DES
NATURERKENNENS.
IN DER
ZWEITEN ÖFFENTLICHEN SITZUNG
DER 45. VERSAMMLUNG
DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE
ZU LEIPZIG
AM 14. AUGUST 1872
In Nature's infinite book of secrecy
A little we can read.
VERLAG VON VEIT \& CO.
1872.
[]
Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten.
Wie es einen Welteroberer der alten Zeit an einem
Rasttag inmitten seiner Siegeszüge verlangen konnte, die
Grenzen der unübersehbaren seiner Herrschaft unterwor¬
fenen Länderstrecken genauer festgestellt zu sehen, um
hier ein noch nicht zinspflichtig gemachtes Volk zum
Tribut heranzuziehen, dort in der Wasserwüste ein sei¬
nen Reiterschaaren unüberwindliches Naturhinderniss, und
die wahre Schranke seiner Macht zu erkennen: so wird
es für die Weltbesiegerin unserer Tage, die Naturwissen¬
schaft, kein unangemessenes Beginnen sein, wenn sie bei
festlicher Gelegenheit von der Arbeit ruhend die wahren
Grenzen ihres unermesslichen Reiches einmal klar sich
vorzuzeichnen versucht. Für um so gerechtfertigter halte
ich dies Unternehmen, als ich glaube, dass über die
Grenzen des Naturerkennens zwei Irrthümer sehr ver¬
breitet sind, und als ich es für möglich halte, einer
solchen Betrachtung, trotz ihrer scheinbaren Trivialität,
I[2] selbst für die, welche jene Irrthümer nicht theilen, einige
neue Seiten abzugewinnen.
Ich setze mir also vor, die Grenzen des Naturerken¬
nens aufzusuchen, und beantworte zunächst die Frage,
was Naturerkennen sei.
Naturerkennen — genauer gesagt naturwissenschaft¬
liches Erkennen oder Erkennen der Körperwelt mit Hülfe
und im Sinne der theoretischen Naturwissenschaft — ist
Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf
Bewegungen von Atomen, die durch deren von der Zeit
unabhängige Centralkräfte bewirkt werden, oder Auflö¬
sung der Naturvorgänge in Mechanik der Atome. Es
ist psychologische Erfahrungsthatsache, dass, wo solche
Auflösung gelingt, unser Causalitätsbedürfniss vorläufig
sich befriedigt fühlt. Die Sätze der Mechanik sind ma¬
thematisch darstellbar, und tragen in sich dieselbe apo¬
diktische Gewissheit, wie die Sätze der Mathematik. In¬
dem die Veränderungen in der Körperwelt auf eine con¬
stante Summe potentieller und kinetischer Energie, welche
einer constanten Menge von Materie anhaftet, zurückge¬
führt werden, bleibt in diesen Veränderungen selber nichts
zu erklären übrig.
Kant's Behauptung in der Vorrede zu den Metaphy¬
sischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, „dass in
„jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche
„Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin
[3] „Mathematik anzutreffen sei“ — ist also vielmehr noch
dahin zu verschärfen, dass für Mathematik Mechanik der
Atome gesetzt wird. Sichtlich dies meinte er selber, als
er der Chemie den Namen einer Wissenschaft absprach,
und sie unter die Experimentallehren verwies. Es ist
nicht wenig merkwürdig, dass in unserer Zeit die Chemie,
indem sie durch die Entdeckung der Substitution ge¬
zwungen wurde, den elektrochemischen Dualismus auf¬
zugeben, sich von dem Ziel, eine Wissenschaft in die¬
sem Sinne zu werden, scheinbar wieder weiter ent¬
fernt hat.
Denken wir uns alle Veränderungen in der Körper¬
welt in Bewegungen von Atomen aufgelöst, die durch
deren constante Centralkräfte bewirkt werden, so wäre
das Weltall naturwissenschaftlich erkannt. Der Zustand
der Welt während eines Zeitdifferentiales erschiene als
unmittelbare Wirkung ihres Zustandes während des vo¬
rigen und als unmittelbare Ursach ihres Zustandes wäh¬
rend des folgenden Zeitdifferentiales. Gesetz und Zufall
wären nur noch andere Namen für mechanische Noth¬
wendigkeit. Ja es lässt eine Stufe der Naturerkenntniss
sich denken, auf welcher der ganze Weltvorgang durch
Eine mathematische Formel vorgestellt würde, durch Ein
unermessliches System simultaner Differentialgleichungen,
aus dem sich Ort, Bewegungsrichtung und Geschwindig¬
keit jedes Atomes im Weltall zu jeder Zeit ergäbe. „Ein
1 *[4] „Geist,“ sagt Laplace, „der für einen gegebenen Augen¬
„blick alle Kräfte kennte, welche in der Natur wirksam
„sind, und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen
„sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre, um
„diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in
„derselben Formel die Bewegungen der grössten Welt¬
„körper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts
„wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit
„wäre seinem Blicke gegenwärtig. Der menschliche Ver¬
„stand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie
„zu geben gewusst hat, ein schwaches Abbild solchen
„Geistes dar.“1
In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den
Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu er¬
theilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach
Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus
verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte
Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns
sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „Presi¬
dent“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag
vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tie¬
fen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auf¬
taucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den
Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee
blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbren¬
nen wird. Setzte er in der Weltformel t = — ∞, so
[5] enthüllte sich ihm der räthselhafte Urzustand der Dinge.
Er sähe im unendlichen Raume die Materie bereits ent¬
weder bewegt oder ungleich vertheilt, da bei gleicher
Vertheilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden
wäre. Liesse er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen,
so erführe er, ob Carnot's Satz erst nach unendlicher
oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem
Stillstande bedroht. Solchem Geiste wären die Haare
auf unserem Haupte gezählt, und ohne sein Wissen fiele
kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts ge¬
wandter Prophet, wäre ihm, wie schon d'Alembert in
der Einleitung zur Encyklopaedie, Laplace's Gedanken
im Keime hegend, es ausdrückte, „das Weltganze nur
„eine einzige Thatsache und Eine grosse Wahrheit“.2
Es braucht nicht gesagt zu werden, dass der mensch¬
liche Geist von dieser vollkommenen Naturerkenntniss
stets weit entfernt bleiben wird. Um den Abstand zu
zeigen, der uns sogar von deren ersten Anfängen trennt,
genügt Eine Bemerkung. Ehe die Differentialgleichun¬
gen der Weltformel angesetzt werden könnten, müssten
alle Naturvorgänge auf Bewegungen eines substantiell
unterschiedslosen, mithin eigenschaftslosen Substrates
dessen zurückgeführt sein, was uns als verschiedenartige
Materie erscheint, mit anderen Worten, alle Qualität
müsste aus Anordnung und Bewegung solchen Substra¬
tes erklärt sein.
[6]
Dies ist völlig im Einklange mit der Lehre von den
Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und
-Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie Joh.
Müller sie nannte, den Sinnsubstanzen schliesslich einer¬
lei Bewegung zu. Wie in dem von Hrn. Bidder erson¬
nenen, Hrn. Vulpian gelungenen Versuch am Tast- und
Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungs¬
fasern so mit einander verheilen, dass Erregung von Fa¬
sern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der an¬
deren Art übergeht, so würden, wäre der Versuch
möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven mit
einander verschmelzen. Bei über's Kreuz verheilten Seh-
und Hörnerven hörten wir mit dem Auge den Blitz als
Knall, und sähen mit dem Ohre den Donner als Reihe
von Lichteindrücken.3 Die Sinnesempfindung als solche
entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Sub¬
stanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige
Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen,
und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der „specifi¬
schen Energien“ Joh. Müller's, die Qualität erzeugen.
Das mosaische: Es ward Licht, ist physiologisch falsch.
Licht ward erst, als der erste rothe Augenpunkt eines
Infusoriums zum ersten Male Hell und Dunkel unter¬
schied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre
diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster
und stumm.
[7]
Und stumm und finster an sich, d. h. eigenschaftslos,
wie sie aus der subjectiven Zergliederung hervorgeht, ist
die Welt auch für die durch objective Betrachtung ge¬
wonnene mechanische Anschauung, welche statt Schalles
und Lichtes nur Schwingungen eines eigenschaftslosen,
dort zur wägbaren, hier zur unwägbaren Materie gewor¬
denen Urstoffes kennt.
Aber wie wohlbegründet diese Vorstellungen im All¬
gemeinen auch sind, zu ihrer Durchführung im Einzelnen
fehlt noch so gut wie Alles. Der Stein der Weisen, der
die heute noch unzerlegten Stoffe ineinander umwandelte
und aus einem höheren Grundstoffe, wenn nicht dem Ur¬
stoffe selber, erzeugte, müsste gefunden sein, ehe die
ersten Vermuthungen über Entstehung scheinbar verschie¬
denartiger aus in Wirklichkeit unterschiedsloser Materie
möglich würden.
Obschon der menschliche Geist von dem von La¬
place gedachten Geiste stets weit entfernt bleiben wird,
ist er doch nur stufenweise davon verschieden, etwa wie
eine bestimmte Ordinate einer Curve von einer zwar
ausnehmend viel grösseren, jedoch noch endlichen Ordi¬
nate derselben Curve. Wir gleichen diesem Geist, denn
wir begreifen ihn. Ja es ist die Frage, ob nicht ein
Geist wie Newton's von dem von Laplace gedachten
Geiste sich weniger unterscheidet, als der Geist eines
Australnegers oder eines Pescheräh's vom Geiste Newton's.
[8] Mit anderen Worten, die Unmöglichkeit, die Differential¬
gleichungen der Weltformel aufzustellen, zu integriren
und das Ergebniss zu discutiren, ist keine grundsätzliche,
sondern beruht auf der Unmöglichkeit, die nöthigen
thatsächlichen Bestimmungen zu erlangen, und, selbst
wenn dies möglich wäre, auf deren unermesslicher Aus¬
dehnung, Mannigfaltigkeit und Verwickelung.
Die Naturerkenntniss, welche der von Laplace ge¬
dachte Geist besässe, stellt somit die höchste denkbare
Stufe unseres eigenen Naturerkennens vor. Wir können
deshalb jene Erkenntniss bei der Untersuchung über die
Grenzen dieses Erkennens zu Grunde legen. Was bei
ihr unerkannt bliebe, das wird unserem in so viel enge¬
ren Schranken eingeschlossenen Geiste vollends verbor¬
gen bleiben.
Zwei Stellen sind es nun, wo auch der von Laplace
gedachte Geist vergeblich weiter vorzudringen trachten
würde, vollends wir stehen zu bleiben gezwungen sind.
Erstens nämlich ist daran zu erinnern, dass das Na¬
turerkennen, welches vorher als unser Causalitätsbedürf¬
niss vorläufig befriedigend bezeichnet wurde, in Wahrheit
dies nicht thut, und kein Erkennen ist. Die Vorstellung,
wonach die Welt aus stets dagewesenen und unvergäng¬
lichen kleinsten Theilen besteht, deren Centralkräfte alle
Bewegung erzeugen, ist gleichsam nur Surrogat einer
Erklärung. Sie führt, wie bemerkt, alle Veränderungen
[9] in der Körperwelt auf eine constante Summe von Kräf¬
ten und eine constante Menge von Materie zurück, und
lässt an den Veränderungen selber also nichts zu erklä¬
ren übrig. Bei dem gegebenen Dasein jenes Constan¬
ten können wir, der gewonnenen Einsicht froh, eine Zeit
lang uns beruhigen; bald aber verlangen wir tiefer ein¬
zudringen, und es selber seinem Wesen nach zu begrei¬
fen. Da ergiebt sich denn bekanntlich, dass zwar
innerhalb bestimmter Grenzen die atomistische Vorstel¬
lung für den Zweck unserer physikalisch-mathematischen
Ueberlegungen brauchbar, ja unentbehrlich ist, dass sie
aber, wenn die Grenzen der an sie zu stellenden For¬
derungen überschritten werden, als Corpuscular- Philo¬
sophie in unlösliche Widersprüche führt.
Ein physikalisches Atom, d. h. eine im Vergleich
zu den Körpern, mit denen wir Umgang haben, ver¬
schwindend klein gedachte, ihres Namens ungeachtet in
der Idee aber noch theilbare Masse, der Eigenschaften
oder ein Bewegungszustand zugeschrieben werden, mit¬
tels welcher das Verhalten einer aus unzähligen solchen
Atomen bestehenden Masse sich erklärt, ist eine in sich
folgerichtige und unter Umständen nützliche Fiction der
mathematischen Physik. Doch wird selbst deren Ge¬
brauch neuerlich möglichst vermieden, indem man statt
auf discrete Atome, auf Volumelemente der continuir¬
lich gedachten Körper zurückgeht.4
Ein philosophisches Atom dagegen, d. h. eine an¬
geblich nicht weiter theilbare Masse trägen wirkungs¬
losen Substrates, von der durch den leeren Raum in
die Ferne wirkende Kräfte ausgehen, ist bei näherer Be¬
trachtung ein Unding.
Denn soll das nicht weiter theilbare, träge, an sich
unwirksame Substrat wirklichen Bestand haben, so muss
es einen gewissen, noch so kleinen Raum erfüllen.
Dann ist nicht zu begreifen, warum es nicht weiter theil¬
bar sei. Anch kann es den Raum nur erfüllen, wenn
es vollkommen hart ist, d. h. indem es durch eine an
seiner Grenze auftretende, aber nicht darüber hinaus¬
wirkende abstossende Kraft, welche alsbald grösser
wird als jede gegebene Kraft, gegen Eindringen eines
anderen Körperlichen in denselben Raum sich wehrt.
Abgesehen von anderen Schwierigkeiten, welche hieraus
entspringen, ist das Substrat alsdann kein wirkungsloses
mehr.
Denkt man sich umgekehrt mit den Dynamisten als
Substrat nur den Mittelpunkt der Centralkräfte, so er¬
füllt das Substrat den Raum nicht mehr, denn der Punkt
ist die im Raume vorgestellte Negation des Raumes.
Dann ist nichts mehr da, wovon die Centralkräfte aus¬
gehen, und was träg sein könnte, gleich der Materie.
Durch den leeren Raum in die Ferne wirkende
Kräfte sind an sich unbegreiflich, ja widersinnig, und
[11] erst seit Newton's Zeit, durch Missverstehen seiner
Lehre und gegen seine ausdrückliche Warnung, den
Naturforschern eine geläufige Vorstellung geworden.
Denkt man sich mit Descartes und Leibniz den gan¬
zen Raum erfüllt, und alle Bewegung durch Ueber¬
tragung in Berührungsnähe erzeugt, so ist zwar das
Entstehen der Bewegung auf ein unserer sinnlichen An¬
schauung entlehntes Bild zurückgeführt, aber es stellen
sich andere Schwierigkeiten ein. Unter Anderem ist es
bei dieser Vorstellung unmöglich, die verschiedene
Dichte der Körper aus verschiedener Zusammenfügung
des gleichartigen Urstoffes zu erklären.
Es ist leicht, den Ursprung dieser Widersprüche
aufzudecken. Sie wurzeln in unserem Unvermögen,
etwas anderes als mit unseren äusseren Sinnen entweder,
oder mit unserem inneren Sinn Erfahrenes uns vorzu¬
stellen. Bei dem Bestreben, die Körperwelt zu zerglie¬
dern, gehen wir aus von der Theilbarkeit der Materie,
da sichtlich die Theile etwas einfacheres und ursprüng¬
licheres sind, als das Ganze. Fahren wir in Gedanken
mit Theilung der Materie in's Unendliche fort, so bleiben
wir mit unserer Anschauung in dem uns angewiesenen
Geleise, und fühlen uns in unserem Denken unbehindert.
Zum Verständniss der Dinge aber thun wir keinen Schritt,
da wir in der That nur das im Bereiche des Grossen
und Sichtbaren Erscheinende auch im Bereiche des Klei¬
[12] nen und Unsichtbaren uns vorgestellt haben. Wir
kommen so zum Begriffe des physikalischen Atoms.
Hören wir nun irgendwo willkürlich mit der Theilung
bei angeblichen philosophischen Atomen auf, die nicht
weiter theilbar, vollkommen hart und überdies an sich
wirkungslos und nur Träger der Centralkräfte sein sollen,
so verlangen wir von einer Materie, die wir uns unter
dem Bilde der Materie denken, mit der wir Um¬
gang haben, ohne dass wir irgend ein neues Er¬
klärungsprincip einführen, dass sie neue, ursprüng¬
liche, das Wesen der Körper aufklärende Eigenschaften
entfalte. So begehen wir den Fehler, der in den vor¬
her blossgelegten Widersprüchen sich offenbart.5
Niemand, der etwas tiefer nachgedacht hat, ver¬
kennt die transcendente Natur des Hindernisses, das sich
uns hier entgegenstellt. Wie man auch es zu umgehen
versuche, in der einen oder anderen Form stösst man
immer darauf. Von welcher Seite, unter welcher
Deckung man ihm sich nähere, man erfährt seine Un¬
besiegbarkeit. Die alten ionischen Physiologen standen
davor nicht rathloser als wir. Alle Fortschritte der Na¬
turwissenschaft haben nichts dawider vermocht, alle fer¬
neren werden dawider nichts fruchten. Nie werden wir
besser als heute wissen, was, wie Paul Erman zu sagen
pflegte, „hier“, wo Materie ist, „im Raume spukt“.
Denn sogar der von Laplace gedachte, über den unseren
[13] so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht
klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd,
dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes
stehen.
Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke
ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und be¬
kannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Kör¬
perwelt verständlich. Von dem Urzustand eines kreisen¬
den Nebelballes führt die von Hrn. Helmholtz an der
Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte
Kant'sche Hypothese6 zur Einsicht in die Entstehung
unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde
als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfass¬
barer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen
sie im Lauf unermesslieher Zeiträume mit einer Schale
erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und
Veste sich scheiden, den Granit durch heisse koh¬
lensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu
kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedin¬
gungen entstehen, unter denen Leben möglich ward.
Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob
auf tiefem Meeresboden als Bathybius- Urschleim, oder
unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen
entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Drucke
der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je?
Aber der von Laplace gedachte Geist im Besitze der
[14] Weltformel könnte es sagen. Denn beim Zusammen¬
treten unorganischer Stoffe zu Lebendigem handelt es
sich zunächst nur um Bewegung, um Anordnung von
Molecülen in mehr oder minder festen Gleichgewichts¬
lagen, und um Einleitung eines Stoffwechsels theils
durch Spannkräfte der Molecüle, theils durch von aussen
überkommene Bewegung. Was das Lebende vom
Todten, die Pflanze und das nur in seinen körperlichen
Functionen betrachtete Thier vom Krystall unterscheidet,
ist zuletzt dieses: Im Krystall befindet sich die Materie
in stabilem Gleichgewichte, während durch das orga¬
nische Wesen ein Strom von Materie sich ergiesst, die
Materie darin in mehr oder minder vollkommenem dy¬
namischem Gleichgewichte7 sich befindet, mit bald posi¬
tiver, bald der Null gleicher, bald negativer Bilanz.
Daher ohne Einwirkung äusserer Massen und Kräfte der
Krystall ewig bleibt was er ist, dagegen das organische
Wesen in seinem Bestehen von gewissen äusseren Be¬
dingungen, den integrirenden Reizen der älteren Phy¬
siologie, abhängt, in sich potentielle Energie in kine¬
tische verwandelt und umgekehrt, und einem bestimmten
zeitlichen Verlauf unterworfen ist. Ohne grundsätz¬
liche Verschiedenheit der Kräfte im Krystall und
im organischen Wesen erklärt sich so, dass beide
miteinander incommensurabel sind, wie ein blosses Bau¬
werk incommensurabel ist mit einer Fabrik, in die hier
[15] Kohle, Wasser, Rohstoffe, aus welcher dort Kohlensäure,
Wassergas, Rauch, Asche und Erzeugnisse ihrer
Maschinen strömen. Das Bauwerk kann man sich aus
lauter dem Ganzen ähnlichen Theilen so gefügt vorstellen,
dass es gleich dem Krystall in ähnliche Theile spaltbar
ist; die Fabrik ist gleich dem organischen Wesen, wenn
wir von dessen Aufbau aus Zellen und der Theilbarkeit
mancher Organismen absehen, ein Individuum.
Es ist daher ein Missverständniss, im ersten Er¬
scheinen lebender Wesen auf Erden etwas Supranatura¬
listisches, etwas Anderes zu sehen, als ein überaus
schwieriges mechanisches Problem. Von den beiden Irr¬
thümern, auf die ich hinweisen wollte, ist dies der eine.
Nicht hier ist die andere Grenze des Naturerkennens;
hier nicht mehr als in der Krystallbildung. Könnten
wir die Bedingungen herstellen, unter denen orga¬
nische Wesen einst entstanden, wie wir dies für ge¬
wisse, keinesweges für sämmtliche Krystalle können, so
würden nach dem Principe des Actualismus8 wie damals
auch heute noch organische Wesen entstehen. Sollte
es aber auch nie gelingen, Urzeugung zu beobachten,
geschweige sie im Versuch herbeizuführen, so wäre doch
hier kein unbedingtes Hinderniss. Wären uns Materie
und Kraft verständlich, die Welt hörte nicht auf begreif¬
lich zu sein, auch wenn wir uns jetzt die Erde von
ihrem aequatorialen Smaragdgürtel bis zu den letzten
[16] flechtengrauen Polarklippen mit der üppigsten Fülle
von Pflanzenleben überwuchert denken, gleichviel
welchen Antheil an der Gestaltung des Pflanzen¬
reiches man organischen Bildungsgesetzen, welchen
der natürlichen Zuchtwahl einräume. Nur die zur
Befruchtung vieler Pflanzen jetzt als unentbehrlich er¬
kannte Beihülfe der Insectenwelt müssen wir aus Grün¬
den, die bald einleuchten werden, in dieser Betrach¬
tung bei Seite lassen. Im Uebrigen bietet das
reichste, von Bernardin de St. Pierre, von Hum¬
boldt oder Pöppig entworfene Naturgemälde eines tro¬
pischen Urwaldes dem Blicke der theoretischen Natur¬
forschung schlechterdings nichts dar, als bewegte Ma¬
terie. Es ist dies, wie mir scheint, eine neue und sehr
einfache Form, die man dem Beweis ertheilen kann,
dass es keine Lebenskraft im Sinne der Vitalisten
giebt.
Allein es tritt nunmehr, an irgend einem Punkte
der Entwickelung des Lebens auf Erden, den wir nicht
kennen und auf den es hier nicht ankommt, etwas
Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum, gleich
dem Wesen von Materie und Kraft, Unbegreifliches.
Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden
des Verständnisses zerreisst, und unser Naturerkennen
gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittig
trägt: wir stehen an der anderen Grenze unseres Witzes.
[17]
Dies neue Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich
werde jetzt, wie ich glaube in sehr zwingender Weise,
darthun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unse¬
rer Kenntniss das Bewusstsein aus seinen materiellen
Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugiebt,
sondern dass es auch der Natur der Dinge nach aus
diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die ent¬
gegengesetzte Meinung, dass nicht alle Hoffnung aufzu¬
geben sei, das Bewusstsein aus seinen materiellen Be¬
dingungen zu begreifen, dass dies vielmehr im Laufe
der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in un¬
geahnte Reiche der Erkenntniss vorgedrungenen Men¬
schengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite
Irrthum, dessen Bekämpfung ich mir in diesem Vortrage
vorgesetzt habe.
Ich gebrauche dabei absichtlich den Ausdruck „Be¬
wusstsein“, weil es hier nur um die Thatsache eines
geistigen Vorganges irgend einer, sei es der niedersten
Art, sich handelt. Man braucht nicht Watt sein
Parallelogramm erdenkend, nicht Shakspeare, Raphael,
Mozart in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen be¬
griffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus sei¬
nen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen
Vorganges zu haben. Wie die gewaltigste und ver¬
wickelteste Muskelleistung eines Menschen oder Thieres im
Wesentlichen nicht dunkler ist, als einfache Zuckung
2[18] eines einzelnen Primitivmuskelbündels;9 wie die einzelne
Secretionszelle das ganze Räthsel der Absonderung birgt:
so ist auch die erhabenste Seelenthätigkeit aus mate¬
riellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreif¬
licher, als das Bewusstsein auf seiner ersten Stufe, der
Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen
oder Schmerz, die im Beginn des thierischen Lebens auf
Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unüber¬
steigliche Kluft gesetzt, und die Welt nunmehr doppelt
unbegreiflich geworden.
Ueber wenig Gegenstände ist anhaltender nachge¬
dacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten
worden, als über die Verbindung von Leib und Seele
im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die
Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinungen gehabt.
Der neueren Philosophie liegt diese Frage ferner; um so
reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert
an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und
Geist.
Descartes selber hatte sich die Möglichkeit, diese
Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen
vorweg abgeschnitten. Erstens behauptete er, dass
Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Got¬
tes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als
unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in Einem
Punkte, nämlich in der sogenannten Zirbeldrüse des Ge¬
[19] hirns, einander berühren.10 Er behauptete zweitens, dass
die im Weltall vorhandene Bewegungsgrösse beständig
sei.12 Je sicherer daraus die Unmöglichkeit zu folgen
scheint, dass die Seele Bewegung der Materie erzeuge,
um so mehr erstaunt man, wenn nun Descartes, um
die Willensfreiheit zu retten, die Seele einfach die Zir¬
beldrüse in dem nöthigen Sinne bewegen lässt, damit
die thierischen Geister, wir würden sagen das Nerven¬
princip, den richtigen Muskeln zuströmen. Umgekehrt
die durch Sinneseindrücke erregten thierischen Geister
bewegen die Zirbeldrüse, und die mit dieser verbundene
Seele merkt die Bewegung.12
Descartes' unmittelbare Nachfolger, Clauberg13,
Malebranche15, Geulincx15 bemühen sich, einen so offen¬
baren Missgriff zu verbessern. Sie halten fest an der
Unmöglichkeit einer Wechselwirkung von Geist und
Materie, als zweier verschiedener Substanzen. Um aber
zu verstehen, wie dennoch die Seele den Körper bewegt
und von ihm erregt werde, nehmen sie an, dass das
Wollen der Seele Gott veranlasse, den Körper jedesmal
nach Wunsch der Seele zu bewegen. Umgekehrt die
Sinneseindrücke veranlassen Gott, die Seele jedesmal in
Uebereinstimmung damit zu verändern. Die Causa effi¬
ciens der Veränderungen des Körpers durch die Seele
und umgekehrt ist also stets nur Gott; das Wollen der
Seele und die Sinneseindrücke sind nur die Causae occa¬
2 *[20]sionales für die unaufhörlich erneuten Eingriffe seiner
Allmacht.
Leibniz endlich pflegte dies Problem mittels des,
wie es scheint, ursprünglich von Geulincx herrührenden
Bildes zweier Uhren zu erläutern, die gleichen Gang
zeigen sollen.16 Auf dreierlei Art, sagt er, könne dies
geschehen. Erstens können beide Uhren durch Schwin¬
gungen, die sie einer gemeinsamen Befestigung mit¬
theilen, einander so beeinflussen, dass ihr Gang derselbe
werde, wie dies Huyghens beobachtet habe, und wie es
im Anfange dieses Jahrhunderts Breguet sogar angewen¬
det hat, um den Gang jeder der beiden Uhren gleichförmiger
zu machen.17 Zweitens könne stets die eine Uhr gestellt
werden, um sie in gleichem Gange mit der anderen zu
erhalten. Drittens könne von vorn herein der Künstler
so geschickt gewesen sein, dass er beide Uhren, obschon
ganz unabhängig von einander, gleich gehend gemacht
habe. Zwischen Leib und Seele sei die erste Art der
Verbindung anerkannt unmöglich. Die zweite, der occa¬
sionalistischen Lehre entsprechende, sei Gottes unwürdig,
den sie als Deus ex machina verwende. So bleibe nur
die dritte übrig, in der man Leibniz' eigene Lehre der
praestabilirten Harmonie wiedererkennt.
Allein diese und ähnliche Betrachtungen sind in den
Augen der neueren Naturforschung entwerthet und der
Wirkung auf die heutigen Ansichten beraubt durch die
[21] dualistische Grundlage, auf welche sie, gemäss ihrem
halb theologischen Ursprunge, gleich anfangs sich stellen.
Ihre Urheber gehen aus von der Annahme einer vom
Körper unbedingt verschiedenen geistigen Substanz, der
Seele, deren Verbindung mit dem Körper sie unter¬
suchen. Sie finden, dass eine Verbindung beider Sub¬
stanzen nur durch ein Wunder möglich ist, und dass,
auch nach diesem ersten Wunder, ein ferneres Zusam¬
mengehen beider Substanzen nicht anders stattfinden
kann, als wiederum durch ein entweder stets erneutes
oder seit der Schöpfung fortwirkendes Wunder. Diese
Folge nun geben sie für eine neue Einsicht aus, ohne
hinreichend zu prüfen, ob nicht sie selber vielleicht sich
die Seele erst so zurechtgemacht haben, dass eine Wech¬
selwirkung zwischen ihr und dem Körper undenkbar ist.
Mit Einem Wort, der gelungenste Beweis, dass keine Wech¬
selwirkung von Körper und Seele möglich sei, lässt dem
Zweifel Raum, ob nicht die Praemissen willkürlich seien, und
ob nicht Bewusstsein einfach als Wirkung der Materie ge¬
dacht und vielleicht begriffen werden könne. Für den Na¬
turforscher muss daher der Beweis, dass die geistigen Vor¬
gänge aus ihren materiellen Bedingungen nie zu begrei¬
fen sind, unabhängig von jeder Voraussetzung über den
Urgrund jener Vorgänge geführt werden.
Ich nenne astronomische Kenntniss eines materiellen
Systemes solche Kenntniss aller seiner Theile, ihrer ge¬
[22] genseitigen Lage und ihrer Bewegung, dass ihre Lage
und Bewegung zu irgend einer vergangenen und zu¬
künftigen Zeit mit derselben Sicherheit berechnet werden
kann, wie Lage und Bewegung der Himmelskörper bei
vorausgesetzter unbedingter Schärfe der Beobachtungen
und Vollendung der Theorie. Um die Differentialglei¬
chungen anzusetzen, deren Integration die gewünschten
Bestimmungen liefert, genügen gleichsam drei Positionen
der Theile des Systemes, d. h. es ist nöthig und zu¬
reichend, dass in drei aufeinanderfolgenden, durch zwei
Zeitdifferentiale getrennten Augenblicken die Lage der
Theile des Systemes bekannt sei. Aus dem Unterschiede
der in den gleichen, unendlich kleinen Zeiträumen durch¬
laufenen, nach den drei Axen zerlegten Wege folgen
dann die auf das System und die in ihm wirkenden
Kräfte.
Astronomische Kenntniss eines materiellen Systemes
ist bei unserer Unfähigkeit, Materie und Kraft zu be¬
greifen, die vollkommenste Kenntniss, die wir davon er¬
langen können. Es ist die, wobei unser Causalitätstrieb
sich zu beruhigen gewohnt ist, und welche der von La¬
place gedachte Geist selber bei gehörigem Gebrauche
seiner Weltformel von dem Systeme besitzen würde.
Denken wir uns nun, wir hätten es zur astronomi¬
schen Kenntniss eines Muskels, einer Drüse, eines elek¬
tischen oder Leucht-Organes im gereizten Zustande, einer
[23] Flimmerzelle, einer Pflanze, des Eies in Berührung mit dem
Samen, der Frucht auf irgend einer Stufe der Entwickelung
gebracht. Alsdann besässen wir also von diesen materiellen
Systemen die vollkommenste mögliche Kenntniss, unser Cau¬
salitätstrieb wäre soweit befriedigt, dass wir nur noch
verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu
begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse,
Schlag des elektrischen, Leuchten des Leucht-Organes, Flim¬
merbewegung, Wachsthum und Chemismus der Zellen in der
Pflanze, Befruchtung und Entwickelung des Eies: alle
diese jetzt hoffnungslos dunklen Vorgänge wären uns so
durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten.
Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astro¬
nomischer Kenntniss für das Gehirn des Menschen, oder
auch nur für das Seelenorgan des niedersten Thieres,
dessen geistige Thätigkeit auf Empfinden von Lust und
Unlust sich beschränken mag, so wird zwar in Bezug
auf alle darin stattfindenden materiellen Vorgänge unser
Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Causalitäts¬
trieb ebenso befriedigt sich fühlen, wie in Bezug auf
Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntniss
von Muskel oder Drüse. Die unwillkürlichen und nicht
nothwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen
der Centraltheile, Reflexe, Mitbewegung, Athembewegun¬
gen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirnes und Rücken¬
markes u. d. m. wären erschöpfend erkannt. Auch die
[24] mit geistigen Vorgängen der Zeit nach stets, also wohl
nothwendig zusammenfallenden Vorgänge wären ebenso
vollkommen durchschaut. Und es wäre natürlich ein
hoher Triumph, wenn wir zu sagen wüssten, dass bei
einem bestimmten geistigen Vorgang in bestimmten
Ganglienkugeln und Nervenröhren eine bestimmte Be¬
wegung bestimmter Atome stattfinde. Es wäre grenzen¬
los interessant, wenn wir so mit geistigem Auge in uns
hineinblickend die zu einem Rechenexempel gehörige
Hirnmechanik sich abspielen sähen wie die Mechanik
einer Rechenmaschine; oder wenn wir auch nur wüssten,
welcher Tanz von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-,
Sauerstoff-, Phosphor- und anderen Atomen der Seligkeit
musikalischen Empfindens, welcher Wirbel solcher Atome
dem Gipfel sinnlichen Geniessens, welcher Molecularsturm
dem wüthenden Schmerz beim Misshandeln des N. trige¬
minus entspricht. Die Art des geistigen Vergnügens,
welche die durch Hrn. Fechner geschaffenen Anfänge
der Psychophysik oder Hrn. Donders' Messungen der
Dauer einfacherer Seelenhandlungen uns bereiten, lässt
uns ahnen, wie solche unverschleierte Einsicht in die
materiellen Bedingungen geistiger Vorgänge uns erbauen
würde.
Was aber die geistigen Vorgänge selber betrifft,
so zeigt sich, dass sie bei astronomischer Kenntniss des
Seelenorganes uns ganz ebenso unbegreiflich wären, wie
[25] jetzt. Im Besitze dieser Kenntniss ständen wir vor ihnen
wie heute, als vor einem völlig Unvermittelten. Die
astronomische Kenntniss des Gehirnes, die höchste, die
wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als
bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung
oder Bewegung materieller Theilchen aber lässt sich
eine Brücke in's Reich des Bewusstseins schlagen.
Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als
könnten durch die Kenntniss der materiellen Vorgänge
im Gehirne gewisse geistige Vorgänge und Anlagen uns
verständlich werden. Ich rechne dahin das Gedächtniss,
den Fluss und die Association der Vorstellungen, die Fol¬
gen der Uebung, die specifischen Talente u. d. m. Das
geringste Nachdenken lehrt, dass dies Täuschung ist.
Nur über gewisse innere Bedingungen des Geistesle¬
bens, welche mit den äusseren durch die Sinneseindrücke
gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unter¬
richtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geistes¬
lebens durch diese Bedingungen.
Welche denkbare Verbindung besteht zwischen be¬
stimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem
Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprüng¬
lichen, nicht weiter definirbaren, nicht wegzuläugnenden
Thatsachen: „Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke
süss, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth,“ und
der ebenso unmittelbar daraus fliessenden Gewissheit:
[26] „Also bin ich“? Es ist eben durchaus und für immer
unbegreiflich, dass es einer Anzahl von Kohlenstoff-,
Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- u. s. w. Atomen nicht
sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen,
wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich
bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen,
wie aus ihrem Zusammenwirken Bewusstsein entstehen
könne. Sollte ihre Lagerungs- und Bewegungsweise
ihnen nicht gleichgültig sein, so müsste man sie sich
nach Art der Monaden schon einzeln mit Bewusstsein aus¬
gestattet denken. Weder wäre damit das Bewusstsein
überhaupt erklärt, noch für die Erklärung des einheitlichen
Bewusstseins des Individuums das Mindeste gewonnen.18
Dass es vollends unmöglich sei, und stets bleiben
werde, höhere geistige Vorgänge aus der als bekannt
vorausgesetzten Mechanik der Hirnatome zu verstehen, be¬
darf nicht der Ausführung. Doch ist, wie schon bemerkt,
gar nicht nöthig, zu höheren Formen geistiger Thätig¬
keit zu greifen, um das Gewicht unserer Betrachtung zu
vergrössern. Sie gewinnt gerade an Eindringlichkeit
durch den Gegensatz zwischen der vollständigen Unwis¬
senheit, in welcher astronomische Kenntniss des Gehirnes
uns über das Zustandekommen auch der niedersten
geistigen Vorgänge liesse, und der durch solche Kenntniss
gewährten ebenso vollständigen Enträthselung der höch¬
sten Probleme der Körperwelt. Ein aus irgend einem
[27] Grunde bewusstloses, z. B. ohne Traum schlafendes Ge¬
hirn enthielte, astronomisch durchschaut, kein Geheimniss
mehr, und bei astronomischer Kenntniss auch des übri¬
gen Körpers wäre so die ganze menschliche Maschine,
mit ihrem Athmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel,
ihrer Wärme, u. s. f., bis auf das Wesen von Materie
und Kraft, völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist
begreiflich, wie die Welt, ehe es Bewusstsein gab. Wie
aber mit der ersten Regung von Bewusstsein die Welt
doppelt unbegreiflich ward, so wird es auch der Schläfer
wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild.
Der unlösliche Widerspruch, in welchem die me¬
chanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit, und
dadurch mittelbar mit der Ethik steht, ist sicherlich von
grosser Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller
Zeiten hat sich daran erschöpft, und wird fortfahren,
daran sich zu üben. Abgesehen davon, dass Freiheit
sich läugnen lässt, Schmerz und Lust nicht, geht dem
Begehren, welches den Anstoss zum Handeln und somit
erst Gelegenheit zum Thun oder Lassen giebt, nothwendig
Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der
Sinnesempfindung, und nicht, wie ich einst sagte, das
der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik
führt.19
Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens
bezeichnet. Nicht minder als die erste ist sie eine un¬
[28] bedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und
Materie hat im Verstehen der Geistesthätigkeit aus ma¬
teriellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend
Jahren, trotz allen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen
wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Selbst
der von Laplace gedachte Geist mit seiner Weltformel
gliche in seinen Anstrengungen, über diese Schranke
sich fortzuheben, einem nach dem Monde trachtenden
Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten
Welt regen sich zwar die Hirnatome wie in stummem
Spiel. Er übersieht ihre Schaaren, er durchschaut ihre
Verschränkungen, aber er versteht nicht ihre Geberde,
sie denken ihm nicht, und deshalb bleibt, wie wir vor¬
hin sahen, seine Welt eigenschaftslos.
An ihm haben wir das Maass unserer eigenen Be¬
fähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Na¬
turerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden
Grenzen, welche einerseits die Unfähigkeit, Materie und
Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge
aus materiellen Bedingungen zu begreifen, ihm ewig vor¬
schreiben. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher
Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf, und
Niemand weiss, wo die Schranke seines Wissens und
seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er
nicht, und wird er niemals können.
Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm ge¬
[29] steckten Grenzen anerkennt, und je demüthiger er in
seine Unwissenheit sich schickt, um so tiefer fühlt er das
Recht, mit voller Freiheit, unbeirrt durch Mythen, Dog¬
men und alterstolze Philosopheme, auf dem Wege der
Induction seine eigene Meinung über die Beziehungen
zwischen Geist und Materie sich zu bilden.
Er sieht in tausend Fällen materielle Bedingungen
das Geistesleben beeinflussen. Seinem unbefangenen
Blicke zeigt sich kein Grund zu bezweifeln, dass wirk¬
lich die Sinneseindrücke der sogenannten Seele sich mit¬
theilen. Er sieht den menschlichen Geist gleichsam mit
dem Gehirne wachsen, und, nach der empiristischen
Ansicht, die wesentlichen Formen seines Denkens sogar
erst durch äussere Wahrnehmungen sich aneignen. Er
sieht ihn im Schlaf und Traum, in der Ohnmacht, im
Rausch und der Narkose, im Fieberwahn und der Inani¬
tion, in der Manie, der Epilepsie, dem Blödsinn und der
Mikrocephalie, in unzähligen krankhaften Zuständen ab¬
hängig von der dauernden oder vorübergehenden Be¬
schaffenheit des Organes. Kein theologisches Vorurtheil
hindert ihn wie Descartes, in den Thierseelen der Men¬
schenseele verwandte, stufenweise minder vollkommene
Glieder derselben Entwickelungsreihe zu erkennen. Viel¬
mehr sieht er im Wirbelthierreiche die Hirntheile, welche
auch physiologische Versuche und pathologische Erfah¬
rungen als Träger höherer Geistesthätigkeiten bekunden,
[30] ihrer vergleichsweisen Entwickelung nach mit der Stei¬
gerung diese Thätigkeiten gleichen Schritt halten. Wo von
den anthropoiden Affen zum Menschen die geistige Befähi¬
gung den durch den Besitz der Sprache bezeichneten unge¬
heuren Sprung macht, findet sich ein entsprechender Sprung
in der Hirnmasse vor. Die verschiedene Anordnung glei¬
cher Elementartheile bei den Wirbellosen belehrt aber den
Naturforscher, dass es hier wie bei anderen Organen
weniger auf die Architektur, als auf die Structurelemente
ankommt. Mit ehrfurchtsvollem Staunen betrachtet er
das mikroskopische Klümpchen Nervensubstanz, welches
der Sitz der arbeitsamen, baulustigen, ordnungsliebenden,
pflichttreuen, tapferen Ameisenseele ist.20 Endlich die
Descendenz-Theorie im Verein mit der Lehre von der
natürlichen Zuchtwahl drängt ihm die Vorstellung auf,
dass die Seele als allmäliges Ergebniss gewisser mate¬
rieller Combinationen entstanden, und vielleicht gleich
anderen erblichen, im Kampf um's Dasein dem Einzel¬
wesen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe
von Geschlechtern sich gesteigert und vervollkommnet
habe.21
Wenn nun die alten Denker jede Wechselwirkung
zwischen Leib und Seele, wie sie diese sich vorstellten,
als unverständlich und unmöglich erkannten, und wenn
nur durch praestabilirte Harmonie das Räthsel des den¬
noch stattfindenden Zusammengehens beider Substanzen
[31] zu lösen ist, so wird wohl die Vorstellung, die sie, in
Schulbegriffen befangen, von der Seele sich machten,
falsch gewesen sein. Die Nothwendigkeit einer der
Wirklichkeit so offenbar zuwiderlaufenden Schlussfolge
ist gleichsam ein apagogischer Beweis gegen die Rich¬
tigkeit der dazu führenden Voraussetzung. Bei seinem
Gleichnisse von den beiden Uhren hat Leibniz, wie Hr.
Fechner treffend bemerkt,22 die vierte und einfachste
Möglichkeit vergessen, nämlich die, dass vielleicht beide
Uhren, deren Zusammengehen erklärt werden soll, im
Grunde nur eine sind. Ob wir die geistigen Vorgänge
aus materiellen Bedingungen je begreifen werden, ist
eine Frage ganz verschieden von der, ob diese Vor¬
gänge das Erzeugniss materieller Bedingungen sind.
Jene Frage kann verneint werden, ohne dass über
diese etwas ausgemacht, geschweige auch sie verneint
würde.
Man erinnert sich des kecken Ausspruches Hrn.
Carl Vogt's, der in den funfziger Jahren zu einer Art
von Turnier um die Seele Anlass gab: „dass alle jene
„Fähigkeiten, die wir unter dem Namen Seelenthätigkei¬
„ten begreifen, nur Functionen des Gehirns sind, oder,
„um es einigermaassen grob auszudrücken, dass die Ge¬
„danken etwa in demselben Verhältnisse zum Gehirn
„stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu
„den Nieren.“24 Die Laien stiessen sich an diesem Ver¬
[32] gleich, weil ihnen die Zusammenstellung des Gedankens
mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien.
Die Physiologie kennt indess solche aesthetischen Rang¬
unterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein
wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde
mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder
sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe.
Auch das ist an dem Vogt'schen Ausspruch schwer¬
lich zu tadeln, dass darin die Seelenthätigkeit als
Erzeugniss der materiellen Bedingungen im Gehirne
hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, dass
er die Vorstellung erweckt, als sei die Seelenthätig¬
keit aus dem Bau des Gehirnes ihrer Natur nach so
begreifbar, wie die Absonderung aus dem Bau der
Drüse.
Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige
Thätigkeit in Gestalt eines Nervensystemes gebricht wie
in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelen¬
leben nicht zugeben, und hierin stösst er nur selten auf
Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwiedern, wenn
er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte,
verlangte, dass ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia
gebettet und mit warmem arteriellem Blut unter richtigem
Drucke gespeist, ein dem geistigen Vermögen solcher
Seele an Umfang entsprechendes Convolut von Ganglien¬
kugeln und Nervenröhren gezeigt würde?
[33]
Schliesslich entsteht die Frage, ob die beiden
Grenzen unseres Naturerkennens nicht vielleicht die
nämliche seien, d. h. ob, wenn wir das Wesen von Ma¬
terie und Kraft begriffen, wir nicht auch verständen, wie
die ihnen zu Grunde liegende Substanz unter bestimmten
Bedingungen empfinden, begehren und denken könne. Frei¬
lich ist diese Vorstellung die einfachste, und nach bekann¬
ten Forschungsgrundsätzen bis zu ihrer Widerlegung der
vorzuziehen, wonach, wie vorhin gesagt wurde, die Welt
doppelt unbegreiflich erscheint. Aber es liegt in der
Natur der Dinge, dass wir auch in diesem Punkte nicht
zur Klarheit kommen, und alles weitere Reden dar¬
über bleibt müssig.
In Bezug auf die Räthsel der Körperwelt ist der
Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung
sein „Ignoramus“ auszusprechen. Im Rückblick auf die
[durch]laufene siegreiche Bahn, trägt ihn dabei das stille
Bewusstsein, dass, wo er jetzt nicht weiss, er wenigstens
unter Umständen wissen könnte, und dereinst vielleicht
wissen wird. In Bezug auf das Räthsel aber, was
Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken ver¬
mögen, muss er ein für allemal zu dem viel schwerer
abzugebenden Wahrspruch sich entschliessen:
„Ignorabimus!“
3[][][]
Appendix A
Druck von Bär \& Hermann in Leipzig.
[][][]
(S. 4). Essai philosophique sur les probabilités. Seconde
Édition. Paris 1814. p. 3. Die merkwürdige Stelle lautet im
Zusammenhange:
Les événemens actuels ont avec les précédens, une liaison
fondée sur le principe évident, qu'une chose ne peut pas com¬
mencer d'être, sans une cause qui la produise. Cet axiome
connu sous le nom de principe de la raison suffisante, s'étend
aux actions même les plus indifférentes. La volonté la plus
libre ne peut sans un motif déterminant, leur donner nais¬
sance; car si toutes les circonstances de deux positions étant
exactement les mêmes, elle agissait dans l'une et s'abstenait
d'agir dans l'autre, son choix serait un effet sans cause . . . .
L'opinion contraire est une illusion de l'esprit qui perdant de
vue, les raisons fugitives du choix de la volonté dans les cho¬
ses indifférentes, se persuade qu'elle s'est déterminée d'elle¬
même et sans motifs.
Nous devons donc envisager l'état présent de l'univers,
comme l'effet de son état antérieur, et comme la cause de
celui qui va suivre. Une intelligence qui pour un instant
donné, connaîtrait toutes les forces dont la nature est animée,
et la situation respective des êtres qui la composent, si d'ail¬
leurs elle était assez vaste pour soumettre ces données à l'ana¬
3 *[36] lyse, embrasserait dans la même formule, les mouvemens des
plus grands corps de l'univers et ceux du plus léger atome:
rien se serait incertain pour elle, et l'avenir comme le passé,
serait présent à ses yeux. L'esprit humain offre dans la per¬
fection qu'il a su donner à l'astronomie, une faible esquisse de
cette intelligence. Ses découvertes en mécanique et en géo¬
métrie, jointes à celle de la pesanteur universelle, l'ont mis à
portée de comprendre dans les mêmes expressions analytiques,
les états passés et futurs du système du monde. En appli¬
quant la même méthode à quelques autres objets de ses con¬
naissances, il est parvenu à ramener à des lois générales, les
phénomènes observés, et à prévoir ceux que des circonstances
données doivent faire éclore. Tous ses efforts dans la
recherche de la vérité, tendent à le rapprocher sans cesse de
l'intelligence que nous venons de concevoir, mais dont il restera
toujours infinement éloigné. Cette tendance propre à l'espèce
humaine, est ce qui la rend supérieure aux animaux; et ses
progrès en ce genre, distinguent les nations et les siècles, et
fondent leur véritable gloire.“
1751. Fol. t. I. p. IX. „L'Univers, pour qui sauroit l'embrasser
d'un seul point de vûe, ne serait, s'il est permis de le dire,
qu'un fait unique et une grande vérité.“ Noch vollständiger
hat bereits Leibniz den Laplace'schen Gedanken entwickelt.
Bayle hatte gegen die Lehre von der praestabilirten Harmonie
eingewendet, sie mache für den Körper eine Voraussetzung
ähnlich der eines Schiffes, welches durch eigene Kraft dem
Hafen zusteure. Leibniz erwiedert, dies sei gar nicht so un¬
möglich, wie Bayle meine. „Il n'y a pas de doute qu'un
homme pourroit faire une machine, capable de se promener
durant quelque tems par une ville, et de se tourner justement
aux coins de certaines rues. Un esprit incomparablement
plus parfait, quoique borné, pourroit aussi prévoir et éviter
[37] un nombre incomparablement plus grand d'obstacles; ce qui
est si vrai, que si ce monde, selon l'hypothese de quelques
uns, n'était qu'un composé d'un nombre fini d'atomes, qui se
remuassent suivant les lois de la mécanique, il est sûr, qu'un
esprit fini pourroit être assez relevé pour comprendre et prévoir
démonstrativement tout ce qui y doit arriver dans un tems
déterminé; desorte que cet esprit pourroit non seulement fabriquer
un vaisseau, capable d'aller tout seul à un port nommé, en lui
donnant d'abord le tour, la direction, et les ressorts qu'il faut;
mais il pourroit encore former un corps capable de contrefaire
un homme.“ Réplique aux Réflexions contenues dans la se¬
conde Édition du Dictionnaire critique de Mr. Bayle etc. (G.
G. Leibnitii Opera philosophica etc. Ed. J. E. Erdmann. Be¬
rolini 1840. 4°. p. 183. 184.
von den Sinnen zu erläutern, verdanke ich Hrn. Donders.
Magnus. In den Abhandlungen der Königl. Akademie der
Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1871. Berlin 1872.
4°. S. 11 ff.
mens dieses Vortrages meine Absicht nicht sein konnte,
eine vollständige Kritik der Theorien über Materie und Kraft
zu geben, sondern nur anzudeuten, dass hier unlösliche
Widersprüche versteckt sind. Ausführliche Auseinander¬
setzungen des Gegenstandes aus der neueren Zeit findet man
in: G. Th. Fechner, Ueber die physikalische und philosophi¬
sche Atomenlehre. Leipzig 1855, und in: F. Harms, Philoso¬
phische Einleitung in die Encyklopädie der Physik, im 1. Bde.
von Karsten's Allgemeiner Encyklopädie der Physik. Leip¬
zig 1869. S. 307 ff.
Königsberg 1854. S. 44.
Physik und Chemie. 1846. Bd. LXIX. S. 161.
Aus den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissen¬
schaften zu Berlin 1859. 4 °. S. 129.
E. du Bois-Reymond. Berlin 1851. S. 4. 5.
Cousin. Paris 1824. t. I. Discours de la Méthode, p. 158. 159;
— Méditation sixième. p. 344; — Objections et Réponses. p.
414 et suiv.; — Ibidem t. III. Les Principes de la Philosophie
p. 102.
E. du Bois-Reymond, Voltaire in seiner Beziehung zur Natur¬
wissenschaft. Berlin 1868. S. 11.
67. 72. 73. — L'Homme. p. 402 et suiv.
Société de professeurs de Philosophie. Paris 1844. t. I. p. 523.
Oeuvres complètes, par MM. de Genoude et de Lourdoueix.
Paris 1837. 4°. t. I. p. 220 et suiv. — De la Prémotion phy¬
sique. Ibid. t. II. p. 392 et suiv.
Umriss. Siebente Aufl. Stuttgart 1870. S. 144. — Harms a. a.
O. S. 235. 236.
Communication des Substances. 1696. G. G. Leibnitii, Opera
philosophica etc. p. 133. — Troisième Éclaircissement. 1696.
Ibid. p. 134. — Lettre à Basnage etc. Ibid. p. 152. — Vergl.
Arn. Geulincs, ΓΝΩΘΙ ΣΕΑΥΤΟΝ sive Ethica etc. Ed. Phi¬
laretus, Amstelod. 1709. 12°. p. 124. Nota 19, und H. Ritter,
Geschichte der Philosophie. Hamburg 1852. Th. XI. S. 140.
Deutsch bearbeitet von Fechner. Leipzig 1829. Bd. II. S. 129
in dem Essay on Human Understanding, (Works, London 1812.
vol. III. p. 54 sqq.), welche auch Leibniz in den Nouveaux
Essais sur l'Entendement humain (Ed. Erdmann etc. p. 375)
sich zu eigen gemacht hat. Vergl. noch Leibniz selber 1. c. p.
185. 203. — Den hier von mir entwickelten Beweis, dass wir
die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie
begreifen werden, habe ich seit Jahren in meinen öffentlichen
Vorlesungen „Ueber einige Ergebnisse der neueren Naturfor¬
schung“ vorgetragen, und auch gesprächsweise mitgetheilt.
Mein Freund Hr. Tyndall hat bereits davon in seiner Rede
bei Eröffnung der mathematisch-physikalischen Abtheilung
der Brittischen Naturforscher-Versammlung zu Norwich im
Jahr 1868 mit gewohnter Meisterschaft eine glänzende Dar¬
stellung gegeben. Scope and Limit of scientific Materialism,
in Fragments of Science for unscientific people. London 1871.
p. 121.
Bd. 1. Berlin 1848. Vorrede. S. xxxv.
London 1871. vol. 1. p. .145.
danken in der neueren Naturwissenschaft. Berlin 1870.
1860. S. 5.
Giessen 1855. S. 32.
- License
-
CC-BY-4.0
Link to license
- Citation Suggestion for this Edition
- TextGrid Repository (2025). Du Bois- Reymond, Emil Heinrich. Über die Grenzen des Naturerkennens. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj6g.0