Freyherrn von Muͤnchhauſen
Wunderbare Reiſen,
mit Kupfern.
[[2]][[3]]
Reiſen
zu
Waſſer und Lande,
Feldzuͤge und luſtige Abentheuer
des
Freyherrn von Muͤnchhauſen,
wie er dieſelben bey der Flaſche im Cirkel
ſeiner Freunde ſelbſt zu erzaͤhlen
pflegt.
uͤberſetzt, hier und da erweitert und mit noch
mehr Kupfern gezieret.
[[4]]
Glaubt’s nur, ihr gravitaͤtiſchen Herrn?
Geſcheidte Leute narriren gern.
Vorrede
zur erſten Ausgabe.
Der Freyherr von Muͤnchhauſen zu
Bodenwerder, ohnweit Hameln an
der Weſer, gehoͤrt zu dem edlen Ge-
ſchlechte gleiches Nahmens, welches
den deutſchen Staaten des Koͤnigs
von Großbritannien den verſtorbenen
Premierminiſter und mehrere andere
vornehme Beamten geſchenkt hat.
A 3Er
[6] Er iſt ein Mann von der originelle-
ſten Laune; und da er vielleicht ge-
funden hat, wie ſchwer es oft haͤlt,
verſchrobenen Koͤpfen geraden Men-
ſchenverſtand einzuraͤſoniren, und wie
leicht hergegen ein dreiſter Haberecht
eine ganze Verſammlung zu uͤbertaͤu-
ben und aus ihren fuͤnf Sinnen hin-
auszuſchreyen vermag: ſo laͤßt er ſich
in ſolchen Faͤllen niemals auf Wi-
derlegungen ein; ſondern wendet zu-
erſt geſchickt die Unterredung auf
gleichguͤltige Gegenſtaͤnde, und dann
erzaͤhlt er irgend ein Geſchichtchen
von ſeinen Reiſen, Feldzuͤgen und
ſchnurrigen Abentheuern in einem ihm
ganz
[7] ganz eigenthuͤmlichen Tone, der aber
gerade der rechte iſt, die Kunſt zu
luͤgen, oder hoͤflicher geſagt, das
lange Meſſer zu handhaben, aus ih-
rem ruhigen Schlupfwinkel hervor
zu kitzeln und blank zu ſtellen.
Da dieſes Mittel ſchon oͤfter von
gutem Erfolge geweſen iſt, ſo ſey es
uns hiermit erlaubt, dem Publikum
einige von ſeinen Geſchichtchen vor-
zulegen, und diejenigen, die etwa
unter beruͤchtigte Prahlhaͤnſe gerathen,
zu bitten, ſich bey jeder ſchicklichen
Gelegenheit ebendeſſelben zu bedienen.
Gelegenheit aber wird ſeyn, ſo oft
A 4Jemand
[8] Jemand unter der Maske der Wahr-
heit in ganzem Ernſte falſche Dinge
behauptet und auf Koſten ſeiner ei-
genen Ehre auch diejenigen hinter-
gehet, die zum Ungluͤck ſeine Zuhoͤ-
rer ſind.
Zur
[[9]]
Zur
zweyten Ausgabe.
Der ſchnelle Abgang der erſten
Ausgabe dieſes Werkchens bew[e]iſet
hinlaͤnglich, daß dem Publikum ſein
moraliſcher Endzweck in dem rechten
Lichte erſchienen iſt. Vielleicht haͤtte
man es noch ſchicklicher: Luͤgen-
ſtrafer, betitelt, da in der That
keine Unart veraͤchtlicher iſt, als die
Ohren ſeiner Freunde mit Unwahr-
heiten zu behelligen.
A 5Der
[10]
Der Baron ſelbſt iſt ein Mann
von außerordentlicher Ehre, der ſein
Vergnuͤgen daran findet, diejenigen
zur Schau auszuſtellen, welche zu
Betruͤgereyen jeder Art geneigt ſind.
Er thut dieſes auf eine ſehr drollige
Art, wenn er in großen Geſellſchaf-
ten diejenigen Geſchichten erzaͤhlt, wel-
che dem Publikum in dieſer kleinen
Sammlung uͤberliefert werden. Sie
iſt anſehnlich durch ſeine Schiff- und
See-Abentheuer vermehrt, und durch
vier Vorſtellungen von ſeinem eigenen
Pinſel verſchoͤnert.
Zur
[[11]]
Zur
deutſchen Ueberſetzung.
Dieß Buͤchlein iſt in der deutſchen
Ueberſetzung, die ſich eben nicht
aͤngſtlich an die Worte bindet, hier
und da durch neue Einſchaltungen
erweitert, und duͤrfte bey einer kuͤnf-
tigen Auflage, deren es ſich nicht
ganz ohne Urſache ſchmeichelt, leicht
noch
[12] noch um ein betraͤchtliches vermehrt
werden. Denn unſer Land iſt nicht
nur voll von aͤhnlichen Geſchichten,
ſondern auch die Quelle, woraus
dieſe entſprungen ſind, wird hoffent-
lich noch nicht vertrocknet ſeyn. So
ein Buͤchlein, wie dieſes, iſt frey-
lich weder ein Syſtema, noch Tra-
ctatus, noch Commentarius, noch
Synopſis, noch Compendium, und
es hat keine einzige von allen Claſſen
unſerer vomehmſten Academien und
Societaͤten der Wiſſenſchaften daran
Antheil.
[13] Antheil. Wenn es indeſſen auch
weiter nichts thut, als daß es auf
eine unſchuldige Art zu lachen macht,
ſo braucht, deucht mich, der Vor-
redner eben nicht gerade in pontifi-
calibus in Mantel, Kragen und
Stutzperuͤcke aufzutreten, um es dem
geneigten Leſer ehrbarlich zu empfeh.
len. Denn es iſt alsdann, ſo
klein und frivol es immer ſcheinen
mag, leicht mehr werth, als eine
ganze große Menge dickbeleibter eh-
renveſter Buͤcher, wobey man weder
lachen
[14] lachen noch weinen kann, und worin
weiter nichts ſteht, als was in hun-
dertmal mehr andern dickbeleibten
ehrenveſten Buͤchern laͤngſt geſtanden
hat. Auch paßt alsdann nicht uͤbel
hieher eine Stelle aus des alten ehr-
lichen vergeſſenen Rollenhagens
Vorrede zu ſeinem Froſchmaͤuſeler, die
ein wenig moderniſirt alſo lautet:
Und
[15]
Wie
[16]
Des
[[17]]
Des
Freyherrn von Muͤnchhauſen
Eigene
Erzaͤhlung.
Ich trat meine Reiſe nach Rußland
von Haus ab mitten im Winter an,
weil ich ganz richtig ſchloß, daß Froſt
und Schnee die Wege durch die noͤrdli-
chen Gegenden von Deutſchland, Poh-
len, Kur- und Liefland, welche jeder
Reiſende, als faſt noch elender, wie
die nach dem Tempel der Tugend, be-
ſchreibet, endlich, ohne beſondere Ko-
ſten hochpreislicher wohlfuͤrſorgender Lan-
des-Regierungen, ausbeſſern muͤßte.
Ich reiſte zu Pferde, welches, wenn
es ſonſt nur gut um Gaul und Rei-
Bter
[18] ter ſteht, die bequemſte Art zu reiſen
iſt. Denn man riskirt alsdann we-
der mit irgend einem hoͤflichen deut-
ſchen Poſtmeiſter eine Affaire d’honneur
zu bekommen, noch von ſeinem durſti-
gen Poſtilion vor jede Schenke geſchleppt
zu werden. Ich war nur leicht beklei-
det, welches ich ziemlich uͤbel empfand,
jeweiter ich gegen Nordoſt hin kam.
Nun kann man ſich einbilden, wie bey
ſo ſtrengem Wetter, unter dem rauhe-
ften Himmelsſtriche, einem armen alten
Manne zu Muthe ſeyn mußte, den ich
in Pohlen unter einem Haſelbuſche an
der Heerſtraße antraf, wie er ſo huͤlf-
los und ſchaudernd dalag und kaum hatte,
womit er ſeine Schaambloͤße bedecken
konnnte.
Der arme Teufel dauerte mich von
ganzer Seele. Ob mir nun gleich ſelbſt
das Herz im Leibe fror, ſo warf ich
dennoch meinen Reiſemantel uͤber ihn her.
Ploͤzlich erſcholl eine Stimme vom Him-
mel
[19] mel, die dieſes Liebeswerk ganz ausneh-
mend herausſtrich und mir zurief:
Hohl mich der Teufel,! mein Sohn,
das ſoll dir nicht unvergolten bleiben!
Ich ließ das gut ſeyn und ritt wei-
ter, bis Nacht und Dunkelheit mich
uͤberfielen. Nirgends war ein Dorf zu
hoͤren, noch zu ſehn. Das ganze Land
lag unter Schnee; und ich wußte weder
Weg noch Steg.
Des Reitens muͤde ſtieg ich endlich
ab, und band mein Pferd an eine Art
von ſpitzem Baumſtaken, der uͤber dem
Schnee hervorragte. Zur Sicherheit
nahm ich meine Piſtolen unter den Arm,
legte mich nicht weit davon in den
Schnee nieder und that ein ſo geſundes
Schlaͤfchen, daß mir die Augen nicht
eher wieder aufgingen, als bis es heller
lichter Tag war. Wie groß war aber
mein Erſtaunen, als ich fand, daß ich
B 2mitten
[20] mitten in einem Dorfe auf dem Kirch-
hofe lag! Mein Pferd war anfaͤnglich nir-
gends zu ſehn; doch hoͤrte ichs bald dar-
auf irgend wo uͤber mir. Als ich nun
empor ſah, ſo wurde ich gewahr, daß
es an den Wetterhahn des Kirchthurms
gebunden war und von da heruntet hing.
Nun wußte ich ſogleich, wie ich dran
war. Das Dorf war nehmlich die
Nacht uͤber ganz und gar zugeſchneyet
geweſen; das Wetter hatte ſich auf ein-
mal umgeſetzt ich war im Schlafe nach
und nach, ſo wie der Schnee zuſammen
geſchmolzen war, ganz ſanft herabge-
ſunken; und was ich in der Dunkel-
heit fuͤr den Stummel eines Baͤumchens,
der uͤber dem Schnee hervorragte, ge-
halten, und daran mein Pferd gebun-
den hatte, das war das Kreuz oder der
Wetterhahn des Kirchthurmes geweſen.
Ohne mich nun lange zu bedenken,
nahm ich eine von meinen Piſtolen,
ſchoß nach dem Halfter, kam gluͤcklich
auf
[]
[][21] auf die Art wieder an mein Pferd und
verfolgte meine Reiſe.
Hierauf ging alles gut, bis ich nach
Rußland kam, wo es eben nicht Mode
iſt, des Winters zu Pferde zu reiſen.
Wie es nun immer meine Maxime iſt,
mich nach dem bekannten: laͤndlich ſitt-
lich, zu richten, ſo nahm ich dort einen
kleinen Rennſchlitten auf ein einzelnes
Pferd und fuhr wohlgemuth auf St.
Petersburg los. Nun weiß ich nicht
mehr recht, ob es in Eſthland, oder
in Ingermanland war, ſo viel aber be-
ſinne ich mich noch wohl, es war mitten
in einem fuͤrchterlichen Walde, als ich
einen entſetzlichen Wolf, mit aller Schnel-
ligkeit des gefraͤßigſten Winterhungers
hinter mir anſetzen ſah. Er hohlte mich
bald ein; und es war ſchlechterdings un-
moͤglich, ihm zu entkommen. Mecha-
niſch legte ich mich platt in den Schlit-
ten nieder und ließ mein Pferd zu un-
ſerm beiderſeitigen Beſten ganz allein
B 3agiren.
[22] agiren. Was ich zwar vermuthete, aber
kaum zu hoffen und zu erwarten wagte,
das geſchah unmittelbar. Der Wolf
bekuͤmmerte ſich nicht im mindeſten um
meine Wenigkeit, ſondern ſprang uͤber
mich hinweg, fiel wuͤthend auf das
Pferd, riß ab und verſchlang auf ein-
mal den ganzen Hintertheil des armen
Thieres, welches vor Schrecken und
Schmerz nur deſto ſchneller lief. Wie
ich nun auf die Art ſelbſt ſo unbemerkt
und gut davon gekommen war, ſo erhob
ich ganz verſtohlen mein Geſicht und
nahm mit Entſetzen wahr, daß der Wolf
ſich beynahe uͤber und uͤber in das Pferd
hineingefreſſen hatte. Kaum aber hatte
er ſich ſo huͤbſch hineingezwaͤnget, ſo nahm
ich mein Tempo wahr, und fiel ihm tuͤchtig
mit meiner Peitſchenſchnur auf das Fell.
Solch ein unerwarteter Ueberfall in dieſem
Futteral verurſachte ihm keinen geringen
Schreck; er ſtrebte mit aller Macht
vorwaͤrts; der Leichnam des Pferdes
fiel zu Boden, und ſiehe! an ſeiner
Statt
[23] Statt ſteckte mein Wolf in dem Ge-
ſchirre. Ich meines Orts hoͤrte nun
noch weniger auf zu peitſchen, und wir
langten in vollem Galopp geſund und
wohlbehalten in St. Petersburg an,
ganz gegen unſere beiderſeitigen reſpec-
tive Erwartungen, und zu nicht gerin-
gem Erſtaunen aller Zuſchauer.
Ich will Ihnen, meine Herren, mit
Geſchwaͤtz von der Verfaſſung, den Kuͤn-
ſten, Wiſſenſchaften und andern Merk-
wuͤrdigkeiten dieſer praͤchtigen Hauptſtadt
Rußlands keine lange Weile machen;
vielweniger Sie mit allen Intriguen
und luſtigen Abentheuern der Geſell-
ſchaften vom Bonton, wo die Frau
vom Hauſe den Gaſt allzeit mit einem
Schnaps und Schmatz empfaͤngt, un-
terhalten. Ich halte mich viel-
mehr an groͤßere und edlere Gegen-
ſtaͤnde Ihrer Aufmerkſamkeit, nehm-
lich an Pferde und Hunde, wovon ich
immer ein großer Freund geweſen bin;
B 4ferner
[24] ferner an Fuͤchſe, Woͤlfe und Baͤren,
von welchen, ſo wie von anderm Wild-
prett, Rußland einen groͤßern Ueber-
fluß, als irgend ein Land auf Erden
hat; endlich an ſolche Luſtparthien,
Ritteruͤbungen und preisliche Thaten,
welche den Edelmann beſſer kleiden, als
ein Bischen muffiges Griechiſch, und
Latein, oder alle Riechſaͤchelchen, Klun-
kern und Capriolen franzoͤſiſcher Schoͤn-
geiſter und — Haarkraͤuſeler.
Da es einige Zeit dauerte, ehe ich
bey der Armee angeſtellt werden konnte,
ſo hatte ich ein Paar Monathe lang
vollkommene Muße und Freyheit, meine
Zeit ſowohl, als auch mein Geld auf
die adelichſte Art von der Welt zu ver-
junkeriren. Sie koͤnnen ſich leicht vor-
ſtellen, meine Herren, daß ich von
beiden nicht wenig außer der Stadt mit
ſolchen wackern Kumpanen verthat,
welche ein offenes unbeſchraͤnktes Wald-
revier gehoͤrig zu ſchaͤtzen wußten. So-
wohl
[25] wohl die Abwechſelung des Zeitvertrei-
bes, welchen dieſes mir darbot, als
auch das außerordentliche Gluͤck, wo-
mit mir jeder Streich gelang, gerei-
chen mir noch immer zur angenehmſten
Erinnerung.
Eines Morgens ſah ich durch das
Fenſter meines Schlafgemachs, daß ein
großer Teich, der nicht weit davon lag,
mit wilden Enten gleichſam uͤberdeckt
war. Flugs nahm ich mein Gewehr
aus dem Winkel, ſprang zur Treppe
hinab, und das ſo uͤber Hals und Kopf,
daß ich unvorſichtiger Weiſe mit dem
Geſichte gegen die Thuͤrpfoſte rennte.
Feuer und Funken ſtoben mir aus den
Augen; aber das hielt mich keinen Au-
genblick zuruͤck. Ich kam bald zum
Schuß; allein wie ich anlegte, wurde
ich zu meinem großen Verdruſſe gewahr,
daß durch den ſo eben empfangenen hef-
tigen Stoß ſogar der Stein von dem
Flintenhahne abgeſprungen war. Was
B 5ſollte
[26] ſollte ich nun thun? Denn Zeit war hier
nicht zu verlieren. Gluͤcklicher Weiſe
fiel mir ein, was ſich ſo eben mit meinen
Augen zugetragen hatte. Ich riß alſo
die Pfanne auf, legte mein Gewehr
gegen das wilde Gefluͤgel an und ballte
die Fauſt gegen eins von meinen Augen.
Von einem derben Schlage flogen wieder
Funken genug heraus, der Schuß ging
los, und ich traf fuͤnf Paar Enten, vier
Rothhaͤlſe, und ein Paar Waſſerhuͤhner.
Gegenwart des Geiſtes iſt die Seele
mannhafter Thaten. Wenn Soldaten
und Seeleute oͤfters dadurch gluͤcklich da-
von kommen, ſo dankt der Waidmann
ihr nicht ſeltener ſein gutes Gluͤck.
So ſchwammen einſt auf einem Land-
ſee, an welchen ich auf einer Jagdſtrei-
ferey gerieth, einige Dutzend wilder
Enten allzu weit von einander zerſtreut
umher, als daß ich mehr denn eine ein-
zige auf einen Schuß zu erlegen hoffen
konnte; und zum Ungluͤck hatte ich
meinen
[27] meinen letzten Schuß ſchon in der Flinte.
Gleichwohl haͤtte ich ſie gern alle ge-
habt, weil ich naͤchſtens eine ganze
Menge guter Freunde und Bekannten
bey mir zu bewirthen Willens war. Da
beſann ich mich auf ein Stuͤckchen
Schinkenſpeck, welches von meinem mit-
genommenen Mundvorrath in meiner
Jagdtaſche noch uͤbrig geblieben war.
Dieſes befeſtigte ich an eine ziemlich
lange Hundelinie, die ich aufdrehete
und ſo wenigſtens noch um viermal ver-
laͤngerte. Nun verbarg ich mich im
Schilfgeſtraͤuch am [Ufer], warf meinen
Speckbrocken aus und hatte das Ver-
gnuͤgen zu ſehen, wie die naͤchſte Ente hur-
tig herbeyſchwamm und ihn verſchlang.
Der erſten folgten bald alle uͤbrigen nach,
und da der glatte Brocken am Faden gar
bald unverdauet hinten wieder heraus-
kam, ſo verſchlang ihn die naͤchſte, und ſo
immer weiter. Kurz der Brocken machte
die Reiſe durch alle Enten ſamt und
ſonders hindurch, ohne von ſeinem Fa-
den
[28] den loszureißen. So ſaßen ſie denn
alle daran, wie Perlen an der Schnur.
Ich zog ſie gar allerliebſt ans Land,
ſchlang mir die Schnur ein halbes Du-
tzendmal um Schultern und Leib, und
ging meines Weges nach Hauſe zu.
Da ich noch eine ziemliche Strecke
dovon entfernt war, und mir die
Laſt von einer ſolchen Menge Enten
ziemlich beſchwerlich fiel, ſo wollte es
mir faſt leid thun, ihrer allzu viele
eingefangen zu haben. Da kam mir
aber ein ſeltſamer Vorfall zu Statten,
der mich Anfangs in nicht geringe Ver-
legenheit ſetzte. Die Enten waren nehm-
lich noch alle lebendig, fingen, als ſie
von der erſten Beſtuͤrzung ſich erhohlt
hatten, gar maͤchtig an mit den Fluͤ-
geln zu ſchlagen und ſich mit mir hoch
in die Luft zu erheben. Nun waͤre bey
manchem wohl guter Rath theuer ge-
weſen. Allein ich benutzte dieſen Um-
ſtand, ſo gut ich konnte, zu meinem Vor-
theil, und ruderte mich mit meinen
Rock-
[29] Rockſchoͤßen nach der Gegend meiner
Behauſung durch die Luft. Als ich
nun gerade uͤber meiner Wohnung an-
gelangt war und es darauf ankam, ohne
Schaden mich herunter zu laſſen, ſo
druͤckte ich einer Ente nach der Andern
den Kopf ein, ſank dadurch ganz ſanft
und allmaͤhlich gerade durch den Schorn-
ſtein meines Hauſes mitten auf den Kuͤ-
chenherd, auf welchem zum Gluͤck noch
kein Feuer angezuͤndet war, zu nicht
geringem Schreck und Erſtaunen meines
Koches. — Wie geſagt, man muß ſich
nur in der Welt zu helfen wiſſen.
Ein andresmal ſtieß mir in einem
anſehnlichen Walde von Rußland ein
wunderſchoͤner ſchwarzer Fuchs auf. Es
waͤre Jammer-Schade geweſen, ſeinen
koſtbaren Pelz mit einem Kugel- oder
Schrotſchuſſe zu durchloͤchern. Herr
Reineke ſtand dicht bey einem Baume.
Augenblicklich zog ich meine Kugel aus
dem Laufe, lud dafuͤr einen tuͤchtigen
Brett-
[30] Brettnagel in mein Gewehr, feuerte
[und] traf ſo kuͤnſtlich, daß ich ſeine Lunte
feſt an den Baum nagelte. Nun ging
ich ruhig zu ihm hin, nahm mein Waid-
meſſer, gab ihm einen Kreuzſchnitt
uͤbers Geſicht, griff nach meiner Peit-
ſche und karbatſchte ihn ſo artig aus
ſeinem ſchoͤnen Pelze heraus, daß es
eine wahre Luſt und ein rechtes Wunder
zu ſehen war.
Zufall und gutes Gluͤck machen oft
manchen Fehler wieder gut. Davon
erlebte ich bald nach dieſem ein Bey-
ſpiel, als ich mitten im tiefſten Walde
einen wilden Friſchling und eine Bache
dicht hinter einander hertraben ſah.
Meine Kugel hatte gefehlt. Gleichwohl
lief der Friſchling vorn ganz allein weg,
und die Bache blieb ſtehen, ohne Be-
wegung, als ob ſie an den Boden feſt-
genagelt geweſen waͤre. Wie ich das
Ding naͤher unterſuchte, ſo fand ich,
daß es eine alte blinde Bache war, die
ihres
[31] ihres Friſchlings Schwaͤnzlein im Rachen
hielt, um von ihm aus kindlicher Pflicht
fuͤrbaß geleitet zu werden. Da nun
meine Kugel zwiſchen beiden hindurch
gefahren war, ſo hatte ſie dieſen Leit-
zaum zerriſſen, wovon die alte Bache
das eine Ende noch immer kauete. Da
nun ihr Leiter ſie nicht weiter vorwaͤrts
gezogen hatte, ſo war ſie ſtehen geblieben.
Ich ergriff daher das uͤbriggebliebene End-
chen von des Friſchlings Schwanze, und
leitete daran das alte huͤlfloſe Thier ganz
ohne Muͤhe und Widerſtand nach Hauſe.
So fuͤrchterlich dieſe wilden Bachen
oft ſind, ſo ſind die Keiler doch weit
grauſamer und gefaͤhrlicher. Ich traf
einſt einen im Walde an, als ich un-
gluͤcklicher Weiſe weder auf Angriff noch
Vertheidigung gefaßt war. Mit ge-
nauer Noth konnte ich noch hinter einen
Baum ſchluͤpfen, als die wuͤthende Be-
ſtie aus Leibeskraͤften einen Seitenhieb
nach mir that. Dafuͤr fuhren aber
auch
[32] auch ſeine Hauer dergeſtalt in den Baum
hinein, daß er weder im Stande war,
ſie ſogleich wieder heraus zu ziehen, noch
den Hieb zu wiederholen. — 〟Ha ha!
dachte ich, nun wollen wir dich bald
kriegen!〟 — Flugs nahm ich einen
Stein, hammerte noch vollends damit
drauf los und nietete ſeine Hauer der-
geſtalt um, daß er ganz und gar nicht
wieder loskommen konnte. So mußte
er ſich denn nun gedulden, bis ich vom
naͤchſten Dorfe Karn und Stricke her-
beygehohlt hatte, um ihn lebendig und
wohlbehalten nach Hauſe zu ſchaffen,
welches auch ganz vortreflich von Stat-
ten ging.
Sie haben unſtreitig, meine Herren,
von dem Heiligen und Schutzpatron der
Waidmaͤnner und Schuͤtzen, St. Hu-
bert, nicht minder auch von dem Statt-
lichen Hirſche gehoͤrt, der ihm einſt im
Walde aufſtieß, und welcher das hei-
lige Kreuz zwiſchen ſeinem Geweyhe trug.
Dieſem
[33] Dieſem Sanct habe ich noch alle
Jahre mein Opfer in guter Geſell-
ſchaft dargebracht, und den Hirſch
wohl tauſendmal, ſowohl in Kirchen
abgemahlt, als auch in die Sterne
ſeiner Ritter geſtickt, geſehen, ſo daß
ich auf Ehre und Gewiſſen eines bra-
ven Waidmanns kaum zu ſagen weiß,
ob es entweder nicht vor Zeiten ſolcher
Kreuzhirſche gegeben habe, oder wohl
gar noch heutiges Tages gebe. Doch
laſſen Sie ſich vielmehr erzaͤhlen, was
ich mit meinen eigenen Augen ſah.
Einſt, als ich alle mein Bley ver-
ſchoſſen hatte, ſtieß mir ganz wider
mein Vermuthen, der ſtattlichſte Hirſch
von der Welt auf. Er blickte mir ſo,
mir nichts, dir nichts, ins Auge, als
ob ers auswendig gewußt haͤtte, daß
mein Beutel leer war. Augenblicklich
lud ich indeſſen meine Flinte mit Pul-
ver und daruͤber her eine ganze Hand
voll Kirſchſteine, wovon ich, ſo hurtig
ſich das thun ließ, das Fleiſch abge-
Cſogen
[34] ſogen hatte. Und ſo gab ich ihm die
volle Ladung mitten auf ſeine Stirn
zwiſchen das Geweyhe. Der Schuß
betaͤubte ihn zwar — er taumelte —
machte ſich aber doch aus dem Staube.
Ein oder zwey Jahre darnach war ich
in eben demſelben Walde auf der Jagd;
und ſiehe! zum Vorſchein kam ein ſtatt-
licher Hirſch, mit einem vollausgewach-
ſenen Kirſchbaume, mehr denn zehn
Fuß hoch, zwiſchen ſeinem Geweyhe.
Mir fiel gleich mein voriges Abentheuer
wieder ein; ich betrachtete den Hirſch
als mein laͤngſt wohl erworbenes Eigen-
thum, und legte ihn mit einem Schuſſe
zu Boden, wodurch ich denn auf ein-
mal an Braten und Kirſchtunke zu-
gleich gerieth. Denn der Baum hing
reichlich voll Fruͤchte, die ich in meinem
ganzen Leben ſo delicat nicht gegeſſen
hatte. Wer kann nun wohl ſagen,
ob nicht irgend ein paſſionirter heiliger
Waidmann, ein jagdluſtiger Abt oder
Biſchoff, das Kreuz auf eine aͤhnliche
Art
[]
[][35] Art durch einen Schuß auf St. Hu-
berts Hirſch zwiſchen das Gehoͤrne ge-
pflanzt habe? Denn dieſe Herren wa-
ren ja von je und je wegen ihres Kreuz-
und — Hoͤrnerpflanzens beruͤhmt, und
ſind es zum Theil noch bis auf den
heutigen Tag. Im Falle der Noth,
und wenn es Aut oder Naut*) gilt,
welches einem braven Waidmanne nicht
ſelten begegnet, greift er lieber wer weiß
wozu, und verſucht eher alles, als daß er ſich
die guͤnſtige Gelegenheit entwiſchen laͤßt.
Ich habe mich manches liebes Mal ſelbſt in
einer ſolchen Lage der Verſuchung befunden.
Was ſagen Sie zum Exempel vom
folgenden Caſus? — Mir waren ein-
mal Tageslicht und Pulver in einem
pohlniſchen Walde ausgegangen. Als
ich nach Hauſe ging, fuhr mir ein ganz
entſetzlicher Baͤr, mit offenem Rachen,
bereit mich zu verſchlingen, auf den
C 2Leib.
[36] Leib. Umſonſt durchſuchte ich in der
Haſt alle meine Taſchen nach Pulver
und Bley. Nichts fand ich, als zwey
Flintenſteine, die man auf einen Noth-
fall wohl mitzunehmen pflegt. Davon
warf ich einen aus aller Macht in den
offenen Rachen des Ungeheuers, ganz
ſeinen Schlund hinab. Wie ihm nun
das nicht allzuwohl deuchten mochte, ſo
machte mein Baͤr links um, ſo daß
ich den andern nach der Hinterpforte
ſchleudern konnte. Wunderbar und herr-
lich ging alles von Statten. Der Stein
fuhr nicht nur hinein, ſondern auch mit
dem andern Steine im Magen derge-
ſtalt zuſammen, daß es Feuer gab und
den Baͤr mit einem gewaltigen Knalle
auseinander ſprengte. Man ſagt, daß
ſo ein wohl applicirter Stein a poſte-
riori, beſonders wenn er mit einem
a priori recht zuſammen fuhr, ſchon
manchen baͤrbeißigen Gelehrten und Phi-
loſophen in die Luft ſprengte. —
Ob ich nun gleich dasmal mit heiler
Haut
[37] Haut davon kam, ſo moͤchte ich das
Stuͤckchen doch eben nicht noch einmal
machen, oder mit einem Baͤr, ohne
andere Vertheidigungsmittel, anbinden.
Es war aber gewiſſermaßen recht
mein Schickſal, daß die wildeſten und
gefaͤhrlichſten Beſtien mich gerade als-
dann angriffen, wenn ich außer Stande
war, ihnen die Spitze zu bieten, gleich-
ſam als ob ihnen der Inſtinct meine
Wehrloſigkeit verrathen haͤtte. So
ſchoß mir einmal unverſehens ein fuͤrch-
terlicher Wolf ſo nahe auf den Leib,
daß mir nichts weiter uͤbrig blieb, als
ihm, dem mechaniſchen Inſtinct zufolge,
meine Fauſt in den offenen Rachen zu
ſtoßen. Gerade meiner Sicherheit we-
gen ſtieß ich immer weiter und weiter,
und brachte meinen Arm beynahe bis
an die Schulter hinein. Was war
aber nun zu thun? — Ich kann eben
nicht ſagen, daß mir dieſe unbehuͤlfliche
Situation ſonderlich anſtand. — Man
C 3denke
[38] denke nur, Stirn gegen Stirn mit einem
Wolfe! — Wir aͤugelten uns eben
nicht gar lieblich an. Haͤtte ich meinen
Arm zuruͤckgezogen, ſo waͤre mir die
Beſtie nur deſto wuͤthender zu Leibe ge-
ſprungen. So viel ließ ſich klar und
deutlich aus ſeinen flammenden Augen
herausbuchſtabiren. Kurz, ich packte
ihn beym Eingeweide, kehrte ſein aͤuße-
res zu innerſt, wie einen Handſchuh,
um, ſchleuderte ihn zu Boden und ließ
ihn da liegen.
Dieß Stuͤckchen haͤtte ich nun wie-
der nicht an einem tollen Hunde ver-
ſuchen moͤgen, welcher bald darauf in
einem engen Gaͤßchen zu St. Petersburg
gegen mich anlief. 〟Lauf was du
kannſt!〟 dachte ich. Um deſto beſſer
fortzukommen, warf ich meinen Ueber-
rock ab, und rettete mich geſchwind ins
Haus. Den Rock ließ ich hernach
durch meinen Bedienten hereinhohlen
und zu den andern Kleidern in die Gar-
derobe
[39] derobe haͤngen. Tages darauf gerieth
ich in ein gewaltiges Schrecken durch
meines Johanns Geſchrey: Herr Gott,
Herr Baron, ihr Ueberrock iſt toll!〟
Ich ſprang hurtig zu ihm hinauf und
fand faſt alle meine Kleider umher ge-
zerrt und zu Stuͤcken zerriſſen. Der
Kerl hatte es auf ein Haar getroffen,
daß der Ueberrock toll ſey. Ich kam
gerade noch ſelbſt dazu, wie er uͤber
ein ſchoͤnes neues Gallakleid herfiel und
es auf eine gar unbarmherzige Weiſe
zerſchuͤttelte und umherzauſte.
In allen dieſen Faͤllen, meine
Herren, wo ich freylich immer gluͤck-
lich, aber doch nur immer mit genauer
Noth davon kam, half mir das Ohn-
gefaͤhr, welches ich durch Tapferkeit
und Gegenwart des Geiſtes zu meinem
Vortheile lenkte. Alles zuſammen ge-
nommen macht, wie Jedermann weiß,
den gluͤcklichen Jaͤger, Seemann und
Soldaten aus. Der aber wuͤrde ein
C 4ſehr
[40] ſehr unvorſichtiger, tadelnswerther Waid-
mann, Admiral und General ſeyn, der
ſich uͤberall nur auf das Ohngefaͤhr,
oder ſein Geſtirn verlaſſen wollte, ohne
ſich weder um die beſonders erforderli-
chen Kunſtfertigkeiten zu bekuͤmmern,
noch ſich mit denjenigen Werkzeugen zu
verſehen, die den guten Erfolg ſichern.
Ein ſolcher Tadel trifft mich keinesweges.
Denn ich bin immer beruͤhmt geweſen,
ſowohl wegen der Vortreflichkeit meiner
Pferde, Hunde und Gewehre, als auch
wegen der beſondern Art, das alles zu
handhaben, ſo daß ich mich wohl ruͤh-
men kann, in Forſt, Wieſe und Feld
meines Nahmens Gedaͤchtniß hinlaͤng-
lich geſtiftet zu haben. Ich will mich
nun zwar nicht auf Particularitaͤten von
meinen Pferd- und Hundeſtaͤllen, oder
meiner Gewehrkammer einlaſſen, wie
Stall- Jagd- und Hunde-Junker ſonſt
wohl zu thun pflegen; aber eines mei-
ner Lieblingshunde muß ich doch noch
Erwaͤhnung thun. Das Thierchen war
ein
[]
[][41] ein Windſpiel. Mein lebelang hatte,
oder ſah ich kein beſſeres. Es wurde
alt in meinem Dienſte, und war minder
wegen ſeiner Geſtalt, als wegen ſeiner
außerordentlichen Schnelligkeit merkwuͤr-
dig. Mit dieſem Hunde jagte ich be-
ſtaͤndig Jahr aus Jahr ein. Haͤtten
die Herrn ihn geſehen, ſo wuͤrden ſie
ihn gewiß bewundert, und ſich gar nicht
verwundert haben, daß ich ihn ſo lieb
hatte und ſo oft mit ihm jagte. Er
lief ſo ſchnell, ſo oft und ſo lange in
meinem Dienſte, daß er ſich die Beine
ganz bis dicht unterm Leibe weglief, und
ich ihn in ſeiner letzten Lebenszeit nur
noch als Dachsſucher gebrauchen konnte,
in welcher Qualitaͤt er mir denn eben-
falls noch manch liebes Jahr diente.
Weiland noch als Windſpiel — bey-
laͤufig zu melden, es war eine Huͤn-
dinn — ſetzte ſie einſt hinter einem Haſen
her, der mir ganz ungewoͤhnlich dick
vorkam. Es that mir leid um meine
C 5arme
[42] arme Huͤndinn; denn ſie war mit Jun-
gen traͤchtig, und wollte doch noch eben
ſo ſchnell laufen, als ſonſt. Nur in
ſehr weiter Entfernung konnte ich zu
Pferde nachfolgen. Auf einmal hoͤrte
ich ein Geklaffe, wie von einer ganzen
Kuppel Hunde, allein ſo ſchwach und
zart, daß ich nicht wußte, was ich
daraus machen ſollte. Wie ich naͤher
kam, ſah ich mein himmelblaues Wun-
der. Die Haͤſinn hatte im Laufen ge-
ſetzt und meine Huͤndinn geworfen; und
zwar jene gerade eben ſo viel junge
Haſen, als dieſe junge Hunde. In-
ſtinctmaͤßig hatten jene die Flucht ge-
nommen, dieſe aber nicht nur gejagt,
ſondern auch gefangen. Dadurch gelangte
ich am Ende der Jagd auf einmal zu
ſechs Haſen und Hunden, da ich doch
nur mit einem einzigen angefangen hatte.
Ich gedenke dieſer wunderbaren Huͤn-
dinn mit eben dem Vergnuͤgen, als
eines vortreflichen Lithauiſchen Pferdes,
welches
[43] welches nicht mit Gelde zu bezahlen war.
Dieß bekam ich durch ein Ohngefaͤhr,
welches mir Gelegenheit gab, meine
Reitkunſt zu meinem nicht geringen
Ruhme zu zeigen. Ich war nehmlich einſt
auf dem praͤchtigen Landſitze des Grafen
Przobofsky in Lithauen und blieb im
Staatszimmer bey den Damen zum Thee,
indeſſen die Herrn hinunter in den Hof
gingen, um ein junges Pferd von Ge-
bluͤte zu beſehen, welches ſo eben aus
der Stuterey angelangt war. Ploͤtzlich
hoͤrten wir wie einen Nothſchrey. —
Ich eilte die Treppe hinab und fand das
Pferd ſo wild und unbaͤndig, daß Nie-
mand ſich getrauete, ſich ihm zu naͤhern,
oder es zu beſteigen. Beſtuͤrzt und ver-
wirrt ſtanden die entſchloſſenſten Reiter da;
Angſt und Beſorgniß ſchwebte auf allen
Geſichtern, als ich mit einem einzigen
Sprunge auf ſeinem Ruͤcken ſaß, und
das Pferd durch dieſe Ueberraſchung
nicht nur in Schrecken ſetzte, ſondern
es auch durch Anwendung meiner beſten
Reiter-
[44] Reiterkuͤnſte gaͤnzlich zu Ruhe und Ge-
horſam brachte. Um dieß den Damen
noch beſſer zu zeigen und ihnen alle un-
noͤthige Beſorgniß zu erſparen, ſo zwang
ich den Gaul, durch eins der offenen
Fenſter des Theezimmers mit mir hin-
einzuſetzen. Hier ritt ich nun verſchie-
denemale, bald Schritt, bald Trott, bald
Galopp herum, ſetzte endlich ſogar auf
den Theetiſch, und machte da im Kleinen
uͤberaus artig die ganze Schule durch,
woruͤber ſich denn die Damen ganz aus-
nehmend ergoͤtzten. Mein Roͤßchen
machte alles ſo bewundernswuͤrdig ge-
ſchickt, daß es weder Kannen noch Taſſen
zerbrach. Dieß ſetzte mich bey den Da-
men und dem Herrn Grafen ſo hoch in
Gunſt, daß er mit ſeiner gewoͤhnlichen
Hoͤflichkeit mich bat, das junge Pferd
zum Geſchenke von ihm anzunehmen, und
auf ſelbigem in dem Feldzuge gegen die
Tuͤrken, welcher in kurzem unter Anfuͤh-
rung des Grafen Muͤnnich eroͤffnet wer-
den ſollte, auf Sieg und Eroberung aus-
zureiten.
Ein
[45]
Ein angenehmers Geſchenk haͤtte
mir nun wohl nicht leicht gemacht wer-
den koͤnnen, beſonders da es mir ſo viel
gutes von einem Feldzuge weißagte, in
welchem ich mein erſtes Probeſtuͤck als
Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, ſo
gefuͤgig, ſo muthvoll und feurig —
Lamm und Bucephal zugleich — mußte
mich allezeit an die Pflichten eines braven
Soldaten, und an die erſtaunlichen Tha-
ten erinnern, welche der junge Alexan-
der im Felde verrichtet hatte.
Wir zogen, wie es ſcheinet, unter
andern auch in der Abſicht zu Felde,
um die Ehre der ruſſiſchen Waffen, wel-
che in dem Feldzuge unter Czaar Peter
am Pruth ein wenig gelitten hatte, wieder
herzuſtellen. Dieſes gelang uns auch
vollkommen durch verſchiedene zwar muͤh-
ſelige, aber doch ruͤhmliche Feldzuͤge,
unter Anfuͤhrung des großen Feldherrn,
deſſen ich vorhin erwaͤhnte.
Die
[46]
Die Beſcheidenheit verbietet es Sub-
alternen, ſich große Thaten und Siege
zuzuſchreiben, wovon der Ruhm gemei-
niglich den Anfuͤhrern, ihrer Alltags-
qualitaͤten ungeachtet, ja wohl gar ver-
kehrt genug Koͤnigen und Koͤniginnen
in Rechnung gebracht wird, welche nie-
mals anderes als Muſterungs-Pulver
rochen, nie außer ihren Luſtlagern ein
Schlachtfeld, noch außer ihren Wachtpara-
den ein Heer in Schlachtordnung erblickten.
Ich mache alſo keinen beſondern
Anſpruch an die Ehre von unſern groͤßern
Affaͤren mit dem Feinde. Wir thaten
insgeſamt unſere Schuldigkeit, welches
in der Sprache des Patrioten, des Sol-
daten, und kurz des braven Mannes
ein ſehr viel umfaſſender Ausdruck, ein
Ausdruck von ſehr wichtigem Inhalt und
Belang iſt, obgleich der große Haufen
muͤſſiger Kannengießer ſich nur einen
ſehr geringen und aͤrmlichen Begriff da-
von machen mag. Da ich indeſſen ein
Corps
[47] Corps Huſaren unter meinen Comando
hatte, ſo ging ich auf verſchiedene Ex-
peditionen aus, wo das Verhalten mei-
ner eigenen Klugheit und Tapferkeit
uͤberlaſſen war. Den Erfolg hiervon,
denke ich denn doch, kann ich mit gutem
Fug auf meine eigene und die Rechnung
derjenigen braven Gefaͤhrten ſchreiben,
die ich zu Sieg und Eroberung fuͤhrte.
Einſt, als wir die Tuͤrken in Oc-
zakow hineintrieben, gings bey der
Avantgarde ſehr heiß her. Mein feu-
riger Lithauer haͤtte mich beynahe in des
Teufels Kuͤche gebracht. Ich hatte
einen ziemlich entfernten Vorpoſten und
ſah den Feind in einer Wolke von
Staub gegen mich anruͤcken, wodurch
ich wegen ſeiner wahren Anzahl und Ab-
ſicht gaͤnzlich in Ungewißheit blieb. Mich
in eine aͤhnliche Wolke von Staub ein-
zuhuͤllen waͤre freylich wohl ein Alltags-
pfiff geweſen, wuͤrde mich aber eben ſo
wenig kluͤger gemacht, als uͤberhaupt
der
[48] der Abſicht naͤher gebracht haben, warum
ich vorausgeſchickt war. Ich ließ daher
meine Flanqueurs zur linken und rechten
auf beyden Fluͤgeln ſich zerſtreuen, und
ſo viel Staub erregen, als ſie nur immer
konnten. Ich ſelbſt aber ging gerade
auf den Feind los, um ihn naͤher in
Augenſchein zu nehmen. Dieß gelang
mir. Denn er ſtand und focht nur ſo
lange, bis die Furcht vor meinen Flan-
queurs ihn in Unordnung zuruͤcktrieb.
Nun wars Zeit, tapfer uͤber ihn her-
zufallen. Wir zerſtreueten ihn voͤllig,
richteten eine gewaltige Niederlage an,
und trieben ihn nicht allein in ſeine Fe-
ſtung zu Loche, ſondern auch durch und
durch, ganz uͤber und wider unſere blut-
gierigſten Erwartungen.
Weil nun mein Lithauer ſo außeror-
dentlich geſchwind war, ſo war ich der
Vorderſte beym Nachſetzen, und da ich
ſah, daß der Feind ſo huͤbſch zum ge-
genſeitigen Thore wieder hinausfloh, ſo
hielt
[49] hielt ichs fuͤr rathſam, auf dem Markt-
platze anzuhalten, und da zum Rendezvous
blaſen zu laſſen. Ich hielt an, aber
ſtellt euch, ihr Herren, mein Erſtaunen
vor, als ich weder Trompeter, noch
irgend eine lebendige Seele von meinen
Huſaren um mich ſah. — 〟Sprengen
ſie etwa durch andere Straßen? Oder
was iſt aus ihnen geworden?〟 — dachte
ich. Indeſſen konnten ſie meiner Mei-
nung nach unmoͤglich fern ſeyn und muß-
ten mich bald einholen. In dieſer Er-
wartung ritt ich meinen athemloſen Li-
thauer zu einem Brunnen auf dem
Marktplatze und ließ ihn trinken. Er
ſoff ganz unmaͤßig und mit einem Heiß-
durſte, der gar nicht zu loͤſchen war.
Allein das ging ganz natuͤrlich zu.
Denn als ich mich nach meinen Leuten
umſah, was meint Ihr wohl, Ihr
Herren, was ich da erblickte? — Der
ganze Hintertheil des armen Thieres,
Kreuz und Lenden waren fort, und wie
rein abgeſchnitten. So lief denn hinten
Ddas
[50] das Waſſer eben ſo wieder heraus, als
es von vorn hineingekommen war, ohne
daß es dem Gaul zu gute kam, oder
ihn erfriſchte. Wie das zugegangen
ſeyn mochte, blieb mir ein voͤlliges Raͤth-
ſel, bis lich zum Stadtthore zuruͤckritt.
Da ſah ich nun, daß man, als ich
pêle mêle mit dem fliehenden Feinde
hereingedrungen war, das Schutzgatter,
ohne daß ichs wahrgenommen, fallen
gelaſſen hatte, wodurch denn der Hin-
tertheil, der noch zuckend an der Außen-
ſeite des Thores lag, rein abgeſchlagen
war. Der Verluſt wuͤrde unerſetzlich
geweſen ſeyn, wenn nicht unſer Cur-
ſchmid ein Mittel ausgeſonnen haͤtte,
beyde Theile, ſo lange ſie noch warm
waren, wieder zuſammen zu ſetzen. Er
heftete ſie nehmlich mit jungen Lorbeer-
Sproͤßlingen, die gerade bey der Hand
waren, zuſammen. Die Wunde heilte
zu; und es begab ſich etwas, das nur
einem ſo ruhmvollen Pferde begegnen
konnte. Nehmlich, die Sproſſen ſchlu-
gen
[]
[][51] gen Wurzel in ſeinem Leibe, wuchſen
empor und woͤlbten eine Laube uͤber mir,
ſo daß ich hernach manchen ehrlichen Ritt
im Schatten meiner ſowohl als meines
Roſſes Lorbeern thun konnte.
Einer andern kleinen Ungelegenheit
von dieſer Affaͤre will ich nur beylaͤufig
erwaͤhnen. Ich hatte ſo heftig, ſo
lange, ſo unermuͤdet auf den Feind los-
gehauen, daß mein Arm dadurch endlich
in eine unwillkuͤhrliche Bewegung des
Hauens gerathen war, welcher ich nicht
mehr ſteuern konnte, als der Feind ſchon
laͤngſt uͤber alle Berge war. Um mich
nun nicht ſelbſt, oder meine Leute, die
mir zu nahe kamen, fuͤr nichts und wider
nichts zu pruͤgeln, und zu Ruhe und
Schlaf zu gelangen, ſah ich mich ge-
noͤthigt, meinen Arm an die Acht Tage
lang eben ſo gut in der Binde zu tra-
gen, als ob er mir halb abgehauen ge-
weſen waͤre.
D 2Einem
[52]
Einem Manne, meine Herren, der
einen Gaul, wie mein Lithauer war, zu
reiten vermochte, koͤnnen Sie auch wohl
noch ein anderes Voltigir- und Reiter-
ſtuͤckchen zutrauen, welches außerdem
vielleicht ein wenig fabelhaft klingen
moͤchte. Wir belagerten nehmlich, ich
weiß nicht mehr welche Stadt, und dem
Feldmarſchal war ganz erſtaunlich viel
an genauer Kundſchaft gelegen, wie die
Sachen in der Feſtung ſtuͤnden. Es
ſchien aͤußerſt ſchwehr, ja faſt unmoͤg-
lich, durch alle Vorpoſten, Wachen und
Feſtungswerke hinein zu gelangen, auch
war eben kein tuͤchtiges Subject vorhan-
den, wodurch man ſo was gluͤcklich aus-
zurichten haͤtte hoffen koͤnnen. Vor
Muth und Dienſteifer faſt ein wenig allzu
raſch, ſtellte ich mich neben eine der groͤß-
ten Kanonen, die ſo eben nach der Fe-
ſtung abgefeuert ward, und ſprang im
Hui auf die Kugel, in der Abſicht, mich
in die Feſtung hineintragen zu laſſen.
Als ich aber halbweges durch die Luft
geritten
[53] geritten war, ſtiegen mir allerley nicht
unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe.
〟Hum, dachte ich, hinein kommſt du
nun wohl, allein wie hernach ſogleich
wieder heraus? Und wie kanns dir in der
Feſtung ergehen? Man wird dich ſogleich
als einen Spion erkennen und an den naͤch-
ſten Galgen haͤngen. Ein ſolches Bette der
Ehren wollte ich mir denn doch wohl
verbitten.〟 Nach dieſen und aͤhnlichen
Betrachtungen entſchloß ich mich kurz,
nahm die gluͤckliche Gelegenheit wahr,
als eine Kanonenkugel aus der Feſtung
einige Schritte weit vor mir voruͤber
nach unſerm Lager flog, ſprang von der
meinigen auf dieſe hinuͤber, und kam, zwar
unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten
bey den lieben Unſrigen wieder an.
So leicht und fertig ich im Sprin-
gen var, ſo war es auch mein Pferd.
Weder Graben noch Zaͤune hielten mich
jemals ab, uͤberall den geradeſten Weg
zu reiten. Einſt ſetzte ich darauf hinter
D 3einem
[54] einem Haſen her, der queerfeldein uͤber
die Heerſtraße lief. Eine Kutſche mit
zwey ſchoͤnen Damen fuhr dieſen Weg
gerade zwiſchen mir und dem Haſen vor-
bey. Mein Gaul ſetzte ſo ſchnell und
ohne Anſtoß mitten durch die Kutſche hin-
durch, wovon die Fenſter aufgezogen waren,
daß ich kaum Zeit hatte, meinen Huth
abzuziehen, und die Damen wegen dieſer
Freyheit unterthaͤnigſt um Verzeihung
zu bitten.
Ein andres Mal wollte ich uͤber
einen Moraſt ſetzen, der mir anſaͤnglich
nicht ſo breit vorkam, als ich ihn fand,
da ich mitten im Sprunge war. Schwe-
bend in der Luft wendete ich daher wie-
der um, wo ich hergekommen war, um
einen groͤßern Anlauf zu nehmen. Gleich-
wohl ſprang ich auch zum zweytenmale
noch zu kurz, und fiel nicht weit vom
andern Ufer bis an den Hals in den
Moraſt. Hier haͤtte ich ohnfehlbar um-
kommen muͤſſen, wenn nicht die Staͤrke
meines
[]
[][55] meines eigenen Armes mich an meinem
eigenen Haarzopfe, ſamt dem Pferde,
welches ich feſt zwiſchen meine Kniee
ſchloß, wieder herausgezogen haͤtte.
Trotz aller meiner Tapferkeit und
Klugheit, trotz meiner und meines Pfer-
des Schnelligkeit, Gewandtheit und
Staͤrke, gings mir in dem Tuͤrkenkriege
doch nicht immer nach Wunſche. Ich
hatte ſogar das Ungluͤck, durch die Menge
uͤbermannt und zum Kriegsgefangenen
gemacht zu werden. Ja, was noch
ſchlimmer war, aber doch immer unter
den Tuͤrken gewoͤhnlich iſt, ich wurde
zum Sclaven verkauft. In dieſem
Stande der Demuͤthigung war mein Ta-
gewerk nicht ſowohl hart und ſauer, als
vielmehr ſeltſam und verdrießlich. Ich
mußte nehmlich des Sultans Bienen alle
Morgen auf die Weide treiben, ſie da-
ſelbſt den ganzen Tag lang huͤten, und
dann gegen Abend wieder zuruͤck in ihre
Stoͤcke treiben. Eines Abends vermißte
D 4ich
[56] ich eine Biene, wurde aber ſogleich ge-
wahr, daß zwey Baͤren ſie angefallen
hatten, und ihres Honigs wegen in
Stuͤcke zerreißen wollten. Da ich nun
nichts anderes waffenaͤhnliches in Haͤn-
den hatte, als die ſilberne Axt, welche
das Kennzeichen der Gaͤrtner und Land-
arbeiter des Sultans iſt, ſo warf ich
dieſe nach den beiden Raͤubern, bloß
in der Abſicht, ſie damit wegzuſcheu-
chen. Die arme Biene ſetzte ich auch
wirklich dadurch in Freyheit; allein durch
einen ungluͤcklichen allzu ſtarken Schwung
meines Armes flog die Axt in die Hoͤhe,
und hoͤrte nicht auf zu fliegen, bis ſie
im Monde nieder fiel. Wie ſollte ich
ſie nun wieder kriegen? Mit welcher Lei-
ter auf Erden ſie herunterholen? Da
fiel mir ein, daß die tuͤrkiſchen Bohnen
ſehr geſchwind und zu einer ganz erſtaun-
lichen Hoͤhe empor wuͤchſen. Augenblick-
lich pflanzte ich alſo eine ſolche Bohne,
welche wirklich empor wuchs, und ſich an
eines von des Mondes Hoͤrnern von
ſelbſt
[]
[][57] ſelbſt anrankte. Nun kletterte ich ge-
troſt nach dem Monde empor, wo ich
auch gluͤcklich anlangte. Es war ein
ziemlich muͤhſeliges Stuͤckchen Arbeit,
meine ſilberne Axt an einem Orte wie-
der zu finden, wo alle andere Dinge
gleichfalls wie Silber glaͤnzten. End-
lich aber fand ich ſie doch auf einem
Haufen von Spreu und Haͤckerling. Nun
wollte ich wieder zuruͤckkehren, aber ach!
die Sonnenhitze hatte indeſſen meine
Bohne aufgetrocknet, ſo daß daran
ſchlechterdings nicht wieder herabzuſteigen
war. Was war nun zu thun? — Ich
flocht mir einen Strick von dem Haͤcker-
linge, ſo lang ich ihn nur immer machen
konnte. Dieſen befeſtigte ich an eines
von des Mondes Hoͤrnern und ließ mich
daran herunter. Mit der linken Hand
hielt ich mich feſt und in der rechten fuͤhrte
ich neine Axt. So wie ich nun eine
Strcke hinunter geglitten war, ſo hieb
ich inmer das uͤberfluͤßige Stuͤck uͤber
mir ab, und knuͤpfte daſſelbe unten wieder
D 5an,
[58] an, wodurch ich denn ziemlich weit her-
unter gelangte. Dieſes wiederhohlte Ab-
hauen und Anknuͤpfen machte nun frey-
lich den Strick eben ſo wenig beſſer,
als ich mich voͤllig herab auf des Sul-
tans Landgut brachte. Ich mochte wohl
noch ein Paar Meilen weit droben in
den Wolken ſeyn, als mein Strick auf
einmal zerriß und ich mit ſolcher Hef-
tigkeit herab auf Gottes Erdboden fiel,
daß ich ganz betaͤubt davon wurde. Durch
die Schwehre meines von einer ſolchen
Hoͤhe herabfallenden Coͤrpers fiel ich ein
Loch, wenigſtens neun Klafter tief, in
die Erde hinein. Ich erhohlte mich
zwar endlich wieder, wußte aber nun nicht,
wie ich wieder herauskommen ſollte.
Allein was thut nicht die Noth? Ich
grub mir mit meinen Naͤgeln, deren
Wuchs damals vierzigjaͤhrig war, eine
Art von Treppe, und foͤrderte mich da-
durch gluͤcklich zu Tage.
Durch dieſe muͤhſelige Erfahrung
kluͤger gemacht, fing ichs nachher beſſer
an,
[]
[][59] an, der Baͤren, die ſo gern nach meinen
Bienen und den Honigſtoͤcken ſtiegen,
loß zu werden. Ich beſtrich die Deichſel
eines Ackerwagens mit Honig, und legte
mich nicht weit davon des Nachts in
einen Hinterhalt. Was ich vermuthete,
das geſchah. Ein ungeheurer Baͤr,
herbeygelockt durch den Duft des Ho-
nigs, kam an und fing vorn an der
Spitze der Stange ſo begierig an zu
lecken, daß er ſich die ganze Stange
durch Schlund, Magen und Bauch bis
hinten wieder hinausleckte. Als er ſich
nun ſo artig auf die Stange hinauf ge-
leckt hatte, lief ich hinzu, ſteckte vorn
durch das Loch der Deichſel einen langen
Pflock, verwehrte dadurch dem Naſcher
den Ruͤckzug, und ließ ihn ſitzen bis an
den andern Morgen. Ueber dieß Stuͤck-
chen wollte ſich der Großſultan, der von
ohngefaͤhr vorbey ſpazirte, faſt todtlachen.
Nicht lange hierauf machten die
Ruſſen mit den Tuͤrken Frieden und ich
wurde
[60] wurde nebſt andern Kriegsgefangenen
wieder nach St. Petersburg ausgelie-
fert. Ich nahm aber nun meinen Ab-
ſchied und verließ Rußland um die Zeit
der großen Revolution vor etwa vier-
zig Jahren, da der Kaiſer in der
Wiege, nebſt ſeiner Mutter und ihrem
Vater, dem Herzoge von Braunſchweig,
dem Feldmarſchal von Muͤnnich und vie-
len andern nach Sibirien geſchickt wur-
den. Es herrſchte damals uͤber ganz
Europa ein ſo außerordentlich ſtrenger
Winter, daß die Sonne eine Art
von Froſtſchaden erlitten haben muß,
woran ſie ſeit der ganzen Zeit her bis
auf den heutigen Tag geſiecht hat. Ich
empfand daher auf der Ruͤckreiſe in mein
Vaterland weit groͤßeres Ungemach, als
ich auf meiner Hinreiſe nach Rußland
erfahren hatte.
Ich mußte, weil mein Lithauer in
der Tuͤrkey geblieben war, mit der Poſt
reiſen. Als ſichs nun fuͤgte, daß wir
an
[61] an einen engen hohlen Weg zwiſchen
hohen Dornhecken kamen, ſo erinnerte
ich den Poſtilion, mit ſeinem Horne ein
Zeichen zu geben, damit wir uns in die-
ſem engen Paſſe nicht etwa gegen ein
anderes entgegenkommendes Fuhrwerk
feſtfahren moͤchten. Mein Kerl ſetzte
an und blies aus Leibeskraͤften in das
Horn, aber alle ſeine Bemuͤhungen waren
umſonſt. Nicht ein einziger Ton kam
heraus, welches uns ganz unerklaͤrlich,
ja in der That fuͤr ein rechtes Ungluͤck
zu achten war, indem bald eine andere
uns entgegen kommende Kutſche auf uns
ſtieß, vor welcher nun ſchlechterdings
nicht vorbey zu kommen war. Nichts
deſto weniger ſprang ich aus meinem
Wagen und ſpannte zufoͤrderſt die Pferde
aus. Hierauf nahm ich den Wagen,
nebſt den vier Raͤdern und allen Paͤcke-
reyen auf meine Schultern, und ſprang
damit uͤber Ufer und Hecke, ohngefaͤhr
neun Fuß hoch, welches in Ruͤckſicht
auf die Schwere der Kutſche eben keine
Kleinig-
[62] Kleinigkeit war, auf das Feld hinuͤber.
Durch einen andern Ruͤckſprung gelangte
ich, die fremde Kutſche voruͤber, wie-
der in den Weg. Darauf eilte ich
zuruͤck zu unſern Pferden, nahm unter
jeden Arm eins, und hohlte ſie auf die
vorige Art, nehmlich durch einen zwey-
maligen Sprung hinuͤber und heruͤber,
gleichfalls herbey, ließ wieder anſpannen
und gelangte gluͤcklich am Ende der Sta-
tion zur Herberge. Noch haͤtte ich an-
fuͤhren ſollen, daß eins von den Pfer-
den, welches ſehr muthig und nicht uͤber
vier Jahr alt war, ziemlichen Unfug
machen wollte. Denn als ich meinen
zweyten Sprung uͤber die Hecke that,
ſo verrieth es durch ſein Schnauben und
Trampeln ein großes Mißbehagen an
dieſer heftigen Bewegung. Dieß ver-
wehrte ich ihm aber gar bald, indem
ich ſeine Hinterbeine in meine Rocktaſche
ſteckte. In der Herberge erhohlten wir
uns wieder von unſerm Abentheuer.
Der Poſtilion haͤngte ſein Horn an einen
Nagel
[63] Nagel beym Kuͤchenfeuer, und ich ſetzte
mich ihm gegen uͤber.
Nun hoͤrt, ihr Herren, was geſchah!
Auf einmal gings: Tereng! Tereng!
teng! teng! Wir machten große Augen
und fanden nun auf einmal die Urſache
aus, warum der Poſtilion ſein Horn
nicht hatte blaſen koͤnnen. Die Toͤne
waren in dem Horne feſtgefroren und
kamen nun, ſo wie ſie nach und nach
aufthaueten, hell und klar, zu nicht ge-
ringer Ehre des Fuhrmanns heraus.
Denn die ehrliche Haut unterhielt uns
nun eine ziemliche Zeit lang mit der
herrlichſten Modulation, ohne den Mund
an das Horn zu bringen. Da hoͤrten
wir den preuſſiſchen Marſch — Ohne
Lieb’ und ohne Wein — Als ich auf
meiner Bleiche — Geſtern Abend war
Vetter Michel da — nebſt noch vielen
andern Stuͤckchen, auch ſogar das Abend-
lied: Nun ruhen alle Waͤlder — Mit
dieſem letzten endigte ſich denn dieſer
Thau-
[64] Thauſpaß, ſo wie ich hiermit meine Ruſ-
ſiſche Reiſe-Geſchichte.
Manche Reiſende ſind bisweilen im
Stande, mehr zu behaupten, als genau
genommen wahr ſeyn mag. Daher iſt
es denn kein Wunder, wenn Leſer oder
Zuhoͤrer ein wenig zum Unglauben ge-
neigt werden. Sollten indeſſen einige
von der Geſellſchaft an meiner Wahr-
haftigkeit zweifeln, ſo muß ich ſie wegen
ihrer Unglaͤubigkeit herzlich bemitleiden
und ſie bitten, ſich lieber zu entfernen,
ehe ich meine Schiffs-Abentheuer be-
ginne, die zwar faſt noch wunderbarer,
aber doch eben ſo authentiſch ſind.
Des
[65]
Des
Freyherrn von Muͤnchhauſen
See-Abentheuer.
Im Jahr 1766 ſchiffte ich mich zu
Portsmouth auf einem engliſchen
Kriegsſchiffe erſter Ordnung, mit hun-
dert Kanonen und vierzehnhundert Mann,
nach Nord-America ein. Ich koͤnnte hier
zwar erſt noch allerley, was mir in Eng-
land begegnet iſt, erzaͤhlen; ich verſpare es
aber auf ein anderes Mal. Eins jedoch,
welches mir uͤberaus artig vorkam, will
ich nur noch im Vorbeygehn mitnehmen.
Ich hatte das Vergnuͤgen den Koͤnig
mit großem Pompe in ſeinem Staatswa-
gen nach dem Parlament fahren zu ſehen.
Ein Kutſcher mit einem ungemein re-
ſpectablen Barte, worein das engliſche
Wapen ſehr ſauber geſchnitten war, ſaß
gravitaͤtiſch auf dem Bocke und klatſchte
Emit
[66] mit ſeiner Peitſche
ein eben ſo deutli-
ches als kuͤnſtliches *) —
Anlangend unſere Seereiſe, ſo be-
gegnete uns nichts merkwuͤrdiges, bis
wir ohngefaͤhr noch dreyhundert Meilen
von dem St. Lorenzfluſſe entfernt waren.
Hier ſtieß das Schiff mit erſtaunlicher
Gewalt gegen etwas an, das uns wie
ein Fels vorkam. Gleichwohl konnten
wir, als wir das Senkbley auswarfen,
mit fuͤnfhundert Klaftern noch keinen
Grund finden. Was dieſen Vorfall
noch wunderbarer und beynahe unbe-
greiflich machte, war, daß wir unſer
Steuerruder verlohren, das Bog-
ſpriet mitten entzweybrachen und alle
unſere Maſten von oben bis unten aus
zerſplitterten, wovon auch zwey uͤber
Bord
[67] Bord ſtoben. Ein armer Teufel, wel-
cher gerade oben das Hauptſegel bey-
legte, flog wenigſtens drey Meilen weit
vom Schiffe weg, ehe er zu Waſſer
fiel. Allein er rettete noch dadurch gluͤck-
lich ſein Leben, daß er, waͤhrend er in
der Luft flog, den Schwanz einer Roth-
gans ergriff, welches nicht nur ſeinen
Sturz in das Waſſer milderte, ſondern
ihm auch Gelegenheit gab, auf ihrem
Ruͤcken, oder vielmehr zwiſchen Hals und
Fittigen, ſo lange nach zu ſchwimmen,
bis er endlich wieder an Bord genom-
men werden konnte. Ein anderer Be-
weis von der Gewalt des Stoßes war
dieſer, daß alles Volk zwiſchen den Ver-
decken empor gegen die Kopfdecke ge-
ſchnellt ward. Mein Kopf ward da-
durch ganz in den Magen hinabgepufft,
und es dauerte wohl einige Monathe,
ehe er ſeine natuͤrliche Stellung wieder
bekam. Noch befanden wir uns insge-
ſamt in einem Zuſtande des Erſtaunens
und einer allgemeinen unbeſchreiblichen
E 2Ver-
[68] Verwirrung, als ſich auf einmal alles
durch Erſcheinung eines großen Wall-
fiſches aufklaͤrte, welcher an der
Oberflaͤche des Waſſers, ſich ſoͤm-
mernd, eingeſchlafen war. Dieß Un-
geheuer war ſo uͤbel damit zufrie-
den, daß wir es mit unſerm Schiffe
geſtoͤrt hatten, daß es nicht nur mit
ſeinem Schwanze die Gallerie und einen
Theil des Oberlofs einſchlug, ſondern
auch zu gleicher Zeit den Hauptanker,
welcher, wie gewoͤhnlich, am Steuer
aufgewunden war, zwiſchen ſeine Zaͤhne
packte, und wenigſtens ſechzig Meilen
weit, ſechs Meilen auf eine Stunde ge-
rechnet, mit unſerm Schiffe davon eilte.
Gott weiß, wohin wir gezogen ſeyn wuͤr-
den, wenn nicht noch gluͤcklicher Weiſe
das Ankertau zerriſſen waͤre, wodurch
der Wallfiſch unſer Schiff, wir aber
auch zugleich unſern Anker verlohren.
Als wir aber ſechs Monathe hierauf wie
der nach Europa zuruͤckſegelten, ſo fan-
den wir eben denſelben Wallſiſch, in
einer
[69] einer Entfernung weniger Meilen von
eben der Stelle, todt auf dem Waſſer
ſchwimmen, und er maß ungelogen der
Laͤnge nach wenigſtens eine halbe Meile.
Da wir nun von einem ſo ungeheuern
Thiere nur wenig an Bord nehmen
konnten, ſo ſetzten wir unſere Boote
aus, ſchnitten ihm mit großer Muͤhe
den Kopf ab, und fanden zu unſerer
großen Freude nicht nur unſern Anker,
ſondern auch uͤber vierzig Klafter Tau,
welches auf der linken Seite ſeines Ra-
chens in einem hohlen Zahne ſteckte.
Dieß war der einzige beſondere Umſtand,
der ſich auf dieſer Reiſe zutrug. Doch
halt! Eine Fatalitaͤt haͤtte ich beynahe
vergeſſen. Als nehmlich das erſte Mal
der Wallfiſch mit dem Schiffe davon
ſchwamm, ſo bekam das Schiff einen
Leck und das Waſſer drang ſo heftig
herein, daß alle unſere Pumpen uns
keine halbe Stunde vor dem Sinken
haͤtten bewahren koͤnnen. Zum guten
Gluͤcke entdeckte ich das Unheil zuerſt.
E 3Es
[70] Es war ein großes Loch, ohngefaͤhr
einen Fuß im Durchmeſſer. Auf aller-
ley Weiſe verſuchte ich es, das Loch zu
verſtopfen, allein umſonſt. Endlich
rettete ich dieß ſchoͤne Schiff und alle
ſeine zahlreiche Mannſchaft durch den
gluͤcklichſten Einfall von der Welt. Ob
das Loch gleich ſo groß war, ſo fuͤllte
ichs dennoch mit meinem Liebwertheſten
aus, ohne meine Beinkleider abzuzie-
hen; und ich wuͤrde ausgelanget haben,
wenn auch die Oeffnung noch viel groͤßer
geweſen waͤre. Sie werden ſich dar-
uͤber nicht wundern meine Herren, wenn
ich Ihnen ſage, daß ich auf beyden
Seiten von hollaͤndiſchen, wenigſtens weſt-
phaͤliſchen Vorfahren abſtamme. Meine
Situation, ſo lange ich auf der Brille
ſaß, war zwar ein wenig kuͤhl, in-
deſſen ward ich doch bald durch die Kunſt
des Zimmermannes erloͤſet.
Zweytes
[71]
Zweytes See-Abentheuer.
Einſt war ich in großer Gefahr
im mittellaͤndiſchen Meere umzukommen.
Ich badete mich naͤhmlich an einem
Sommernachmittage, ohnweit Marſeille,
in der angenehmen See, als ich einen
großen Fiſch, mit weit aufgeſperrtem
Rachen, in der groͤßten Geſchwindig-
keit auf mich daherſchießen ſah. Zeit
war hier ſchlechterdings nicht zu verlie-
ren, auch war es durchaus unmoͤglich,
ihm zu entkommen. Unverzuͤglich druͤckte
ich mich ſo klein zuſammen, als moͤg-
lich, indem ich meine Fuͤße heraufzog
und die Arme dicht an den Leib ſchloß.
In dieſer Stellung ſchluͤpfte ich denn
gerade zwiſchen ſeinen Kiefern hindurch,
bis in den Magen hinab. Hier brachte
ich, wie man leicht denken kann, einige
Zeit in gaͤnzlicher Finſterniß, aber doch
in einer nicht unbehaglichen Waͤrme zu.
Da ich ihm aber nach und nach Ma-
gendruͤcken verurſachen mochte, ſo waͤre
E 4er
[72] er mich wohl gern wieder los geweſen.
Weil es mir gar nicht an Raume fehlte,
ſo ſpielte ich ihm durch Tritt und Schritt,
durch Hopp und He, gar manchen
Poſſen. Nichts ſchien ihn aber mehr
zu beunruhigen, als die ſchnelle Bewe-
gung meiner Fuͤße, da ichs verſuchte,
einen ſchottiſchen Triller zu tanzen.
Ganz entſetzlich ſchrie er auf und erhob
ſich faſt ſenkrecht mit ſeinem halben Leibe
aus dem Waſſer. Hierdurch ward er
aber von dem Volke eines vorbeyſegeln-
den italiaͤniſchen Kauffarthey-Schiffes
entdeckt, und in wenigen Minuten mit
Harpunen erlegt. Sobald er an Bord
gebracht war, hoͤrte ich das Volk ſich
berathſchlagen, wie ſie ihn aufſchneiden
wollten, um die groͤßte Quantitaͤt Oehl
von ihm zu gewinnen. Da ich nun
Italiaͤniſch verſtand, ſo gerieth ich in
die ſchrecklichſte Angſt, daß ihre Meſſer
auch mich par Compagnie mit aufſchneiden
moͤchten. Daher ſtellte ich mich ſo viel
moͤglich in die Mitte des Magens,
worin
[]
[][73] worin fuͤr mehr als ein Dutzend Mann
hinlaͤnglich Platz war, weil ich mir wohl
einbilden konnte, daß ſie mit den Ex-
tremitaͤten den Anfang machen wuͤrden.
Meine Furcht verſchwand indeſſen bald,
da ſie mit Eroͤffnung des Unterleibes
anfingen. Sobald ich nun nur ein
wenig Licht ſchimmern ſah, ſchrie ich
ihnen aus voller Lunge entgegen, wie
angenehm es mir waͤre, die Herren zu
ſehen, und durch ſie aus einer Lage er-
loͤſet zu werden, in welcher ich beynahe
erſtickt waͤre. Unmoͤglich laͤßt ſich das
Erſtaunen auf allen Geſichtern lebhaft
genug ſchildern, als ſie eine Menſchen-
ſtimme aus einem Fiſche heraus ver-
nahmen. Dieß wuchs natuͤrlicher Weiſe
noch mehr, als ſie lang und breit einen
nackenden Menſchen herausſpazieren ſahn.
Kurz, meine Herren, ich erzaͤhlte ihnen
die ganze Begebenheit, ſo wie ich ſie
Ihnen jetzt erzaͤhlt habe, woruͤber ſie
ſich denn alle faſt zu Tode verwundern
wollten.
E 5Nach-
[74]
Nachdem ich einige Erfriſchungen
zu mir genommen hatte und in die See
geſprungen war, um mich abzuſpuͤlen,
ſchwamm ich nach meinen Kleidern,
welche ich auch am Ufer eben ſo wie-
derfand, als ich ſie gelaſſen hatte. So
viel ich rechnen konnte, war ich ohnge-
faͤhr drittehalb Stunden in dem Magen
dieſer Beſtie eingekerkert geweſen.
Drittes
[75]
Drittes See-Abentheuer.
Als ich noch in tuͤrkiſchen Dienſten
war, beluſtigte ich mich oͤfters in einer
Luſt-Barke auf dem Mare di Marmora,
von wo aus man die herrlichſte Ausſicht
auf ganz Conſtantinopel, das Seraglio
des Groß-Sultans mit eingeſchloſſen,
beherrſchet. Eines Morgens, als ich
die Schoͤnheit und Heiterkeit des Him-
mels betrachtete, bemerkte ich ein run-
des Ding, ohngefaͤhr wie eine Billard-
Kugel groß, in der Luft, von welchem
noch etwas anderes herunter hing. Ich
griff ſogleich nach meiner beſten und laͤng-
ſten Vogelflinte, ohne welche, wenn
ichs aͤndern kann, ich niemals ausgehe,
oder ausre[i]ſe, lud ſie mit einer Kugel
und feuer[t]e nach dem runden Dinge in
der Luft; allein umſonſt. Ich wieder-
hohlte den Schuß mit zwey Kugeln, rich-
tete aber noch nichts aus. Erſt der
dritte Schuß, mit vier oder fuͤnf Ku-
geln machte an einer Seite ein Loch
und
[76] und brachte das Ding herab. Stellen
Sie ſich meine Verwunderung vor, als
ein niedlich vergoldeter Wagen, haͤngend
an einem ungeheuern Ballon, groͤßer
als die groͤßte Thurm-Kuppel im Um-
fange, ohngefaͤhr zwey Klafter weit
von meiner Barke herunter ſank. In
den Wagen befand ſich ein Mann und
ein halbes Schaf, welches gebraten zu
ſeyn ſchien. Sobald ſich mein erſtes
Erſtaunen gelegt hatte, ſchloß ich mit
meinen Leuten um dieſe ſeltſame Gruppe
einen dichten Kreis.
Dem Manne, der wie ein Franzoſe
ausſah, welches er denn auch war,
hingen aus jeder Taſche ein Paar praͤch-
tige Uhrketten mit Berlocken, worauf,
wie mich duͤnkt, große Herren und Da-
men abgemahlt waren. Aus jedem
Knopfloche hing ihm eine goldene Me-
daille, wenigſtens hundert Ducaten am
Werth, und an jeglichem ſeiner Finger
ſteckte ein koſtbarer Ring mit Brillan-
ten
[77] ten Seine Rocktaſchen waren mit vollen
Goldboͤrſen beſchwehrt, die ihn faſt zur
Erde zogen. Mein Gott, dachte ich,
der Mann muß dem menſchlichen Ge-
ſchlechte außerordentlich wichtige Dienſte
geleiſtet haben, daß die großen Herren
und Damen, ganz wider ihre heutzu-
tage ſo allgemeine Kniker-Natur, ihn
ſo mit Geſchenken, die es zu ſeyn ſchie-
nen, beſchwehren konnten. Bey allen
dem befand er ſich denn doch gegenwaͤr-
tig von dem Falle ſo uͤbel, daß er kaum
im Stande war, ein Wort hervorzu-
bringen. Nach einiger Zeit erhohlte
er ſich wieder, und ſtattete folgenden
Bericht ab. 〟Dieſes Luftfuhrwerk hatte
ich zwar nicht Kopf und Wiſſenſchaft
genug ſelbſt zu erfinden, dennoch aber
mehr denn uͤberfluͤßige Luftſpringer-
und Seiltaͤnzer-Waghalſigkeit zu be-
ſteigen, und darauf mehrmalen in die
Luft empor zu fahren. Vor ohngefaͤhr
ſieben oder acht Tagen — denn ich habe
meine Rechnung verlohren — erhob ich
mich
[78] mich damit auf der Landſpitze von Corn-
wall in England und nahm ein Schaf mit,
um von oben herab vor den Augen vieler
tauſend Nachgaffer Kunſtſtuͤcke damit zu
machen. Ungluͤcklicher Weiſe drehete ſich
der Wind innerhalb zehen Minuten nach
meinem Hinaufſteigen; und anſtatt mich
nach Exeter zu treiben, wo ich wieder zu
landen gedachte, ward ich hinaus nach
der See getrieben, uͤber welcher ich auch
vermuthlich die ganze Zeit her in der
unermeßlichſten Hoͤhe geſchwebet habe.
Es war gut, daß ich zu meinem
Kunſtſtuͤckchen mit dem Schafe nicht
hatte gelangen koͤnnen. Denn am dritten
Tage meiner Luftfahrt, wurde mein Hun-
ger ſo groß, daß ich mich genoͤthigt
ſah, das Schaf zu ſchlachten. Als ich
nun damals unendlich hoch uͤber dem
Monde war, und nach einer ſechzehnſtuͤn-
digen noch weitern Auffahrt endlich der
Sonne ſo nahe kam, daß ich mir die
Augenbraunen verſengte, ſo legte ich
das todte Schaf, nachdem ich es vor-
her
[79] her abgehaͤutet, an denjenigen Ort im
Wagen, wo die Sonne die meiſte Kraft
hatte, oder mit andern Worten, wo
der Ballon keinen Schatten hinwarf,
auf welche Weiſe es denn in ohngefaͤhr
drey Viertel Stunden voͤllig gar briet.
Von dieſem Braten habe ich die ganze Zeit
her gelebt〟 — Hier hielt mein Mann
ein, und ſchien ſich in Betrachtung der
Gegenſtaͤnde um ihn her zu vertiefen.
Als ich ihm ſagte, daß die Gebaͤude
da vor uns das Seraglio des Großherrn
zu Conſtantinopel waͤren, ſo ſchien er
außerordentlich beſtuͤrzt, indem er ſich
ganz wo anders zu befinden geglaubt
hatte. 〟Die Urſache meines langen
Fluges, fuͤgte er endlich hinzu, war,
daß mir ein Faden zerriß, der an einer
Klappe in dem Luftballe ſaß, und dazu
diente, die inflammable Luft herauszu-
laſſen. Waͤre nun nicht auf den Ball
gefeuert und derſelbe dadurch aufgeriſſen
worden, ſo moͤchte er wohl, wie Ma-
homet, bis an den juͤngſten Tag zwi-
ſchen
[80] ſchen Himmel und Erde geſchwebt ha-
ben.〟 Den Wagen ſchenkte er hier-
auf großmuͤthig meinem Bootsmanne,
der hinten am Steuer ſtand. Den Ha-
melsbraten warf er ins Meer. Was
aber den Luftball anlangte, ſo war der
von dem Schaden, welchen ich ihm zu-
gefuͤgt hatte, im herunterfallen vollends
ganz und gar zu Stuͤcken zerriſſen.
Viertes
[81]
Viertes See-Abentheuer.
Da wir noch Zeit haben, meine
Herren, eine friſche Flaſche auszutrin-
ken, ſo will ich Ihnen noch eine an-
dere ſehr ſeltſame Begebenheit erzaͤhlen,
die mir wenige Monathe vor meiner
letzten Ruͤckreiſe nach Europa begegnete.
Der Großherr, welchem ich durch
die Roͤmiſch- und Ruſſiſch-Kaiſerlichen,
wie auch franzoͤſiſchen Botſchafter vor-
geſtellet worden war, bediente ſich meiner,
ein Geſchaͤft von großer Wichtigkeit zu
Großkairo zu betreiben, welches zugleich
ſo beſchaffen war, daß es immer und
ewig ein Geheimniß bleiben mußte.
Ich reiſete mit großem Pompe in
einem ſehr zahlreichen Gefolge zu Lande
ab. Unterweges hatte ich Gelegenheit,
meine Dienerſchaft mit einigen ſehr
brauchbaren Subjecten zu vermehren.
Denn als ich kaum einige Meilen weit von
FConſtan-
[82] Conſtantinopel entfernt ſeyn mochte, ſah
ich einen kleinlichen ſchmaͤchtigen Men-
ſchen mit großer Schnelligkeit queerfeld-
ein daher laufen, und gleichwohl trug das
Maͤnnchen an jedem Beine ein bleyernes
Gewicht, an die funfzig Pfund ſchwehr.
Verwunderungsvoll uͤber dieſen Anblick
rief ich ihn an und fragte: Wohin, wo
hin ſo ſchnell, mein Freund? Und
warum erſchwehrſt du dir deinen Lauf
durch eine ſolche Laſt?〟 — 〟Ich lief,
verſetzte der Laͤufer, ſeit einer halben
Stunde aus Wien, wo ich bisher bey
einer vornehmen Herrſchaft in Dienſten
ſtand, und heute meinen Abſchied nahm.
Ich gedenke nach Conſtantinopel, um
daſelbſt wieder anzukommen. Durch die
Gewichte an meinen Beinen habe ich
meine Schnelligkeit, die jetzt nicht noͤthig
iſt, ein wenig mindern wollen. Denn
moderata durant, pflegte weiland mein
Praͤceptor zu ſagen.〟 — Dieſer Aſa-
hel gefiel mir nicht uͤbel; ich fragte ihn,
ob er bey mir in Dienſte treten wollte,
und
[83] und er war dazu bereit. Wir zogen hierauf
weiter durch manche Stadt, durch man-
ches Land. Nicht fern vom Wege auf
einem ſchoͤnen Gras-Rein lag maͤußchen
ſtill ein Kerl, als ob er ſchliefe. Allein
das that er nicht. Er hielt vielmehr
ſein Ohr ſo aufmerkſam zur Erde, als
haͤtte er die Einwohner der unterſten
Hoͤlle behorchen wollen. — 〟Was
horchſt du da, mein Freund?〟 — 〟Ich
horche da zum Zeitvertreibe auf das
Gras, und hoͤre, wie es waͤchſt.〟 —
Und kannſt du das?〟 — 〟O Kleinig-
keit!〟 — 〟So tritt in meine Dienſte,
Freund, wer weiß, was es bisweilen
nicht zu horchen geben kann.〟 —
Mein Kerl ſprang auf und folgte mir.
Nicht weit davon auf einem kleinen Huͤ-
gel ſtand mit angelegtem Gewehr ein
Jaͤger und knallte in die blaue leere
Luft. — 〟Gluͤck zu, Gluͤck zu, Herr
Waidmann! Doch wonach ſchießeſt du?
Ich ſehe nichts, als blaue leere Luft.〟 —
〟O ich verſuchte nur dieß neue Kuchen-
F 2reuterſche
[84] reuterſche Gewehr. Dort auf der Spitze
des Muͤnſters zu Straßburg ſaß ein
Sperling. Den ſchoß ich eben jetzt
herab.〟 Wer meine Paſſion fuͤr das
edle Waid- und Schuͤtzenwerk kennt,
den wird es nicht Wunder nehmen, daß
ich dem vortreflichen Schuͤtzen ſogleich um
den Hals fiel. Daß ich nichts ſparte,
auch ihn in meine Dienſte zu ziehen,
verſteht ſich von ſelbſt. Wir zogen dar-
auf weiter durch manche Stadt, durch
manches Land, und kamen endlich vor dem
Berge Libanon vorbey. Daſelbſt vor einem
großen Cedernwalde ſtand ein derber un-
terſetzter Kerl und zog an einem Stricke,
der um den ganzen Wald herum ge-
ſchlungen war. 〟Was ziehſt du da,
mein Freund?〟 fragte ich den Kerl.〟
— 〟O ich ſoll Bauholz hohlen, und
habe meine Axt zu Hauſe vergeſſen.
Nun muß ich mir ſo gut helfen, als
es angehen will.〟 Mit dieſen Worten
zog er in einem Ruck den ganzen Wald,
bey einer Quadratmeile groß, wie einen
Schilf-
[85] Schilfbuſch vor meinen Augen nieder.
Was ich that, das laͤßt ſich rathen.
Ich haͤtte den Kerl nicht fahren laſſen,
und haͤtte er mir meinen ganzen Ambaſ-
ſadeur-Gehalt gekoſtet. Als ich hier-
auf fuͤrbaß und endlich auf aͤgyptiſchen
Grund und Boden kam, erhob ſich ein
ſo ungeheuerer Sturm, daß ich mit allen
meinen Wagen, Pferden und Gefolge
ſchier umgeriſſen und in die Luft davon
gefuͤhrt zu werden fuͤrchtete. Zur linken
Seite unſeres Weges ſtanden ſieben
Windmuͤhlen in einer Reihe, deren Fluͤ-
gel ſo ſchnell um ihre Achſen ſchwirrten,
als eine Rockenſpindel der ſchnellſten
Spinnerinn. Nicht weit davon zur
Rechten ſtand ein Kerl, von Sir John
Falſtafs Corpulenz, und hielt ſein rech-
tes Naſenloch mit ſeinem Zeigefinger zu.
Sobald der Kerl unſere Noth und uns
ſo kuͤmmerlich in dieſem Sturme haſpeln
ſah, drehte er ſich halb um, machte
Fronte gegen uns, und zog ehrerbietig,
wie ein Muſquetier vor ſeinem Oberſten,
F 3den
[86] den Huth vor mir ab. Auf einmal
regte ſich kein Luͤftchen mehr und alle
ſieben Windmuͤhlen ſtanden ploͤtzlich ſtill.
Erſtaunt uͤber dieſen Vorfall, der nicht
natuͤrlich zuzugehen ſchien, ſchrie ich dem
Unhold zu: 〟Kerl was iſt das? Sitzt
dir der Teufel im Leibe, oder biſt du
der Teufel ſelbſt?〟 — 〟Um Verge-
bung, Ihro Excellenz!〟 antwortete mir
der Menſch; 〟ich mache da nur meinem
Herrn, dem Windmuͤller, ein wenig
Wind. Um nun die ſieben Windmuͤhlen
nicht ganz und gar umzublaſen, mußte
ich mir wohl das eine Naſenloch zu
halten.〟 — Ey, ein vortrefliches Sub-
ject! dachte ich in meinem ſtillen Sinn.
Der Kerl laͤßt ſich gebrauchen, wenn
du dereinſt zu Hauſe kommſt und dirs
an Athem fehlt, alle die Wunderdinge
zu erzaͤhlen, die dir auf deinen Reiſen
zu Land und Waſſer aufgeſtoßen ſind.
Wir wurden daher bald des Handels eins.
Der Windmacher ließ ſeine Muͤhlen
ſtehn und folgte mir.
Nach
[87]
Nach gerade wars nun Zeit in
Großkairo anzulangen. Sobald ich da-
ſelbſt meinen Auftrag nach Wunſch aus-
gerichtet hatte, gefiel es mir, mein
ganzes unnuͤtzes Geſandten-Gefolge,
außer meinen neuangenommenen nuͤtzli-
chern Subjecten zu verabſchieden, und
mit dieſen als ein bloßer Privatmann
zuruͤck zu reiſen. Da nun das Wetter
gar herrlich und der berufene Nilſtrom
uͤber alle Beſchreibung reizend war, ſo
gerieth ich in Verſuchung eine Barke
zu miethen und bis Alexandrien zu Waſſer
zu reiſen. Das ging nun ganz vor-
treflich, bis in den dritten Tag. Sie
haben, meine Herren, vermuthlich ſchon
mehrmals von den jaͤhrlichen Ueber-
ſchwemmungen des Nils gehoͤrt. Am
dritten Tage, wie geſagt, fing der Nil
ganz unbaͤndig an zu ſchwellen, und
am folgenden Tage war links und rechts
das ganze Land viele Meilen weit und
breit uͤberſchwemmet. Am fuͤnften Tage
nach Sonnen-Untergang verwickelte ſich
F 4meine
[88] meine Barke auf einmal in etwas, das
ich fuͤr Ranken und Strauchwerk hielt.
Sobald es aber am naͤchſten Morgen
heller ward, fand ich mich uͤberall von
Mandeln umgeben, welche vollkommen
teif und ganz vortreflich waren. Als
wir das Senkbley auswarfen, fand ſich,
daß wir wenigſtens ſechzig Fuß hoch
uͤber dem Boden ſchwebten, und ſchlech-
terdings weder vor noch ruͤckwaͤrts konn-
ten. Ohngefaͤhr gegen acht oder neun
Uhr, ſoviel ich aus der Hoͤhe der Sonne
abnehmen konnte, erhob ſich ein ploͤtzli-
cher Wind, der unſere Barke ganz auf
eine Seite umlegte. Hierdurch ſchoͤpfte
ſie Waſſer, ſank unter, und ich hoͤrte
und ſah in langer Zeit nichts wieder da-
von, wie ſie gleich vernehmen werden.
Gluͤcklicher Weiſe retteten wir uns ins-
geſamt, naͤhmlich acht Maͤnner und zwey
Knaben, indem wir uns an den Baͤu-
men feſthielten, deren Zweige zwar fuͤr
uns, allein nicht fuͤr die Laſt unſerer
Barke hinreichten. In dieſer Situation
verblie-
[]
[][89] verblieben wir drey Wochen und drey
Tage und lebten ganz allein von Man-
deln. Daß es am Trunke nicht fehlte,
verſtehet ſich von ſelbſt. Am zwey und
zwanzigſten Tage unſers Unſterns fiel
das Waſſer wieder eben ſo ſchnell, als
es geſtiegen war; und am ſechs und
zwanzigſten konnten wir wieder auf Terra
firma fußen. Unſere Barke war der
erſte angenehme Gegenſtand, den wir
erblickten. Sie lag ohngefaͤhr zweyhun-
dert Klafter weit von dem Orte, wo
ſie geſunken war. Nachdem wir nun
alles, was uns noͤthig und nuͤtzlich war,
an der Sonne getrocknet hatten, ſo ver-
ſahen wir uns mit den Nothwendig-
keiten aus unſerm Schiffsvorrath, und
machten uns auf, unſere verlohrne
Straße wieder zu gewinnen. Nach der
genaueſten Berechnung fand ſich, daß
wir an die hundert und funfzig Meilen weit
uͤber Gartenwaͤnde und mancherley Ge-
haͤge hinweggetrieben waren. In ſieben
Tagen erreichten wir den Fluß, der nun
F 5wieder
[90] wieder in ſeinen Bette ſtroͤmte, und er-
zaͤhlten unſer Abentheuer einem Bey.
Liebreich half dieſer allen unſern Beduͤrf-
niſſen ab, und ſendete uns in einer von
ſeinen eigenen Barken weiter. In ohn-
gefaͤhr ſechs Tagen langten wir zu Ale-
xandrien an, allwo wir uns nach Con-
ſtantinopel einſchifften. Ich wurde von
dem Großherrn uͤberaus gnaͤdig empfan-
gen, und hatte die Ehre ſeinen Harem
zu ſehen, wo ſeine Hoheit ſelbſt mich
hineinzufuͤhren und ſo viele Damen, ſelbſt
die Weiber nicht ausgenommen, anzu-
bieten geruheten, als ich mir nur immer
zu meinem Vergnuͤgen ausleſen wollte.
Mit meinen Liebes-Abentheuern
pflege ich nie groß zu thun, daher wuͤnſche
ich Ihnen, meine Herren, jetzt insge-
ſammt eine angenehme Ruhe.
Fuͤnftes
[91]
Fuͤnftes See-Abentheuer.
Nach Endigung der aͤgyptiſchen
Reiſegeſchichte wollte der Baron auf-
brechen und zu Bette gehen, gerade
als die erſchlaffende Aufmerkſamkeit jedes
Zuhoͤrers bey Erwaͤhnung des Groß-
herrlichen Harems in neue Spannung ge-
rieth. Sie haͤtten gar zu gern noch
etwas von dem Harem gehoͤrt. Da aber
der Baron ſich durchaus nicht darauf
einlaſſen und gleichwohl der mit Bitten
auf ihn losſtuͤrmenden muntern Zuhoͤrer-
ſchaft nicht alles abſchlagen wollte, ſo
gab er noch einige Stuͤckchen ſeiner merk-
wuͤrdigen Dienerſchaft zum Beſten und
fuhr in ſeiner Erzaͤhlung alſo fort.
Bey dem Groß-Sultan galt ich
ſeit meiner aͤgyptiſchen Reiſe alles in
allem. Seine Hoheit konnten gar ohne
mich nicht leben und baten mich jeden
Mittag und Abend bey ſich zum Eſſen.
Ich muß bekennen, meine Herren, daß
der
[92] der tuͤrkiſche Kaiſer unter allen Poten-
taten auf Erden den delicateſten Tiſch
fuͤhret. Jedoch iſt dieß nur von den
Speiſen, nicht aber von dem Getraͤnke
zu verſtehen, da, wie Sie wiſſen wer-
den, Mahomets Geſetz ſeinen Anhaͤn-
gern den Wein verbietet. Auf ein gutes
Glas Wein muß man alſo an oͤffent-
lichen tuͤrkiſchen Tafeln Verzicht thun.
Was indeſſen gleich nicht oͤffentlich ge-
ſchieht, das geſchieht doch nicht ſelten
heimlich; und des Verbots ungeachtet,
weiß mancher Tuͤrk ſo gut, als der beſte
deutſche Praͤlat, wie ein gutes Glas
Wein ſchmeckt. Das war nun auch
der Fall mit Seiner tuͤrkiſchen Hoheit.
Bey der oͤffentlichen Tafel, an welcher
gewoͤhnlich der tuͤrkiſche General-Su-
perintendent, naͤhmlich der Mufti, in
partem Salarii mit ſpeiſete und vor Tiſche
das: Aller Augen — nach Tiſche aber
das Gratias beten mußte, wurde des
Weines auch nicht mit einer einzigen
Sylbe gedacht. Nach aufgehobener
Tafel
[93] Tafel aber wartete auf Seine Hoheit
gemeiniglich ein gutes Flaͤſchchen im
Cabinette. Einſt gab der Großſultan
mir einen verſtohlenen freundlichen Wink,
ihm in ſein Cabinett zu folgen. Als
wir uns nun daſelbſt eingeſchloſſen hatten,
hohlte er aus einem Schraͤnkchen eine
Flaſche hervor, und ſprach: Muͤnch-
hauſen, ich weiß ihr Chriſten verſteht
euch auf ein gutes Glas Wein. Da
habe ich noch ein einziges Flaͤſchchen
Tockaier. So delicat muͤßt ihr ihn in
euerm Leben nicht getrunken haben.〟
Hierauf ſchenkten Seine Hoheit ſowohl
mir als ſich eins ein und ſtießen mit mir
an. 〟— Nun was ſagt ihr? Gelt!
es iſt was extra feines?〟 — 〟Das
Weinchen iſt gut, Ihro Hoheit, er-
wiederte ich; allein mit Ihrem Wohl-
nehmen muß ich doch ſagen, daß ich
ihn in Wien beym Hochſeligen Kaiſer
Carl dem ſechſten weit beſſer getrunken
habe. Potz Stern! den ſollten Ihro
Hoheit einmal verſuchen.〟 Freund
Muͤnch-
[94] Muͤnchhauſen, euer Wort in Ehren!
Allein es iſt unmoͤglich, daß irgend ein
Tockaier beſſer ſey. Denn ich bekam
einſt nur dieß eine Flaͤſchchen von einem
Ungariſchen Cavalier und er that ganz
verzweifelt rar damit.〟 — Poſſen,
Ihro Hoheit! Tockaier und Tockaier iſt
ein großmaͤchtiger Unterſchied. Die
Herren Ungarn uͤberſchenken ſich eben
nicht. Was gilt die Wette, ſo ſchaffe
ich Ihnen in Zeit von einer Stunde
gerades Weges und unmittelbar aus
dem Kaiſerlichen Keller eine Flaſche
Tockaier, die aus ganz andern Au-
gen ſehen ſoll.〟 — 〟Muͤnchhau-
ſen, ich glaube ihr faſelt.〟 — 〟Ich
faſele nicht. Gerades Weges aus dem
Kaiſerlichen Keller in Wien ſchaffe ich
Ihnen in Zeit von einer Stunde eine
Flaſche Tockaier von einer ganz andern
Nummer, als dieſer Kraͤtzer hier.〟 —
Muͤnchhauſen, Muͤnchhauſen! Ihr wollt
mich zum Beſten haben und das ver-
bitte ich mir. Ich kenne euch zwar
ſonſt
[95] ſonſt als einen uͤberaus wahrhaften
Mann, allein — jezt ſollte ich doch
faſt denken, Ihr flunkertet.〟 — 〟Ey
nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf
die Probe an. Erfuͤlle ich nicht mein
Wort — denn von allen Aufſchneide-
reyen bin ich der abgeſagteſte Feind —
ſo laſſen Ihro Hoheit mir den Kopf
abſchlagen. Allein mein Kopf iſt kein
Pappenſtiel. Was ſetzen Sie mir da-
gegen?〟 — 〟Top! Ich halte euch
beym Worte. Iſt auf den Schlag
Vier nicht die Flaſche Tockaier hier, ſo
koſtets euch ohne Barmherzigkeit den
Kopf. Denn foppen laſſe ich mich auch
von meinen beſten Freunden nicht. Be-
ſteht ihr aber, wie Ihr verſprecht, ſo
koͤnnet ihr aus meiner Schatzkammer ſo
viel an Gold, Silber, Perlen und Edel-
geſteinen nehmen, als der ſtaͤrkſte Kerl
davon zu ſchleppen vermag. — 〟Das
laͤßt ſich hoͤren!〟 antwortete ich, bat
mir gleich Feder und Dinte aus und
ſchrieb an die Kaiſerinn-Koͤnigian Maria
Thereſia folgendes Billet:
〟Ihre
[96]〟Ihre Majeſtaͤt haben ohnſtreitig
〟als Univerſal-Erbinn auch Ihres
〟Hoͤchſtſeligen Herren Vaters Kel-
〟ler mitgeerbt. Duͤrſte ich mir
〟wohl durch Vorzeigern dieſes
〟eine Flaſche von dem Tockaier
〟ausbitten, wie ich ihn bey Ih-
〟rem Herren Vater oft getrunken
〟habe? Allein von dem Beſten!
〟Denn es gilt eine Wette. Ich
〟diene gern dafuͤr wieder, wo
〟ich kann, und beharre uͤbrigens
〟u. ſ. w.
Dieß Billet gab ich, weil es ſchon
fuͤnf Minuten uͤber drey Uhr war, nur
ſogleich offen meinem Laͤufer, der ſeine Ge-
wichte abſchnallen und ſich unverzuͤglich
auf die Beine nach Wien machen
mußte. Hierauf tranken wir, der Groß-
ſultan und ich, den Reſt von ſeiner
Flaſche in Erwartung des beſſern vol-
lends aus. Es ſchlug ein Viertel, es
ſchlug Halb, es ſchlug drey Viertel auf
Vier, und noch war kein Laͤufer zu hoͤren
und
[97] und zu ſehen. Nach gerade, geſtehe
ich, fing mir an ein wenig ſchwul zu
werden; denn es kam mir vor, als
blickten Seine Hoheit ſchon bisweilen nach
der Glockenſchnur, um nach dem Scharf-
richter zu klingeln. Noch erhielt ich
zwar Erlaubniß, einen Gang hinaus
in den Garten zu thun, um friſche Luft
zu ſchoͤpfen, allein es folgten mir auch
ſchon ein Paar dienſtbare Geiſter nach,
die mich nicht aus den Augen ließen.
In dieſer Angſt, und als der Zeiger
ſchon auf fuͤnf und funfzig Minuten ſtand,
ſchickte ich noch geſchwind nach meinem
Horcher und Schuͤtzen. Sie kamen un-
verzuͤglich an, und der Horcher mußte
ſich platt auf die Erde niederlegen, um
zu hoͤren, ob nicht mein Laufer endlich
ankaͤme. Zu meinem nicht geringen
Schrecken meldete er mir, daß der Schlin-
gel irgendwo, allein weit weg von hier,
im tiefſten Schlafe laͤge und aus Leibes-
kraͤften ſchnarchte. Dieß hatte mein
braver Schuͤtze nicht ſobald gehoͤrt, als
Ger
[98] er auf eine etwas hohe Terraſſe lief und,
nachdem er ſich auf ſeinen Zehen noch mehr
empor gereckt hatte, haſtig ausrief: 〟Bey
meiner armen Seele! Da liegt der Fau-
lenzer unter einer Eiche bey Belgrad
und die Flaſche neben ihm. Wart!
Ich will dich aufkitzeln.〟 — Und hier-
mit legte er unverzuͤglich ſeine Kuchen-
reuterſche Flinte an den Kopf und ſchoß
die volle Ladung oben in den Wipfel
des Baumes. Ein Hagel von Eicheln,
Zweigen und Blaͤttern fiel herab auf
den Schlaͤfer, erweckte und brachte
ihn, da er ſelbſt fuͤrchtete, die Zeit
beynahe verſchlafen zu haben, dermaßen
geſchwind auf die Beine, daß er mit
ſeiner Flaſche und einem eigenhaͤndigen
Billet von Maria Thereſia, um 59½
Minuten auf vier Uhr vor des Sultans
Cabinette anlangte. Das war ein Gau-
dium! Ey, wie ſchluͤrfte das Großherr-
liche Leckermaul! — 〟Muͤnchhauſen, ſprach
er, Ihr muͤßt es mir nicht uͤbel neh-
men, wenn ich dieſe Flaſche fuͤr mich
allein
[99] allein behalte. Ihr ſteht zu Wien
beſſer, als ich; Ihr werdet ſchon an
noch mehr zu kommen wiſſen.〟 — Hier-
mit ſchloß er die Flaſche in ſein Schraͤnk-
chen, ſteckte den Schluͤſſel in die Ho-
ſentaſche, und klingelte nach dem Schatz-
meiſter. — O welch ein angenehmer
Silberton meinen Ohren! — 〟Ich muß
euch nun die Wette bezahlen. — Hier! —
ſprach er zum Schatzmeiſter, der ins
Zimmer trat, laßt meinem Freunde
Muͤnchhauſen ſo viel aus der Schatz-
kammer verabfolgen, als der ſtaͤrkſte
Kerl wegzutragen vermag.〟 Der
Schatzmeiſter neigte ſich vor ſeinem Herrn
bis mit der Naſe zur Erde, mir aber
ſchuͤttelte der Großſultan ganz treuher-
zig die [Hand], und ſo ließ er uns
beyde gehn.
Ich ſaͤumte nun, wie Sie denken
koͤnnen, meine Herren, keinen Augen-
blick, die erhaltene Aſſignation geltend
zu machen, ließ meinen Starken mit
G 2ſeinem
[100] ſeinem langen haͤnfenen Stricke kommen
und verfuͤgte mich in die Schatzkammer.
Was da mein Starker, nachdem er
ſein Buͤndel geſchnuͤrt hatte, uͤbrig ließ,
das werden Sie wohl ſchwehrlich hohlen
wollen. Ich eilte mit meiner Beute
gerades Weges nach dem Hafen, nahm
dort das groͤßte Laſtſchiff, das zu be-
kommen war, in Beſchlag, und ging
wohlbepackt mit meiner ganzen Diener-
ſchaft unter Segel, um meinen Fang
in Sicherheit zu bringen, ehe was wi-
driges dazwiſchen kam. Was ich be-
fuͤrchtet hatte, das geſchah. Der Schatz-
meiſter hatte Thuͤr und Thor von der
Schatzkammer offen gelaſſen — und
freylich wars nicht groß mehr noͤthig,
ſie zu verſchließen — war uͤber Hals und
Kopf zum Großſultan gelaufen und hatte
ihm Bericht abgeſtattet, wie vollkom-
men wohl ich ſeine Aſſignation genutzt
hatte. Das war denn nun dem Groß-
ſultan nicht wenig vor den Kopf gefah-
ren. Die Reue uͤber ſeine Uebereilung
konnte
[101] konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte
daher gleich dem Großadmiral befohlen,
mit der ganzen Flotte hinter mir her-
zueilen, und mir zu inſinuiren, daß
wir ſo nicht gewettet haͤtten. Als ich
daher noch nicht zwey Meilen weit in
See war, ſo ſah ich ſchon die ganze
tuͤrkiſche Kriegsflotte mit vollen Segeln
hinter mir herkommen, und ich muß
geſtehen, daß mein Kopf, der kaum
wieder feſt geworden war, nicht wenig
von neuem anfing zu wackeln. Allein
nun war mein Windmacher bey der Hand
und ſprach: 〟Laſſen ſich Ihro Excellenz
nicht bange ſeyn!〟 Er trat hierauf auf
das Hinterverdeck meines Schiffes, ſo
daß ſein eines Naſenloch nach der tuͤr-
kiſchen Flotte, das andere aber auf un-
ſere Segel gerichtet war, und blies eine
ſo hinlaͤngliche Portion Wind, daß die
Flotte an Maſten, Segel- und Tauwerk
gar uͤbel zugerichtet, nicht nur bis in
den Hafen zuruͤckgetrieben, ſondern auch
G 3mein
[102] mein Schiff in wenig Stunden gluͤcklich
nach Italien getrieben ward. Von
meinem Schatze kam mir jedoch wenig
zu gute. Denn in Italien iſt, trotz
der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar
Jagemann in Weimar *), Armuth und
Betteley ſo groß und die Polizey ſo
ſchlecht, daß ich erſtlich, weil ich viel-
leicht eine allzu gutwillige Seele bin, den
groͤßten Theil an die Straßenbettler aus-
ſpenden mußte. Der Reſt aber wurde mir
auf meiner Reiſe nach Rom, auf der
geheiligten Flur von Loretto, durch eine
Bande Straßenraͤuber abgenommen.
Das Gewiſſen wird dieſe Herrn nicht
ſehr daruͤber beunruhigt haben. Denn
ihr Fang war noch immer ſo anſehnlich,
daß um den tauſendſten Theil die ganze
honette Geſellſchaft ſowohl fuͤr ſich, als
ihre Erben und Erbnehmen, auf alle
vergangene und zukuͤnftige Suͤnden, voll-
kommenen Ablaß ſelbſt aus der er-
ſten
[103] ſten und beſten Hand in Rom dafuͤr er-
kaufen konnte. —
Nun aber, meine Herren, iſt in
der That mein Schlafſtuͤndchen da.
Schlafen Sie wohl!
G 4Sechſtes
[104]
Sechſtes und letztes See-Abentheuer.
Nach Endigung des vorigen Aben-
theuers, ließ ſich der Baron nicht laͤn-
ger halten, ſondern brach wirklich auf,
und verließ die Geſellſchaft in der beſten
Laune. Als ſich nun Jedermann nach
ſeiner Weiſe uͤber die Unterhaltung
herausließ, die er ſo eben verſchafft
hatte, ſo bemerkte einer von der Ge-
ſellſchaft, ein Partiſan des Barons,
der ihn auf ſeiner letzten Reiſe in die
Tuͤrkey begleitet hatte, daß ohnweit
Conſtantinopel ein ungeheuer großes
Geſchuͤtz befindlich ſey, deſſen der Ba-
ron Tott in ſeinen neulich herausgekom-
menen Denkwuͤrdigkeiten ganz beſonders
erwaͤhnet. Was er davon meldet, iſt,
ſo viel ich mich erinnere, folgendes:
〟Die Tuͤrken hatten ohnweit der Stadt
uͤber der Citadelle auf dem Ufer des
beruͤhmten Fluſſes Simois, ein unge-
heueres Geſchuͤtz aufgepflanzt. Daſſelbe
war ganz aus Kupfer gegoſſen, und
ſchoß
[105] ſchoß eine Marmorkugel wenigſtens elf-
hundert Pfund an Gewicht. Ich hatte
große Luſt, ſagt Tott, es abzufeuern,
um erſt aus ſeiner Wirkung gehoͤrig zu
urtheilen. Alles Volk um mich her
zitterte und bebte, weil es ſich ver-
ſichert hielt, daß Schloß und Stadt
davon uͤbern Haufen ſtuͤrzen wuͤrden.
Endlich ließ doch die Furcht ein wenig
nach, und ich bekam Erlaubniß, das
Geſchuͤtz abzufeuern. Es wurden nicht
weniger, als Dreyhundert und dreyßig
Pfund Pulver dazu erfordert, und die
Kugel wog, wie ich vorhin ſagte, Elf-
hundert Pfund. Als der Kanonier
mit dem Zuͤnder ankam, zog ſich der
Haufen, der mich umgab, ſo weit zu-
ruͤck, als er konnte. Mit genauer Noth
uͤberredete ich den Baſſa, der aus Be-
ſorgniß herzukam, daß keine Gefahr zu
beſorgen ſey. Selbſt dem Kanonier, der
es nach meiner Anweiſung abfeuern
ſollte, klopfte vor Angſt das Herz. Ich
nahm meinen Platz in einer Mauer-
G 5ſchanze
[106] ſchanze hinter dem Geſchuͤtze, gab das
Zeichen und fuͤhlte einen Stoß, wie
von einem Erdbeben. In einer Ent-
fernung von dreyhundert Klaftern zer-
ſprang die Kugel in drey Stuͤcke; dieſe
flogen uͤber die Meerenge, prallten von
dem Waſſer empor an die gegenſeitigen
Berge und ſetzten den ganzen Canal, ſo
breit er war, in Einen Schaum.〟
Dieß, meine Herren, iſt, ſoviel
ich mich erinnere, Baron Totts Nach-
richt von der groͤßten Kanone in der
bekannten Welt. Als nun der Herr
ven Muͤnchhauſen und ich jene Gegend
beſuchten, wurde die Abfeuerung dieſes
ungeheuern Geſchuͤtzes durch den Baron
Tott uns als ein Beyſpiel der außer-
ordentlichen Herzhaftigkeit dieſes Herren
erzaͤhlt.
Mein Goͤnner, der es durchaus
nicht vertragen konnte, daß ein Fran-
zoſe ihm etwas zuvorgethan haben ſollte,
nahm
[107] nahm eben dieſes Geſchuͤtz auf ſeine
Schulter, ſprang, als ers in ſeine
eigentliche wagrechte Lage gebracht
hatte, gerades Weges ins Meer, und
ſchwamm damit an die gegenſeitige
Kuͤſte. Von dort aus verſuchte er un-
gluͤcklicher Weiſe die Kanone auf ihre
vorige Stelle zuruͤck zu werfeu. Ich
ſage, ungluͤcklicher Weiſe! denn ſie
glitt ihm ein wenig zu fruͤh aus der
Hand, gerade als er zum Wurf aus-
hohlte. Hierdurch geſchah es denn,
daß ſie mitten in den Kanal fiel, wo
ſie nun noch liegt, und wahrſcheinlich
bis an den juͤngſten Tag liegen blei-
ben wird.
Dieß, meine Herren, war es ei-
gentlich, womit es der Herr Baron
bey dem Großſultan ganz und gar ver-
darb. Die Schatz-Hiſtorie, der er
vorhin ſeine Ungnade beymaß, war
laͤngſt vergeſſen. Denn der Großſultan
hat
[108] hat ja genug einzunehmen, und konnte
ſeine Schatzkammer bald wieder fuͤllen.
Auch befand der Herr Baron, auf eine
eigenhaͤndige Wiedereinladung des Groß-
ſultans, die er zu Rom erhielt, ſich
erſt jetzt zum letzten Male in der
Tuͤrkey; und waͤre vielleicht wohl noch
da, wenn der Verluſt dieſes beruͤchtig-
ten Geſchuͤtzes den grauſameu Tuͤrken
nicht ſo aufgebracht haͤtte, daß er nun
unwiederruflich den Befehl gab, dem
Baron den Kopf abzuſchlagen. Eine
gewiſſe Sultaninn aber, von welcher er
ein großer Liebling geworden war, gab
ihm nicht nur unverzuͤglich von dieſem
blutgierigen Vorhaben Nachricht, ſon-
dern verbarg ihn auch ſo lange in ih-
rem eigenen Gemache, als der Offi-
cier, dem die Execution aufgetragen
war, mit ſeinen Helfershelfern nach
ihm ſuchte. In der naͤchſtfolgenden
Nacht fluͤchteten wir an den Bord eines
nach Venedig beſtimmten Schiffes,
welches
[109] welches gerade im Begriffe war unter
Segel zu gehen, und kamen gluͤck-
lich davon.
Dieſer Begebenheit erwaͤhnt der
Baron nicht gern, weil ihm da ſein
Verſuch mißlang und er noch dazu
um ein Haar ſein Leben oben drein
verlohren haͤtte. Da ſie gleichwohl
ganz und gar nicht zu ſeiner Schande
gereicht, ſo pflege ich ſie wohl bis-
weilen hinter ſeinem Ruͤcken zu erzaͤhlen.
Nun, meine Herren, kennen Sie
insgeſamt den Herren Baron von Muͤnch-
hauſen, und werden [hoffentlich] an ſei-
ner Wahrhaftigkeit im mindeſten
nicht zweifeln. Damit Ihnen aber
auch kein Zweifel gegen die Meinige zu
Kopfe ſteige, ein Umſtand, den ich ſo
ſchlecht-
[110] ſchlechtweg eben nicht vorausſetzen mag,
ſo muß ich Ihnen doch ein wenig ſagen,
wer ich bin.
Mein Vater, oder wenigſtens der-
jenige, welcher dafuͤr gehalten wurde,
war von Geburt ein Schweizer, aus
Bern. Er fuͤhrte daſelbſt eine Art von
Oberaufſeher uͤber Straßen, Alle’ en, Gaſſen
und Bruͤcken. Dieſe Beamten heißen
dort zu Lande — hm! — Gaſſenkehrer.
Meine Mutter war aus den Savoyſchen
Gebirgen gebuͤrtig, und trug einen
uͤberaus ſchoͤnen großen Kropf am Halſe,
der bey den Damen jener Gegend etwas
ſehr gewoͤhnliches iſt. Sie verließ ihre
Eltern ſehr jung, und ging ihrem
Gluͤcke in eben der Stadt nach, wo
mein Vater das Licht der Welt erblickt
hatte. So lange ſie noch ledig war,
gewann ſie ihren Unterhalt durch aller-
ley Liebeswerk an unſerm Geſchlechte.
Denn man weiß, daß ſie es niemals
abſchlug,
[111] abſchlug, wenn man ſie um eine Ge-
faͤlligkeit anſprach und beſonders ihr
mit gehoͤriger Hoͤflichkeit in der Hand
zuvorkam. Dieſes liebenswuͤrdige Paar
begegnete einander von ohngefaͤhr auf
der Straße, und da ſie beyderſeits
ein wenig berauſcht waren, ſo tau-
melten ſie gegen einander, und taumel-
ten ſich alle beyde uͤber den Haufen.
Wie ſich nun bey dieſer Gelegenheit
ein Theil immer noch unnuͤtzer machte
als der andere, und das Ding zu laut
wurde, ſo wurden ſie alle beyde erſt
in die Schaarwache, hernach aber in
das Zuchthaus geſchleppt. Hier ſahen
ſie bald die Thorheit ihrer Zaͤnkerey
ein, machten alles wieder gut, ver-
liebten ſich und heuratheten einander.
Da aber meine Mutter zu ihren alten
Streichen zuruͤckkehrte, ſo trennte mein
Vater, der gar hohe Begriffe von
Ehre hatte, ſich ziemlich bald von ihr,
und wies ihr die Revenuͤen von einem
Trag-
[112] Tragkorbe zu ihrem kuͤnftigen Unter-
halte an. Sie vereinigte ſich hierauf
mit einer Geſellſchaft, die mit einem
Puppenſpiel umherzog. Mit der Zeit
fuͤhrte ſie das Schickſal nach Rom,
wo ſie eine Auſter-Bude hielt.
Sie haben ohnſtreitig insgeſamt
von dem Pabſt Ganganelli, oder Cle-
mens XIV., und wie gern dieſer Herr
Auſtern aß, gehoͤrt. Eines Frey-
tags, als derſelbe in großem Pompe
nach der St. Peters Kirche zur hohen
Meſſe durch die Stadt zog, ſah er
meiner Mutter Auſtern (welche, wie
ſie mir oft erzaͤhlt hat, ausnehmend
ſchoͤn und friſch waren) und konnte un-
moͤglich voruͤberziehen, ohne ſie zu ver-
ſuchen. Nun waren zwar mehr als
fuͤnftauſend Perſonen in ſeinem Ge-
folge; nichts deſtoweniger aber ließ er
ſogleich alles ſtill halten und in die
Kirche
[113] Kirche ſagen, er koͤnnte vor Morgen
das Hochamt nicht halten. Sodann
ſprang er vom Pferde — denn die
Paͤbſte reiten allemal bey ſolchen Ge-
legenheiten — ging in meiner Mutter
Laden, aß erſt alles auf, was von
Auſtern daſelbſt vorhanden war, und
ſtieg hernach mit ihr in den Keller
hinab, wo ſie noch mehr hatte. Dieſes
unterirdiſche Gemach war meiner Mut-
ter Kuͤche, Viſitenſtube und Schlaf-
kammer zugleich. Hier gefiel es ihm
ſo wohl, daß er alle ſeine Begleiter
fortſchickte. Kurz, Seine Heiligkeit
brachten die ganze Nacht dort mit mei-
ner Mutter zu. Ehe Dieſelben am
andern Morgen wieder fortgingen, er-
theilten Sie ihr vollkommen Ablaß,
nicht allein fuͤr jede Suͤnde, die ſie
ſchon auf ſich hatte, ſondern auch fuͤr
alle diejenigen, womit ſie ſich etwa
kuͤnftig noch zu befaſſen Luſt haben
moͤchte.
HNun,
[114]
Nun, meine Herren, habe ich
darauf das Ehrenwort meiner Mutter
— und wer koͤnnte wohl eine ſolche Ehre
bezweifeln? — daß ich die Frucht jener
Auſternacht bin.
Inhalt.[[115]]
Appendix A Inhalt.
- Vorrede zur erſten Ausgabe S. 5
- ---- zur zweyten Ausgabe 9
- ---- zur deutſchen Ueberſetzung 11
- Der Freyherr von Muͤnchhauſen reiſet
nach Rußland 17 - ---- Verrichtet ein Liebeswerk 18
- ---- Erhaͤlt eine kraͤftige Verſicherung
vom Himmel 19 - ---- Bindet ſein Pferd aus Irrthum
an eine Kirchthurm-Spitze 19 - ---- Zerſchießt den Halfter und be-
kommt es wieder 20 - ---- Wird von einem Wolfe angefallen 21
- ---- Peitſchet ihn in ein Pferd 22
- ---- Bedient ſich ſeiner Augen ſtatt
des Flintenſteines und erlegt auf
einen Schuß fuͤnf Paar wilde
Enten und verſchiedenes anderes
Gefluͤgel 25 - ---- Faͤngt die wilden Enten mit Speck 26
- ---- Sonderbare Luftfahrt 28
- Er karbatſcht einen Fuchs aus ſeinem Pelze 29
- Schießt zwey wilde Schweine ausein-
ander S. 30 - Faͤngt einen Keiler und fuͤhrt ihn nach
Hauſe 31 - Betrachtungen uͤber St. Huberts Kreuz-
hirſch 32 - Der Baron ſchießt einen Hirſch mit Kirſch-
kernen auf den Kopf, wovon ein
Baum entſprießt 33 - Brennt und ſprengt einen Baͤr aus-
einander 35 - Kehrt einen Wolf um 37
- Sein Ueberrock wird toll 38
- Practiſche Betrachtungen 39
- Sein Windſpiel laͤuft ſich die Beine ab 40
- Sein Hund wirft Junge, waͤhrend er
einen Haſen jagt 41 - Der Haſe ſetzt Junge, waͤhrend ihn der
Hund verfolgt 42 - Der Baron ſetzt mit einem Pferde zum
Fenſter hinein und reitet auf ei-
nem Theetiſche die Schule, ohne
weder Kannen noch Taſſen zu zer-
brechen 42 - 44 - Practiſche Betrachtungen 45 - 47
- Das Pferd wird in zwey Stuͤcke zerſchla-
gen, aber wieder zuſammen geflickt 48- 50 - Lorbeerzweige wachſen hinten aus dem
Pferde und woͤlben eine Lanbe,
worunter der Baron reitet 51 - Der Baron kann nach der Schlacht ſeinen
noch immer hauenden Arm nicht
wieder beſaͤnftigen S. 51 - Er reitet auf Kanonen-Kugeln durch die Luft 52
- Setzt mit ſeinem Pferde durch eine Kut-
ſche mit aufgezogenen Fenſtern 53 - Reißt ſich nebſt ſeinem Pferde ſelbſt an
ſeinem Haarzopfe aus einem
Moraſte 54 - Er geraͤth in tuͤrkiſche Sclaverey 55
- Zwey Baͤren fallen eine Biene an 56
- Der Baron ſteigt ſeiner Axt bis in den
Mond nach und kommt zuruͤck 56 - Faͤllt zwey Meilen hoch aus den Wolken 58
- Graͤbt ſich mit ſeinen Naͤgeln aus einem
neun Klafter tiefen Loche empor 58 - Faͤngt einen Baͤr auf einer Wagendeichſel 59
- Wird wieder nach St. Petersburg ausge-
liefert und nimmt ſeinen Abſchied 59 - Hilft ſich mit ſeinem Waaen in einem
engen Paſſe vor einem andern auf
eine nicht leicht begreifliche Weiſe
vorbey 60-63 - Naͤrriſche Streiche eines Poſthorns 63
- Des Herrn von Muͤnchhauſen See-Aben-
theuer 65 - Beylaͤufige Erwaͤhnung eines geſchickten
engliſchen Kutſchers 66 - Gefahr eines Schiffbruchs durch einen
Wallſiſch 66 - Ein Matroſe wird wunderbarlich durch
eine Rothgans gerettet S. 67 - Des Barons Kopf geraͤth in eine ſelt-
ſame Stellung 67 - Der Wallfiſch wirthſchaftet gar uͤbel mit
dem Schiffe und ſchwimmt endlich
gar damit fort 68 - Es geht ein Anker und ziemliches Stuͤck
Tau verlohren, ſo aber in einem
hohlen Zahne wieder gefunden
wird 68-69 - Ein Schiff-Leck, den der Baron mit dem
verſtopft, was ihm die Natur
verliehen 69 - Jonas der zweyte im mittellaͤndiſchen Meere 71
- Rettet ſein Leben durch einen Schotti-
ſchen Triller 72 - Wiedergeburt des Barons daſelbſt 73
- Er ſchießt bey Conſtantinopel einen Luft-
ballon herunter 75 - Particularitaͤten von der Perſon die daran
hing 76-80 - Der Baron gebt als Ambaſſadeur nach
Groß-Cairo 81 - Nimmt verſchiedene tuͤchtige Subjecte in
Dienſte, nehmlich,
Einen Laͤufer 82 - Horcher 83
- Schuͤtzen 83
- Starken 84
- Windmacher 85
- Kehrt nach ausgerichteter Sache von
Groß-Cairo auf dem Nil zuruͤck,
der ihn mit ſeiner Barke auf ei-
nen Mandelbaum ſchwemmet S. 87-89 - Kommt wieder aufs Trockne und reiſet
nach Conſtantinopel zuruͤck 89 - Der Großſultan fuͤhrt ihn in ſeinem Harem
und laͤßt ihn da ausleſen, was
ihm beliebt 90 - Der Baron laͤßt ſich von der Geſellſchaft
bereden, noch einige Stuͤckchen
ſeiner Dienerſchaft zu erzaͤhlen 91 - Bericht von der Tafel des Groß-
ſultans 91 - Der Baron trinkt mit dem Großſultan
bey verſchloſſenen Thuͤren eine Fla-
ſche Tockaier, wovon derſelbe
großes Weſen macht 93 - Diſpuͤt mit dem Großſultan uͤber die Guͤte
des Weines, nebſt einer Wette 93-95 - Billet des Barons an die Kaiſerinn Ma-
ria Thereſia 96 - Stuͤckchen des Laͤufers 96
- des Horchers 97
- des Schuͤtzen 98
- Der Großſultan laͤßt die Wette auszahlen 99
- Stuͤckchen des Starken 99
- Dem Großſultan kommt die Reue an 100
- Stuͤckchen des Windmachers 101
- Der Varon langt ſchwehrbeladen in Ita-
lien an, wo ihn Bettler und
Straßenraͤuber leicht machen S. 102 - Er verlaͤßt die Geſellſchaft und ein Par-
tiſan von ihm ſetzt die Erzaͤhlung
ſeiner Abentheuer fort 104 - Neue Proben von des Barons Staͤrke 104-107
- Der Großſultan will ihm den Kopf ab-
ſchlagen laſſen 108 - Durch Vorſchub einer Sultaninn rettet er
ſein Leben und fluͤchtet von Cor-
ſtantinopel 108 - Der Partiſan giebt Nachricht von ſeiner
eigenen Herkunft, mit einigen
Anecdoten, woruͤber ſich der ge-
neigte Leſer nicht wenig verwun-
dern wird 110
[][][]
Niederdeutſchland in dieſer Ausſprache
ſehr populaͤr gewordene Redensart.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bj0v.0