall wun-
derliche Bilder, hörte ſchwermüthige Töne, und fühlte
leiſes, ſchauerliches Athmen der Natur, ſie ſeufzte, ſie
umſchmeichelte mich wehmüthig, als wolle ſie ſagen:
[162] „weine mit mir!“ — Ach, was ſteht in meiner Macht?
— was kann ich ihr geben!
Da ich zurückkehrte, ſah ich im Vorübergehen den
Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht
vor ihm ſaß und ihm in den Mund ſah, das weiße
Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt hatte.
Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als
Gegenſtück eine alte Frau, umgeben von drei blonden
Enkelengels-Köpfchen, wovon das älteſte drei Jahr und
das jüngſte ſechs Monat iſt. Sie iſt nah an ſiebenzig
Jahr und geht an Krücken; im vorigen Jahr war ſie
noch rüſtig, erzählte ſie, und hatte vom Schulmeiſter
den Dienſt, die Glocken zu läuten, weil die Kirche hö-
her lag wie das Dorf, und näher an der alten Burg-
ruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kal-
ten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen
und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, — er
war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht
brachte, ging ſie hinab in den Wald, um ihn noch ein-
mal zu ſehen, und da fiel ſie zuſammen und erlahmte,
man mußte ſie wieder die ſteilſte Anhöhe hinauftragen,
von der ſie nun nicht wieder herabkommt. „Ich ſehe
[163] alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer-
den und das freut mich,“ ſagte ſie, „ich habe Friede
geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal,
der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi-
bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, —
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht
den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und
trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über
die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher
Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen
uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der
grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße,
die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift,
wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht,
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch
bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das
iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels-
ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen
enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver-
ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom
heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde
[164] verſtehen; — ich erkenne gleich in jedes Menſchen Herz,
was ihn ſticht und was ihn brennt, und weiß auch,
wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja ich muß noch
täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren
iſt, aber weil ich weiß, daß er die irdiſche Straße zu-
rückgelegt hat, ſo hab' ich nichts dawider, ich leſe auch
täglich in dieſem Buch, da ſtehen dieſe großen Wahr-
heiten alle geſchrieben.“ Sie gab uns einen alten Ge-
ſang zu leſen: „O Herr! du führſt mich dunkle Wege,
am Ende aber ſeh ich Licht;“ in dieſem ſtand zwar
nichts von dem, was ſie uns mitgetheilt hatte, als nur
einzelne Hauptworte.
Im Nachhauſegehen vertrieben uns die Gießener
Studenten die Grillen, ſie hatten ſich am Abhang des
Berges in großen Weinlauben gelagert, ſie ſangen, ſie
jauchzten, Gläſer und Flaſchen flogen hinab, ſie tanz-
ten, walzten und wälzten ſich den Berg hinunter und
durchſchallten das Thal mit ihrem grauſamen Gebrüll.
Die Ammenburg.
So nenne ich die kleine Wohnung, die grade ſo
groß iſt, den einfachſten Bedürfniſſen eines einzelnen
Menſchen in ſchöner wohlthuender Ordnung zu genügen,
ſie iſt mit rothen Steinen oben auf eine mit ſammtnen
[165] Raſen begleitete, kegelrunde Bergkuppe aufgemauert.
Vor drei Jahren ſtand ſie noch nicht hier, da war die
Liebe der einzige Schutz gegen Wind und Wetter, da
kamen ſie häufig zuſammen vom Frühling bis zum
Herbſt, von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang
lagen ſie vom Mond belacht auf Blumenraſen zwiſchen
ſilbernen Bergquellen, im Winter rief ihn die Kriegs-
trompete, Armide blieb allein, aber nicht lange, da kam
Amor das Kind, ſie legte ihn in die Wiege, ſie nährte
es mit der Milch ihrer Brüſte und noch ein anderes
dazu. Für den Ammenlohn kaufte ſie ſich dieſen Fleck
und baute das kleine Haus und wohnt jetzt mit ihrem
goldlockigen Bübchen hier oben, wo ſie weit durch's
Thal in die Ferne ſieht und bei Windſtille auch hören
kann, wenn die Trommel ſich rührt oder die Trompete
zwiſchen den Felswänden ſchmettert. Vielleicht kehrt
er zurück, und erkennt an dem luſtigen, buntbemalten
Schornſtein, der auf das Häuschen aufgepflanzt iſt, daß
das freudige Liebesglück nicht in Reue zerſchmolzen iſt.
Heute zogen wir nach einer andern Burg. Sie
liegt vier Meilen entfernt, ihre ſtolzen, wohlerhaltnen
Thürme ſtreckt ſie gen Himmel, als ob ſie ſie zum
[166] Schwur empor hebe; man ſieht ſie ſchon von mehreren
Meilen, jede Viertelſtunde macht ſie eine andre Miene,
bald treten Wälder hervor, die ſie umkleiden, bald
weiche Hügel, oft auch ſchwimmen Dörfer in den frucht-
reichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewan-
des, die aber bald in ſeinen Falten wieder verſinken. Wir
waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im
Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt,
das hielt unſere Reiſe auf. Da wir ankamen ſtieg der
Mond zwiſchen beiden Thürme herauf, wir aber ritten
im finſtern Thal durch die kleine Stadt mit holperigen
Straßen; in einer großen Eiſengießerei übernachteten
wir. Am Morgen, vor Tag eilte ich hinaus, ich wollte
meine Schöne, die Natur, noch mit verſchloſſnen Augen
überraſchen, ich wollte ſehen, wie ſie auf dieſer Seite, in
dieſer ſüßen Lage ſich ausnähme. O Freund, alle Blumen-
kelche voll Thauſpiegel, ein Gräschen malt ſich im Per-
lenſchmuck des andern, ein Blümchen trinkt ſein Bild
aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! — und Dein
Geiſt, der erquickende, was kann er mehr ſein, was
kann er anders ſein als reiner Himmelsthau, in dem
ſich alles in reinſter Urſchönheit ſpiegelt; Spiegel! —
tiefe weisheitsvolle Erkenntniß iſt dein Geiſt, in dem
ſelbſt Du nur Dich ſpiegelſt, und alles Liebe, was der
[167] Menſchheit durch Dich angethan, iſt Spiegel ihrer (Ide-
alität) reinſten unverkümmerten Natur. Und nun kam
ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in
beflügeltem Lauf, wie Pindar ſagt, umkreiſ't habe, ſie
liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schaafheerde
drängte ſich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger; ein
blöckender Pelzkragen! ich hatte Brod bei mir, das ich
unter ſie theilte, wie Deutſchlands Kaiſer unter die Ty-
roler, aber ſie drängten mich auch, wie jene den Kaiſer
und ſchrieen: „mehr Brod! mehr Brod! — blä! blä!“
— ich hatte keins mehr, wie der Kaiſer auch; ich war
in Gefahr umgeriſſen zu werden wie er; ich riß mich
durch, und im vollem Galopp den Berg hinunter, die
ganze Heerde hinter mir drein, mit ſammt dem bellen-
den Hund, kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirths-
haus an, dort weckten ſie die ganze Reiſegeſellſchaft mit
ihrem Geblök, und ich ſage Dir, ſie wollten mit Gewalt
in die Wirthsſtube, ich mußte ſie zuriegeln, ich glaub'
der Bock hätte ſie ſonſt mit ſeinen Hörnern aufgeklemmt.
Ei, hätten's die Tyroler auch ſo gemacht, der Kaiſer
hätte Brod ſchaffen müſſen; die machten's aber wie der
Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge ſtehen und
ſah ſeine Heerde davoneilen; „Du kannſt tauſend Dumm-
heiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schä-
[168] fer die Heerde,“ ſagte der Bruder Franz, da er mich
mit der nachgeeilten Heerde angekommen ſah.
Bis alles ſich reiſefertig gemacht hatte, ging ich in
den Kuhſtällen umher. Das Gehöfte iſt unendlich groß-
man könnte ein Vorwerk drin anlegen, ſie rufen von
der entfernteſten Scheune zur andern mit einem Sprach-
rohr. Der Kuhſtall inmitten bildet ein Amphitheater,
ein Halbkreis von ſpiegelglatten Kühen, an jedem Ende
durch einen Bullen abgeſchloſſen. An dem Ende, wo
ich eintrat, iſt der Ochs ſo freundlich, zärtlich, daß er
jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen
ſucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem
Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten laſſen, mußte
mein Geſicht von ſeiner ſchaumigen Zunge belecken laſ-
ſen; das ſchmeckte ihm ſo gut, er konnte nicht fertig
werden, er verkleiſterte mir alle Locken, die Deine Hand
immer in ſo ſchöne Ordnung ſtreichelt. —
Jetzt beſchreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn
wo ich nicht in Worten liebkoſen kann, da verweile ich
nicht lange. — Sie iſt beſſer erhalten wie alle andern,
auch ſelbſt die Gelnhäuſer iſt lange nicht ſo ganz mehr,
und ich begreife nicht, daß man keine Rückſicht darauf
nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries-
heim, jetzt iſt ſie an die Grafen Stollberg gefallen. —
Die
[169] Die Burg iſt in ihrem Hauptgemäuer noch erhalten,
nur innen iſt manches eingeſtürzt, der Söller iſt noch
ganz, auf dieſem kann man rund um die Burg gehen.
Nach allen Seiten ſieht man in's Fruchtland, das in
der Weite wieder an andern Burgruinen hinaufſteigt.
So blüht und reift der ewige Segen zwiſchen Gräbern
und verlaſſnem Gemäuer, und der Menſch braucht nur
ſich einzufinden, ſo iſt Er auch da, und umwandelt und
umkleidet ihn. Die Sonne ſchmeichelt's dem lieben Herr-
gott ab, daß er ſeinen Menſchenkindern hundertfältige
Ähren reifen läßt; die Sonne und der Gott liebkoſen
einander, und dabei haben die Menſchen gutes Spiel,
und wer liebt, der ſtimmt ein in die Liebe Gottes, und
durch ihn und in ihm reift auch der göttliche Segen.
In der Kapelle ſtehen noch etliche Säulen mit ih-
ren gothiſchen Capitälen; etliche liegen an der Erde,
aber noch ganz erhalten, eins, was ich nur unvollkom-
men Dir hier abzeichne. Die Mondesſichel hebt das
Wappen in die Luft und bildet ſo das Capital, unter
ihr zwei Drachen, die ſich verſchlingen. Die Leute ſa-
gen, ſie haben goldne Schaumünzen im Rachen gehabt,
ſo ſind ſie in einer alten Chronik verzeichnet. Ein an-
deres iſt noch viel ſchöner; ich wollt' es auch abzeich-
nen, aber es war ſo kalt und feucht da unten, Roſen,
Tagebuch. 8
[170] wunderſchön in Stein gehauen, bilden einen Kranz,
Schlangen winden ſich durch und ſtrecken ihre gekrönte
Köpfchen aus, und bilden ſo einen zweiten Kranz; es
iſt gar zu ſchön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte
Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte,
kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor, und
richtete ſich vor mir auf, als wollte ſie zuſehen, wie ich
das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erſchreckte
mich in der Einſamkeit, ſo daß ich mit einem Schauder
davon eilte.
In dem äußeren Burgthor ſind noch die Thüran-
geln, über dem innerſten Burgthor auf dem Söller iſt
ein Steinheerd mit einer kleinen Brandmauer umgeben,
die wie eine Niſche gebildet iſt. Da haben ſie das Pech
glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte
des Thores durchgegoſſen; alles wurde betrachtet, beach-
tet, erklärt, zurecht gerückt, noch manches blieb uner-
klärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß
ſie mit ihren Reſten noch ſo derb in unſre hineinreichte,
machte uns zu einfältigen Leuten; ja mir ward angſt,
dieſe alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den
Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verſchlin-
gen. O Goethe, mir iſt nur eins wichtig, mein Daſein
in Dir! und nach dieſem komme das End' aller Dinge.
[171]
Soll ich Dich denn noch weiter mitnehmen auf
meinen St[r]eifzügen, oder iſt's genug der eingefallnen
Mauern, der Wildniß, die alles überwuchert, des Epheu's,
der aus dem kalten Boden hervorſprießt, unermüdlich
hinaufklettert an der öden Mauer, bis er die Sonne
erblickt, und dann gleich wieder hinabſteigt, mit weit
reichenden Ranken nach der feuchten, düſteren Tiefe ver-
langt. Geſtern war der Himmel blau, heute rubinfarb
und ſmaragden, und dort im Weſten, wo er die Erde
deckt, jagt er das Licht im Safrangewand vor ſich her
aus der Schlafſtätte. Einen Augenblick kann ſich die
ſehnende Liebe ergötzen daran, daß die ganze Natur
ſchlummernd ſaugt; ja ich fühl's: wenn die Nacht ein-
bricht, daß jedes Wurzelchen trinkt, in jedem liegt Be-
gierde, Sehnſucht nach Nahrung, und dieſe Anziehungs-
kraft zwingt die Erde, die ihre Nahrung nicht verſagt,
jedem lebenden Keim; und ſo liegt in jedem Blumen-
haupt ſchwärmende Begeiſtrung, die aus dem Licht der
Sterne Träume herabzieht, die es umweben; geh über
einen Wieſenteppich in ſtiller ſternenflimmernder Nacht,
da wirſt Du, wenn Du Dich herabbeugſt zur Flur, die
Millionen Traumbilder gewahr werden, die da wim-
meln, wo eins oft vom andern Eigenheiten, Farben
und Stimmungen entlehnt; da wirſt Du es fühlen, daß
8*
[172] dieſe Traumwelt ſich hinauf ſchwingt in den Buſen des
Beſchauenden und in Deinem Geiſt ſich als Offenbarung
ſpiegelt; ja die ſchöne Blume des Gedankens hat eine
Wurzel, die ſaugt aus dem warmen, verborgnen Boden
der Sinne ihre Nahrung, und ſteigt aufwärts zum gött-
lichen Licht, dem ſie ihr Auge öffnet und es trinkt und
ihm ihren Duft zuſtrömt; ja die Geiſtesblume erſehnt
ſich die Natur und die Gottheit, wie jede Erdenblume.
Bruchſtücke
aus Briefen in Goethes Gartenhaus geſchrieben.
Ich habe Dich heute nur wenig Augenblicke geſehen
und mir deucht das ganze Leben gehöre dazu um Dir
alles zu ſagen. Muſik und Kunſt und Sprache alles
möcht ich beherrſchen um mich drinn auszuſprechen.
Ich ſehne mich nach Offenbarung; Du biſt's! —
Nach Deinem Innern ſtrebt die Liebe ſie will ſich in
ſeinen Tiefen empfinden.
Deine Gegenwart erſchüttert mich weil ich die Mög-
lichkeit empfinde Dir eine Ahnung meiner Sehnſucht
zu geben.
[173]
Deine Nähe verändert alles äußerlich und innerlich,
daß der Athem, den Du aushauchſt, ſich mit der Luft
miſche die auch meine Bruſt trinkt, das macht ſie zum
Element einer höheren Welt; ſo die Wände, die Dich
umfaſſen ſind magnetiſch; der Spiegel, der Dein Bild
aufnimmt, die Lichtſtrahlen, die an Dir hinſtreifen, Dein
Sitz, alles hat eine Magie; Du biſt weg, aber dieſe
bleibt und vertritt Deine Stelle, ich lege mich an die
Erde wo Deine Füße ſtanden, an dieſem Fleck und an
keinem andern iſt mir wohl. — Iſt das Einbildung? —
Thränen fühl' ich in der Bruſt Deiner ſo zu denken,
wie ich jetzt denke und dieſe Wehmuth iſt mir Wolluſt,
ich fühle mich in ihr erhoben über's ganze Erdenleben,
und das iſt meine Religion. — Gewiß! der Geliebte iſt
das Element meines zukünftigen Lebens aus dem es ſich
erzeugt und in dem es lebt und ſich nährt. — O hätte
ich Geiſt! — hätt' ich den, was für Geheimniſſe wollt'
ich Dir mittheilen!
Offenbarung iſt das einzige Bedürfniß des Geiſtes,
denn das höchſte iſt allemal das einzigſte Bedürfniß.
Geiſt kann nur durch Offenbarung berührt werden,
oder vielmehr: alles wird zur Offenbarung an ihm.
So muß ſich der Geiſt ſein Paradies begründen. —
Nichts außer dem Geiſt. — Himmel und Seeligkeit in
[174] ihm. — Wie hoch ſteigt Begeiſtrung bis ſie zum Him-
mel ſich ſteigert!
Wenn das ganze Leben des Geiſtes Element wird,
ſo hat er Gewalt über den Himmel.
Der Schlüſſel zum höheren Leben iſt die Liebe, ſie
bereitet vor zur Freiheit. — Freiheit iſt Geiſterleben.
Denken iſt Inſpiration der Freiheit. —
Der hat Geiſt, oder iſt geiſtig, der mit ſich ſelbſt
zuſammen kommt. Inſpiration dringt darauf, daß der
Menſch zu ſich ſelbſt komme. — Wenn Du mich begei-
ſterſt ſo forderſt Du Dich ſelber von mir und meine
Begeiſtrung geht darauf aus, Dich Dir ſelber zu geben.
— Wahre Liebe giebt den Geliebten ſich ſelber. — Wie
wahr iſt dies, da ich Dich nur denken kann und doch
Dir alles geben muß.
Was iſt Lieben? — Der Wächter auf der Zinne
ruft die nahe Morgenſtunde. Der regſame Geiſt ahn-
det ſchlummernd den Tag, er bricht aus ſeiner Traum-
welt hervor, und der junge Tag umfängt ihn mit ſei-
nem Licht, — und das iſt die Gewalt der Liebe, daß
alles Wirklichkeit iſt was vorher Traum war, und daß
ein göttlicher Geiſt dem in der Liebe Erwachten das Le-
ben erleuchte wie der junge Tag dem aus der Traum-
welt Erwachten.
[175]
Liebe iſt Erkenntniß, und der iſt Beſitz.
Liegt der Saame in der Erde ſo bedarf er der Erde.
Nun er zum Leben angeregt iſt müßte er ſterben wenn
er ihr entnommen würde. In der Erde erſt wandelt
ſich der Saame um ins Leben, und die Erde wird erſt
Geiſt im Saamen. — Wenn Du liebſt dringſt Du ans
Licht wie der Saame, der in der Erde verborgen war. —
Warum verbirgt die Natur den Saamen im Schooß
der Erde eh ſie ſein Leben an's Licht entläßt? — Auch
das Leben liegt im geheimen Schooß des Geiſtes ver-
borgen, ehe es als Liebe an's Licht dringt. — Der Bo-
den aus dem die Liebe entſteigt iſt Geheimniß.
Geheimniß iſt Inſtinkt der Phantaſie; weſſen Geiſt
dieſen Inſtinkt hat, der hat den befruchtenden Boden
für den Saamen der Liebe. — Phantaſie iſt die freie
Kunſt der Wahrheit.
Und hier wär' ein gewaltiges mitzutheilen, wenn
die Müdigkeit mich nicht überwältigte; es muß mir ge-
nügen, daß ich's empfinde, wie die Phantaſie die Ver-
mittlerin iſt zwiſchen der himmliſchen Weisheit und dem
irdiſchen Geiſt.
Jeder Gedanke hat Flügel und fliegt zu dem, der
ihn eingiebt; jeder Athemzug, ein Gedanke der zum Ge-
[176] liebten fliegt, nur was liebt, iſt Gedanke und fliegt. —
Ja Gedanken ſind geiſtige Vögel.
Wenn ich nicht im Bett wär', ſo ſchrieb ich noch
mehr, aber ſo zieht mich das Kopfkiſſen nieder.
In Deinem Garten iſt's ſo ſchön! Alle meine Ge-
danken ſind Bienen, ſie kommen aus Deinem duftenden
Garten zum Fenſter hereingeflogen, das ich mir geöffnet
habe und ſetzen da ihren Honig ab, den ſie in Deinem
blüthenreichen Garten geſammelt haben. — Und ſo ſpät
es iſt, nach Mitternacht ſchon, ſo kommen ſie doch noch
einzeln und umſummen mich und wecken mich aus dem
Schlaf; und die Bienen Deines Gartens und die Bienen
Deines Geiſtes ſummen unter einander.
Liebe iſt Erkenntniß, Schönheit iſt das Geheimniß
ihrer Erkenntniß, und ſo tief iſt dies Geheimniß, daß
es ſich keinem mittheilt als nur dem Liebenden. Glaub's
nur! keiner beſitzt das Geheimniß von Dir wie ich es
beſitze, das heißt: keiner liebt Dich wie ich Dich liebe.
Wieder ein Bienchen! — Deine Schönheit iſt
Dein Leben — es wollte noch mehr ſummen, aber der
Wind jagte es wieder zum Fenſter hinaus. — Daß ich
in Deinem Garten ſchlafe eine Nacht, das iſt wohl ein
groß Ereigniß. — Du haſt oft hier herrliche Stunden
verlebt, allein, und mit Freunden; und nun bin ich al-
[177] lein hier und denke dem allen nach, und ſeh im Geiſt
dem allen zu. Ach und wie ich heute, eh ich in's ſtille
verlaſſene Haus eintrat, noch den Berg hinaufging zum
oberſten Baum, der ſo mit mannigfachem Grün um-
wachſen iſt, das all von Deiner Hand geleitet wurde,
der ſeine Äſte ſchützend über den Stein verbreitet, in den
die Weihe der Erinnerung eingegraben iſt! — Dort
oben ſtand ich ganz allein, ein wenig Mondlicht ſtahl
ſich durch den Baum, ich fühlte an der Rinde des Bau-
mes nach den eingeſchnittenen Buchſtaben. Ach gute
Nacht. —
Stehle ich dem Schlaf noch länger die Träume, ſo
werden meine Gedanken Schäume.
Da oben ſah ich Dein Haus erleuchtet. Ich dachte:
wenn Du bei dieſem Licht meiner harrteſt, und ich käm
herab den friſchen Mondſcheinweg mit ſo wohl vorbe-
reitetem Herzen, und ich träte ein bei Dir, wie freund-
lich Du mich aufnehmen würdeſt. Bis ich herab kam
hatte mir meine Einbildungskraft weis gemacht es könne
möglich ſein, daß Du da ſeiſt, und obſchon ich wußte,
daß dies Licht allein in meiner Kammer brenne, denn
8**
[178] ich hatte es ja ſelber angezündet, ſo öffnete ich doch mit
Zagen die Thür; und wie ich dieſe ſtille Einſamkeit ge-
wahrte, auf dem Tiſch die getrockneten Pflanzen, und
an den Wänden die Steine und die Muſcheln, und die
Schmetterlinge, und das erhabene Dunkel was mit den
Strahlen der Lampe ſpielte: und wie ich da eintrat da
blieb ich am Thürpfoſten angelehnt ſtehen und holte
erſt Athem.
Und nun lieg' ich in dieſem Bettchen zum Schla-
fen, es iſt hart das Bett, ein einziger Strohſack und
eine wollne Decke drüber, und zum Zudecken eine graue
Decke mit bunten Blumen, und kein Menſch weiß, daß
ich die Nacht hier zubringe als nur Du.
Irdiſche Jugend iſt bewußtlos, ſie ſteigt aus ihrer
Knoſpe, ihre Entfaltung iſt ihr Ziel. Bewußtſein der
Jugend iſt ſchon über ſinnliche Jugend.
In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich ſehe
ſie alle die goldne Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt
ein jeder mit wunderbaren Blüthen. Stolz erhaben ein-
her ſchreitend feurigen raſchen Geiſtes; unberührt, keuſch,
vor der Gemeinheit ſich flüchtend, in höhere Regionen;
ein milder Schimmer durchglänzt ſie, es iſt der Abend-
ſchein Deines Lebens. Ach und der heutige Tag iſt auch
ein ſolcher, er ſchließt ſich an die Reihe der verfloſſenen
[179] an: majeſtäti[ſ]ch! triumphirend! obzwar ich allein bin hier
im verlaſſenen Haus, ohne Einrichtung mich zu empfan-
gen, hier ſind noch die Spuren des vergangenen Winters.
Der Geiſt taucht unter in der Jugend als in einem
Meer. Jugend wird ſein Element, in ihm wird der
Geiſt zur Liebe. Jugend bereitet den Geiſt vor zur
Ewigkeit, die ewige Jugend iſt.
Ich glaub' an Deine Gegenwart in dieſem einſa-
men Gemach, ich glaub', daß Du mich hörſt, mich empfin-
deſt; ich ſpreche mit Dir. Du fragſt, ich antworte Dir.
Jeder ſtrebt nach Jugend, weil das Bedürfniß des
Geiſtes Entwicklung in der Liebe iſt.
Nachdem ich ſchon ein Weilchen geſchlafen habe:
Nichts iſt dem Genius neu, alles iſt ihm Element.
In der Liebe iſt einer dem andern Genius und wird ei-
ner dem andern Element.
Du biſt mir Element und ich kann die Flügel re-
gen in Dir, und das iſt das einzige Erkennen, das ein-
zige Empfinden, das einzige Haben.
Und Du magſt Dich tauſendfach aus Dir heraus-
ſehnen, nie wirſt Du Dich ſelbſt finden als indem Du
Dich in einen andern ergießeſt; nie wirſt Du im Andern
ſein, als wenn er in Dir iſt.
[180]
Denken ſieht und berührt es iſt innigſte Berührung
mit dem Geiſt des Bedachten.
Wenn der Geiſt zur Muſik wird dann wird Philo-
ſophie zur Empfindung.
Schon hundertmal hab ich mich in die graue Decke
eingehüllt, und wollte ich ſchlafen ſo muß ich die Hand
ausſtrecken um eine Zeile zu ſchreiben.
Wenn es wahr iſt, daß es eine Magie des Lebens
giebt, die vermöge der Selbſterleuchtung ſich erzeugt,
wer wollte dann außer ihren Kreiſen ſtehen.
Gute Nacht! — zu Deinen Füßen verſchlaf ich ſie.
Ja ich will glauben, daß Du da biſt, und will
keine Hand nach Dir ausſtrecken, damit ich Dich nicht
verſcheuche, und doch berührſt Du mich, die Luft verän-
dert ſich, der Schimmer der Lampe, die Schatten, alles
gewinnt [Bedeutung].
Den übergehen wir mit Stillſchweigen. Du biſt
mir von Ewigkeit her. Wer wollte läugnen, daß die
Sterne uns regieren. Du warſt ihrem Einfluß willig,
und ſo haben ſie Dich zu ſich erhoben, ich weiß alles:
[181] heimlich regieren ſie Dich auch daß Du mir geneigt biſt.
Ich ſeh's an Deinem Blick Du biſt mit mir zufrieden.
Du ſagſt nichts, Du ſchließeſt Deine Lippen ſo feſt als
habeſt Du Furcht ſie mögen gegen Deinen Willen plau-
dern. Goethe! es iſt mir genügend was Dein Blick
ſagt, auch wenn er nicht auf mir weilt. Geſtern wie
ich hinter Dir ſtand und mit dem Papier rauſchte, da
ſahſt Du Dich um, ich merkte es wohl; ich ging leiſe
hinaus und ſchob die Thür nicht ganz zu, da ſah ich
Dich raſch den Brief ergreifen, dann ging ich weg, ich
wollte Dich nicht länger belauſchen, mich überlief ein
leiſes Fröſteln wie ich mir vorſtellte, daß Du jetzt leſen
werdeſt was ich zu Dir gedacht hatte in letzter Mitter-
nacht. — Wie ſeelig Goethe! — denken: jetzt nimmt er
dieſe Schmeicheleien auf, jetzt ſpricht ſein Geiſt freund-
lich nach was ich für ihn erdacht habe. Es iſt ſchön
was ich Dir ſage, es ſind die Liebesgeiſter, die mit Dir
ſprechen, ſie umkreiſen jubelnd Dein Haupt.
Weißt Du wie ich Dich mir denke heute an Dei-
nem Geburts-Tag? — Am Meeresſtrand, auf goldnem
Thronſeſſel im weißen wollnen Gewand, den Purpur
untergebreitet; in der Ferne die weißen Segel auf ho-
her See geſchwellt vom Wind raſch an einander vor-
überfliehend, und Du ruhend im Morgenlicht gekrönt
[182] mit heiligem Laub, mich aber ſeh ich zu Deinen Füßen
mit der reinen Fluth, die ich am Meer geſchöpft, um
ſie zu waſchen. — So denk' ich mich zu Deinem Dienſt
in tauſend Bildern, und es iſt als ſei dies die Reife
meines Daſeins.
Haſt Du ſchon in die untergehende Sonne geſehen,
wenn ſie ſchon milder leuchtet, ſo daß ein ſcharfes Aug'
von ihrem Glanz nicht mehr geblendet wird? — haſt
Du da ſchon geſehen wie ſich ihr eigen Bild von ihr
ablöſt, und vor ihr am Horizont niedertaucht in die
rothe Fluth, und nach dieſem Bild immer wieder ein an-
deres in leiſen Brechungen der Strahlen immer wieder
anders färbt? — Meine Seele, wenn der gewaltige Glanz
Deiner vollen Erſcheinung nicht mehr ſo ſtark blendet,
und die Ferne ſanfte Schleier über Dich webt, ſieht
ſolche Bilder, die eins nach dem andern von Dir ab-
ſtrahlen, ſie tauchen alle unter in meiner Begeiſtrung
wie im Feuerſchooß der Natur, und ich kann mich nicht
ſättigen in dieſer ſchönen Fülle.
So müde wie ich war am ſpäten Abend, ſo feſt
wie ich ſchlief am frühen Morgen hab' ich drei Tage
[183] nicht geſchrieben. Du haſt nicht nach mir gefragt in
dieſer Zeit, und heut am Abend bin ich zum erſtenmal
hinausgegangen, und überlege hier auf der Bank, daß
Du mich vergißt. Die Vögel ſind ſchon gewohnt, daß
ich hier ſitze unbeweglich ſtill. — Wie iſt's doch ſo wun-
derlich hier im fremden Land! — hierher bin ich gekom-
men an den verlaſſenen Ort um tief in mich ſelbſt zu
verſinken. Da ſeh ich Bilder, Erinnerungen früherer
Tage, die ſich an den heutigen anſchließen. Heute wie
ſie in der frühen Morgenſtunde vor dem römiſchen
Haus Muſik machten, und wie der Herzog hervortrat
und die großen Hunde ungeduldig den Menſchen zuvor
eilten und ihm an den Hals ſprangen, das kam mir ſo
feierlich vor wie er ſich freundlich ihren ungeſtümen
Liebkoſungen preiß gab, und über ſie hinaus dem Volk
winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da theilteſt
Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte ſich bei
Deiner Erſcheinung; die beiden hohen Freunde mit ein-
ander auf- und abſchreiten zu ſehen, hoch an Geiſt und
Milde, das war dem Volk ein heilig Schauſpiel, und ſie
ſagten alle: welch ſeltnes Paar! — Und viel Schönes
wurde von Euch geſprochen, jede Eurer Bewegungen
wurde beachtet: Er lächelt, er wendet ſich, der
Herzog ſtützt ſich auf ihn! ſie reichen einander
[184] die Hände! jetzt laſſen ſie ſich nieder! — ſo wieder-
holte das Volk mit heiligem Schauer alles was zwiſchen
Euch beiden vorging. Ach mit Recht, denn aus Euer beider
vereinten Liebe ging ſein Glück hervor, das wiſſen ſie alle,
und wie Ihr lange mit einander Rede führtet da harrte
die Menge ſchweigend, als ob der Seegen von Jahr-
hunderten auf es herabgerufen werde. Ich auch Goethe!
— ich glaub dran, daß Euch beiden als Weſen höherer
Geſchlechter Macht gegeben iſt Segen für die [Zukunft]
zu verſichern, denn in des Herzogs Bruſt iſt die Milde
ſchon lange als Frucht gereift, das haſt Du ſelbſt ge-
ſagt und Dein Geiſt ſtrömt Licht aus, Licht der Weis-
heit, die Gnade iſt und alles gedeihen macht.
Als Du weg warſt da lies der Herzog mich rufen,
er fragte ob Du mich geſehen und begrüßt habeſt, das
mußte ich verneinen, denn Du hatteſt mich ja über-
ſehen. Erinnerſt Du Dich noch an jenen Geburtstag? —
am Abend wo ich hinter dem Pfeiler ſtand, Du ſuchteſt
mich mit dem Blick, und fandſt mich auch, ach wie
durchglühte das mein Herz, wie ich Dein Spähen be-
lauſchte, da reichteſt Du mir Dein Glas, daß ich draus
trinken ſollte, und keiner merkte es in der Menge. —
Heute bin ich allein, viele Tage ſind ſeit dem vergan-
gen, dort liegt Dein Haus, ich könnte zu Dir gehen
[185] und Dich von Angeſicht zu Angeſicht ſehen, doch zieh'
ich's vor hier allein in Deinem Garten Dich zu beſchwö-
ren: o hilf mir Dich denken, Dich empfinden; mein
Glaube iſt mein Zauberſtab, durch ihn erſchaff ich meine
Welt außer welcher mir alles fremd iſt, und ich hege
keine Zweifel, daß ich nur in ihr wirklich lebe. Mein
Denken iſt wunderthätig: ich ſpreche mit Dir, ich ſeh
in Dich hinein, mein Gebet iſt, daß ich meinen Willen
ſtärke, Dich zu denken.
In Goethes Garten.
Die ganze Welt umher beleuchtet von einer Sonne!
Du in mir allein beleuchtet, alles andre im Dunkel.
Wie das die Liebe entflammt, wenn das Licht nur auf
einen Gegenſtand fällt.
Das waren Deine Worte geſtern: ich ſolle ſchreiben
und wenn es Folianten wären es ſei Dir nicht zu viel.
Ach und Du weißt doch, daß meine Sprache nur einen
kleinen Umfang an Kenntniß hat. Daß ich zwar glaube
jedesmal neu zu empfinden was ich Dir zu ſagen habe,
aber doch iſt es ewig daſſelbe. Und Dir? iſt es Dir
[186] nicht zu viel? — ich hab's verſucht, wie ein Maulwurf
mich durch's eigne Herz gewühlt, und habe gehofft ei-
nen Schatz zu entdecken, der im Dunkeln leuchte, den
wollte ich Dir herauf bringen, aber vergeblich! — Es
ſind keine gewaltigen Dinge, die ich Dir zu ſagen habe,
es iſt Nichts als nur lieblich zu geſtehen, und unwider-
ſtehlich dieſes Nichts. Liebkoſungen beſtehen ja in der
Mittheilung. — Wenn Du am Bach ruhſt unter duf-
tigen Kräutern und die Libelle mit ihren kryſtallnen
Augen läßt ſich auf Dir nieder, ſie fächelt Deine Lip-
pen mit ihren Flügeln, wirſt Du ihre böſe? — Wenn
ein kleiner Käfer an Deinem Gewand hinaufklettert
und endlich ſich im Buſen verirrt, nennſt Du das allzu
keck? — das kleine Thierchen ſo unbekannt mit dem
ſchlagenden Herzen unter ſeinen Füßchen? — und ich!
bekannt mit dieſem erhöhten Takt Deiner Gefühle, bin
ich zu tadeln, daß ich mich Dir an's Herz dränge? —
Siehſt Du! das iſt alles was ich Dir zu ſagen habe. —
Der Abendwind eilt flüchtig über die Gräſer bis zu mir
herab, die ich am Fuß des Hügels ſitze und daran denke,
wie ich Dir dieſe Folianten ausfüllen ſoll.
[187]
Denk' ich an Dich ſo mag ich nicht am Boden weilen.
Gleich regt Pſyche die Flügel, ſie fühlt die irdiſche
Schwere, fühlt ſich befangen in manchem was nicht zu
ihrem himmliſchen Beruf gehört, das macht Schmerz,
das macht wehmüthig.
Das Licht der Weisheit leuchtet nur in uns ſelbſt.
Was nicht innere Offenbarung iſt wird nie Früchte der
Erkenntniß tragen. Die Seele kommt ſich ſelber ent-
gegen in der Liebe, ſie findet ſich und nimmt ſich auf
im Geliebten; ſo finde ich mich in Dir. Was kann
mir beglückenderes widerfahren? — Und iſt es ein Wun-
der, daß ich Deine Kniee umfaſſe? — Ich möchte Dir
alles mittheilen was ich von Dir lerne. — Wenn der
Geiſt wäre, was das Wort wiederholen kann, ſo hätte
der Begriff einen kleinen Umfang. Es iſt noch was
anders Geiſt als was in dem Netz der Sprache gefan-
gen wird. Geiſt iſt das alles in ſich verwandelnde Le-
ben; auch die Liebe muß Geiſt werden. Mein Geiſt iſt
fortwährend geſchäftig dieſe Liebe in ſich umzuſetzen,
daraus wird und muß mein unſterblich Leben hervor-
gehen oder ich geh unter. —
[188]
Die Sonne geht unter, ihr Purpurzelt breitet ſich
über Deinen Garten, ich ſitze hier allein und überſehe
die Wege, die Du durch dieſe Auen geleitet haſt, alle
ſind verlaſſen, nirgend wandelt einer. — ſo einſam iſt's,
ſo ganz bis in die Ferne, und ſo lange ſchon hab' ich.
darauf gewartet alles ſoll ſchweigen, dann wollt' ich
ich mich beſinnen und mit Dir ſprechen — und jetzt fühl
ich mich ſo verzagt in der allmächtigen Stille. — Den
Vogel im Buſch hab' ich verſcheucht, die Glockenblumen
ſchlafen. Der Mond und der Abendſtern winken ein-
ander, wo ſoll ich mich hinwenden? der Baum in deſſen
Rinde Du manchen Namen eingeſchnitten haſt den hab
ich verlaſſen und bin herab gegangen zur Hausthür und
hab die Stirne auf das Schloß gelegt, das Deine Hand
wie oft aufgedrückt, und haſt mit Freu[n]den da geſeſſen
und auch einſame Stunden verbracht. Du allein mit
Deinem Genius haſt's nicht gefühlt das ſchauervolle der
Einſamkeit, glorreich triumphirend im Wettgefühl der
Empfindung und Begeiſtrung gingen ſie vorüber dieſe
ſtillen Abende. O Goethe, was denkſt Du von meiner
Liebe? — die ſo ewig an Dich heran brauſ't wie die
Fluth an's Ufer, und möchte mit Dir ſprechen und kann
nichts ſagen, als nur ſeufzen. Ja! ſage doch: was
[189] meinſt Du das dieſe Liebe will? — ich ſelber erſtaune
oft, wie erwachend aus dem Traum, daß dieſer Traum
herrſche über mich. Aber bald beuge ich mich wieder
unter das Schattendach ſeiner Wölbungen, und ſchmiege
mich ſeinem Flüſtern, und laſſe die Sinne bewältigen
durch das Flügelrauſchen unbekannter Geiſter. — Gött-
lich will ich ſein! göttlich und groß wie Du, frei über den
Menſchen nur in Deinem Lichte, ſtehend, nur von Dir
verſtanden. Pfeile will ich ſenden: Gedanken, Dich ſol-
len ſie treffen und keinen andern, Du ſollſt ihre Schärfe
prüfen und in dieſem heimlichen Verkehr ſollen meine
Sinne gedeihen, ſie ſollen herzhaft ſein, geſund, raſch,
freudig, ewig aufwärts nicht ſinkend die Lebensgeiſter
ihrem Erzeuger zuſtrömend.
Es iſt Nacht, ich ſchreib beim Sternenlicht. — Weis-
heit iſt wie ein Baum, der ſeine Äſte durch das ganze
Firmament [verbreitet], die goldnen Früchte, die ihr Ge-
zweig zieren ſind Sterne. Wenn nun eine Begierde
ſich regt, die die Früchte vom Baum der Weisheit ge-
nießen möchte? wie komme ich dazu dieſe goldnen Früchte
zu erlangen? — Die Sterne ſind Welten ſagt man: iſt
der Kuß nicht auch eine Welt? — und iſt der Stern
größer Deinem Auge als der Umfang eines Kuſſes? —
und iſt der Kuß geringer Deinem Gefühl als das Um-
[190] faſſen einer Welt? — Drum: — die Weisheit iſt Liebe!
und ihre Früchte ſind Welten, und der täuſcht ſich nicht,
der im Kuß eine Welt empfindet, ihm iſt eine reife
Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern
in den Buſen geſunken. — Der aber Freund! — der
von ſolcher Himmelskoſt genährt wird, zählt er noch
für vollgültig unter den Menſchen? —
Ich gehe nun ſchlafen, die Stille der Nacht, die
heimliche Zeit verwendet Pſyche um zu Dir zu dringen.
Oft führt ſie der Traum zu Dir, ſie findet Dich viel-
leicht, durchkreuzt von tauſend Gedanken, deren keiner
ihrer erwähnt. Doch ſie ſenkt die Flügel und küßt den
Staub Deiner Füße bis Dein Blick ſich ihr neigt.
Gereimt und ungereimt ſag' ich Dir daſſelbe, und
Du ermüdeſt nicht mich anzuhören. Ich ſitze hier auf
der Bank in der Dämmerung wo der ſinkende Tag vom
aufgehenden Mond noch das Licht borgt', und freue
mich meine Welt im Zwielicht zu überſchauen. Vor
wenig Minuten lag alles noch im Sonnenglanz, da
war ich unruhig ob ich bleiben oder gehen ſolle. Jetzt,
ſeit der Mond geſtiegen iſt weiß ich, daß ich bleibe, in
ſeinem Licht erkenn ich meine Welt, ſeine Strah-
len ziehen mich in ihren Zauberkreis, und was ich auch
Unglaubliches für wahr halte, das verneint er nicht wie
das Sonnenlicht. Er ſchmiegt ſich ſchmeichelnd in den
Schooß der Thäler, und ich fühle deutlich wie ſie ihn
liebt, die Natur, und wie er ihr geneigt iſt, der Mond.
Wär' ich Dir, was die ganze Natur dem Mond
iſt, der Leben erregend in ihren Pulſen ſpielt, der leiſe
Lüfte als Boten ausſendet, der die ſamenbeflockten
Schwingen des Abendwindes niederbannt in's thauige
[192] Gras und ſeinem befruchtenden Licht ihre Kraft aufregt:
dann wär' mein ganzes Sein ein Empfängniß Deiner
Schönheit. So viel Blüthen ſich ihm erſchließen, ſo
viel Schmeichelreden Dir von meinen Lippen fließen, ſo
viel Thautropfen in ſeinem Licht glänzen, ſo viel Thrä-
nen der Luſt ſich ſammeln unter dem Einfluß Deines
Geiſtes.
Ich danke Dir, daß Du gekommen biſt, es war ſo
grau und trüb', ich ſah mich in der weiten Ferne um,
und dachte ſchon es würde mich überkommen wie das
Wetter, wo ſparſame Thränen aus den Wolken träu-
felten und der Himmel ſchwer und traurig war und
viel düſterer ausſah als wenn es noch ſo ſehr geregnet
hätte. — Da kamſt Du. — Du haſt nichts geſagt vom
Abſchied, und haſt mich beſchämt, denn ich hatte es auf
der Zunge zu klagen, ja es war ſchöner ſo, daß wir
nicht Abſchied nahmen; — wir beide nicht. — Wie hab
ich dieſe Zeit verbracht? — gar zu glücklich! — das Ge-
fühl Deiner Nähe hat jeden Athemzug beſeeligt, das
nenne ich mir himmliſche Luft, — und Du? — hab'
ich Dir auch nicht mißfallen? — Ach beſchäme mich
nicht,
[193] nicht, vergeſſe was Dir nicht zuſagte, wenn ich manch-
mal zu heftig war, und Deine leiſen Winke nicht ver-
ſtand. Meine leidenſchaftlichen Stimmungen ſind ohne
Anſprüche, ſie ſind wie Muſik, auch die verlangt keinen
irdiſchen Beſitz, aber ſie ſtimmt den Geiſt, der ihr Ge-
hör giebt zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja klings
in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile
nach, alles was ich Dir ſagen durfte. Leidenſchaft iſt
Muſik, ein Werk höchſter Mächte, nicht außer ſondern
tief in uns, ſie führt uns mit dem idealiſchen Ich zu-
ſammen, um deſſentwillen der Geiſt in den Leib ge-
boren iſt: dies Ich, das allein Leidenſchaft entzünden
ſie geſtalten und bilden kann. Der Menſch wird von
der Begeiſtrung erzogen, das ganze irdiſche Leben ver-
hält ſich dann zu dieſem Geiſtigen wie der Boden zum
Fruchtkorn, das aus ihm emporſteigt um tauſendfältig
zu tragen.
Nur die Ewigkeit giebt Wirklichkeit, denn was ein-
mal zu Grunde geht, mags gleich zu Grunde gehn, ob
heute oder morgen, das iſt einerlei; aber die Liebe trägt
alles zum himmliſchen Reich, ſie iſt allumfaſſend all-
durchdringend wie die Sonne, und doch bildet ſie jeden
geiſtigen Reiz zu einem in ſich abgeſchloſſnen ſich ſelber
anheim gegebenen Eigenthum, ſie bewegt den Geiſt daß
Tagebuch. 9
[194] er ganz eigenthümlich das Eigenthümliche faſſe. So
macht's die Liebe mit mir, in Dir werd' ich meines Gei-
ſtes mächtig, — und Du? — das leuchtende Grün was
der Baum in erneuter Frühlingskraft hervortreibt, das
giebt Zeugniß, daß die Sonne ihm in's Mark dringt. —
Und Du biſt erfriſcht durch dieſe Liebe, nicht wahr? —
Wer Dich mit leiblichen Augen ſieht und ſieht Dich
nicht durch die Liebe, der ſieht Dich nicht, Du erſcheinſt
nur durch ſie dem liebenden beſchwörenden Geiſt. Je
feuriger, je kräftiger die Beſchwörung, je herrlicher Deine
Erſcheinung, je mächtiger Deine Einwirkung. Lieber
Freund! meiner Beſchwörung haſt Du Dich aufs innigſte
vergegenwärtigt, ich habe Dich in jedem Gedanken als
in einem magiſchen Kreis umfaßt, und der Inhalt mag
ſein, welcher er wolle, Du durchwalteſt ihn, und wohnſt
in jeder Geſtalt, die mein Geiſt ausſpricht. —
Es iſt wahr, Zauber iſt Zauber, er hebt ſich in ſich
ſelber auf, und darum läugnen ſie ſeine Wirklichkeit,
ſie glauben: nur was ſinnlichen Leib habe ſei wirklich,
und ihnen muß Verſtand nur als ſinnlicher Boden gel-
ten. Das Werk Gottes aber iſt Magie, die Liebe in
unſerer Bruſt, die Unſterblichkeit, die Freiheit, ſind ma-
giſche Erzeugniſſe Gottes, ſie werden nur durch die Kraft
ſeiner Beſchwörung in uns erhalten, ſein Hauch iſt ihr
[195] Leben, ſie ſind unſer Element und in dieſem verewigen
wir uns, und ob auch Zauber in's Nichts verſchwinden
könnte, wie leicht! — ſo iſt er doch die einzige Baſis
der Wirklichkeit, denn er iſt Wirkung des göttlichen
Geiſtes.
Das Geborenwerden der göttlichen Natur in's ir-
diſche Leben, und ſein Sterben im vorbereiteten Schmerz,
iſt magiſche Beſchwörungsformel.
Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Über-
gang aus dem Nichts in's magiſche Leben.
Leben iſt Schmerz, aber da wir nur ſoviel Leben
haben als unſer Geiſt verträgt, ſo empfinden wir dieſen
Schmerz gleichgültig, wär unſer Geiſt ſtark, ſo wär der
ſtärkſte Schmerz die höchſte Wolluſt.
In meiner Liebe, ſei's Abſchied oder Willkomm,
ſchwankt mein Geiſt immer zwiſchen Luſt und Schmerz,
denn Du machſt meinen Geiſt ſtark und doch kann er's
kaum ertragen. Übergehen in's Göttliche iſt immer
ſchmerzlich, aber es iſt leben.
Jedes Aneignen im Geiſt iſt ſchmerzlich, alles was
wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben,
ſo wie es in uns übergegangen iſt ſo hat es unſern
Geiſt erhöht, und befähigt dies Leben kräftiger zu faſ-
ſen, und was uns früher weh that, das wird jetzt Genuß.
9*
[196]
Die Kunſt iſt auch Magie, ſie beſchwört auch den
Geiſt in eine erhöhte ſichtbare Erſcheinung, und der Geiſt
geht auch über die Schmerzensbrücke bis innerhalb des
magiſchen Kreiſes.
Genie iſt der vorgreifende, wolluſtahnende, durſtende
Inſtinkt, ſein Trieb überwindet das ſchmerzliche Zagen
und reizt den Geiſt zu ewig neuer Energie. — Je lei-
denſchaftlicher der Genius im Menſchen, jemehr wird
ihm Seeligkeit Bedürfniß, je gewaltiger überwindet er,
je gewiſſer iſt er ſeiner Befriedigung; — dies bejaheſt
Du mir. — Ich ſtehe in meiner Liebe zu Dir zwiſchen
dieſem Schmerz und dieſer genialiſchen Begierde, die
Trägheit meines Geiſtes zu überwinden und Beſeeligung
zu empfinden. Manchmal fühlt ſich der Geiſt ganz
verlaſſen, und ein Nichts nimmt die Stelle dieſer enthu-
ſiaſtiſchen Begeiſtrung ein, und alles iſt verſchwunden.
Aber wie könnte ich mir dies gefallen laſſen. Nein, Du
mußt Dich [v]erzaubern laſſen. Wenn Gott mich aus dem
Nichts hervorberufen hat, wenn er mein Weſen gebildet
hat als reinen Anſpruch an die Seeligkeit, ſo erwerb
ich dieſe in der Magie der Liebe; und aus Bedürfniß,
aus göttlich eingeprägter Sehnſucht nach dem Schönen,
erhebt der Genius immer wieder die ermüdeten Flügel
und hält treu und feſt dies Herz zu Deiner Wohnung
[197] und die Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich
zu faſſen und zu bekennen, alles wie Du biſt in Deiner
innern Weſenheit.
Und wenn dies alles wahr iſt was ich hier ſage,
und wir werden einſt uns wiederſehen in einem höheren
Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geiſt ge-
wachſen ſein werde.
Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag' ich's
und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal ſonſt
auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie
ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir
hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet-
terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf-
ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom
Staub reinigte, und die kleinen Reiſer und Mooſe aus
meinen Flechten ſammelteſt, und legteſt es ſanft neben
Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren
ſind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit
lautem Ehrenruf, Kränze haben ſie vor Dir hergetra-
[198] gen, die Fahnen haben ſie vor Dir geſchwenkt, die Kö-
nige kamen und berührten den Saum Deines Mantels
und brachten Dir goldne Gefäße und legten Ehrenket-
ten um Deine freie Bruſt. Du weißt's nicht mehr, daß
ich Dir die geſammelten Blumen, die wilden Kräuter
alle in den Buſen pflanzte und die Hand darauf legte
um ſie feſt zu drücken, Du weißt's nicht mehr, daß
meine Hand gefangen lag inmitten Deiner Bruſt, und
daß Du mich den wilden Hopfen nannteſt, der Wurzel
faſſe da, und dann hinauf ſich ranke, und Dich über-
ſchlinge und umwachſe, daß nichts mehr an Dir zu ken-
nen ſei als blos der wilde Hopfen. Sieh in dieſer
Doppelwand von Fels- und Bergesſchluchten da hauſt
des Wiederhalles froher Ruf; ſieh meine Bruſt iſt eine
ſo kunſtreich gebildete Doppelwand, daß ewig und ewig,
tauſendfältig der freudige Schall ſo ſüßer Mähre ſich
durchkreuzt. Wo ſollte es ein Ende nehmen dies Leben
jugendlicher Luſt? — es liegt ja bewahrt und umgeben
vom reinſten Enthuſiasmus die Nahrung meiner Wiege-
zeit. Dein Hauch, dem der Gott Unſterblichkeit einblies,
hat ja mir den Athem der Begeiſtrung eingeblaſen.
Laſſe es Dir gefallen, daß ich Dir noch einmal die Me-
lodieen meiner ſchönſten Lebenswege vorſinge, und zwar
im begeiſterten Rythmus des augenblicklichen Genuſſes,
[199] wo die Lebensquellen von Geiſt und Sinne ineinander-
ſtrömen, und ſo einander erhöhen, daß alles Bedeutung
gewinne, daß nicht allein das Erfahrne ſichtbar fühlbar
werde, ſondern auch das Unſichtbare, Ungehörte erkannt
und erhört werde.
Sind's Pauken und Poſaunen, die feierlichen Ju-
belſchlag an die Wolken dröhnen? — ſind's Harfen und
Zimbeln? — iſt's das Gewirr von tauſend Inſtrumen-
ten, das auf's Comandowort ſich ordnend löſ't, in rei-
ner Linie Takt ſich bildend wendet, die Sprache himm-
liſcher Influenzen redet, eindringt in den Menſchengeiſt
mit Farb' und Licht, die Sinne mit dem Geiſt ver-
mählt? — iſt's dieſer Erzeugung Kraft, die durch die
Adern rinnt das Blut beſchwörend, das irdiſche auszu-
ſtoßen und die reine Frucht himmliſcher Liebe, himmli-
ſchen Lichtes zu nähren, zu gebären? — haſt Du's nicht
vollbracht in mir wenn es noch leuchtet in meiner Seele?
— ja es leuchtet wenn ich Deiner gedenke; — oder ſind
es nur Schallmeien ſinnig und wähnend, nur an Phan-
taſie ſtreifend, nicht von ihrer Offenbarung ergriffen,
was ich dieſen Blättern zu vertrauen habe? — Was
es auch ſei! — bis in den Tod geleite mich der er-
ſten Liebe Muſik. Zu Deinen Füßen pflanze ich den
Grundbaß ein, er wachſe Dir zum Palmenhain auf, in
[200] deſſen Schatten Du wandelſt. Alles Liebe und Süße
was Du mir geſagt haſt flüſtre von Zweig zu Zweig
wie leiſe Melodieen zwitſchernder Vögel; — die Küſſe,
die Liebkoſungen zwiſchen uns, ſeien die honigtriefen-
den Früchte dieſes Haines; das Element meines Le-
bens aber: die Harmonie mit Dir, mit der Natur, mit
Gott, aus deren Schoos die Fülle der Erzeugung ſteigt.
aufwärts an's Licht, in's Licht, im Lichte vergehend: das
ſei der Strom, der gewaltige, der dieſen Hain umzin-
gelt, ihn einſam macht mit mir und Dir.
Weißt Du's noch wie Du in der Dämmerung mich
wieder beſtellteſt? — Du weißt nichts, ich weiß alles,
ich bin das Blatt auf das die Erinnerung aller Seelig-
keit geäzt iſt. Ja ich ging um Dein Haus herum und
wartete auf die Dämmerung und dachte, wenn ich an
die Pforte kam: „ob's wohl ſchon dunkel genug iſt? —
und ob er dies wohl für die Dämmerung hält?“ —
und aus Furcht Deinen Befehl zu verfehlen ging ich
noch einmal um das Haus, und wie ich nun eintrat
da ſchmälteſt Du, daß ich zu ſpät gekommen, es ſei
ſchon lange dämmerig, Du habeſt lange ſchon auf
mich gewartet. Dann ließeſt Du Dir ein weißes woll-
nes Gewand bringen und zogſt das Tagskleid aus, und
ſagteſt: „nun es gar Nacht geworden über dem Harren
[201] auf dich, ſo wollen wir recht nächtlich und bequem ſein
und recht feinwollig will ich gegen dich ſein, denn du
ſollſt mir heute beichten.“ Da kniete ich vor Dir auf
dem Schemel und umfaßte Dich und Du mich. Da
ſagteſt Du: „Vertrau mir doch und ſag mir alles was
in Deinem Herzen Gewalt geübt hat, Du weißt ich hab
Dich nie verrathen, kein Wort, kein Laut von dem was
Deine Leidenſchaft zu mir geraſt hat, iſt je über meine
Lippen gekommen, ſo ſag' mir doch, denn es iſt nicht
möglich, daß dein Herz dieſe ganze Zeit über ſo ruhig
war, ſag' mir doch wer war's, kenne ich ihn? — und
wie war's? Was haſt du noch alles gelernt und er-
fahren was Dich meiner vergeſſen machte?“ —
Damals lieber Freund ſagte ich Dir die Wahrheit
wie ich Dir betheuerte, daß mein Herz ganz ſtill gewe-
ſen ſei, daß nichts ſeitdem mich berührt habe, denn in
demſelben Augenblick war mir alles Wahn gegen Dich,
und bleiches Schattenbild die ganze Welt, und abge-
ſchiednes todtes ſchien mir des Schickſals Loos in Dei-
ner Nähe, ich konnte es ſagen mit vollem Bewußtſein,
daß ich Deiner Schönheit gebunden ſei, denn ich ſah
Dich ja an. — Du aber ruhteſt nicht und wollteſt
durchaus wiſſen die Geſchichte, die ich mich vergebens
bemühte zu erfinden, denn ich ſchämte mich beinah, daß
9**
[202] mir gar keine Liebesgeſchichte widerfahren war. Jetzt
beſann ich mich auf eine und wollte eben erzählen, und
hub an: „Ja! aber glaube nicht, daß Dir die Liebe in
den Weg gekommen, damals wandelte ich im Traum,
jetzt wache ich wieder; hier im Mondſchein an Deiner
Bruſt weiß ich wer ich bin und was Du mir biſt, wie
ich nur Dir angehöre, wie Du mich bezauberſt; aber
einmal“ — da begann ich meine Liebesgeſchichte von der
ich nichts mehr weiß. Und Du, Herrlicher! ließeſt mich
nicht weiter ſprechen und riefſt: „Nein, nein! du biſt
mein? — du biſt meine Muſe! — kein anderer ſoll ſa-
gen können, daß du ihm ſo zugethan warſt wie mir,
daß er deiner Liebe ſo verſichert war wie ich, ich habe
dich geliebt, ich habe dich geſchont, die Biene trägt nicht
ſorgfältiger und behutſamer den Honig aus allen Blü-
then zuſammen wie ich aus deinen tauſendfältigen Lie-
besergüſſen mir Genuß ſammelte.“ — Da fielen meine
Haarflechten nieder, Du nahmſt ſie und nannteſt ſie
braune Schlangen und ſteckteſt ſie in Dein Gewand,
und zogſt ſo meinen Kopf an Deine Bruſt, an der ich
von Ewigkeit zu Ewigkeit ruhen ſollte und des Den-
kens und des Treibens mich überheben, das wär' ſchön,
das wär' wahr, das wär' ſo die rechte ſüße Faulheit
meines Daſeins, das iſt die Paradieſesfrucht nach der
[203] ich ſchmachte, ruhen und ſchlafen in dem Bewußtſein,
daß ich dem Herrlichſten nahe bin.
So weit hatte ich geſtern geſchrieben, dann ging
ich Abends ſpät noch in Geſellſchaft, ich hatte den Vor-
ſatz gefaßt alles Liebliche und Tiefbedeutende was ich
mit Goethe erlebt, ihm in einem Cyclus ſolcher Briefe
noch einmal darzulegen; jetzt ſtand mir alles ſo klar
und deutlich vor Augen als wenn mir's eben erſt wider-
fahren wäre. Meine Seele war tief bewegt von dieſen
Erinnerungen und fern den Menſchen wie der Mond
wenn er jenſeits iſt. Bei ſolchen Stimmungen bin ich
immer auf eine ſonderbare Spitze gehoben, nämlich zum
Übermuth. — Man war in der Geſellſchaft ſchon von
Goethes Tode unterrichtet, ich erzählte, daß ich eben
nach Jahren zum erſtenmal wieder an ihn geſchrieben,
ſie machten alle trübe Geſichter aber keiner theilte mir
die Nachricht mit. Nachts um ein Uhr nach Haus;die
Zeitung lag an meinem Bett, ich las die Anzeige ſeines
Todes, ich war allein, ich brauchte keinem Red und Ant-
[204] wort zu geben über mein Gefühl; ich konnte ſo ruhig
dabei ſein und entgegen ſehen allem was es mir brin-
gen werde; da war's ganz deutlich, daß dieſe Liebes-
quelle mir nicht verſiegt ſei mit dem Tod, ich ſchlief ein
und träumte von ihm und erwachte um mich zu freuen,
daß ich ihn eben im Traum geſehen, und ich ſchlief wie-
der ein um weiter von ihm zu träumen, und ſo verging
mir dieſe Nacht voll ſüßem Troſt, und ich war gewiß
ſein Geiſt habe ſich mit mir verſöhnt und nichts ſei
mir verloren.
Wem ſollte ich nun wohl dies verwaiſ'te Blatt
vererben als dem Freund, der mit ſo innigem Antheil
mich von ihm ſprechen hörte, und wenn es ihm auch
nur wär' was ein falbes Blatt iſt, das der Wind vor
ſeinen Füßen hinwirbelt, er wird doch erkennen, daß es
am edlen Stamm gewachſen iſt. —
Ich will den Ausgang jenes Abends mit Goethe
hier auserzählen: Als ich weg ging begleitete er mit der
Kerze mich ins zweite Zimmer, indem er mich umfaßte
fiel das brennende Licht an die Erde, ich wollte es auf-
heben, er aber litt es nicht. „Laß es liegen, ſagte er,
es ſoll mir ein Maal in den Boden brennen wo ich
dich zuletzt geſehen habe, ſo oft ich dran vorüber gehe
will ich deiner lieben Erſcheinung gedenken. Bleib mir
[205] treu, bleib mein, ſagte er; ſo küßte er mich auf die
Stirn und ſchob mich zur Thür hinaus.
Wäre es nicht unrecht, daß am Feſt der Verklärung
die Nebel geheimer Vorwürfe aufſtiegen und den ſon-
nenhellen Horizont verdunkelten, ſo würde ich dem Freund
hier verklagen, grade die von der er weiß, daß ſie gern rein
und frei von jedem Fehl in der Liebe erſcheinen möchte,
ja dies beſchämte Herz! ſieh wie groß ſeine Vergehen
ſind gegen die Liebe, der nicht blos ein Zweig vom hei-
ligen Baum des Ruhms anvertraut war, nein, der
Baum ſelbſt, der dieſe Sproſſen ſich ewig verjüngend
treibt, war ihr zur Pflege befohlen, und ſie hat ſein
nicht geachtet, iſt nicht geblieben im Schutze dieſes Bau-
mes, der ohne ſie fortgrünte.
Aufgefahren gen Himmel! die Welt leer, die Trif-
ten öde, denn gewiß iſt's, daß Dein Fuß hier nicht mehr
wandert. Mag auch Sonnenſchein die Wipfel jener
Bäume beglänzen, die Du gepflanzt haſt! Mag ſich
das Gewölk theilen und der blaue Himmel ſich ihnen
[206] aufthun: ſie wachſen nicht hinein; aber die Liebe? —
wie wär's wenn die ihre Blüthenkrone da oben als
Teppich zu Deinen Füßen ausbreite? Wenn ſie hinauf-
ſtrebte fort und fort, bis ihr Wipfel anſtieß an den
Schemel Deiner Füße, und dort alle Blüthen entfaltend,
ihren Duft [um] Dich ſchwenkend: — wär' das nicht
auch zu den Himmelsfreuden zu zählen? — Ich hab'
Vertrauen, daß Du mich hörſt, daß mein Ruf aufwärts
gehe zu Dir. — Hier auf Erden da war's nicht mög-
lich. Das Marktgewühl des alltäglichen Lebens ließ
die Sehnſucht nicht durchdringen, keine einſame vertrau-
liche Zeit kam ihr zu Hülfe, ich ſelbſt ſagte mir hundert-
mal: es iſt alles verloren. — Herr! der mich hört, dem
ich vertraue, daß er mich höre: gieb Antwort. — Seit
ſie Dich todt ſagen klopft mir das Herz vor heimlicher
Erwartung. Es iſt als hätteſt Du mich dahin beſtellt
um mich zu überraſchen wie ſonſt im Garten, wo Du
aus umbuſchten Nebenwegen hervortratſt, den reifen
Apfel in der Hand, den ich dann vor Dir herwarf, um
Dich den Weg zu lenken in die Laube, wo die große
Kugel am Boden lag. Da ſagteſt Du: „Da liegt die
Welt zu deinen Füßen, und doch liegſt du mir zu Fü-
ßen.“ — Ja die Welt und ich wir lagen zu Deinen
Füßen, jene kalte Welt über der erhaben Du ſtandeſt,
[207] und ich, die zu Dir hinauf ſtrebte. So kam's auch:
die Welt blieb liegen und mich zogſt Du an's Herz.
An Deinem Herzen mein Freund, das warm ſchlug, wer
kann ermeſſen wie ſelig das war. Herr! iſt das alles
wieder zu erwerben, mit ſüßem Bewußtſein noch einmal
zu durchleben? —
O der falſchen Welt, die uns trennte und mich weg-
führte, mich armes blindes Kind von meinem Herrn. Was
hab' ich geſucht? — was hab' ich gefunden? — wer hat
mich freudig angelächelt? — Weſſen Umarmung hab'
ich ausgefüllt mit der liebenden Gewißheit, daß er nichts
ſeligeres umfaſſen könne? — Du warſt zufrieden mit
mir, Dich freute es zu ſehen wie aus dem Kinderherzen
die Quelle der Begeiſtrung für Dich hervorbrach, warum
mußte dieſe Quelle verſiegen? — konnte, ſollte nicht der
ganze Lebensſtrom Deinem Lächeln, Deinem Grüßen
und Nicken dahinfließen? — Wo war es ſchön als nur
bei Dir? — Du kannteſt die Grazien, ihr ferner Schritt
ſchon gab den Rythmus Deiner Begeiſtrung. — Das
ſtille Feuer Deiner dunklen Augen, die Ruhe Deiner
Glieder, Dein kindlich Lächeln zu meiner Liſt im Erzäh-
len, Deine gelehrige Andacht für meine Begeiſtrung.
Ja und Du ſenkteſt Dein heilig Haupt zu mir herab und
ſahſt mich an, die ich geweiht war durch Deine Nähe.
[208]
Vielleicht verſcherz' ich Dein bischen Andacht zu
mir, daß ich Dich ſo tief in den Schacht meines Her-
zens einſenke wo es ſo wunderlich hergeht, daß die Leute
ſagen würden es ſei Narrheit. — Ja Narrheit iſt die
rechte Scheidewand zwiſchen dem ewig Unſterblichen und
dem zeitlich Vergänglichen. Es ſcheue keiner die irdi-
ſchen Gewande zu verſehren am göttlichen Feuer. Du
biſt mein Freund oder biſt Du's auch nicht, ich weiß es
nicht, immer muß ich Dich ſo annehmen, da Du mitten
im Geheimniß meiner Bruſt ſtehſt wie ein Pfeiler an
den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim-
mer von gefährlicher Höhe ſich in die Fluthen ſtürzt
vor ſolchen Augen, denen er ſeine Kühnheit bewähren
möchte, ſo wage ich, weil Du mir Zeuge biſt dieſen dä-
moniſchen Gewalten mich anheim zu geben, dieſe Thrä-
nenfluth in der ich ſpiele, dieſe Frühlingsbegeiſtrung
meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in
mir aufſteigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich
nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände
was ich hier ausſpreche.
[209]
Der letzte Act der Blüthezeit iſt, daß ſie ihren be-
fruchtenden Staub mit dem Saamen in ihrem Kelch
miſche, dann tragen die Lüfte ſich ſpielend mit ihren ge-
löſten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck
der Begeiſtrung. Bald ſieht kein Auge mehr von ihrem
Glanz, ihre Zeit iſt vorüber; der Saame aber quillt
und offenbart in der Frucht das Geheimniß der Erzeu-
gung. Vielleicht wenn dieſe Blätter der Begeiſtrung
vom Stamme gelöſt dahin wirbeln und wie jene kleinen
Blüthenkronen, nachdem ſie ihren Duft ausgehaucht,
vom irdiſchen Staub beſchwert, flügellahm ſich endlich
unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des
Freundes, dem ſie duften, auch quillt und der Segen
dieſer ſchönen Liebe zwiſchen dem Dichter und dem Kinde
ſich an ſeinem Geiſt bewähre und ihn zu der Schönheit
befruchte, deren Abbild in ſeinen edlen Zügen ſich malt.
Wie begierig nach Liebe warſt Du! wie begierig
warſt Du geliebt zu ſein! — „Nicht wahr, du liebſt
mich? nicht wahr, es iſt dein Ernſt, du betrügſt mich
nicht?“ — ſo fragteſt Du, und ich ſah Dich an und
[210] ſchwieg. „Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder
betrügen, betrüge mich nicht, mir iſt lieber die Wahrheit
und wenn ſie auch ſchmerzt, als daß ich umgangen
werde.“ Wenn ich dann aufgeregt durch ſolche Reden
Dir mein Herz ausſprach, da ſagteſt Du: „Ja du biſt
wahr, ſo was kann nur die Liebe ſagen.“ — Goethe
hör' mich an! — Heute ſpricht auch die Liebe aus mir;
heute am dreißigſten März, acht Tage nach dem, wel-
chen man als den Tag Deines Todes bezeichnet, ſeit
welchem Tag alle Deine Rechte mir im Buſen ſich gel-
tend machen als läg ich noch zu Deinen Füßen; heute
will die Liebe Dir klagen: Du! oben — über den Wol-
ken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht geſtört durch
ihre Thränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? —
O löſe meine Klagen auf, und erlöſe mich, mache mich
frei von dieſer Sehnſucht erkannt zu werden und daß
man meiner auch bedürfen möge, — haſt Du nicht mich
erkannt? — ja mit prophetiſcher Stimme ſchlummernde
Kräfte der Begeiſtrung in mir geweckt, die mir ewige
Jugend zuſagen, die mich weit über die Fähigkeit der
Menſchen ſich mir zu nähern hinwegtragen? Haſt Du
mir nicht reichlich erſetzt im erſten Einklang mit meinem
Herzen, alles was je mir konnte entzogen werden? Du
an den zu denken mir leiſes Gewittern im Herzen er-
[211] regt, wo's gleich elektriſch ſchauert durch den Geiſt, wo
gleich Schlummer befällt das äußere Leben, und keine
Erkenntniß mehr von den Anſprüchen der äußeren Welt.
— Wer hat je mein Herz gefragt? — wer hat ſich ge-
neigt zur Blume, um ihre Farbe zu erkennen und ihren
Duft zu athmen? — wem hätte der Klang meiner
Stimme (von der Du ſagteſt: Du fühleſt was Echo
fühlen müſſe, wenn die Stimme eines Liebenden an ih-
rer Bruſt wiederhalle) eine Ahndung gegeben, welche
Geheimniſſe kraft Deiner dichteriſchen Segnungen ſie
auszuſprechen vermöge. O Goethe! Du allein haſt den
Schemel Deiner Füße mir hingerückt, und mir erlaubt
in Deiner Nähe meine Begeiſtrung auszuſtrömen. —
Was jammere ich denn? — daß es ſo ſtill iſt um mich?
— daß ich ſo einſam bin? — nun wohl! — in dieſer
einſamen Weite, wenn es ein Wiederhall meiner Ge-
fühle giebt, kannſt nur Du es ſein; wenn eine Tröſtung
mir zuweht aus freier Luft, ſo iſt es der Athem Deines
Geiſtes. Wer würde auch verſtehen was wir hier mit-
einander ſprechen, wer würde ſich feierlich fügen dem
Geſpräch Deines Geiſtes mit mir. — Goethe! — Es
iſt nicht mehr ſüß, unſer Zuſammenſein! es iſt kein Ko-
ſen, kein Scherzen; die Grazien räumen nicht mehr um
Dich her auf und ordnen jede Liebeslaune, jede Spiele-
[212] rei des Witzes zu heiteren Gedichten. — Die Küſſe, die
Seufzer, Thränen und Lächeln jagen und necken einan-
der nicht mehr, es iſt feierliche Stille, es iſt feierliche
Wehmuth, die mich ganz durchgreift. In meiner Bruſt
ordnen ſich die Harmonieen, die Tonarten löſen ſich von
einander, jede fühlt die Organe ihrer Verwandtſchaften
in ſich mächtig und was ſie vermag. So iſt es in
meiner Bruſt, weil ich's wage mich vor Dich zu ſtellen,
mitten in Deinen Weg, den Du eilend durchjagſt, und
Dich zu fragen: Kennſt Du mich noch? — die außer
Dir niemand kennt? — Siehe in mitten dieſer Bruſt
ſteht der reine Kelch der Liebe, gefüllt bis zum Rand
mit herbem Trank, mit bitteren Thränen ſchmerzlichen
Entbehrens. Wenn die Harmonieen übergehen in ein-
ander dann wird der Kelch erſchüttert, dann ſtrömen die
Thränen; ſie fließen Dir, der Du die Todtenopfer liebſt,
der Du ſagteſt: „Unſterblich ſein, um nach dem
Tode tauſendfach in jedem Buſen zu erwa-
chen.“ Ja! damals wollte ich: allein in meinem Bu-
ſen ſollteſt Du erwachen; und es iſt wahr geworden
und dicht hinter mir und Dir iſt das Leben abgeſchloſ-
ſen. Ach ich bin Deiner heiligen Gegenwart nicht ge-
wachſen, ich wage zu viel und ſtürze zuſammen und
ſehne mich nach einer Bruſt die lebt unter den Leben-
[213] den, die meine Geheimniſſe aufnimmt und mich wärmt;
denn: vor Dir ſtehen giebt ſchauerliche Kälte; und die
Hände muß ich ringen, daß ich Deiner ſo verinnigt zu
denken wage. Nein! — nicht Dich rufen! — nicht die
Hände nach Dir ausſtrecken, in dieſer ſeltſamen ſchauer-
lichen Stunde nach Dir forſchen über den Sternen, hin-
aufſehen, Deinen Namen rufen? — ich wag' es nicht!
— O ich fürchte mich! — beſſer beſcheiden den Blick
ſenken auf das Grab was Dich deckt; Blumen ſam-
meln, ſie dir hinſtreuen; ja die ſüßen Blumen der Er-
innerung alle wollen wir ſammeln, ſie duften ſo geiſtig,
mag ſie einer bewahren zu Deinem und meinem Geden-
ken, oder mag ſie der Zufall verwehen, einmal will ich die
ſüßen Geſchichten der Vergangenheit noch durchgehen.
Heute erzähle ich Dir wie Du mich in dunkler Nacht
unbekannte Wege führteſt, das war in Weimar auf dem
Markt als wir an eine Treppe kamen und Du zuerſt
nieder ſtiegſt und als ich unſicher, zu folgen verſuchte,
mich in Deinen Mantel gehüllt dahin trugſt; Herr! iſt
es wahr? — haſt mich in beiden Armen ſchwebend ge-
tragen, wie ſchön warſt Du da, wie groß und edel, wie
leuchtete Dein durchdringender Blick dunkel im Glanz
der Sterne mich an. Da oben mit beiden Armen Dich
umſchlingend wie war ich ſelig! wie lächelteſt Du, daß
[214] ich ſo ſelig war, wie freute es Dich, daß Du mich hat-
teſt, über Dir ſchwebend mich trugſt, wie freute ich mich,
und dann ſchwang ich mich hinüber auf die rechte Schul-
ter um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die
erleuchteten Fenſter ſehen, eine Reihe friedlicher Abende
von Alt und Jung, bei Lampenſchein oder bei hellem Kü-
chenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren da-
bei. Du ſagteſt: „iſt das nicht eine allerliebſte Bildergal-
lerie?“ — ſo kamen wir von einer Wohnung zur andern
aus den finſtern Straßen hervor unter die hohen Bäume,
ich reichte an die Äſte, da rauſchten die Vögel auf,
da freuten wir uns, wir beide! — Kinder ich und Du.
Und nun? — Du ein Geiſt aufgefahren zu den Him-
meln, und ich? — unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet,
unverſtanden, ungeliebt, ja ſie könnten mich fragen:
wer biſt du und was willſt du? und wenn ich Ant-
wort gäbe würden ſie ſagen: wir verſtehen dich nicht.
Du aber erkannteſt mich und öffneteſt mir die Arme
und das Herz und jede Frage war gelöſt und jeder
Schmerz beſchwichtigt. — Dort im Park zu Weimar
gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten
Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabſt mir viele
ſüße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: lieb
Herz! mein artig Kind! wie war ich erfreut zu wiſſen
[215] wie ich Dir heiße; dann führteſt Du mich an die Quelle,
ſie kam mitten aus dem Raſen hervor, wie eine grüne
kryſtallne Kugel, da ſtanden wir eine Weile und hör-
ten ihrem Getön zu, „ſie ruft der Nachtigall“ ſagteſt
Du, „denn die heißt auf perſiſch Bulbul, ſie ruft dich,
du biſt meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.“ Dann
gingen wir nach Hauſe, ich ſaß an Deiner Seite, da
war's ſo ſtille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es
klopfen, ich hörte Dich athmen, da lauſchte ich, und
hatte keine Gedanken als blos Deinem Leben zuzuhö-
ren. — O Du! — hier lang nach Mitternacht, allein
mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jah-
ren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Thränen
fließen; und Du! nicht auf Erden, jenſeits! — wo ich
Dich nicht mehr erreiche. — Ja Thränen! — alles um-
ſonſt. — So verging die Zeit an Deiner Bruſt, keine
Ahndung, daß ſie verging, es war alles für die Ewig-
keit eingerichtet. Dämmerung — die Lampe warf einen
ungewiſſen Schein an die Decke, die Flamme kniſterte
und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen
Sinnen. — Du wendeteſt Dich nach mir und ſahſt mich
lange an, dann lehnteſt Du mich ſanft aus Deinen Ar-
men und ſagteſt: „Ich will gehen, ſieh wie unſicher das
Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der
[216] Decke ſpielt, grade ſo unſicher brennt eine Flamme in
meiner Bruſt, ich bin ihrer nicht gewiß, ob ſie nicht auf-
lodere, und Dich und mich verſehre. Du drückteſt meine
Hände, Du gingſt ohne mich zu küſſen. Ich blieb al-
lein; erſt: wie es ſonderbar mit Liebenden iſt, war ich
ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von
Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz,
daß Du gegangen warſt. Wem ſollte ich's klagen, daß
ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor den Spiegel, da
ſah mein blaſſes Antlitz heraus, ſo ſchmerzlich ſah das
Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich ſelbſt, in
Thränen ausbrach.
Es iſt als ob jeder Athemzug ſich wieder aus der Ver-
gangenheit erhebe, was ich vergeſſen zu haben glaubte
greift mit Macht in mich ein, und erregt auf's neue
das Feuer verhaltner Schmerzen.
So weit habe ich in der Nacht geſchrieben, heut am
Tag ſchreibe ich noch als pſychologiſche Merkwürdigkeit
her auf welche [wunderbare] Weiſe ich mich beſchwichtigte,
wie die geängſtete mit aller Willenskraft der Jugend aus-
gerüſtete Seele ſich half. — Auf dem Tiſch vor dem
[Spiegel]
[217] Spiegel knieend, bei dem unſicheren Flackern der Nacht-
lampe, Hülfe ſuchend im eignen Auge, das mir mit
Thränen antwortete, die Lippen zuckten, die Hände ſo
feſtgefaltet auf der Bruſt, die bedrängt erfüllt war von
Seufzern. Siehe da! — Wie oft hatte ich gewünſcht
auch einmal vor ihm ſeine eigne Dichtung [ausſpre-
chen] zu dürfen, plötzlich fielen mir die großen gewal-
tigen Eichen ein, wie die vor wenig Stunden im
Mondlicht über uns gerauſcht hatten, und zugleich der
Monolog der Iphygenia auf Tauris, der ſo beginnt:
„Heraus in eure Schatten, rege Wipfel, des alten hei-
ligen dichtbelaubten Haines.“ — Ich ſtand aufrecht
vor dem Spiegel, es war mir als ob Goethe zuhöre,
ich ſagte den ganzen Monolog her, laut, mit einer ge-
wiß zum höchſten Grad des Kunſtgefühls geſteigerten
Begeiſtrung. Oft mußte ich inne halten, das leiſe ver-
haltne Beben der Stimme gab mir die Pauſen ein, die
in dieſem Monolog ſo weſentlich ſind, weil unmöglich
die nach allen Seiten ſich ſcharfrichtenden Blicke auf Zu-
kunft, Vergangenheit und Gegenwart, die ſeinen Inhalt
ausmachen, alles in einem ununterbrochnen Lauf auf-
faſſen können. Meine Rührung, mein tief von Goethes
Geiſt erſchütterter Geiſt, waren alſo Veranlaſſung mein
dramatiſches Kunſtgefühl zu ſteigern; ich empfand deut-
Tagebuch. 10
[218] lich die Begeiſtrung der Begeiſtrung. — Ich fühlte mich
wie in einer Wolke gebettet aufwärts ſchwebend, eine
göttliche Gewalt trieb dieſe Wolke entgegen dem Er-
ſehnten und zwar in der Verklärung ſeines eignen Wer-
kes welche ſchönere Apotheoſe ſeiner Einwirkung auf mich,
war zu erleben? — ſo waren denn alle Schmerzen der
Sehnſucht gelöſt in freudiges Flügelrauſchen des Gei-
ſtes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne
zuwinkt, ohne ſich empor zu ſchwingen, und im Gefühl
ſeiner Kraft ſie auf ihre Bahn zu verfolgen ſich genü-
gen läßt: ſo war ich, heiter und froh. — Ich ging zu
Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquik-
kender Gewitterregen.
So iſt von jeher und bis auf die heutige Stunde
alles unbefriedigte Begehren durch Kunſtgefühl aufgelöſt
worden. Jedes in der heiligen Natur begründete ſinn-
liche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenſchaft ſteigert ſich
ſchon hier zu der Sehnſucht, überzugehen in eine höhere
Welt, wo das Sinnliche auch Geiſt wird.
Ich danke Dir Freund, daß ich Dir alles ſagen
darf, unter allen Menſchen weiß ich keinen zweiten, dem
ich dieſe Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht
[219] zweifeln, daß Du ihren Werth erkennſt, ſie enthalten
das Heiligthum von Goethes Pietät, aus der ſein un-
endlicher Genius hervorgegangen war, der den Feuer-
geiſt des Lieblings ſanft zu lenken verſtand, daß er ſich ſtets
glücklich fühlte und in vollkommner Harmonie mit ihm.
Mein Freund! — Dir iſt's geſchenkt, das zu Tage
komme was ſonſt nie, nicht einmal in meinen einſamen
Träumen ſich wiederholt haben dürfte. Ich kann nicht
über mich ſelbſt entſcheiden was in mir vorgehe, ich fühle
mich in einem magiſchen Kreis von Wunderwahrheiten
eingeſchloſſen, durch dieſe tiefen Erinnerungen, ſo daß
ich ſogar das Wehen der Luft von damals mit zu em-
pfinden glaube, daß ich mich umſehe als ſtände er
hinter mir und daß ich jeden Augenblick empfinde wie
durch die Berührung des irdiſchen Geiſtes von einem
himmliſchen überirdiſchen Geiſt, alles denken in mir ent-
ſteht. So will ich denn mein inniges Zutrauen zu Dir
nicht verlieren, und trotz ſchauerlichen Nachtgeſpenſtern,
die Du mir entgegen ſcheuchſt dennoch fortfahren Dir
mitzutheilen wozu nur erprobte Treue berechtigt.
Von ungemeßner Höhe ſtrömt das Licht der Sterne
herab zur Erde, und die Erde ergrünt und blüht in
10*
[220] tauſend Blumen den Sternen entgegen. Der Geiſt der
Liebe ſtrömt auch aus ungemeßner göttlicher Höhe herab
in die Bruſt, und dieſem Geiſt entgegen lächeln auch
die Liebkoſungen eines blühenden Frühlings empor. Du!
wie ſich's die Sterne gefallen laſſen, daß ihr Wieder-
ſchein am friſch begrünten Boden im goldnen Blumen-
feld erblühn, ſo laſſe auch Dir es gefallen, daß Dein
höherer Geiſt Dir tauſendfältige Blüthen der Empfin-
dung aus meiner Bruſt hervorrufe. Ewige Träume
umſpinnen die Bruſt, Träume ſind Schäume, ja ſie ſchäu-
men und brauſen die Lebensfluth himmelan. Sieh, er
kommt! — ungeheure Stille in der weiten Natur, —
es regt ſich kein Lüftchen, es regt ſich kein Gedanke;
willenlos zu ſeinen Füßen der ihm gebundne Geiſt. —
Kann ich lieben, — ihn, der ſo erhaben über mir ſteht? —
Welt, wie biſt du enge? — Nicht einmal dehnt der
Geiſt die Flügel, ſo breitet er ſie weit über deine Grenze.
Ich verlaſſe Wald und Aue, den Spielplatz ſeiner dich-
teriſchen Luſt, ich glaubte den Saum ſeines Gewandes
zu berühren, — ich ſtrecke die Hände aus nach ihm! — es
war mir als fühle ich ſeine Gegenwart im blendenden
Schimmer, der ſich zwiſchen Thränen malt. — Es iſt ja
ein ſo einfacher Weg zwiſchen den Wolken durch, wa-
rum ſoll ich ihn nicht kühn wandeln? — ſiehe, der Äther
[221] trägt mich ſo gut wie der Raſen, — ich eile ihm nach,
wenn ich ihn auch nicht erreiche, kurz vor mir iſt Er
dieſen Wolkenſteig gewandelt, ſein Athem verträgt ſich
noch mit dem Luftſtrom, mag ich ihn doch trinken.
Nimm mich zurück, hilf mir herab, — das Herz
bricht mir, ja das Herz iſt nicht ſtark genug die leiden-
ſchaftliche Gewalt, die ſich über die Grenze bäumt, zu
tragen. Führ' mich zurück auf die Ebne, wo mein Ge-
nius mich Ihm einſt entgegen führte in der blühenden
Zeit zwiſchen Kindheit und Jugend, wo ſich der Augen-
ſtern zum erſtenmal zum Licht erhob, und wo Er mit
vollen Strahlen mir den Blick einnahm und jedes andre
Licht mir wegdunkelte.
O komm herein wie Du zum erſtenmal kamſt vor
das Antlitz des erblaſſenden verſtummten dem Verhäng-
niß der Liebe folgenden Kindes, wie es da zuſammen-
ſank, da es das Richtſchwerdt in Deinen Augen blitzen
ſah, wie Du es auffingſt in Deinen Armen. Die ſeit
Jahren geſteigerte Sehnſucht nach Dir mit einemmale
löſend, der Friede, der mich überkam an Deiner Bruſt!
der ſüße Schlaf, einen Augenblick, oder war's Betäu-
bung? — das weiß ich nicht. Es war tiefe Ruhe wie
[222] Du den Kopf über mich beugteſt, als wollteſt Du mich
in ſeinem Schatten bergen, und wie ich erwachte ſagteſt
Du: „du haſt geſchlafen!“ lange? — fragte ich. „Nun,
Saiten die lange nicht in meinem Herzen geklungen ha-
ben, fühlt' ich berührt, ſo iſt mir die Zeit ſchnell genug
vergangen.“ Wie ſahſt Du mich ſo mild an! — wie
war mir alles ſo neu! — ein menſchlich Antlitz zum er-
ſtenmal erkannt, angeſtaunt in der Liebe. Dein Antlitz
o Goethe, das keinem andern vergleichbar war, zum
erſtenmal mir in die Seele leuchtend. — O Herrlicher!
— Noch einmal knie ich hier zu Deinen Füßen, ich
weiß, Deine Lippen träufeln Thau auf mich herab
aus den Wolken, ich fühle mich wie belaſtet mit
Früchten der Seeligkeit, die all' Dein Feuergeiſt in mir
gezeitigt, ja ich fühl's, Du ſiehſt auf mich herab aus
himmliſchen Höhen, laſſe mich bewußtlos ſein, denn ich
vertrag's nicht, Du haſt mich aus den Angeln gehoben,
wo ſteh ich feſt? — Der Boden wankt, ſchweben ſoll
ich fortan, denn weil ich mich nicht mehr auf Erden
fühle; keinen kenne ich mehr, keine Neigung, keinen
Zweck, als nur ſchlafen, ſchlafen auf Wolken gebettet
an den Stufen Deines himmliſchen Thrones, Dein Auge
Feuerwache haltend über mir, Dein allbeherrſchender
Geiſt ſich über mich beugend im Blütherauſch der Lie-
[223] beslieder. Du! ſäuſelnd über mir, Nachtigallflötend:
das Geſtöhn meiner Sehnſucht. — Du! ſtürmend über
über mir, wetterbrauſend: die Raſerei meiner Leidenſchaft.
Du! — aufjauchzend, himmelandringend die ewigen
Hymnen beglückender Liebe, daß der Wiederhall an's
Herz ſchmettert, ja zu Deinen Füßen will ich ſchlafen,
Gewaltiger! Dichter! Fürſt! über den Wolken, während
Du die Harmonieen ausbreiteſt, deren Keime zuerſt Wur-
zel faßten in meinem Herzen.
Gebete ſteigen gen Himmel, was iſt Er, der auch
himmelan ſteigt? — Er iſt auch Gebet, gereift unter
dem Schutz der Muſen. — Eros, der himmliſche, leuch-
tet vorauf und theilt ihm die Wolken, — ich aber kann's
nicht ſehen, ich muß mich verbergen.
Sein Stolz! — ſein heiliger Stolz in ſeiner Schön-
heit. Heute ſagte Jemand, das ſei nicht möglich, er ſei
ſechzig Jahr alt geweſen wie ich ihn zum erſtenmal ge-
ſehen und ich eine friſche Roſe. O es iſt ein Unterſchied
zwiſchen Friſche der Jugend und der Schönheit, die der
göttliche Geiſt den menſchlichen Zügen einprägt, Schön-
heit iſt ein von der Gemeinheit abgeſchloßnes Daſein,
[224] ſie verwelkt nicht, ſie löſt ſich nur von dem Stamm,
der ihre Blüthe trug, aber ihre Blüthe ſinkt nicht in
den Staub, ſie iſt beflügelt und ſteigt himmelan.
Goethe, Du biſt ſchön! ich will Dich nicht zum zwei-
tenmal in Verſuchung führen, wie damals in der Bi-
bliothek, Deiner Büſte gegenüber, die in Deinem vierzig-
ſten Jahr das vollkommne Ebenmaaß Deiner höchſten
Schönheit ausdrückte; da ſtandſt Du in grünem Man-
tel gewickelt an den Pfeiler gelehnt, forſchend, ob ich
doch endlich in dieſen verjüngten Zügen den gegenwär-
tigen Freund erkenne, ich aber that nicht dergleichen,
ach Scherz, und geheime Luſt ließen mir's nicht über
die Lippen. „Nun?“ — fragte er ungeduldig: der
muß ein ſchöner Mann geweſen ſein, ſagte ich. — „Ja
wahrlich! dieſer konnte wohl ſagen zu ſeiner Zeit, er
ſei ein ſchöner Mann,“ ſagte er erzürnt; ich wollte an
ihn herangehen, er wies mich ab, einen Augenblick war
ich betroffen; — halte Stand wie dies Bild, rief ich,
ſo will ich Dich wieder ſanft ſchmeicheln, willſt Du
nicht? — nun ſo laß ich den Lebenden und küſſe den
Stein ſo lange, bis Du eiferſüchtig wirſt. — Ich um-
faßte die Büſte und küßte dieſe erhabne Stirn und dieſe
Marmorlippen, ich lehnte Wang an Wange, da hob
er mich plötzlich weg und hielt mich hoch in ſeinen Ar-
[225] men über ſeiner Bruſt, dieſer Mann von ſechzig Jah-
ren, ſah an mir hinauf, und gab mir ſüße Namen, und
ſagte die ſchönen Worte: Liebſtes Kind, du liegſt in
der Wiege meiner Bruſt*), dann ließ er mich an
die Erde, er wickelte meinen Arm in ſeinen Mantel und
hielt mir die Hand an ſein klopfend Herz und ſo gin-
gen wir langſamen Schrittes nach Haus; ich ſagte:
wie ſchlägt Dein Herz! — „Die Secunden, die mit ſol-
chem Klopfen mir an die Bruſt ſtürmen,“ ſagte er, „ſie
ſtürzen mit übereilter Leidenſchaft dir zu, auch du jagſt
10**
[226] mir die unwiederbringliche Zeit vorwärts.“ — So ſchön
fing er die Bewegung ſeines Herzens in ſüßen Worten
ein, der heilige unwiderſprechliche Dichter. —
Mein Freund, ich ſage Dir gute Nacht. Weine
mit mir einen Augenblick — ſchon iſt Mitternacht vor-
über, die Mitternacht, die ihn weggenommen hat.
Geſtern hab' ich noch viel an Goethe gedacht, nein
nicht gedacht: mit ihm verkehrt. Schmerz iſt bei mir,
nicht Empfinden, es iſt Denken, ich werde nicht berührt,
ich werde erregt. Ich fühle mich nicht ſchmerzlich be-
handelt, ich handle ſelbſt ſchmerzlich. — Das hat alſo
weh gethan, wie ich geſtern mit ihm war. — Ich hab'
auch von ihm geträumt. — Er führte mich längs dem
Ufer eines Fluſſes ſchweigend und ruhig und bedeutſam,
ich weiß auch, daß er ſprach einzelne Worte, aber nicht
was. Die Dämmerung ſchwärmte wie vom Wind ge-
jagte zerriſſene Nebelwolken, ich ſah das zitternde Blin-
ken der Sterne im Waſſer, mein gleichmäßiger Schritt
an ſeiner Hand machte mir das Bewegte, Irrende in der
Natur um ſo fühlbarer, das rührte mich, und rührt
mich jetzt während ich ſchreibe. Was iſt Rührung? —
iſt das nicht göttliche Gewalt, die eingeht durch meine
[227] Seele wie durch eine Pforte in meinem Geiſt, eindringt,
ſich miſcht und verbindet mit einer Natur, die vorher
unberührt war, mit ihr neue Gefühle, neue Gedanken,
neue Fähigkeiten erzeugt! — iſt es nicht auch ein Traum,
der den grünen Teppich unter Deinen Füßen ausbreitet
und ihn mit goldnen Blumen ſtickt? — und alle Schön-
heit, die Dich rührt, iſt ſie nicht Traum? alles was Du
haben möchteſt, träumſt Du nicht gleich Dich in ſeinen
Beſitz? — Ach, und wenn Du ſo geträumt haſt, mußt
Du dann es nicht wahr machen oder ſterben vor Sehn-
ſucht? — Und iſt der Traum im Traum nicht jene freie
Willkühr unſeres Geiſtes, die alles giebt was die Seele
fordert? Der Spiegel dem Spiegel gegenüber, die Seele
inmitten, er zeigt ihre Unendlichkeit in ewiger Verklärung.
Du willſt ich ſoll Dir mehr noch von ihm ſagen,
alles? — wie kann ich's? — gar zu ſchmerzlich wär's
von ihm getrennt alle Liebe zu wiederholen; nein! wenn
mir's wird, daß ich ihn ſelbſt ſeh und ſpreche, wie mir's
in dieſen beiden Tagen erging, wenn ich zu ihm bitten
kann wie ſonſt, wenn ich hoffen kann, daß er mir wie-
[228] der die ewige heilige Rede ſeines Blickes zuwendet, dann
will ich die Erinnerungen, die aus dieſem Blick mir zu-
winken Dir mittheilen. So wird's auch kommen: es iſt
nicht möglich, daß, blos weil die leichte Hülle von ihm
geſunken, dies alles nicht mehr ſein oder ſich ändern
ſollte. Ich will vertrauen und was andre für unmög-
lich halten, das ſoll mir möglich werden. Was wär'
die Liebe, wenn ſie nichts anders wär' als was die un-
regſame Menſchheit an ſich erfährt: ach ſie erfährt nichts
als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir
kühn genug ſind, die Ewigkeit zum Zeuge unſeres Glük-
kes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr
nicht gewachſen ſind, ach und nicht einmal: wir wiſſen
vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wiſſen und in
ihr ſein iſt zweierlei; gewußt hab' ich von ihr wie ich
nicht mehr in ihr war. Dies iſt der Unterſchied: in ihr
leben, da lebt man im Geheimniß, der innere Menſch
umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat.
Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man
wird gewahr wie eine höhere Welt uns einſt in ſich
aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer
göttlicher Berührung — das was Scherz der Liebe ſchien,
erkennen wir nun als himmliſche Weisheit, wir ſind er-
ſchüttert, daß der Gott uns ſo nah war, daß unſer ir-
[229] diſch Theil in ihm ſich nicht verzehrte, daß wir noch le-
ben, noch ſind, noch denken, daß wir nicht auf ewig auf-
gegeben haben, was man ſo gern in glücklicher Stunde,
am Buſen des Freundes aufgiebt, nämlich was anders
zu ſein als Tief empfunden von dem Geliebten.
Einmal ſtand ich am Fenſter mit ihm, es war
Mondſchein, die Blätter der Reben ſchatteten ſich ab
auf ſeinem Antlitz, der Wind bewegte ſie, ſo daß ſein
Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht
glänzte. Ich fragt: „Was ſagt Dein Aug?“ — weil
mir's ſchien als plaudre es. — „Du gefällſt mir!“ —
Was ſagen Deine Blicke? — „Du gefällſt mir wie
keine andre mir gefällt,“ ſagte er; o ich bitte, ſage
doch, was willſt Du mit Deinem durchdringenden Blick?
fragte ich, denn ich hielt ſeine Rede für keine Antwort
auf meine Frage. — „Er betheuert, ſagte er, was ich ſage,
und beſchwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling,
Sommer, Herbſt und Winter meinen Blick dir ſoll ver-
locken. Denn du lächelſt mir ja zu, wie der Welt du
niemals lächelſt, ſoll ich dir da nicht beſchwören, was
der Welt ich nie geſchworen?“
Es iſt mir häufig nur gleich einem Lichtſtreif, der mir
durch die Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von
denen ich kaum weiß ob ſie bedeutend genug ſind, daß man
[230] ſie als etwas Erlebtes bezeichne. — In der Natur iſt's auch
ſo, was ſpiegeln kann, das giebt wieder die Schrift der
Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umge-
ben, grade die höchſten Wipfel in die tiefſte Tiefe, und
die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm,
und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den
Grund, und ſo kann ich mit Recht ſagen: unergründ-
lich Geheimniß lockt alles zum Spiegel der Liebe, ſei
es auch noch ſo gering, ſei es auch noch ſo entfernt.
Wie ich ihn zum erſtenmal ſah, da erzählte ich
ihm wie mich die Eiferſucht gequält habe, ſeit ich von
ihm wiſſe; es waren nicht ſeine Gedichte, nicht ſeine
Bücher, die mich ſo ganz leidenſchaftlich ſtimmten, ich
war viel zu bewegt noch eh ich ihn geſehen hatte, meine
Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bü-
cher zu faſſen, ich war im Kloſter erzogen und hatte
noch nicht Poeſie verſtehen lernen; aber ich war ſchon
im ſechszehnten Jahr ſo von ihm hingeriſſen, daß wenn
man ſeinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder
tadeln, ſo befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war
Eiferſucht, ich ward ſchwindlich, war es bei Tiſch wo
meine Großmutter manchmal von ihm ſprach, ſo konnt'
ich nicht mehr eſſen, währte das Geſpräch länger, ſo
vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr,
[231] es brauſ'te um mich her, und wenn ich allein war dann
brach ich in Thränen aus, ich konnte die Bücher nicht
leſen, ich war viel zu bewegt, da war's gleichſam als
erſtürzte der Strom meines Lebens über Fels und Ge-
klüft in tauſend Kaskaden herab, und es dauerte lang
ehe er ſich wieder zur Ruh ſammelte. — Da kam nun
einer, der trug einen Siegelring am Finger und ſagte,
den habe Goethe ihm geſchenkt. Das klagte ich ihm,
wie ich ihn zum erſtenmal ſah, wie ſehr mich das ge-
ſchmerzt habe, daß er einen Ring ſo leichtſinnig habe
verſchenken können, noch eh er mich gekannt. Goethe
lächelte zu dieſen ſeltſamen Liebesklagen nicht, er ſah
milde auf mich herab, die zutraulich an ſeinen Knieen
auf dem Schemel ſaß. Beim Weggehen ſteckte er mir
den Ring an den Finger und ſagte: „Wenn einer
ſagt, er habe einen Ring von mir, ſo ſage du: Goethe
erinnert ſich an keinen wie an dieſen.“ —
Nachher nahm er mich ſanft an ſein Herz, ich zählte
die Schläge. — „Ich hoffe du vergißt mich nicht,“ ſagte
er, „es wäre undankbar, ich habe ohne Bedingungen
alle deine Forderungen ſo viel wie möglich befriedigt.“
— Alſo liebſt Du mich, ſagte ich, und ewig, denn
ſonſt bin ich ärmer wie je, ja ich muß verzweifeln.
[232]
Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler
Müller erhalten, der folgendes über Goethe ſchrieb: Er
ſtarb den ſeligſten Tod, ſelbſt bewußt, heiter, ohne To-
desahnung bis zum letzten Hauch, ganz ſchmerzlos. Es
war ein allmählig ſanftes Sinken und Verlöſchen der
Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war ſeine letzte For-
derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er:
„die Fenſterladen auf damit mehr Licht eindringe.“
Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen!
Heute bin ich ſo glücklich! Herr und Meiſter! Heute
iſt mir ein ſo herrlicher überraſchender Entſchluß aus
der Seele hervorgegangen, der mich Dir ſo nah bringen
wird. Du haſt mich wie ein läuterndes Feuer durch-
griffen und alles überflüſſige, alles Unweſentliche wegge-
zehrt. Es rauſcht ſo ſelig durch mich — keine luſtvollere,
keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber.
Wer kann ſich mit mir meſſen? — Was wollen
die? — die über mich urtheilen? — Wer mich kennt,
wer mich fühlt, will nicht urtheilen. — Wie die Sonne
freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz
[233] ſpielt, ſo ſpielt die Liebe, die Laune mir am Herzen, und
wen ich liebe, dem bringt es Ehre, und wen ich Freund
nenne, der kann ſich drüber freuen, dem hab' ich Ehre
erzeugt, denn er kam gleich nach Dir. Wenn's
in mir klopfte und tobte dann ſtrömte mir die Liebes-
luſt die Melodieen dazu und die Begeiſtrung nahm ſie
in den allumrauſchenden Ocean der Harmonieen auf.
Du hörteſt mir zu und ließeſt die andern den Verſtand
haben, ſich meiner Narrheit zu entſetzen; unterdeſſen
ſtrömte Ewiges durch Deine Lieder, und der Eiferſucht
Brand theilte die Nebelſchauer auseinander, der Sonne
kräftiger Strahl lockte Blüthe und Frucht.
Ja, ewiger Rauſch der Liebe und Nüchternheit des
Verſtandes, Ihr ſtört einander nicht, die eine jauchzt
Muſik, die andre lieſ't den Text. — Bildet Euch, ur-
theilt, macht Euch Namen, nützlich, herrlich und groß.
Habt Launen und was Ihr verſäumt? — erkennt es
nie! Denn ich und Er, der mir im ungemeſſnen Leben
zuſtrömte, erſetzt mir alles.
Du biſt oben, Du lächelſt herab! O dieſes Jahres
Frühlingsregen, die Gewitter ſeiner Sommerzeit, ſie kom-
men aus Deinem Bereich. Du wirſt mir zudonnern,
Du wirſt Deine gewaltige tiefe Natur mir an's Herz
ſchmettern und ich jauchze mich hinauf.
[234]
Wenn die Begeiſtrung den Weg zum Himmel
nimmt, dann ſchwingt ſie ſich tanzend im Flug, und
die Götterjünglinge ſtehen gereiht und freuen ſich ihrer
Kühnheit. — Und Du? — Du biſt ſtolz, daß ſie der
Liebling Deiner irdiſchen Tage iſt, die den Luftocean
mit luſtbrauſender Ungeduld durchrudert, aufſpringt mit
gleichen Füßen am Himmelsbord, und mit hoch auflo-
dernder Fackel Dir entgegen fliegt, ſie über Dir ſchwin-
gend, dann ſie hinſchleudernd in die hallenden Him-
melsräume, daß ſie dem Zufall leuchte zum Dienſt, ihr
iſt's einerlei wie; ſie liegt im Schooß des Geliebten,
und Eros, der eiferſüchtige, hält Wache, daß nicht ähn-
liche Flammen in ihrer Nähe ſich zünden.
In Böhmen am Waldesrand auf der Höhe da harr-
teſt Du meiner und wie ich Dir entgegen kam den ſtei-
leren kürzeren Weg kletternd, da ſtandeſt Du feſt und
ruhig wie eine Säule; der Wind aber, der Bote des
heranrückenden Wetters, raſte gewaltig und wühlte in
den Falten Deines Mantels, und hob ihn und warf
ihn Dir über's Haupt und wieder herab, und wehte an
beiden Seiten ihn mir entgegen, als wolle er Dich mit
herabziehen zu mir, die ich ein kleines Weilchen unweit
Deiner Höhe ausruhte vom Steigen, um die klopfenden
Schläfe und die erhitzten Wangen zu kühlen, und dann
[235] kam ich zu Dir, Du nahmſt mich vor Dich an die Bruſt,
und ſchlugſt die Arme um mich in Deinen Mantel mich
einhüllend. Da ſtanden wir im leiſen Regen, der ſich
durch das dickbelaubte Gezweig ſtahl, daß hie und da
die warmen Tropfen auf uns fielen. Da kamen die
Wetter von Oſten und Weſten, wenig wurde geredet.
Wir waren einſylbig. — „Es wird ſich verziehen jen-
ſeits,“ ſo ſagteſt Du, „wenn es nur nicht da unten ſo
ſchwarz herauf käme.“ — Und die Schaaren der Wol-
ken ritten am Horizont herauf, — es ward dunkel, —
der Wind hob kleine Staubwirbel um uns her, Deine
linke Hand deutete auf die Ferne, während die rechte
das Gekräut und die bunten Pflanzen hielt, die ich un-
terwegs geſammelt hatte. — „Sieh, dort giebt's Krieg!
— dieſe werden jene verjagen; wenn meine Ahndung und
Erfahrungen im Wetter nicht trügen, ſo haben wir ihrer
Streitſucht den Frieden zu danken.“ — Kaum hatteſt
Du dieſe Worte ausgeſagt ſo blitzte es und brach wie
von allen Seiten der Donner los; — ich ſah über mich
und ſtreckte die Arme nach Dir, Du beugteſt Dich über
mein Geſicht und legteſt Deinen Mund auf meinen,
und die Donner krachten, prallten aneinander, ſtürzten
von Stufe zu Stufe den Olympos herab, und leiſe rollend
flüchteten ſie in die Ferne, kein zweiter Schlag folgte. —
[236]
„Hält man das Liebchen im Arm: läßt man
die Wetter überm Haupt ſich ergehen!“ das
waren Deine letzten Worte da oben, wir gingen hinab,
Hand in Hand. — Die Nacht brach ein, in der Stadt
zündete die Obſtfrau eben ihr Licht an, um ihre Äpfel
zu beleuchten, Du bliebſt ſtehen und ſahſt mich lange
an. — „So benützt Amor die Leuchte der Alten, und
man betrachtet bei einer Laterne ſeine Äpfel und
ſein Liebchen.“ — Dann führteſt Du mich ſchweigend
bis zu meiner Wohnung, küßteſt mich auf die Stirn
und ſchobſt mich zur Hausthür hinein. Süßer Friede
war die Wiege meiner träumenden Luſt bis zum an-
dern Morgen.
Nach zehn Jahren ward dies ſchöne Ereigniß, was ſo
deutlich in meinem Gedächtniß eingeprägt blieb Veran-
laſſung zur Erfindung von Goethe's Monument. Moritz
Bethmann aus Frankfurt am Main hatte es beſtellt, er
wünſchte der unwiderſprechliche Charakter des Dichters
möge drinn ausgedrückt werden. Er traute mir das Ta-
lent zu, daß ich die Idee dazu finden würde, obſchon ich
damals noch nichts mit der Kunſt zu ſchaffen gehabt hatte.
[237] — In demſelben Augenblick fiel mir Goethe ein, wie er
damals am Rand des Berges geſtanden, den Mantel un-
ter den Armen hervor zuſammen geworfen, ich an ſeiner
Bruſt. — Das Erfindungsfieber ergriff mich, oft mußt'
ich mich zerſtreuen, um nur nicht mich ganz überlaſſen
zu dürfen dem Gebrauſe der Imagination und den Er-
ſchütterungen der Begeiſtrung. Nachdem ich die Nächte
nicht geſchlafen und am Tag nichts genoſſen war meine
Idee gereinigt vom Überflüſſigen und entſchieden für's
Weſentliche.
Ein verklärtes Erzeugniß meiner Liebe,
eine Apotheoſe meiner Begeiſtrung und ſei-
nes Ruhms; ſo nannte es Goethe, wie er es zum er-
ſtenmal ſah.
Goethe in halber Niſche auf dem Thron ſitzend,
ſein Haupt über die Niſche, welche oben nicht geſchloſ-
ſen ſondern abgeſchnitten iſt, erhaben, wie der Mond
ſich über den Bergesrand herauf hebt. Mit nackter
Bruſt und Armen. Den Mantel, der am Hals zuge-
knüpft iſt, über die Schultern zurück unter den Armen
wieder hervor im Schooße zuſammen geworfen, die
linke Hand, welche damals nach den Gewittern deutete,
hebt ſich jetzt über der Leier ruhend, die auf dem lin-
ken Knie ſteht; die rechte Hand, welche meine Blumen
[238] hielt, iſt in derſelben Art geſenkt, und hält nachläſſig
ſeines Ruhms vergeſſend den vollen Lorbeerkranz
geſenkt, ſein Blick iſt nach den Wolken gerichtet, die
junge Pſyche ſteht vor ihm, wie ich damals, ſie hebt
ſich auf ihren Fußſpitzen, um in die Saiten der Leier
zu greifen, und er läßt's geſchehen in Begeiſtrung ver-
ſunken. Auf der einen Seite der Thronlehne iſt Mig-
non als Engel gekleidet mit der Überſchrift: „So laßt
mich ſcheinen bis ich werde,“ jenſeits Bettina, wie ſie,
zierliche kindliche Mänade auf dem Köpfchen ſteht, mit
der Inſchrift: „Wende die Füßchen zum Himmel nur
ohne Sorge! Wir ſtrecken Arme betend empor, aber
nicht ſchuldlos wie Du.“
Es ſind jetzt acht Jahre her, daß ein hieſiger Künſt-
ler *) die Gefälligkeit hatte, mit mir eine Skizze in
Thon von dieſem Monument zu machen, es ſteht in
Frankfurt auf dem Muſeum, man war ſehr geneigt es
in Thon ausführen zu laſſen, da gab Goethe das frank-
furter Bürgerrecht auf, dies verminderte zu ſehr das
Intereſſe für ihn, als daß man noch mit der Energie,
die dazu nöthig war, die Sache betrieben hätte, und
ſo iſt's bis heute unterblieben. Ich ſelbſt hab' oft in
[239] mich hineingedacht, was meine Liebe zu ihm denn wohl
bedeute, und was daraus entſpringen könne, oder ob ſie
denn ganz umſonſt geweſen ſein ſolle, da fiel mir's in die-
ſen letzten Tagen ein, daß ich ſo oft ſchon als Kind über-
legte, wenn er geſtorben wär', was ich da anfangen ſolle,
was aus mir werden ſolle, und daß ich da immer mir
dachte, auf ſeinem Grab möchte ich ein Plätzchen ha-
ben, bei ſeinem Denkmal möchte ich verſteinert ſein wie
jene Steinbilder, die man zu ſeinem ewigen Nachruhm
aufſtellen werde; ja ich ſah im Geiſt mich in ein ſol-
ches Hündchen, das gewöhnlich zu Füßen hoher Män-
ner und Helden als Sinnbild der Treue ausgehauen
liegt, darein möcht' ich mich verwandeln. Heute Nacht
dachte ich daran, daß ich früher öfter in ſolche Viſionen
verſunken war und da war mir's ſo klar, daß dies der
Keim ſei zu ſeinem Monument, und daß es mir obliege
ſeine Entſtehung zu bewirken. Seit ich dieſen Gedan-
ken erfaßt habe bin ich ganz freudig, und habe große
Zuverſicht, daß es mir gelingen werde. Goethe ſagte
mir einmal folgende goldne Worte: „Sei beſtändig und
was einmal göttlicher Beſchluß in dir bedungen, daran
ſetze alle Kräfte, daß du es zur Reife bringeſt. Wenn
die Früchte auch nicht der Art ausfallen, wie du ſie er-
warteſt, ſo ſind es doch immer Früchte höherer Empfin-
[240] dung, und die allſeitig erzeugende lebennährende Natur,
kann und ſoll von der ewigen göttlichen Kraft der Liebe
noch übertroffen werden.“ — Dieſer Worte gedenkend,
die er damals auf unſre Liebe bezog und, ihnen ver-
trauend, daß ſie noch heute meine ſchwache Natur zum
Ziel leiten, werde ich verharren in dieſem Beſchluß, denn
ſolche Früchte erzeugt die Liebe, wenn es auch die nicht
ſind, die ich damals erwartete, ſo traue ich doch ſeiner
Verheißung, es werde mir gelingen.
Zur Geſchichte des Monuments gehört noch, daß
ich es ſelbſt zu Goethe brachte. Nachdem er es lange
angeſehen hatte, brach er in lautes Lachen aus; ich
fragte: „Nun! mehr kannſt Du nicht als lachen?“ —
und Thränen erſtickten meine Stimme. — „Kind! mein
liebſtes Kind!“ rief er mit Wehmuth, „es iſt die Freude,
die laut aus mir aufjauchzt, daß du liebſt, mich liebſt,
denn ſo was konnte nur die Liebe thun.“ — Und feier-
lich die Hände mir auf den Kopf legend: „Wenn die
Kraft meines Segens etwas vermag, ſo ſei ſie dieſer
Liebe zum Dank auf dich übertragen.“ — Es war das ein-
zigemal, wo er mich ſegnete, anno 24 am 5. September.
[241]
Der Freund weiß daß die Sehnſucht nicht iſt, wie
der Menſch ſich von ihr denkt, wie von dem Brauſen
des Windes, und von beiden falſch; nämlich, daß
beide ſo ſind, und auch wohl wieder vergehen; und
die Frage: Warum und woher und wohin, iſt ihnen
bei der Sehnſucht wie bei dem Wind. Aber: Wie
hoch herab ſenken ſich wohl dieſe Kräfte, die das junge
Gras aus dem Boden hervorlocken? — und wie hoch
hinauf ſteigen wohl dieſe Düfte, die ſich den Blumen
entſchwingen? — iſt da eine Leiter angelegt? — oder
ſteigen alle Gewalten der Natur aus dem Schooß der
Gottheit herab, und ihre einfachſten Erzeugniſſe wie-
der zu ihrem Erzeuger hinauf? — ja gewiß! — al-
les was aus göttlichem Segen entſpringt kehrt zu
ihm hinauf! und die Sehnſucht nach Ihm, der erſt
niederſank wie Thau auf den durſtigen Boden des
menſchlichen Geiſtes, der hier in ſeine herrlichſte Blüthe
ſich entfaltete, der aufſtieg im Duft ſeiner eigenen
Verklärung; ſollte dieſe Sehnſucht nicht auch him-
melan ſteigen? — ſollte ſie den Weg zu ihm hinauf
nicht finden? —
[242]
Dieſes Fleiſch iſt Geiſt geworden.
Dieſe Worte habe ich als Inſchrift des Monu-
ments erwählt. Was der Liebende Die zuruft Goethe,
es bleibt nicht ohne Antwort. Du belehrſt, Du er-
freuſt, Du durchdringſt, Du machſt fühlbar, daß das
Wort Fleiſch annimmt in des Liebenden Herz.
Wie der Ton hervorbricht aus dem Nichts, und
wieder hinein verhallt, der das Wort trug was nie
verhallt, was in der Seele klingt und alle verwand-
ten Harmonieen aufruft: ſo bricht auch die Begeiſte-
rung hervor aus dem Nichts, und trägt das Wort
in's Fleiſch und verhallt dann wieder. — Der Geiſt
aber, der ſich vermählt mit der Weisheit des Wortes,
wie jene himmliſchen Kräfte ſich im Boden vermählen
mit dem Saamen aus deſſen Blumen ſie im Duft wie-
der aufſteigen zu ihrem Erzeuger, der wird auch em-
porſteigen und ihm wird Antwort ertönen vom himm-
liſchen Äther herab.
Der Zug der Lüfte, die auch aufſeufzen und da-
herbrauſen wie die Sehnſucht, von denen wir nicht
wiſſen von wannen, die haben auch keine Geſtalt;
ſie können nicht ſagen: das bin ich oder das iſt
mein! — aber der Athem der Gottheit durchſtrömt
ſie, der giebt ihnen Geſtalt, denn er gebärt ſie durch
[243] das Wort in's Fleiſch. — Du weißt, daß die Liebe die
einzige Gebärerin iſt; — daß, was ſie nicht darbringt
dem himmliſchen Erzeuger, nicht zur ewigen Sipp-
ſchaft gehöre? — was iſt Wiſſen, das nicht von der
Liebe ausgeht? — was iſt Erfahrung, die ſie nicht
giebt? — was iſt Bedürfniß, das nicht nach ihr ſtrebt?
— was iſt Handeln, das nicht ſie übt? — wenn Du
die Hand ausſtreckſt und haſt den Willen nicht die
Liebe zu erreichen, was haſt Du da? — [oder] was er-
faſſeſt Du? — Der Baum, den Du mit allen Wurzeln
in die Grube einbetteſt, dem Du die fruchtbare Erde
zuträgſt, die Bäche zuleiteſt, damit Er, der nicht wan-
dern kann, alles habe was ihn gedeihen macht, der
blüht Dir, und Deine Sorge ſchenkſt Du ihm darum;
ich auch thue alles, damit ſein Andenken mir blühe. —
Die Liebe thut alles ſich zu lieb und doch verläßt der
Liebende ſich ſelber und geht der Liebe nach.
Ende des Tagebuchs.
Appendix A
Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.
(Goethe's Werke, 2ter Band, Seite 6.)
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Tagebuch. Tagebuch. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj93.0