[][][][][][][[I]]
Gedichte


[[II]][[III]]
Gedichte


[figure]

Stuttgart, und Tübingen: .
J. G. Cotta'ſcher Verlag.
1844.

[[IV]][[V]]

Inhaltsverzeichniß.


Zeitbilder.
  • Seite
  • Ungaſtlich oder nicht? 3
  • Die Stadt und der Dom 6
  • Die Verbannten 11
  • Der Prediger 16
  • An die Schriftſtellerinnen in Deutſchland und Frankreich 19
  • Die Gaben 22
  • Vor vierzig Jahren 24
  • An die Weltverbeſſerer 27
  • Alte und neue Kinderzucht 29
  • Die Schulen 33
Haidebilder.
  • Die Lerche 37
  • Die Jagd 41
  • Die Vogelhütte 45
  • Der Weiher 51
  • Der Hünenſtein 55
  • Die Steppe 58
  • Die Mergelgrube 59
  • Die Krähen 64
  • Das Hirtenfeuer 71
  • Der Haidemann 74
  • Das Haus in der Haide 77
  • Der Knabe im Moor 79
  • Seite
Fels, Wald und See.
  • Die Elemente.
    • Luft 83
    • Waſſer 84
    • Erde 85
    • Feuer 87
  • Die Schenke am See 89
  • Am Thurme 92
  • Das öde Haus 94
  • Im Mooſe 97
  • Am Bodenſee 99
  • Das alte Schloß 102
  • Der Säntis.
    • Frühling 104
    • Sommer 105
    • Herbſt 106
    • Winter 107
  • Am Weiher.
    • Ein milder Wintertag 108
    • Ein harter Wintertag 109
  • Fragment 111
Gedichte vermiſchten Inhalts.
  • Mein Beruf 115
  • Meine Todten 118
  • Katharine Schücking 120
  • Nach dem Angelus Sileſius 123
  • Gruß an Wilhelm Junkmann 126
  • Junge Liebe 128
  • Das vierzehnjährige Herz 130
  • Brennende Liebe 132
  • Der Brief aus der Heimath 134
  • Ein braver Mann 136
  • Stammbuchblätter.
    • 1. Mit Laura's Bilde 140
    • 2. An Henriette von Hohenhauſen 141
  • Nachruf an Henriette von Hohenhauſen 142
  • Vanitas Vanitatum!144
  • Seite
  • Inſtinkt 146
  • Die rechte Stunde 148
  • Der zu früh geborene Dichter 149
  • Noth 152
  • Die Bank 153
  • Clemens von Droſte 156
  • Guten Willens Ungeſchick 158
  • Der Traum 160
  • Locke und Lied 163
  • An *** 165
  • Poeſie 166
  • An *** 168
  • An Eliſe 169
  • Ein Sommertagstraum 171
  • Die junge Mutter 182
  • Meine Sträuße 184
  • Das Liebhabertheater 187
  • Die Taxuswand 189
  • Nach fünfzehn Jahren 191
  • Der kranke Aar 194
  • Sit illi terra levis!195
  • Die Unbeſungenen 198
  • Das Spiegelbild 199
  • Neujahrsnacht 201
  • Der Todesengel 205
  • Abſchied von der Jugend 207
  • Was bleibt 209
Scherz und Ernſt.
  • Dichters Naturgefühl 213
  • Der Theetiſch 217
  • Die Nadel im Baume 221
  • Die beſchränkte Frau 224
  • Die Stubenburſchen 228
  • Die Schmiede 232
  • Des alten Pfarrers Woche.
    • Sonntag 234
    • Montag 235
    • Seite
    • Dienſtag 238
    • Mittwoch 240
    • Donnerſtag 243
    • Freitag 245
    • Samſtag 248
  • Der Strandwächter am deutſchen Meere 251
  • Das Eſelein 255
  • Die beſte Politik 259
Balladen.
  • Der Graf von Thal 263
  • Der Tod des Erzbiſchofs Engelbert von Cöln 274
  • Das Fegefeuer des weſtphäliſchen Adels 280
  • Die Stiftung Cappenbergs 285
  • Der Fundator 289
  • Vorgeſchichte (Second sight) 294
  • Der Graue 299
  • Die Vendetta 307
  • Das Fräulein von Rodenſchild 314
  • Der Geyerpfiff 318
  • Die Schweſtern 325
  • Meiſter Gerhard von Cöln 334
  • Die Vergeltung 339
  • Der Mutter Wiederkehr 343
  • Der Barmekiden Untergang 352
  • Vajazet 355
  • Der Schloßelf 357
  • Kurt von Spiegel 361
  • Der spiritus familiaris des Roßtäuſchers 365
  • Das Hoſpiz auf dem großen St. Bernhard 397
  • Des Arztes Vermächtniß 457
  • Die Schlacht im Loener Bruch 489
[[1]]

Zeitbilder.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 1[[2]][[3]]

Ungaſtlich oder nicht?

(In Weſtphalen.)


Ungaſtlich hat man dich genannt,

Will deinen grünſten Kranz dir rauben,

Volk mit der immer offnen Hand,

Mit deinem argwohnloſen Glauben;

O rege dich, daß nicht die Schmach

Auf deinem frommen Haupte laſte,

Und redlich, wie das Herz es ſprach,

So ſprich es nach zu deinem Gaſte:
„Fremdling an meiner Marken Stein,

Mann mit der Stirne trüben Falten,

O, greif in deines Buſens Schrein,

Und laſſ' die eigne Stimme walten.

Nicht ſoll beſtochner Zeugen Schaar

Uns am beſtochnen Worte rächen,

Nein, Zeug' und Richter ſollſt du klar

Dir ſelbſt das freie Urtheil ſprechen.
Fühlſt du das Herz in dir, nicht heiß

Doch ehrlich, uns entgegen ſchlagen,

Dein Wort kein falſch und trügend Gleis,

Beſteckend was die Lippen tragen,

[4]
Fühlſt du ein Gaſt dich wie er lieb

Dir an dem eignen Hausaltare,

Dann friſch heran — nicht wie ein Dieb,

Nein, friſch, mit fröhlicher Fanfare!
Wer unſres Landes Sitte ehrt,

Und auch dem ſeinen hält die Treue —

Hier iſt der Sitz an unſerm Heerd!

Hier unſres Bruderkuſſes Weihe!

Wer fremden Volkes Herzen ſtellt

Gleich ſeinem in gerechter Wage —

Hier unſre Hand, daß er das Zelt

Sich auf bei unſern Zelten ſchlage!
Doch ſagt ein glüh' Erröthen dir,

Du gönnteſt lieber einer andern

Als deiner Schwelle gleiche Zier —

Brich auf, und mögeſt eilends wandern!

Wir ſind ein friedlich ſtill Geſchlecht

Mit lichtem Blick und blonden Haaren,

Doch unſres Heerdes heilig Recht

Das wiſſen kräftig wir zu wahren.
Die Luft die unſern Odem regt,

Der Grund wo unſre Gräber blühen,

Die Scholle die uns Nahrung trägt,

Der Tempel wo wir gläubig knieen,

Die ſoll kein frevler Spott entweihn,

Dem Feigen Schmach und Schamerröthen,

Der an des Heiligthumes Schrein

Läßt eine falſche Sohle treten!
[5]
Doch einem Gruß aus treuem Muth

Dem nicken ehrlich wir entgegen.

Hat jeder doch ſein eignes Blut,

Und ſeiner eignen Heimath Segen.

Wenn deine Ader kälter rinnt,

So müſſen billig wir ermeſſen:

Wer könnte wohl das fremde Kind

Gleich eignem an den Buſen preſſen?
Drum, jede Treue ſey geehrt,

Der Eichenkranz von jedem Stamme;

Heilig die Glut auf jedem Heerd,

Ob hier ſie oder drüben flamme;

Dreimal geſegnet jedes Band

Von der Natur zum Lehn getragen,

Und einzig nur verflucht die Hand,

Die nach der Mutter Haupt geſchlagen!
[6]

Die Stadt und der Dom.

Eine Carricatur des Heiligſten.


„Der Dom! der Dom! der deutſche Dom!

Wer hilft den Cölner Dom uns baun!“

So fern und nah der Zeitenſtrom

Erdonnert durch die deutſchen Gaun.

Es iſt ein Zug, es iſt ein Schall

Wie ein gewaltger Wogenſchwall.

Wer zählt der Hände Legion

In denen Opferheller glänzt?

Die Liederklänge wer, die ſchon

Das Echo dieſes Rufs ergänzt?
Und wieder ſchallt's vom Elbeſtrand:

„Die Stadt! die Stadt! der deutſche Port!“

Und wieder zieht von Land zu Land

Ein Gabeſpendend Klingeln fort;

Die Schiffe kommen Maſt an Maſt,

Goldregen ſchüttet der Pallaſt,

Wem nie ein eignes Dach beſcheert,

Der wölbt es über fremde Noth,

Wem nie geraucht der eigne Heerd,

Der theilt ſein ſchweißbenetztes Brod.
Wenn eines ganzen Volkes Kraft

Für ſeines Gottes Heiligthum

Die Lanze hebt ſo Schaft an Schaft,

Wer glühte nicht dem ſchönſten Ruhm?

[7]
Und wem, wem rollte nicht wie Brand

Das Blut an ſeiner Adern Wand,

Wenn eines ganzen Volkes Schweiß

Gleich edlem Regen niederträuft,

Bis in der Aſchenſteppe heiß

Viel Tauſenden die Garbe reift?
Man meint, ein Volk von Heil'gen ſey

Herabgeſtiegen über Nacht,

In ihrem Eichenſarg aufs neu

Die alte deutſche Treu' erwacht.

O werthe Einheit, biſt du Eins —

Wer ſtände dann des Heilgenſcheins,

Des Kranzes würdiger als du,

Geſegnete, auf deutſchem Grund!

Du trugſt den goldnen Schlüſſel zu

Des Himmels Hort in deinem Bund.
Wohlan ihr Kämpen denn, wohlan

Du werthe Kreuzesmaſſoney,

So gebt mir eure Zeichen dann

Und euer edles Feldgeſchrei!

Da, horch! da ſtieß vom nächſten Schiff

Die Bootmannspfeife grellen Pfiff,

Da ſtiegen Flaggen ungezählt,

Cantate ſummte und Gedicht,

Der Demuth Braun nur hat gefehlt,

Jehova's Namen hört ich nicht.
[8]
Wo deine Legion, o Herr,

Die knieend am Altare baut?

Wo, wo dein Samariter, der

In Wunden ſeine Thräne thaut?

Ach, was ich fragte und gelauſcht,

Der deutſche Strom hat mir gerauſcht,

Die deutſche Stadt, der deutſche Dom,

Ein Monument, ein Handelsſtift,

Und drüber ſah wie ein Phantom

Verlöſchen ich Jehovas Schrift.
Und wer den Himmel angebellt,

Vor keiner Hölle je gebebt,

Der hat ſich an den Krahn geſtellt

Der ſeines Babels Zinne hebt.

Wer nie ein menſchlich Band geehrt,

Mit keinem Leid ſich je beſchwert,

Der fluthet aus des Buſens Schrein

Unſäglicher Gefühle Strom,

Am Elbeſtrand, am grünen Rhein,

Da holt ſein Herz ſich das Diplom.
Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott

Gehöhnt an ſeiner Schwelle Rand,

Meineid'gen gleich in frevlem Spott

Hobt am Altare eure Hand!

Er iſt der Herr, und was er will

Das ſchaffen Leu und Krokodill! —

[9]
So baut denn, baut den Tempel fort,

Mit ird'ſchem Sinn den heilgen Haag,

Daß euer beſſrer Enkel dort

Für eure Seele beten mag!
Kennt ihr den Dom der unſichtbar

Mit tauſend Säulen aufwärts ſtrebt?

Er ſteigt wo eine gläubge Schaar

In Demuth ihre Arme hebt.

Kennt ihr die unſichtbare Stadt

Die tauſend offne Häfen hat

Wo euer werthes Silber klingt?

Es iſt der Samariter Bund,

Wenn Rechte ſich in Rechte ſchlingt,

Und nichts davon der Linken kund.
O, er der Alles weiß, er kennt

Auch eurer Seele ödes Haus;

Baut Magazin und Monument,

Doch ſeinen Namen laßt daraus!

Er iſt kein Sand der glitzernd ſtäubt,

Kein Dampfrad das die Schiffe treibt,

Iſt keine falſche Flagge die

Sich ſtahl der See verlorner Sohn,

Parol' nicht die zur Felonie

Ins Lager ſchmuggelt den Spion!
Baut, baut, — um euer Denkmal ziehn

Doch Seufzer fromm und ungeſchmückt,

[10]
Baut, — neben eurem Magazin

Wird doch der Darbende erquickt.

Ob eures Babels Zinnenhang

Zum Weltenvolk euch ſtempeln mag?

Schaut auf Palmyrens Steppenbrand,

Wo ſcheu die Antilope ſchwebt,

Die Stadt ſchaut an wo, ein Gigant,

Das Colloſſeum ſich erhebt.
Den Wurm der im Geheimen ſchafft,

Den kalten nackten Grabeswurm,

Ihn tödtet nicht des Armes Kraft,

Noch euer toller Liederſturm.

Ein frommes, keuſches Volk iſt ſtark,

Doch Sünde zehrt des Landes Mark;

Sie hat in deiner Glorie Bahn,

O Roma, langſam dich entleibt,

Noch ſteht die Säule des Trajan,

Und ſeine Kronen ſind zerſtäubt!
[11]

Die Verbannten.

Ich lag an Bergeshang,

Der Tag war ſchon geſunken,

In meine Wimper drang

Des Weſten letzter Funken.

Ich ſchlief und träumte auch vielleicht,

Doch hört ich noch der Amſel Pfeifen,

Wie Echo's letzte Hauche, feucht

Und halb verlöſcht, am Schilfe ſtreifen.
Mein äußres Auge ſank,

Mein innres ward erſchloſſen:

Wie wild die Klippenbank!

Wie grau die Mooſe ſproſſen!

Der Oede Odem zog ſo ſchwer

Als ob er ſiecher Bruſt entgleite,

Wohin ich blickte, Rohres Speer,

Und Dorngeſtrüpp und Waldesweite.
Im Graſe kniſtert' es,

Als ob die Grille hüpfte,

Im Strauche flüſtert' es,

Als ob das Mäuslein ſchlüpfte;

Ein morſcher halbverdorrter Stamm

Senkte die bräunliche Gardine,

Zu Füßen mir der feuchte Schwamm,

Und über'm Haupt die wilde Biene.
[12]
Da raſchelt' es im Laub,

Und rieſelte vom Hange,

Zertretnen Pilzes Staub

Flog über meine Wange.

Und neben mir ein Knabe ſtand,

Ein blondes Kind mit Taubenblicken,

Das eines blinden Greiſes Hand

Schien brünſtig an den Mund zu drücken.
Von linder Thränen Lauf

Sein Auge glänzte trübe,

„Steh auf“, ſprach es, „ſteh auf!

Ich bin die Kindesliebe,

Verbannt, zum wüſten Wald verbannt,

In's öde Dickicht ausgeſetzet,

Wo an des ſumpfgen Weihers Rand

Der Storch die kranken Eltern ätzet!“
Dann faltete es hoch

Die hagern Händchen beide,

Und ſachte abwärts bog

Es des Geröhres Schneide.

Ich ſah wie blutge Striemen leis

An ſeinen Aermchen niederfloſſen,

Wie tappend ihm gefolgt der Greis,

Bis ſich des Rohres Wand geſchloſſen.
Ich ballte meine Hand,

Verſuchte mich zu ſchwingen,

Doch feſter, feſter wand

Der Taumel ſeine Schlingen.

[13]
Und wieder hörte ich den Schlag

Der Amſel und der Grille Hüpfen,

Und wieder durch den wilden Haag

Der Biene ſterbend Sumſen ſchlüpfen.
Da ſchleift' es, ſchwer wie Blei,

Da flüſtert' es aufs neue:

„O wache! ſteh mir bei!

Ich bin die Gattentreue.“

Das Auge hob ich, und ein Weib

Sah ich wie halbgebrochen bücken,

Das eines Mannes wunden Leib

Mühſelig trug auf ſeinem Rücken.
Ein feuchter Schleyer hing

Ihr Haar am Antlitz nieder,

Des Schweißes Perle fing

Sich in der Wimper wieder.

„Verbannt! verbannt zum wilden Wald,

Wo Nacht und Oede mich umſchauern!

Verbannt wo in der Felſen Spalt

Die Tauben um den Tauber trauern!“
Sie ſah mich lange an,

Im Auge Sterbeklagen,

Und langſam hat ſie dann

Den Wunden fortgetragen.

Sie klomm den Klippenſteig entlang,

Ihr Aechzen ſcholl vom Steine nieder,

Wo grade unterm Schieferhang

Sich regte bläuliches Gefieder.
[14]
Ich dehnte mich mit Macht

Und langte nach dem Wunden,

Doch als ich halb erwacht,

Da war auch er verſchwunden,

Zerronnen wie ein Wellenſchaum, —

Ich hörte nur der Wipfel Stöhnen,

Und unter mir, an Weihers Saum,

Der Unken zart Geläute tönen.
Die Glöckchen ſchliefen ein,

Es ſchwoll der Kronen Rauſchen,

Ein Licht wie Mondenſchein

Begann am Aſt zu lauſchen,

Und lauter raſchelte der Wald,

Die Zweige ſchienen ſich zu breiten,

Und eine dämmernde Geſtalt

Sah ich durch ſeine Hallen gleiten.
Das Kreuz in ihrer Hand,

Um ihre Stirn die Binde,

Ihr langer Schleyer wand

Und rollte ſich im Winde.

Sie trat ſo ſacht behutſam vor,

Als ob ſie jedes Kräutlein ſchone,

O Gott, da ſah ich unter'm Flor,

Sah eine blutge Dornenkrone!
Die Fraue weinte nicht

Und hat auch nicht geſprochen,

Allein ihr Angeſicht

Hat mir das Herz gebrochen,

[15]
Es war wie einer Königin

Pilgernd für ihres Volkes Sünden,

Wo find ich Worte, wo den Sinn,

Um dieſen Dulderblick zu künden!
Als ſie vorüber ſchwand

Mit ihren blutgen Haaren,

Da riß des Schlummers Band,

Ich bin empor gefahren.

Der Amſel Stimme war verſtummt,

Die Mondenſcheibe ſtand am Hügel,

Und über mir im Aſte ſummt'

Und raſchelte des Windes Flügel.
Ob es ein Traumgeſicht

Das meinen Geiſt umfloſſen?

Vielleicht ein Seherlicht

Das ihn geheim erſchloſſen?

O wer, dem eine Thrän' im Aug',

Den fromme Liebe je getragen,

Wer wird nicht, mit dem letzten Hauch,

Die heiligen Verbannten klagen!
[16]

Der Prediger.

Langſam und ſchwer vom Thurme ſtieg die Klage,

Ein dumpf Gewimmer zwiſchen jedem Schlage,

Wie Memnons Säule weint im Morgenflor.

Am Glockenſtuhle zitterte der Balke,

Die Dohlen flatterten vom Neſt, ein Falke

Stieg pfeifend an der Fahne Schaft empor.
Wem dröhnt die Glocke? — Einem der entkettet,

Deß müden Leib ein Fackelzug gebettet

In letzter Nacht bei ſeinem einzgen Kind.

Wer war der Mann? — Ein Geiſt im ächten Gleiſe,

Kein Wucherer, kein Ehrendieb, und weiſe

Wie reiche Leute ſelten weiſe ſind.
Darum ſo mancher Greis mit Stock und Brille,

So manches Regentuch und Handpoſtille,

Sich mühſam ſchiebend durch der Menge Drang.

Er war ein heitrer Wirth in ſeinem Schloſſe, —

Darum am Thor ſo manche Staatskaroſſe,

So mancher Flor das Kirchenſchiff entlang.
Die Glocken ſchwiegen, alle Kniee ſanken,

Poſaunenſtoß! — Die Wölbung ſchien zu wanken.

O „Dies iræ, dies illa!“ Glut

Auf Sünderſchwielen, Thau in Büßermalen!

Mir war als ſäh ich des Gerichtes Schalen,

Als hört ich tröpfeln meines Heilands Blut.
[17]
Das Amen war verhallt. Ein zitternd Schweigen

Lag auf der Menge, nur des Odems Steigen

Durchſäuſelte den weiten Hallenbau.

Nur an der Tumba ſchwarzer Flämmchen Kniſtern

Schien leiſe mit dem Grabe noch zu flüſtern,

Der Weihrauchwirbel ſtreute Aſchengrau.
„Geliebte!“ ſcholl es von der Wölbung nieder,

Die Wolke ſank, und mählich ſtiegen Glieder,

Am Kanzelbord ein junger Prieſter ſtand.

Kein Schattenbild dem alle Luſt verronnen,

Ein friſcher ſaftger Stamm am Lebensbronnen,

Ein Adler ruhend auf Jehovah's Hand!
„Geliebte“, ſprach er, „ſelig ſind die Todten

So in dem Herrn entſchliefen, treue Boten,

Von ihrer Sendung raſtend.“ Dann entſtieg

Das Wort, gewaltig wie des Jordans Wallen,

Mild wie die Luft in Horebs Cederhallen,

Als er bezeugte des Gerechten Sieg.
Die Stimme ſank, des Stromes Wellen ſchwollen,

Mir war als hört ich ferne Donner rollen:

„Weh über euch, die weder warm noch kalt!

O, wäret kalt ihr oder warm! die Werke

Von eurer Hand ſind todt, und eure Stärke

Iſt gleich dem Hornſtoß der am Fels verhallt.“
Und tiefer griff er in der Zeiten Wunde,

Die Heller ließ er klingen, und vom Grunde

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 2[18]
Hob er den ſeidnen Mottenfraß an's Licht.

Erröthen ließ er die beſcheidne Schande

In ihrem ehrbar ſchonenden Gewande,

Und zog der Luſt den Schleier vom Geſicht.
Die Kerzen ſind gelöſcht, die Pforte dröhnte.

Ich hörte ſchluchzen, — am Gemäuer lehnte

Ein Weib im abgetragnen Regentuch.

Ich hörte ſäuſeln — neben mir, im Chore,

Ein Fräulein gähnte leiſe hinterm Flore,

Ein Fahnenjunker blätterte im Buch.
Und alle die beſcheidnen Menſchenkinder,

Wie ſich's geziemt für wohlerzogne Sünder,

Sie nahmen ruhig was der Text beſcheert.

Und Abends im Theater ſprach der Knabe,

Der achtzehnjährge Fähndrich: „Heute habe

Ich einen guten Redner doch gehört!“
[19]

An die Schriftſtellerinnen

in Deutſchland und Frankreich.


Ihr ſteht ſo nüchtern da gleich Kräuterbeeten —

Und ihr gleich Fichten die zerſpellt von Wettern —

Haucht wie des Hauches Hauch in Syrinxflöten —

Laßt wie Dragoner die Trompeten ſchmettern;

Der kann ein Schattenbild die Wange röthen —

Die wirft den Handſchuh Zeus und allen Göttern;

Ward denn der Führer euch nicht angeboren

In eigner Bruſt, daß ihr den Pfad verloren?
Schaut auf! zur Rechten nicht — durch Thränengründe,

Mondſcheinalleen und blaſſe Nebeldecken,

Wo einſam die veraltete Selinde

Zur Luna mag die Lilienarme ſtrecken;

Glaubt, zur Genüge hauchten Seufzerwinde,

Längſt überfloß der Sehnſucht Thränenbecken;

An eurem Hügel mag die Hirtin klagen,

Und ſeufzend drauf ein Gänſeblümchen tragen.
Doch auch zur Linken nicht — durch Winkelgaſſen,

Wo tückiſch nur die Diebslaternen blinken,

Mit wildem Druck euch rohe Hände faſſen,

Und Smollis Wüſtling euch und Schwelger trinken,

Der Sinne Bachanale, wo die blaſſen

Betäubten Opfer in die Roſen ſinken,

Und endlich, eures Sarges letzte Ehre,

Man drüber legt die Kränze der Hetäre.
[20]
O dunkles Loos! o Preis mit Schmach gewonnen,

Wenn Ruhmes Staffel wird der Ehre Bahre!

Grad', grade geht der Pfad, wie Stral der Sonnen!

Grad', wie die Flamme lodert vom Altare!

Grad', wie Natur das Berberroß zum Bronnen

Treibt mitten durch die Wirbel der Sahare!

Ihr könnt nicht fehlen, er, ſo mild umlichtet,

Der Führer ward in euch nicht hingerichtet.
Treu ſchützte ihn der Länder fromme Sitte,

Die euch umgeben wie mit Heilgenſcheine,

Sie hielt euch fern die freche Liebesbitte,

Und legte Anathem auf das Gemeine.

Euch nahte die Natur mit reinem Schritte,

Kein trunkner Schwelger über Stock und Steine,

Ihr mögt ihr willig jedes Opfer ſpenden,

Denn Alles nimmt ſie, doch aus reinen Händen.
Die Zeit hat jede Schranke aufgeſchloſſen,

An allen Wegen hauchen Naphtablüthen,

Ein reizend ſcharfer Duft hat ſich ergoſſen,

Und Jeder mag die eignen Sinne hüten.

Das Leben ſtürmt auf abgehetzten Roſſen,

Die noch zuſammenbrechend haun und wüthen.

Ich will den Griffel eurer Hand nicht rauben,

Singt, aber zitternd, wie vor'm Weih' die Tauben.
Ja, treibt der Geiſt euch, laßt Standarten ragen!

Ihr ward die Zeugen wild bewegter Zeiten,

Was ihr erlebt, das läßt ſich nicht erſchlagen,

Feldbind' und Helmzier mag ein Weib bereiten;

[21]
Doch ſeht euch vor wie hoch die Schwingen tragen,

Stellt nicht das Ziel in ungemeſſne Weiten,

Der kecke Falk iſt überall zu finden,

Doch einſam ſteigt der Aar aus Alpengründen.
Vor Allem aber pflegt das anvertraute,

Das heilge Gut, gelegt in eure Hände,

Weckt der Natur geheimnißreichſte Laute,

Kniet vor des Blutes gnadenvoller Spende;

Des Tempels pflegt, den Menſchenhand nicht baute,

Und ſchmückt mit Sprüchen die entweihten Wände,

Daß dort, aus dieſer Wirren Staub und Mühen,

Die Gattin mag, das Kind, die Mutter knieen.
Ihr hörtet ſie die unterdrückten Klagen

Der heiligen Natur, geprägt zur Dirne.

Wer hat ſie nicht gehört in dieſen Tagen,

Wo nur ein Gott, der Gott im eignen Hirne?

Friſchauf! — und will den Lorbeer man verſagen,

O Glückliche mit unbekränzter Stirne!

O arm Gefühl, das ſich nicht ſelbſt kann lohnen!

Mehr iſt ein Segen als zehntauſend Kronen!
[22]

Die Gaben.

Nie fand, ſo oft auch ſcherzend ward gefragt,

Ich einen Mann, vom Grafen bis zum Schneider,

Der ſo beſcheiden oder ſo betagt,

So hülflos, keinen ſo Geſcheiten leider,
Der nicht gemeint, des Herrſcherthumes Bürde

Sey ſeinen Schultern grad das rechte Maaß.

War Einer zweifelnd je an ſeiner Würde,

So ſchätzt er ſeine Kräfte deſto baß,
Der hoffte auf der Rede Zauberbann;

Schlau aus dem Winkel wollte Jener zielen,

Kurz, daß er wiſſe wie und auch den Mann,

Ließ Jeder deutlich durch die Blume ſpielen.
Ihr Thoren! glaubt ihr denn daß Gott im Zorne

Die Großen ſchuf, ungleich der Menſchenſchaar,

Pecus inane, das ſein Haupt zum Borne

Hinſtreckt wie weiland Nebukadnezar?
Daß, weil zuweilen unter Zotten ſchlägt

Ein Herz wo große Elemente ſchlafen,

Deßhalb wer eine feine Wolle trägt

Unfehlbar zählt zu den Merinoſchafen?
[23]
Daß langes Schauen zweifellos erblinde,

Und wer den Fäden raſtlos nachgeſpürt,

Daß dieſer, gleich dem überreizten Kinde,

So dümmer wird je länger er ſtudirt?
Wer zweifelt, daß ein Herz wie's Throne ſchmückt

Gar oft am Acker fröhnt und Forſtgehege,

Daß manche Scheitel ſich zur Furche bückt,

Hochwerth daß eine Krone drauf man lege?
Doch ihr des Lebens abgehetzte Alten,

Ihr innerliche Greiſe, ſeyd es nicht.

Bewahr' der Himmel uns vor eurem Walten,

Vor dem im Sumpfe angebrannten Licht!
Ihr würdet mahnen an des Fröhners Sohn,

Der, woll' ihm Gott ein Königreich verſchreiben,

Für's Leben wüſte keinen beſſern Lohn,

Als ſeine Schweine dann zu Roß zu treiben.
[24]

Vor vierzig Jahren.

Da gab es doch ein Sehnen,

Ein Hoffen und ein Glühn,

Als noch der Mond „durch Thränen

In Fliederlauben“ ſchien,

Als man dem „milden Sterne“

Geſellte was da lieb,

Und „Lieder in die Ferne“

Auf ſieben Meilen ſchrieb!
Ob dürftig das Erkennen,

Der Dichtung Flamme ſchwach,

Nur tief und tiefer brennen

Verdeckte Gluten nach.

Da lachte nicht der leere,

Der überſatte Spott,

Man baute die Altäre

Dem unbekannten Gott.
Und drüber man den Brodem

Des liebſten Weihrauchs trug,

Lebend'gen Herzens Odem,

Das friſch und kräftig ſchlug,

Das ſchamhaft, wie im Tode,

In Traumes Wunderſarg

Noch der Begeiſtrung Ode

Der Lieb' Ekloge barg.
[25]
Wir höhnen oft und lachen

Der kaum vergangnen Zeit,

Und in der Wüſte machen

Wie Strauße wir uns breit.

Iſt Wiſſen denn Beſitzen?

Iſt denn Genießen Glück?

Auch Eiſes Gletſcher blitzen

Und Baſiliskenblick.
Ihr Greiſe, die geſunken

Wie Kinder in die Gruft,

Im letzten Hauche trunken

Von Lieb' und Aetherduft,

Ihr habt am Lebensbaume

Die reinſte Frucht gepflegt,

In karger Spannen Raume

Ein Eden euch gehegt.
Nun aber ſind die Zeiten,

Die überwerthen, da,

Wo offen alle Weiten,

Und jede Ferne nah.

Wir wühlen in den Schätzen,

Wir ſchmettern in den Kampf,

Windsbräuten gleich verſetzen

Uns Geiſtesflug und Dampf.
Mit unſres Spottes Gerten

Zerhaun wir was nicht Stahl,

Und wie Morgana's Gärten

Zerrinnt das Ideal;

[26]
Was wir daheim gelaſſen

Das wird uns arm und klein,

Was Fremdes wir erfaſſen

Wird in der Hand zu Stein.
Es wogt von End' zu Ende,

Es grüßt im Fluge her,

Wir reichen unſre Hände,

— Sie bleiben kalt und leer. —

Nichts liebend, achtend Wen'ge

Wird Herz und Wange bleich,

Und bettelhafte Kön'ge

Stehn wir im Steppenreich.
[27]

An die Weltverbeſſerer.

Pocheſt du an — poch' nicht zu laut,

Eh du geprüft des Nachhalls Dauer.

Drückſt du die Hand — drück nicht zu traut,

Eh du gefragt des Herzens Schauer.

Wirfſt du den Stein — bedenke wohl,

Wie weit ihn deine Hand wird treiben.

Oft ſchreckt ein Echo, dumpf und hohl,

Reicht goldne Hand dir den Obol,

Oft trifft ein Wurf des Nachbars Scheiben.
Höhlen giebt es am Meeresſtrand,

Gewalt'ge Stalaktitendome,

Wo bläulich zuckt der Fackeln Brand,

Und Kähne gleiten wie Phantome.

Das Ruder ſchläft, der Schiffer legt

Die Hand dir angſtvoll auf die Lippe,

Ein Räuſpern nur, ein Fuß geregt,

Und donnernd überm Haupte ſchlägt

Zuſammen dir die Rieſenklippe.
Und Hände giebts im Orient,

Wie Schwäne weiß, mit blauen Malen,

In denen zwiefach Feuer brennt,

Als gelt' es Liebesglut zu zahlen;

Ein leichter Thau hat ſie genäßt,

[28]
Ein leiſes Zittern ſie umflogen,

Sie faſſen krampfhaft, drücken feſt —

Hinweg, hinweg! du haſt die Peſt

In deine Poren eingeſogen!
Auch hat ein Dämon einſt geſandt

Den gift'gen Pfeil zum Himmelsbogen;

Dort rührt ihn eines Gottes Hand,

Nun ſtarrt er in den Aetherwogen.

Und läßt der Zauber nach, dann wird

Er niederprallen mit Geſchmetter,

Daß das Gebirg' in Scherben klirrt,

Und durch der Erde Adern irrt

Fortan das Gift der Höllengötter.
Drum poche ſacht, du weißt es nicht

Was dir mag überm Haupte ſchwanken;

Drum drücke ſacht, der Augen Licht

Wohl ſiehſt du, doch nicht der Gedanken,

Wirf nicht den Stein zu jener Höh'

Wo dir geſtaltlos Form und Wege,

Und ſchnellteſt du ihn einmal je,

So fall auf deine Knie und fleh',

Daß ihn ein Gott berühren möge.
[29]

Alte und neue Kinderzucht.

1.

In ſeiner Buchenhalle ſaß ein Greis auf grüner Bank,

Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;

Zur Seite ſeiner Jugend Sproß, ſich lehnend an den Zweigen,

Ein ernſter Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.
„Sohn“, ſprach der Patriarch, es klang die Stimme ſchier

bewegt:

„Das Kiſſen für mein Sterbebett du haſt es weich gelegt;

Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen,

In meinen Seſſel wird dereinſt ein Ehrenmann ſich ſetzen.
Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht, und nach der Vordern

Art,

Zog ich in aller Treue dich, als ſchon dein Kinn behaart.

Nicht will die neue Weiſe mir zum alten Haupte gehen,

Ein Sohn hat ſeinen Herrn, ſo lang zwei Augen offen ſtehen.
Mein Vater, — tröſt ihn Gott, er fiel in einem guten

Straus! —

War Diener ſeinem Fürſten und ein König ſeinem Haus,

Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren‚

Den letzten Schlag von ſeiner Hand fühlt ich mit zwanzig

Jahren.
[30]
So macht' er mich zum Mann, wie du, mein Sohn, zum

frohen Greis,

Zum Mann der tragen kann und ſich im Glück zu faſſen weiß,

Wie mag, wer ſeiner Launen Knecht, ein Herrenamt be¬

zwingen?

Wer ſeiner Knoſpe Kraft verpraßt, wie möcht er Früchte

bringen?
Nur von der Pike dient ſich's recht zum braven General.

Geſegnet ſey die Hand die mir erſpart der Thorheit Wahl!

Mit tauſend Thränen hab' ich ſie in unſre Gruft getragen,

Denn eines Vaters heilge Hand hat nie zu hart geſchlagen.
Mein Haar iſt grau, mein blödes Aug' hat deinen Sproß

geſehn,

Bald füllſt du meinen Sitz, und er wird horchend vor dir

ſtehn.

Gedenk der Rechenſchaft, mein Sohn, lehr deinen Blick ihn

leſen,

Gehorſam ſey er dir, wie du gehorſam mir geweſen!“
So ſprach der Patriarch, und ſchritt entlang die Buchenhall',

Ehrfürchtig folgte ihm der Sohn, wie Fürſten der Vaſall,

Und ſeinen Knaben winkt er ſacht herbei vom Blüthenhagen,

Ließ küſſen ihn des Alten Hand, und ſeinen Stab ihn tragen.
[31]

2.

An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann,

Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder ſpielen dran,

So ſchreibt er ſtehend, immer Ball und Peitſchenhieb ge¬

wärt'gend,

Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend.
„In Oſten ſteigt das junge Licht, es rauſcht im Eichenhain,

Schon ſchlang der alte Erebus die alten Schatten ein,

Des Geiſtes Siegel ſind gelöst, der Aether aufgeſchloſſen,

Und aus vermorſchter Dogmen Staub lebend'ge Cedern ſproſſen.
O Geiſtesfeſſel, härter du als jemals ein Tyrann,

Geſchlagen um des Sclaven Leib, du tauſendjähr'ger Bann!

Geheim doch ſicher hat der Roſt genagt an deinem Ringe,

Nun wackelt er und fürchtet ſich vor jedes Knaben Klinge!
Hin iſt die Zeit wo ein Geſpenſt im Büßermantel ſchlich,

In ſeinen Bettelſack des Deutſchen Gold und Ehre ſtrich,

Wo Greiſe, Schulmonarchen gleich, die ſtumpfe Geißel

ſchwenkten,

Des Sonnenroſſes Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.
Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erſtickt,

Frei ſchießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;

Was mehr als Wiſſen, wirkender als Gaben, die zerſtückelt —

Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬

wickelt.
[32]
Wir wuchſen unter Peitſchenhieb an der Galeere auf,

Und dennoch riß das Document vom ſchnöden Seelenkauf

Durch deutſche Hand, durch unſre Hand, die, nach Egyptens
Plagen,

Noch immer ſtark genug den Brand an's Bagnothor zu
tragen!
Doch ihr, die ihr den ganzen Saft der Muttererde trinkt,

An deren Zweig das erſte Blatt ſchon wie Smaragde blinkt,

Ihr!“ — unſer Dichter ſtutzt — er hört an den Hollunder¬
ſträuchen

Sein Erſtlingsreis, den Göttinger, wie eine Walze keuchen.
Und auf der Bank — ſein Manuſcript — o Peſt! ſein Dichter¬
kranz —

Dort fliegt er, droben in der Luft, als langer Drachen¬
ſchwanz!

Und — was? ein Guß? — bei Gott, da hängt der Bub',
die wilde Katze,

Am Aſt, und leert den Waſſerkrug auf ſeines Vaters Glatze!
[33]

Die Schulen.

Kennſt du den Saal? ich ſchleiche ſacht vorbei,

„Der alte Teufel todt, die Götter neu“ —

Und was man Großes ſonſt darin mag hören.

Wie üppig wogend drängt der Jugend Schwarm!

Wie reich und glänzend! — aber ich bin arm,

Da will ich lieber eure Luſt nicht ſtören.
Dann das Gewölb' — mir wird darin nicht wohl,

Wo man der Gruft den modernden Obol

Entſchaufelt, und ſich drüber legt zum Streite;

Ergraute Häupter nicken rings herum,

Wie weiſ' und gründlich! — aber ich bin dumm,

Da ſchleich' ich lieber ungeſehn bei Seite.
Doch die Katheder im Gebirge nah,

Der Meiſter unſichtbar, doch laut Hurrah

Ihm Wälder, Strom und Sturmesflügel rauſchen,

Matrikel iſt des Herzens friſcher Schlag,

Da will zeitlebens ich, bei Nacht und Tag,

Demüth'ger Schüler, ſeinen Worten lauſchen.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 3
[[34]][[35]]

Haidebilder.

[[36]][[37]]

Die Lerche.

Hörſt du der Nacht geſpornten Wächter nicht?

Sein Schrei verzittert mit dem Dämmerlicht,

Und ſchlummertrunken hebt aus Purpurdecken

Ihr Haupt die Sonne; in das Aetherbecken

Taucht ſie die Stirn, man ſieht es nicht genau,

Ob Licht ſie zünde, oder trink' im Blau.

Glührothe Pfeile zucken auf und nieder,

Und wecken Thaues Blitze, wenn im Flug

Sie ſtreifen durch der Haide braunen Zug.

Da ſchüttelt auch die Lerche ihr Gefieder,

Des Tages Herold ſeine Liverei;

Ihr Köpfchen ſtreckt ſie aus dem Ginſter ſcheu,

Blinzt nun mit dieſem, nun mit jenem Aug';

Dann leiſe ſchwankt, es ſpaltet ſich der Strauch,

Und wirbelnd des Mandates erſte Note

Schießt in das feuchte Blau des Tages Bote.
„Auf! auf! die junge Fürſtin iſt erwacht!

„Schlaftrunkne Kämm'rer, habt des Amtes Acht;

„Du mit dem Saphirbecken Genziane,

„Zwergweide du mit deiner Seidenfahne,

„Das Amt, das Amt, ihr Blumen allzumal,

„Die Fürſtin wacht, bald tritt ſie in den Saal!“
[38]
Da regen tauſend Wimpern ſich zugleich,

Masliebchen hält das klare Auge offen,

Die Waſſerlilie ſieht ein wenig bleich,

Erſchrocken, daß im Bade ſie betroffen;

Wie ſteht der Zitterhalm verſchämt und zage!

Die kleine Weide pudert ſich geſchwind

Und reicht dem Weſt ihr Seidentüchlein lind,

Daß zu der Hoheit Händen er es trage.

Ehrfürchtig beut den thauigen Pokal

Das Genzian, und nieder langt der Stral;

Prinz von Geblüte hat die erſte Stätte

Er immer dienend an der Fürſtin Bette.
Der Purpur liſcht gemach im Roſenlicht,

Am Horizont ein zuckend Leuchten bricht

Des Vorhangs Falten, und aufs neue ſingt

Die Lerche, daß es durch den Aether klingt:
„Die Fürſtin kömmt, die Fürſtin ſteht am Thor!

„Friſchauf ihr Muſikanten in den Hallen,

„Laßt euer zartes Saitenſpiel erſchallen,

„Und, florbeflügelt Volk, heb' an den Chor,

„Die Fürſtin kommt, die Fürſtin ſteht am Thor!“
Da krimmelt, wimmelt es im Haidgezweige,

Die Grille dreht geſchwind das Beinchen um,

Streicht an des Thaues Kolophonium,

Und ſpielt ſo ſchäferlich die Liebesgeige.

Ein tüchtiger Horniſt, der Käfer, ſchnurrt,

Die Mücke ſchleift behend die Silberſchwingen,

[39]
Daß heller der Triangel möge klingen;

Diskant und auch Tenor die Fliege ſurrt;

Und, immer mehrend ihren werthen Gurt,

Die reiche Katze um des Leibes Mitten,

Iſt als Baſſiſt die Biene eingeſchritten:

Schwerfällig hockend in der Blüte rummeln

Das Contraviolon die trägen Hummeln.

So tauſendarmig ward noch nie gebaut

Des Münſters Halle, wie im Haidekraut

Gewölbe an Gewölben ſich erſchließen,

Gleich Labyrinthen in einander ſchießen;

So tauſendſtimmig ſtieg noch nie ein Chor,

Wie's muſizirt aus grünem Haid hervor.
Jetzt ſitzt die Königin auf ihrem Throne,

Die Silberwolke Teppich ihrem Fuß,

Am Haupte flammt und quillt die Stralenkrone,

Und lauter, lauter ſchallt des Herolds Gruß:
„Bergleute auf, herauf aus eurem Schacht,

„Bringt eure Schätze, und du Fabrikant,

„Breit' vor der Fürſtin des Gewandes Pracht,

„Kaufherrn, enthüllt den Saphir, den Demant.“
Schau, wie es wimmelt aus der Erde Schooß,

Wie ſich die ſchwarzen Knappen drängen, ſtreifen,

Und mühſam ſtemmend aus den Stollen ſchleifen

Gewalt'ge Stufen, wie der Träger groß;

Ameiſenvolk, du machſt es dir zu ſchwer!

Dein roh Geſtein lockt keiner Fürſtin Gnaden.

[40]
Doch ſieh die Spinne rutſchend hin und her,

Schon zieht ſie des Gewebes letzten Faden,

Wie Perlen klar, ein duftig Elfenkleid;

Viel edle Funken ſind darin entglommen;

Da kommt der Wind und häkelt es vom Haid,

Es ſteigt, es flattert, und es iſt verſchwommen. —
Die Wolke dehnte ſich, ſcharf ſtrich der Hauch,

Die Lerche ſchwieg, und ſank zum Ginſterſtrauch.
[41]

Die Jagd.

Die Luft hat ſchlafen ſich gelegt,

Behaglich in das Moos geſtreckt,

Kein Riſpeln, das die Kräuter regt,

Kein Seufzer, der die Halme weckt.

Nur eine Wolke träumt mitunter

Am blaſſen Horizont hinunter,

Dort, wo das Tannicht über'm Wall

Die dunkeln Candelabern ſtreckt.

Da horch, ein Ruf, ein ferner Schall:

„Halloh! hoho!“ ſo lang gezogen,

Man meint, die Klänge ſchlagen Wogen

Im Ginſterfeld, und wieder dort:

„Halloh! hoho!“ — am Dickicht fort

Ein zögernd Echo, — alles ſtill!

Man hört der Fliege Angſtgeſchrill

Im Mettennetz, den Fall der Beere,

Man hört im Kraut des Käfers Gang,

Und dann wie zieh'nder Kranichheere

Kling klang! von ihrer luft'gen Fähre,

Wie ferner Unkenruf: Kling! klang!

Ein Läuten das Gewäld entlang,

Hui ſchlüpft der Fuchs den Wall hinab

Er gleitet durch die Binſenſpeere,

Und zuckelt fürder ſeinen Trab:

Und aus dem Dickicht, weiß wie Flocken,

Nach ſtäuben die lebend'gen Glocken,

[42]
Radſchlagend an des Dammes Hang;

Wie Aale ſchnellen ſie vom Grund,

Und weiter, weiter, Fuchs und Hund.

Der ſchwankende Wachholder flüſtert,

Die Binſe rauſcht, die Haide kniſtert,

Und ſtäubt Phalänen um die Meute.

Sie jappen, klaffen nach der Beute,

Schaumflocken ſprühn aus Naſ' und Mund;

Noch hat der Fuchs die rechte Weite,

Gelaſſen trabt er, ſchleppt den Schweif,

Zieht in dem Thaue dunklen Streif,

Und zeigt verächtlich ſeine Socken.

Doch bald hebt er die Lunte friſch,

Und, wie im Weiher ſchnellt der Fiſch,

Fort ſetzt er über Kraut und Schmehlen,

Wirft mit den Läufen Kies und Staub;

Die Meute mit geſchwoll'nen Kehlen

Ihm nach wie raſſelnd Winterlaub.

Man höret ihre Kiefern knacken,

Wenn fletſchend in die Luft ſie hacken;

In weitem Kreiſe ſo zum Tann,

Und wieder aus dem Dickicht dann

Ertönt das Glockenſpiel der Bracken.
Was bricht dort im Geſtrippe am Revier?

Im holprichten Galopp ſtampft es den Grund;

Ha! brüllend Heerdenvieh! voran der Stier,

Und ihnen nach klafft ein verſprengter Hund.

Schwerfällig poltern ſie das Feld entlang,

Das Horn geſenkt, wagrecht des Schweifes Strang,

[43]
Und taumeln noch ein paarmal in die Runde,

Eh Poſto wird gefaßt im Haidegrunde.

Nun endlich ſtehn ſie, murren noch zurück,

Das Dickicht meſſend mit verglaſ'tem Blick,

Dann ſinkt das Haupt und unter ihrem Zahne

Ein leiſes Rupfen knirrt im Thimiane;

Unwillig ſchnauben ſie den gelben Rauch,

Das Euter ſtreifend am Wachholderſtrauch,

Und peitſchen mit dem Schweife in die Wolke

Von ſummendem Gewürm und Fliegenvolke.

So langſam ſchüttelnd den gefüllten Bauch

Fort graſen ſie bis zu dem Haidekolke.
Ein Schuß: „Halloh!“ ein zweiter Schuß: „Hoho!“

Die Heerde ſtutzt, des Kolkes Spiegel kraußt

Ihr Blaſen, dann die Hälſe ſtreckend, ſo

Wie in des Dammes Mönch der Strudel ſauſt,

Ziehn ſie das Waſſer in den Schlund, ſie puſten,

Die kranke Stärke ſchaukelt träg herbei,

Sie ſchaudert, ſchüttelt ſich in hohlem Huſten,

Und dann — ein Schuß, und dann — ein Jubelſchrei!
Das grüne Käppchen auf dem Ohr,

Den halben Mond am Lederband,

Trabt aus der Lichtung raſch hervor

Bis mitten in das Haideland

Ein Waidmann ohne Taſch und Büchſe;

Er ſchwenkt das Horn, er ballt die Hand,

Dann ſetzt er an, und tauſend Füchſe

Sind nicht ſo kräftig todtgeblaſen,

Als heut es ſchmettert über'n Raſen.

[44]
„Der Schelm iſt todt, der Schelm iſt todt!

„Laßt uns den Schelm begraben!

„Kriegen ihn die Hunde nicht,

„Dann freſſen ihn die Raben,

„Hoho halloh!“
Da ſtürmt von allen Seiten es heran,

Die Bracken brechen aus Geniſt und Tann;

Durch das Gelände ſieht in wüſten Reifen

Man johlend ſie um den Horniſten ſchweifen.

Sie ziehen ihr Geheul ſo hohl und lang,

Daß es verdunkelt der Fanfare Klang,

Doch lauter, lauter ſchallt die Gloria,

Braust durch den Ginſter die Victoria:
„Hängt den Schelm, hängt den Schelm!

„Hängt ihn an die Weide,

„Mir den Balg und dir den Talg,

„Dann lachen wir alle Beide;

„Hängt ihn! Hängt ihn

„Den Schelm, den Schelm! — —“
[45]

Die Vogelhütte.

Regen, Regen, immer Regen! will nicht das Geplätſcher

enden,

Daß ich aus dem Sarge brechen kann, aus dieſen Bretter¬

wänden?
Sieben Schuhe ins Gevierte, das iſt doch ein ärmlich

Räumchen

Für ein Menſchenkind, und wär' es ſchlank auch wie ein

Roſenbäumchen!
O was ließ ich mich gelüſten, in den Vogelheerd zu flüchten,

Als nur ſchwach die Wolke tropfte, als noch flüſterten die

Fichten:
Und muß nun beſtehn das Ganze, wie wenn zögernd man

dem Schwätzer

Raum gegeben, dem langweilig Seile drehnden Phraſen¬

ſetzer;
Und am Knopfe nun gehalten, oder ſchlimmer an den Händen,

Zappelnd wie der Halbgehängte langet nach des Strickes

Enden!
Meine Unglücksſtrick' ſind dieſer Waſſerſtriemen Läng' und

Breite,

Die verkörperten Hyperbeln, denn Bindfäden regnet's heute.
[46]
Denk ich an die heitre Stube, an das weiche Kanapée,

Und wie mein Gedicht, das meine, dort zerleſen wird beim

Thee:
Denk ich an die ſchwere Zunge, die ſtatt meiner es zerdriſcht,

Bohrend wie ein Schwertfiſch möcht ich ſchießen in den

Waſſergiſcht.
Pah! was kümmern mich die Tropfen, ob ich naß ob

ſäuberlich!

Aber beſſer ſtramm und trocken, als durchnäßt und lächerlich.
Da — ein Fleck, ein Loch am Himmel; biſt du endlich doch

gebrochen,

Alte Waſſertonne, hab ich endlich dich entzwei geſprochen?
Aber wehe! wie's vom Faſſe brodelt, wenn geſprengt der

Zapfen,

Hör ich's auf dem Dache raſſeln, förmlich wie mit Füßen

ſtapfen.
Regen! unbarmherz'ger Regen! mögſt du braten oder ſieden!

Wehe, dieſe alte Kufe iſt das Faß der Danaiden!
Ich habe mich geſetzt in Gottes Namen;

Es hilft doch alles nicht, und mein Gedicht

Iſt längſt geleſen und im Schloß die Damen,

Sie ſaßen lange zu Gericht.
[47]
Statt einen neuen Lorbeerkranz zu drücken

In meine Phöboslocken, hat man ſacht

Den alten losgezupft und hinter'm Rücken

Wohl Eſelsohren mir gemacht.
Verkannte Seele, faſſe dich im Leiden,

Sey ſtark, ſey nobel, denk, der Ruhm iſt leer,

Das Leben kurz, es wechſeln Schmerz und Freuden,

Und was dergleichen Neugedachtes mehr!
Ich ſchau mich um in meiner kleinen Zelle:

Für einen Klausner wär's ein hübſcher Ort;

Die Bank, der Tiſch, das hölzerne Geſtelle,

Und an der Wand die Taſche dort;
Ein Netz im Winkelchen, ein Rechen, Spaten —

Und Betten? nun, das macht ſich einfach hier;

Der Thimian iſt heuer gut gerathen,

Und blüht mir grade vor der Thür.
Die Waldung drüben — und das Quellgewäſſer —

Hier möcht ich Haidebilder ſchreiben, zum Exempel:

„Die Vogelhütte“, nein — „der Heerd“, nein beſſer:

„Der Knieende in Gottes weitem Tempel.“
'S iſt doch romantiſch, wenn ein zart Gerieſel

Durch Immortellen und Wachholderſtrauch

Umzieht und gleitet, wie ein ſchlüpfend Wieſel,

Und drüber flirrt der Stöberrauch;
[48]
Wenn Schimmer wechſeln, weiß und ſeladonen;

Die weite Eb'ne ſchaukelt wie ein Schiff,

Hindurch der Kibitz ſchrillt, wie Halcyonen

Wehklagend ziehen um das Riff.
Am Horizont die koloſſalen Brücken —

Sind's Wolken oder iſt's ein ferner Wald?

Ich will den Schemel an die Luke rücken,

Da liegt mein Hut, mein Hammer, — halt:
Ein Teller am Geſtell! — was mag er bieten?

Fundus! bei Gott, ein Fund das Backwerk drin!

Für einen armen Hund von Eremiten,

Wie ich es leider heute bin!
Ein ſeid'ner Beutel noch — am Bort zerriſſen;

Ich greife, greife Rundes mit der Hand;

Weh! in die dürre Erbs' hab ich gebiſſen —

Ich dacht', es ſeye Zuckerkand.
Und nun die Taſche! he, wir müſſen klopfen —

Vielleicht liegt ein Gefang'ner hier in Haft;

Da — eine Flaſche! ſchnell herab den Pfropfen —

Iſt's Waſſer? Waſſer? — edler Rebenſaft!
Und Edlerer, der ihn dem Sack vertraute,

Splendid barmherziger Wildhüter du,

Für einen armen Schelm, der Erbſen kaute,

Den frommen Bruder Tuck im Ivanhoe!
[49]
Mit dem Gekörn will ich den Kibitz letzen,

Es aus der Lücke ſtreun, wenn er im Flug

Herſchwirrt, mir auf die Schulter ſich zu ſetzen,

Wie man es lieſ't in manchem Buch.
Mir iſt ganz wohl in meiner armen Zelle;

Wie mir das Klausnerleben ſo gefällt!

Ich bleibe hier, ich geh nicht von der Stelle,

Bevor der letzte Tropfen fällt.
Es verrieſelt, es verraucht,

Mählig aus der Wolke taucht

Neu hervor der Sonnenadel.

In den feinen Dunſt die Fichte

Ihre grünen Dornen ſtreckt,

Wie ein ſchönes Weib die Nadel

In den Spitzenſchleier ſteckt;

Und die Haide ſteht im Lichte

Zahllos blanker Tropfen, die

Am Wachholder zittern, wie

Glasgehänge an dem Lüſter.

Ueberm Grund geht ein Geflüſter,

Jedes Kräutchen reckt ſich auf,

Und in langgeſtrecktem Lauf,

Durch den Sand des Pfades eilend,

Blitzt das gold'ne Panzerhemd

Des Kurier's;* am Halme weilend


v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 4[50]
Streicht die Grille ſich das Naß

Von der Flügel grünem Glas.

Grashalm glänzt wie eine Klinge,

Und die kleinen Schmetterlinge,

Blau, orange, gelb und weiß,

Jagen tummelnd ſich im Kreis.

Alles Schimmer, alles Licht,

Bergwald mag und Welle nicht

Solche Farbentöne hegen,

Wie die Haide nach dem Regen.
Ein Schall — und wieder — wieder — was iſt das?

Bei Gott, das Schloß! Da ſchlägt es Acht im Thurme —

Weh mein Gedicht! o weh mir armem Wurme,

Nun fällt mir alles ein, was ich vergaß!

Mein Hut, mein Hammer, hurtig fortgetrabt —

Vielleicht, vielleicht iſt man discret geweſen,

Und harrte meiner, der ſein Federleſen

Indeß mit Kraut und Würmern hat gehabt. —

Nun kommt der Steeg und nun des Teiches Ried,

Nun ſteigen der Alleen ſchlanke Streifen;

Ich weiß es nicht, ich kann es nicht begreifen,

Wie ich ſo gänzlich mich vom Leben ſchied —

Doch freilich — damals war ich Eremit!
[51]

Der Weiher.

Er liegt ſo ſtill im Morgenlicht,

So friedlich, wie ein fromm Gewiſſen;

Wenn Weſte ſeinen Spiegel küſſen,

Des Ufers Blume fühlt es nicht;

Libellen zittern über ihn,

Blaugoldne Stäbchen und Karmin,

Und auf des Sonnenbildes Glanz

Die Waſſerſpinne führt den Tanz;

Schwertlilienkranz am Ufer ſteht

Und horcht des Schilfes Schlummerliede;

Ein lindes Säuſeln kommt und geht,

Als flüſtr' es: Friede! Friede! Friede! —

Das Schilf.

Stille, er ſchläft, ſtille! ſtille!

Libelle, reg' die Schwingen ſacht,

Daß nicht das Goldgewebe ſchrille,

Und, Ufergrün, hab' gute Wacht,

Kein Kieſelchen laſſ' niederfallen.

Er ſchläft auf ſeinem Wolkenflaum,

Und über ihn läßt ſäuſelnd wallen

Das Laubgewölb der alte Baum;

Hoch oben, wo die Sonne glüht,

Wieget der Vogel ſeine Flügel,

Und wie ein ſchlüpfend Fiſchlein zieht

Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.

[52]
Stille, ſtille! er hat ſich geregt,

Ein fallend Reis hat ihn bewegt,

Das grad zum Neſt der Hänfling trug;

Su, Su! breit', Aſt, dein grünes Tuch —

Su, Su! nun ſchläft er feſt genug.

Die Linde.

Ich breite über ihn mein Blätterdach

So weit ich es vom Ufer ſtrecken mag.

Schau her, wie langaus meine Arme reichen,

Ihm mit den Fächern das Gewürm zu ſcheuchen,

Das hundertfarbig zittert in der Luft.

Ich hauch' ihm meines Odems beſten Duft,

Und auf ſein Lager laſſ' ich niederfallen

Die Lieblichſte von meinen Blüten allen;

Und eine Bank lehnt ſich an meinen Stamm,

Da ſchaut ein Dichter von dem Uferdamm,

Den hör' ich flüſtern wunderliche Weiſe,

Von mir und dir und der Libell' ſo leiſe,

Daß er den frommen Schläfer nicht geweckt;

Sonſt wahrlich hätt' die Raupe ihn erſchreckt,

Die ich geſchleudert aus dem Blätterhag.

Wie grell die Sonne blitzt; ſchwül wird der Tag.

O könnt' ich! könnt' ich meine Wurzeln ſtrecken

Recht mitten in das tief kriſtall'ne Becken,

Den Fäden gleich, die, grünlicher Asbeſt,

Schaun ſo behaglich aus dem Waſſerneſt,

Wie mir zum Hohne, der im Sonnenbrande

Hier einſam niederlechzt vom Uferrande.
[53]

Die Waſſerfäden.

Neid' uns! neid' uns! laſſ' die Zweige hangen,

Nicht weil flüſſigen Kriſtall wir trinken,

Neben uns des Himmels Sterne blinken,

Sonne ſich in unſerm Netz gefangen —

Nein, des Teiches Blutsverwandte, feſt

Hält er all uns an die Bruſt gepreßt,

Und wir bohren unſ're feinen Ranken

In das Herz ihm, wie ein liebend Weib,

Dringen Adern gleich durch ſeinen Leib,

Dämmern auf wie ſeines Traums Gedanken;

Wer uns kennt, der nennt uns lieb und treu,

Und die Schmerle birgt in unſ'rer Hut

Und die Karpfenmutter ihre Brut;

Welle mag in unſerm Schleier koſen;

Uns nur traut die holde Waſſerfey,

Sie, die Schöne, lieblicher als Roſen.

Schleuß, Trifolium, * die Glocken auf,

Kurz dein Tag, doch königlich ſein Lauf!

Kinder am Ufer.

O ſieh doch! ſiehſt du nicht die Blumenwolke

Da drüben in dem tiefſten Weiherkolke?

O! das iſt ſchön! hätt' ich nur einen Stecken,

Schmalzweiße Kelch' mit dunkelrothen Flecken,

[54]
Und jede Glocke iſt friſirt ſo fein

Wie unſer wächſern Engelchen im Schrein.

Was meinſt du, ſchneid' ich einen Haſelſtab,

Und wat' ein wenig in die Furth hinab?

Pah! Fröſch' und Hechte können mich nicht ſchrecken —

Allein, ob nicht vielleicht der Waſſermann

Dort in den langen Kräutern hocken kann?

Ich geh, ich gehe ſchon — ich gehe nicht —

Mich dünkt, ich ſah am Grunde ein Geſicht —

Komm laſſ' uns lieber heim, die Sonne ſticht!
[55]

Der Hünenſtein.

Zur Zeit der Scheide zwiſchen Nacht und Tag,

Als wie ein ſiecher Greis die Haide lag

Und ihr Geſtöhn des Mooſes Teppich regte,

Krankhafte Funken im verwirrten Haar

Elektriſch blitzten, und, ein dunkler Mahr,

Sich über ſie die Wolkenſchichte legte;
Zu dieſer Dämmerſtunde war's, als ich

Einſam hinaus mit meinen Sorgen ſchlich,

Und wenig dachte, was es draußen treibe.

Nachdenklich ſchritt ich, und bemerkte nicht

Des Krautes Wallen und des Wurmes Licht,

Ich ſah auch nicht, als ſtieg die Mondesſcheibe.
Grad war der Weg, ganz ſonder Steg und Bruch;

So träumt ich fort und, wie ein ſchlechtes Buch,

Ein Pfennigs-Magazin uns auf der Reiſe

Von Station zu Stationen plagt,

Hab' zehnmal Weggeworf'nes ich benagt,

Und fortgeleiert überdrüß'ge Weiſe.
Entwürfe wurden aus Entwürfen reif,

Doch, wie die Schlange packt den eignen Schweif,

Fand ich mich immer auf derſelben Stelle;

Da plötzlich fuhr ein plumper Schröter jach

An's Auge mir, ich ſchreckte auf und lag

Am Grund, um mich des Haidekrautes Welle.
[56]
Seltſames Lager, das ich mir erkor!

Zur Rechten, Linken ſchwoll Geſtein empor,

Gewalt'ge Blöcke, rohe Porphirbrode;

Mir überm Haupte reckte ſich der Bau,

Langhaar'ge Flechten rührten meine Brau,

Und mir zu Füßen ſchwankt' die Ginſterlode.
Ich wußte gleich, es war ein Hünengrab,

Und feſter drückt' ich meine Stirn hinab,

Wollüſtig ſaugend an des Grauens Süße,

Bis es mit eiſ'gen Krallen mich gepackt,

Bis wie ein Gletſcher-Bronn des Blutes Takt

Aufquoll und hämmert' unterm Mantelvließe.
Die Decke über mir, geſunken, ſchief,

An der ſo blaß gehärmt das Mondlicht ſchlief,

Wie eine Wittwe an des Gatten Grabe;

Vom Hirtenfeuer Kohlenſcheite ſahn

So leichenbrandig durch den Thimian,

Daß ich ſie abwärts ſchnellte mit dem Stabe.
Huſch fuhr ein Kibitz ſchreiend aus dem Moos;

Ich lachte auf; doch trug wie bügellos

Mich Phantaſie weit über Spalt und Barren.

Dem Wind hab' ich gelauſcht ſo ſcharf geſpannt,

Als bring er Kunde aus dem Geiſterland,

Und immer mußt ich an die Decke ſtarren.
Ha! welche Sehnen wälzten dieſen Stein?

Wer ſenkte dieſe wüſten Blöcke ein,
[57]
Als durch das Haid die Todtenklage ſchallte?

Wer war die Drude, die im Abendſtral

Mit Run' und Spruch umwandelte das Thal,

Indeß ihr gold'nes Haar im Winde wallte?
Dort iſt der Oſten, dort, drei Schuh im Grund,

Dort ſteht die Urne und in ihrem Rund

Ein wildes Herz zerſtäubt zu Aſchenflocken;

Hier lagert ſich der Traum vom Opferhain,

Und finſter ſchütteln über dieſen Stein

Die grimmen Götter ihre Wolkenlocken.
Wie, ſprach ich Zauberformel? Dort am Damm —

Es ſteigt, es breitet ſich wie Wellenkamm,

Ein Rieſenleib, gewalt'ger, höher immer;

Nun greift es aus mit langgedehntem Schritt —

Schau, wie es durch der Eiche Wipfel glitt,

Durch ſeine Glieder zittern Mondenſchimmer.
Komm her, komm nieder — um iſt deine Zeit!

Ich harre dein, im heil'gen Bad geweiht;

Noch iſt der Kirchenduft in meinem Kleide! —

Da fährt es auf, da ballt es ſich ergrimmt,

Und langſam, eine dunkle Wolke, ſchwimmt

Es über meinem Haupt entlang die Haide.
Ein Ruf, ein hüpfend Licht — es ſchwankt herbei —

Und — „Herr, es regnet“ — ſagte mein Lakai,

Der ruhig über's Haupt den Schirm mir ſtreckte.

Noch einmal ſah ich zum Geſtein hinab:

Ach Gott, es war doch nur ein rohes Grab,

Das armen ausgedorrten Staub bedeckte! —
[58]

Die Steppe.

Standeſt du je am Strande,

Wenn Tag und Nacht ſich gleichen,

Und ſah'ſt aus Lehm und Sande

Die Regenrinnen ſchleichen —

Zahlloſe Schmugglerquellen,

Und dann, ſo weit das Auge

Nur reicht, des Meeres Wellen

Gefärbt mit gelber Lauge? —
Hier iſt die Dün' und drunten

Das Meer; Kanonen gleichend

Stehn Schäferkarrn, die Lunten

Verlöſcht am Boden ſtreichend.

Gilt's etwa dem Korſaren

Im flatternden Kaftane,

Den dort ich kann gewahren

Im gelben Oceane?
Er ſcheint das Tau zu ſchlagen,

Sein Schiff verdeckt die Düne,

Doch ſieht den Maſt man ragen, —

Ein dürrer Fichtenhüne;

Von ſeines Toppes Kunkel

Die Seile ſtramm wie Aeſte,

Der Maſtkorb, rauh und dunkel,

Gleicht einem Weihenneſte! —
[59]

Die Mergelgrube.

Stoß deinen Scheit drei Spannen in den Sand,

Geſteine ſiehſt du aus dem Schnitte ragen,

Blau, gelb, zinnoberroth, als ob zur Gant

Natur die Trödelbude aufgeſchlagen.

Kein Pardelfell war je ſo bunt gefleckt,

Kein Rebhuhn, keine Wachtel ſo geſcheckt,

Als das Gerölle gleißend wie vom Schliff

Sich aus der Scholle bröckelt bei dem Griff

Der Hand, dem Scharren mit des Fußes Spitze.

Wie zürnend ſturt dich an der ſchwarze Gneus,

Spatkugeln kollern nieder, milchig weiß,

Und um den Glimmer fahren Silberblitze;

Geſprenkelte Porphire, groß und klein,

Die Okerdruſe und der Feuerſtein —

Nur wenige hat dieſer Grund gezeugt,

Der ſah den Strand, und der des Berges Kuppe;

Die zorn'ge Welle hat ſie hergeſcheucht,

Leviathan mit ſeiner Rieſenſchuppe,

Als ſchäumend übern Sinai er fuhr,

Des Himmels Schleuſen dreißig Tage offen,

Gebirge ſchmolzen ein wie Zuckerkand,

Als dann am Ararat die Arche ſtand,

Und, eine fremde, üppige Natur,

Ein neues Leben quoll aus neuen Stoffen. —

Findlinge nennt man ſie, weil von der Bruſt,

Der mütterlichen ſie geriſſen ſind,

[60]
In fremde Wiege ſchlummernd unbewußt,

Die fremde Hand ſie legt wie's Findelkind.

O welch' ein Waiſenhaus iſt dieſe Haide,

Die Mohren, Blaßgeſicht, und rothe Haut

Gleichförmig hüllet mit dem braunen Kleide!

Wie endlos ihre Zellenreihn gebaut!
Tief in's Gebröckel, in die Mergelgrube

War ich geſtiegen, denn der Wind zog ſcharf;

Dort ſaß ich ſeitwärts in der Höhlenſtube,

Und horchte träumend auf der Luft Geharf.

Es waren Klänge, wie wenn Geiſterhall

Melodiſch ſchwinde im zerſtörten All;

Und dann ein Ziſchen, wie von Moores Klaffen,

Wenn brodelnd es in ſich zuſamm'geſunken;

Mir über'm Haupt ein Rispeln und ein Schaffen,

Als ſcharre in der Aſche man den Funken.

Findlinge zog ich Stück auf Stück hervor,

Und lauſchte, lauſchte mit berauſchtem Ohr.
Vor mir, um mich der graue Mergel nur,

Was drüber ſah ich nicht; doch die Natur

Schien mir verödet, und ein Bild erſtand

Von einer Erde, mürbe, ausgebrannt;

Ich ſelber ſchien ein Funken mir, der doch

Erzittert in der todten Aſche noch,

Ein Findling im zerfall'nen Weltenbau.

Die Wolke theilte ſich, der Wind ward lau;

Mein Haupt nicht wagt' ich aus dem Hohl zu ſtrecken,

Um nicht zu ſchauen der Verödung Schrecken,

[61]
Wie Neues quoll und Altes ſich zerſetzte —

War ich der erſte Menſch oder der letzte?
Ha, auf der Schieferplatte hier Meduſen —

Noch ſchienen ihre Stralen ſie zu zücken,

Als ſie geſchleudert von des Meeres Buſen,

Und das Gebirge ſank, ſie zu zerdrücken.

Es iſt gewiß, die alte Welt iſt hin,

Ich Petrefakt, ein Mammuthsknochen drinn!

Und müde, müde ſank ich an den Rand

Der ſtaub'gen Gruft; da rieſelte der Grand

Auf Haar und Kleider mir, ich ward ſo grau

Wie eine Leich' im Katakomben-Bau,

Und mir zu Füßen hört ich leiſes Knirren,

Ein Rütteln, ein Gebröckel und ein Schwirren.

Es war der Todtenkäfer, der im Sarg

So eben eine friſche Leiche barg;

Ihr Fuß, ihr Flügelchen empor geſtellt

Zeigt eine Wespe mir von dieſer Welt.

Und anders ward mein Träumen nun gewandet,

Zu einer Mumie ward ich verſandet,

Mein Linnen Staub, fahlgrau mein Angeſicht,

Und auch der Scarabäus fehlte nicht.
Wie, Leichen über mir? — ſo eben gar

Rollt mir ein Biſſusknäuel in den Schooß;

Nein, das iſt Wolle, ehrlich Lämmerhaar —

Und plötzlich ließen mich die Träume los.

Ich gähnte, dehnte mich, fuhr aus dem Hohl,

Am Himmel ſtand der rothe Sonnenball

[62]
Getrübt von Dunſt, ein glüher Karniol,

Und Schafe weideten am Haidewall.

Dicht über mir ſah ich den Hirten ſitzen,

Er ſchlingt den Faden und die Nadeln blitzen,

Wie er bedächtig ſeinen Socken ſtrickt.

Zu mir hinunter hat er nicht geblickt.

„Ave Maria“ hebt er an zu pfeifen,

So ſacht und ſchläfrig, wie die Lüfte ſtreifen.

Er ſchaut ſo ſeelengleich die Heerde an,

Daß man nicht weiß, ob Schaf er oder Mann.

Ein Räuspern dann, und langſam aus der Kehle

Schiebt den Geſang er in das Garngeſtrehle:
Es ſtehet ein Fiſchlein in einem tiefen See,

Danach thu ich wohl ſchauen, ob es kommt in die Höh;

Wandl' ich über Grunheide bis an den kühlen Rhein,

Alle meine Gedanken bei meinem Feinsliebchen ſein.
Gleich wie der Mond ins Waſſer ſchaut hinein,

Und gleich wie die Sonne im Wald gibt güldenen Schein,

Alſo ſich verborgen bei mir die Liebe findt,

Alle meine Gedanken, ſie ſind bei dir, mein Kind.
Wer da hat geſagt, ich wollte wandern fort,

Der hat ſein Feinsliebchen an einem andern Ort;

Trau nicht den falſchen Zungen, was ſie dir blaſen ein,

Alle meine Gedanken, ſie ſind bei dir allein.
Ich war hinaufgeklommen, ſtand am Bord,

Dicht vor dem Schäfer, reichte ihm den Knäuel;

[63]
Er ſteckt' ihn an den Hut, und ſtrickte fort,

Sein weißer Kittel zuckte wie ein Weihel.

Im Mooſe lag ein Buch; ich hob es auf —

„Bertuchs Naturgeſchichte“; leſ't ihr das? —

Da zog ein Lächeln ſeine Lippen auf:

Der lügt mal, Herr! doch das iſt juſt der Spaß!

Von Schlangen, Bären, die in Stein verwandelt,

Als, wie Geneſis ſagt, die Schleuſen offen;

Wär's nicht zur Kurzweil, wär es ſchlecht gehandelt:

Man weiß ja doch, daß alles Vieh verſoffen.

Ich reichte ihm die Schieferplatte: „ſchau,

Das war ein Thier.“ Da zwinkert er die Brau,

Und hat mir lange pfiffig nachgelacht —

Daß ich verrückt ſey, hätt' er nicht gedacht! —
[64]

Die Krähen.

Heiß, heiß der Sonnenbrand

Drückt vom Zenith herunter,

Weit, weit der gelbe Sand

Zieht ſein Geſtäube drunter;

Nur wie ein grüner Strich

Am Horizont die Föhren;

Mich dünkt, man müßt' es hören,

Wenn nur ein Kranker ſchlich.
Der blaſſe Aether ſiecht,

Ein Ruhen rings, ein Schweigen,

Dem matt das Ohr erliegt;

Nur an der Düne ſteigen

Zwei Fichten, dürr, ergraut —

Wie Trauernde am Grabe —

Wo einſam ſich ein Rabe

Die rupp'gen Federn kraut.
Da zieht's in Weſten ſchwer

Wie eine Wetterwolke,

Kreiſ't um die Föhren her

Und fällt am Haidekolke;

Und wieder ſteigt es dann,

Es flattert und es ächzet,

Und immer näher krächzet

Das Galgenvolk heran.
[65]
Recht, wo der Sand ſich dämmt,

Da lagert es am Hügel;

Es badet ſich und ſchwemmt,

Stäubt Aſche durch die Flügel

Bis jede Feder grau;

Dann raſten ſie im Bade,

Und horchen der Suade

Der alten Krähenfrau,
Die ſich im Sande reckt,

Das Bein lang ausgeſchoſſen,

Ihr eines Aug' gefleckt,

Das andre iſt geſchloſſen;

Zweihundert Jahr und mehr

Gehetzt mit allen Hunden,

Schnarrt ſie nun ihre Kunden

Dem jungen Volke her:
„Ja, ritterlich und kühn all ſein Gebahr!

Wenn er ſo herſtolzirte vor der Schaar,

Und ließ ſein bäumend Roß ſo drehn und ſchwenken,

Da mußt ich immer an Sanct Görgen denken,

Den Wettermann, der — als am Schlot ich ſaß,

Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen —

Vom Wind getrillt mich ſchlug ſo hart, daß baß

Ich es dem alten Raben möchte gönnen,

Der dort von ſeiner Hopfenſtange ſchaut,

Als ſey ein Baum er und wir andern Kraut! —
„Kühn war der Halberſtadt, das iſt gewiß!

Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 5[66]
Dann ſtanden ſeine Landsknecht' auf den Füßen

Wie Speere, ſolche Blicke konnt er ſchießen.

Einſt brach ſein Schwert; er riß die Kuppel los,

Stieß mit der Scheide einen Mann vom Pferde.

Ich war nur immer froh, daß flügellos,

Ganz ſonder Witz der Menſch geboren werde:

Denn nie hab' ich geſehn, daß aus der Schlacht

Er eine Leber nur bei Seit' gebracht.
„An einem Sommertag, — heut ſind es grad

Zweihundert fünfzehn Jahr, es lief die Schnat

Am Damme drüben damals bei den Föhren —

Da konnte man ein friſch Drometen hören,

Ein Schwerterklirren und ein Feldgeſchrei,

Radſchlagen ſah man Reuter von den Roſſen,

Und die Kanone fuhr ihr Hirn zu Brei;

Entlang die Gleiſe iſt das Blut gefloſſen,

Granat' und Wachtel liefen kunterbunt

Wie junge Kibitze am ſand'gen Grund.
„Ich ſaß auf einem Galgen, wo das Bruch

Man überſchauen konnte recht mit Fug;

Dort an der Schnat hat Halberſtadt geſtanden,

Mit ſeinem Sehrohr ſtreifend durch die Banden,

Hat ſeinen Stab geſchwungen ſo und ſo;

Und wie er ſchwenkte, zogen die Soldaten —

Da plötzlich aus den Mörſern fuhr die Loh',

Es knallte, daß ich bin zu Fall gerathen,

Und als Kopfüber ich vom Galgen ſchoß,

Da pfiff der Halberſtadt davon zu Roß.
[67]
„Mir ſtieg der Rauch in Ohr und Kehl', ich ſchwang

Mich auf, und nach der Qualm in Strömen drang;

Entlang die Haide fuhr ich mit Gekrächze.

Am Grunde, welch' Geſchrei, Geſchnaub', Geächze!

Die Roſſe wälzten ſich und zappelten,

Todtwunde zuckten auf, Landsknecht' und Reuter

Knirſchten den Sand, da näher trappelten

Schwadronen, manche krochen winſelnd weiter,

Und mancher hat noch einen Stich verſucht,

Als über ihn der Baier weggeflucht.
„Noch lange haben ſie getobt, geknallt,

Ich hatte mich geflüchtet in den Wald;

Doch als die Sonne färbt' der Föhren Spalten,

Ha welch ein köſtlich Mahl ward da gehalten!

Kein Geier ſchmaußt, kein Weihe je ſo reich!

In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter,

Das gab ein Hacken, Picken, Leich' auf Leich —

Allein der Halberſtadt war nicht darunter:

Nicht kam er heut', noch ſonſt mir zu Geſicht,

Wer ihn gefreſſen hat, ich weiß es nicht.“
Sie zuckt die Klaue, krau't den Schopf,

Und ſtreckt behaglich ſich im Bade;

Da ſtreckt ein grauer Herr den Kopf,

Weit älter, als die Scheh'razade.

„Ha,“ krächzt er, „das war wüſte Zeit, —

Da gab's nicht Frauen, wie vor Jahren,

Als Ritter mit dem Kreuz gefahren,

Und man die Münſter hat geweiht!“

[68]
Er huſtet, ſpeit ein wenig Sand und Thon,

Dann hebt er an, ein grauer Seladon:
„Und wenn er kühn, ſo war ſie ſchön,

Die heil'ge Frau im Ordenskleide!

Ihr möcht' der Weihel ſüßer ſtehn,

Als andern Güldenſtück und Seide.

Kaum war ſie holder an dem Tag,

Da ihr jungfräulich Haar man fällte,

Als ich an's Kirchenfenſter ſchnellte,

Und ſchier Tobias Hündlein brach.
„Da ſtand die alte Gräfin, ſtand

Der alte Graf, geduldig harrend;

Er auf's Baretlein in der Hand,

Sie feſt aufs Paternoſter ſtarrend;

Ehrbar, wie bronzen ſein Geſicht —

Und aus der Mutter Wimpern glitten

Zwei Thränen auf der Schaube Mitten,

Doch ihre Lippe zuckte nicht.
„Und ſie in ihrem Sammetkleid,

Von Perlen und Juwel' umfunkelt,

Bleich war ſie, aber nicht von Leid,

Ihr Blick doch nicht von Gram umdunkelt.

So mild hat ſie das Haupt gebeugt,

Als woll' auf den Altar ſie legen

Des Haares königlichen Segen,

Vom Antlitz ging ein ſüß Geleucht.
„Doch als nun, wie am Blutgerüſt,

Ein Mann die Seidenſtränge packte,

[69]
Da faßte mich ein wild Gelüſt,

Ich ſchlug die Scheiben, daß es knackte,

Und flattert' fort, als ob der Stahl

Nach meinem Nacken wolle zücken.

Ja wahrlich, über Kopf und Rücken

Fühlt' ich den ganzen Tag mich kahl!
„Und ſpäter ſah ich manche Stund

Sie betend durch den Kreuzgang ſchreiten,

Ihr ſüßes Auge über'n Grund

Entlang die Todtenlager gleiten;

In's Quadrum flog ich dann hinab,

Spazierte auf dem Leichenſteine,

Sang, oder ſuchte auch zum Scheine

Nach einem Regenwurm am Grab.
„Wie ſie geſtorben, weiß ich nicht;

Die Fenſter hatte man verhangen,

Ich ſah am Vorhang nur das Licht

Und hörte, wie die Schweſtern ſangen;

Auch hat man keinen Stein geſchafft

In's Quadrum, doch ich hörte ſagen,

Daß manchem Kranken Heil getragen

Der ſel'gen Frauen Wunderkraft.
„Ein Loch gibt es am Kirchenend',

Da kann man in's Gewölbe ſchauen,

Wo matt die ew'ge Lampe brennt,

Steinſärge ragen, fein gehauen;

[70]
Da ſtreck ich oft im Dämmergrau

Den Kopf durch's Gitter, klage, klage

Die Schlafende im Sarkophage,

So hold, wie keine Krähenfrau!“
Er ſchließt die Augen, ſtößt ein lang „Krahah!“

Geſtreckt die Zunge und den Schnabel offen;

Matt, flügelhängend, ein zertrümmert Hoffen,

Ein Bild gebroch'nen Herzens ſitzt er da. —

Da ſchnarrt es über ihm: „ihren Narren all!“

Und nieder von der Fichte plumpt der Rabe:

Iſt einer hier, der hörte von Walhall,

Von Teut und Thor, und von dem Hünengrabe?

Saht' ihr den Opferſtein“ — da mit Gekrächz

Hebt ſich die Schaar und klatſcht entlang den Hügel.

Der Rabe blinzt, er ſtößt ein kurz Geächz,

Die Federn ſträubend wie ein zorn'ger Igel;

Dann duckt er nieder, kraut das kahle Ohr,

Noch immer ſchnarrend fort von Teut und Thor. —
[71]

Das Hirtenfeuer.

Dunkel, dunkel im Moor,

Ueber der Haide Nacht,

Nur das rieſelnde Rohr

Neben der Mühle wacht,

Und an des Rades Speichen

Schwellende Tropfen ſchleichen.
Unke kauert im Sumpf,

Igel im Graſe duckt,

In dem modernden Stumpf

Schlafend die Kröte zuckt,

Und am ſandigen Hange

Rollt ſich feſter die Schlange.
Was glimmt dort hinterm Ginſter,

Und bildet lichte Scheiben?

Nun wirft es Funkenflinſter,

Die löſchend niederſtäuben;

Nun wieder alles dunkel —

Ich hör des Stahles Picken,

Ein Kniſtern, ein Gefunkel —

Und auf die Flammen zücken.
Und Hirtenbuben hocken

Im Kreiſ' umher, ſie ſtrecken

Die Hände, Torfes Brocken

Seh ich die Lohe lecken;

[72]
Da bricht ein ſtarker Knabe

Aus des Geſtrippes Windel,

Und ſchleifet nach im Trabe

Ein wüſt Wacholderbündel.
Er läßt's am Feuer kippen —

Hei, wie die Buben johlen,

Und mit den Fingern ſchnippen

Die Funken-Girandolen!

Wie ihre Zipfelmützen

Am Ohre luſtig flattern,

Und wie die Nadeln ſpritzen,

Und wie die Aeſte knattern!
Die Flamme ſinkt, ſie hocken

Auf's Neu' umher im Kreiſe,

Und wieder fliegen Brocken,

Und wieder ſchwehlt es leiſe;

Glührothe Lichter ſtreichen

An Haarbuſch und Geſichte,

Und ſchier Dämonen gleichen

Die kleinen Haidewichte.
Der da, der Unbeſchuh'te,

Was ſtreckt er in das Dunkel

Den Arm wie eine Ruthe,

Im Kreiſe welch' Gemunkel?

Sie ſpähn wie junge Geier

Von ihrer Ginſterſchütte:

Hah, noch ein Hirtenfeuer,

Recht an des Dammes Mitte!
[73]
Man ſieht es eben ſteigen

Und ſeine Schimmer breiten,

Den wirren Funkenreigen

Ueber'n Wacholder gleiten;

Die Buben flüſtern leiſe,

Sie räuspern ihre Kehlen,

Und alte Haideweiſen

Verzittern durch die Schmehlen.
„Helo, heloe!

„Heloe, loe!

„Komm du auf unſ're Haide,

„Wo ich meine Schäflein weide,

„Komm, o komm in unſer Bruch,

„Da gibt's der Blümelein genug, —

„Helo, heloe!“
Die Knaben ſchweigen, lauſchen nach dem Tann,

Und leiſe durch den Ginſter zieht's heran:

Gegenſtrophe.


„Helo, heloe!

„Ich ſitze auf dem Walle,

„Meine Schäflein ſchlafen alle,

„Komm, o komm in unſern Kamp,

„Da wächſt das Gras wie Brahm ſo lang! —

„Helo, heloe'

„Heloe, loe!“
[74]

Der Haidemann.*

„Geht, Kinder, nicht zu weit in's Bruch,

Die Sonne ſinkt, ſchon ſurrt den Flug

Die Biene matter, ſchlafgehemmt,

Am Grunde ſchwimmt ein blaſſes Tuch,

Der Haidemann kömmt! —“
Die Knaben ſpielen fort am Raine,

Sie rupfen Gräſer, ſchnellen Steine,

Sie plätſchern in des Teiches Rinne,

Erhaſchen die Phalän' am Ried,

Und freu'n ſich, wenn die Waſſerſpinne

Langbeinig in die Binſen flieht.
„Ihr Kinder, legt euch nicht in's Gras, —

Seht, wo noch grad' die Biene ſaß,

Wie weißer Rauch die Glocken füllt.

Scheu aus dem Buſche glotzt der Haas,

Der Haidemann ſchwillt! —“
Kaum hebt ihr ſchweres Haupt die Schmehle

Noch aus dem Dunſt, in ſeine Höhle

Schiebt ſich der Käfer und am Halme

Die träge Motte höher kreucht,

Sich flüchtend vor dem feuchten Qualme,

Der unter ihre Flügel ſteigt.
[75]
„Ihr Kinder, haltet euch bei Haus,

Lauft ja nicht in das Bruch hinaus;

Seht, wie bereits der Dorn ergraut,

Die Droſſel ächzt zum Neſt hinaus,

Der Haidemann braut! —“
Man ſieht des Hirten Pfeife glimmen,

Und vor ihm her die Heerde ſchwimmen,

Wie Proteus ſeine Robbenſchaaren

Heimſchwemmt im grauen Ocean.

Am Dach die Schwalben zwitſchernd fahren

Und melancholiſch kräht der Hahn.
„Ihr Kinder, bleibt am Hofe dicht,

Seht, wie die feuchte Nebelſchicht

Schon an des Pförtchens Klinke reicht;

Am Grunde ſchwimmt ein falſches Licht,

Der Haidemann ſteigt! —“
Nun ſtrecken nur der Föhren Wipfel

Noch aus dem Dunſte grüne Gipfel,

Wie über'n Schnee Wacholderbüſche;

Ein leiſes Brodeln quillt im Moor,

Ein ſchwaches Schrillen, ein Geziſche

Dringt aus der Niederung hervor.
„Ihr Kinder, kommt, kommt ſchnell herein,

Das Irrlicht zündet ſeinen Schein,

Die Kröte ſchwillt, die Schlang im Ried;

Jetzt iſt's unheimlich draußen ſeyn,

Der Haidemann zieht! —“
[76]
Nun ſinkt die letzte Nadel, rauchend

Zergeht die Fichte, langſam tauchend

Steigt Nebelſchemen aus dem Moore,

Mit Hünenſchritten gleitet's fort;

Ein irres Leuchten zuckt im Rohre,

Der Krötenchor beginnt am Bord.
Und plötzlich ſcheint ein ſchwaches Glühen

Des Hünen Glieder zu durchziehen;

Es ſiedet auf, es färbt die Wellen,

Der Nord, der Nord entzündet ſich —

Glutpfeile, Feuerſpeere ſchnellen,

Der Horizont ein Lavaſtrich!
„Gott gnad' uns! wie es zuckt und dräut,

Wie's ſchwehlet an der Dünenſcheid'! —

Ihr Kinder, faltet eure Händ',

Das bringt uns Peſt und theure Zeit —

Der Haidemann brennt! —“
[77]

Das Haus in der Haide.

Wie lauſcht, vom Abendſchein umzuckt,

Die ſtrohgedeckte Hütte,

— Recht wie im Neſt der Vogel duckt, —

Aus dunkler Föhren Mitte.
Am Fenſterloche ſtreckt das Haupt

Die weißgeſtirnte Stärke,

Bläßt in den Abendduft und ſchnaubt

Und ſtößt an's Holzgewerke.
Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,

Mit reinlichem Gelände,

Wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,

Aufrecht die Sonnenwende.
Und drinnen kniet ein ſtilles Kind,

Das ſcheint den Grund zu jäten,

Nun pflückt ſie eine Lilie lind

Und wandelt längs den Beeten.
Am Horizonte Hirten, die

Im Haidekraut ſich ſtrecken,

Und mit des Aves Melodie

Träumende Lüfte wecken.
[78]
Und von der Tenne ab und an

Schallt es wie Hammerſchläge,

Der Hobel rauſcht, es fällt der Span,

Und langſam knarrt die Säge.
Da hebt der Abendſtern gemach

Sich aus den Föhrenzweigen,

Und grade ob der Hütte Dach

Scheint er ſich mild zu neigen.
Es iſt ein Bild, wie ſtill und heiß

Es alte Meiſter hegten,

Kunſtvolle Mönche, und mit Fleiß

Es auf den Goldgrund legten.
Der Zimmermann — die Hirten gleich

Mit ihrem frommen Liede —

Die Jungfrau mit dem Lilienzweig —

Und rings der Gottesfriede.
Des Sternes wunderlich Geleucht

Aus zarten Wolkenfloren —

Iſt etwa hier im Stall vielleicht

Chriſtkindlein heut geboren?
[79]

Der Knabe im Moor.

O ſchaurig iſt's über's Moor zu gehn,

Wenn es wimmelt vom Haiderauche,

Sich wie Phantome die Dünſte drehn

Und die Ranke häkelt am Strauche,

Unter jedem Tritte ein Quellchen ſpringt,

Wenn aus der Spalte es ziſcht und ſingt,

O ſchaurig iſt's über's Moor zu gehn,

Wenn das Röhricht kniſtert im Hauche!
Feſt hält die Fibel das zitternde Kind

Und rennt als ob man es jage;

Hohl über die Fläche ſauſet der Wind —

Was raſchelt drüben am Haage?

Das iſt der geſpenſtige Gräberknecht,

Der dem Meiſter die beſten Torfe verzecht;

Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!

Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer ſtarret Geſtumpf hervor,

Unheimlich nicket die Föhre,

Der Knabe rennt, geſpannt das Ohr,

Durch Rieſenhalme wie Speere;

Und wie es rieſelt und knittert darin!

Das iſt die unſelige Spinnerin,

Das iſt die gebannte Spinnlenor',

Die den Haſpel dreht im Geröhre!
[80]
Voran, voran, nur immer im Lauf,

Voran als woll' es ihn hohlen;

Vor ſeinem Fuße brodelt es auf,

Es pfeift ihm unter den Sohlen

Wie eine geſpenſtige Melodey;

Das iſt der Geigemann ungetreu,

Das iſt der diebiſche Fiedler Knauf,

Der den Hochzeitheller geſtohlen!
Da birſt das Moor, ein Seufzer geht

Hervor aus der klaffenden Höhle;

Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth:

„Ho, ho, meine arme Seele!“

Der Knabe ſpringt wie ein wundes Reh,

Wär' nicht Schutzengel in ſeiner Näh',

Seine bleichenden Knöchelchen fände ſpät

Ein Gräber im Moorgeſchwehle.
Da mählig gründet der Boden ſich,

Und drüben, neben der Weide,

Die Lampe flimmert ſo heimathlich,

Der Knabe ſteht an der Scheide.

Tief athmet er auf, zum Moor zurück

Noch immer wirft er den ſcheuen Blick:

Ja, im Geröhre war's fürchterlich,

O ſchaurig wars in der Haide!
[[81]]

Fels, Wald und See.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 6[[82]][[83]]

Die Elemente.

Luft.

Der Morgen, der Jäger.


Wo die Felſenlager ſtehen,

Sich des Schnees Daunen blähen,

Auf des Chimboraſſo Höhen

Iſt der junge Stral erwacht;

Regt und dehnt die roſ'gen Glieder,

Schüttelt dann ſein Goldgefieder,

Mit dem Flimmerauge nieder

Blinzt er in des Thales Schacht.

Hörſt du wie es fällt und ſteigt?

Fühlſt du wie es um dich ſtreicht?

Dringt zu dir im weichen Duft

Nicht der Himmelsodem — Luft?
In's friſche Land der Jäger tritt:

„Gegrüßt du fröhlicher Morgen!

Gegrüßt du Sonn', mit dem leichten Schritt

Wir Beiden ziehn ohne Sorgen.

Und drei Mal gegrüßt mein Geſelle Wind,

Der ſtets mir wandelt zur Seite,

[84]
Im Walde flüſtert durch Blätter lind,

Zur Höh' gibt ſpringend Geleite.

Und hat die Gems, das liſtige Thier,

Mich verlockt in ihr zackiges Felsrevier,

Wie ſind wir Drei dann ſo ganz allein,

Du, Luft, und ich, und der uralte Stein!

Waſſer.

Der Mittag, der Fiſcher.


Alles ſtill ringsum —

Die Zweige ruhen, die Vögel ſind ſtumm.

Wie ein Schiff, das im vollen Gewäſſer brennt,

Und das die Windsbraut jagt,

So durch den Azur die Sonne rennt,

Und immer flammender tagt.

Natur ſchläft — ihr Odem ſteht,

Ihre grünen Locken hangen ſchwer,

Nur auf und nieder ihr Pulsſchlag geht

Ungehemmt im heiligen Meer.

Jedes Räupchen ſucht des Blattes Hülle,

Jeden Käfer nimmt ſein Grübchen auf;

Nur das Meer liegt frei in ſeiner Fülle,

Und blickt zum Firmament hinauf.
In der Bucht wiegt ein Kahn,

Ausgeſtreckt der Fiſcher drin,

Und die lange Waſſerbahn

Schaut er träumend überhin.

[85]
Neben ihm die Zweige hängen,

Unter ihm die Wellchen drängen,

Plätſchernd in der blauen Fluth

Schaukelt ſeine heiße Hand:

„Waſſer“, ſpricht er, „Welle gut,

Hauchſt ſo kühlig an den Strand.

Du, der Erde köſtlich Blut,

Meinem Blute nah verwandt,

Sendeſt deine blanken Wellen,

Die jetzt koſend um mich ſchwellen,

Durch der Mutter weites Reich,

Börnlein, Strom und glatter Teich,

Und an meiner Hütte gleich

Schlürf' ich dein geläutert Gut,

Und du wirſt mein eignes Blut,

Liebe Welle! heil'ge Fluth! —“

Leiſer plätſchernd ſchläft er ein,

Und das Meer wirft ſeinen Schein

Um Gebirg und Feld und Hain;

Und das Meer zieht ſeine Bahn

Um die Welt und um den Kahn.

Erde.

Der Abend, der Gärtner.


Röthliche Flöckchen ziehen

Ueber die Berge fort,

Und wie Purpurgewänder,

Und wie farbige Bänder

[86]
Flattert es hier und dort

In der ſteigenden Dämmrung Hort.
Gleich einem Königsgarten,

Den verlaſſen die Fürſtin hoch —

Nur in der Kühle ergehen

Und um die Beete ſich drehen

Flüſternd ein Paar Hoffräulein noch.
Da des Himmels Vorhang ſinkt,

Oeffnet ſich der Erde Bruſt,

Leiſe, leiſe Kräutlein trinkt,

Und entſchlummert unbewußt;

Und ſein furchtſam Wächterlein,

Würmchen mit dem grünen Schein,

Zündet an dem Glühholz ſein

Leuchtchen klein.
Der Gärtner, über die Blumen gebeugt,

Spürt an der Sohle den Thau,

Gleich vom nächſten Halme er ſtreicht

Lächelnd die Tropfen lau;

Geht noch einmal entlang den Wall,

Prüft jede Knoſpe genau und gut:

„Schlaft denn“, ſpricht er, „ihr Kindlein all,

Schlafet! ich laß euch der Mutter Hut;

Liebe Erde! mir ſind die Wimpern ſchwer,

Hab' die letzte Nacht durchwacht,

Breit wohl deinen Thaumantel um ſie her,

Nimm wohl mir die Kleinen in Acht.“
[87]

Feuer.

Die Nacht, der Hammerſchmied.


Dunkel! All Dunkel ſchwer!

Wie Rieſen ſchreiten Wolken her —

Ueber Gras und Laub

Wirbelt's wie ſchwarzer Staub;

Hier und dort ein grauer Stamm;

Am Horizont des Berges Kamm

Hält die geſpenſtige Wacht,

Sonſt Alles Nacht — Nacht — nur Nacht.
Was blitzt dort auf? — ein rother Stern —

Nun ſcheint es nah, nun wieder fern;

Schau! wie es zuckt und zuckt und ſchweift,

Wie's ringelnd gleich der Schlange pfeift.

Nun am Gemäuer glimmt es auf,

Unwillig wirft's die Aſch hinauf,

Und wirbelnd über'm Dach hervor

Die Funkenſäule ſteigt empor.
Und dort der Mann im ruß'gen Kleid,

— Sein Angeſicht iſt bleich und kalt,

Ein Bild der liſtigen Gewalt —

Wie er die Flamme dämpft und facht,

Und hält den Eiſenblock bereit!

Den ſoll ihm die gefang'ne Macht,

Die wilde hartbezähmte Glut

Zermalmen gleich in ihrer Wuth.
[88]
Schau, wie das Feuer ſich zerſplittert!

Wie's tückiſch an der Kohle knittert!

Lang aus die rothe Kralle ſtreckt

Und nach dem Kerkermeiſter reckt!

Wie's vor verhaltnem Grimme zittert:

„O, hätt' ich dich, o könnte ich

Mit meinen Klauen faſſen dich!

Ich lehrte dich den Unterſchied

Von dir zu Elementes Zier,

An deinem morſchen, ſtaub'gen Glied,

Du ruchlos Menſchenthier!
[89]

Die Schenke am See.

An Levin S. —


Iſt's nicht ein heit'rer Ort, mein junger Freund,

Das kleine Haus, das ſchier vom Hange gleitet,

Wo ſo poſſierlich uns der Wirth erſcheint,

So übermächtig ſich die Landſchaft breitet;

Wo uns ergötzt im neckiſchen Contraſt

Das Wurzelmännchen mit verſchmitzter Miene,

Das wie ein Aal ſich ſchlingt und kugelt faſt,

Im Angeſicht der ſtolzen Alpenbühne?
Sitz nieder. — Traube! — und behend erſcheint

Zopfwedelnd der geſchäftige Pigmäe;

O ſieh, wie die verletzte Beere weint

Blutige Thränen um des Reifes Nähe;

Friſch greif in die kriſtallne Schale, friſch,

Die ſaftigen Rubine glühn und locken;

Schon fühl' ich an des Herbſtes reichem Tiſch

Den kargen Winter nahn auf leiſen Socken.
Das ſind dir Hieroglyphen, junges Blut,

Und ich, ich will an deiner lieben Seite

Froh ſchlürfen meiner Neige letztes Gut.

Schau her, ſchau drüben in die Näh' und Weite;

Wie uns zur Seite ſich der Felſen bäumt,

Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen,

Wie uns zu Füßen das Gewäſſer ſchäumt,

Als könnten wir im Schwunge drüber ſtreifen!
[90]
Hörſt du das Alphorn über'm blauen See?

So klar die Luft, mich dünkt ich ſeh' den Hirten

Heimzügeln von der duftbeſäumten Höh' —

War's nicht als ob die Rinderglocken ſchwirrten?

Dort, wo die Schlucht in das Geſtein ſich drängt —

Mich dünkt ich ſeh den kecken Jäger ſchleichen;

Wenn eine Gemſe an der Klippe hängt,

Gewiß, mein Auge müßte ſie erreichen.
Trink aus! — die Alpen liegen Stundenweit,

Nur nah die Burg, uns heimiſches Gemäuer,

Wo Träume lagern langverſchollner Zeit,

Seltſame Mähr und zorn'ge Abentheuer.

Wohl ziemt es mir, in Räumen ſchwer und grau

Zu grübeln über dunkler Thaten Reſte;

Doch du, Levin, ſchauſt aus dem grimmen Bau

Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneſte.
Sieh' drunten auf dem See im Abendroth

Die Taucherente hin und wieder ſchlüpfend;

Nun ſinkt ſie nieder wie des Netzes Loth,

Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;

Seltſames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!

Wir beide ſchaun geſpannten Blickes nieder;

Du flüſterſt lächelnd: immer kömmt ſie auf —

Und ich, ich denke, immer ſinkt ſie wieder!
Noch einen Blick dem ſegensreichen Land,

Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauſchen,

Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand

Freundliche Augen unſerm Pfade lauſchen;

[91]
Brich auf! — da haſpelt in behendem Lauf

Das Wirthlein Abſchied wedelnd uns entgegen:

„ — Geruh'ge Nacht — ſtehn's nit zu zeitig auf! — “

Das iſt der luſt'gen Schwaben Abendſegen.
[92]

Am Thurme.

Ich ſteh' auf hohem Balkone am Thurm,

Umſtrichen vom ſchreienden Staare,

Und laß' gleich einer Mänade den Sturm

Mir wühlen im flatternden Haare;

O wilder Geſelle, o toller Fant,

Ich möchte dich kräftig umſchlingen,

Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand

Auf Tod und Leben dann ringen!
Und drunten ſeh' ich am Strand, ſo friſch

Wie ſpielende Doggen, die Wellen

Sich tummeln rings mit Geklaff und Geziſch,

Und glänzende Flocken ſchnellen.

O, ſpringen möcht' ich hinein alsbald,

Recht in die tobende Meute,

Und jagen durch den korallenen Wald

Das Wallroß, die luſtige Beute!
Und drüben ſeh' ich ein Wimpel wehn

So keck wie eine Standarte,

Seh auf und nieder den Kiel ſich drehn

Von meiner luftigen Warte;

O, ſitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,

Das Steuerruder ergreifen,

Und ziſchend über das brandende Riff

Wie eine Seemöve ſtreifen.
[93]
War ich ein Jäger auf freier Flur,

Ein Stück nur von einem Soldaten,

Wär ich ein Mann doch mindeſtens nur,

So würde der Himmel mir rathen;

Nun muß ich ſitzen ſo fein und klar,

Gleich einem artigen Kinde,

Und darf nur heimlich löſen mein Haar,

Und laſſen es flattern im Winde!
[94]

Das öde Haus.

Tiefab im Tobel liegt ein Haus,

Zerfallen nach des Förſters Tode,

Dort ruh' ich manche Stunde aus,

Vergraben unter Rank' und Lode;

'S iſt eine Wildniß, wo der Tag

Nur halb die ſchweren Wimpern lichtet;

Der Felſen tiefe Kluft verdichtet

Ergrauter Aeſte Schattenhaag.
Ich horche träumend, wie im Spalt

Die ſchwarzen Fliegen taumelnd ſummen,

Wie Seufzer ſtreifen durch den Wald,

Am Strauche irre Käfer brummen;

Wenn ſich die Abendröthe drängt

An ſickernden Geſchiefers Lauge,

Dann iſt's als ob ein trübes Auge,

Ein rothgeweintes drüber hängt.
Wo an zerrißner Laube Joch

Die langen magern Schoßen ſtreichen,

An wildverwachſ'ner Hecke noch

Im Mooſe Nelkenſproſſen ſchleichen,

Dort hat vom tröpfelnden Geſtein

Das dunkle Naß ſich durchgeſogen,

Kreucht um den Buchs in trägen Bogen,

Und ſinkt am Fenchelſtrauche ein.
[95]
Das Dach, von Mooſe überſchwellt,

Läßt wirre Schober niederragen,

Und eine Spinne hat ihr Zelt

Im Fenſterloche aufgeſchlagen;

Da hängt, ein Blatt von zartem Flor,

Der ſchillernden Libelle Flügel,

Und ihres Panzers goldner Spiegel

Ragt kopflos am Geſims hervor.
Zuweilen hat ein Schmetterling

Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen,

Und bleibt ſekundenlang am Ring

Der kränkelnden Narziſſe hangen;

Streicht eine Taube durch den Hain,

So ſchweigt am Tobelrand ihr Girren,

Man höret nur die Flügel ſchwirren

Und ſieht den Schatten am Geſtein.
Und auf dem Heerde, wo der Schnee

Seit Jahren durch den Schlot geflogen,

Liegt Aſchenmoder feucht und zäh,

Von Pilzes Glocken überzogen;

Noch hängt am Mauerpflock ein Reſt

Verwirrten Wergs, das Seil zu ſpinnen,

Wie halbvermorſchtes Haar und drinnen

Der Schwalbe überjährig Neſt.
Und von des Balkens Haken nikt

Ein Schellenband an Schnall' und Riemen,

Mit grober Wolle iſt geſtickt

„Diana“ auf dem Lederſtriemen;

[96]
Ein Pfeifchen auch vergaß man hier,

Als man den Tannenſarg geſchloſſen;

Den Mann begrub man, todt geſchoſſen

Hat man das alte treue Thier.
Sitz ich ſo einſam am Geſträuch

Und hör' die Maus im Laube ſchrillen,

Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig,

Am Sumpfe läuten Unk' und Grillen —

Wie Schauer überläufts mich dann,

Als hör' ich klingeln noch die Schellen,

Im Walde die Diana bellen

Und pfeifen noch den todten Mann.
[97]

Im Mooſe.

Als jüngſt die Nacht dem ſonnenmüden Land

Der Dämmrung leiſe Boten hat geſandt,

Da lag ich einſam noch in Waldes Mooſe.

Die dunklen Zweige nickten ſo vertraut,

An meiner Wange flüſterte das Kraut,

Unſichtbar duftete die Haideroſe.
Und flimmern ſah ich, durch der Linde Raum,

Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum

Gleich einem mächt'gen Glühwurm ſchien zu tragen.

Es ſah ſo dämmernd wie ein Traumgeſicht,

Doch wuſte ich, es war der Heimath Licht,

In meiner eignen Kammer angeſchlagen.
Ringsum ſo ſtill, daß ich vernahm im Laub

Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub

Mich leiſe wirbelnd Blätterflöckchen trafen.

Ich lag und dachte, ach ſo Manchem nach,

Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,

Faſt war es mir als ſey ich ſchon entſchlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,

Das Kinderſpiel, der friſchen Jahre Lauf,

Geſichter, die mir lange fremd geworden;

Vergeßne Töne ſummten um mein Ohr,

Und endlich trat die Gegenwart hervor,

Da ſtand die Welle, wie an Ufers Borden.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 7[98]
Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,

Und drüben wieder ſprudelt aus dem Grund,

So ſtand ich plötzlich in der Zukunft Lande;

Ich ſah mich ſelber, gar gebückt und klein,

Geſchwächten Auges, am ererbten Schrein

Sorgfältig ordnen ſtaub'ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben ſah ich klar,

In einer Tracht, die jetzt veraltet war,

Mich ſorgſam löſen aus verblichnen Hüllen,

Löckchen, vermorſcht, zu Staub zerfallen ſchier,

Sah über die gefurchte Wange mir

Langſam herab die karge Thräne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,

Dran Namen ſtanden die mein Lieben kennt,

Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,

Und — horch, die Wachtel ſchlug! Kühl ſtrich der Hauch —

Und noch zuletzt ſah ich, gleich einem Rauch,

Mich leiſe in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und ſchüttelte mich dann,

Wie Einer, der dem Scheintod erſt entrann,

Und taumelte entlang die dunklen Haage,

Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain

Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein,

Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.
[99]

Am Bodenſee.

Ueber Gelände, matt gedehnt,

Hat Nebelhauch ſich wimmelnd gelegt,

Müde, müde die Luft am Strande ſtöhnt,

Wie ein Roß, das den ſchlafenden Reiter trägt;

Im Fiſcherhauſe kein Lämpchen brennt,

Im öden Thurme kein Heimchen ſchrillt,

Nur langſam rollend der Pulsſchlag ſchwillt

In dem zitternden Element.
Ich hör' es wühlen am feuchten Strand,

Mir unter'm Fuße es wühlen fort,

Die Kieſel kniſtern, es rauſcht der Sand,

Und Stein an Stein entbröckelt dem Bord.

An meiner Sohle zerfährt der Schaum,

Eine Stimme klaget im hohlen Grund,

Gedämpft, mit halbgeſchloſſenem Mund,

Wie des grollenden Wetters Traum.
Ich beuge mich lauſchend am Thurme her,

Sprühregenflitter fährt in die Höh',

Ha, meine Locke iſt feucht und ſchwer!

Was treibſt du denn, unruhiger See?

Kann dir der heilige Schlaf nicht nahn?

Doch nein, du ſchläfſt, ich ſeh' es genau,

Dein Auge decket die Wimper grau,

Am Ufer ſchlummert der Kahn.
[100]
Haſt du ſo Vieles, ſo Vieles erlebt,

Daß dir im Traume es kehren muß,

Daß deine gleißende Nerv' erbebt,

Naht ihr am Strand eines Menſchen Fuß?

Dahin, dahin! die einſt ſo geſund,

So reich und mächtig, ſo arm und klein,

Und nur ihr flüchtiger Spiegelſchein

Liegt zerfloſſen auf deinem Grund.
Der Ritter, ſo aus der Burg hervor

Vom Hange trabte in aller Früh;

— Jetzt nickt die Eſche vom grauen Thor,

Am Zwinger zeichnet die Mylady. —

Das arme Mütterlein, das gebleicht

Sein Leichenhemde den Strand entlang,

Der Kranke, der ſeinen letzten Gang

An deinem Borde gekeucht;
Das ſpielende Kind, das neckend hier

Sein Schneckenhäuschen geſchleudert hat,

Die glühende Braut, die lächelnd dir

Von der Ringelblume gab Blatt um Blatt;

Der Sänger, der mit trunkenem Aug'

Das Metrum geplätſchert in deiner Flut,

Der Pilger, ſo am Geſteine geruht,

Sie Alle dahin wie Rauch!
Biſt du ſo fromm, alte Waſſerfey,

Hältſt nur umſchlungen, läßt nimmer los?

Hat ſich aus dem Gebirge die Treu'

Geflüchtet in deinen heiligen Schoos?

[101]
O, ſchau mich an! ich zergeh' wie Schaum,

Wenn aus dem Grabe die Diſtel quillt,

Dann zuckt mein längſt zerfallenes Bild

Wohl einmal durch deinen Traum!
[102]

Das alte Schloß.

Auf der Burg hauſ' ich am Berge,

Unter mir der blaue See,

Höre nächtlich Koboldzwerge,

Täglich Adler aus der Höh',

Und die grauen Ahnenbilder

Sind mir Stubenkameraden,

Wappentruh' und Eiſenſchilder

Sopha mir und Kleiderladen.
Schreit' ich über die Terraſſe

Wie ein Geiſt am Runenſtein,

Sehe unter mir die blaſſe

Alte Stadt im Mondenſchein,

Und am Walle pfeift es weidlich,

— Sind es Käuze oder Knaben? —

Iſt mir ſelber oft nicht deutlich,

Ob ich lebend, ob begraben!
Mir genüber gähnt die Halle,

Grauen Thores, hohl und lang,

Drin mit wunderlichem Schalle

Langſam dröhnt ein ſchwerer Gang;

Mir zur Seite Riegelzüge,

Ha, ich öffne, laß die Lampe

Scheinen auf der Wendelſtiege

Loſe modergrüne Rampe,
[103]
Die mich lockt wie ein Verhängniß,

Zu dem unbekannten Grund;

Ob ein Brunnen? ob Gefängniß?

Keinem Lebenden iſt's kund;

Denn zerfallen ſind die Stufen,

Und der Steinwurf hat nicht Bahn,

Doch als ich hinab gerufen,

Donnert's fort wie ein Orkan.
Ja, wird mir nicht baldigſt fade

Dieſes Schloſſes Romantik,

In den Trümmern, ohne Gnade,

Brech' ich Glieder und Genick;

Denn, wie trotzig ſich die Düne

Mag am flachen Strande heben,

Fühl' ich ſtark mich wie ein Hüne,

Von Zerfallendem umgeben.
[104]

Der Säntis.*

Frühling.

Die Rebe blüht, ihr linder Hauch

Durchzieht das thauige Revier,

Und nah' und ferne wiegt die Luft

Vielfarb'ger Blumen bunte Zier.
Wie's um mich gaukelt, wie es ſummt

Von Vogel, Bien' und Schmetterling,

Wie ſeine ſeidnen Wimpel regt

Der Zweig, ſo jüngſt voll Reifen hing.
Noch ſucht man gern den Sonnenſchein

Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;

Denn Nachts ſchleicht an die Gränze doch

Der landesflücht'ge Winter noch.
O du mein ernſt gewalt'ger Greis,

Mein Säntis mit der Locke weiß!

In Felſenblöcke eingemauert,

Von Schneegeſtöber überſchauert,

In Eiſespanzer eingeſchnürt:

Hu! wie dich ſchaudert, wie dich friert!
[105]

Sommer.

Du gute Linde, ſchüttle dich!

Ein wenig Luft, ein ſchwacher Weſt!

Wo nicht, dann ſchließe dein Gezweig

So recht, daß Blatt an Blatt ſich preßt.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;

Allein die bunte Fliegenbrut

Summt auf und nieder über'n Rain

Und läßt ſich röſten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles Laub

Erſcheint verdickt und athmet Staub.

Ich liege hier wie ausgedorrt

Und ſcheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg' ich doch

Dort, — grad' an deinem Felſenjoch,

Wo ſich die kalten, weißen Decken

So friſch und ſaftig drüben ſtrecken,

Viel tauſend blanker Tropfen Spiel;

Glückſel'ger Säntis, dir iſt kühl!
[106]

Herbſt.

Wenn ich an einem ſchönen Tag

Der Mittagsſtunde habe Acht,

Und lehne unter meinem Baum

So mitten in der Trauben Pracht:
Wenn die Zeitloſe über's Thal

Den amethyſtnen Teppich webt,

Auf dem der letzte Schmetterling

So ſchillernd wie der frühſte bebt:
Dann denk' ich wenig drüber nach,

Wie's nun verkümmert Tag für Tag,

Und kann mit halbverſchloſſnem Blick

Vom Lenze träumen und von Glück.
Du mit dem friſchgefall'nen Schnee,

Du thuſt mir in den Augen weh!

Willſt uns den Winter ſchon bereiten:

Von Schlucht zu Schlucht ſieht man ihn gleiten,

Und bald, bald wälzt er ſich herab

Von dir, o Säntis! ödes Grab!
[107]

Winter.

Aus Schneegeſtäub' und Nebelqualm

Bricht endlich doch ein klarer Tag;

Da fliegen alle Fenſter auf,

Ein Jeder ſpäht, was er vermag.
Ob jene Blöcke Häuſer ſind?

Ein Weiher jener ebne Raum?

Fürwahr, in dieſer Uniform

Den Glockenthurm erkennt man kaum;
Und alles Leben liegt zerdrückt,

Wie unterm Leichentuch erſtickt.

Doch ſchau! an Horizontes Rand

Begegnet mir lebend'ges Land.
Du ſtarrer Wächter, laſſ' ihn los

Den Föhn aus deiner Kerker Schooß!

Wo ſchwärzlich jene Riffe ſpalten,

Da muß er Quarantaine halten,

Der Fremdling aus der Lombardei;

O Säntis, gib den Thauwind frei!
[108]

Am Weiher.

Ein milder Wintertag.

An jenes Waldes Enden,

Wo ſtill der Weiher liegt

Und längs den Fichtenwänden

Sich lind Gemurmel wiegt:
Wo in der Sonnenhelle,

So matt und kalt ſie iſt,

Doch immerfort die Welle

Das Ufer flimmernd küßt:
Da weiß ich, ſchön zum Malen,

Noch eine ſchmale Schlucht,

Wo all' die kleinen Strahlen

Sich fangen in der Bucht;
Ein trocken, windſtill Eckchen,

Und ſo an Grüne reich,

Daß auf dem ganzen Fleckchen

Mich kränkt kein dürrer Zweig.
Will ich den Mantel dichte

Nun legen über's Moos,

Mich lehnen an die Fichte,

Und dann auf meinen Schooß
[109]
Gezweig' und Kräuter breiten,

So gut ich's finden mag:

Wer will mir's übel deuten,

Spiel' ich den Sommertag?
Will nicht die Grille hallen,

So ſäuſelt doch das Ried;

Sind ſtumm die Nachtigallen,

So ſing' ich ſelbſt ein Lied.
Und hat Natur zum Feſte

Nur wenig dargebracht:

Die Luſt iſt ſtets die beſte,

Die man ſich ſelber macht.

Ein harter Wintertag.

Daß ich dich ſo verkümmert ſeh',

Mein lieb' lebend'ges Waſſerreich,

Daß ganz verſteckt in Eis und Schnee

Du ſiehſt der plumpen Erde gleich;
Auch daß voll Reif und Schollen hängt

Dein überglaſ'ter Fichtengang:

Das iſt es nicht, was mich beengt,

Geh' ich an deinem Bord entlang.
[110]
Zwar in der immer grünen Zier

Erſchienſt, o freundlich Element,

Du ähnlich den Oaſen mir,

Die des Arabers Sehnſucht kennt;
Wenn neben der verdorrten Flur

Erblühten deine Mooſe noch,

Wenn durch die ſchweigende Natur

Erklangen deine Wellen doch.
Allein auch heute wollt' ich gern

Mich des kryſtallnen Flimmers freun,

Belauſchen jeden Farbenſtern

Und keinen Sommertag bereun:
Wär' nicht dem Ufer längs, ſo breit,

Die glatte Schlittenbahn gefegt,

Worauf ſich wohl zur Mittagszeit

Gar manche rüſt'ge Ferſe regt.
Bedenk' ich nun, wie manches Jahr

Ich nimmer eine Eisbahn ſah:

Wohl wird mir's trüb' und wunderbar,

Und tauſend Bilder treten nah.
Was blieb an Wünſchen unerfüllt,

Das nähm' ich noch gelaſſen mit:

Doch ach, der Froſt ſo manchen hüllt,

Der einſt ſo fröhlich drüber glitt!
[111]

Fragment.

Savoyen, Land beſchnei'ter Höh'n,

Wer hat dein kräftig Bild geſeh'n,

Wer trat in deiner Wälder Nacht,

Sah auf zu deiner Wipfel Pracht,

Wer ſtand an deinem Waſſerfall,

Wer lauſchte deiner Ströme Hall,

Und nannte dich nicht ſchön?

Du Land des Volks, dem Reiche weihen

Ruhmvoll den Namen des getreuen,

Biſt herrlich, wenn der Frühlingsſturm

Die Berggewäſſer ſchäumend führt,

Und deiner Fichte ſchlanker Thurm

Sich mit der jungen Nadel ziert;

Biſt reizend, wenn die Sommerglut

Erzittert um den Mandelbaum;

Doch in des Herbſtes goldner Flut

Du ruhſt gleich dunkeln Auges Traum.

Dann treibt der Wind kein raſſelnd Laub

Durch brauner Haiden Wirbelſtaub;

Wie halb bezwungne Seufzer wallen,

Nur leiſ' die zarten Nadeln fallen,

Als wagten ſie zu flüſtern kaum.
Der Tag bricht an; noch einſam ſteht

Das Sonnenrund am Firmament;

Am Strahl, der auf und nieder ſtreicht,

[112]
Gemach der Erdbeerbaum entbrennt;

Noch will das Genzian nicht wagen

Die dunkeln Wimpern aufzuſchlagen;

Noch ſchläft die Luft im Nebeldicht.

Welch' greller Schrei die Stille bricht?

Der Auerhahn begrüßt das Licht;

Er ſchaukelt, wiegt ſich, macht ſich breit,

Er putzt ſein ſtattlich Federkleid,

Und langſam ſtreckt ihr ſtumpf Geſicht

Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:

Das Leben, Leben iſt erwacht;

Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,

Schneehühner flattern aus der Kluft;

Die Fichten ſelbſt, daß keiner ſäume,

Erzählen flüſternd ſich die Träume.

Und durch Remi geht überall

Ein dumpf Gemurr von Stall zu Stall.
[[113]]

Gedichte
vermiſchten Inhalts.

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 8[[114]][[115]]

Mein Beruf.

„Was meinem Kreiſe mich enttrieb,

Der Kammer friedlichem Gelaſſe?“

Das fragt ihr mich als ſey, ein Dieb,

Ich eingebrochen am Parnaſſe.

So hört denn, hört, weil ihr gefragt:

Bei der Geburt bin ich geladen,

Mein Recht ſoweit der Himmel tagt,

Und meine Macht von Gottes Gnaden.
Jetzt wo hervor der todte Schein

Sich drängt am modervollen Stumpfe,

Wo ſich der ſchönſte Blumenrain

Wiegt über dem erſtorbnen Sumpfe,

Der Geiſt, ein blutlos Meteor,

Entflammt und liſcht im Moorgeſchwehle,

Jetzt ruft die Stunde: „tritt hervor,

Mann oder Weib, lebend'ge Seele!
„Tritt zu dem Träumer, den am Rand

Entſchläfert der Datura Odem,

Der, langſam gleitend von der Wand,

Noch zucket gen den Zauberbrodem.

[116]
Und wo ein Mund zu lächeln weiß

Im Traum, ein Auge noch zu weinen,

Da ſchmettre laut, da flüſtre leis,

Trompetenſtoß und Weſt in Hainen!
„Tritt näher, wo die Sinnenluſt

Als Liebe giebt ihr wüſtes Ringen,

Und durch der eignen Mutter Bruſt

Den Pfeil zum Ziele möchte bringen,

Wo ſelbſt die Schande flattert auf,

Ein luſtiges Panier zum Siege,

Da rüttle hart: „wach auf, wach auf,

Unſel'ger, denk an deine Wiege!“
„Denk an das Aug', das überwacht

Noch eine Freude dir bereitet,

Denk an die Hand, die manche Nacht

Dein Schmerzenslager dir gebreitet,

Des Herzens denk, das einzig wund

Und einzig ſelig deinetwegen,

Und dann knie nieder auf den Grund

Und fleh' um deiner Mutter Segen!“
„Und wo ſich träumen wie in Haft

Zwei einſt ſo glüh erſehnte Weſen,

Als hab' ein Prieſterwort die Kraft

Der Banne ſeligſten zu löſen,

Da flüſtre leiſe: „wacht, o wacht!

Schaut in das Auge euch, das trübe,

Wo dämmernd ſich Erinnrung facht,

Und dann: wach auf, o heil'ge Liebe!“
[117]
„Und wo im Schlafe zitternd noch

Vom Opiat die Pulſe klopfen,

Das Auge dürr, und gäbe doch

Sein Sonnenlicht um einen Tropfen, —

O, rüttle ſanft! „Verarmter, ſenk'

Die Blicke in des Aethers Schöne,

Koſ' einem blonden Kind und denk'

An der Begeiſtrung erſte Thräne.“
So rief die Zeit, ſo ward mein Amt

Von Gottes Gnaden mir gegeben,

So mein Beruf mir angeſtammt,

Im friſchen Muth, im warmen Leben;

Ich frage nicht ob ihr mich nennt,

Nicht fröhnen mag ich kurzem Ruhme,

Doch wißt: wo die Sahara brennt,

Im Wüſtenſand, ſteht eine Blume,
Farblos und Duftes baar, nichts weiß

Sie als den frommen Thau zu hüten,

Und dem Verſchmachtenden ihn leis

In ihrem Kelche anzubieten.

Vorüber ſchlüpft die Schlange ſcheu

Und Pfeile ihre Blicke regnen,

Vorüber rauſcht der ſtolze Leu,

Allein der Pilger wird ſie ſegnen.
[118]

Meine Todten.

Wer eine ernſte Fahrt beginnt,

Die Muth bedarf und friſchen Wind,

Er ſchaut verlangend in die Weite

Nach eines treuen Auges Brand,

Nach einem warmen Druck der Hand,

Nach einem Wort, das ihn geleite.
Ein ernſtes Wagen heb' ich an,

So tret' ich denn zu euch hinan,

Ihr meine ſtillen ſtrengen Todten;

Ich bin erwacht an eurer Gruft,

Aus Waſſer, Feuer, Erde, Luft,

Hat eure Stimme mir geboten.
Wenn die Natur in Hader lag,

Und durch die Wolkenwirbel brach

Ein Funke jener tauſend Sonnen, —

Sprecht aus der Elemente Streit

Ihr nicht von einer Ewigkeit

Und unerſchöpften Lichtes Bronnen?
Am Hange ſchlich ich, krank und matt,

Da habt ihr mir das welke Blatt

Mit Warnungsflüſtern zugetragen,

Gelächelt aus der Welle Kreis,

Habt aus des Angers ſtarrem Eis

Die Blumenaugen aufgeſchlagen.
[119]
Was meine Adern muß durchziehn,

Sah ich's nicht flammen und verglühn,

An eurem Schreine nicht erkalten?

Vom Auge hauchtet ihr den Schein,

Ihr meine Richter, die allein

In treuer Hand die Wage halten.
Kalt iſt der Druck von eurer Hand,

Erloſchen eures Blickes Brand,

Und euer Laut der Oede Odem,

Doch keine andre Rechte drückt

So traut, ſo hat kein Aug' geblickt,

So ſpricht kein Wort, wie Grabesbrodem!
Ich faſſe eures Kreuzes Stab,

Und beuge meine Stirn hinab

Zu eurem Gräſerhauch, dem ſtillen,

Zumeiſt geliebt, zuerſt gegrüßt,

Laßt, lauter wie der Aether fließt,

Mir Wahrheit in die Seele quillen.
[120]

Katharine Schücking.

Du haſt es nie geahndet, nie gewußt,

Wie groß mein Lieben iſt zu dir geweſen,

Nie hat dein klares Aug' in meiner Bruſt

Die ſcheu verhüllte Runenſchrift geleſen,

Wenn du mir freundlich reichteſt deine Hand,

Und wir zuſammen durch die Grüne wallten,

Nicht wußteſt du, daß wie ein Götterpfand

Ich, wie ein köſtlich Kleinod ſie gehalten.
Du ſahſt mich nicht als ich, ein heftig Kind,

Vom erſten Kuß der jungen Muſe trunken,

Im Garten kniete, wo die Quelle rinnt,

Und weinend in die Gräſer bin geſunken;

Als zitternd ich gedreht der Thüre Schloß,

Da ich zum erſten Mal dich ſollte ſchauen,

Weſtphalens Dichterin, und wie da floß

Durch mein bewegtes Herz ein ſelig Grauen.
Sehr jung war ich und ſehr an Liebe reich,

Begeiſterung der Hauch von dem ich lebte;

Ach! Manches iſt zerſtäubt, der Aſche gleich,

Was einſt als Flamme durch die Adern bebte!

Mein Blick war klar und mein Erkennen ſtark,

Von ſeinem Throne mußte Manches ſteigen,

Und was ich einſt genannt des Lebens Mark,

Das fühlt' ich jetzt mit friſchem Stolz mein eigen.
[121]
So ſcheut' ich es, als fromme Schülerin,

Dir wieder in das dunkle Aug' zu ſehen,

Ich wollte nicht vor meiner Meiſterin

Hochmüthig, mit bedecktem Haupte, ſtehen.

Auch war ich krank, mein Sinnen ſehr verwirrt,

Und keinen Namen mocht' ich ſehnend nennen;

Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt,

Du drangſt zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich trateſt, feſt und klar,

Und blickteſt tief mir in der Seele Gründe,

Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr,

Was ich gedacht, das ſchien mir ſchwere Sünde.

Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand,

Stieg wie ein Phönix aus der Aſche wieder,

Und tief im Herzen hab' ich es erkannt,

Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du ſahſt, Beſcheid'ne, nicht, daß damals hier

Aus deinem Blick Geneſung ich getrunken,

Daß deines Mundes Laute damals mir

Wie Naphtha in die Seele ſind geſunken.

Ein jedes Wort, durchſichtig wie Kryſtall

Und kräftig gleich dem edelſten der Weine,

Schien mir zu rufen: „Auf! der Launen Ball,

Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!“
Nun biſt du hin! von Gottes reinſtem Bild

Iſt nur ein grüner Hügel uns geblieben,

Den heut' umziehn die Winterſtürme wild

Und die Gedanken derer, die dich lieben.

[122]
Auch hör' ich, daß man einen Kranz gelegt

Von Lorbeer in des Grabes dunkle Mooſe,

Doch ich, Cathinka, widme dir bewegt

Den Epheu und die dornenvollſte Roſe.
[123]

Nach dem Angelus Sileſius.

Des Menſchen Seele du, vor Allem wunderbar,

Du Alles und auch Nichts, Gott, Prieſter und Altar,

Kein Pünktchen durch dich ſelbſt, doch über alles Maaß

Reich in geſchenktem Gut, und als die Engel baß;

Denn höher ſteht dein Ziel, Gott ähnlich ſollſt du werden;

So, Seele, biſt du's ſchon; denn was zu Glück und Ruhm

In dir verborgen liegt, es iſt dein Eigenthum,

Ob unentwickelt auch, wie's Keimlein in der Erden

Nicht minder als der Baum, und wie als Million

Nichts Andres iſt die Eins, biſt du ihm gleich, ſein Sohn,

So wie dem Tropfen Blut, der aus der Wunde quillt

Ganz ähnlich iſt das Roth, das noch die Adern füllt;

Nicht Kletten trägt die Roſ', der Dornſtrauch keine Reben,

Drum, Seele, ſtürbeſt du, Gott müßt den Geiſt aufgeben.
Ja, Alles iſt in dir was nur das Weltall beut,

Der Himmel und die Höll', Gericht und Ewigkeit,

Gott iſt dein Richter nicht, du mußt dir ſelbſt verzeihn,

Sonſt an des Höchſten Thron ſtehſt du in ew'ger Pein;

Er, der dem Suchenden noch nie verlöſcht die Spur,

Er hat ſelbſt Satan nicht verdammt nach Zeit und Ort;

Deß unergründlich Grab iſt ſeine Ichheit nur:

Wär er des Himmels Herr, er brennte ewig fort,

Wie Gott im Höllenpfuhl wär ſelig für und für,

Und, Seele, biſt du treu, ſo ſteht dies auch bei dir.
[124]
Alſo iſt deine Macht auch heute ſchon dein eigen,

Du kannſt, ſo oft du willſt, die Himmelsleiter ſteigen;

Ort, Raum, ſind Worte nur von Trägheit ausgedacht,

Die nicht Bedürfniß in dein Wörterbuch gebracht.

Dein Aug' iſt Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit,

Und im Moment ergreifſt du Gott und Ewigkeit;

Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen,

Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen;

Nur Geiſt'ges faßt der Geiſt, ihm iſt der Leib zu ſchwer,

Du ſchmeckſt, du fühlſt, du riechſt, und weißt um gar nichts

mehr;

Hat nicht vom Tröpfchen Thau die Eigenſchaft zu meſſen

Jahrtauſende der Menſch vergebens ſich vermeſſen?

Drum, plagt dich Irdiſches, du haſt es ſelbſt beſtellt,

Viel näher als dein Kleid iſt dir die Geiſterwelt!
Faßt's nicht zuweilen dich, als müßteſt in der That

Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen,

Wie jener Philoſoph um einen Punkt nur bat,

Um dann der Erde Ball aus ſeiner Bahn zu ſchwingen?

Fühlſt du in Demuth ſo, in Liebesflammen rein,

Dann iſt's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide ſeyn!

Dann fühlſt du dich von Gott als Weſenheit begründet,

Wie Quelle an dem Strand, wo Ocean ſich ründet.
So ſey denn freudig, Geiſt, da Nichts mag größer ſeyn,

So wirf dich in den Staub, da Nichts wie du ſo klein!

Du Würmchen in dir ſelbſt, doch reich durch Gottes Hort,

So ſchlummre, ſchlummre nur, mein Seelchen, ſchlummre

fort!

[125]
Was rennſt, was mühſt du dich zu mehren deine That?

Halt nur den Acker rein, dann ſprießt von ſelbſt die Saat;

In Ruhe wohnt die Kraft, du mußt nur ruhig ſeyn,

Durch offne Thür und Thor die Gnade laſſen ein;

Dann wird aus lockerm, Grund dir Myrth' und Balſam ſteigen,

Er kömmt, er kömmt, dein Lieb, giebt ſich der Braut zu eigen,

Mit ſich der Krone Glanz, mit ſich der Schlöſſer Pracht,

Um die ſie nicht gefreit, an die ſie nicht gedacht!
[126]

Gruß an Wilhelm Junkmann.

Mein Lämpchen zuckt, ſein Docht verglimmt,

Die Funken kniſtern im Kamine,

Wie eine Nebeldecke ſchwimmt

Es an des Saales hoher Bühne;

Im Schneegeſtöber ſchläft die Luft,

Am Scheite iſt das Harz entglommen,

Mich dünkt, als ſpür' ich einen Duft

Wie Weihrauch an der Gruft des Frommen.
Dies iſt die Stunde, das Gemach,

Wo ſich Gedanken mögen wiegen,

Verklungne Laute hallen nach,

Es dämmert in verloſchnen Zügen;

Im Hirne ſummt es, wie ein Lied

Das mit den Flocken möchte ſteigen,

Und, flüſternd wie der Hauch im Ried,

An eines Freundes Locke neigen.
Schon ſeh ich ihn, im gelben Licht,

Das ſeines Ofens Flamme ſpielet,

Er ſelbſt ein wunderlich Gedicht,

Begriffen ſchwer, doch leicht gefühlet.

Ich ſeh ihn, wie, die Stirn geſtützt,

Er leiſe lächelt in Gedanken;

Wo weilen ſie? wo blühen itzt

Und treiben dieſe zarten Ranken?
[127]
Baun ſie im ſchlichten Haidekraut

Ihr Neſtchen ſich aus Immortellen?

Sind mit der Flocke ſie gethaut

Als Thräne, wo die Gräber ſchwellen?

Vielleicht in fernes fernes Land

Wie Nachtigallen fortgezogen,

Oder am heiligen Meeresſtrand,

Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeiſtrung, ein Orkan,

Des Lebens Cedern nicht gebeuget,

Nicht ſah er ſie als Flamme nahn,

Die lodernd durch den Urwald ſteiget;

Nein, als entſchlief der Morgenwind,

Am Strauche ſummten fromme Bienen,

Da iſt der Herr im Säuſeln lind

Gleich dem Elias ihm erſchienen.
Und wie er ſitzt, ſo vorgebeugt,

Die hohe Stirn vom Schein umfloſſen,

Das Ohr wie fremden Tönen neigt,

Und lächelt geiſtigen Genoſſen,

Ein lichter Blitz in ſeinem Aug',

Wie ein verirrter Stral aus Eden,

Da möcht' ich leiſe, leiſe auch

Als Aeolsharfe zu ihm reden.
[128]

Junge Liebe.

Ueber dem Brünnlein nicket der Zweig,

Waldvögel zwitſchern und flöten,

Wild Anemon' und Schlehdorn bleich

Im Abendſtrale ſich röthen,

Und ein Mädchen mit blondem Haar

Beugt über der glitzernden Welle,

Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr,

Mit dem Auge der ſcheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert ſie ab:

„Liebt er, liebt er mich nimmer?“

Und wenn „liebt“ das Orakel gab,

Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer:

„Liebt er nicht“ — o Grimm und Graus!

Daß der Himmel den Blüten gnade!

Gras und Blumen, den ganzen Strauß,

Wirft ſie zürnend in die Cascade.
Gleitet dann in die Kräuter lind,

Ihr Auge wird ernſt und ſinnend;

Frommer Eltern heftiges Kind,

Nur Minne nehmend und minnend,

Kannte ſie nie ein anderes Band

Als des Blutes, die ſchüchterne Hinde;

Und nun Einer, der nicht verwandt —

Iſt das nicht eine ſchwere Sünde?
[129]
Muthlos ſeufzet ſie niederwärts,

In argem Schämen und Grämen,

Will zuletzt ihr verſtocktes Herz

Recht ernſtlich in Frage nehmen.

Abentheuer ſinnet ſie aus:

Wenn das Haus nun ſtände in Flammen,

Und um Hülfe riefen heraus

Der Carl und die Mutter zuſammen?
Plötzlich ein Perlenregen dicht

Stürzt ihr glänzend aus beiden Augen,

In die Kräuter gedrückt ihr Geſicht,

Wie das Blut der Erde zu ſaugen,

Ruft ſie ſchluchzend: „ja, ja, ja!“

Ihre kleinen Hände ſich ringen,

„Retten, retten würd' ich Mama,

Und zum Carl in die Flamme ſpringen!“
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 9[130]

Das vierzehnjährige Herz.

Er iſt ſo ſchön! — ſein lichtes Haar

Das möcht' ich mit Keinem vertauſchen,

Wie ſeidene Fäden ſo weich und klar,

Wenn zarte Löckchen ſich bauſchen;

Oft ſtreichl' ich es, dann lacht er traun,

Nennt mich „ſeine alberne Barbe“;

Es iſt nicht ſchwarz, nicht blond, nicht braun,

Nun rathet, wie nennt ſich die Farbe?
Und ſeine Geberde iſt königlich,

Geht majeſtätiſch zu Herzen,

Zuckt er die Braue, dann fürcht' ich mich,

Und möchte auch weinen vor Schmerzen;

Und wieder ſeh' ich ſein Lächeln blühn,

So klar wie das reine Gewiſſen,

Da möchte ich gleich auf den Schemel knien,

Und die guten Hände ihm küſſen.
Heut' bin ich in aller Frühe erwacht,

Beim erſten Glitzern der Sonnen,

Und habe mich gleich auf die Sohlen gemacht,

Zum Hügel drüben am Bronnen;

Erdbeeren fand ich, glüh wie Rubin,

Schau, wie im Korbe ſie lachen!

Die ſtell ich ihm nun an das Lager hin,

Da ſieht er ſie gleich beim Erwachen.
[131]
Ich weiß, er denkt mit dem erſten Blick,

„Das that meine alberne Barbe!“

Und freundlich ſtreicht er das Haar zurück

Von ſeiner rühmlichen Narbe,

Ruft mich bei Namen, und zieht mich nah,

Daß Thränen die Augen mir trüben;

Ach, er iſt mein herrlicher Vater ja,

Soll ich ihn denn nicht lieben, nicht lieben!
[132]

Brennende Liebe.*

Und willſt du wiſſen, warum

So ſinnend ich manche Zeit,

Mitunter ſo thöricht und dumm,

So unverzeihlich zerſtreut,

Willſt wiſſen auch ohne Gnade,

Was denn ſo Liebes enthält

Die heimlich verſchloſſene Lade,

An die ich mich öfters geſtellt?
Zwei Augen hab' ich geſehn,

Wie der Strahl im Gewäſſer ſich bricht,

Und wo zwei Augen nur ſtehn,

Da denke ich an ihr Licht.

Ja, als du neulich entwandteſt

Die Blume vom blühenden Rain,

Und »Oculus Christi« ſie nannteſt,

Da fielen die Augen mir ein.
Auch giebt's einer Stimme Ton,

Tief, zitternd, wie Hornes Hall,

Die thut's mir völlig zum Hohn,

Sie folget mir überall.

Als jüngſt im flimmernden Saale

Mich quälte der Geigen Gegell,

Da hört ich mit einem Male

Die Stimme im Violoncell.
[133]
Auch weiß ich eine Geſtalt,

So leicht und kräftig zugleich,

Die ſchreitet vor mir im Wald,

Und gleitet über den Teich;

Ja, als ich eben in Sinnen

Sah über des Mondes Aug'

Einen Wolkenſtreifen zerrinnen,

Das war ihre Form, wie ein Rauch.
Und höre, höre zuletzt,

Dort liegt, da drinnen im Schrein,

Ein Tuch mit Blute genetzt,

Das legte ich heimlich hinein.

Er ritzte ſich nur an der Schneide,

Als Beeren vom Strauch er mir hieb,

Nun hab' ich ſie alle Beide,

Sein Blut und meine brennende Lieb'.
[134]

Der Brief aus der Heimath.

Sie ſaß am Fenſterrand im Morgenlicht,

Und ſtarrte in das aufgeſchlagne Buch,

Die Zeilen zählte ſie und wußt es nicht,

Ach weithin, weithin der Gedanken Flug!

Was ſind ſo ängſtlich ihre nächt'gen Träume?

Was ſcheint die Sonne durch ſo öde Räume?

— Auch heute kam kein Brief, auch heute nicht.
Seit Wochen weckte ſie der Lampe Schein,

Hat bebend an der Stiege ſie gelauſcht;

Wenn plötzlich am Gemäuer knackt der Schrein,

Ein Fenſterladen auf im Winde rauſcht, —

Es kömmt, es naht, die Sorgen ſind geendet:

Sie hat gefragt, ſie hat ſich abgewendet,

Und ſchloß ſich dann in ihre Kammer ein.
Kein Lebenszeichen von der liebſten Hand,

Von jener, die ſie ſorglich hat gelenkt,

Als ſie zum erſten Mal zu feſtem Stand

Die zarten Kinderfüßchen hat geſenkt;

Verſprengter Tropfen von der Quelle Rande,

Harrt ſie vergebens in dem fremden Lande;

Die Tage ſchleichen hin, die Woche ſchwand.
Was ihre rege Phantaſie geweckt?

Ach, Eine Leiche ſah die Heimath ſchon,

[135]
Seit ſie den unbedachten Fuß geſtreckt

Auf fremden Grund und hörte fremden Ton;

Sie küßte ſcheidend jung' und friſche Wangen,

Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;

Iſt's Wunder, daß ſie tödtlich aufgeſchreckt?
In Träumen ſteigt das Krankenbett empor,

Und Züge dämmern, wie in halber Nacht;

Wer iſt's? — ſie weiß es nicht und ſpannt das Ohr,

Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;

Dann fährt ſie plötzlich auf beim Windesrauſchen,

Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauſchen,

Und kann erſt ſpät begreifen daß ſie wacht.
Doch ſieh, dort fliegt ſie über'n glatten Flur,

Ihr aufgelöstes Haar umfließt ſie rund,

Und zitternd ruft ſie, mit des Weinens Spur:

„Ein Brief, ein Brief, die Mutter iſt geſund!“

Und ihre Thränen ſtürzen wie zwei Quellen,

Die übervoll aus ihren Ufern ſchwellen;

Ach, eine Mutter hat man einmal nur!
[136]

Ein braver Mann.

Noch lag, ein Wetterbrodem, ſchwer

Die Tyrannei auf Deutſchlands Gauen,

Die Wachen ſchlichen ſcheu umher,

Die Menge ſchlief in dumpfem Grauen;

Ein Seufzer ſchien der Morgenwind

Aus angſtgepreßter Bruſt zu brechen;

Nur die Kanone durfte ſprechen

Und lächeln durfte nur das Kind.
Da lebt' im Frankenland ein Mann,

Der bittre Stunden ſchon getragen,

In drängenden Geſchickes Bann

Gar manche Täuſchung ſonder Klagen;

Ihm war von ſeiner Ahnen Flur

Der edle Name nur geblieben,

Von allen, allen Jugendtrieben

Des Herzens warm Gedenken nur.
Durch frühes Siechthum ſchwer gebeugt

Und jeglichem Beruf verdorben,

Hätt' oft er gern das Haupt geneigt

Und wär' in Frieden nur geſtorben;

An ſeinen Schläfen lagen ſchon

Mit vierzig Jahren weiße Garben,

Und ſeiner Züge tiefe Narben

Verriethen ſteter Sorge Frohn.
[137]
Doch freundlich trug er jeden Dorn,

Der auf dem Pfade ihm begegnet,

Geſchlagen von des Schickſals Zorn,

Doch von der Götter Hand geſegnet.

Und eine Kunſt war ihm beſcheert,

So mild wie ſeiner Seele Hauchen,

Sein Pinſel ließ die Wieſen rauchen

Und flammen des Vulkanes Heerd.
Es waren Bilder die mit Luſt

Ein unverdorbnes Herz erfüllen,

Wie ſie entſteigen warmer Bruſt

Und reiner Phantaſie entquillen;

Doch Mäcklern ſchienen ſie zu zart,

Den Stempel hoher Kunſt zu tragen:

So hat er ſchwer ſich durchgeſchlagen

Und täglich am Bedarf geſpart.
Da ward in Winterabends Lauf

Ein Brief ihm von der Poſt geſendet;

Er riß beſtürzt das Siegel auf:

O Gott, die Sorgen ſind beendet!

Des fernen Vetters Todtenſchein

Hat als Agnaten ihn berufen,

Er darf nur treten an die Stufen,

Die reichen Lehne harren ſein!
Wer denkt es nicht, daß ihm gepreßt

Aus heißer Wimper Thränen floſſen!

Dann plötzlich ſteht ſein Auge feſt,

Der Zähren Quelle iſt geſchloſſen.

[138]
Er liest, er tunkt die Feder ein,

Hat nur Sekunden ſich berathen,

Und an den nächſten Lehnsagnaten

Schreibt muthig er beim Lampenſchein:
„Wohl ſagt man, daß Tyrannenmacht

Nicht Eides * Band vermag zu ſchlingen,

Doch wo in uns ein Zweifel wacht,

Da müſſen wir zum Beſten ringen.

Nimm hin der Väter liebes Schloß,

— O würd' ich einſtens dort begraben! —

Ich bin gewöhnt nicht viel zu haben,

Und mein Bedürfniß iſt nicht groß.“
Wer unter Euch von Opfern ſpricht,

Von edleren, und Märtrerzeichen,

Der ſah gewiß noch Jahre nicht,

Nicht vierzig Jahr in Sorg' entſchleichen!

Ihr die mit Stärke prunkt und gleich

Euch drängt zu ſtolzer Thaten Weihe:

— Er war ein Mann wie Wachs ſo weich,

Nur ſtark in Gott und ſeiner Treue.
Und wie es ferner ihm erging?

Er hat gemalt bis er geſtorben,

Zuletzt, in langer Jahre Ring,

Ein ſchmal Vermögen ſich erworben;

[139]
Nie hat auf der Begeiſtrung Höh'

Sein ſchamhaft Schweigen er gebrochen,

Und keine Seele hat geſprochen

Von ſeinem ſchweren Opfer je.
Zweimal im Leben gab das Glück

Vor ſeinem Antlitz mir zu ſtehen,

In ſeinem mild beſcheidnen Blick

Des Geiſtes reinen Blitz zu ſehen.

Und im December hat man dann

Des Sarges Deckel zugeſchlagen

Und ſtill ihn in die Gruft getragen.

— Das iſt das Lied vom braven Mann.
[140]

Stammbuchblätter.

1.
Mit Laura's Bilde.

Im Namen eines Freundes.


Um einen Myrthenzweig ſich zu erſingen

Schickt ſeinen Schwan Petrarka Laure'n nach,

Mit Lorbeerreiſern füllt er das Gemach,

Doch kann er in den Myrthenhain nicht dringen.
Da zieht er durch die Welt mit hellem Klingen,

Schlägt mit den Flügeln an das theure Haus,

Man reicht ihm den Cypreſſenkranz hinaus,

Allein die Myrthe kann er nicht erringen.
Mein Freund, wohl iſt der Lorbeer uns verſagt,

Doch laß uns um den ſchnöden Preis nicht klagen,

Von Dornen und Cypreſſen rings umragt.
Will es in einer Laura Blick mir tagen,

Dann hab' ich gern dem ſchweren Kranz entſagt,

Die kleine Myrthe läßt ſich leichter tragen.
[141]

2.
An Henriette von Hohenhauſen.

Wie lieb, o Nähe; Ferne, ach wie leid;

Wie bald wird Gegenwart Vergangenheit!

Warum hat Trauer denn ſo matten Schritt,

Da doch ſo leicht die frohe Stunde glitt?

Ach, wer mir liebe Stunden könnte bannen,

Viel werther ſollt' er ſeyn, als der vermöchte

Der trüben ſchlaffe Sehnen anzuſpannen,

Denn Leid im Herzen wirbt ſich theure Rechte,

Und wer es nimmt, der nimmt ein Kleinod mit.
Reich' mir die Hand! du haſt mich froh gemacht.

In öder Fremde hab' ich dein gedacht,

Werd' oft noch ſinnen deinem Blicke nach,

So mildes Auge hellt den trübſten Tag.

Laß Ferne denn zur Nähe ſich geſtalten

Durch Wechſelwort und inniges Gedenken.

Reich' mir die Hand! — ich will ſie treulich halten,

Und drüber her mag immergrün ſich ſenken

Der Tannenzweig, ein ſchirmend Wetterdach.
[142]

Nachruf an Henriette von Hohenhauſen.*

An deinem Sarge ſtanden wir,

Du fromme milde Leidenſpalme,

Wir legten in die Hände dir

Des Lenzes linde Blütenhalme;

An deiner Bruſt, wie eingenickt,

Die blauen Seidenſchleifen lagen;

So, mit der Treue Bild geſchmückt,

Hat man dich in die Gruft getragen.
Die Sonne ſticht, der Regen rauſcht —

Wir ſitzen ſchweigend und beklommen;

Es knirrt im Flur, und Jeder lauſcht,

Als dächten wir du könnteſt kommen;

In jedem Winkel ſuchen wir

Nach deinem Lächeln, deinem Blicke,

Wer lehnte je am Buſen dir,

Und fühlt im Herzen keine Lücke?
Daß dein Erkennen ſtark und klar,

Auch Andre mögens mit dir theilen,

Doch daß du ſo gerecht und wahr,

Daß Segen jede deiner Zeilen,

[143]
Der Odem den dein Leben ſog,

Der letzte noch, ein Liebeszeichen, —

Das, Henriette, ſtellt dich hoch

Ob Andre, die an Geiſt dir gleichen!
Du warſt die Seltne, die gehorcht

Des Ruhmes lockender Sirene,

Und keine Tünche je geborgt,

Und keine ſüßen Taumeltöne;

Die jede Perl' aus ihrem Hort

Vor Gottes Auge erſt getragen,

Um ernſtes wie um heitres Wort,

Um keines durft' im Tode zagen.
Am Sarge fällt die Blüthe ab,

Zerrinnt der Glorie Zauberſchemen,

Dein Lorbeerreis, es bleibt am Grab,

Du kannſt es nicht hinüber nehmen;

Doch vor dem Richter kannſt du knien,

Die reinen Hände hoch gefaltet:

„Sieh, Herr, die Pfunde, mir verliehn,

Ich habe redlich ſie verwaltet.“
Nicht möcht ich einen kalten Stein

Ob deinem warmen Herzen ſehen,

Auch keiner glühen Roſen Schein,

Die üppig unter Dornen wehen;

Des Sinnlaubs immergrünen Stern

Möcht ich um deinen Hügel ranken,

Und über'm Grüne ſäh ich gern

Die ſegensreiche Aehre ſchwanken.
[144]

Vanitas Vanitatum!

R. i. p.


Ihr ſaht ihn nicht im Glücke,

Als Schaaren ihm gefolgt,

Mit Einem ſeiner Blicke

Er jeden Haß erdolcht,

Das Blut an ſeinen Händen

Wie Königspurpur faſt,

Und flammenden Geländen

Entſtieg des Nimbus Glaſt;
Saht nicht, wie ſtolz getragen

Schulfreund und Kamerad

Die Stirn, mit welchem Zagen

Der Fremdling ihm genaht,

Wenn mit Koloſſes Schreiten

Das Klippenthor er ſtieß,

Die kleinen Segel gleiten

An ſeiner Sohle ließ.
Ihr habt ihn nicht geſehen,

Ihr Augen jugendklar,

Du Haupt wo Ringel wehen

Von ſüßem Lockenhaar;

Jünglinge, blühnde Frauen,

Ihr ſaht ihn nicht im Glanz,

Ihn, ſeines Landes Grauen

Und allergrünſten Kranz.
[145]
Vielleicht doch ſaht ihr ſtreifen

Den alten kranken Leun,

Saht ſeine Mähne ſchleifen

Und zittern ſein Gebein,

Saht wie die breiten Pranken

Er matt und ſtöhnend hob,

Wie taumelnd ſeine Flanken

Er längs der Mauer ſchob.
Und Scheitel ſaht ihr, weiße,

Am Fenſterglaſe ſpähn,

Die dann mit ſcheuem Fleiße

Sich hinter'n Vorhang drehn;

Vernahmt der Knaben Lachen,

Der Greiſe ſchmerzlich Ach,

Wenn er im freien flachen

Geländ' zuſammen brach.
Allein ihr horcht als rede

Ich von dem Tartarchan,

Mit Augen weit und öde

Starrt ihr euch lange an,

Und Einer ruft: „O ſchauet,

Wie man ein Ehrenmal

Obſcurem Burſchen bauet!

Wer war der General?“
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 10[146]

Inſtinkt.

Bin ich allein, verhallt des Tages Rauſchen

Im friſchen Wald, im braunen Haideland,

Um mein Geſicht die Gräſer nickend bauſchen,

Ein Vogel flattert an des Neſtes Rand,

Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,

Gleich Feuerwürmern ſeine Augen glimmen,

Dann kommen mir Gedanken, ob geſund,

Ob krank, das mag ich ſelber nicht beſtimmen.
Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne,

Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,

Ob Dionæa* um die kühne Biene

Bewußtlos ihre rauhen Netze ſchlägt,

Was in dem weißen Sterne ** zuckt und greift,

Wenn er, die Fäden ſtreckend, leiſe ſchauert,

Und ob, vom Duft der Menſchenhand geſtreift,

Gefühllos ganz die Senſitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel ſehen,

Der dort ſo zürnend ſeine Federn ſträubt,

Mit kriegeriſchem Schrei mich aus den Nähen

Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.

Was iſt Inſtinkt? — tiefſten Gefühles Heerd;

Inſtinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,

Als jene Fürſtin, von der Glut verzehrt,

Als Heilge ward poſaunt in alle Winde.
[147]
Und du, mein zottger Tremm, der ſchlafestrunken

Noch ob der Herrin wacht, und durch das Grün

Läßt blinzelnd ſtreifen ſeiner Blicke Funken,

Sag an, was deine klugen Augen glühn?

Ich bin es nicht, die deine Schale füllt,

Nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen,

Und mit der Sklavenpeitſche kann mein Bild

Noch minder dir im dumpfen Hirne ſteigen.
Wer kann mir ſagen, ob des Hundes Seele

Hinaufwärts, oder ob nach unten ſteigt?

Und müde, müde drück' ich in die Schmehle

Mein Haupt, wo ſiedend der Gedanke ſteigt.

Was iſt es, das ein hungermattes Thier,

Mit dem geſtohlnen Brode für das bleiche

Blutrünſt'ge Antlitz, in das Waldrevier

Läßt flüchten und verſchmachten bei der Leiche?
Das ſind Gedanken, die uns könnten tödten,

Den Geiſt betäuben, rauben jedes Glück,

Mit tauſendfachem Mord die Hände röthen,

Und leiſe ſchaudernd wend' ich meinen Blick.

O ſchlimme Zeit, die ſolche Gäſte rief

In meines Sinnens harmlos lichte Bläue!

O ſchlechte Welt, die mich ſo lang' und tief

Ließ grübeln über eines Pudels Treue!
[148]

Die rechte Stunde.

Im heitren Saal beim Kerzenlicht,

Wenn alle Lippen ſprühen Funken,

Und gar vom Sonnenſcheine trunken,

Wenn jeder Finger Blumen bricht,

Und vollends an geliebtem Munde,

Wenn die Natur in Flammen ſchwimmt, —

Das iſt ſie nicht die rechte Stunde,

Die dir der Genius beſtimmt.
Doch wenn ſo Tag als Luſt verſank,

Dann wirſt du ſchon ein Plätzchen wiſſen,

Vielleicht in deines Sopha's Kiſſen,

Vielleicht auf einer Gartenbank:

Dann klingt's wie halb verſtandne Weiſe,

Wie halb verwiſchter Farben Guß

Verrinnt's um dich, und leiſe, leiſe

Berührt dich dann dein Genius.
[149]

Der zu früh geborene Dichter.

Acht Tage zählt' er ſchon, eh ihn

Die Amme konnte ſtillen,

Ein Würmchen, ſaugend kümmerlich

An Zucker und Kamillen,

Statt Nagel nur ein Häutchen lind,

Däumlein wie Vogelſporen,

Und Jeder ſagte: „armes Kind!

Es iſt zu früh geboren!“
Doch wuchs er auf, und mit der Zeit

Hat Leben ſich entwickelt,

Mehr als der Doktor prophezeit,

Und hätt' er ihn zerſtückelt;

Im zähen Körper zeigte ſich

Zäh wilder Seele Streben;

Einmal erfaßt — dann ſicherlich

Hielt er, auf Tod und Leben.
In Büchern hat er ſich ſtudirt

Hohläugig und zu Schanden,

Und durch ſein glühes Hirn geführt

Zahlloſe Liederbanden.

Ein ſteter Drang — hinauf! hinauf!

Und ringsum keine Palme;

So klomm er an der Weide auf

Und jauchzte in die Alme.
[150]
Zwar dünkt ihn oft, bei trübem Muth,

Sein Baldachin von Laube

So köſtlich wie ein alter Hut,

Wie 'ne zerriſſne Haube;

Allein dies ſchalt man „eitlen Drang,

Mit Würde abzutrumpfen!“

Und Alles was er ſah, das ſang

Herab vom Weidenſtumpfen.
So ward denn eine werthe Zeit

Vertrödelt und verſtammelt,

Lichtblonde Liederlein juchheit,

Und Weidenduft geſammelt;

Wohl fielen Thränen in den Flaum

Und ſchimmerten am Raine,

Erfaßte ihn der glühe Traum

Von einem Palmenhaine.
Und als das Leben ausgebrannt

Und fühlte ſich vergehen,

Da ſollt' wie Moſes er das Land

Der Gottverheißung ſehen;

Er ſah, er ſah ſie Schaft an Schaft

Die heil'gen Kronen tragen,

Und drunter all die friſche Kraft

Der edlen Sproſſen ragen.
Und Lieder hört' er, Melodien,

Wie ihm im Traum geklungen,

Wenn ein Kriſtall der Gletſcher ſchien,

Und Adler ſich geſchwungen;

[151]
Durch das ſmaragdne Rieſenlaub

Sah er die Lyra blinken,

Und über ſie gleich goldnem Staub

Levante's Aether ſinken.
O, wie zuſammen da im Fall

Die alten Töne ſchwirrten,

Im Buſen die Gefangnen all

Mit ihren Ketten klirrten!

„Ha, Leben, Jahre! und mein Sitz

Iſt in den Säulenwänden,

Auch meine Lyra ſoll den Blitz

Durch die Smaragden ſenden!“
Ach, arme Friſt, an ſolchem Schaft

Mit mattem Fuß zu klimmen,

Die Sehne ſeiner Jugendkraft,

Vermag er ſie zu ſtimmen?

Und bald erſeufzt er: „hin iſt hin!

Vertrödelt iſt verloren!

Die Scholle winkt, weh mir, ich bin

Zu früh, zu früh geboren!
[152]

Noth.

Was redet ihr ſo viel von Angſt und Noth,

In eurem tadelloſen Treiben?

Ihr frommen Leute, ſchlagt die Sorge todt,

Sie will ja doch nicht bei euch bleiben!
Doch wo die Noth, um die das Mitleid weint,

Nur wie der Tropfen an des Trinkers Hand,

Indeß die dunkle Fluth, die Keiner meint,

Verborgen ſteht bis an der Seele Rand —
Ihr frommen Leute wollt' die Sorge kennen,

Und habt doch nie die Schuld geſehn!

Doch ſie, ſie dürfen ſchon das Leben nennen

Und ſeine grauenvollen Höhn;
Hinauf ſchallt's wie Geſang und Loben,

Und um die Blumen ſpielt der Strahl,

Die Menſchen wohnen ſtill im Thal,

Die dunklen Geyer horſten droben.
[153]

Die Bank.

Im Parke weiß ich eine Bank,

Die ſchattenreichſte nicht von allen,

Nur Erlen laſſen, dünn und ſchlank,

Darüber karge Streifen wallen;

Da ſitz' ich manchen Sommertag

Und laß mich röſten von der Sonnen,

Rings keiner Quelle Plätſchern wach,

Doch mir im Herzen ſpringt der Bronnen.
Dieß iſt der Fleck, wo man den Weg

Nach allen Seiten kann beſtreichen,

Das ſtaub'ge Gleis, den grünen Steg,

Und dort die Lichtung in den Eichen:

Ach manche, manche liebe Spur

Iſt unterm Rade aufgeflogen!

Was mich erfreut, bekümmert, nur

Von drüben kam es hergezogen.
Du frommer Greis im ſchlichten Kleid,

Getreuer Freund ſeit zwanzig Jahren,

Dem keine Wege ſchlimm und weit,

Galt es den heil'gen Dienſt zu wahren,

Wie oft ſah ich den ſchweren Schlag

Dich drehn mit ungeſchickten Händen,

Und langſam ſteigend nach und nach

Dein Käppchen an des Dammes Wänden.
[154]
Und du in meines Herzens Grund,

Mein lieber ſchlanker blonder Junge,

Mit deiner Büchs und braunem Hund,

Du klares Aug' und muntre Zunge,

Wie oft hört' ich dein Pfeifen nah,

Wenn zu der Dogge du geſprochen;

Mein lieber Bruder warſt du ja,

Wie ſollte mir das Herz nicht pochen?
Und Manches was die Zeit verweht,

Und Manches was ſie ließ erkalten,

Wie Banquo's Königsreihe geht

Und trabt es aus des Waldes Spalten.

Auch was mir noch geblieben und

Was neu erblüht im Lebensgarten,

Der werthen Freunde heitrer Bund,

Von drüben muß ich ihn erwarten.
So ſitz' ich Stunden wie gebannt,

Im Geſtern halb und halb im Heute,

Mein gutes Fernrohr in der Hand

Und laſſ' es ſtreifen durch die Weite.

Am Damme ſteht ein wilder Strauch,

O, ſchmählich hat mich der betrogen!

Rührt ihn der Wind, ſo mein' ich auch

Was Liebes komme hergezogen!
Mit jedem Schritt weiß er zu gehn,

Sich anzuformen alle Züge;

So mag er denn am Hange ſtehn,

Ein werth Phantom, geliebte Lüge;

[155]
Ich aber hoffe für und für,

So fern ich mich des Lebens freue,

Zu röſten an der Sonne hier,

Geduld'ger Märtyrer der Treue.
[156]

Clemens von Droſte.*

An ſeinem Denkmal ſaß ich, das Getreibe

Des Lebens ſchwoll und wogt' in den Alleen,

Ich aber mochte nur zum Himmel ſehn,

Von dem ihr Silber goß die Mondenſcheibe.

Und alle Schmerzenskeime fühlt' ich ſprießen,

Im Herzen ſich entfalten, Blatt um Blatt,

Und allen Segen fühlt' ich niederfließen

Um eines Chriſten heil'ge Schlummerſtatt.
Da nahte durch die Gräſer ſich ein Rauſchen,

Geflüſter hallte an der Marmorwand,

Der mir ſo theure Name ward genannt,

Und leiſe Wechſelrede hört' ich tauſchen.

Es waren tiefe achtungsvolle Worte,

Und dennoch war es mir, als dürfe hier

Kein anderer an dem geweihten Orte,

Kein Weſen ihn betrauern neben mir.
Wer könnte unter dieſen Gräbern wandeln,

Der ihn gekannt wie ich, ſo manches Jahr,

Der ſeine Kindheit ſah, ſo friſch und klar,

Des Jünglings Glut, des Mannes kräftig Handeln?

[157]
Welch fremdes Aug' hat in den ernſten Lettern,

Dem ſtrengen Wort des Herzens Schlag erkannt?

Die Blitze ſaht ihr, aber aus den Wettern

Saht ihr auch ſegnen eines Engels Hand?
Sie ſtanden da wie vor Pantheons Hallen,

Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub;

Ich ſaß an einem Hügel, wo zu Staub

Der Menſchenherzen freundlichſtes zerfallen.

Sie redeten von den zerſprengten Kreiſen,

Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint;

Ich dachte an die Wittwen und die Waiſen,

Die ſeinem dunklen Sarge nachgeweint.
Sie redeten von ſeines Geiſtes Walten,

Von ſeinem ſtarken ungebeugten Sinn,

Und wie er nun der Wiſſenſchaft dahin,

Der Mann an dem ſich mancher Arm gehalten;

Ich hörte ihres Lobes Wogen ſchießen,

Es waren Worte wohlgemeint und wahr,

Doch meine Thränen fühlt' ich heißer fließen,

Als ob man ihn verkenne ganz und gar.
Und endlich hört' ich ihre Stimmen ſchwinden,

Ihr letztes Wort war eine Klage noch:

Daß nicht ſo leicht ein gleiches Wiſſen doch,

Daß ſelten nur ein gleicher Geiſt zu finden.

Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten,

Hab' ſeines Grabes feuchten Halm geküßt:

„Wo giebt es einen Vater, einen Gatten,

Und einen Freund wie du geweſen biſt!“
[158]

Guten Willens Ungeſchick.

Du ſcheuchſt den frommen Freund von mir,

Weil krank ich ſey und ſehr bewegt,

Mein hell und blühend Luſtrevier

Haſt du mit Dornen mir umhegt;

Wohl weiß ich, daß der Wille rein,

Daß eure Sorge immer wach,

Doch was ihn labt, was hindert, ach,

Ein Jeder weiß es nur allein.
Ich denke, wie ich einſtens ſaß

An eines Hügels ſchroffem Rain,

Und ſah ein ſchönes Kind, das las

Sich Schneckenhäuschen im Geſtein;

Dann glitt es aus, ich ſprang hinzu,

Es hatte ſich am Strauch gedrückt;

Ich griff es an gar ungeſchickt,

Und abwärts rollte es im Nu;
Auf hob ich es, das weinend lag,

Und grimmig weinend um ſich fuhr,

Und freilich, was es ſtieß vom Haag,

Mein ſchlimmes Helfen war es nur. —

Und an der Klippe ſtand ich auch,

Bei Vogelbrut mit Flaumenhaar,

Und drüber pfiff wie ein Corſar

Ein Weihe hoch im Nebelrauch.
[159]
Nun blitzte wie ein Stral heran

Und immer näher ſchoß der Weih,

Ich ſchwang das Tuch, den Mantel dann,

Die jungen Vögel duckten ſcheu;

Und aufwärts funkelnd, angſtgepreßt,

Wie Marder pfiffen ſie ſo klar;

Da ward mir endlich offenbar,

Dies ſey des Weihen eignes Neſt.
So hab' ich hundertmal gefühlt,

Und tauſendmal hab' ich geſehn,

Daß Nichts ſo hart am Herzen wühlt

Wo ſeine tiefſten Adern gehn,

Als — zürne nicht, die Lippen drück'

Ich ſühnend auf der Lippen Rand —

Als eine liebe raſche Hand

In guten Willens Ungeſchick.
[160]

Der Traum.

An Amalie H.


Jüngſt hab' ich dich geſehn im Traum,

So lieblich ſaßeſt du behütet,

In einer Laube grünem Raum,

Von duftendem Jasmin umblüthet,

Durch Zweige fiel das goldne Licht,

Aus Vogelkehlen ward geſungen,

Du ſaßeſt da, wie ein Gedicht

Von einem Blumenkranz umſchlungen.
Und deine liebe Rechte trug

Das Antlitz mit ſo edlen Sitten,

Im Sand das aufgeſchlagne Buch

Schien von dem Schooße dir geglitten;

Dich lehnend an den friſchen Haag

Hauchteſt du flüſternd leiſe Küſſe,

Im Auge eine Thräne lag

Wie Thau im Kelche der Narziſſe.
Dich anzuſchaun war meine Luſt,

Zu lauſchen deiner Züge Regen,

Und dennoch hätt' ich gern gewußt,

Was dich ſo innig mocht' bewegen?

Da bogſt du ſacht hinab den Zweig,

Strichſt lächelnd an der Spitzenhaube,

An deine Schulter huſcht' ich gleich,

Sah einen Baum in ſchlichtem Laube:
[161]
Und auf dem Baume ſaß ein Fink,

Der ſchleppte dürres Moos und Reiſig,

„Schau her, ſchau wieder!“ zirpt' er flink

Und förderte am Neſtchen fleißig;

Er ſah ſo keck und fröhlich aus,

Als trüg er des Flamingo Kleider,

So ſorglich hüpft er um ſein Haus,

Als fürcht' er böſen Blick und Neider.
Und wenn ein Reiſchen er gelegt,

Dann rief er alle Welt zu Zeugen,

Als müſſe was der Garten hegt,

Blum' und Geſträuch ſich vor ihm neigen;

Um deine Lippe flog ein Zug,

Wie ich ihn oft an ihr geſehen,

Und meinen Namen ließ im Flug

Sie über ihre Spalte gehen.
Schon hob ich meine Hand hinauf

Mit leiſem Schlage dich zu ſtrafen,

Allein da wacht ich plötzlich auf

Und bin nicht wieder eingeſchlafen;

Nur deiner hab' ich fortgedacht,

Säh dich ſo gern am grünen Haage,

Mich dünkt, ſo lieb wie in der Nacht

Sah ich dich noch an keinem Tage.
Im Eiſe ſchlummern Blum' und Zweig,

Dezemberwinde ſchneidend wehen,

Der Garten ſteht im Wolkenreich,

Wo tauſend ſchönre Gärten ſtehen;

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 11[162]
So golden iſt kein Sonnenſchein,

Daß er wie der erträumte blinke;

Doch du, biſt du nicht wirklich mein?

Und bin ich nicht dein dummer Finke?
[163]

Locke und Lied.

Meine Lieder ſandte ich dir,

Meines Herzens ſtrömende Quellen,

Deine Locke ſandteſt du mir,

Deines Hauptes ringelnde Wellen;

Hauptes Welle und Herzens Fluth

Sie zogen einander vorüber,

Haben ſie nicht im Kuſſe geruht?

Schoß nicht ein Leuchten darüber?
Und du klageſt: verblichen ſey

Die Farbe der wandernden Zeichen;

Scheiden thut weh, mein Liebchen, ey,

Die Scheidenden dürfen erbleichen;

Warſt du blaß nicht, zitternd und kalt,

Als ich von dir mich geriſſen?

Blicke ſie an, du Milde, und bald,

Bald werden den Herrn ſie nicht miſſen.
Auch deine Locke hat ſich geſtreckt,

Verdroſſen, gleich ſchlafendem Kinde,

Doch ich hab' ſie mit Küſſen geweckt,

Hab' ſie geſtreichelt ſo linde,

Ihr geflüſtert von unſerer Treu',

Sie geſchlungen um deine Kränze,

Und nun ringelt ſie ſich aufs neu,

Wie eine Rebe im Lenze.
[164]
Wenig Wochen, dann grünet der Stamm,

Hat Sonnenſchein ſich ergoſſen,

Und wir ſitzen am rieſelnden Damm,

Die Händ' in einander geſchloſſen,

Schaun in die Welle, und ſchaun in das Aug'

Uns wieder und wieder und lachen,

Und Bekanntſchaft mögen dann auch

Die Lock' und der Liederſtrom machen.
[165]

An ***

Kein Wort, und wär' es ſcharf wie Stahles Klinge,

Soll trennen, was in tauſend Fäden Eins,

So mächtig kein Gedanke, daß er dringe

Vergällend in den Becher reinen Weins;

Das Leben iſt ſo kurz, das Glück ſo ſelten,

So großes Kleinod, einmal ſein ſtatt gelten!
Hat das Geſchick uns, wie in frevlem Witze,

Auf feindlich ſtarre Pole gleich erhöht,

So wiſſe, dort, dort auf der Scheidung Spitze

Herrſcht, König über Alle, der Magnet,

Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,

Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick' in mein Auge — iſt es nicht das deine,

Iſt nicht mein Zürnen ſelber deinem gleich?

Du lächelſt — und dein Lächeln iſt das meine,

An gleicher Luſt und gleichem Sinnen reich;

Worüber alle Lippen freundlich ſcherzen,

Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen.
Pollux und Caſtor, — wechſelnd Glühn und Bleichen,

Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,

Und doch der allerfrömmſten Treue Zeichen. —

So reiche mir die Hand, mein Dioskur!

Und mag erneuern ſich die holde Mythe,

Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.
[166]

Poeſie.

Frägſt du mich im Räthſelſpiele,

Wer die zarte lichte Fey,

Die ſich drei Kleinoden gleiche

Und ein Stral doch ſelber ſey?

Ob ichs rathe? ob ich fehle?

Liebchen, pfiffig war ich nie,

Doch in meiner tiefſten Seele

Hallt es: das iſt Poeſie!
Jener Stral der, Licht und Flamme,

Keiner Farbe zugethan,

Und doch, über Alles gleitend

Tauſend Farben zündet an,

Jedes Recht und Keines Eigen. —

Die Kleinode nenn' ich dir:

Den Türkis, den Amethiſten,

Und der Perle edle Zier.
Poeſie gleicht dem Türkiſe,

Deſſen frommes Auge bricht,

Wenn verborgner Säure Brodem

Nahte ſeinem reinen Licht;

Deſſen Urſprung Keiner kündet,

Der wie Himmelsgabe kam,

Und des Himmels milde Bläue

Sich zum milden Zeichen nahm.
[167]
Und ſie gleicht dem Amethiſten,

Der ſein veilchenblau Gewand

Läßt zu ſchnödem Grau erblaſſen

An des Ungetreuen Hand;

Der, gemeinen Götzen fröhnend,

Sinkt zu niedren Steines Art,

Und nur Einer Flamme dienend

Seinen edlen Glanz bewahrt;
Gleicht der Perle auch, der zarten,

Am Geſunden thauig klar,

Aber ſaugend, was da Krankes

In geheimſten Adern war;

Sahſt du niemals ihre Schimmer

Grünlich, wie ein modernd Tuch?

Eine Perle bleibt es immer,

Aber die ein Siecher trug.
Und du lächelſt meiner Löſung,

Flüſterſt wie ein Widerhall:

Poeſie gleicht dem Pokale

Aus venediſchem Kriſtall;

Gift hinein — und ſchwirrend ſingt er

Schwanenliedes Melodie,

Dann in tauſend Trümmer klirrend,

Und hin iſt die Poeſie!
[168]

An ***

O frage nicht was mich ſo tief bewegt,

Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen,

Warum, an deine klare Stirn gelegt,

Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind,

Sich emſig mühend an des Tiſches Borden;

Wie übermächtig die Vokabeln ſind,

Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,

Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe,

Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ',

So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild,

Wo tauſend friſche Lebenskeime walten,

Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild

Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,

Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen,

Was noch entſchwinden wird und was entſchwand,

Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
[169]

An Eliſe.

Am 19. November 1843.


Du weißt es lange wohl wie werth du mir,

Was ſollt' ich es nicht froh und offen tragen

Ein Lieben, das ſo friſcher Ranken Zier

Um meinen kranken Lebensbaum geſchlagen?

Und manchen Abend hab' ich nachgedacht,

In leiſer Stunde träumeriſchem Sinnen,

Wie deinen Morgen, meine nahnde Nacht

Das Schickſal ließ aus Einer Urne rinnen.
Zu alt zur Zwillingsſchweſter, möchte ich

Mein Töchterchen dich nennen, meinen Sproſſen,

Mir iſt, als ob mein fliehend Leben ſich,

Mein rinnend Blut in deine Bruſt ergoſſen.

Wo ſtammt im Herzen mir ein Opferheerd,

Daß nicht der deine loderte daneben,

Von gleichen Landes lieber Luft genährt,

Von gleicher Freunde frommem Kreis umgeben?
Und heut', am Sankt Eliſabethentag,

Vereinend uns mit gleichen Namens Banden,

Schlug ich bedächtig im Kalender nach,

Welch' Heilige am Taufborn uns geſtanden;

Da fand ich eine königliche Frau,

Die ihre milde Segenshand gebreitet,

Und eine Patriarchin, ernſt und grau,

Nur werth um Den, deß Wege ſie bereitet.
[170]
Faſt war es mir, als ob dies Doppelbild

Mit ſtrengem Mahnen ſtrebe uns zu trennen,

Als woll' es dir die Fürſtin zart und mild,

Mir nur die ernſte Hüterin vergönnen;

Doch — lächle nicht — ich hab' mich abgekehrt,

Bin faſt verſchämt zur Seite dir getreten;

Nun wähle, Lieb, und die du dir beſcheert,

Zu der will ich als meiner Heilgen beten.
[171]

Ein Sommertagstraum.

Im tiefen Weſt der Schwaden grollte,

Es ſtand die Luft, ein ſiedend Meer,

An meines Fenſters Vorhang rollte

Die Sonnenkugel, glüh und ſchwer,

Und wie ein Kranker, lang geſtreckt,

Lag ich auf grünen Sophakiſſen,

Das Haupt von wüſtem Schmerz zerriſſen,

Die Stirne fieberhaft gefleckt.
Um mich Geſchenke, die man heute

Zu meinem Wiegenfeſt geſandt,

Denare, Schriften, Meeres Beute,

Ich hab' mich ſchnöde abgewandt;

Zum Tode matt und ſchlafberaubt

Studirt ich der Gardine Bauſchen,

Und horchte auf des Blutes Rauſchen

Und Klingeln im betäubten Haupt.
Zuweilen dehnte ſich ein Murren

Den Horizont entlang, es ſchlich

Am Haag' ein Rieſeln und ein Surren,

Wie flatternder Libelle Strich;

Betäubend zog Reſedaduft

Durch des Balkones offne Thüren,

In jeder Nerve war zu ſpüren

Die ſchwefelnde Gewitterluft.
[172]
Da plötzlich ſchien ſich aufzurichten

Am Fenſterrahm ein Schattenwall,

Und mählig ſchob die dunklen Schichten

Er näher an den glühen Ball.

Durch der Gardine Spalten zog

Ein friſcher Hauch, ich ſchloß die Augen,

Um tiefer, tiefer einzuſaugen,

Was leiſe ſpielend mich umflog.
Genau vernahm ich noch das Rucken

Des flatternden Papiers, das Licht

Der Stufe ſah ich ſchmerzend zucken;

Ob ich entſchlief? mich dünkt es nicht.

Doch ſchneller ſchien am Autograph

Das dürre Jüngelchen zu wehen,

Ein glitzernd Aug' der Stein zu drehen,

Die Muſchel dehnte ſich im Schlaf.
Und, nächt'ger Mücke zu vergleichen,

Umſäuſelte mich halber Klang,

Am Teppich ſchien es ſacht zu ſtreichen,

Und lief des Polſters Saum entlang,

Wie wenn im zitternden Papier

Der Fliege zarte Füßchen irren;

Und heller feiner aus dem Schwirren

Drang es wie Wortes Hauch zu mir:

Das Autograph.

Pſt! — St! — ja, ja,

Das mocht' eine Pracht noch heißen,

[173]
Als ich am Ermel ſah

Die goldenen Treſſen gleißen!

Wie waren die Hände weiß und weich,

Wie funkelten die Demanten!

Wie ſchwammen drüber, ſo duftig, reich,

Die breiten Brüſſeler Kanten!
Das waren Bilder und Lockenpracht,

Wie mähnige Leu'n in Rahmen!

Das Vaſen! wo in der Gallatracht

Spazierten ſchäfernde Damen!

Und, o, das war eine Blumenſee,

Ein farbiges Blütengewimmel!

Das eine berauſchende Aethernäh'

Von heißem ſüdlichen Himmel!
Pſt' — St! — ich duckt' in meinem Fach,

Pſt! — ſtill — wie Vögel im Neſt',

Und ward am Gitter die Briſe wach,

Dann ruſchelt' ich mit dem Weſt'.

O, o! der war auch ein Vagabund:

Von Bogen flog er zu Bogen,

Hat aus der Siegel Granatenmund

Säuſelnde Küſſe geſogen.
Pſt! — drunten, hart an meiner Klauſ'

Ein Tiſch auf güldenen Krallen;

Und wiſpelte ich zu weit hinaus,

Ich wär auf den Amor gefallen;

[174]
Der ſtand, einen Köcher in jeder Hand,

Wie ſinnend auf luſtige Finte,

Das Haupt gewendet vom ſtäubenden Sand,

Und ſpiegelte ſich in der Dinte.
Sieh! drüben der Thüren Paneele, breit,

Geſchmückt mit ſchimmernden Leiſten!

Wie hab' ich geflattert und mich gefreut,

Wenn leiſe knarrend ſie gleißten!

Dann kam das Ding — ein Mann — ein Greis? —

Nie konnte ich ſatt mich ſchauen,

Daß ſeine Lockenkaskaden ſo weiß,

So glänzend ſchwarz ſeine Brauen!
Schrieb, ſchrieb, daß die Feder knirrt' und bog,

Lang lange ſchlängelnde Kette,

Und ſachte über den Marmor zog

Und ſchleifte ſich die Manſchette.

Das ſummt und ſäuſelte mir wie Traum,

Wie ſurrender Bienen Leſen,

Als ſey ich einſt ein ſeidener Schaum,

Eine Spitzenmanſchette geweſen.
Pſt! — ſtille, — ſieh, ein Andrer! — ſieh!

Wie ſchütteln des Schreibers Locken!

Er beugt und ſchlenkert ſich bis an's Knie,

Schlürft und ſchleicht wie auf Socken.

Ha! es zupft mich, — ich falle, ich falle! —

Da liege ich hülflos gebreitet,

Und über mich die dintige Galle

Wie Würmer krimmelt und gleitet.
[175]
Licht! Leben! durch die Faſern gießt

Gleich Ichor ſich der Menſchengeiſt;

Wie's droben tönt, die Spalte fließt,

Gedankenwelle ſchwillt und kreißt.

»Viva!« — ein König wird gegrüßt, —

Es fault im Mark, die Rinde gleißt. —

Und Schiffe, ſchwer von Proviant,

Ziehn übers Meer vom Nordenſtrand.
Ich zittre, zittre, jenes Fremden Auge,

Lichtblau und klar, iſt über mich gebeugt;

Ob es den Geiſt mir aus den Faſern ſauge?

Ich weiß es nicht, ſein Blinzen ſinkt und ſteigt,

Ein Auge ſcharf wie Scheidewaſſers Lauge! —

Er ſtreicht die Brauen, faßt die Feder leicht, —

Nun ſchlängelt er, — nun drunten ſteht es da:

»Theodor' il primo, re di Corsica.«

Pſt! ſtill! — der König ſpricht, Denar, halt Ruh!

Was ſchaukelſt dich, was klimperſt du?

Der Denar.

O! über deinen König! ganz dir gleich,

Du glattgeſchlagner Lumpen, o, ſein Reich

Das Inſelchen, deß kärglichen Tribut

Lucull in eine Silberſchüſſel lud,

Gebannt in eine Perle Cäſars Hand

In der Egypterfürſtin Locken wand.

Du, zitternd vor Satrapenblicke, fahl

Wärſt du zerſtäubt vor ſeiner Augen Strahl,

[176]
Wenn langſam über's Forum, im Triumpf

Das Viergeſpann ihn rollte; hörſt du dumpf,

Wie halberwachten Donner oder Spülen

Der Brandung, Pöbelwoge ziehn und wühlen,

Um die Quadriga ſummend, wie im Nahn

Prüft ſeine Stimme murrend der Orkan?

„Heil, Cäſar, Heil!“ um ſeine kahle Stirn

Ragt Lorbeer, wie die Ficht' um Klippenfirn;

Er lächelt, und aus ſeinem Lächeln fließet

Ein leiſe ſchläfernd Gift, o Roma, dir,

Sein halbgeſchloſſnes Auge Fäden ſchießet,

Ein unzerreißbar Netz. — Gebückt und ſtier,

Zerzausten Haares, vor den Roſſen klirrt

Endloſer Gallierzug, die Feſſeln ſchleifen,

Und aus der Pöbelwelle gellt und ſchwirrt

Geziſch, Gejubel, Cymbelklang und Pfeifen.

Denare fliegen aus des Siegers Hand,

Ha, wie es krabbelt im Arenaſand! —

Der Imperator nickt und klingelt fort.

Noch lieg' ich unberührt im Byſſusbeutel, —

Was ſteigt ſo ſchwarz am Kapitole dort?

Es dunkelt, dunkelt; — über Cäſars Scheitel

Ein Rieſenaar mit Flügelrauſchen ſteigt,

Die Sonne ſchwindet, — doch ein Leuchten ſtreicht

Um der Liktoren Beile, — wieder itzt —

Sie zucken, ſchwenken ſich — es blitzt! — es blitzt!

Die Erzſtufe.

Ja, Blitze, Blitze! der Schwaden drängt

Giftiges Gas am Riſſe hinaus,

[177]
Auf einem Blitze bin ich geſprengt

Aus meinem funkelnden Kellerhaus.

O, wie war ich zerbrochen und krank,

Wie rieſelt's mir über die blanke Haut,

Wenn langſam ſchwellend der Tropfen ſank,

Des Zuges Schneide mich angegraut!
Kennſt du den Bergmönch, den braunen Schelm,

Dem auf der Schulter das Antlitz kreißt?

Schwarz und rauh wie ein roſtiger Helm,

Wie die Grubenlampe ſein Auge gleißt.

O, er iſt böſe, tückiſch und ſchlimm!

Mit dem Gezähn * hackt er am Spalt,

Bis das ſchwefelnde Wetter im Grimm

Gegen die weichende Rinde ſchwallt.
Steiger bete! du armer Knapp',

Dem in der Hütte das Kindlein zart,

Betet! betet! eh ihr hinab,

Eh zum letzten Male vor Ort ihr fahrt.

Sieben Nächte hab' ich geſehn

Wie eine Walze rollen den Nacken,

Und die Augen funkeln und drehn,

Und das Gezähn ſchürfen und hacken.
Dort, dort hinter dem reichen Gang

Lauert der giftige Brodem; da

Wo der Kobold den Hammer ſchwang,

Wo ich am Bruche ihn ſchnuppern ſah.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 12[178]
Gleich dem Molche von Dunſte trunken

Schwoll und wackelt' der Gnom am Grund,

Und des Gaſes kniſternde Funken

Zogen in ſeinen ſaugenden Schlund.
Bete, Steiger, den Morgenpſalm

Einmal noch, und dein „walt's Gott“,

Deinen Segen gen Wetters Qualm,

Gäh' Verſcheiden und Teufelsrott'.

Schau noch einmal in's Angeſicht

Deinem Töchterchen, deinem Weib,

Und dann zünde das Grubenlicht.

„Gott die Seele, dem Schacht der Leib!“
Sie ſind vor Ort, die Lämpchen rund

Wie Irrwiſchflämmchen aufgeſtellt.

Die Winde keucht, es rollt der Hund, *

Der Hammer pickt, die Stufe fällt,

An Bleigewürfel, Glimmerſpath

Zerrinnend, malt der kleine Stral

In ſeiner Glorie ſchwimmend Rad

Sich Regenbogen und Opal.
Die Winde keucht, es rollt der Hund. —

Hörſt du des Schwadens Sauſen nicht?

Wie Hagel bröckelt es zum Grund —

Der Hammer pickt, die Stufe bricht; —

Weh, weh! es zündet, flammt hinein!

Hinweg! es ſchmettert aus der Höh'!

[179]
Felsblöcke, zuckendes Gebein!

Wo bin ich? bin ich? — auf der See?

Und welch Gerieſel — immer immerzu,

Wie Regentropfen, regnet's?

Die Muſchel.

Su, ſuſu,

O, ſchlaf im ſchimmernden Bade,

Hörſt du ſie plätſchern und rauſchen,

Meine hüpfende blanke Najade?

Ihres Haares ſeidenen Tang

Ueber der Schultern Perlenſchaum;

Horch! ſie ſingt den Wellengeſang,

Süß wie Vögelein, zart wie Traum:
„Webe, woge, Welle, wie

„Weſtes Säuſelmelodie,

„Wie die Schwalbe über's Meer

„Zwitſchernd ſtreicht von Süden her,

„Wie des Himmels Wolken thauen

„Segen auf des Eilands Auen,

„Wie die Muſchel knirrt am Strand,

„Von der Düne rieſelt Sand.“
„Woge, Welle, ſachte, ſacht,

„Daß der Triton nicht erwacht.

„In der Hand das plumpe Horn

„Schlummert er, am Strudelborn.
[180]
„In der Muſchelhalle liegt er,

„Seine grünen Zöpfe wiegt er;

„Rieſ'le, Woge, Sand und Kies,

„In des Bartes zottig' Vließ.“
„Leiſe, leiſe, Wellenkreis,

„Wie des Liebſten Ruder leiſ'

„Streift dein leuchtend Glas entlang

„Zu dem nächtlich ſüßen Gang;

„Wenn das Boot, im Strauch geborgen,

„Tändelt, ſchaukelt, bis zum Morgen.

„In der Kammer flimmert Licht;

„Ruhig, Kieſel, kniſtert nicht!“
Das Lied verhaucht, wie Echo am Geſtade,

Und leiſer, leiſer wiegt ſich die Najade,

Beginnt ihr ſtrömend Flockenhaar zu breiten,

Läßt vom Korallenkamm die Tropfen gleiten,

Und ſachte ſtrehlend ſchwimmt ſie, wie ein Hauch,

Im Stral der dämmert durch den Nebelrauch;

Wie glänzt ihr Regenbogenſchleyer! — o,

Die Sonne ſteigt, — das Meer beginnt zu zittern, —

Ein Silbernetz von Myriaden Flittern!

Mein Auge zündet ſich — wo bin ich? — wo?
Tief athmend ſaß ich auf, aus Weſten

Bohrte der ſchräge Sonnenſtral,

Es tropft' und rieſelt von den Aeſten,

Die Lerche ſtieg im Aetherſaal;

[181]
Vom blanken Erzgewürfel traf

Mein Aug' ein Leuchten, ſchmerzlich flirrend,

Und in des Zuges Hauche ſchwirrend

Am Boden lag das Autograph.
So hab' ich Donner, Blitz und Regenſchauer

Verträumt, in einer Sommerſtunde Dauer.
[182]

Die junge Mutter.

Im grün verhangnen duftigen Gemach,

Auf weißen Kiſſen liegt die junge Mutter;

Wie brennt die Stirn! ſie hebt das Auge ſchwach

Zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter

Den nackten Jungen reicht: „mein armes Thier,“

So flüſtert ſie, „und biſt du auch gefangen

Gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne pragen,

So haſt du deine Kleinen doch bei dir.“
Den Vorhang hebt die graue Wärterin,

Und legt den Finger mahnend auf die Lippen;

Die Kranke dreht das ſchwere Auge hin,

Gefällig will ſie von dem Tranke nippen;

Er mundet ſchon, und ihre bleiche Hand

Faßt feſter den Kriſtall, — o milde Labe! —

„Eliſabet, was macht mein kleiner Knabe?“

„Er ſchläft,“ verſetzt die Alte abgewandt.
Wie mag er zierlich liegen! — Kleines Ding! —

Und ſelig lächelnd ſinkt ſie in die Kiſſen;

Ob man den Schleyer um die Wiege hing,

Den Schleyer der am Erndtefeſt zerriſſen?

Man ſieht es kaum, ſie flickte ihn ſo nett,

Daß alle Frauen höchlich es geprieſen,

Und eine Ranke ließ ſie drüber ſprießen.

„Was läutet man im Dom, Eliſabet?“
[183]
„Madame, wir haben heut Mariatag.“

So hoch im Mond? ſie kann ſich nicht beſinnen. —

Wie war es nur? — doch ihr Gehirn iſt ſchwach,

Und leiſe ſuchend zieht ſie aus den Linnen

Ein Häubchen, in dem Strale kümmerlich

Läßt ſie den Faden in die Nadel gleiten;

So ganz verborgen will ſie es bereiten,

Und leiſe, leiſe zieht ſie Stich um Stich.
Da öffnet knarrend ſich die Kammerthür,

Vorſicht'ge Schritte über'n Teppich ſchleichen.

„Ich ſchlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!

Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?“

Der Gatte blickt verſtohlen himmelwärts,

Küßt wie ein Hauch die kleinen heißen Hände:

„Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!

Du biſt noch gar zu leidend, gutes Herz.“
„Du dufteſt Weihrauch, Mann.“ — „Ich war im Dom;

Schlaf, Kind“; und wieder gleitet er von dannen.

Sie aber näht, und liebliches Phantom

Spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. —

Ach, wenn du wieder ſiehſt die grüne Au,

Siehſt über einem kleinen Hügel ſchwanken

Den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,

Dann tröſte Gott dich, arme junge Frau!
[184]

Meine Sträuße.

So oft mir ward eine liebe Stund'

Unterm blauen Himmel im Freien,

Da habe ich, zu des Gedenkens Bund,

Mir Zeichen geflochten mit Treuen,

Einen ſchlichten Kranz, einen wilden Strauß,

Ließ drüber die Seele wallen;

Nun ſtehe ich einſam im ſtillen Haus,

Und ſehe die Blätter zerfallen.
Vergißmeinnicht mit dem Roſaband —

Das waren dämmrige Tage,

Als euch entwandte der Freundin Hand

Dem Weiher drüben am Haage;

Wir ſchwärmten in wirrer Gefühle Flut,

In ſechzehnjährigen Schmerzen;

Nun ſchläft ſie lange. — Sie war doch gut,

Ich liebte ſie recht von Herzen!
Gar weite Wege haſt du gemacht,

Camelia, ſtaubige Schöne,

In deinem Kelche die Flöte wacht,

Trompeten und Cymbelgetöne;

Wie zitterten durch das grüne Revier

Buntfarbige Lampen und Schleyer!

Da brach der zierliche Gärtner mir

Den Strauß beim bengaliſchen Feuer.
[185]
Dies Alpenröschen nährte mit Schnee

Ein eisgrau ſtarrender Rieſe;

Und dieſe Tange entfiſcht' ich der See

Aus Muſchelgeſcherbe und Kieſe;

Es war ein volles, geſegnetes Jahr,

Die Trauben hiengen gleich Pfunden,

Als aus der Rebe flatterndem Haar

Ich dieſen Kranz mir gewunden.
Und ihr, meine Sträuße von wildem Haid',

Mit lockerm Halme geſchlungen,

O ſüße Sonne, o Einſamkeit,

Die uns redet mit heimiſchen Zungen!

Ich hab' ſie gepflückt an Tagen ſo lind,

Wenn die goldenen Käferchen ſpielen,

Dann fühlte ich mich meines Landes Kind,

Und die fremden Schlacken zerfielen.
Und wenn ich grüble an meinem Teich,

Im duftigen Mooſe geſtrecket,

Wenn aus dem Spiegel mein Antlitz bleich

Mit rieſelndem Schauer mich necket,

Dann lang' ich ſachte, ſachte hinab,

Und fiſche die träufelnden Schmehlen;

Dort hängen ſie, drüben am Fenſterſtab,

Wie arme vertrocknete Seelen.
So mochte ich ſtill und heimlich mir

Eine Zauberhalle bereiten,

Wenn es dämmert dort, und drüben, und hier,

Von den Wänden ſeh ich es gleiten;

[186]
Eine Fey entſchleicht der Camelia ſich,

Liebesſeufzer ſtöhnet die Roſe,

Und wie Blutes Adern umſchlingen mich

Meine Waſſerfäden und Mooſe.
[187]

Das Liebhabertheater.

Meinſt du, wir hätten jetzt Decemberſchnee?

Noch eben ſtand ich vor dem ſchönſten Hain,

So grün und kräftig ſah ich keinen je.

Die Windsbraut fuhr, der Donner knallte drein,

Und ſeine Zweige trotzten wie gegoſſen,

Gleich an des Parkes Thor ein Häuschen ſtand,

Mit Kränzen war geſchmückt die ſchlichte Wand,

Die haben nicht gezittert vor den Schloſſen,

Das nenn' ich Kränze doch und einen Hain:
Und denkſt du wohl, wir hätten finſtre Nacht?

Des Morgens Gluten wallten eben noch,

Nothglühend, wie des Lavaſtromes Macht

Hernieder kniſtert von Veſuves Joch;

Nie ſah ſo prächtig man Auroren ziehen!

An unſre Augen ſchlugen wir die Hand,

Und dachten ſchier, der Felſen ſteh' in Brand,

Die Hirten ſahn wir wie Dämone glühen;

Das nenn' ich einen Sonnenaufgang doch!
Und ſprichſt du unſres Landes Nymphen Hohn?

Noch eben ſchlüpfte durch des Forſtes Hau

Ein Mädchen, voll und ſinnig wie der Mohn,

Gewiß, ſie war die allerſchönſte Frau!

Ihr weißes Händchen hielt den blanken Spaten,

[188]
Der kleine Fuß, in Zwickelſtrumpf und Schuh,

Hob ſich ſo ſchwebend, trat ſo zierlich zu,

Und hör', ich will es dir nur gleich verrathen,

Der ſchönen Clara glich ſie ganz genau.
Und ſagſt du, dieſe habe mein gelacht?

O hätteſt du ſie heute nur geſehn,

Wie ſchlau ſie meine Blicke hat bewacht,

Wie zärtlich konnte ihre Augen drehn,

Und welche ſüße Worte ihr entquollen!

Recht wo ich ſtand, dorthin hat ſie geweint:

„Mein theures Herz, mein Leben, einz'ger Freund!“

Das ſchien ihr von den Lippen nur zu rollen.

War das nicht richtig angebracht, und ſchön?
Doch Eins nur, Eines noch verhehlt' ich dir,

Und fürchte ſehr, es trage wenig ein;

Der Wald war brettern und der Kranz Papier,

Das Morgenroth Bengalens Feuerſchein,

Und als ſie ließ ſo ſüße Worte wandern,

Ach, ob ſie gleich dabei mich angeblickt,

Der dicht an das Orcheſter war gerückt,

Doch fürcht' ich faſt, ſie galten einem Andern!

Was meinſt du, ſollte das wohl möglich ſeyn?
[189]

Die Taxuswand.

Ich ſtehe gern vor dir,

Du Fläche ſchwarz und rauh,

Du ſchartiges Viſier

Vor meines Liebſten Brau',

Gern mag ich vor dir ſtehen,

Wie vor grundirtem Tuch,

Und drüber gleiten ſehen

Den bleichen Krönungszug;
Als mein die Krone hier,

Von Händen die nun kalt;

Als man geſungen mir

In Weiſen die nun alt;

Vorhang am Heiligthume,

Mein Paradieſesthor,

Dahinter Alles Blume,

Und Alles Dorn davor.
Denn jenſeits weiß ich ſie,

Die grüne Gartenbank,

Wo ich das Leben früh

Mit glühen Lippen trank,

Als mich mein Haar umwallte

Noch golden wie ein Stral,

Als noch mein Ruf erſchallte,

Ein Hornſtoß, durch das Thal.
[190]
Das zarte Epheureis,

So Liebe pflegte dort,

Sechs Schritte, — und ich weiß,

Ich weiß dann, daß es fort.

So will ich immer ſchleichen

Nur an dein dunkles Tuch,

Und achtzehn Jahre ſtreichen

Aus meinem Lebensbuch.
Du ſtarrteſt damals ſchon

So düſter treu wie heut',

Du, unſrer Liebe Thron

Und Wächter manche Zeit;

Man ſagt daß Schlaf, ein ſchlimmer,

Dir aus den Nadeln raucht, —

Ach, wacher war ich nimmer,

Als rings von dir umhaucht!
Nun aber bin ich matt,

Und möcht an deinem Saum

Vergleiten, wie ein Blatt

Geweht vom nächſten Baum;

Du lockſt mich wie ein Hafen,

Wo alle Stürme ſtumm,

O, ſchlafen möcht ich, ſchlafen,

Bis meine Zeit herum!
[191]

Nach fünfzehn Jahren.

Wie hab' ich doch ſo manche Sommernacht,

Du düſtrer Saal, in deinem Raum verwacht!

Und du, Balkon, auf dich bin ich getreten,

Um leiſe für ein theures Haupt zu beten,

Wenn hinter mir aus des Gemaches Tiefen

Wie Hülfewimmern bange Seufzer riefen,

Die Odemzüge aus geliebtem Mund;

Ja, bitter weint' ich — o Erinnerung! —

Doch trug ich muthig es, denn ich war jung,

War jung noch und geſund.
Du Bett mit ſeidnem Franzenhang geziert,

Wie hab' ich deine Falten oft berührt,

Mit leiſer leiſer Hand gehemmt ihr Rauſchen,

Wenn ich mich beugte durch den Spalt zu lauſchen,

Mein Haupt ſo müde daß es ſchwamm wie trunken,

So matt mein Knie daß es zum Grund geſunken!

Mechaniſch löſte ich der Zöpfe Bund

Und ſucht im friſchen Trunk Erleichterung;

Ach, Alles trägt man leicht, iſt man nur jung,

Nur jung noch und geſund!
Und als die Roſe, die am Stock erblich,

Sich wieder auf die kranke Wange ſchlich,

Wie hab' ich an dem Pfeilertiſche drüben

Dem Töchterchen geringelt ſeine lieben

[192]
Goldbraunen Löckchen! wie ich mich befliſſen,

Eh ich es führte an der Mutter Kiſſen!

Und gute Sitte flüſtert' ich ihm ein,

Gelobte ihm die Fabel von dem Schaf

Und ſieben Zicklein, wenn es wolle brav,

Recht brav und ſittig ſeyn.
Und dort die Hütte in der Tannenſchlucht,

Da naſchten ſie und ich der Rebe Frucht,

Da fühlten wir das Blut ſo keimend treiben,

Als müſſ' es immer friſch und ſchäumend bleiben;

Des Ueberſtandnen lachten wir im Hafen:

Wie ich geſchwankt, wie ſtehend ich geſchlafen;

Und wandelten am Raſenſtreifen fort,

Und muſterten der Stämmchen ſchlanke Reihn,

Und ſchwärmten, wie es müſſe reizend ſeyn

Nach fünfzehn Jahren dort!
O fünfzehn Jahre, lange öde Zeit!

Wie ſind die Bäume jetzt ſo ſtarr und breit!

Der Hütte Thür vermocht ich kaum zu regen,

Da ſchoß mir Staub und wüſt Gerüll entgegen,

Und an dem blanken Gartenſaale drüben

Da ſteht 'ne ſchlanke Maid mit ihrem Lieben,

Die ſchaun ſich lächelnd in der Seele Grund,

In ihren braunen Locken rollt der Wind;

Gott ſegne dich, du biſt geliebt, mein Kind,

Biſt fröhlich und geſund!
Sie aber die vor Luſtern dich gebar,

Wie du ſo ſchön, ſo friſch und jugendklar,

[193]
Sie ſteht mit Einer an des Parkes Ende

Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,

Mit Einer, wie du nimmer möchteſt denken,

So könne deiner Jugend Fluth ſich ſenken;

Sie ſchaun ſich an, du nennſt vielleicht es kalt,

Zwei ſtarre Stämme, aber ſonder Wank

Und ſonder Thränenquell, denn ſie ſind krank,

Ach, Beide krank und alt!
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 13[194]

Der kranke Aar.

Am dürren Baum, im fetten Wieſengras

Ein Stier behaglich wiederkäut' den Fraß;

Auf niederm Aſt ein wunder Adler ſaß,

Ein kranker Aar mit gebrochnen Schwingen.
„Steig' auf, mein Vogel, in die blaue Luft,

Ich ſchau dir nach aus meinem Kräuterduft.“ —

„Weh, weh, umſonſt die Sonne ruft

Den kranken Aar mit gebrochnen Schwingen!“ —
„O Vogel, warſt ſo ſtolz und freventlich

Und wollteſt keine Feſſel ewiglich!“ —

„Weh, weh, zu Viele über mich,

Und Adler all, — brachen mir die Schwingen!“
„So flattre in dein Neſt, vom Aſte fort,

Dein Aechzen ſchier die Kräuter mir verdorrt.“

„Weh, weh, kein Neſt hab' ich hinfort,

Verbannter Aar mit gebrochnen Schwingen!“
„O Vogel, wärſt du eine Henne doch,

Dein Neſtchen hätteſt du, im Ofenloch.“

„Weh, weh, viel lieber ein Adler noch,

Viel lieber ein Aar mit gebrochnen Schwingen!“
[195]

Sit illi terra levis!

So ſonder Arg haſt du in dieſem Leben

Mich deinen allerbeſten Freund genannt,

Haſt mir ſo oft gereicht die hagre Hand, —

Hab' ich gelächelt, mag mir Gott vergeben.

Die Schlange wacht in jedes Menſchen Bruſt,

Was ich dir bot, es war doch treue Gabe,

Und hier bekenn' ich es, an deinem Grabe,

Du warſt mir lieber als ich es gewußt.
Ob ich auch nie zu jenen mich geſellte,

Die lachend deine Einfalt angeſchaut;

Des Hauptes, das in Ehren war ergraut,

Verhöhnung immer mir die Adern ſchwellte;

Doch erſt wo aller Menſchen Witz verſiegt,

Ein armer Tropfen in Egyptens Sande,

Hier erſt erkenn' ich, an der Seelen Brande,

Wie ſchwer des Auges warme Thräne wiegt.
Sah ich ſie nicht an deine Wimper ſteigen,

Wenn du dem fremden Leide dich geeint?

Haſt du nicht meinen Todten nachgeweint,

So heiß wie deines eignen Blutes Zweigen?

O! wenn ich in der Freude deß vergaß,

Mit bitterm Herzen muß ich es beklagen,

Denn von des Schickſals harter Hand geſchlagen,

Wie gern ich dann in deinem Auge las!
[196]
Noch ſeh ich dich im Hauch des Winterbrodems

Herſtapfen, wie den irren Haidegeiſt,

Wenn Tropf' an Tropfen deiner Stirn entfleußt,

Hör noch das Keuchen deines armen Odems.

Es waren ſchlimme Wege, rauh und weit,

Die du gewandelt manche Winterwende,

Um des Altares heil'ge Gnadenſpende

Zu tragen mir in meine Einſamkeit.
O manchem Spötter gabſt du ernſt Gedenken,

Wenn höhnend deine kleine Hab' er prieß,

Für ſchlechtes Ding dir Tauſende verhieß,

Und du nur glücklich warſt ihn zu beſchenken!

So werth war dir kein Gut, ſo ehrenreich,

Daß du es nicht mit Freuden hingegeben,

Dann ſah man deine Lippen freundlich beben,

Und zucken wie das Dämmerlicht im Teich.
An deinem Kleide, ſchwarz und Fadenſcheinend,

War jeder Fleck ein heimlich Ehrenmaal,

Du frommer Dieb am Eignen! ohne Wahl

Das Schlechteſte dir noch genugſam meinend.

Mann ohne Falſch und mit der offnen Hand,

Drin wie Demant der Wittwe Heller blinken,

Sanft ſoll der Thau auf deinen Hügel ſinken,

Und leicht, leicht ſey dir das geweihte Land!
Schlaf ſanft, ſchlaf ſtill in deinem grünen Bette,

Dir überm Haupt des Glaubens fromm Simbol,

Die Welt vergißt, der Himmel kennt dich wohl,

Ein Engel wacht an dieſer ſchlichten Stätte.

[197]
Auch eine Thräne wird dir nachgeweint,

Und wahrlich keine falſche: „ach ſie haben,

„Sie haben einen guten Mann begraben,

Und mir, mir war er mehr“ — mein wärmſter Freund.
[198]

Die Unbeſungenen.

'S giebt Gräber wo die Klage ſchweigt,

Und nur das Herz von innen blutet,

Kein Tropfen in die Wimper ſteigt,

Und doch die Lava drinnen fluthet;

'S giebt Gräber, die wie Wetternacht

An unſerm Horizonte ſtehn

Und alles Leben niederhalten,

Und doch, wenn Abendroth erwacht,

Mit ihren goldnen Flügeln wehn

Wie milde Seraphimgeſtalten.
Zu heilig ſind ſie für das Lied,

Und mächtge Redner doch vor Allen,

Sie nennen dir was nimmer ſchied,

Was nie und nimmer kann zerfallen;

O, wenn dich Zweifel drückt herab,

Und möchteſt athmen Aetherluft,

Und möchteſt ſchauen Seraphsflügel,

Dann tritt an deines Vaters Grab!

Dann tritt an deines Bruders Gruft!

Dann tritt an deines Kindes Hügel!
[199]

Das Spiegelbild.

Schauſt du mich an aus dem Kriſtall,

Mit deiner Augen Nebelball,

Kometen gleich die im Verbleichen;

Mit Zügen, worin wunderlich

Zwei Seelen wie Spione ſich

Umſchleichen, ja, dann flüſtre ich:

Phantom, du biſt nicht meines Gleichen!
Biſt nur entſchlüpft der Träume Hut,

Zu eiſen mir das warme Blut,

Die dunkle Locke mir zu blaſſen;

Und dennoch, dämmerndes Geſicht,

Drin ſeltſam ſpielt ein Doppellicht,

Träteſt du vor, ich weiß es nicht,

Würd' ich dich lieben oder haſſen?
Zu deiner Stirne Herrſcherthron,

Wo die Gedanken leiſten Frohn

Wie Knechte, würd ich ſchüchtern blicken;

Doch von des Auges kaltem Glaſt,

Voll todten Lichts, gebrochen faſt,

Geſpenſtig, würd, ein ſcheuer Gaſt,

Weit, weit ich meinen Schemel rücken.
Und was den Mund umſpielt ſo lind,

So weich und hülflos wie ein Kind,

[200]
Das möcht in treue Hut ich bergen;

Und wieder, wenn er höhnend ſpielt,

Wie von geſpanntem Bogen zielt,

Wenn leiſ' es durch die Züge wühlt,

Dann möcht ich fliehen wie vor Schergen.
Es iſt gewiß, du biſt nicht Ich,

Ein fremdes Daſeyn, dem ich mich

Wie Moſes nahe, unbeſchuhet,

Voll Kräfte die mir nicht bewuſt,

Voll fremden Leides, fremder Luſt;

Gnade mir Gott, wenn in der Bruſt

Mir ſchlummernd deine Seele ruhet!
Und dennoch fühl ich, wie verwandt,

Zu deinen Schauern mich gebannt,

Und Liebe muß der Furcht ſich einen.

Ja, träteſt aus Kriſtalles Rund,

Phantom, du lebend auf den Grund,

Nur leiſe zittern würd ich, und

Mich dünkt — ich würde um dich weinen!
[201]

Neujahrsnacht.

Im grauen Schneegeſtöber blaſſen

Die Formen, es zerfließt der Raum,

Laternen ſchwimmen durch die Gaſſen,

Und leiſe kniſtert es im Flaum;

Schon naht des Jahres letzte Stunde,

Und drüben, wo der matte Schein

Haucht aus den Fenſtern der Rotunde,

Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte,

Ob deſſen Haupt die Wage neigt,

Noch einmal ſchleicht eh der verhängte,

Der ſchwere Tag im Oſten ſteigt,

Noch einmal faltet ſeine Hände

Um milden Spruch, ſo knien ſie dort,

Still gläubig, daß ihr Flehen wende

Des Jahres ernſtes Loſungswort.
Ich ſehe unter meinem Fenſter

Sie gleiten durch den Nebelrauch,

Verhüllt und lautlos wie Geſpenſter,

Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch;

Ein blaſſer Kreis zu ihren Füßen

Zieht über den verſchneiten Grund,

Lichtfunken blitzen auf und ſchießen

Um der Laterne dunſtig Rund.
[202]
Was mögen ſie im Herzen tragen,

Wie manche Hoffnung, ſtill bewacht!

Wie mag es unterm Vließe ſchlagen

So heiß in dieſer kalten Nacht!

Fort keuchen ſie, als möge fallen

Der Hammer, eh ſie ſich gebeugt,

Bevor ſie an des Thrones Hallen

Die letzte Bittſchrift eingereicht.
Dort hör ich eine Angel rauſchen,

Vernehmlich wird des Kindes Schreyn,

Und die Geſtalt — ſie ſcheint zu lauſchen,

Dann fürder ſchwimmt der Lampe Schein;

Noch einmal ſteigt ſie, läßt die Schimmer

Verzittern an des Fenſters Rand,

Gewiß, ſie trägt ein Frauenzimmer,

Und einer Mutter fromme Hand!
Nun ſtampft es rüſtig durch die Gaſſe,

Die Decke kracht vom ſchweren Tritt,

Der Krämer ſchleppt die Sündenmaſſe

Der böſen Zahler keuchend mit;

Und hinter ihm wie eine Docke

Ein armes Kind im Flitterſtaat,

Mit ſeidnem Fähnchen, ſeidner Locke,

Huſcht frierend durch den engen Pfad.
Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!

Glutaugen richtend in die Höh',

'Ne koloſſale Feuerfliege,

Rauſcht die Karoſſe durch den Schnee;

[203]
Und Dämpfe qualmen auf und ſchlagen

Zurück vom Wirbel des Geſpanns;

Ja, ſchwere Bürde trägt der Wagen,

Die Wünſche eines reichen Manns!
Und hinter ihm ein Licht ſo ſchwankend,

Der Träger tritt ſo ſachte auf,

Nun lehnt er an der Mauer, wankend,

Sein hohler Huſten ſchallt hinauf;

Er öffnet der Laterne Reifen,

Es zupfen Finger lang und fahl

Am Dochte, Odemzüge pfeifen, —

Du, Armer, knieſt zum letztenmal.
Dann Licht an Lichtern längs der Mauer,

Wie Meteore irr geſchaart,

Ein krankes Weib, in tiefer Trauer,

Huſaren mit bereiftem Bart,

In Filz und Kittel ſtämmge Bauern,

Den Roſenkranz in ſtarrer Fauſt,

Und Mädchen die wie Falken lauern,

Von Mantels Fittigen umſauſt.
Wie oft hab' ich als Kind im Spiele

Gelauſcht den Funken im Papier,

Der Sternchen zitterndem Gewühle,

Und: „Kirchengänger!“ ſagten wir;

So ſeh' ichs wimmeln um die Wette

Und löſchen, wo der Pfad ſich eint,

Nachzügler noch, dann grau die Stätte,

Nur einſam die Rotunde ſcheint.
[204]
Und mählig ſchwellen Orgelklänge

Wie Heroldsrufe an mein Ohr:

Knie nieder, Läſſiger, und dränge

Auch deines Herzens Wunſch hervor!

„Du, dem Jahrtauſende verrollen

Secundengleich, erhalte mir

Ein muthig Herz, ein redlich Wollen,

Und Faſſung an des Grabes Thür.“
Da, horch! — es ſummt durch Wind und Schloſſen,

Gott gnade uns, hin iſt das Jahr!

Im Schneegeſtäub' wie Schnee zerfloſſen,

Zukünftiges wird offenbar;

Von allen Thürmen um die Wette

Der Hämmer Schläge, daß es ſchallt,

Und mit dem letzten iſt die Stätte

Gelichtet für den neuen Wald.
[205]

Der Todesengel.

'S giebt eine Sage, daß wenn plötzlich matt'

Unheimlich Schaudern Einen übergleite,

Daß dann ob ſeiner künft'gen Grabesſtatt

Der Todesengel ſchreite.
Ich hörte ſie, und malte mir ein Bild

Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,

So ſchaurig ſchön, wie's wohl zuweilen quillt

Im ſchwimmenden Gehirne.
In ſeiner Hand ſah ich den Ebenſtab

Mit leiſem Strich des Bettes Lage meſſen,

— So weit das Haupt — ſo weit der Fuß — hinab!

Verſchüttet und vergeſſen!
Mich graute, doch ich ſprach dem Grauen Hohn,

Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,

Und frevelnd wagt' ich aus der Todtenkron'

Ein Lorbeerblatt zu langen.
O, manche Stunde denk ich jetzt daran,

Fühl' ich mein Blut ſo matt und ſtockend ſchleichen,

Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an —

Ich mag es nicht vergleichen; —
[206]
Als ich zuerſt dich auf dem Friedhof fand,

Tiefſinnig um die Monumente ſtreifend,

Den ſchwarzen Ebenſtab in deiner Hand

Entlang die Hügel ſchleifend;
Als du das Auge hobſt, ſo ſcharf und nah,

Ein leiſes Schaudern plötzlich mich befangen,

O wohl, wohl iſt der Todesengel da

Ueber mein Grab gegangen!
[207]

Abſchied von der Jugend.

Wie der zitternde Verbannte

Steht an ſeiner Heimath Gränzen,

Rückwärts er das Antlitz wendet,

Rückwärts ſeine Augen glänzen,

Winde die hinüber ſtreichen,

Vögel in der Luft beneidet,

Schaudernd vor der kleinen Scholle,

Die das Land vom Lande ſcheidet;
Wie die Gräber ſeiner Todten,

Seine Lebenden, die ſüßen,

Alle ſtehn am Horizonte,

Und er muß ſie weinend grüßen;

Alle kleinen Liebesſchätze,

Unerkannt und unempfunden,

Alle ihn wie Sünden brennen

Und wie ewig offne Wunden;
So an ſeiner Jugend Scheide

Steht ein Herz voll ſtolzer Träume,

Blickt in ihre Paradieſe

Und der Zukunft öde Räume,

Seine Neigungen, verkümmert,

Seine Hoffnungen, begraben,

Alle ſtehn am Horizonte,

Wollen ihre Thräne haben.
[208]
Und die Jahre die ſich langſam,

Tückiſch reihten aus Minuten,

Alle brechen auf im Herzen,

Alle nun wie Wunden bluten;

Mit der armen kargen Habe,

Aus ſo reichem Schacht erbeutet,

Muthlos, ein gebrochner Wandrer,

In das fremde Land er ſchreitet.
Und doch iſt des Sommers Garbe

Nicht geringer als die Blüthen,

Und nur in der feuchten Scholle

Kann der friſche Keim ſich hüten;

Ueber Fels und öde Flächen

Muß der Strom, daß er ſich breite,

Und es ſegnet Gottes Rechte

Uebermorgen ſo wie heute.
[209]

Was bleibt.

Seh' ich ein Kind zur Weihnachtsfriſt,

Ein roſig Kind mit Taubenaugen,

Die Kunde von dem kleinen Chriſt

Begierig aus den Lippen ſaugen,

Aufhorchen, wenn es rauſcht im Tann,

Ob draußen ſchon ſein Pferdchen ſchnaube:

„O Unſchuld, Unſchuld,“ denk ich dann,

Du zarte, ſcheue, flüchtge Taube!
Und als die Wolke kaum verzog,

Studenten klirrten durch die Straßen,

Und: »Vivat Bona!« donnert's hoch,

So keck und fröhlich ſonder Maßen;

Sie ſchaarten ſich wie eine Macht,

Die gegen den Koloß ſich bäume:

„O Hoffnung“, hab' ich da gedacht,

„Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!“
Und ihnen nach ein Reiter ſtampft,

Geſchmückt mit Kreuz und Epaulette,

Den Tzacko lüftet er, es dampft

Wie Oefen ſeines Scheitels Glätte;

Kühn war der Blick, der Arm noch ſtramm,

Doch droben ſchwebt' der Zeitenrabe:

Da ſchien mir Kraft ein Meeresdamm,

Den jeder Pulsſchlag untergrabe.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 14[210]
Und wieder durch die Gaſſe zog

Studentenhauf, und vor dem Hauſe

Des Rektors dreimal „hurrah hoch!“

Und wieder „hoch!“ — aus ſeiner Klauſe,

In Zipfelmütze und Flanell,

Ein Schemen nickt am Fenſterbogen.

„Ha“, dacht ich, „Ruhm, du Mordgeſell,

Kömmſt nur als Leichenhuhn geflogen!“
An meine Wange haucht' es dicht,

Und wie das Haupt ich ſeitwärts regte,

Da ſah ich in das Angeſicht

Der Frau, die meine Kindheit pflegte,

Dies Antlitz wo Erinnerung

Und werthe Gegenwart ſich paaren:

„O Liebe“, dacht ich, „ewig jung,

Und ewig friſch bei grauen Haaren!“
[[211]]

Scherz und Ernſt.

[[212]][[213]]

Dichters Naturgefühl.

Es war an einem jener Tage,

Wo Lenz und Winter ſind im Streit,

Wo naß das Veilchen klebt am Haage,

Kurz, um die erſte Maienzeit;

Ich ſuchte keuchend mir den Weg

Durch ſumpfge Wieſen, dürre Raine,

Wo matt die Kröte hockt' am Steine,

Die Eidechs ſchlüpfte über'n Steg.
Durch hundert kleine Waſſertruhen,

Die wie verkühlter Spüligt ſtehn,

Zu ſtelzen mit den Gummiſchuhen,

Bei Gott, heißt das Spazierengehn?

Natur, wer auf dem Haberrohr

In Jamben, Stanzen, ſüßen Phraſen

So manches Loblied dir geblaſen,

Dem ſtell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück den Schleier wehen

Die eitle vielbeſungne Frau,

Als fürchte ſie des Dichters Schmähen;

Im Sonnenlichte ſtand die Au,

[214]
Und bei dem erſten linden Stral

Stieg eine Lerche aus den Schollen,

Und ließ ihr Tirilirum rollen

Recht wacker durch den Aetherſaal.
Die Quellchen, glitzernd wie Kriſtallen,

Die Zweige, glänzend emaillirt —

Das kann dem Kenner ſchon gefallen,

Ich nickte lächelnd: „es paſſirt!“

Und ſtapfte fort in eine Schluft,

Es war ein ſtill und ſonnig Fleckchen,

Wo tauſend Anemonenglöckchen

Umgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp'ge Moos — der Lerchen Lieder —

Der Blumen Flor — des Krautes Keim —

Auf meinen Mantel ſaß ich nieder

Und ſann auf einen Frühlingsreim.

Da — alle Muſen, welch ein Ton! —

Da kam den Rain entlang geſungen

So eine Art von dummen Jungen,

Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Epheukranz im flächsnen Haare,

In ſeiner Hand den Veilchenſtrauß,

So trug er ſeine achtzehn Jahre

Romantiſch in den Lenz hinaus.

Nun ſchlüpft er durch des Hagens Loch,

Nun hing er an den Dornenzwecken

Wie Abrams Widder in den Hecken,

Und in den Dornen pfiff er noch.
[215]
Bald hatt' er beugend, gleitend, ſpringend,

Den Blumenanger abgegrast,

Und rief nun, ſeine Mähnen ſchwingend:

„Viktoria, Trompeten blast!“

Dann flüſtert er mit ſüßem Hall:

„O, wären es die ſchwed'ſchen Hörner!“

Und dann begann ein Lied von Körner;

Fürwahr du biſt 'ne Nachtigall!
Ich ſah ihn, wie er an dem Walle

Im feuchten Mooſe niederſaß,

Und nun die Veilchen, Glöckchen alle

Mit ſel'gem Blick zu Sträußen las,

Auf ſeiner Stirn den Sonnenſtral;

Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,

Warum? ich weiß es nicht zu ſagen,

Der fade Burſch war mir fatal.
Noch war ich von dem blinden Heſſen

Auf meinem Mantel nicht geſehn,

Und ſo begann ich zu ermeſſen,

Wie übel ihm von Gott geſchehn;

O Himmel, welch' ein traurig Loos,

Das Schickſal eines dummen Jungen,

Der zum Copiſten ſich geſchwungen

Und auf den Schreiber ſteuert los!
Der in den kargen Feierſtunden

Romane von der Zofe borgt,

Beklagt des Löwenritters Wunden

Und ſeufzend um den Poſa ſorgt,

[216]
Der ſeine Zelle, kalt und klein,

Schmückt mit Aladdins Zaubergabe,

Und an dem Quell, wie Schillers Knabe,

Violen ſchlingt in Kränzelein!
In deſſen wirbelndem Gehirne

Das Leben ſpuckt gleich einer Fey,

Der — haſtig fuhr ich an die Stirne:

„Wie, eine Mücke ſchon im Mai?“

Und trabte zu der Schlucht hinaus,

Hohl huſtend, mit beklemmter Lunge,

Und drinnen blieb der dumme Junge,

Und pfiff zu ſeinem Veilchenſtrauß!
[217]

Der Theetiſch.

Läugnen willſt du Zaubertränke,

Lachſt mir höhniſch in die Zähne,

Wenn Iſoldens ich gedenke,

Wenn Gudrunens ich erwähne?
Und was deine kluge Amme

In der Dämmrung dir vertraute,

Von Schneewittchen und der Flamme,

Die den Hexenſchwaden braute;
Alles will dir nicht genügen,

Ueberweiſer Mückenſieber?

Nun, ſo laß die Feder liegen,

Schieb dich in den Cirkel, Lieber,
Wo des zopfigen Chineſen

Trank im Silberkeſſel ziſchet,

Sein Aroma auserleſen

Mit des Patſchul's Düften miſchet;
Wo ein ſchöner Geiſt, den Bogen

Feingefältelt in der Taſche,

Lauſcht wie in den Redewogen

Er das Steuer ſich erhaſche;
[218]
Wo in zarten Händen hörbar

Blanke Nadelſtäbe knittern,

Und die Herren ſtramm und ehrbar

Breiten ihrer Weisheit Flittern.
Alles ſcheint dir noch gewöhnlich,

Von der Sohle bis zum Scheitel,

Und du rufſt, dem Weiſen ähnlich:

„Alles unter'm Mond iſt eitel!“
Dir genüber und zur Seite

Hier Chriſtinos, dort Carliſten,

Lauter ordinäre Leute,

Deutſche Michel, gute Chriſten!
Aber ſieh die weißen ſchmalen

Finger ſich zum Griff bereiten,

Und die dampfumhüllten Schalen

Zierlich an die Lippen gleiten:
Noch Minuten — und die Stube

Iſt zum Kiosk umgeſtaltet,

Wo der thränenreiche Bube,

Der Chineſe zaubernd waltet;
Von der roſenfarbnen Rolle

Lieſt er ſeine Zauberreime,

Verſe, zart wie Seidenwolle,

Süß wie Jungfernhonigſeime;
[219]
„Ting, tang, tong“ — das ſteigt und ſinket,

Welch Geſäuſel, welches Ziſchen!

Wie ein irres Hündlein hinket

Noch ein deutſches Wort dazwiſchen.
Und die ſüßen Damen lächeln,

Leiſe ſchaukelnde Pagoden;

Wie ſie nicken, wie ſie fächeln,

Wie der Knäuel hüpft am Boden!
Aber, weh, nun wird's gefährlich,

„Tſchi, tſi, tſung.“ — Die Töne ſchneiden,

Schnell hinweg die Meſſer! ſchwerlich

Ueberſteht er ſolche Leiden;
Denn er ſchaukelt und er dehnet

Ob der Zauberſchale Rauche;

Weh, ich fürcht' am Boden ſtöhnet

Bald er mit geſchlitztem Bauche!
Und die eingeſchreckten Frauen

Sitzen ſtumm und abgetakelt,

Nur das ſchwanke Haupt vor Grauen

Noch im Pendelſchwunge wackelt;
Tiefe Stille im Gemache —

Thrän' im Auge — Kummermiene, —

Und wie Glöckchen an dem Dache

Spielt die ſiedende Maſchine;
[220]
Alle die geſenkten Köpfe

Blinzelnd nach des Tiſches Mitten,

Wo die Brezel ſtehn, wie Zöpfe

In Verzweiflung abgeſchnitten;
Suche ſacht nach deinem Hute,

Freund, entſchleiche unterm Leſen,

Sonſt, ich ſchwör's bei meinem Blute,

Zaubern ſie dich zum Chineſen,
Löſt ſich deines Frackes Wedel,

Unwillkührlich mußt du ziſchen,

Und von deinem weißen Schädel

Fühlſt du Haar um Haar entwiſchen,
Bis dir blieb nur Eine Locke

Von des dunklen Wulſtes Drängen,

Dich damit, lebend'ge Glocke,

An dem Kiosk aufzuhängen.
[221]

Die Nadel im Baume.

Vor Zeiten, ich war ſchon groß genug,

Hatt' die Kinderſchuhe vertreten,

Nicht alt war ich, doch eben im Zug'

Zu Sankt Andreas zu beten,

Da bin ich gewandelt, Tag für Tag,

Das Feld entlang mit der Kathi;

Ob etwas Liebes im Wege lag?

Tempi passati — passati!
Und in dem Haideland ſtand ein Baum,

Eine ſchlanke ſchmächtige Erle,

Da ſaßen wir oft in wachendem Traum,

[Und] horchten dem Schlage der Merle;

Die hatte ihr ſtruppiges Neſt gebaut,

Grad in der ſchwankenden Krone,

Und hat ſo keck hernieder geſchaut

Wie ein Gräflein vom winzigen Throne.
Wir kosten ſo viel und gingen ſo lang',

Daß drüber der Sommer verfloſſen;

Dann hieß es: „Scheiden, o weh wie bang!“

Viel Thränen wurden vergoſſen;

Die Hände hielten wir ſtumm gepreßt,

Da zog ich aus flatternder Binde

Eine blanke Nadel, und drückte feſt

Sie, feſt in die ſaftige Rinde;
[222]
Und drunter merkte ich Tag und Stund',

Dann ſind wir fürder gezogen,

So kläglich ſchluchzend aus Herzensgrund,

Daß ſchreiend die Merle entflogen;

O junge Seelen ſind Königen gleich,

Sie können ein Peru vergeuden,

Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig,

Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit ſchleichendem Gang,

Verrannen gleich duftiger Wolke,

Und wieder zog ich das Feld entlang

Mit jungem luſtigen Volke;

Die ſchleuderten Stäbe, und ſchrieen „Halloh!“

Die ſprudelten Witze wie Schloſſen,

Mir ward's im Herzen gar keck und froh,

Muthwillig wie unter Genoſſen.
Da plötzlich rauſcht' es im dichten Gezweig,

„Eine Merle“, rief's, „eine Merle!“

Ich fuhr empor — ward ich etwa bleich?

Ich ſtand an der alternden Erle;

Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,

Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,

Als ich ſah, daß die alte Nadel es war,

Meine roſtige Nadel im Stamme!
Drauf hab' ich genommen ganz ſtill in Schau

Die Inſchrift, zu eigenem Frommen,

Und fühlte dann plötzlich, es ſteige der Thau,

Und werde mir ſchwerlich bekommen.

[223]
Ich will nicht klagen, mir blieb ein Hort,

Den roſten nicht Wetter und Wogen,

Allein für immer, für immer iſt fort

Der Schleier vom Auge gezogen!
[224]

Die beſchränkte Frau.

Ein Krämer hatte eine Frau,

Die war ihm ſchier zu ſanft und milde,

Ihr Haar zu licht, ihr Aug' zu blau,

Zu gleich ihr Blick dem Mondenſchilde;

Wenn er ſie ſah ſo ſtill und ſacht

Im Hauſe gleiten wie ein Schemen,

Dann faßt es ihn wie böſe Macht,

Er mußte ſich zuſammen nehmen.
Vor Allem macht ihm Ueberdruß

Ein Wort, das ſie an Alles knüpfte,

Das freilich in der Rede Fluß

Gedankenlos dem Mund entſchlüpfte:

„In Gottes Namen“, ſprach ſie dann,

Wenn ſchwere Prüfungsſtunden kamen,

Und wenn zu Weine ging ihr Mann,

Dann ſprach ſie auch: „in Gottes Namen.“
Das ſchien ihm lächerlich und dumm,

Mitunter frevelhaft vermeſſen;

Oft ſchalt er und ſie weinte drum,

Und hat es immer doch vergeſſen.

Gewöhnung war es früher Zeit

Und klöſterlich verlebter Jugend;

So war es keine Sündlichkeit

Und war auch eben keine Tugend.
[225]
Ein Sprichwort ſagt: wem gar nichts fehlt,

Den ärgert an der Wand die Fliege;

So hat dies Wort ihn mehr gequält,

Als Andre Hinterliſt und Lüge.

Und ſprach ſie ſanft: „es paßte ſchlecht!“

Durch Demuth ſeinen Groll zu zähmen,

So ſchwur er, übel oder recht,

Werd' es ihn ärgern und beſchämen.
Ein Blüthenhaag war ſeine Luſt.

Einſt ſah die Frau ihn ſinnend ſtehen,

Und ganz verſunken, unbewußt,

So Zweig an Zweig vom Strauche drehen;

„In Gottes Namen!“ rief ſie, „Mann,

„Du ruinirſt den ganzen Hagen!“

Der Gatte ſah ſie grimmig an,

Fürwahr, faſt hätt' er ſie geſchlagen.
Doch wer da Unglück ſucht und Reu,

Dem werden ſie entgegen eilen,

Der Handel iſt ein zart Gebäu,

Und ruht gar ſehr auf fremden Säulen.

Ein Freund fallirt, ein Schuldner flieht,

Ein Gläub'ger will ſich nicht gedulden,

Und eh ein halbes Jahr verzieht

Weiß unſer Krämer ſich in Schulden.
Die Gattin hat ihn oft geſehn

Gedankenvoll im Sande waten,

Am Contobuche ſeufzend ſtehn,

Und hat ihn endlich auch errathen;

v. Droſte-Hülshof, Gedichte 15[226]
Sie öffnet heimlich ihren Schrein,

Langt aus verborgner Fächer Grube,

Dann, leiſe wie der Mondenſchein,

Schlüpft ſie in ihres Mannes Stube.
Der ſaß, die ſchwere Stirn geſtützt,

Und rauchte fort am kalten Rohre:

„Carl!“ drang ein ſcheues Flüſtern itzt,

Und wieder „Carl!“ zu ſeinem Ohre;

Sie ſtand vor ihm, wie Blut ſo roth,

Als gält' es eine Schuld geſtehen.

„Carl“ ſprach ſie, „wenn uns Unheil droht,

Iſt's denn unmöglich, ihm entgehen?“
Drauf reicht ſie aus der Schürze dar

Ein Säckchen, ſtramm und ſchwer zu tragen,

Drinn Alles was ſie achtzehn Jahr

Erſpart am eigenen Behagen.

Er ſah ſie an mit raſchem Blick,

Und zählte, zählte nun auf's Neue,

Dann ſprach er ſeufzend: „mein Geſchick

Iſt zu verwirrt, — dies langt wie Spreue!“
Sie bot ein Blatt, und wandt' ſich um,

Erzitternd, glüh gleich der Granate;

Es war ihr kleines Eigenthum,

Das Erbtheil einer frommen Pathe.

„Nein“ ſprach der Mann, „das ſoll nicht ſeyn!“

Und klopfte freundlich ihre Wangen.

Dann warf er einen Blick hinein

Und ſagte dumpf: „ſchier möcht' es langen.“
[227]
Nun nahm ſie, aus der Schürze Grund,

All ihre armen Herrlichkeiten,

Theelöffelchen, Dukaten rund,

Was ihr geſchenkt von Kindeszeiten.

Sie gab es mit ſo freud'gem Zug!

Doch war's als ob ihr Mund ſich regte,

Als ſie zuletzt auf's Contobuch

Der ſel'gen Mutter Trauring legte.
„Faſt langt es“, ſprach gerührt der Mann,

„Und dennoch kann es ſchmählich enden;

Willſt du dein Leben dann fortan,

Geplündert, friſten mit den Händen?“

Sie ſah ihn an, — nur Liebe weiß

An liebem Blicke ſo zu hangen —

„In Gottes Namen!“ ſprach ſie leis,

Und weinend hielt er ſie umfangen.
[228]

Die Stubenburſchen.

Sie waren Beide froh und gut,

Und mochten ungern ſcheiden;

Die Jahre fliehn, es liſcht der Muth,

Der Tag bringt Freud' und Leiden,

Geſchäft will Zeit und Zeit iſt ſchnell,

So unterblieb das Schreiben,

Doch öfters ſprach Emanuel:

„Was mag der Franzel treiben!“
Da trat einſt Wintermorgens früh

Ein Mann in ſeine Stube,

Seltſam verſchabt wie ein Genie,

Und hager wie Coeur Bube,

Sah ihn ſo glau und pfiffig an,

Und blinzelt vor Behagen:

„Emanuel, du Hampelmann!

Willſt du mir denn nichts ſagen?“
„Er iſt es!“ rief der Doktor aus,

Und reicht ihm beide Hände.

„Willkomm, Willkomm! wie ſiehſt du aus?

Ei, munter und behende.“

„Ha“ rief der Andre, „Sapperment,

Man ſieht, du darfſt nicht ſorgen!

Wie roth du biſt, wie corpulent!

Du haſt dich wohl geborgen.“
[229]
Drauf ſaß man zu Kamin und Wein,

Ließ von der Glut ſich röſten,

Und ätzte ſich mit Schmeichelein,

Den Alternden zu tröſten.

Ein Jeder warf den Hamen hin

Als wohlgeübter Fiſcher,

Und Jeder dachte ſtill: „ich bin

Gewiß um zehn Jahr friſcher.“
Man ſchüttelte die Hände derb,

Dann gieng es an ein Fragen.

Reich war des Medikus Erwerb,

Und dennoch mocht' er klagen.

Er ſah den Franz bedenklich an,

Und dacht', er ſteck' in Schulden,

Doch dieſer prahlt': er ſey ein Mann

Von „täglich ſeinem Gulden.“
Zwei Jahre hat er nur geſpart,

Und dann, ein kecker Kämpfer,

Geraſſelt mit der Eiſenfahrt,

Geſtrudelt mit dem Dämpfer!

O wie er die „Stadt Leyden“ pries,

Und der Kajüte Gleißen!

Nach ſeiner Meinung dürfte ſie

„Viktoria“ nur heißen.
Das hat den Medikus gerührt,

Ihm den beſcheidnen Schlucker

Lebendig vor das Aug' geführt,

Der Klöße aß wie Zucker.

[230]
Und gar als jener ſprach: „denkſt du

Noch an die halbe Flaſche?“

Der Doktor kniff die Augen zu,

Und klimpert' in der Taſche.
Dann gieng es weiter: „denkſt du dort?

Und denkſt du dies? und Jenes?“

Die Bilder wogten luſtig fort,

Viel Herzliches und Schönes.

Wie Abendroth zog in's Gemach

Ein friſcher Jugendodem,

Und überhauchte nach und nach

Der Pillenſchachteln Brodem.
Am nächſten Morgen hat man kaum

Den Doktor mögen kennen,

Man ſah ihn lächeln wie im Traum

Und ſeine Wangen brennen;

Im heiligen Studiercloſet

Hört' man die Gläſer klingen,

Und ein miſtöniges Duett

Aus Uhukehlen dringen.
Nicht litt am Blute mehr der Mann,

Am Podagra und Grieße;

Sah er den dürren Franzel an,

So ſchien er ſich ein Rieſe;

Hat er den Franzel angeſehn

Mit ſeinem Gulden täglich,

So mußt er ſelber ſich geſtehn,

Es geh' ihm ganz erträglich.
[231]
Doch als der dritte Tag entſchwand,

Da ſah man auch die Beiden

Betrübten Auges ſtehn am Strand,

Und wieder hieß es — Scheiden. —

„Leb' wohl, Emanuel, leb' wohl!“ —

— „Leb' wohl, du alte Seele!“

Und die „Stadt Leyden“ rauſchte hohl

Durch Dunſt und Wogenſchwehle.
Drei Monde hat das Jahr gebracht,

Seit Franzel iſt geſchieden,

Mit ihm des Hypochonders Macht;

Der Dokter lebt in Frieden.

Und will der Dämon hier und dort

Sich ſchleichend offenbaren,

So geht er an des Rheines Bord

Und ſieht „Stadt Leyden“ fahren.
[232]

Die Schmiede.

Wie kann der alte Aepfelbaum

So lockre Früchte tragen,

Wo Miſtelbüſch' und Mooſes Flaum

Aus jeder Ritze ragen?
Halb todt, halb lebend, wie ein Prinz

In einem Ammenmährchen,

Die eine Seite voll Geſpinns,

Wurmfraß und Flockenhäärchen,
Langt mit der andern, üppig roth,

Er in die Funkenreigen,

Die knatternd aus der Schmiede Schlot

Wie Sternraketen ſteigen;
Ein zweiter Scävola hält Jahr

Auf Jahr er ſeine Rechte

Der Glut entgegen, die kein Haar

Zu ſengen ſich erfrechte.
Und drunten geht es Pink und Pank,

Man hört die Flamme pfeifen,

Es keucht der Balg aus hohler Flank'

Und bildet Aſchenſtreifen;
[233]
Die Kohle knallt und drüber dicht,

Mit Augen wie Pyropen,

Beugt ſich das grimmige Geſicht

Des rußigen Cyklopen.
Er hält das Eiſen in die Glut

Wie eine arme Seele,

Es knackt und ſpritzet Funkenblut

Und dunſtet blaue Schwehle.
Dann auf dem Ambos, Schlag an Schlag,

Läßt es ſein Weh erklingen,

Bis nun gekrümmt in Zorn und Schmach

Es kreucht zu Hufes Ringen.
[234]

Des alten Pfarrers Woche.

Sonntag.

Das iſt nun ſo ein ſchlimmer Tag,

Wie der April ihn bringen mag

Mit Schlacken, Schnee und Regen.

Zum drittenmal in das Gebraus

Streckt Jungfer Anne vor dem Haus

Ihr kupfern Blendlaternchen aus,

Und ſpäht längs allen Wegen.
„Wo nur der Pfarrer bleiben kann?

Ach, ſicher iſt dem guten Mann

Was über'n Weg gefahren!

Ein Pfleger wohl, der Rechnung macht. —

Aus war der Gottesdienſt um acht:

Soll man ſo ſtreifen in der Nacht

Bei Gicht und grauen Haaren!“
Sie ſchließt die Thüre, ſchüttelt baß

Ihr Haupt und wiſcht am Brillenglas;

So gut dünkt ihr die Stube;

Im Ofen kracht's, der Lampenſchein

Hellt über'm Tiſch den Sonntagswein,

Und lockend lädt der Seſſel ein

Mit ſeiner Kiſſengrube.
[235]
Pantoffeln, — Schlafrock, — alles recht!

Sie horcht auf's neu; doch hört ſie ſchlecht,

Es ſchwirrt ihr vor den Ohren.

„Wie? hat's geklingelt? ei der Daus,

Zum Zweitenmale! ſchnell hinaus!“

Da tritt der Pfarrer ſchon in's Haus,

Ganz blau und ſteif gefroren.
Die Jungfrau blickt ein wenig quer,

Begütigend der Pfarrer her,

Wie's recht in dieſem Orden.

Dann huſtet er. „Nicht Mond noch Stern!

Der lahme Friedrich hört doch gern

Ein chriſtlich Wort am Tag des Herrn,

Es iſt mir ſpät geworden!“
Nun ſinkt er in die Kiſſen feſt,

Wirft ab die Kleider ganz durchnäßt,

Und ſchlürft der Traube Segen.

Ach Gott! nur wer jahraus, jahrein

In And'rer Dienſte lebt allein,

Weiß was es heißt, bei'm Sonntagswein

Sich auch ein wenig pflegen.

Montag.

„Wenn ich Montags früh erwache,

Wird mir's ganz behaglich gleich;

Montag hat ſo eigne Sache

In dem kleinen Wochenreich.

[236]
Denn die Predigt liegt noch ferne,

Alle Sorgen ſcheinen leicht;

Keiner kömmt am Montag gerne,

Sey's zur Trauung, ſey's zur Beicht.“
„Und man darf mir's nicht verdenken,

Will ich in des Amtes Friſt

Dem ein freies Stündchen ſchenken,

Was doch auch zu loben iſt.

So erwacht denn, ihr Geſellen

Meiner fleiß'gen Jugendzeit!

Wollt' in Reih' und Glied euch ſtellen,

Alte Bilder, eingeſchneit!“
„Ilion will ich bekriegen,

Mit Horaz auf Reiſen geh'n,

Will mit Alexander ſiegen

Und an Memnons Säule ſteh'n.

Oder auch vergnügt ergründen,

Was das Vaterland gebracht,

Mich mit Kant und Wolf verbünden,

Zieh'n mit Laudon in die Schlacht.“
Auf der Bücherleiter traben

Sieh den Pfarrer, luſtentbrannt,

Sich verſchanzen, ſich vergraben

Unter Heft und Foliant.

Blättern ſieh ihn — nicken — ſpüren —

Ganz verſunken ſitzen dann,

Daß mit einer Linie rühren

Du das Buch magſt und den Mann.
[237]
Doch was kann ihn ſo bewegen?

Aufgeregt ſcheint ſein Gehirn!

Und das Käppchen ganz verwegen

Drückt er haſtig in die Stirn.

Nun beginnt er gar zu pfeifen,

Horch! das Lied vom Prinz Eugen;

Seinen weiſen Buſenſtreifen

Seh' ich auf und niedergehn.
Ha, nun iſt der Türk geſchlagen!

Und der Pfarrer ſpringt empor,

Höher ſeine Brauen ragen,

Senkrecht ſteht ſein Pfeifenrohr.

Im Triumph muß er ſich denken

Mit dem Kaiſer und dem Staat,

Sieht ſich ſelbſt den Säbel ſchwenken,

Fühlt ſich ſelber als Soldat.
Aber draußen klappern Tritte,

Nach dem Pfarrer fragt es hell,

Der, aus des Gefechtes Mitte,

Huſcht in ſeinen Seſſel ſchnell.

„Ei! das wären ſaub're Kunden!

Beichtkind und Kommunikant!

Hättet ihr den Pfarr' gefunden

Mit dem Säbel in der Hand!“
[238]

Dienſtag.

Auf der breiten Tenne drehn

Paar an Paar ſo nett,

Wo die Muſikanten ſtehn,

Geig und Klarinett, —

Auch der Brummbaß rumpelt drein,

Sieht man noch den Bräut'gamsſchrein

Und das Hochzeitbett.
Etwas eigen, etwas ſchlau,

Und ein wenig bleich,

Sittſam ſieht die junge Frau,

Würdevoll zugleich;

Denn ſie iſt des Hauſes Sproß,

Denn ſie führt den Eh'genoß

In ihr Erb' und Reich.
Sippſchaft iſt ein weites Band,

Geht gar viel hinein;

Hundert Kappen goldentbrannt,

Kreuze funkeln drein;

Wie das drängt und wie das ſchiebt!

Was ſich kennt und was ſich liebt

Will beiſammen ſeyn.
Nun ein ſchallend Vivat bricht

In dem Schwarme aus,

Wo ſogar die Thiere nicht

Weigern den Applaus.

[239]
Ja, wie an der Krippe fein

Brüllen Ochs und Eſelein

Ueber'n Trog hinaus.
Ganz verdutzt der junge Mann

Kaum die Flaſche hält,

Späſſe hageln drauf und dran,

Keiner neben fällt;

Doch er lacht und reicht die Hand.

Nun! er iſt für ſeinen Stand

Schon ein Mann von Welt.
Alte Frauen ſchweißbedeckt,

Junge Mägd' im Lauf,

Spenden was der Korb verdeckt,

Reihen ab und auf.

Sieben Tiſche kann man ſehn,

Sieben Kaffeekeſſel ſtehn

Breit und glänzend drauf.
Aber freundlich, wie er kam,

Sucht der Pfarrer gut

Drüben unter tauſend Kram

Seinen Stab und Hut;

Dankt noch ſchön der Frau vom Haus;

In die Dämmerung hinaus

Trabt er wohlgemuth;
Wandelt durch die Abendruh'

Sinnend allerlei:

„Ei, dort gieng es löblich zu,

Munter, und nicht frei.

[240]
Aber — aber — aber doch —“

Und ein langes Aber noch

Fügt er ſeufzend bei.
„Wie das flimmert! wie das lacht!

Kanten Händebreit!“

Ach die ſchnöde Kleiderpracht

Macht ihm tauſend Leid.

Und nun gar — er war nicht blind —

Eines armen Mannes Kind;

Nein, das gieng zu weit.
Kurz, er nimmt ſich's ernſtlich vor,

Heut und hier am Steg, —

Ja, an der Gemeinde Ohr,

Wächter treu und reg,

Will er's tragen ungeſcheut;

O er findet ſchon die Zeit

Und den rechten Weg.

Mittwoch.

Begleiteſt du ſie gern

Des Pfarrers Luſt und Plagen:

Sich gleich an allen Tagen

Triffſt du den frommen Herrn.

Der gute Seelenhirt!

Tritt über ſeine Schwelle;

Da iſt er ſchon zur Stelle

Als des Kollegen Wirth.
[241]
In wohlgemeinten Sorgen,

Wie er geſchäftig thut!

Doch dämmert kaum der Morgen,

Dies eben dünkt ihm gut.

Am Abend kam der Freund

Erſchöpft nach Art der Gäſte;

Nun ſäubre man auf's Beſte,

Daß alles nett erſcheint.
Schon ſtrahlt die große Kanne,

Die Teller blitzen auf;

Noch ſcheuert Jungfer Anne,

Und horcht mitunter auf.

Ach, ſollte ſie der Gaſt

Im alten Jäckchen finden:

Sie müßte ganz verſchwinden

Vor dieſer Schande Laſt.
Und was zur Hand thut ſtehen,

Das reizt den Pfarrer ſehr,

Die Jungfer wird's nicht ſehen,

Er macht ſich drüber her;

Die Schlaguhr greift er an

Mit ungeſchickten Händen,

Und ſucht ſie ſacht zu wenden;

Der übermüth'ge Mann!
Schleppt Foliantenbürde,

Putzt Fenſterglas und Tiſch;

Fürwahr mit vieler Würde

Führt er den Flederwiſch.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 16[242]
Am Paradieſesbaum

Die Blätter zart aus Knochen,

Eins hat er ſchon zerbrochen,

Jedoch man ſieht es kaum.
Und als er juſt in Schatten

Die alte Klingel ſtellt —

Es kömmt ihm wohl zu ſtatten —

Da rauſcht es draußen, gelt!

Fidel ſchlägt an in Haſt,

Die Jungfer iſt geflüchtet,

Und ſtattlich aufgerichtet

Begrüßt der Pfarr' den Gaſt.
Wie dem ſo wohl gefallen

Die Ausſicht und das Haus,

Wie der entzückt von allen,

Nicht Worte drücken's aus!

Ich ſag' es ungenirt,

Sie kamen aus den Gleiſen,

Sich Ehre zu erweiſen,

Der Gaſt und auch der Wirth.
Und bei dem Mittageſſen,

Das man vortrefflich fand,

Da ward auch nicht vergeſſen

Der Lehr- und Ehrenſtand.

Ich habe viel gehört,

Doch nichts davon getragen,

Nur dieſes mag ich ſagen,

Sie ſprachen ſehr gelehrt.
[243]
Und ſieh nur! drüben ſchreitet

Der gute Pfarrer juſt,

Er hat den Gaſt geleitet

Und ſpricht aus voller Bruſt:

„Es iſt doch wahr! mein Haus,

So nett und blank da droben,

Ich muß es ſelber loben,

Es nimmt ſich einzig aus.“

Donnerstag.

Winde rauſchen, Flocken tanzen,

Jede Schwalbe ſucht das Haus,

Nur der Pfarrer unerſchrocken

Segelt in den Sturm hinaus.

Nicht zum beſten ſind die Pfade,

Aber leidlich würd' es ſeyn,

Trüg er unter ſeinem Mantel

Nicht die Aepfel und den Wein.
Ach, ihm iſt ſo wohl zu Muthe,

Daß dem kranken Zimmermann

Er die längſt gegönnte Gabe

Endlich einmal bieten kann.

Immer muß er heimlich lachen,

Wie die Anne Aepfel las,

Und wie er den Wein ſtipitzte,

Während ſie im Keller ſaß.
[244]
Längs des Teiches ſieh ihn flattern,

Wie er rudert, wie er ſtreicht,

Kann den Mantel nimmer zwingen

Mit den Fingern ſtarr und feucht.

Oefters aus dem trüben Auge

Eine kalte Zähre bricht,

Wehn ihm ſeine grauen Haare

Spinnenwebig um's Geſicht.
Doch Gottlob! da iſt die Hütte,

Und nun öffnet ſich das Haus,

Und nun keuchend auf der Tenne

Schüttet er die Federn aus.

Ach wie freut der gute Pfarrer

Sich am blanken Feuerſchein!

Wie geſchäftig ſchenkt dem Kranken

Er das erſte Gläschen ein.
Setzt ſich an des Lagers Ende,

Stärkt ihm beſtens die Geduld,

Und von ſeinen frommen Lippen

Einfach fließt das Wort der Huld.

Wenn die abgezehrten Hände

Er ſo feſt in ſeine ſchließt,

Anders fühlt ſich dann der Kranke,

Meint, daß gar nichts ihn verdrießt.
Mit der Einfalt, mit der Liebe

Schmeichelt er die Seele wach,

Kann an jedes Herz ſich legen,

Sey es kraftvoll oder ſchwach.

[245]
Aber draußen will es dunkeln,

Draußen tröpfelt es vom Dach; —

Lange ſehn ihm nach die Kinder,

Und der Kranke ſeufzt ihm nach.

Freitag.

Zu denken in geſtandnen Tagen

Der Sorge, die ſo treulich ſann,

Der Liebe, die ihn einſt getragen,

Wohl ziemt es jedem Ehrenmann.

Am Lehrer alt, am Schüler mild

Magſt du nicht ſelten es gewahren;

Und ſind ſie beide grau von Haaren,

Um deſto werther iſt das Bild.
Zumeiſt dem Prieſter wird beſchieden

Für frühe Treue dieſer Lohn;

Nicht einſam iſt des Alters Frieden,

Der Zögling bleibt ſein lieber Sohn.

Ja was erſtarrt im Lauf der Zeit,

Und wehrt dem Neuen einzudringen,

Des Herzens ſteife Flechſen ſchlingen

Sich feſter um Vergangenheit.
So läßt ein wenig Putz gefallen

Sich heut der gute Pfarrer gern,

Das ſpan'ſche Rohr, die Silberſchnallen,

Denn heute gehts zum jungen Herrn.

[246]
Der mag in reifen Jahren ſtehn,

Da ihn erwachſne Kinder ehren,

Allein das kann den Pfarr' nicht ſtören,

Der ihn vor Zeiten klein geſehn.
Still wandelnd durch des Parkes Linden,

In deren Schutz das Veilchen blüht,

Der Alte muß es freundlich finden,

Daß man ſo gern ihn Freitags ſieht;

Er weiß, dem Junker ſind noch friſch

Die lieben längſt entſchwundnen Zeiten,

Und ſeines Lehrers ſchwache Seiten,

Ein Gläschen Wein, ein guter Fiſch.
Schon tritt er in des Thores Halle;

Da, wie aus reifem Erbſenbeet

Der Spatzen Schaar, ſo hinterm Walle

Hervor es flattert, lacht und kräht;

Der kleinen Junker wilde Schaar,

Die ſtill gelauſcht im Mauerbogen,

Und nun den Pfarrer ſo betrogen,

So überrumpelt ganz und gar.
Das ſtürmt auf ihn von allen Seiten,

Das klammert überall ſich an;

Fürwahr mühſelig muß er ſchreiten

Der müde und geduld'ge Mann.

Jedoch er hat ſie allzugern,

Die ihn ſo unbarmherzig plagen,

Und faſt zu viel läßt er ſie wagen,

Die junge Brut des jungen Herrn.
[247]
Wie dann des Hauſes Wirth ſich freute,

Der Mann mit früh ergrautem Haar,

Nicht wich von ſeines Lehrers Seite,

Und rückwärts ging um dreißig Jahr;

Wie er in alter Zeiten Bann

Nur flüſternd ſprach nach Schüler Weiſe,

Man ſieht es an und lächelt leiſe,

Doch mit Vergnügen ſieht man's an.
Und ſpäter beim Spazierengehen

Die Beiden hemmen oft den Schritt,

Nach jeder Blume muß man ſehen,

Und manche Pflanze wandert mit.

Der Eine iſt des Amtes bar,

Nichts hat der Andre zu regieren;

Sie gehn auf's Neu' botaniſiren,

Der Theolog und ſein Scholar.
Doch mit dem Abend naht das Scheiden,

Man ſchiebt es auf, doch kömmt's heran,

Die Kinder wollen's gar nicht leiden.

Am Fenſter ſteht der Edelmann

Und ſpinnt noch lange, lange aus

Vielfarb'ger Bilder bunt Gezwirne;

Dann fährt er über ſeine Stirne,

Und athmet auf und iſt zu Haus.
[248]

Samstag.

Wie funkeln hell die Sterne,

Wie dunkel ſcheint der Grund,

Und aus des Teiches Spiegel

Steigt dort der Mond am Hügel

Grad um die elfte Stund'.
Da hebt vom Predigthefte

Der müde Pfarrer ſich;

Wohl war er unverdroſſen,

Und endlich iſt's geſchloſſen,

Mit langem Federſtrich.
Nun öffnet er das Fenſter,

Er trinkt den milden Duft,

Und ſpricht: „Wer ſollt es ſagen,

Noch Schnee vor wenig Tagen,

Und dies iſt Maienluft.“
Die ſtrahlende Rotunde

Sein ernſter Blick durchſpäht,

Schon will der Himmelswagen

Die Deichſel abwärts tragen.

„Ja, ja es iſt ſchon ſpät!“
Und als dies Wort geſprochen,

Es fällt dem Pfarrer auf,

Als müß' er eben deuten

Auf ſich der ganz zerſtreuten,

Argloſen Rede Lauf.
[249]
Nie ſchien er ſich ſo hager,

Nie fühlt' er ſich ſo alt,

Als ſeit er heut begraben

Den langen Moriz Raben,

Den Förſter dort vom Wald.
Am gleichen Tag geboren,

Getauft am gleichen Tag!

Das iſt ein ſeltſam Weſen,

Und läßt uns deutlich leſen,

Was wohl die Zeit vermag!
Der Nacht geheimes Funkeln,

Und daß ſich eben muß,

Wie Mondesſtrahlen ſteigen,

Der friſche Hügel zeigen,

Das Kreuz an ſeinem Fuß:
Das macht ihn ganz beklommen,

Den ſehr betagten Mann,

Er ſieht den Flieder ſchwanken,

Und längs des Hügels wanken

Die Schatten ab und an.
Wie oft ſprach nicht der Todte

Nach ſeiner Weiſe kühn:

„Herr Pfarr', wir alten Knaben,

Wir müſſen ſachte traben,

Die Kirchhofsblumen blühn.“
[250]
„So mögen ſie denn blühen!“

Spricht ſanft der fromme Mann,

Er hat ſich aufgerichtet,

Sein Auge, mild umlichtet,

Schaut feſt den Aether an.
„Haſt Du geſandt ein Zeichen

Durch meinen eignen Mund,

Und willſt mich gnädig mahnen

An unſer Aller Ahnen,

Uralten ew'gen Bund;“
„Nicht läſſig ſollſt Du finden

Den, der Dein Siegel trägt,

Doch nach dem letzten Sturme“ —

Da eben ſummt's vom Thurme,

Und Zwölf die Glocke ſchlägt. —
„Ja, wenn ich bin entladen

Der Woche Laſt und Pein,

Dann führe, Gott der Milde,

Das Werk nach Deinem Bilde

In Deinen Sonntag ein.“
[251]

Der Strandwächter am deutſchen Meere
und ſein Neffe vom Lande.

„Sieben Nächte ſtand ich am Riff

Und hörte die Woge zerſchellen,

Taucht kein Segel, kein irres Schiff?

Schon dunkelt's über den Wellen.

Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land'!

Ich will in die Matte mich ſtrecken,

Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,

Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken.“ —
„Schöner Platz, an der Lucke hier,

Für einen unſchuld'gen Privaten!

Drunten die See, das wüſte Gethier,

Das Haye ſpeit und Piraten.

Von der Seeſchlang' wüthigem Kampf

Auch hat man Neues vernommen,

Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf

In's deutſche Meer ſie gekommen?“
„Iſt's doch jetzt eine Wunderzeit,

Wo Gletſcher brennen wie Eſſen,

Weiber turnieren im Männerkleid,

Und Knaben die Ruthe vergeſſen.

Jeder Wurm entfaltet ſein Licht,

Und jeder Narr ſeine Kappe,

Alſo, Seele, wundre dich nicht,

Wenn heute du ſtehſt an der Klappe.“
[252]
„Vetter! ein Segel, ein Segel fürwahr,

Ein Boot mit flatternden Streifen,

Lichterchen dann, eine ſchwimmende Schaar,

Die unter den Flanken ihm ſchweifen!

Schau, nun ſchleichen ſie alle ſeitab,

Nun wechſeln ſie hüben und drüben —“

„'S iſt eine Fiſcherflotte, mein Knab',

Sind nur Leute die fiſchen im Trüben.“ —
„Wie das Waſſer kräuſelt und rennt,

Und wie die Kämme ihm flittern!

Vetter, ob wohl die Düne brennt?

Ich höre das Seegras knittern.“ —

„Dünſte, mein Junge, nur Phosphorlicht,

Vermoderte Quallen und Schnecken,

Laß ſie leuchten, ſie zünden nicht,

Und morgen ſind's grünliche Flecken.“ —
„Dort kein Räuber? kein Feuer hier?

Ich hätt' es für Beides genommen.

Wetter! iſt doch die Welle mir

Schier über den Tubus geſchwommen.

Welch' ein Leben, ſo angerannt

Auf nackter Düne zu wohnen!

Und die ſchnarchenden Robben am Strand, —

Man meint es ſeyen Kanonen!“
„Schläft der Alte in gutem Muth,

Und läßt mich allein mit dem Spucke,

Und mir iſt als ſteige die Fluth,

Und bäume ſich gegen die Lucke.

[253]
Wahrlich, Vetter, es ſchäumt und ſchwemmt,

Es brüllt um der Klippe Zinken!“ —

„Ruhig, mein Junge, die Springfluth kömmt,

Laß ſie ſteigen, ſie wird ſchon ſinken.“ —
„Gut dann, gut, ihr wißt es auf's Beſt',

Ihr müßt die Sache verſtehen.

Hab' ich doch nie ſolch bedenkliches Neſt

Wie dieſe Baracke geſehen.

Und die Wolken ſchleifen ſo ſchwer,

Als ſchleppten ſie Stürme in Säcken,

Jene dort, mit dem fackelnden Speer,

Scheint gar 'ne Poſaune zu ſtrecken.“
„Was! ſie dröhnt? welch gräulicher Schall!

Die Welle bäumt ſich entgegen,

Toſend und ſchwarz der ringelnde Wall

Will an den Trichter ſich legen;

Ha, es knallt — es flattert und ſtreut —

Wo war's? wo iſt es geweſen?

Wind und Schaum! — was hab' ich doch heut

Von der Waſſerhoſe geleſen?“
„Aber dort, — ein Segel in See,

Iſt's aus der Welle geſtiegen?

Grad entgegen der ſauſenden Bö

Scheint's über die Brandung zu fliegen.

Vetter, ſchnell von der Matte herab!

Ein Schiff gegen Winde und Wellen!“

„Gieb das Nachtrohr, Knabe, — ſeitab!

Ich will an die Lucke mich ſtellen.“
[254]
„Gnad' uns Gott, am Deck zerſtreut,

Umhuſcht von geſpenſtigen Lichtern,

Welche Augen, ſo hohl und weit,

In den fahlen verlebten Geſichtern!

Hörteſt vom Geiſterſchiffe du nicht,

Von den weſtlichen Todesladern?

Modernde Larve ihr Angeſicht,

Und Schwefel ſtatt Blut in den Adern,“
„Mag die ehrliche deutſche See

Vom Schleim der Molluske ſich röthen,

Springfluth brauſen, ziſchen die Bö,

Und die Waſſerhoſe trompeten,

Drunten, drunten iſt's klar und licht,

Wie droben die Wellen gebahren.

Mögen wir nur vor dem fremden Gezücht,

Vor dem Geiſterjanhagel uns wahren!“
[255]

Das Eſelein.

Auf einem Wieſengrund gieng einmal

Ein muntres Rößlein weiden,

Ein Schimmelchen war's, doch etwas fahl,

Sein Aeußeres nenn' ich beſcheiden,

Das ſchlechtſte und auch das beſte nicht,

Wir wollen nicht drüber zanken,

Doch hatt' es ein klares Augenlicht

Und ſtarke geſchmeidige Flanken.
In ſelbem Grunde ſchritt oft und viel

Ein edler Jüngling ſpazieren,

Hinter jedem Ohre ein Federkiel,

Das thät ihn wunderbar zieren!

Am Rücken ein Gänſeflügelpaar,

Die thäten rauſchen und wedeln,

Und wißt, ſeine göttliche Gabe war,

Die ſchlechte Natur zu veredeln.
Den Tropfen der ſeiner Stirne entrann,

Den ſoll wie Perle man faſſen,

Ach, ohne ihn hätte die Sonne man

So ſimpelhin ſcheinen laſſen,

Und ohne ihn wäre der Wieſengrund

Ein nüchterner Anger geblieben,

Ein Quellchen blank, ein Hügelchen rund,

Und eine Handvoll Maslieben!
[256]
Er aber fing in Spiegel den Stral,

Und ließ ihn zucken wie Flammen,

Die ruppigen Gräſer ſtrich er zumal

Und flocht ſie ſauber zuſammen,

An Steinen ſchleppt er ſich krank und matt,

Für ein Ruinchen am Hügel,

Dem Haſen kämmt' er die Wolle glatt

Und friſirt' den Mücken die Flügel.
So hat er mit ſaurem Schweiß und Müh'

Das ganz Gemeine verbeſſert,

Und klareres Waſſer fand man nie,

Als wo er ſchaufelt' und wäſſert',

Und wie's nun aller Edlen Manier,

Sich mild und nobel zu zeigen,

So, ſeys Geſtein, Menſch, oder Thier,

Er gab ihm von ſeinem Eigen.
Einſt ſaß er mit ſeinem Werkgeräth,

Mit Scheere, Pinſel und Flaſche,

In der eine ſchwärzliche Lymphe ſteht,

Mit Spiegel, Feder und Taſche;

Er ſaß und lauſchte wie in der Näh

Mein Schimmelchen galoppiret;

Auf dem Finger pfiff er: „Pſt, Pferdchen, he!“

Und wacker kam es trottiret.
Dann ſprach der Edle: „du wärſt ſchon gut,

'Ne paſſable Rozinante,

Nähm ich dich ernſtlich in meine Hut,

Daß ich den Koller dir bannte;

[257]
Ein leiſer Traber — ein ſchmuckes Thier —

Ein unermüdeter Wandrer!

Kurz, wenig wüßt' ich zu rügen an dir,

Wärſt du nur völlig ein Andrer.“
„Drum ſey verſtändig, trab' heran,

Und laß mich ruhig gewähren,

Und ſollt's dich kneipen, nicht zuck' mir dann,

Du weißt, oft zwicken die Scheeren.“

Mein Schimmelchen ſtutzt, es ſetzt ſeitab,

Ein paarmal rennt es in Kreiſen,

Dann ſachte trabt es den Anger hinab,

Dann ſtand es ſtill vor dem Weiſen.
Der ſprach: „dein Ohr — ein armer Stumpf!

Armſelig biſt du geboren!

Commandowort und der Siegstriumph,

Das geht dir Alles verloren.“

Drauf rüſtig ſetzt er die Zangen an,

Und zerrt' und dehnte an Beiden;

Mein Schimmelchen ächzt, und dachte dann:

„O wehe, Hoffart muß leiden!“
„Auch deine Farbe — erbärmlich ſchlecht!

Nicht blank und dennoch zu lichte,

Nicht für die romantiſche Dämmrung recht

Und nicht für die klare Geſchichte.“

Drauf emſig langt' er den Pinſel her,

Und miſchte Schwarz zu dem Weißen;

Mein Schimmelchen zuckt, es juckt ihn ſehr,

Doch dacht' es: „wie werd' ich gleißen!“
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 17[258]
„Und gar dein Schweif — unſeliges Vieh!

Der flattert und ſchlenkert wie Segel,

Ich wette, du meinſt dich ein Kraftgenie,

Und ſcheinſt doch Andern ein Flegel.“

Drauf mit der Scheere, Gang an Gang,

Beginnt er hurtig zu zwicken,

Hinauf, hinunter die Wurzel entlang,

Von der Kuppe bis an den Rücken.
Dann ſpricht er freudig: „mein ſchmuckes Thier,

Mein Zelter edel wie Keiner!“

Und eilends langt er den Spiegel herfür:

„Nun ſieh, und freue dich deiner!

Nun biſt ein Paraderößlein, baß

Wie Eines von Münſter bis Weſel.“

Der Schimmel blinzt, und ſchaut in's Glas, —

O Himmel, da war er ein Eſel!
[259]

Die beſte Politik.

Von Allem was zu Leid und Frommen

Bisher das Leben mir gebracht,

Iſt Manches unverhofft gekommen,

Und Manches hatt’ ich überdacht;

Doch ſeltſam! wo ich ſchlau und fein

Mich abgeſorgt zu grauen Haaren,

Da bin ich meiſtens abgefahren,

Und Unverhofftes ſchlug mir ein.
Ein Jeder kömmt doch gern zu Brode,

Doch blieben mir die Gönner kalt,

That ich gleich klein wie eine Lode

Gen einen macht’gen Eichenwald;

Und nur der ärmliche Student,

Bei dem ich manche Nacht verwachte,

Als Mangel ihn auf’s Lager brachte,

Der dachte mein als Präſident.
Den Frauen will man auch gefallen,

— Zumal ſieht man nicht übel aus, —

In die Salons ſah man mich wallen,

Verſchmitzt hinein, verdutzt heraus;

Und nur die täglich recht und ſchlicht

Mich wandeln ſah im eignen Hauſe,

Die trug in meine kleine Klauſe

Des Lebens ſüßeſtes Gedicht.
[260]
Auch Ruhm iſt gar ein ſcharfer Köder,

Ich habe manchen Tag verſchwitzt,

Verſchnitzelt hab' ich manche Feder,

Und bin doch ſchmählich abgeblitzt;

Und nur als ich, entmuthigt ganz,

Gedanken flattern ließ wie Flocken,

Da plötzlich fiel auf meine Locken

Ein junger friſcher Lorbeerkranz.
So hab' aus Allem ich gezogen

Das treue Facit mir zuletzt,

Daß dem das Glück zumeiſt gewogen,

Der es am mindeſten gehetzt;

Und daß, wo Wirken ein Geſchick

Nach eigner Willkür kann bereiten,

Nur Offenheit zu allen Zeiten

Die allerbeſte Politik.
[[261]]

Balladen.

[[262]][[263]]

Der Graf von Thal.

I.

Das war der Graf von Thal,

So ritt an der Felſenwand;

Das war ſein ehlich Gemahl,

Die hinter dem Steine ſtand.
Sie ſchaut' im Sonnenſtral

Hinunter den linden Hang,

„Wo bleibt der Graf von Thal?

„Ich hört' ihn doch reiten entlang!“
„Ob das ein Hufſchlag iſt?

„Vielleicht ein Hufſchlag fern?

„Ich weiß doch wohl ohne Liſt,

„Ich hab' gehört meinen Herrn!“
Sie bog zurück den Zweig.

„Bin blind ich oder auch taub?“

Sie blinzelt' in das Geſträuch,

Und horcht' auf das rauſchende Laub.
[264]
Oed' war's, im Hohlweg leer,

Einſam im riſpelnden Wald;

Doch über'm Weiher, am Wehr,

Da fand ſie den Grafen bald.
In ſeinen Schatten ſie trat.

Er und ſeine Geſellen,

Die flüſtern und halten Rath,

Viel lauter rieſeln die Wellen.
Sie ſtarrten über das Land,

Genau ſie ſpähten, genau,

Sahn jedes Zweiglein am Strand,

Doch nicht am Wehre die Frau.
Zur Erde blickte der Graf,

So ſprach der Graf von Thal:

„Seit dreizehn Jahren den Schlaf

„Rachloſe Schmach mir ſtahl.“
„War das ein Seufzer lind?

„Geſellen, wer hat's gehört?“

Sprach Kurt: „Es iſt nur der Wind,

„Der über das Schilfblatt fährt.“ —
„So ſchwör' ich bei'm höchſten Gut,

„Und wär's mein ehlich Weib,

„Und wär's meines Bruders Blut,

„Viel minder mein eigner Leib:“
[265]
„Nichts ſoll mir wenden den Sinn,

„Daß ich die Rache ihm ſpar';

„Der Freche ſoll werden inn',

„Zins tragen auch dreizehn Jahr'.“
„Bei Gott! das war ein Geſtöhn!“

Sie ſchoſſen die Blicke in Haſt.

Sprach Kurt: „Es iſt der Föhn,

„Der macht ſeufzen den Tannenaſt.“ —
„Und iſt ſein Aug' auch blind,

„Und iſt ſein Haar auch grau,

„Und mein Weib ſeiner Schweſter Kind —“

Hier that einen Schrei die Frau.
Wie Wetterfahnen ſchnell

Die Dreie wendeten ſich.

„Zurück, zurück, mein Geſell!

„Dieſes Weibes Richter bin ich.“
„Haſt du gelauſcht, Allgund?

„Du ſchweigſt, du blickſt zur Erd'?

„Das bringt dir bittre Stund'!

„Allgund, was haſt du gehört?“ —
„„Ich lauſch' deines Roſſes Klang,

„„Ich ſpäh' deiner Augen Schein,

„„So kam ich hinab den Hang.

„„Nun thue was Noth mag ſeyn.““ —
[266]
„O Frau!“ ſprach Jakob Port,

„Da habt ihr ſchlimmes Spiel!

„Grad' ſprach der Herr ein Wort,

„Das ſich vermaß gar viel.“
Sprach Kurt: „Ich ſag' es rund,

„Viel lieber den Wolf im Stall,

„Als eines Weibes Mund

„Zum Hüter in ſolchem Fall.“
Da ſah der Graf ſie an,

Zu Einem und zu Zwei'n;

Drauf ſprach zur Fraue der Mann:

„Wohl weiß ich, du biſt mein.“
„Als du gefangen lagſt

„Um mich ein ganzes Jahr,

„Und keine Sylbe ſprachſt:

„Da ward deine Treu' mir klar.“
„So ſchwöre mir denn ſogleich:

„Sey's wenig oder auch viel,

„Was du vernahmſt am Teich,

„Dir ſey's wie Rauch und Spiel.“
„Als ſeye nichts geſcheh'n,

„So muß ich völlig meinen;

„Darf dich nicht weinen ſeh'n,

„Darfſt mir nicht bleich erſcheinen.“
[267]
„Denk' nach, denk' nach, Allgund!

„Was du verheißen Noth.

„Die Wahrheit ſpricht dein Mund,

„Ich weiß, und brächt' es Tod.“
Und konnte ſie ſich beſinnen,

Verheißen hätte ſie's nie;

So war ſie halb von Sinnen,

Sie ſchwur, und wußte nicht wie.

II.

Und als das Morgengrau

In die Kemnate ſich ſtahl:

Da hatte die werthe Frau

Geſeufzt ſchon manches Mal;
Manch Mal gerungen die Hand,

Ganz heimlich wie ein Dieb;

Roth war ihrer Augen Rand,

Todtblaß ihr Antlitz lieb.
Drei Tage kredenzt' ſie den Wein,

Und ſaß bei'm Mahle drei Tag',

Drei Nächte in ſteter Pein

In der Waldkapelle ſie lag.
Wenn er die Wacht beſorgt,

Der Thorwart ſieht ſie gehn,

Im Walde ſteht und horcht

Der Wilddieb dem Geſtöhn'.
[268]
Am vierten Abend ſie ſaß

An ihres Herren Seit',

Sie dreht' die Spindel, er las,

Dann ſahn ſie auf, alle beid'.
„Allgund, bleich iſt dein Mund!“

„„Herr, 's macht der Lampe Schein.““

„Deine Augen ſind roth, Allgund!“

„„'S drang Rauch vom Heerde hinein.““
„„Auch macht mir's ſchlimmen Muth,

„„Daß heut vor fünfzehn Jahren

„„Ich ſah meines Vaters Blut;

„„Gott mag die Seele wahren!““
„„Lang ruht die Mutter im Dom,

„„Sind Wen'ge mir verwandt,

„„Ein' Muhm' noch und ein Ohm:

„„Sonſt iſt mir keins bekannt.““
Starr ſah der Graf ſie an:

„Es ſteht dem Weibe feſt,

„Daß um den ehlichen Mann

„Sie Ohm und Vater läßt.“
„„Ja, Herr! ſo muß es ſeyn.

„„Ich gäb' um Euch die zweie,

„„Und mich noch obendrein,

„„Wenn's ſeyn müßt', ohne Reue.““
[269]
„„Doch daß nun dieſer Tag

„„Nicht gleich den andern ſey,

„„Leſ't, wenn ich bitten mag,

„„Ein Sprüchlein oder zwei.““
Und als die Fraue klar

Darauf das heil'ge Buch

Bot ihrem Gatten dar,

Es auf von ſelber ſchlug.
Mit Einem Blicke er maß

Der nächſten Sprüche einen;

„Mein iſt die Rach'“, er las;

Das will ihm ſeltſam ſcheinen.
Doch wie ſo feſt der Mann

Auf Frau und Bibel blickt,

Die ſaß ſo ſtill und ſpann,

Dort war kein Blatt geknickt.
Um ihren ſchönen Leib

Den Arm er düſter ſchlang:

„So nimm die Laute, Weib,

„Sing' mir einen luſt'gen Sang!“
„„O Herr! mag's euch behagen,

„„Ich ſing' ein Liedlein werth,

„„Das erſt vor wenig Tagen

„„Mich ein Minſtrel gelehrt.““
[270]
„„Der kam ſo matt und bleich,

„„Wollt' nur ein wenig ruh'n,

„„Und ſprach, im oberen Reich

„„Sing' man nichts Anderes nun.““
Drauf, wie ein Schrei verhallt,

Es durch die Kammer klingt,

Als ihre Finger kalt

Sie an die Saiten bringt.
„Johann! Johann! was dachteſt du

„An jenem Tag,

„Als du erſchlugſt deine eigne Ruh'

„Mit Einem Schlag?

„Verderbteſt auch mit dir zugleich

„Deine drei Geſellen;

„O, ſieh nun ihre Glieder bleich

„Am Monde ſchwellen!
„Weh dir, was dachteſt du Johann

„Zu jener Stund'?

„Nun läuft von dir verlornem Mann

„Durch's Reich die Kund'!

„Ob dich verbergen mag der Wald,

„Dich wird's ereilen;

„Horch nur, die Vögel ſingen's bald,

„Die Wölf' es heulen!
„O weh! das haſt du nicht gedacht,

„Johann! Johann!

„Als du die Rache wahr gemacht

„Am alten Mann.

[271]
„Und wehe! nimmer wird der Fluch

„Mit dir begraben,

„Dir, der den Ohm und Herrn erſchlug,

„Johann von Schwaben!“
Aufrecht die Fraue bleich

Vor ihrem Gatten ſtand,

Der nimmt die Laute gleich,

Er ſchlägt ſie an die Wand.
Und als der Schall verklang,

Da hört man noch zuletzt,

Wie er die Hall' entlang

Den zorn'gen Fußtritt ſetzt.

III.

Von heut am ſiebenten Tag'

Das war eine ſchwere Stund',

Als am Balkone lag

Auf ihren Knien Allgund.
Laut waren des Herzens Schläge:

„O Herr! erbarme dich mein,

„Und bracht' ich Böſes zuwege,

„Mein ſey die Buß' allein.“
Dann beugt ſie tief hinab,

Sie horcht und horcht und lauſcht:

Vom Wehre toſ't es herab,

Vom Forſte drunten es rauſcht.
[272]
War das ein Fußtritt? nein!

Der Hirſch ſetzt über die Kluft.

Sollt' ein Signal das ſeyn?

Doch nein, der Auerhahn ruft.
„O mein Erlöſer, mein Hort!

„Ich bin mit Sünde beſchwert,

„Sey gnädig und nimm mich fort,

„Eh' heim mein Gatte gekehrt.“
„Ach, wen der Böſe umgarnt,

„Dem alle Kraft er bricht!

„Doch hab' ich ja nur gewarnt,

„Verrathen, verrathen ja nicht!“
„Weh! das ſind Roſſestritte.“

Sie ſah ſie fliegen durch's Thal

Mit wildem grimmigen Ritte,

Sie ſah auch ihren Gemahl.
Sie ſah ihn dräuen, genau,

Sie ſah ihn ballen die Hand:

Da ſanken die Knie der Frau,

Da rollte ſie über den Rand.
Und als zum Schlimmen entſchloſſen

Der Graf ſprengt' in das Thor,

Kam Blut entgegen gefloſſen,

Drang unter'm Gitter hervor.
[273]
Und als er die Hände ſah falten

Sein Weib in letzter Noth,

Da konnt' er den Zorn nicht halten,

Bleich ward ſein Geſicht ſo roth.
„Weib, das den Tod ſich erkor!“ —

„'S war nicht mein Wille“ ſie ſprach,

Noch eben bracht' ſie's hervor.

„Weib, das ſeine Schwüre brach!“
Wie Abendlüfte verwehen

Noch einmal haucht ſie ihn an:

„Es mußt' eine Sünde geſchehen —

„Ich hab' ſie für dich gethan!“
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 18[274]

Der Tod des Erzbiſchofs Engelbert
von Cöln.

I.

Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,

Im ſcharfen Oſt die Halme pfeifen,

Da trabt es ſachte durch die Flur,

Da taucht es auf wie Nebelſtreifen,

Da nieder rauſcht es in den Fluß,

Und ſtemmend gen der Wellen Guß

Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei

Das Roß ſchwingt ſeine naſſen Flanken,

Und wieder eins, und wieder zwei,

Bis fünf und zwanzig ſtehn wie Schranken:

Voran, voran durch Haid und Wald,

Und wo ſich wüſt das Dickicht ballt,

Da brechen kniſternd ſie die Ranken.
Am Eichenſtamm, im Ueberwind,

Um einen Aſt den Arm geſchlungen,

Der Iſenburger ſteht und ſinnt

Und naget an Erinnerungen.

Ob er vernimmt, was durch's Gezweig

Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,

Raunt leiſe wie mit Vögelzungen?
„Graf, flüſtert es, Graf haltet dicht,

Mich dünkt, als woll' es euch bethören;

[275]
Bei Chriſti Blute, laßt uns nicht

Heim wie gepeitſchte Hunde kehren!

Wer hat gefeſſelt eure Hand,

Den freien Stegreif euch verrannt?“ —

Der Iſenburg ſcheint nicht zu hören.
„Graf, flüſtert es, wer war der Mann,

Dem zu dem Kreuz die Roſe * paßte?

Wer machte euren Schwätzer dann

In ſeinem eignen Land zum Gaſte?

Und, Graf, wer höhnte euer Recht,

Wer ſtempelt euch zum Pfaffenknecht?“ —

Der Iſenburg biegt an dem Aſte.
„Und wer, wer hat euch zuerkannt,

Im härnen Sünderhemd zu ſtehen,

Die Schandekerz' in eurer Hand,

Und alte Vetteln anzuflehen

Um Kyrie und Litaney!?“ —

Da krachend bricht der Aſt entzwei

Und wirbelt in des Sturmes Weben.
Spricht Iſenburg: „mein guter Fant,

Und meinſt du denn ich ſey begraben?

O laß mich nur in meiner Hand —

Doch ruhig, ſtill, ich höre traben!“

Sie ſtehen lauſchend, vorgebeugt;

Durch das Gezweig der Helmbuſch ſteigt

Und flattert drüber gleich dem Raben.
[276]

II.

Wie dämmerſchaurig iſt der Wald

An neblichten Novembertagen,

Wie wunderlich die Wildniß hallt

Von Aſtgeſtöhn und Windesklagen!

„Horch, Knabe, war das Waffenklang?“ —

„Nein, gnäd'ger Herr! ein Vogel ſang,

Von Sturmesflügeln hergetragen.“ —
Fort trabt der mächtige Prälat,

Der kühne Erzbiſchof von Cöllen,

Er, den der Kaiſer ſich zum Rath

Und Reichsverweſer mochte ſtellen,

Die ehrne Hand der Cleriſey, —

Zwei Edelknaben, Reiſ'ger zwei,

Und noch drei Aebte als Geſellen.
Gelaſſen trabt er fort, im Traum

Von eines Wunderdomes Schöne,

Auf ſeines Roſſes Hals den Zaum,

Er ſtreicht ihm ſanft die dichte Mähne,

Die Windesodem ſenkt und ſchwellt; —

Es ſchaudert, wenn ein Tropfen fällt

Von Aſt und Laub, des Nebels Thräne.
Schon ſchwindelnd ſteigt das Kirchenſchiff,

Schon bilden ſich die krauſen Zacken —

Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,

Ein Helmbuſch hier, ein Arm im Nacken!
[277]
Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,

Die Aebte fliehn wie Spreu, und dann

Mit Reiſigen ſich Reiſ'ge packen.
Ha, ſchnöder Straus! zwei gegen zehn!

Doch hat der Fürſt ſich losgerungen,

Er peitſcht ſein Thier und mit Geſtöhn

Hat's über'n Hohlweg ſich geſchwungen;

Die Gerte pfeift — „Weh, Rinkerad!“ —

Vom Roſſe gleitet der Prälat

Und iſt in's Dickicht dann gedrungen.
„Huſſah, huſſah, erſchlagt den Hund,

Den ſtolzen Hund!“ und eine Meute

Fährt's in den Wald, es ſchließt ein Rund,

Dann vor — und rückwärts und zur Seite;

Die Zweige krachen — ha es naht —

Am Buchenſtamm ſteht der Prälat

Wie ein geſtellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf ſein Schwert,

Er löſt die kurze breite Klinge,

Dann prüfend unter'n Mantel fährt

Die Linke nach dem Panzerringe;

Und nun wohlan, er iſt bereit,

Ja männlich focht der Prieſter heut,

Sein Streich war eine Flammenſchwinge.
Das ſchwirrt und klingelt durch den Wald,

Die Blätter ſtäuben von den Eichen,

Und über Arm und Schädel bald

Blutrothe Rinnen tröpfeln, ſchleichen;

[278]
Entwaffnet der Prälat noch ringt,

Der ſtarke Mann, da ziſchend dringt

Ein falſcher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Iſenburg: „es iſt genug,

Es iſt zuviel!“ und greift die Zügel;

Noch ſah er wie ein Knecht ihn ſchlug,

Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.

„Es iſt zuviel, hinweg, geſchwind!“

Fort ſind ſie, und ein Wirbelwind

Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. — —
Des Sturmes Odem iſt verrauſcht,

Die Tropfen glänzen an dem Laube,

Und über Blutes Lachen lauſcht

Aus hohem Loch des Spechtes Haube;

Was kniſtert nieder von der Höh'

Und ſchleppt ſich wie ein krankes Reh?

Ach armer Knabe, wunde Taube!
„Mein gnädiger, mein lieber Herr,

So mußten dich die Mörder packen?

Mein frommer, o mein Heiliger!“

Das Tüchlein zerrt er ſich vom Nacken,

Er drückt es auf die Wunde dort,

Und hier und drüben, immerfort,

Ach, Wund' an Wund' und blut'ge Zacken!
„Ho, hollah ho!“ — dann beugt er ſich

Und ſpäht, ob noch der Odem rege;

War's nicht als wenn ein Seufzer ſchlich,

Als wenn ein Finger ſich bewege? —

[279]
„Ho, hollah ho!“ — „Halloh, hoho!“

Schallt's wieder um, deß war er froh:

„Sind unſre Reuter allewege!“

III.

Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib

Am Rabenſteine unter'm Rade,

Und über'm Rade liegt ein Leib,

An dem ſich weiden Kräh' und Made;

Zerbrochen iſt ſein Wappenſchild,

Mit Trümmern ſeine Burg gefüllt,

Die Seele ſteht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürſten hüllt der Rauch

Von Ampeln und von Weihrauchſchwehlen —

Um ſeinen qualmt der Moderhauch

Und Hagel peitſcht der Rippen Höhlen;

Im Dome ſteigt ein Trauerchor,

Und ein Tedeum ſtieg empor

Bei ſeiner Qual aus tauſend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger ſieht,

Dann läßt er raſch ſein Rößlein traben,

Doch eine bleiche Frau die kniet,

Und ſcheucht mit ihrem Tuch die Raben:

Um ſie mied er die Schlinge nicht,

Er war ihr Held, er war ihr Licht —

Und ach, der Vater ihrer Knaben!
[280]

Das Fegefeuer des weſtphäliſchen Adels.

Wo der ſelige Himmel, das wiſſen wir nicht,

Und nicht, wo der gräuliche Höllenſchlund,

Ob auch die Wolke zittert im Licht,

Ob ſiedet und qualmet Vulkanes Mund;

Doch wo die weſtphäliſchen Edeln müſſen

Sich ſauber brennen ihr roſtig Gewiſſen,

Das wiſſen wir alle, das ward uns kund.
Grau war die Nacht, nicht öde und ſchwer,

Ein Aſchenſchleier hing in der Luft;

Der Wanderburſche ſchritt flink einher,

Mit Wolluſt ſaugend den Heimatduft;

O bald, bald wird er ſchauen ſein Eigen,

Schon ſieht am Lutterberge er ſteigen

Sich leiſe ſchattend die ſchwarze Kluft.
Er richtet ſich, wie Trompetenſtoß

Ein Hollah ho! ſeiner Bruſt entſteigt —

Was ihm im Nacken? ein ſchnaubend Roß,

An ſeiner Schulter es raſſelt, keucht,

Ein Rappe — grünliche Funken irren

Ueber die Flanken, die kniſtern und knirren,

Wie wenn man den murrenden Kater ſtreicht.
„Jeſus Maria!“ — er ſetzt ſeitab,

Da langt vom Sattel es überzwerg —

Ein eherner Griff, und in wüſtem Trab

Wie Wind und Wirbel zum Lutterberg!

[281]
An ſeinem Ohre hört er es raunen

Dumpf und hohl, wie gedämpfte Poſaunen,

So an ihm raunt der geſpenſtige Scherg':
„Johannes Deweth! ich kenne dich!

Johann! du biſt uns verfallen heut!

Bei deinem Heile, nicht lach' noch ſprich,

Und rühre nicht an was man dir beut;

Vom Brode nur magſt du brechen in Frieden,

Ewiges Heil ward dem Brode beſchieden,

Als Chriſtus in froner Nacht es geweiht!“ —
Ob mehr geſprochen, man weiß es nicht,

Da ſeine Sinne der Burſche verlor,

Und ſpät erſt hebt er ſein bleiches Geſicht

Vom Eſtrich einer Halle empor;

Um ihn Geſumme, Geſchwirr, Gemunkel,

Von tauſend Flämmchen ein mattes Gefunkel,

Und drüber ſchwimmend ein Nebelflor.
Er reibt die Augen, er ſchwankt voran,

An hundert Tiſchen, die Halle entlang,

All edle Geſchlechter, ſo Mann an Mann;

Es rühren die Gläſer ſich ſonder Klang,

Es regen die Meſſer ſich ſonder Klirren,

Wechſelnde Reden ſummen und ſchwirren,

Wie Glockengeläut, ein wirrer Geſang.
Ob jedem Haupte des Wappens Glaſt,

Das langſam ſchwellende Tropfen ſpeit,

Und wenn ſie fallen, dann zuckt der Gaſt,

Und drängt ſich einen Moment zur Seit';

[282]
Und lauter, lauter dann wird das Rauſchen,

Wie Stürme die zornigen Seufzer tauſchen,

Und wirrer ſummet das Glockengeläut.
Strack ſteht Johann wie ein Lanzenknecht,

Nicht möchte der gleißenden Wand er trau'n,

Noch wäre der glimmernde Sitz ihm recht,

Wo rutſchen die Knappen mit zuckenden Brau'n.

Da muß, o Himmel, wer ſollt' es denken!

Den frommen Herrn, den Friedrich von Brenken,

Den alten ſtattlichen Ritter er ſchaun.
„Mein Heiland, mach' ihn der Sünden baar!“

Der Jüngling ſeufzet in ſchwerem Leid;

Er hat ihm gedienet ein ganzes Jahr;

Doch ungern kredenzt er den Becher ihm heut!

Bei jedem Schlucke ſieht er ihn ſchüttern,

Ein blaues Wölkchen dem Schlund entzittern,

Wie wenn auf Kohlen man Weihrauch ſtreut.
O manche Geſtalt noch dämmert ihm auf,

Dort ſitzt ſein Pathe, der Metternich,

Und eben durch den wimmelnden Hauf

Johann von Spiegel, der Schenke, ſtrich;

Prälaten auch, je viere und viere,

Sie blättern und riſpeln im grauen Breviere,

Und zuckend krümmen die Finger ſich.
Und unten im Saale, da knöcheln friſch

Schaumburger Grafen um Leut' und Land,

Graf Simon ſchüttelt den Becher riſch,

Und reibt mitunter die kniſternde Hand;

[283]
Ein Knappe nahet, er ſurret leiſe —

Ha, welches Geſummſe im weiten Kreiſe,

Wie hundert Schwärme an Klippenrand!
„Geſchwind den Seſſel, den Humpen werth,

Den ſchleichenden Wolf* geſchwinde herbei!“

Horch, wie es draußen raſſelt und fährt!

Baarhaupt ſtehet die Maſſoney,

Hundert Lanzen drängen nach binnen,

Hundert Lanzen und mitten darinnen

Der Aſſeburger, der blutige Weih!
Und als ihm alles entgegen zieht,

Da ſpricht Johannes ein Stoßgebet:

Dann riſch hinein! ſein Ermel ſprüht,

Ein Funken über die Finger ihm geht.

Voran — da „ſieben“ ſchwirren die Lüfte

„Sieben, ſieben, ſieben,“ die Klüfte,

„In ſieben Wochen, Johann Deweth!“
Der ſinkt auf ſchwellenden Raſen hin,

Und ſchüttelt gegen den Mond die Hand,

Drei Finger die bröckeln und ſtäuben hin,

Zu Aſch' und Knöchelchen abgebrannt.

Er rafft ſich auf, er rennt, er ſchießet,

Und ach, die Vaterklauſe begrüßet

Ein grauer Mann, von Keinem gekannt‚
Der nimmer lächelt, nur des Gebets

Mag pflegen drüben im Kloſterchor,

* Der ſchleichende Wolf iſt das Wappen der Familie Aſſeburg.[284]
Denn „ſieben, ſieben,“ flüſtert es ſtets,

Und „ſieben Wochen“ ihm in das Ohr.

Und als die ſiebente Woche verronnen,

Da iſt er verſiegt wie ein dürrer Bronnen,

Gott hebe die arme Seele empor!
[285]

Die Stiftung Cappenbergs.

Der Mond mit ſeinem blaſſen Finger

Langt leiſe durch den Mauerſpalt,

Und koſet, ſtreifend längs dem Zwinger,

Norbertus' Stirne feucht und kalt.

Der lehnt an bröckelndem Geſtein,

Salpeterflocken ſeine Daunen,

An ſeinem Ohre Heimchen raunen,

Und wimmelnd rennt das Tauſendbein.
Und über'm Haupte fühlt er's beben,

Da geht es hoch, da zecht es friſch,

In Pulſen ſchäumend pocht das Leben,

Die Humpen tanzen auf dem Tiſch.

Der Graf von Arnsberg giebt ein Feſt,

Dem Schwiegerſohn der graue Schwäher;

So mehr er trinkt ſo wird er zäher,

So wirrer ſteht ſein Lockenneſt.
Gern hat ſein Kind er dem Dynaſten,

Dem reichen Cappenberg vertraut,

Nun trägt ſein Anker Doppellaſten!

Und ſeinen Feinden hat's gegraut.

Da kömmt auf ſeinem Eſelein

Norbert, und macht den Sohn zum Pfaffen;

Allein er wußte Rath zu ſchaffen,

Er pferchte den Apoſtel ein.
[286]
Wie, keine Enkel ſoll er wiegen?

Soll in des Eidams Hora gehn,

Und ſehn ſein Kind am Boden liegen

Und Paternoſterkugeln drehn?

Nein, heute iſt der Tag wo muß,

Wo wird die Sache ſich erled'gen,

Und ſollt' er mit dem Schwerte pred'gen,

Ein umgekehrter Carolus.
Und „Gottfried“, ſpricht er, „Junge, Ritter,

So ſieh doch einmal in die Höh!

Du ſchauſt ja in den Wein ſo bitter

Wie Requiem und Kyrie.

Was ſpinnſt du an dem alten Werg?

Laß die Kaputze grauen Sündern,

Und deine Burg die laß den Kindern,

Dein ſchönes feſtes Cappenberg!“
Und drunten in dem feuchten Thurme

Der Heil'ge flüſtert: „Großer Gott,

Allgegenwärt'ger du im Wurme

Als in der Krone blankem Spott,

Wie größer deine Allmacht zeigt

Sein Füßchen, das lebendig zittert,

Als eine Mauer die verwittert,

Und ob ein Babel drüber ſteigt!“
„Ja“ ſpricht der Graf, den Humpen ſchwenkend:

„Wär Norbert hier, dein Eſelmann,

Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,

Und trinken möcht er was er kann;

[287]
Doch da ihm Pech und Schwefel glüht,

Was andern Schächern mild und ſüße,

So bleibt er beſſer im Verließe,

Ein wohlkaſteiter Eremit.“
Und drunten ſpricht's mit mildem Tone:

„Du der, des Himmels höchſte Zier,

Gezogen biſt zur Dornenkrone

Auf einem ſtill demüth'gen Thier,

Du, der des Mondes Lieblichkeit

In meinen Kerker ließeſt rinnen,

Gezähmt mir die vertrauten Spinnen,

Du, Milder, ſeyſt gebenedeit!“
Und Gottfried, kämpfend mit den Thränen,

Ergreift den Humpen, noch gefüllt,

Vor ſeinem Ohr ein leiſes Stöhnen,

Vor ſeinem Aug' ein bleiches Bild.

O, dringen möcht er durch den Stein,

Wo ſeine ſünd'gen Füße ſtehen,

O, einmal, einmal möcht' er ſehen

Durch Lichterglanz den Heil'genſchein!
„Ha!“ zürnt der Graf, „was ließ ich ſchenken

Dir meinen allerbeſten Wein!

Eh möcht' ich einen Schädel tränken,

Ja, oder einen Leichenſtein.

Gottfried, Gottfried, ich ſchwör es dir,

So wahr ich Friedrich“ — ſeht ihn ſtocken,

Vor ſeinem Auge ſchwimmen Flocken,

Er hebt ſich auf, er ſchwankt zur Thür,
[288]
Und plötzlich auf den Eſtrich nieder

Taumelt er wie ein wundes Roß,

Es zucken, ſtrecken ſich die Glieder.

Welch' ein Getümmel in dem Schloß!

„Krank“ dieſer, „todt“ ſpricht jener Mund,

Ja wahrlich, das iſt Todes Miene,

Und eine mächtige Ruine

Liegt Friedrich auf dem eignen Grund.
Die Humpen ſind in Haſt zertrümmert,

Burgunderblut fließt über'n Stein,

Die Lampen mählig ſind verkümmert,

Wie Erdenluſt ſie qualmten ein.

Doch drüben, in des Kloſters Hut,

Entflammte man die ew'ge Leuchte,

Und knieend alles Volk ſich beugte

Dem reinen Wein, der Chriſti Blut.
[289]

Der Fundator.

Im Weſten ſchwimmt ein falber Strich,

Der Abendſtern entzündet ſich

Grad' über'm Sankt Georg am Thore;

Schwer haucht der Dunſt vom nahen Moore.

Schlaftrunkne Schwäne kreiſen ſacht

Um's Eiland, wo die graue Wacht

Sich hebt aus Waſſerbinſ' und Rohre.
Auf ihrem Dach die Fledermaus,

Sie ſchaukelt ſich, ſie breitet aus

Den Rippenſchirm des Schwingenfloſſes,

Und, mit dem Schwirren des Geſchoſſes,

Entlang den Teich, hinauf, hinab,

Dann klammert ſie am Fenſterſtab,

Und blinzt in das Gemach des Schloſſes.
Ein weit Gelaß, im Sammetſtaat!

Wo einſt der mächtige Prälat

Des Hauſes Chronik hat geſchrieben.

Friſch iſt der Baldachin geblieben,

Der güldne Tiſch, an dem er ſaß,

Und ſeine Seelenmeſſe las

Man heut in der Kapelle drüben.
Heut ſind es grade hundert Jahr,

Seit er gelegen auf der Bahr'

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 19[290]
Mit ſeinem Kreuz und Silberſtabe.

Die ewge Lamp' an ſeinem Grabe

Hat heute hundert Jahr gebrannt.

In ſeinem Seſſel an der Wand

Sitzt heut ein ſchlichter alter Knabe.
Des Hauſes Diener, Sigismund,

Harrt hier der Herrſchaft, Stund' auf Stund:

Schon kam die Nacht mit ihren Flören,

Oft glaubt die Kutſche er zu hören,

Ihr Quitſchern in des Weges Kies,

Er richtet ſich — doch nein — es blies

Der Abendwind nur durch die Föhren.
'S iſt eine Dämmernacht, genau

Gemacht für Alp und weiße Frau.

Dem Junkerlein ward es zu lange,

Dort ſchläft es hinter'm Damaſthange.

Die Chronik hält der Alte noch,

Und blättert fort im Finſtern, doch

Im Ohre ſummt es gleich Geſange:
„So hab' ich dieſes Schloß erbaut,

Ihm mein Erworbnes anvertraut,

Zu des Geſchlechtes Nutz und Walten;

Ein neuer Stamm ſprießt aus dem alten,

Gott ſegne ihn! Gott mach' ihn groß! —“

Der Alte horcht, das Buch vom Schooß

Schiebt ſacht er in der Lade Spalten:
[291]
Nein — durch das Fenſter ein und aus

Zog ſchrillend nur die Fledermaus;

Nun ſchießt ſie fort. — Der Alte lehnet

Am Simſe. Wie der Teich ſich dehnet

Um's Eiland, wo der Warte Rund

Sich tief ſchattirt im matten Grund.

Das Röhricht knirrt, die Unke ſtöhnet.
Dort, denkt der Greis, dort hat gewacht

Der alte Kirchenfürſt, wenn Nacht

Sich auf den Weiher hat ergoſſen.

Dort hat den Reiher er geſchoſſen,

Und zugeſchaut des Schloſſes Bau,

Sein weiß Habit, ſein Auge grau,

Lugt' drüben an den Fenſterſproſſen.
Wie ſcheint der Mond ſo kümmerlich!

— Er birgt wohl hinter'm Tanne ſich —

Schaut nicht der Thurm wie 'ne Laterne,

Verhauchend, dunſtig, aus der Ferne!

Wie ſteigt der blaue Duft im Rohr,

Und rollt ſich am Geſims empor!

Wie ſeltſam blinken heut' die Sterne!
Doch ha! — er blinzt, er ſpannt das Aug',

Denn dicht und dichter ſchwillt der Rauch,

Als ob ein Docht ſich langſam fache,

Entzündet ſich im Thurmgemache

Wie Mondenſchein ein graues Licht,

Und dennoch — dennoch — las er nicht,

Nicht Neumond heut im Almanache? —
[292]
Was iſt das? deutlich, nur getrübt

Vom Dunſt der hin und wieder ſchiebt,

Ein Tiſch, ein Licht, in Thurmes Mitten,

Und nun, — nun kömmt es hergeſchritten,

Ganz wie ein Schatten an der Wand,

Es hebt den Arm, es regt die Hand, —

Nun iſt es an den Tiſch geglitten.
Und nieder ſitzt es, langſam, ſteif,

Was in der Hand? — ein weißer Streif! —

Nun zieht es Etwas aus der Scheiden

Und fingert mit den Händen beiden,

Ein Ding, — ein Stäbchen ungefähr, —

Dran fährt es langſam hin und her,

Es ſcheint die Feder anzuſchneiden.
Der Diener blinzt und blinzt hinaus:

Der Schemen ſchwankt und bleichet aus,

Noch ſieht er es die Feder tunken,

Da drüber gleitet es wie Funken,

Und in demſelbigen Moment

Iſt Alles in das Element

Der ſpurlos finſtern Nacht verſunken.
Noch immer ſteht der Sigismund,

Noch ſtarrt er nach der Warte Rund,

Ihn dünkt, des Weihers Flächen rauſchen,

Weit beugt er über'n Sims, zu lauſchen;

Ein Ruder! — nein, die Schwäne ziehn!

Grad hört er längs dem Ufergrün

Sie ſacht ihr tiefes Schnarchen tauſchen.
[293]
Er ſchließt das Fenſter. — „Licht, o Licht!“ —

Doch mag das Junkerlein er nicht

So plötzlich aus dem Schlafe faſſen,

Noch minder es im Saale laſſen.

Sacht ſchiebt er ſich dem Seſſel ein,

Zieht ſein korallnes Nöſterlein,

— Was klingelt drüben an den Taſſen? —
Nein — eine Fliege ſchnurrt im Glas!

Dem Alten wird die Stirne naß;

Die Möbeln ſtehn wie Todtenmaale,

Es regt und rüttelt ſich im Saale,

Allmählig weicht die Thür zurück,

Und in demſelben Augenblick

Schlägt an die Dogge im Portale.
Der Alte drückt ſich dicht zu Hauf,

Er lauſcht mit Doppelſinnen auf,

— Ja! am Parket ein leiſes Streichen,

Wie Wieſel nach der Stiege ſchleichen —

Und immer härter, Tapp an Tapp,

Wie mit Sandalen, auf und ab,

Es kömmt — es naht — er hört es keuchen; —
Sein Seſſel knackt! — ihm ſchwimmt das Hirn —

Ein Odem, dicht an ſeiner Stirn!

Da fährt er auf und wild zurücke,

Errafft das Kind mit blindem Glücke

Und ſtürzt den Corridor entlang.

O, Gott ſey Dank! ein Licht im Gang,

Die Kutſche raſſelt auf die Brücke!
[294]

Vorgeſchichte (Second sight).

Kennſt du die Blaſſen im Haideland,

Mit blonden flächſenen Haaren?

Mit Augen ſo klar wie an Weihers Rand

Die Blitze der Welle fahren?

O ſprich ein Gebet, inbrünſtig, ächt,

Für die Seher der Nacht, das gequälte Geſchlecht.
So klar die Lüfte, am Aether rein

Träumt nicht die zarteſte Flocke,

Der Vollmond lagert den blauen Schein

Auf des ſchlafenden Freiherrn Locke,

Hernieder bohrend in kalter Kraft

Die Vampyrzunge, des Strahles Schaft.
Der Schläfer ſtöhnt, ein Traum voll Noth

Scheint ſeine Sinne zu quälen,

Es zuckt die Wimper, ein leiſes Roth

Will über die Wange ſich ſtehlen;

Schau, wie er woget und rudert und fährt,

Wie Einer ſo gegen den Strom ſich wehrt.
Nun zuckt er auf — ob ihn geträumt,

Nicht kann er ſich deſſen entſinnen —

Ihn fröſtelt, fröſtelt, ob's drinnen ſchäumt

Wie Fluthen zum Strudel rinnen;

Was ihn geängſtet, er weiß es auch:

Es war des Mondes giftiger Hauch.
[295]
O Fluch der Haide, gleich Ahasver

Unter'm Nachtgeſtirne zu kreiſen!

Wenn ſeiner Strahlen züngelndes Meer

Aufbohret der Seele Schleuſen,

Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild,

Kämpft gegen das mählig ſteigende Bild.
Im Mantel ſchaudernd mißt das Parquet

Der Freiherr die Läng' und Breite,

Und wo am Boden ein Schimmer ſteht,

Weitaus er beuget zur Seite,

Er hat einen Willen und hat eine Kraft,

Die ſollen nicht liegen in Blutes Haft.
Es will ihn krallen, es ſaugt ihn an,

Wo Glanz die Scheiben umgleitet,

Doch langſam weichend, Spann' um Spann',

Wie ein wunder Edelhirſch ſchreitet,

In immer engerem Kreis gehetzt,

Des Lagers Pfoſten ergreift er zuletzt.
Da ſteht er keuchend, ſinnt und ſinnt,

Die müde Seele zu laben,

Denkt an ſein liebes einziges Kind,

Seinen zarten, ſchwächlichen Knaben,

Ob deſſen Leben des Vaters Gebet

Wie eine zitternde Flamme ſteht.
Hat er des Kleinen Stammbaum doch

Geſtellt an des Lagers Ende,

[296]
Nach dem Abendkuſſe und Segen noch

Drüber brünſtig zu falten die Hände;

Im Monde flimmernd das Pergament

Zeigt Schild an Schilder, ſchier ohne End'.
Rechtsab des eigenen Blutes Gezweig,

Die alten freiherrlichen Wappen,

Drei Roſen im Silberfelde bleich,

Zwei Wölfe ſchildhaltende Knappen,

Wo Roſ' an Roſe ſich breitet und blüht,

Wie über'm Fürſten der Baldachin glüht.
Und links der milden Mutter Geſchlecht,

Der Frommen in Grabeszellen,

Wo Pfeil' an Pfeile, wie im Gefecht,

Durch blaue Lüfte ſich ſchnellen.

Der Freiherr ſeufzt, die Stirn geſenkt,

Und — ſteht am Fenſter, bevor er's denkt.
Gefangen! gefangen im kalten Stral!

In dem Nebelnetze gefangen!

Und feſt gedrückt an der Scheib' Oval,

Wie Tropfen am Glaſe hangen,

Verfallen ſein klares Nixenaug',

Der Haidequal in des Mondes Hauch.
Welch ein Gewimmel! — er muß es ſehn,

Ein Gemurmel! — er muß es hören,

Wie eine Säule, ſo muß er ſtehn,

Kann ſich nicht regen noch kehren.

Es ſummt im Hofe ein dunkler Hauf,

Und einzelne Laute dringen hinauf.
[297]
Hei! eine Fackel! ſie tanzt umher,

Sich neigend, ſteigend in Bogen,

Und nickend, zündend, ein Flammenheer

Hat den weiten Eſtrich umzogen.

All' ſchwarze Geſtalten im Trauerflor

Die Fackeln ſchwingen und halten empor.
Und Alle gereihet am Mauerrand,

Der Freiherr kennet ſie Alle;

Der hat ihm ſo oft die Büchſe geſpannt,

Der pflegte die Roſſ' im Stalle,

Und der ſo luſtig die Flaſche leert,

Den hat er ſiebenzehn Jahre genährt.
Nun auch der würdige Kaſtellan,

Die breite Pleureuſe am Hute,

Den ſieht er langſam, ſchlurfend nahn,

Wie eine gebrochene Ruthe;

Noch deckt das Pflaſter die dürre Hand,

Verſengt erſt geſtern an Heerdes Brand.
Ha, nun das Roß! aus des Stalles Thür,

In ſchwarzem Behang und Flore;

O, iſt's Achill, das getreue Thier?

Oder iſt's ſeines Knaben Medore?

Er ſtarret, ſtarrt und ſieht nun auch,

Wie es hinkt, vernagelt nach altem Brauch.
Entlang der Mauer das Muſikchor,

In Krepp gehüllt die Poſaunen,

[298]
Haucht prüfend leiſe Cadenzen hervor,

Wie träumende Winde raunen;

Dann Alles ſtill. O Angſt! o Qual!

Es tritt der Sarg aus des Schloſſes Portal.
Wie prahlen die Wappen, farbig grell

Am ſchwarzen Sammet der Decke.

Ha! Roſ' an Roſe, der Todesquell

Hat geſpritzet blutige Flecke!

Der Freiherr klammert das Gitter an:

„Die andre Seite!“ ſtöhnet er dann.
Da langſam wenden die Träger, blank

Mit dem Monde die Schilder koſen.

„O, — ſeufzt der Freiherr — Gott ſey Dank!

Kein Pfeil, kein Pfeil, nur Roſen!“

Dann hat er die Lampe ſtill entfacht,

Und ſchreibt ſein Teſtament in der Nacht.
[299]

Der Graue.

Im Walde ſteht die kleine Burg,

Aus rohem Quaderſtein gefugt,

Mit Schart' und Fenſterlein, wodurch

Der Doppelhaken einſt gelugt;

Am Teiche rauſcht des Rohres Speer,

Die Brücke wiegt und knarrt im Sturm,

Und in des Hofes Mitte, ſchwer,

Plump wie ein Mörſer, ſteht der Thurm.
Da ſiehſt du jetzt umher geſtellt

Manch' feuerrothes Ziegeldach,

Und wie der Stempel ſteigt und fällt,

So pfeift die Dampfmaſchine nach;

Es knackt die Form, der Bogen ſchrillt,

Es dunſtet Scheidewaſſers Näh',

Und über'm grauen Wappenſchild

Liest man: Moulin à papier.
Doch wie der Keſſel quillt und ſchäumt,

Den Brüß'ler Kaufherrn freut es kaum,

Der hatte einmal ſich geträumt

Von Land und Luft den feinſten Traum;

Das war ſo recht ein Fleckchen, ſich

Zu retten aus der Zahlen Haft!

Nicht groß, und doch ganz adelich,

Und brauchte wenig Dienerſchaft.
[300]
Doch eine Nacht nur macht er ſich

Bequem es — oder unbequem —

In ſeinem Schlößchen, und er ſtrich

Nur wie ein Vogel dran ſeitdem.

Sah dann er zu den Fenſtern auf,

Verſchloſſen wie die Sakriſtei'n,

So zog er wohl die Schultern auf,

Mit einem Seufzer, oder zwei'n.
Es war um die Septemberzeit,

Als, ſchürend des Kamines Brand,

Gebückt, in regenfeuchtem Kleid,

Der Hausherr in der Halle ſtand,

Er und die Gäſte, All' im Rauch;

Van Neelen, Redel, Verney, Dahm,

Und dann der blonde Waller auch,

Der eben erſt aus Smyrna kam.
Im Schlote ſchnob der Wind, es goß

Der Regen ſprudelnd ſich vom Dach,

Und wenn am Brand ein Flämmchen ſchoß,

Schien doppelt öde das Gemach.

Die Gäſte waren all' zur Hand,

Erleichternd ihres Wirthes Müh';

Van Neelen nur am Fenſter ſtand,

Und ſchimpfte auf die Landparthie.
Doch nach und nach mag's beſſer gehn,

Schon hat der Wind die Glut gefacht,

[301]
Den Regen läßt man draußen ſtehn,

Champagnerflaſchen ſind gebracht.

Die Leuchter hatten wenig Werth,

Es gieng wie beim Studentenfeſt:

Sobald die Flaſche iſt geleert,

Wird eine Kerze drauf gepreßt.
Je mehr es fehlt, ſo mehr man lacht,

Der Wein iſt heiß, die Koſt gewählt,

Manch' derbes Späßchen wird gemacht,

Und mancher feine Streich erzählt.

Zuletzt von Wein und Reden glüh,

Rückt ſeinen Stuhl der Herr vom Haus:

„Ich lud Euch zu 'ner Landparthie,

Es ward 'ne Waſſerfahrt daraus.“
„Doch da die allerſchönſte Fracht

Am Ende nach dem Hafen ſchifft,

So, meine Herren, gute Nacht!

Und nehmt vorlieb, wie es ſich trifft.“

Da lachend nach den Flaſchen greift

Ein Jeder. — Thüren auf und zu. —

Und Waller, noch im Gehen, ſtreift

Aus ſeinem Frack den Ivanhoe.
Er war tief in die Nacht hinein,

Und draußen heulte noch der Sturm,

Schnob ziſchend an dem Fenſterſtein

Und drillt den Glockenſtrang am Thurm.

[302]
In ſeinem Bette Waller lag,

Und las ſo ſcharf im Ivanhoe,

Daß man gedacht, bevor es Tag

Sey Englands Königreich in Ruh.
Er ſah nicht, daß die Kerze tief

Sich brannte in der Flaſche Rand,

Der Talg in ſchweren Tropfen lief,

Und drunten eine Lache ſtand.

Wie träumend hört' er das Geknarr

Der Fenſter, vom Rouleau gedämpft,

Und wie die Thüre mit Geſchnarr

In ihren Angeln zuckt und kämpft.
Sehr freut er ſich am Bruder Tuck,

— Die Sehne ſchwirrt, es rauſcht der Hain —

Da plötzlich ein gewalt'ger Ruck,

Und, hui! die Scheibe klirrt hinein.

Er fuhr empor, — weg war der Traum —

Und deckte mit der Hand das Licht,

Ha! wie ſo wüſt des Zimmers Raum!

Selbſt ein romantiſches Gedicht!
Der Seſſel feudaliſtiſch Gold —

Am Marmortiſch die Greifenklau' —

Und über'm Spiegel flatternd rollt,

Ein Banner, der Tapete Blau,

Im Zug der durch die Lücke ſchnaubt;

Die Ahnenbilder leben faſt,

Und ſchütteln ihr behelmtes Haupt

Ergrimmt ob dem plebejen Gaſt.
[303]
Der blonde Waller machte gern

Sich ſelber einen kleinen Graus,

So nickt er ſpöttiſch gen die Herrn,

Als fordert' er ſie keck heraus.

Die Glocke ſummt — ſchon Eins fürwahr!

Wie eine Boa dehnt' er ſich,

Und ſah nach dem Piſtolenpaar,

Dann rüſtet er zum Schlafe ſich.
Die Flaſche hob er einmal noch

Und leuchtete die Wände an,

Ganz wie 'ne alte Halle doch

Aus einem Scottiſchen Roman!

Und — iſt das Nebel oder Rauch,

Was durch der Thüre Spalten quillt,

Und, wirbelnd in des Zuges Hauch,

Die dunſtigen Paneele füllt?
Ein Ding — ein Ding — wie Grau in Grau,

Die Formen ſchwanken — ſonderbar! —

Doch, ob der Blick ſich ſchärft? den Bau

Von Gliedern nimmt er mählig wahr.

Wie über'm Eiſenhammer, ſchwer

Und ſchwarz, des Rauches Säule wallt;

Ein Zucken flattert drüben her,

Doch — hat es menſchliche Geſtalt!
Er war ein hitziger Kumpan,

Wenn Wein die Lava hat geweckt.

»Qui vive!« — und leiſe knackt der Hahn,

Der Waller hat den Arm geſtreckt:

[304]
»Qui vive!« — 'ne Pauſe, — »ou je tire!«

Und aus dem Lauf die Kugel knallt;

Er hört ſie ſchlagen an die Thür,

Und abwärts prallen mit Gewalt.
Der Schuß dröhnt am Gewölbe nach,

Und, eine ſchwere Nebelſchicht,

Füllt Pulverbrodem das Gemach;

Er theilt ſich, ſchwindet, das Geſicht

Steht in des Zimmers Mitte jetzt,

Ganz wie ein graues Bild von Stein,

Die Formen ſcharf und unverletzt,

Die Züge edel, ſtreng und rein.
Auf grauer Locke grau Barett,

Mit grauer Hahnenfeder drauf.

Der Waller hat ſo ſacht und nett

Sich hergelangt den zweiten Lauf.

Noch zögert er — iſt es ein Bild,

Wär's zu zerſchießen lächerlich;

Und wär's ein Menſch — das Blut ihm quillt —

Ein Geck, der unterfinge ſich —?!
Ein neuer Ruck, und wieder Knall

Und Pulverrauch — war das Geſtöhn?

Er hörte keiner Kugel Prall —

Es iſt vorüber! iſt geſchehn!

Der Waller zuckt: „verdammtes Hirn!“

Mit einmal iſt er kalt wie Eis,

Der Angſtſchweiß tritt ihm auf die Stirn,

Er ſtarret in den Nebelkreis.
[305]
Ein Aechzen! oder Windeshauch! —

Doch nein, der Scheibenſplitter ſchwirrt.

O Gott, es zappelt! — nein — der Rauch

Gedrängt vom Zuge ſchwankt und irrt;

Es wirbelt aufwärts, woget, wallt,

Und, wie ein graues Bild von Stein,

Steht nun am Bette die Geſtalt,

Da, wo der Vorhang ſinkt hinein.
Und drüber kniſtert's, wie von Sand,

Wie Funke, der elektriſch lebt;

Nun zuckt ein Finger — nun die Hand —

Allmählig nun ein Fuß ſich hebt, —

Hoch — immer höher — Waller winkt;

Dann macht er ſchnell gehörig Raum,

Und langſam in die Kiſſen ſinkt

Es ſchwer, wie ein gefällter Baum.
»Ah, je te tiens!« er hat's gepackt,

Und ſchlingt die Arme wie 'nen Strick, —

Ein Leichnam! todesſteif und nackt!

Mit einem Ruck fährt er zurück;

Da wälzt es langſam, ſchwer wie Blei,

Sich gleich dem Mühlſtein über ihn;

Da that der Waller einen Schrei,

Und ſeine Sinne waren hin.
Am nächſten Morgen fand man kalt

Ihn im Gemache ausgeſtreckt;

'S war eine Ohnmacht nur, und bald

Ward zum Bewußtſeyn er geweckt.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 20[306]
Nicht irre war er, nur gepreßt,

Und fragt: „ob Keiner ward geſtört?

Doch Alle ſchliefen überfeſt,

Nicht einer hat den Schuß gehört.
So ward es denn für Traum ſogleich,

Und Alles für den Alp erkannt;

Doch zog man ſich aus dem Bereich,

Und trollte hurtig über Land.

Sie waren Alle viel zu klug,

Und vollends zu beleſen gar;

Allein der blonde Waller trug

Seit dieſer Nacht eisgraues Haar.
[307]

Die Vendetta.

I.

Ja, einen Feind hat der Corſ', den Hund,

Luigi, den hagern Podeſta,

Der den Ohm, ſo ſtark und geſund,

Ließ henken, den kühnen di Veſta.

Er und der rothe Franzoſe Jocliffe,

Die Beiden machten ihn hangen,

Aber der ging zu dem Schmugglerſchiff,

Und liegt ſeit Monden gefangen.
Steht im Walde Geronimo,

Und klirrend zieht aus der Scheide

Er das Meſſer, ſo und ſo

An der Sohle wetzt er die Schneide;

Gleitet dann in die Dämmerung,

Dem Feinde auf Tod und Leben

Mit des Thieres Verſtümmelung

Ein corſiſch Cartel zu geben.
Schau! wie Zweig an Zweige er ſtreicht,

— Kaum flüſternd die Blätter ſchwanken, —

Gleich der gleißenden Boa leicht

Hinquillt durch Gelaub und Ranken;

Drüber träufelt das Mondenlicht,

Wie heimlicher Thräne Klage

Durch eine dunkele Wimper bricht.

Nun kniet der Corſe am Haage.
[308]
Dort der Anger, — und dort am Hang

Die einſam weidende Stute,

Langſam ſchnaubt ſie den Rain entlang;

Aus andaluſiſchem Blute,

Hoch, ſchneeſchimmernd, zum Grund gebeugt

Den mähnumflutheten Nacken,

Nah ſie, näher dem Hagen ſteigt.

Nun wird der Corſe ſie packen!
Schon erfaßt er der Schneide Griff,

Er reckt ſich über dem Kraute,

Da — ein Gekniſter und — ſtill! ein Pfiff,

Und wieder — ſummende Laute!

Und es ſchreitet dem Hage zu,

Grad wo Geronimo knieet,

Nieder gleitet der Corſ' im Nu,

Ha, wie er keuchet und glühet!
Dicht an ihm, — der Mantel ſtreift,

Die Ferſe könnt' er ihm faſſen, —

Steht der hagre Podeſt' und pfeift;

„Sorella! ruft er gelaſſen,

Und „Sorella, mein kluges Thier!“

Der Lauſcher höret es ſtampfen,

Ueber ihm, mit hellem Gewieh'r,

Zwei ſchnaubende Nüſtern dampfen.
Freundlich klatſcht Luigi den Bug,

Liebkoſend ſtreicht er die Mähnen,

Hat nicht zärtlicher Worte genug,

Er ſpricht wie zu ſeiner Schönen.

[309]
Einen Blitz aus glühendem Aug',

Und rückwärts taumelt die Stute.

„Ei, Sorella, was fehlt dir auch?

Mein Töchterchen, meine Gute.“
Candiszucker langt er hervor;

Ha, wie ihre Nüſtern blaſen!

Wie ſie naſchet, geſpitzt das Ohr,

Und immer glotzet zum Raſen!

Einen Blick der Podeſta ſcheu

Schießt über die glitzernde Aue,

Rückt am Dolche, und dann aufs neu:

„Mein Schimmelchen, meine Graue!“
Wie er über den Hag ſich biegt,

Am Nacken des Thieres gleitet,

Auf Geronimo's Auge liegt

Des Feindes Mantel gebreitet;

O, nie hat ſo heiß und ſchwer

Geronimo, nie gelegen,

Jede Muskel im Arm fühlt er

Wie eine Viper ſich regen.
Doch er iſt ein gläubiger Chriſt,

Geht jede Woche zur Beichte,

Hat voll Andacht noch heut geküßt

Chriſtofero's heilige Leuchte.

Sünde wär's, das Meſſer im Schlund

Des Ungewarnten zu bergen,

Sonſt — alleine, allein der Hund!

Bewaffnet, und ohne Schergen!
[310]
Eine Minute, die ſchnell vergeht,

Der Corſe gen Himmel ſchaute,

Zum Patrone ein Stoßgebet,

Dann fährt er empor vom Kraute;

Blank die Waffe, den Bug geſchlitzt,

Dann wie ein Vogel zum Walde —

Schreiend vom Hange die Stute blitzt,

Der Richter ſtarrt an der Halde.

II.

Mittagsſtunde, — der Sonnenpfeil

Prallt an des Weihen Gefieder,

Der vom Geſteine grau und ſteil

Blinzt in die Pinien nieder.

Schwarz der Wald, eine Wetternacht,

Die aus dem Aether geſunken,

Drüber der Stral in Siegespracht

Tanzt auf dem Feinde wie trunken.
Plötzlich zuckt, es flattert der Weih,

Und klatſcht in taumelnden Ringen,

Ueber'm Riffe ſein wilder Schrei,

Dann ſteigt er, wiegend die Schwingen;

Und am Grunde es ſtampft und ſurrt,

Hart unter dem Felſenmaale,

Netz im Haare, Piſtol im Gurt,

Zwölf Schergen reiten zu Thale.
Wo den Schatten verkürzt das Riff

Wirft über die zitternde Aue,

[311]
Starrt gefeſſelt der rothe Jocliffe

Hinauf zum Vogel in's Blaue.

Dürr ſeine Zunge, — kein Tropfen labt —

Er lacht in grimmigem Hohne,

Neben ihm der Podeſta trabt

Und pfeift ſich eine Canzone.
Rüſtig ſtampfen die Roſſe fort,

Dann „halt!“ Es lagert die Bande;

Hier ein Scherge, ein anderer dort,

Geſtreckt im kniſternden Sande.

Die Cigarre läßt an den Grund

Ihr bläuliches Wölkchen ſchwehlen,

Und der Schlauch, von Mund zu Mund,

Strömt in die durſtigen Kehlen.
Wie ſo lockend die Taube lacht

Aus grünem duftigem Haine!

Von den Zwölfen heben ſich acht,

Sie ſchlendern entlang das Geſteine,

Läſſig, ſpielend, ſo ſorgenbaar

Wie junge Geier im Neſte,

Dieſer zupfet des Nachbars Haar,

Der ſchnitzelt am Zwiebelreſte.
Einer ſo nach dem andern ſchwankt

In's Grün' aus der ſengenden Hitze,

Halt! wie elektriſch Feuer rankt

Von Aug' zu Aug' ein Geblitze.

[312]
Horch, ſie flüſtern! Zwei und zwei

Die Pinien ſtreifen ſie leiſe,

Wie die Hinde witternd und ſcheu

Schlüpft über befahrene Gleiſe.
Zwei am Hange und zwei hinab

Und vier zur Rechten und Linken,

Sachte beugen den Aſt ſie ab,

Ihre Augen wie Vipern blinken,

Da — im Mooſe ein dürrer Baum

Mit wunderlich brauner Schale, —

Hui! ein Pfiff auf gekrümmtem Daum, —

Und dort — und drunten im Thale.
Fährt vom Mooſe Geronimo,

Und eh ihn die Schergen umſchlingen,

Wie im Haid die kniſternde Loh',

Ha! ſieh ihn flattern und ſpringen!

Knall auf Knall, eine Kugel pfeift

Ihm durch der Retilla Knoten,

Blutend er an dem Geſteine läuft

Bis zum Jocliffe, dem rothen.
Hoch die Rechte — will er ſchnell

Sich rächen zu dieſer Stunde?

Nein, am Roſſe ſchreibt das Cartel

Er raſch mit klaffender Wunde.

Hoch die Linke — es knallt, es blitzt,

Und taumelnd ſinkt der Podeſta;

Ruft der Corſe: „ſo hab' es itzt,

Du Hund, für den kühnen di Veſta!“
[313]
O Geronimo! hätten dich fort,

Fort, fort deine Sprünge getragen,

Als die Einen am Riffe dort,

Die Andern klommen am Hagen!

Schwerlich heute, ſo mein' ich klar,

Sie würden die Stadt erſchrecken

Mit der Leiche auf grüner Bahr'

Und mit dir, gebunden am Schecken!
[314]

Das Fräulein von Rodenſchild.

Sind denn ſo ſchwül die Nächt' im April?

Oder iſt ſo ſiedend jungfräulich' Blut?

Sie ſchließt die Wimper, ſie liegt ſo ſtill,

Und horcht des Herzens pochender Fluth.

„O will es denn nimmer und nimmer tagen!

O will denn nicht endlich die Stunde ſchlagen!

Ich wache, und ſelbſt der Seiger ruht!
Doch horch! es ſummt, eins, zwei und drei, —

Noch immer fort? — ſechs, ſieben und acht,

Elf, zwölf, — o Himmel, war das ein Schrei?

Doch nein, Geſang ſteigt über der Wacht,

Nun wird mir's klar, mit frommem Munde

Begrüßt das Hausgeſinde die Stunde, *

Anbrach die hochheilige Oſternacht.“
Seitab das Fräulein die Kiſſen ſtößt,

Und wie eine Hinde vom Lager ſetzt,

Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,

In's Häubchen drängt ſie die Locken jetzt,

Dann leiſe das Fenſter öffnend, leiſe,

Horcht ſie der mählig ſchwellenden Weiſe,

Vom wimmernden Schrei der Eule durchſetzt.
[315]
O dunkel die Nacht! und ſchaurig der Wind!

Die Fahnen wirbeln am knarrenden Thor, —

Da tritt aus der Halle das Hausgeſind'

Mit Blendlaternen und einzeln vor.

Der Pförtner dehnet ſich, halb ſchon träumend,

Am Dochte zupfet der Jäger ſäumend,

Und wie ein Oger gähnet der Mohr.
Was iſt? — wie das auseinander ſchnellt!

In Reihen ordnen die Männer ſich,

Und eine Wacht vor die Dirnen ſtellt

Die graue Zofe ſich ehrbarlich,

„Ward ich geſehn an des Vorhangs Lücke?

Doch nein, zum Balkone ſtarren die Blicke,

Nun langſam wenden die Häupter ſich.“
„O weh meine Augen! bin ich verrückt?

Was gleitet entlang das Treppengeländ?

Hab' ich nicht ſo aus dem Spiegel geblickt?

Das ſind meine Glieder, — welch ein Geblend'!

Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,

Das iſt mein Strich über Stirn und Locken! —

Weh, bin ich toll, oder nahet mein End'!“
Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,

Das Fräulein wendet die Blicke nicht,

Und leiſe rührend die Stufen zieht

Am Steingelände das Nebelgeſicht,

In ſeiner Rechten trägt es die Lampe,

Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,

Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.
[316]
Nun ſchwebt es unter dem Sternendom,

Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,

Nun durch die Reihen zieht das Phantom,

Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit'. —

Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, —

Nun wieder drinnen erſcheint die Helle,

Hinauf ſich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,

Sieht nicht die Blicke, ſtier und verſcheucht,

Feſt folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,

Wie dunſtig über die Scheiben es ſtreicht.

— Nun iſts im Saale — nun im Archive —

Nun ſteht es ſtill an der Niſche Tiefe —

Nun matter, matter, — ha! es erbleicht!
„Du ſollſt mir ſtehen! ich will dich fahn!“

Und wie ein Aal die beherzte Maid

Durch Nacht und Krümmen ſchlüpft ihre Bahn,

Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,

Leis tritt ſie, leiſe, o Geiſterſinne

Sind ſcharf! daß nicht das Geſicht entrinne!

Ja, muthig iſt ſie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Thor;

— Ha, Schloß und Riegel! — ſie ſteht gebannt,

Sacht, ſacht das Auge und dann das Ohr

Drückt zögernd ſie an der Spalte Rand,

Tiefdunkel drinnen — doch einem Rauſchen

Der Pergamente glaubt ſie zu lauſchen,

Und einem Streichen entlang der Wand.
[317]
So niederkämpfend des Herzens Schlag,

Hält ſie den Odem, ſie lauſcht, ſie neigt —

Was dämmert ihr zur Seite gemach?

Ein Glühwurmleuchten — es ſchwillt, es ſteigt,

Und Arm an Arme, auf Schrittes Weite,

Lehnt das Geſpenſt an der Pforte Breite,

Gleich ihr zur Nachbarſpalte gebeugt.
Sie fährt zurück, — das Gebilde auch —

Dann tritt ſie näher — ſo die Geſtalt —

Nun ſtehen die Beiden, Auge in Aug',

Und bohren ſich an mit Vampyres Gewalt.

Das gleiche Häubchen decket die Locken,

Das gleiche Linnen, wie Schneees Flocken,

Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.
Langſam das Fräulein die Rechte ſtreckt,

Und langſam, wie aus der Spiegelwand,

Sich Linie um Linie entgegen reckt

Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;

Nun rührt ſich's — die Lebendige ſpüret

Als ob ein Luftzug ſchneidend ſie rühret,

Der Schemen dämmert, — zerrinnt — entſchwand.
Und wo im Saale der Reihen fliegt,

Da ſiehſt ein Mädchen du, ſchön und wild,

— Vor Jahren hat's eine Weile geſiecht —

Das ſtets in den Handſchuh die Rechte hüllt.

Man ſagt, kalt ſey ſie wie Eiſes Flimmer,

Doch luſtig die Maid, ſie hieß ja immer:

„Das tolle Fräulein von Rodenſchild.“
[318]

Der Geyerpfiff.

„Nun ſtill! — Du an den Dohnenſchlag!

Du links an den geſpaltnen Baum!

Und hier der faule Fetzer mag

Sich lagern an der Klippe Saum:

Da ſeht fein offen über's Land

Die Kutſche ihr heran ſpazieren:

Und Rieder dort der Höllenbrand,

Mag in den Steinbruch ſich poſtiren!“
„Dann aufgepaßt mit Aug' und Ohr,

Und bei dem erſten Räderhall

Den Eulenſchrei! und tritt hervor

Die Fracht, dann wiederholt den Schall:

Doch naht Gefahr — Patrouillen gehn, —

Seht ihr die Landdragoner ſtreifen,

Dann dreimal, wie von Riffeshöhn,

Laßt ihr den Lämmergeyer pfeifen.“
„Nun, Rieder, noch ein Wort zu dir:

Mit Recht heißt du der Höllenbrand;

Kein Stückchen — ich verbitt' es mir —

Wie neulich mit der kalten Hand!“

Der Hauptmann ſpricht es; durch den Kreis

Ein Rauſchen geht und feines Schwirren,

Als ſie die Büchſen ſchultern leis,

Und in den Gurt die Meſſer klirren.
[319]
Seltſamer Troß! hier Rieſenbau

Und hiebgeſpaltnes Angeſicht,

Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,

Ein zierliches Spelunkenlicht;

Der drüben an dem Scheitelhaar

So ſachte ſtreift den blanken Fänger,

Schaut aus den blauen Augen gar

Wie ein verarmter Minneſänger.
'S iſt lichter Tag! die Bande ſcheut

Vor keiner Stunde — Alles gleich; —

Es iſt die rothe Bande, weit

Verſchrien, gefürchtet in dem Reich;

Das Knäbchen kauert unter'm Stier

Und betet, raſchelt es im Walde,

Und manches Weib verſchließt die Thür,

Schreit nur ein Kukuk an der Halde.
Die Poſten haben ſich zerſtreut,

Und in die Hütte ſchlüpft der Troß —

Wildhüters Obdach, zu der Zeit,

Als jene Trümmer war ein Schloß:

Wie Ritter vor der Ahnengruft,

Fühlt ſich der Räuber ſtolz gehoben

Am Schutte, dran ein gleicher Schuft

Vor Jahren einſt den Brand geſchoben.
Und als der letzte Schritt verhallt,

Der letzte Zweig zurück gerauſcht,

Da wird es einſam in dem Wald,

Wo über'm Aſt die Sonne lauſcht;
[320]
Und als es drinnen noch geklirrt,

Und noch ein Weilchen ſich geſchoben,

Da ſtill es in der Hütte wird,

Vom wilden Weingerank umwoben.
Der ſcheue Vogel ſetzt ſich kühn

Auf's Dach und wiegt ſein glänzend Haupt,

Und ſummend durch der Reben Grün

Die wilde Biene Honig raubt;

Nur leiſe wie der Hauch im Tann,

Wie Weſte durch die Halme ſtreifen,

Hört drinnen leiſe, leiſe man,

Vorſichtig an den Meſſern ſchleifen. —
Ja, lieblich iſt des Berges Maid

In ihrer feſten Glieder Pracht,

In ihrer blanken Fröhlichkeit

Und ihrer Zöpfe Rabennacht;

Siehſt du ſie brechen durch's Geniſt

Der Brombeerranken, friſch, gedrungen,

Du denkſt, die Centifolie iſt

Vor Uebermuth vom Stiel geſprungen.
Nun ſteht ſie ſtill und ſchaut ſich um —

All überall nur Baum an Baum;

Ja, irre zieht im Walde um

Des Berges Maid und glaubt es kaum;

[321]
Noch zwei Minuten, wo ſie ſann,

Pulſiren ließ die heißen Glieder, —

Behende wie ein Marder dann

Schlüpft keck ſie in den Steinbruch nieder.
Am Eingang ſteht ein Felſenblock,

Wo das Geſchiebe überhängt;

Der Epheu ſchüttelt ſein Gelock,

Zur grünen Laube vorgedrängt:

Da unter'm Dache lagert ſie,

Behaglich lehnend an dem Steine,

Und denkt: ich ſitze wahrlich wie

Ein Heil'genbildchen in dem Schreine!
Ihr iſt ſo warm, der Zöpfe Paar

Sie löſet mit der runden Hand,

Und nieder rauſcht ihr ſchwarzes Haar

Wie Rabenſittiges Gewand.

Ei! denkt ſie, bin ich doch allein!

Auf ſpringt das Spangenpaar am Mieder;

Doch unbeweglich gleich dem Stein

Steht hinter'm Block der wilde Rieder:
Er ſieht ſie nicht, nur ihren Fuß,

Der tändelnd ſchaukelt wie ein Schiff,

Zuweilen treibt des Windes Gruß

Auch eine Locke um das Riff,

Doch ihres heißen Odems Zug,

Samumes Hauch, glaubt er zu fühlen,

Verlorne Laute, wie im Flug

Lockvögel, um das Ohr ihm ſpielen.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 21[322]
So weich die Luft und badewarm,

Berauſchend Thimianes Duft,

Sie lehnt ſich, dehnt ſich, ihren Arm,

Den vollen, ſtreckt ſie aus der Kluft,

Schließt dann ihr glänzend Augenpaar —

Nicht ſchlafen, ruhn nur eine Stunde —

So dämmert ſie und die Gefahr

Wächſt von Sekunde zu Sekunde.
Nun Alles ſtill — ſie hat gewacht —

Doch hinter'm Steine wird's belebt

Und ſeine Büchſe ſachte, ſacht,

Der Rieder von der Schulter hebt,

Lehnt an die Klippe ihren Lauf,

Dann lockert er der Meſſer Klingen,

Hebt nun den Fuß — was hält ihn auf?

Ein Schrei ſcheint aus der Luft zu dringen!
Ha, das Signal! — er ballt die Fauſt —

Und wiederum des Geyers Pfiff

Ihm ſchrillend in die Ohren ſaust —

Noch zögert knirſchend er am Riff —

Zum dritten Mal — und ſein Gewehr

Hat er gefaßt — hinan die Klippe!

Daß bröckelnd Kies und Sand umher

Nachkollern von dem Steingerippe.
Und auch das Mädchen fährt empor:

„Ei, iſt ſo locker das Geſtein?“

Und langſam, gähnend tritt hervor

Sie aus dem falſchen Heil'genſchrein,

[323]
Hebt ihrer Augen feuchtes Glühn,

Will nach dem Sonnenſtande ſchauen,

Da ſieht ſie einen Geyer ziehn

Mit einem Lamm in ſeinen Klauen.
Und ſchnell gefaßt, der Wildniß Kind,

Tritt ſie entgegen ſeinem Flug:

Der kam daher, wo Menſchen ſind,

Das iſt der Bergesmaid genug.

Doch ſtill! war das nicht Stimmenton

Und Räderknarren? ſtill! ſie lauſcht —

Und wirklich, durch die Nadeln ſchon

Die ſchwere Kutſche ächzt und rauſcht.
„He, Mädchen!“ ruft es aus dem Schlag,

Mit feinem Knix tritt ſie heran:

„Zeig uns zum Dorf die Wege nach,

Wir fuhren irre in dem Tann!“ —

„Herr,“ ſpricht ſie lachend, „nehmt mich auf,

Auch ich bin irr' und führ' Euch doch.“

„Nun wohl, du ſchmuckes Kind, ſteig auf,

Nur friſch hinauf, du zögerſt noch?“
„Herr, was ich weiß, iſt nur gering,

Doch führt es Euch zu Menſchen hin,

Und das iſt ſchon ein köſtlich Ding

Im Wald, mit Räuberhorden drin:

Seht, einen Weih am Bergeskamm

Sah ſteigen ich aus jenen Gründen,

Der in den Fängen trug ein Lamm;

Dort muß ſich eine Heerde finden.“ —
[324]
Am Abend ſteht des Forſtes Held

Und flucht die Steine warm und kalt:

Der Wechsler freut ſich, daß ſein Geld

Er klug geſteuert durch den Wald:

Und nur die gute, franke Maid

Nicht ahnet in der Träume Walten,

Daß über ſie ſo gnädig heut

Der Himmel ſeinen Schild gehalten. —
[325]

Die Schweſtern.

I.

Sacht pochet der Käfer im morſchen Schrein,

Der Mond ſteht über den Fichten.

„Jeſus Maria, wo mag ſie ſeyn!

Hin will meine Angſt mich richten.

Helene, Helene, was ließ ich dich gehn

Allein zur Stadt mit den Hunden,

Du armes Kind, das ſterbend mir

Auf die Seele die Mutter gebunden!“
Und wieder rennt Gertrude den Weg

Hinauf bis über die Steige.

Hier iſt ein Tobel — ſie lauſcht am Steg,

Ein Strauch — ſie rüttelt am Zweige.

Da drunten ſummet es Elf im Thurm,

Gertrude kniet an der Halde:

„Du armes Blut, du verlaſſener Wurm!

Wo magſt du irren im Walde!“
Und zitternd löſt ſie den Roſenkranz

Von ihres Gürtels Gehänge,

Ihr Auge ſtarret in trübem Glanz,

Ob es die Dämmerung ſprenge.

„Ave Maria — ein Licht, ein Licht!

Sie kömmt, 's iſt ihre Laterne!

— Ach Gott, es iſt nur ein Hirtenfeur,

Jetzt wirft es flatternde Sterne.
[326]
Vater unſer, der du im Himmel biſt

Geheiliget werde dein Name“ —

Es rauſcht am Hange, „heiliger Chriſt!“

Es bricht und kniſtert im Brahme,

Und drüber ſtreckt ſich ein ſchlanker Hals,

Zwei glänzende Augen ſtarren.

„Ach Gott, es iſt eine Hinde nur,

Jetzt ſetzt ſie über die Farren.“
Gertrude klimmt die Halde hinauf,

Sie ſteht an des Raines Mitte.

Da — täuſcht ihr Ohr? — ein flüchtiger Lauf,

Behend galoppirende Tritte —

Und um ſie ſpringt es in wüſtem Kreis,

Und funkelt mit freud'gem Geſtöhne.

„Fidel, Fidel!“ ſo flüſtert ſie leis,

Dann ruft ſie ſchluchzend: „Helene!“
„Helene!“ ſchallt es am Felſenhang,

„Helen'!“ von des Waldes Kante,

Es war ein einſamer trauriger Klang,

Den heimwärts die Echo ſandte.

Wo drunten im Tobel das Mühlrad wacht,

Die ſtaubigen Knecht' an der Wanne

Die haben gehorcht die ganze Nacht

Auf das irre Geſpenſt im Tanne.
Sie hörten ſein Rufen von Stund' zu Stund',

Sahn ſeiner Laterne Geflimmer,

Und ſchlugen ein Kreuz auf Bruſt und Mund,

Zog über den Tobel der Schimmer.

[327]
Und als die Müllerin Reiſig las,

Frühmorgens an Waldes Saume,

Da fand ſie die arme Gertrud im Gras,

Die ängſtlich zuckte im Traume.

II.

Wie rollt in den Gaſſen das Marktgebraus!

Welch ein Getümmel, Geblitze!

Hanswurſt ſchaut über die Bude hinaus,

Und winkt mit der klingelnden Mütze;

Karoſſen raſſeln, der Trinker jucht,

Und Mädchen ſchrein im Gedränge,

Drehorgeln pfeifen, der Kärrner flucht,

O Babels würdige Klänge!
Da tritt ein Weib aus der Ladenthür,

Eine ſchlichte Frau von den Flühen,

Die ſtieß an den klingelnden Harlekin ſchier,

Und hat nicht gelacht noch geſchrien.

Ihr mattes Auge ſucht auf dem Grund,

Als habe ſie Etwas verloren,

Und hinter ihr trabt ein zottiger Hund,

Verdutzt, mit hängenden Ohren.
„Zurück, Verwegne! ſiehſt du denn nicht

Den Wagen, die ſchnaubenden Braunen?“

Schon dampfen die Nüſtern ihr am Geſicht,

Da fährt ſie zurück mit Staunen,

[328]
Und iſt noch über die Rinne grad

Mit raſchem Sprunge gewichen,

Als an die Schürze das klirrende Rad

In wirbelndem Schwunge geſtrichen.
Noch ein Moment, — ſie taumelt, erbleicht,

Und dann ein plötzlich Erglühen,

O ſchau, wie durch das Gewühl ſie keucht,

Mit Armen und Händen und Knieen!

Sie rudert, ſie windet ſich, — Stoß auf Stoß,

Scheltworte und Flüche wie Schloſſen —

Das Fürtuch reißt, dann flattert es los,

Und iſt in die Rinne gefloſſen.
Nun ſteht ſie vor einem ſtattlichen Haus,

Ohne Schuh, beſudelt mit Kothe;

Dort hält die Karoſſe, dort ſchnauben aus

Die Braunen und rauchen wie Schlote.

Der Schlag iſt offen, und eben ſieht

Sie im Portale verſchwinden

Eines Kleides Falte, die purpurn glüht,

Und den Schleyer, ſegelnd in Winden.
„Ach“ flüſtert Gertrude, „was hab ich gemacht,

Ich bin wohl verrückt geworden!

Kein Troſt bei Tag, keine Ruh bei Nacht,

Das kann die Sinne ſchon morden.“

Da poltert es ſchreiend die Stiegen hinab,

Ein Fußtritt aus dem Portale,

Und wimmernd rollt von der Rampe herab

Ihr Hund, der zottige, fahle.
[329]
„Ja“ ſeufzt Gertrude, „nun iſt es klar,

Ich bin eine Irre leider!“

Erglühend ſtreicht ſie zurück ihr Haar,

Und ordnet die ſtaubigen Kleider.

„Wie ſah ich ſo deutlich ihr liebes Geſicht,

So deutlich am Schlage doch ragen!

Allein in Ewigkeit hätte ſie nicht

Den armen Fidel geſchlagen.“

III.

Zehn Jahre! — und Mancher der keck umher

Die funkelnden Blicke geſchoſſen,

Der ſchlägt ſie heute zu Boden ſchwer,

Und Mancher hat ſie geſchloſſen.

Am Hafendamme geht eine Frau,

— Mich dünkt, wir müſſen ſie kennen,

Ihr Haar einſt ſchwarz, nun ſchillerndes Grau,

Und hohl die Wangen ihr brennen.
Im Topfe trägt ſie den Honigwab,

Zergehend in Julius-Hitze;

Die Trägerin trocknet den Schweiß ſich ab,

Und ruft dem hinkenden Spitze.

Der ſie beſtellte, den Schiffspatron,

Sieht über die Planke ſie kommen;

Wird er ihr kümmern den kargen Lohn?

Gertrude denkt es beklommen.
Doch nein, — wo ſich die Matroſen geſchaart,

Zum Strande ſieht ſie ihn ſchreiten,

[330]
Er ſchüttelt das Haupt, er ſtreicht den Bart,

Und ſcheint auf die Welle zu deuten.

Und ſchau den Spitz! er ſchnuppert am Grund —

„Was ſuchſt du denn in den Gleiſen?

Fidel, Fidel!“ fort ſtrauchelt der Hund,

Und heulet wie Wölfe im Eiſen.
Barmherziger Himmel! ihr wird ſo bang,

Sie watet im brennenden Sande,

Und wieder erhebt ſich ſo hohl und lang

Des Hundes Geheul vom Strande.

O Gott, eine triefende Leich' im Kies,

Eine Leich' mit dem Auge des Stieres!

Und drüber kreucht das zottige Vlies

Des lahmen wimmernden Thieres.
Gertrude ſteht, ſie ſtarret herab,

Mit Blicken irrer und irrer,

Dann beugt ſie über die Leiche hinab,

Mit Lächeln wirrer und wirrer,

Sie wiegt das Haupt bald ſo bald ſo,

Sie flüſtert mit zuckendem Munde,

Und eh die zweite Minute entfloh,

Da liegt ſie kniend am Grunde.
Sie faßt der Todten geſchwollene Hand,

Ihr Haar voll Muſcheln und Tange,

Sie faßt ihr triefend zerlumptes Gewand,

Und ſäubert von Kieſe die Wange;

[331]
Dann ſachte ſchiebt ſie das Tuch zurück,

Recht wo die Schultern ſich runden,

So ſtier und bohrend verweilt ihr Blick,

Als habe ſie Etwas gefunden.
Nun zuckt ſie auf, erhebt ſich jach,

Und ſtößt ein wimmernd Geſtöhne,

Grad eben als der Matroſe ſprach:

„Das iſt die blonde Helene!

Noch jüngſt juchheite ſie dort vorbei

Mit trunknen Soldaten am Strande.“

Da that Gertrud einen hohlen Schrei,

Und ſank zuſammen im Sande.

IV.

Jüngſt ſtand ich unter den Föhren am See,

Meinen Büchſenſpanner zur Seite.

Vom Hange ſchmählte das brünſtige Reh,

Und ſtrich durch des Aufſchlags Breite;

Ich hörte es kniſtern ſo nah und klar,

Grad' wo die Lichtung verdämmert,

Daß mich geſtöret der Holzwurm gar,

Der unter'm Fuße mir hämmert.
Dann ſprang es ab, es mochte die Luft

Ihm unſre Witterung tragen;

„Herr,“ ſprach der Burſche: „links über die Kluft!

Wir müſſen zur Linken uns ſchlagen!

[332]
Hier naht kein Wild, wo ſie eingeſcharrt

Die tolle Gertrud vom Geſtade,

Ich höre genau wie der Holzwurm pocht

In ihrer zerfallenden Lade.“
Zur Seite ſprang ich, eiſig durchgraut,

Mir war als hab ich geſündigt,

Indeß der Burſch mit flüſterndem Laut

Die ſchaurige Mähre verkündigt:

„Wie Jene geſucht, bei Tag und Nacht,

Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,

Das ihr der tückiſche See gebracht,

Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!

Kein Fragen löste das Schweigen.

Doch ſchlief die Welle, dann ſah ihr Geſicht

Man über den Spiegel ſich beugen,

Und zeigte er ihr das eigene Bild,

Dann flüſterte ſie beklommen:

„Wie alt ſie ſieht, wie irre und wild,

Und wie entſetzlich verkommen!“
„Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,

Dann war ſie vom Böſen geſchlagen,

Was ſie für bedenkliche Reden geführt,

Das möge er lieber nicht ſagen.

So war ſie gerannt vor Jahresfriſt,

— Man ſah's vom lavirenden Schiffe —

Zur Brandung, wo ſie am hohlſten iſt,

Und kopfüber gefahren vom Riffe.
[333]
Drum ſcharrte man ſie in's Dickicht dort,

Wie eine verlorene Seele.“

Ich ſchwieg, und ſandte den Burſchen fort,

Brach mir vom Grab' eine Schmehle:

„Du armes gehetztes Wild der Pein,

Wie mögen die Menſchen dich richten!“

— Sacht pochte der Käfer im morſchen Schrein,

Der Mond ſtand über den Fichten. —
[334]

Meiſter Gerhard von Cöln.

Ein Notturno.


Wenn in den linden Vollmondnächten

Die Nebel lagern über'm Rhein,

Und graue Silberfäden flechten

Ein Florgewand dem Heilgenſchrein:

Es träumt die Waldung, duftumſäumt,

Es träumt die dunkle Fluthenſchlange,

Wie eine Robbe liegt am Hange

Der Schürg' und träumt.
Tief zieht die Nacht den feuchten Odem,

Des Walles Gräſer zucken matt,

Und ein zerhauchter Grabesbrodem

Liegt über der entſchlafnen Stadt:

Sie hört das Schlummerlied der Well'n,

Das leiſe murmelnde Geſchäume,

Und tiefer, tiefer ſinkt in Träume

Das alte Cöln.
Dort wo die graue Cathedrale,

Ein rieſenhafter Zeitentraum,

Entſteigt dem düſtern Trümmermale

Der Macht, die auch zerrann wie Schaum —

Dort, in der Scheibe Purpurrund

Hat taumelnd ſich der Stral gegoſſen

Und ſinkt, und ſinkt, in Traum zerfloſſen,

Bis auf den Grund.
[335]
Wie iſt es ſchauerlich im weiten

Verſteinten öden Palmenwald,

Wo die Gedanken niedergleiten

Wie Anakonden ſchwer und kalt;

Und blutig ſich der Schatten hebt

Am blut'gen Märtyrer der Scheibe,

Wie neben dem gebannten Leibe

Die Seele ſchwebt. *
Der Ampel Schein verloſch, im Schiffe

Schläft halbgeſchloſſen Blum' und Kraut;

Wie nackt geſpülte Uferriffe

Die Streben lehnen, tief ergraut;

Anſchwellend zum Altare dort,

Dann aufwärts dehnend, lang gezogen,

Schlingen die Häupter ſie zu Bogen,

Und ſchlummern fort.
Und immer ſchwerer will es rinnen

Von Quader, Säulenknauf und Schaft,

Und in dem Strale will's gewinnen

Ein dunſtig Leben, geiſterhaft:

Da horch! es dröhnt im Thurme — ha!

Die Glocke ſummt — da leiſe ſäuſelt

Der Dunſt, er zucket, wimmelt, kräuſelt, —

Nun ſteht es da! —
Ein Nebelmäntlein umgeſchlagen,

Ein graues Käppchen, grau Gewand,

[336]
Am grauen Halſe grauer Kragen,

Das Richtmaaß in der Aſchenhand.

Durch ſeine Glieder zitternd geht

Der Stral wie in verhaltner Trauer,

Doch an dem Eſtrich, an der Mauer

Kein Schatten ſteht.
Es wiegt das Haupt nach allen Seiten,

Unhörbar ſchwebt es durch den Raum,

Nun ſieh es um die Säulen gleiten,

Nun fährt es an der Orgel Saum;

Und aller Orten legt es an

Sein Richtmaaß, webert auf und nieder,

Und leiſe zuckt das Spiel der Glieder,

Wie Rauch im Tann. —
War das der Nacht gewalt'ger Odem? —

Ein weit zerfloſſner Seufzerhall,

Ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem

Durchquillt die öden Räume all:

Und an der Pforte, himmelan

Das Männlein ringt die Hand, die fahle,

Dann gleitet's aufwärts am Portale —

Es ſteht am Krahn.
Und über die entſchlafnen Wellen

Die Hand es mit dem Richtmaaß ſtreckt;

Ihr Schlangenleib beginnt zu ſchwellen,

Sie brodeln auf, wie halb geweckt;

[337]
Als drüber nun die Stimme dröhnt,

Ein dumpf, verhallend, fern Getoſe,

Wie träumend ſich im Wolkenſchooße

Der Donner dehnt.
„Ich habe dieſen Bau geſtellt,

Ich bin der Geiſt vergangner Jahre!

Weh! dieſes dumpfe Schlummerfeld

Iſt ſchlimmer viel als Todtenbahre!

O wann, wann ſteigt die Stunde auf,

Wo ich ſoll lang Begrabnes ſchauen?

Mein ſtarker Strom, ihr meine Gauen

Wann wacht ihr auf?“ —
„Ich bin der Wächter an dem Thurm,

Mein Ruf ſind Felſenhieroglyphen,

Mein Hornesſtoß der Zeitenſturm,

Allein ſie ſchliefen, ſchliefen, ſchliefen!

Und ſchlafen fort, ich höre nicht

Den Meißel klingen am Geſteine,

Wo tauſend Hände ſind wie eine,

Ich hör' es nicht!“ —
„Und kann nicht ruhn, ich ſehe dann

Zuvor den alten Krahn ſich regen,

Daß ich mein treues Richtmaaß kann

In eine treue Rechte legen!

Wenn durch das Land ein Handſchlag ſchallt,

Wie einer alle Pulſe klopfen,

Ein Strom die Millionen Tropfen —“

Da ſilbern wallt
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 22[338]
Im Oſten auf des Morgens Fahne,

Und, ein zerfloſſner Nebelſtreif,

Der Meiſter fährt empor am Krahne. —

Mit Räderknarren und Gepfeif,

Ein rauchend Ungeheuer, ſchäumt

Das Dampfboot durch den Rhein, den blauen —

O deutſche Männer! deutſche Frauen!

Hab' ich geträumt? —
[339]

Die Vergeltung.

I.

Der Kapitän ſteht an der Spiere,

Das Fernrohr in gebräunter Hand,

Dem ſchwarzgelockten Paſſagiere

Hat er den Rücken zugewandt.

Nach einem Wolkenſtreif in Sinnen

Die Beiden wie zwei Pfeiler ſehn,

Der Fremde ſpricht: „was braut da drinnen?“

„Der Teufel,“ brummt der Kapitän.
Da hebt von morſchen Balkens Trümmer

Ein Kranker ſeine feuchte Stirn,

Des Aethers Blau, der See Geflimmer,

Ach, Alles quält ſein fiebernd Hirn!

Er läßt die Blicke, ſchwer und düſter,

Entlängs dem harten Pfühle gehn,

Die eingegrabnen Worte liest er:

Batavia. Fünfhundert Zehn.“
Die Wolke ſteigt, zur Mittagsſtunde

Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,

Geziſch, Geheul aus wüſtem Grunde,

Die Bohlen weichen mit Geſtöhn.

„Jeſus, Marie! wir ſind verloren!“

Vom Maſt geſchleudert der Matroſ',

Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,

Und langſam löſt der Bau ſich los.
[340]
Noch liegt der Kranke am Verdecke,

Um ſeinen Balken feſt geklemmt,

Da kömmt die Fluth, und eine Strecke

Wird er in's wüſte Meer geſchwemmt.

Was nicht geläng' der Kräfte Sporne,

Das leiſtet ihm der ſtarre Krampf,

Und wie ein Narwall mit dem Horne

Schießt fort er durch der Wellen Dampf.
Wie lange ſo? er weiß es nimmer,

Dann trifft ein Stral des Auges Ball,

Und langſam ſchwimmt er mit der Trümmer

Auf ödem glitzerndem Kriſtall.

Das Schiff! — die Mannſchaft! — ſie verſanken.

Doch nein, dort auf der Waſſerbahn,

Dort ſieht den Paſſagier er ſchwanken

In einer Kiſte morſchem Kahn.
Armſelge Lade! ſie wird ſinken,

Er ſtrengt die heiſre Stimme an:

„Nur grade! Freund, du drückſt zur Linken!“

Und immer näher ſchwankt's heran,

Und immer näher treibt die Trümmer,

Wie ein verwehtes Mövenneſt;

»Courage!« ruft der kranke Schwimmer,

„Mich dünkt ich ſehe Land im Weſt!“
Nun rühren ſich der Fähren Ende,

Er ſieht des fremden Auges Blitz,

Da plötzlich fühlt er ſtarke Hände,

Fühlt wüthend ſich gezerrt vom Sitz.

[341]
„Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.“

Er klammert dort, er klemmt ſich hier;

Ein heiſrer Schrei, den Wellen dämpfen,

Am Balken ſchwimmt der Paſſagier.
Dann hat er kräftig ſich geſchwungen,

Und ſchaukelt durch das öde Blau,

Er ſieht das Land wie Dämmerungen

Enttauchen und zergehn in Grau.

Noch lange iſt er ſo geſchwommen,

Umflattert von der Möve Schrei,

Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,

Viktoria! nun iſt er frei!

II.

Drei kurze Monde ſind verronnen,

Und die Fregatte liegt am Strand,

Wo Mittags ſich die Robben ſonnen,

Und Burſche klettern über'n Rand,

Den Mädchen iſt's ein Abentheuer

Es zu erſchaun vom fernen Riff,

Denn noch zerſtört iſt nicht geheuer

Das gräuliche Corſarenſchiff.
Und vor der Stadt da iſt ein Waten,

Ein Wühlen durch das Kiesgeſchrill,

Da die verrufenen Piraten

Ein Jeder ſterben ſehen will.

[342]
Aus Strandgebälken, morſch, zertrümmert,

Hat man den Galgen, dicht am Meer,

In wüſter Eile aufgezimmert.

Dort dräut er von der Düne her!
Welch ein Getümmel an den Schranken! —

„Da kömmt der Frei — der Heſſel jetzt —

Da bringen ſie den ſchwarzen Franken,

Der hat geläugnet bis zuletzt.“

„Schiffbrüchig ſey er hergeſchwommen,“

Höhnt eine Alte: „Ei, wie kühn!

Doch Keiner ſprach zu ſeinem Frommen,

Die ganze Bande gegen ihn.“
Der Paſſagier, am Galgen ſtehend,

Hohläugig, mit zerbrochnem Muth,

Zu jedem Räuber flüſtert flehend:

„Was that dir mein unſchuldig Blut!

Barmherzigkeit! — ſo muß ich ſterben

Durch des Geſindels Lügenwort,

O mög' die Seele euch verderben!“

Da zieht ihn ſchon der Scherge fort.
Er ſieht die Menge wogend ſpalten —

Er hört das Summen im Gewühl —

Nun weiß er, daß des Himmels Walten

Nur ſeiner Pfaffen Gaukelſpiel!

Und als er in des Hohnes Stolze

Will ſtarren nach den Aetherhöhn,

Da lieſt er an des Galgens Holze:

Batavia. Fünfhundert Zehn.
[343]

Der Mutter Wiederkehr.

Du frägſt mich immer von neuem, Marie,

Warum ich mein Heimathland

Die alten lieben Gebilde flieh

Dem Herzen doch eingebrannt?

Nichts ſoll das Weib dem Manne verhehlen,

Und nichts dem treuen Weibe der Mann,

Drum ſetz dich her, ich will erzählen,

Doch abwärts ſitze — ſchau mich nicht an.
Bei meinen Eltern ich war, — ein Kind,

Ein Kind und deſſen nicht froh,

Im Hauſe wehte ein drückender Wind,

Der ehliche Friede floh,

Nicht Zank noch Scheltwort durfte ich hören,

Doch wie ein Fels auf Allen es lag,

Sahn wir von Reiſen den Vater kehren,

Das war uns Kindern ein trauriger Tag.
Ein Kaufmann, ernſt, ſein ſtrenges Gemüth

Verbittert durch manchen Verluſt,

Und meine Mutter die war ſo müd,

So keuchend ging ihre Bruſt!

Noch ſeh' ich wie ſie, die Augen geröthet,

Ein Bild der ſtill verhärmten Geduld,

An unſerm Bettchen gekniet und gebetet.

Gewiß, meine Mutter war frei von Schuld!
[344]
Doch trieb der Vater ſich um — vielleicht

In London oder in Wien —

Dann lebten wir auf und athmeten leicht,

Und ſchoſſen wie Kreſſen ſo grün.

Durch luſtige Schwänke machte uns lachen

Der gute Meßner, dürr und ergraut,

Der dann uns Alle ſollte bewachen,

Denn meiner Mutter ward Nichts vertraut.
Da ſchickte der Himmel ein ſchweres Leid,

Sie ſchlich ſo lange umher,

Und härmte ſich ſachte in's Sterbekleid,

Wir machten das Scheiden ihr ſchwer!

Wir waren wie irre Vögel im Haine,

Zu früh entflattert dem treuen Neſt,

Bald tobten wir toll über Blöcke und Steine,

Und duckten bald, in den Winkel gepreßt.
Dem alten Manne ward kalt und heiß,

Dem würdigen Sakriſtan,

Sah er beſudelt mit Staub und Schweiß

Und glühend wie Oefen uns nahn;

Doch traten wir in die verödete Kammer,

Und ſahn das Schemelchen am Clavier,

Dann ſtrömte der unbändige Jammer,

Und nach der Mutter wimmerten wir.
Am ſechsten Abend nachdem ſie fort

— Wir kauerten am Kamin,

Der Alte lehnte am Simſe dort

Und ſah die Kohlen verglühn,

[345]
Wir ſprachen nicht, uns war beklommen —

Da leiſ' im Vorſaal dröhnte die Thür,

Und ſchlürfende Schritte hörten wir kommen.

Mein Brüderchen rief: „die Mutter iſt hier!“
Still, ſtille nur! — wir horchten all,

Zuſammen gedrängt und bang,

Wir hörten deutlich der Tritte Hall

Die knarrende Diel' entlang,

Genau wir hörten rücken die Stühle,

Am Schranke klirren den Schlüſſelbund,

Und dann das ſchwere Krachen der Diele,

Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Mein junges Blut in den Adern ſtand,

Ich ſah den Alten wie Stein

Sich klammern an des Geſimſes Rand,

Da langſam trat es herein.

O Gott, ich ſah meine Mutter, Marie!

Marie, ich ſah meine Mutter gehn,

Im ſchlichten Kleide, wie Morgens frühe

Sie kam nach ihren zwei Knaben zu ſehn!
Feſt war ihr Blick zum Grunde gewandt,

So ſchwankte ſie durch den Saal,

Den Schlüſſelbund in der bleichen Hand,

Die Augen trüb wie Opal;

Sie hob den Arm, wir hörtens pfeifen,

Ganz wie ein Schlüſſel im Schloſſe ſich dreht,

Und in's Cloſet dann ſahn wir ſie ſtreifen,

Drin unſer Geld und Silbergeräth.
[346]
Du denkſt wohl, daß keines Odems Hauch

Die ſchaurige Oede brach,

Und ſtill war's in dem Cloſete auch,

Noch lange lauſchten wir nach.

Da ſah ich zuſammen den Alten fallen,

Und ſeine Schläfe ſchlug an den Stein,

Da ließen wir unſer Geſchrei erſchallen,

Da ſtürzten unſere Diener herein.
Du ſagſt mir nichts, doch zweifl’ ich nicht,

Du ſchüttelſt dein Haupt, Marie,

Ein Greis — zwei Kinder — im Dämmerlicht —

Da waltet die Phantaſie!

Was wollte ich nicht um dein Lächeln geben,

Um deine Zweifel, du gute Frau,

Doch wieder ſag’ ichs: bei meinem Leben!

Marie, wir ſahen und hörten genau!
Am Morgen kehrte der Vater heim,

Verſtimmt und müde gehetzt,

Und war er nimmer ein Honigſeim,

So war er ein Wermuth jetzt.

Auch waren es wohl bedenkliche Worte,

Die er geſprochen zum alten Mann,

Denn laut ſie haderten an der Pforte,

Und ſchieden in tiefer Empörung dann.
Nun ward durchſtöbert das ganze Haus,

Ein Jeder gefragt, gequält,

[347]
Die Beutel gewogen, geſchüttet aus,

Die Silberbeſtecke gezählt,

Ob Alles richtig, verſperrt die Zimmer,

Nichts konnte dem Manne genügen doch;

Bis Abends zählte und wog er immer,

Und meinte, der Schade finde ſich noch.
Als nun die Dämmerung brach herein,

Ohne Mutter und Sakriſtan,

Wir kauerten auf dem ſtaubigen Stein,

Und gähnten die Flamme an.

Verſtimmt der Vater, am langen Tiſche,

Wühlt' in Papieren, ſchob und rückt,

Wir duckten an unſerm Kamin, wie Fiſche,

Wenn drauf das Auge des Reihers drückt.
Da horch! — die Thüre dröhnte am Gang,

Ein ſchlürfender Schritt darauf

Sich ſchleppte die knarrende Diel' entlang.

Der Vater horchte — ſtand auf —

Und wieder hörten wir rücken die Stühle,

Am Schranke klirren den Schlüſſelbund,

Und wieder das ſchwere Krachen der Diele,

Als es vom Stuhle trat an den Grund.
Er ſtand, den Leib vorüber gebeugt,

Wie Jäger auf Wildes Spur,

Nicht Furcht noch Rührung ſein Auge zeigt',

Man ſah, er lauerte nur.

[348]
Und wieder ſah ich die mich geboren,

Verbannt, verſtoßen vom heiligen Grund,

O, nimmer hab' ich das Bild verloren,

Es folgt mir noch in der Todesſtund!
Und Er? — hat keine Wimper geregt,

Und keine Muskel gezuckt,

Der Stuhl, auf den ſeine Hand gelegt,

Nur einmal leiſe geruckt.

Ihr folgend mit den ſtechenden Blicken

Wandt' er ſich langſam wie ſie ſchritt,

Doch als er ſie an's Cloſet ſah drücken,

Da zuckte er auf, als wolle er mit.
Und „Arnold!“ rief's aus dem Geldverließ,

— Er beugte vornüber, weit —

Und wieder „Arnold!“ ſo klagend ſüß,

— Er legte die Feder bei Seit' —

Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,

„Arnold!“ — den Meerſchaumkopf im Nu

Erfaßt er, ſchleudert' ihn gegen die Mauer,

Schritt in's Cloſet und riegelte zu.
Wir aber ſtürzten in wilder Haſt

Hinaus an das Abendroth,

Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,

Und weinten uns ſchier zu todt.

Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,

Geknattert im Saal des Kamines Roſt,

Und als der dritte Abend gekommen,

Da ſetzte der Vater ſich auf die Poſt.
[349]
Ich habe ihm nicht Lebewohl geſagt,

Und nicht ſeine Hand geküßt,

Doch heißt es, daß er in dieſer Nacht

Am Bettchen geſtanden iſt.

Und bei des nächſten Morgens Erglühen,

Das Erſte was meine Augen ſahn,

Das war an unſerem Lager knieen

Den tief erſchütterten Sakriſtan.
Dem ward in der Früh' ein Brief gebracht,

Und dann ein Schlüſſelchen noch;

„Ich will nicht leſen,“ hat er gedacht

Und zögerte, las dann doch

Den Brief, in letzter Stunde geſchrieben

Von meines unglücklichen Vaters Hand,

Der feſt im Herzen mir iſt geblieben,

Obwohl mein Bruder ihn einſt verbrannt.
„Was mich betroffen, das ſag' ich nicht,

Eh dorre die Zunge aus!

Doch iſt es ein bitter, ein ſchwer Gericht,

Und treibt mich von Hof und Haus.

In dem Cloſete da ſind gelegen

Papiere, Wechſel, Briefe dabei.

Dir will ich auf deine Seele legen

Meine zwei Buben, denn du biſt treu.
Sorg' nicht um mich, was ich bedarf

Deß hab ich genügend noch,

Und forſch auch nimmer, — ich warne ſcharf —

Nach mir, es tröge dich doch.

[350]
Sey ruhig, Mann, ich will nicht tödten,

Den Leib, der Vieles noch muß beſtehn,

Doch laß meine armen Kinderchen beten,

Denn ſehr bedarf ich der Unſchuld Flehn.
Und im Cloſete gefunden ward

Ein richtiges Teſtament,

Und alle Papiere nach Kaufmannsart

Geordnet und wohl benennt.

Und wir? — in der Fremde ließ man uns pflegen,

Da waren wir eben wie Buben ſind,

Doch mit den Jahren da muß ſich's regen,

Bin ich doch jetzt ſein einziges Kind!
Du weißt es, wie ich auch noch ſo früh,

So hart den Bruder verlor,

Und hätte ich dich nicht, meine Marie,

Dann wär ich ein armer Thor! —

Ach Gott, was hab' ich nicht All geſchrieben,

Aufrufe, Briefe, in meiner Noth!

Umſonſt doch Alles, umſonſt geblieben.

Ob er mag leben? — vermuthlich todt!“
Nie brachte wieder auf ſein Geſchick

Die gute Marie den Mann,

Der ſeines Lebens einziges Glück

In ihrer Liebe gewann.

[351]
So mild und ſchonend bot ſie die Hände,

Bracht' ihm ſo manches blühende Kind,

Daß von der ehrlichen Stirn am Ende

Die düſtern Falten gewichen ſind.
Wohl führt' nach Jahren einmal ſein Weg

Ihn dicht zur Heimath hinan,

Da ließ er halten am Mühlenſteg,

Und ſchaute die Thürme ſich an.

Die Händ' gefaltet, ſchien er zu beten,

Ein Wink — die Kutſche raſſelte fort;

Doch nimmer hat er den Ort betreten,

Und keinen Trunk Waſſer nahm er dort.
[352]

Der Barmekiden Untergang.*

Reiche mir die Blutorange

Mit dem ſüßen Zauberdufte,

Sie die von den ſchönſten Lippen

Ihre Nahrung hat geraubt.
Sagt' ich es nicht, o Maimuna,

Flehend, händeringend, knieend,

Sagt' ich es zu ſieben Malen,

Nicht zu tauſend Malen dir?
„Laß, o Fürſtin, dieſe Liebe!

Laß von dieſer dunklen Liebe,

Dir die ganze Bruſt verſengend,

Unheil bringend und Gefahr!
Daß nicht merk' es der Kaliphe,

Er, der zornbereite Bruder,

[353]
Nicht den Dſchafer dir verderbe,

Deinen hohen Barmekiden,

Nicht den Dſchafer dir verderbe

Und dich ſelber, Fürſtin, auch!“
Doch was iſt die weiſe Rede

In dem liebentglühten Herzen?

Wie das Winſeln eines Kindleins

In der wuthentbrannten Schlacht,

Wie ein linder Nebeltropfen

In dem flammenden Gebäude,

Wie ein Licht, vom Borde taumelnd

In den dunklen Ocean!
In der Tänzerin Gewande

Schmiegen ſich der Fürſtin Glieder,

Um die Schultern Seide flattert,

In dem Arm die Zither liegt.
O, wie windet ſie die Arme

Hoch das Tambourin erſchwingend,

O, wie wogen ihre Schritte,

Ihre reizerblühten Glieder,

Daß der Barmekide glühend

Seine dunklen Augen birgt!
Sieben Jahre ſind verſchwunden,

Sieben wonnevolle Jahre,

Zu den ſieben drei und fünfe,

Und in den Gebirgen irrend

Zieht der Barmekiden Schaar.

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 23[354]
Mütter auf den Dromedaren,

Blind geweint die ſchönen Augen,

In den Armen Kindlein wimmernd

In die lagerloſe Nacht.
Ueber Bagdads Thor ein Geyer,

Kreiſend über Dſchafers Schädel,

Rauſcht hinan und rauſcht vorüber,

Hat zur Nahrung nichts gefunden

Als in ſeiner Augen Höhlen

Nur zwei kleine Spinnlein noch.
[355]

Bajazet.

Der Löwe und der Leopard

Die ſingen Wettgeſänge,

Glutſäulen heben Wettlauf an,

Und der Samum ihr Herold.

O Sonne, birg die Stralen!
Was ſchleicht dort durch den gelben Sand,

Iſt es ein wunder Schakal?

Iſt es ein großer Vogel wohl,

Ein ſchwergetroffner Ibis?

O Sonne, birg die Stralen!
Ein wunder Schakal iſt es nicht,

Kein ſchwergetroffner Vogel,

Es iſt der mächt'ge Bajazet,

Der Reichſte in Cairo,

Er, der die dreizehn Segel hat,

Die reichbeladnen Schiffe,

Auf ſeiner Achſel liegt der Schlauch,

Der Stab in ſeiner Rechten.

O Sonne, birg die Stralen!
„Weh dir, du unglückſel'ges Gold,

Verrätheriſches Silber!

Und weh dir, Haſſan, falſcher Freund,

Du ungetreuer Diener!

[356]
Nahmſt in der Nacht die Zelte mir

Und nahmſt mir die Kameele.“

O Sonne, birg die Stralen!
„Wie einen Leichnam ließeſt mich,

Wie Mumien, verdorrte,

Wie ein verſchmachtetes Kameel,

Wie ein Gethier der Wüſte!

Und gab dir doch das reiche Gut,

Die zwanzigtauſend Kori.“

O Sonne, birg die Stralen!
„So fluch' ich denn zu ſieben Mal,

Und tauſend Mal verfluch' ich:

Daß dich verſchlingen mag das Meer,

Dein brennend Haus dich tödten!

Daß breche dein Gebein der Leu,

Dein Blut der Tiger lecke!

Der Beduine plündre dich,

Preis gebe dich der Wüſte,

Daß in dem Sande du verſiechſt,

Verſchmachtend — hülflos — irrend!“

O Sonne, birg die Stralen!
[357]

Der Schloßelf.

In monderhellten Weihers Glanz

Liegt brütend wie ein Waſſerdrach'

Das Schloß mit ſeinem Zackenkranz,

Mit Zinnenmoos und Schuppendach.

Die alten Eichen ſtehn von fern,

Reſpektvoll flüſternd mit den Wellen,

Wie eine graue Garde gern

Sich mag um graue Herrſcher ſtellen.
Am Thore ſchwenkt, ein Steinkoloß,

Der Pannerherr die Kreuzesfahn,

Und courbettirend ſchnaubt ſein Roß

Jahrhunderte ſchon himmelan;

Und neben ihm, ein Tantalus,

Lechzt ſeit Jahrhunderten ſein Docke

Geſenkten Halſes nach dem Fluß,

Im dürren Schlunde Mooſes Flocke.
Ob längſt die Mitternacht verklang,

Im Schloſſe bleibt es immer wach;

Streiflichter gleiten raſch entlang

Den Corridor und das Gemach,

Zuweilen durch des Hofes Raum

Ein hüpfendes Laternchen ziehet;

Dann horcht der Wandrer, der am Saum

Des Weihers in den Binſen knieet.
[358]
„Ave Maria! ſtärke ſie!

Und hilf ihr über dieſe Nacht!“

Ein frommer Bauer iſt's, der früh

Sich auf die Wallfahrt hat gemacht.

Wohl weiß er, was der Lichterglanz

Mag ſeiner gnäd'gen Frau bedeuten;

Und eifrig läßt den Roſenkranz

Er durch die ſchwiel'gen Finger gleiten.
Doch durch ſein chriſtliches Gebet

Manch Heidennebel ſchwankt und raucht;

Ob wirklich, wie die Sage geht,

Der Elf ſich in den Weiher taucht,

So oft dem gräflichen Geſchlecht

Der erſte Sproſſe wird geboren?

Der Bauer glaubt es nimmer recht,

Noch minder hätt' er es verſchworen.
Scheu blickt er auf — die Nacht iſt klar,

Und gänzlich nicht geſpenſterhaft,

Gleich drüben an dem Pappelpaar

Zählt man die Zweige längs dem Schaft;

Doch ſtille! In dem Eichenrund —

Sind das nicht Tritte? — Kindestritte?

Er hört wie an dem harten Grund

Sich wiegen, kurz und ſtramm, die Schritte.
Still! ſtill! es raſchelt über'n Rain,

Wie eine Hinde, die im Thau,

Beherzt gemacht vom Mondenſchein,

Vorſichtig äßet längs der Au.

[359]
Der Bauer ſtutzt — die Nacht iſt licht,

Die Blätter glänzen an dem Hagen,

Und dennoch — dennoch ſieht er nicht,

Wen auf ihn zu die Schritte tragen.
Da, langſam knarrend, thut ſich auf

Das ſchwere Heck zur rechten Hand,

Und, wieder langſam knarrend, drauf

Verſinkt es in die grüne Wand.

Der Bauer iſt ein frommer Chriſt;

Er ſchlägt behend des Kreuzes Zeichen;

„Und wenn du auch der Teufel biſt,

Du mußt mir auf der Wallfahrt weichen!“
Da hui! ſtreift's ihn, federweich,

Da hui! raſchelt's in dem Grün,

Da hui! ziſcht es in den Teich,

Daß bläulich Schilf und Binſen glühn,

Und wie ein kniſterndes Geſchoß

Fährt an den Grund ein bläulich Feuer;

Im Augenblicke wo vom Schloß

Ein Schrei verzittert über'm Weiher.
Der Alte hat ſich vorgebeugt,

Ihm iſt als ſchimmre, wie durch Glas,

Ein Kindesleib, phosphoriſch, feucht,

Und dämmernd wie verlöſchend Gas;

Ein Arm zerrinnt, ein Aug' verglimmt —

Lag denn ein Glühwurm in den Binſen?

Ein langes Fadenhaar verſchwimmt,

— Am Ende ſcheinen's Waſſerlinſen!
[360]
Der Bauer ſtarrt, hinab, hinauf,

Bald in den Teich, bald in die Nacht;

Da klirrt ein Fenſter drüben auf,

Und eine Stimme ruft mit Macht:

„Nur ſchnell geſattelt! ſchnell zur Stadt!

Gebt dem Polacken Gert' und Sporen!

Viktoria! ſo eben hat

Die Gräfin einen Sohn geboren!“
[361]

Kurt von Spiegel.

O frommer Prälat, was ließeſt ſo hoch

Des Marſchalks frevlen Muth du ſteigen!

War's ſeine Geſtalt deren Adel dich trog,

Sein flatternder Witz unter Bechern und Reigen?

O frommer Biſchof, wie war dir zu Muth,

Als rauchend am Anger unſchuldiges Blut

Verklagte, verklagte dein zögerndes Schweigen!
Am Wewelsberge ſchallt Wald-Hurrah,

Des Roſſes Flanke ſchäumt über den Bügel,

Es keucht der Hirſch, und dem Edelwild nah,

Ein flüchtiger Dogge, keucht Kurt von Spiegel;

Von Thurmes Fahne begierig horcht

Der arme Tüncher, und unbeſorgt

Hält in der Hand er den bröckelnden Ziegel.
Da horch! Halali! das Treiben iſt aus,

Des Hirſches einzige Thräne vergoſſen,

Ein Hörnerſtoß durch das waldige Haus

Vereint zum Geweide die zott'gen Genoſſen,

Und bald aus der nickenden Zweige Geleit

Die Treiber ſo ſtumm, die Ritter ſo breit,

Ziehn langſam daher mit den ſtöhnenden Roſſen.
Der Spiegel ſpornt ſein rauchendes Thier,

„Verfluchte Canaille, du haſt mich beſtohlen!“

[362]
Da ſieht er, hoch an des Thurmes Zimier,

Den armen Tüncher auf ſchwankenden Bohlen.

„Ha,“ murrt er, heute nicht Beute noch Schuß,

Nie kam ich noch wieder mit ſolchem Verdruß,

Ich möchte mir drüben den Spatzen wohl holen!“
Der Tüncher ſieht wie er blinzelt empor,

Und will nach dem ärmlichen Hütlein greifen,

Da ſieht er drunten viſieren das Rohr,

Da hört er den Knall, und die Kugel noch pfeifen;

Getroffen, getroffen! — er ſchaukelt, er dreht,

Mit Ziegel und Bohle und Handwerksgeräth

Kollert er nieder zum raſigen Streifen.
Als träf ihn ſelber das Todesgeſchoß

So zuckt der Prälat, ſeine Augen blitzen,

„Marſchalk!“ ſtöhnt er, die Stirne wird naß,

Am ſchwellenden Halſe zittern die Spitzen,

Dann fährt auf die Wange ein glühendes Roth,

Und „Marſchalk!“ ruft er, „das bringt dir den Tod!

Greift ihn, greift ihn, meine Treiber und Schützen!“
Doch lächelnd der Spiegel vom Hengſte ſchaut,

Er lächelt umher auf die bleichen Vaſallen:

„Mein gnädigſter Herr, nicht zu laut, nicht zu laut,

Eu'r Dräuen möchte im Winde verhallen!“

Dann wendet er raſch, im ſauſenden Lauf

Durchs Thor und die donnernde Brücke hinauf. —

Zu ſpät, zu ſpät ſind die Gitter gefallen!
[363]
Im Dome zu Paderborn iſt verhallt

Das Sterbegeläute des alten Prälaten,

Und wieder im Dom hat Kapitels Gewalt

Den neuen Beherrſcher gewählt und berathen.

Stumm fährt das Gebirg und die Felder hinein

Der neue Biſchof zur Wewelsburg ein,

Geleitet von ſummenden Volkscomitaten.
Und als nun über die Brücke er rollt,

Und ſieht die maſſigen Thürme ſich ſtrecken,

Wie ihm im Buſen es zittert und grollt!

An ſeiner Inful — o brandiger Flecken!

Des Spiegels Blut in dem Ahnenbaum hell!

Leis ſeufzet er auf, dann murmelt er ſchnell:

„Herr Truchſes, laßt unſre Tafel nun decken,“
Es kreiſen die Becher beim Böllergeknall,

Die ſtattlichen Ritter, die artigen Damen,

Sich ſchleudernd des Witzes anmuthigen Ball,

Faſt von der Stirne die Falten ihm nahmen;

Da horch! im Flure ein Schreiten in Eil;

Es knarren die Thüren, es ſteht eine Säul',

Der Spiegel, der blutige Marſchalk, im Rahmen!
Der Biſchof ſchaut wie ein Laken ſo bleich, —

Im weiten Saal keines Odems Verhallen —

An's Auge ſchlägt er die Rechte ſogleich,

Und langſam läßt er zur Seite ſie fallen.

Dann ſeufzt er hohl und düſter und ſchwer:

„Kurt! — Kurt von Spiegel, wie kömmſt du daher! —

Greift ihn, ergreift ihn, ihr meine Vaſallen;“
[364]
Kein Sünderglöckchen geläutet ward,

Kein Schandgerüſt ſah man zimmern und tragen,

Doch ſieben Schüſſe die knatterten hart,

Und eine Meſſe hörte man ſagen.

Der Biſchof ſchaut' auf den blutigen Stein,

Dann murmelt' er ſacht in's Breve hinein:

„Es iſt doch ſchwer eine Inful zu tragen!
[[365]]

Derspiritus familiaris
des Roßtäuſchers.

[[366]][367]

Derspiritus familiaris
des Roßtäuſchers.

Deutſche Sagen; herausgegeben von den Gebrüdern
Grimm. Berlin. 1816. Nr. 84.


Spiritus familiaris.


Er wird gemeiniglich in einem wohlverſchloſſenen Gläslein auf¬
bewahrt, ſieht aus nicht recht wie eine Spinne, nicht recht wie ein
Skorpion, bewegt ſich aber ohne Unterlaß. Wer dieſen kauft, bei
dem bleibt er, er mag das Fläſchlein hinlegen wohin er will, immer
kehrt er von ſelbſt zu ihm zurück. Er bringt großes Glück, läßt
verborgene Schätze ſehen, macht bei Freunden geliebt, bei Feinden
gefürchtet, im Kriege feſt wie Stahl und Eiſen, alſo daß ſein Be¬
ſitzer immer den Sieg hat, auch behütet er vor Haft und Gefäng¬
niß. Man braucht ihn nicht zu pflegen, zu baden und kleiden, wie
ein Galgenmännlein. Wer ihn aber behält bis er ſtirbt, der muß
mit ihm in die Hölle, darum ſucht ihn der Beſitzer wieder los zu
werden. — —


Ein Soldat, der ihn für eine Krone gekauft und den gefähr¬
lichen Geiſt kennen lernte, warf ihn ſeinem vorigen Beſitzer vor die
Füße und eilte fort; als er zu Hauſe ankam, fand er ihn wieder
in ſeiner Taſche. Nicht beſſer ging es ihm, als er ihn in die
Donau warf.


Ein Augsburgiſcher Roßtäuſcher und Fuhrmann zog in eine
berühmte deutſche Stadt ein. Der Weg hatte ſeine Thiere ſehr
mitgenommen, im Thor fiel ihm ein Pferd, im Gaſthaus das zweite
und binnen wenigen Tagen die übrigen ſechs. Er wußte ſich nicht
zu helfen, ging in der Stadt umher, und klagte den Leuten mit
Thränen ſeine Noth. Nun begab ſich's, daß ein anderer Fuhrmann
ihm begegnete, dem er ſein Unglück erzählte. Dieſer ſprach: „ſeyd
ohne Sorgen, ich will euch ein Mittel vorſchlagen, deſſen ihr mir
danken ſollt.“ Der Roßtäuſcher meinte, dieß wären leere Worte.
„Nein, nein, Geſell, euch ſoll geholfen werden. Geht in jenes
[368] Haus und fragt nach der „Geſellſchaft,“ der erzählt euren Unfall,
und bittet um Hülfe.“ Der Roßtäuſcher folgte dem Rathe, ging
in das Haus und fragte einen Knaben, der da war, nach der Ge¬
ſellſchaft. Er mußte auf Antwort warten, endlich kam der Knabe
wieder und öffnete ihm ein Zimmer, in welchem etliche alte Männer
an einer runden Tafel ſaßen. Sie redeten ihn mit Namen an,
und ſagten: „Dir ſind acht Pferde gefallen, darüber biſt du nieder¬
geſchlagen, und nun kömmſt du, auf Anrathen eines deiner Geſellen,
zu uns, um Hülfe zu ſuchen: du ſollſt erlangen, was du begehrſt.“
Er mußte ſich an einen Nebentiſch ſetzen und nach wenigen Minuten
überreichten ſie ihm ein Schächtelein mit den Worten: „Dieß trage
bei dir, und du wirſt von Stund an reich werden, aber hüte dich,
daß du die Schachtel, wo du nicht wieder arm werden willſt, nie¬
mals öffneſt.“ Der Roßtäuſcher fragte, was er für dieſes Schäch¬
telein zu zahlen habe, aber die Männer wollten nichts dafür; nur
mußte er ſeinen Namen in ein großes Buch ſchreiben, wobei ihm
die Hand geführt ward. Der Roßtäuſcher ging heim, kaum aber
war er aus dem Haus getreten, ſo fand er einen ledernen Beutel
mit dreihundert Dukaten, womit er ſich neue Pferde kaufte. Ehe
er die Stadt verließ, fand er in dem Stalle, wo die neuen Pferde
ſtanden, noch einen großen Topf mit alten Thalern. Kam er ſonſt
wohin und ſetzte das Schächtelein auf die Erde, ſo zeigte ſich da,
wo Geld verloren oder vorzeiten vergraben war, ein hervordringen¬
des Licht, alſo daß er es leicht heben konnte. Auf dieſe Weiſe er¬
hielt er ohne Diebſtahl und Mord große Schätze zuſammen. Als
die Frau des Roßtäuſchers von ihm vernahm, wie es zuging, er¬
ſchrack ſie, und ſprach: „Du haſt etwas Böſes empfangen, Gott
will nicht, daß der Menſch durch ſolche verbotene Dinge reich werde,
ſondern hat geſagt, im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein
Brod eſſen. Ich bitte dich um deiner Seligkeit willen, daß du
wieder nach der Stadt zurück reiſeſt und der „Geſellſchaft“ deine
Schachtel zuſtellſt.“ Der Mann von dieſen Worten bewogen, ent¬
ſchloß ſich und ſchickte einen Knecht mit dem Schächtelein hin, um
es zurück zu liefern, aber der Knecht brachte es wieder mit der
Nachricht zurück, daß die Geſellſchaft nicht mehr zu finden ſey, und
niemand wiſſe, wo ſie ſich aufhalte. Hierauf gab die Frau genau
[369] Acht, wo ihr Mann das Schächtelein hinſetze, und bemerkte, daß er
es in einem beſonders von ihm gemachten Täſchchen in dem Bund
ſeiner Beinkleider verwahre. In der Nacht ſtand ſie auf, zog es
hervor und öffnete es: da flog eine ſchwarze ſauſende Fliege heraus
und nahm ihren Weg durch das Fenſter hin. Sie machte den Deckel
wieder darauf und legte es an ſeinen Ort, unbeſorgt wie es ab¬
laufen würde. Allein von Stund an verwandelte ſich all das vorige
Glück in das empfindlichſte Unglück. Die Pferde fielen oder wurden
geſtohlen. Das Korn verdarb auf dem Boden, das Haus brannte
zu dreienmalen ab, und der geſammelte Reichthum verſchwand zu¬
ſehends. Der Mann gerieth in Schulden und ward ganz arm, ſo
daß er in Verzweiflung erſt ſeine Frau mit einem Meſſer tödtete,
dann ſich ſelbſt eine Kugel durch den Kopf ſchoß.


Trutz Simplex Leben der Landſtörzerin Courage. Cap. 18


und 23.
Der Leipziger Avanturier. Frkft. u. Lpzg. 1756. Th. 2.


S. 38–42.


Den hier angegebenen Kennzeichen des Spiritus familiaris fügt
der Volksglaube an manchen Orten noch andere hinzu. Seine un¬
unterbrochenen Bewegungen ſollen von einem feinen kniſternden Ge¬
räuſch begleitet ſeyn, was den Träger Andern unheimlich und dem
Wiſſenden kenntlich mache. Ueber Tag ſey er ſchwarz, gebe aber
im Dunkeln ein ſtarkes phosphoriſches Licht von ſich, und ſo oft
der Beſitzer eine Kirche betrete, bete, oder ſich nur einem frommen
Gedanken überlaſſe, bekomme einer ſeiner feinen zahlloſen Füße oder
Fühlhörner die Macht, das Glas zu durchdringen und demſelben
einen Stich zu geben, der jedesmal die Lebenskraft bedeutend ſchwäche.
Auch ſollen ſeine Gaben dies mit andern hölliſchen gemein haben,
daß ſie zwar nicht wie dieſe zu Kohlen, aber ſchon in der zweiten
Hand verderblich werden, das Vieh falle, das Getreide verderbe,
oder, bis zur Ausſaat gebracht, nicht keime, ſo daß dem Käufer
von dem ſcheinbar vortheilhafteſten Handel nur der ſchlimmſte Schaden
bleibe. — Als Orte, wo die Fläſchlein zu erhalten ſind, wird bald
ein Kreuzweg, bald der Rabenſtein, bald ein leerſtehendes, durch
darin begangene Verbrechen dem Böſen anheim gefallenes Haus
bezeichnet.


v. Droste-Hülshof, Gedichte. 24[370]

I.

So hat er ſich umſonſt gequält, umſonſt verkauft die werthe

Stätte,

Wo ſeiner Kindheit Linde ſteht und ſeiner Eltern Sterbe¬

bette,

Umſonſt hat er ſo manchen Tag den froſtbeklemmten Hauch

geſogen,

In ſeiner ſtarren Hand den Zaum, umkniſtert von des

Schnees Wogen,

Beim Morgenroth, beim Abendroth,

Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!
Der Täuſcher kniet am Pflaſtergrund, er ſtreicht des Roſſes

heiße Flanken,

Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten

wanken;

Bei Gott, es lebt! — im Aug' ein Blitz! — es ſchaudert,

zittert, hüben, drüben,

Dann ſtreckt es ſich, die Nüſtern ſtehn, vom wilden Schreie

aufgetrieben,

Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,

Der Lebenswärme letzter Kampf.
Der Täuſcher kniet und ſtreichelt fort, nicht trauen will er

ſeinem Auge,

Und ſchwellend in die Wimper ſteigt der Mannesthräne

bittre Lauge,

[371]
Sacht langt die Decke er herbei und ſchlägt ſie um des

Thieres Weichen,

Dann läßt er der Laterne Schein ob den geſpannten Sehnen

ſtreichen;

Es iſt vorbei, kein Odemhauch,

Und ſchon verſchwimmt der Flanken Rauch.
Vom Boden hebt er ſich, er ſteht, der ſchwergebeugte Mann

der Sorgen,

Und langſam hat er ſeine Stirn, hat ſie in hohler Hand

geborgen;

Was heute war? was morgen wird? wie könnt' er deſſen

ſich entſinnen!

Und der Verzweiflung Schlange fühlt er kalt zum Herzen

niederrinnen;

Was war? was iſt? — er fährt empor,

Ein Klirren, dicht an ſeinem Ohr!
Und an dem nächſten Ständer lehnt, des todten Rappen

Zaum und Zügel

Gelaſſen wägend in der Hand, ein Mann mit Hafermaaß

und Striegel,

So ſtämmig wie durch Froſt und Staub der Kärrner treibt

die derben Glieder,

In ſeinen breiten Nacken hängt der breite Schlapphut tröpfelnd

nieder,

Und ruhig auf den Täuſcher itzt

Sein graubewimpert Auge blitzt.
[372]
„Herr!“ hebt er an: „ihr dauert mich, ein feines Thier iſt

euch gefallen,

Doch weiß ich eins, ihm gleich wie ſich am Paternoſter zwei

Korallen;

Ich nenne euch den Ort, das Haus, ihr habt es um zwei¬

hundert Gulden,

Dann wüßt' ich einen Herrn, der drum ſein halbes Erbe

würde ſchulden.“

Der Täuſcher horcht, und ſtammelt dann:

„Ich bin ein ganz verarmter Mann!“
„Wie, eure prächt'ge Kuppel hin? wie, die ich in den Oſter¬

tagen

So friſch das Pflaſter ſtampfen ſah? fürwahr, da ſeyd Ihr

zu beklagen!

O, euer Brauner mit dem Stern, der zierlich vor den Damen

kniete!

O, euer Weißgeborner, dem's wie Funken aus den Nüſtern

ſprühte!“

Der Täuſcher hat ſich abgewandt,

Er zupft am Zaume, ballt die Hand;
Und ſinnend ſteht der Schlapphut, mißt mit ſteifem Blick

der Kiſte Bohlen,

„Herr!“ flüſtert er: „ſchließt eure Fauſt um blankgerändete

Piſtolen!

Die Stunde zehrt, es ſchwillt der Mond, bald iſt des Jahres

Schluß gekommen,

[373]
Habt ihr auf euren Zügen denn von der Geſellſchaft

nichts vernommen?“

Der Täuſcher blickt verwirrt umher,

Und: „die Geſellſchaft?“ murmelt er.
„Wie, die ſo manchen braven Mann aus ſeinen Nöthen hat

gezogen

Und keinen Heller Zinſen nimmt, zwei Worte nur auf weißem

Bogen,

Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung

wird beſchämen,

Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß

mich Wunder nehmen!“

Der Täuſcher horcht, er ſpricht kein Wort,

Und flüſternd fährt der Andre fort:
„Hört an, wenn in Silveſternacht das Mondlicht ſteigt in

volle Bahnen,

Kein Dach, kein Baum es ſchatten mag, wenn ſilbern ſtehn

der Thürme Fahnen,

Zum Schleuſenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten,

links die Föhren,

Wer euch begegnet — achtet's nicht; wer euch begrüßt —

laßt euch nicht ſtören,

Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,

Ein wenig öde ſieht es aus.
Verſtorbnen Wuchrers Erb' um das ſich ſieben Lumpe hitzig

ſtreiten,

[374]
Und drinnen ſtimmt ein ſchwaches Licht, ihr ſeht es freilich

nicht von weiten,

Alljährlich nur in dieſer Nacht, ſonſt ſtehen Thür und Thor

verrammelt,

In einem Hinterbaue brennts, wo die Geſellſchaft ſich

verſammelt;

Ihr trefft ſie bis der Hahn gekräht, —“

Der Täuſcher wendet ſich und geht.
Wie trunken ſchwankt er durch den Hof, ſchwankt in die

buntgefüllte Halle;

Der Kannen Klappen, das Geſchrei — ihm iſt als ob die

Decke falle;

Und ſeufzend löst vom Gürtel er die Lederkatze, und beklommen

Läßt er den ärmlichen Gehalt ſo Stück vor Stück zu Tage kommen;

Dann ſpringt er auf, ſein Sporenklang

Klirrt trotzig das Gehöft entlang.
Doch was er rufen, pfeifen mag, leer iſt der Stall, nur

aus den Raufen

Hängt wirres Heu wie ſträubend Haar, und drunter dam¬

pfen Strohes Haufen,

Nur der Laterne feuchter Docht wirft Flämmchen auf mit

leichtem Knallen,

Und läßt ein ſeltſam zuckend Licht um den geſtreckten Rappen

fallen,

Und in der Fenſterſcheibe ſteht

Des Mondes bleiche Majeſtät.
[375]

II.

Das nenn' ich eine Winternacht! das eine Jahresleiche!

Gnade

Der Himmel Jedem den die Noth treibt über dieſe blanken

Pfade!

Sie glitzern auf, der Schlange gleich im weißen Pyramiden¬

ſande,

Und drüber hängt, ein Todtenlicht, der Mond an unſicht¬

barem Bande,

Mit Fünkchen iſt die Luft gefüllt,

Die Sterbeſeufzer zieht und quillt.
Nie hat, ſeit Menſchendenken, ſich Sylveſternacht ſo ſcharf

ergoſſen,

Der Tag hat Flocken ausgeſtreut, der Abend ſie mit Glas

umſchloſſen;

In den Gehöften Taub' und Huhn auf ihrer Stange ächzend

ducken,

Der Hund in ſeinem Schober heult und fühlt den Wurm

im Hirne zucken;

Zwei Spannen hat in dieſer Nacht

Das Eis dem Strome zugebracht.
Verklommen ſteht am Thor die Wach' und haucht in die er¬

ſtarrten Hände,

„Wer da!“ „ein Freund!“ und haſtig ſtampft es längs der

Brücke Steingelände;

Betroffen ſieht ihn der Rekrut wie einen Maſt am Strome

ſchwanken:

[376]
„Der iſt betrunken oder irr!“ er ſteht ein Weilchen in Ge¬

danken,

Bekreuzt ſich, zieht die Uhr heraus,

Und lehnt ſich an ſein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuſcher tritt, er athmet auf und ſchaut

nach oben;

Kein Wölkchen hängt am Rieſenbau der dunklen Saphir¬

kuppel droben,

Er wendet ſich, und ſieht die Stadt wie eine Nebelmaſſe

liegen,

Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz

ſich ſchimmernd wiegen,

Den Mantel zieht er an's Geſicht

Und ſchreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort über'm Weg? — ein Menſch, ein Mann in

dünnem Zwillichrocke, —

Der Täuſcher zuckt, doch zaudert nicht; wohl ſieht des

Greiſen dünne Locke,

Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er ſieht ſie im Vor¬

überſchreiten,

Und wie mit tauſend Stricken zieht es nieder, nieder ihn,

zur Seiten;

An's Herz hat er die Fauſt geballt,

Und weiter, weiter ſonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht, und ſcheint ihn wimmernd

anzuklagen,

Die Luft mit ihrem leiſern Hauch ihm Sterberöcheln zuzu¬

tragen,

[377]
In dem verglaſ'ten Föhrenwald ein irres Leben ſurrt und

klingelt,

Und ſeiner eignen Kehle Hauch mit Funkenſtaube ihn umzingelt,

Voran, voran, der Würfel liegt,

Verloren oder keck geſiegt!
Da wie ein Glöckchen tönt's von fern, und dann ein Licht¬

chen kömmt geſchwommen

Den blanken Schlangenpfad entlang, iſt an des Hügels Bug

geklommen,

Das Glöckchen ſchwirrt, das Flämmchen ſchwankt, Geſtalten

dunkel ſich bewegen,

Ein Prieſter mit dem Sakrament zieht dem verſtörten Mann

entgegen,

Und wie's an ihm vorüber ſchwebt

Der Mönch die Hoſtie ſegnend hebt.
Der Täuſcher ſchaudert, und ihn reißt's wie Bleigewichte

an den Knieen,

Doch weiter, weiter! — und vorbei läßt er den Gnaden¬

engel ziehen;

Noch einmal ſchaudert er — ein Knall — des Stromes Flächen

ſpaltend zittern,

Ein Windſtoß durch der Föhren Haar, und die kriſtallnen

Stäbchen klittern —

Da tritt zum Friedhof er hinaus

Und vor ihm liegt das öde Haus.
Er ſtarrt es an — ein düſt'rer Bau! mit Zackengiebel, Eiſen¬

ſtangen,

Vom offnen Thore Nägelreihn wie roſtige Gebiſſe hangen;

[378]
Der Täuſcher zaudert, dann umſchleicht behutſam wie ein

Fuchs im Winde

Die Mauern er; — iſt's nicht als ob ein Licht im Innern

ſich entzünde?

Er ſchüttelt ſich, er tritt hinein

Und ſteht im finſtern Gang allein;
Tappt am Gemäuer, wendet ſich; dort ſtimmt es durch der

Thüre Spalten,

Sacht beugt er zu der Ritze, lauſcht, den ſchweren Odem

angehalten;

Kein Ton, kein Räuſpern, nur ein Laut wie ſcharfgeführter

Feder Schrillen,

Und ein Gerieſel wie wenn Sand auf Eſtrich ſtäubt durch

ſchmale Rillen;

Sacht greift er an die Klinke, ſacht

Hat er gepocht und aufgemacht.

III.

Wie friedlich in der Erde Schooß die ſtill geringen Leutchen

ſchlafen!

Endlich ein Pfühl nach hartem Stroh, nach ſaurer Fahrt

endlich ein Hafen!

Dem Flockenwulſte, ſichtbar kaum, entheben ſich die niedern

Hügel,

Doch Gottes Engel kennt ſie wohl, und ſchirmend breitet er

die Flügel

Den Kreuzlein zu, die Pflock an Pflock

Sich reihen um den Marmorblock.
[379]
Am Sockel kreucht der Drachenwurm, und ſcheint zum Grund

hinabzukrallen,

Zum todten Wuchrer unter'm Stein, von eigner Frevelhand

gefallen,

Wohl hat ihm Gold ein ehrlich Grab geworben an der Fried¬

hofsmauer,

Doch drüber zuckt ſein Flammenſchwert Sankt Michael in

Zorn und Trauer,

So ſilbergrau, ein Nachtgeſicht,

Steht das verſteinerte Gericht.
Vom öden Hauſe, ſeinem einſt, wo blutge Thränen ſind

gefloſſen,

Hat ſich ein ſeltſam dämmernd Licht bis an den Marmel¬

ſtein ergoſſen,

Es iſt als ob das Monument bei der Berührung zitternd

ſchwanke,

Im Schnee wühlend eine Hand dem Schuldner ſich entgegen

ranke;

Er kömmt, er naht, die Pforte dröhnt,

Er hat ſich an den Stein gelehnt;
Bleich wie der Marmor über ihm, und finſter wie das Kreuz

zur Seiten,

Von Stirn und Wimper, Zähren gleich, geſchmolznen Reifes

Tropfen gleiten;

Was er in dieſer ſchweren Nacht gelitten oder auch geſündet,

Er hat es Keinem je geklagt und Keinem reuig es verkündet;

In's Dunkel ſtarrt er, wie man wohl

So ſtarrt gedankenlos und hohl.
[380]
Ihm iſt, als fühl' er noch die Hand die ſeinen Federzug

geleitet,

Als fühle er den Nadelſtich, der ſeines Blutes Quell be¬

reitet,

Und leiſe zitternd taſtet er zum Gurte, — hörſt du nicht

ein Knirren,

Viel ſchrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange

Klirren? —

O, ſeine Heimath, ſtill umlaubt!

O, ſeines Vaters graues Haupt!
Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt

er die Hände,

Der todten Gäule Klingeln hört er ſchleichen durch die

Fichtenwände;

Genüber ihm am Horizonte ſchleifen ſchwarze Wolkenſpalten,

Wie läſſig eine träge Hand zum Sarge ſchleift des Bahr¬

tuchs Falten;

Er ſtreicht das Auge, reckt ſich auf,

Und ſchaut zum Aetherdom hinauf.
Noch hängt die Mondesampel klar am goldgeſtickten Kuppel¬

ringe,

Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie

eine Doppelklinge,

Noch iſt die Stunde nicht, wo ſich der Hahn auf ſeiner Stange

ſchüttelt,

O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!

Er wendet ſich, da — horch, ein Klang,

Und wieder einer, ſchwer und bang!
[381]
Und mit dem zwölften Schlage hat der Wolkenmantel ſich

gebreitet,

Der immer höher, rieſig hoch, ſich um die Himmelskuppel

weitet,

Und, horch! — ein langgedehnter Schrei, des Hahnes mitter¬

nächt'ge Klage;

Im ſelbigen Moment erbebt und liſcht der Schein am Sar¬

kophage,

Und Engel, Drache, Flammenſchwert,

Sind in die wüſte Nacht gekehrt.

IV.

Ho! Gläſerklang und Jubelſang und „Hurrah hoch!“ fährt's

durch die Scheiben,

Getroffen ſchwankt der goldne Leu, die Buben aus einander

ſtäuben,

Und drängen ſich und balgen ſich das fliegende Confekt zu

fangen;

Ein Glas, 'ne Frucht, 'ne Börſe gar, die blieb am Speer

des Schildes hangen,

Und ſchreiend nach der Stange ſticht

Das kleine gierige Gezücht.
Da klirrt aus des Balkones Thür ein Mann mit Gert' und

Eiſenſporen,

Ihm nach ein Andrer, Flaſch' im Arm, in Rauſches Selig¬

keit verloren,

„Geſindel!“ ruft der Eine: „halt! ich will euch lehren Börſen

ſtechen!“

[382]
„Friſch, Jungens, friſch!“ der Andre drauf: „die Birn iſt mein,

wer kann ſie brechen?

Ihn ſchlag' ich heut', ich, Hans von Spaa,

Zum Ritter von Lumpatia.“
„Beſinnt euch,“ ſpricht der Erſte; „was, beſinnen? hab' ich

mich beſonnen

Als euer Falber wie'n geſtochner Stier zuſammenbrach am

Bronnen?

Beſann ich mich zu zahlen, Herr? o euer Vieh! dreihundert

Kronen!“

Die Stimme bricht in trunknem Weh, er ſchluchzt: „mag

euch der Teufel lohnen!“

Und ſchraubt den Pfropfenzieher ein;

Der Täuſcher murmelt finſter drein,
Und wendet ſich. „He, holla, halt!“ ſchreit's hinter ihm,

„nicht von der Stelle!

Hoch euer Galgenmännlein, hoch der kleine rauchige Geſelle!

Und wieder hoch! und dreimal hoch! — Alräunchen, Hütchen

meinetwegen,

Mag's ferner goldne Eier euch, und Andern todte Bälge

legen!'

Der Täuſcher lächelt, aſchenfahl,

Und ſchlendert pfeifend in den Saal.
Noch zwei Minuten, und du ſiehſt den Gaſſenpöbel vor ihm

weichen,

Ihn ſcheu wie ein umſtelltes Wild entlang die Häuſerreihen

ſtreichen:

[383]
So ſchleicht kein Trinker ſchweren Hirns und freudeſatt ſich

vom Gelage,

So grüßt kein freies Herz, nicht ſteht auf offner Stirn ſo

trübe Frage;

Man meint, das Thor gewinne jetzt

Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erſt als die Fichte ihn umſtarrt, an ſeiner Sohle Nadeln

rauſchen,

Hat er den Schritt gehemmt und ſteht, in ſich gebeugt, zu

lauſchen — lauſchen —

So lauſcht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur

Minne ladet,

Kein Kranker ſo des Prieſters Schritt, der mit dem Heil¬

thum ihn begnadet:

Ein Delinquent ſo lauſchen mag

Der letzten Stunde Pendelſchlag.
Am Sonnenbrande ſchlummernd liegt der Wald in des Aroma

Wellen,

Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern

Thränen quellen,

Die ſonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen von

Geſange,

In ſich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzen¬

hange,

An jeder Nadel weißer Rauch

Verdunſtet Terpentines Hauch.
[384]
Durch das Gezweig' ein Sonnenſtrahl bohrt in des Horchers

Scheitellocke,

Die aus dem dunklen Wulſte glimmt wie Seegewürmes

Feuerflocke;

Er ſteht und lauſcht, er lauſcht und ſteht, vernimmſt du

nicht ein feines Schrillen,

Ein Rieſeln, wie wenn Sandgekörn auf Eſtrich ſtäubt durch

ſchmale Rillen?

So ſcharf es geht, ſo bohrend ein,

Wie Senſenwetzen am Geſtein.
Der Täuſcher richtet ſich, er ſeufzt, dann drängend nach des

Forſtes Mitte,

An eklem Pilze klirrt der Sporn und Blaſen ſchwellen unterm

Tritte,

Hier wuchern Kreſſ' und Binſenwuſt, Gewürme klebt an

jedem Halme,

Inſektenwirbel wimmelt auf und nieder in des Mooſes

Qualme,

Und ziſchend, mit geſchwelltem Kamm,

Die Eidechs ſucht den hohlen Stamm.
Der Wandrer bricht die Rank', er reißt und wüthet in den

Brombeerhecken,

Da ſeitwärts durch Geröhres Speer erglänzt des Kolkes

Dintenbecken,

Ein wüſter Kübel, wie getränkt mit ſchweflichen Asphaltes

Jauche,

Langbeinig füßelnd Larvenvolk regt ſich in Fadenſchlamm

und Lauche,

[385]
Und faule Spiegel, blau und grün,

Wie Regenbogen drüber ziehn.
In Mitten ſtarrt ein dunkler Fleck, vom Rieſenauge die

Pupille,

Dort ſteigt die Waſſerlilj' empor, dem Fußtritt lauſchend

durch die Stille;

Wen ſie verlockt mit ihrem Schein, der hat ſein letztes Lied

geſungen;

Drei Tage ſuchte man das Kind umſonſt in Kraut und

Waſſerbungen,

Wo Egel ſich und Kanker jetzt

An ſeinen bleichen Gliedchen letzt.
Der Täuſcher ſteht, den Arm verſchränkt, und ſtuurt ver¬

düſtert in die Lache,

Sein Haar voll Laub und Kletten bauſcht ſich finſter an der

Krempe Dache,

Gleich einem Senkblei ſcheint der Blick des Kolkes tiefſten

Grund zu meſſen,

Zur Seite ſchaut er, rückwärts dann, kein Strauch, kein

Hälmchen wird vergeſſen,

Greift dann behend zum Gürtelband

Und hält ein Fläſchlein in der Hand.
Kaum hat das Ohr ſich überzeugt, im Glaſe klingle das

Geriſpel,

Ein Wimmeln kaum das Aug' erhaſcht, wie ſpinnefüßelndes

Gewiſpel,

Da, hui! pfeifts im Schwung' und, hui! fährts an der

Lilie Krone nieder,

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 25[386]
Das Waſſer ziſcht, es brodelt auf, es reckt die modergrünen

Glieder,

Und rückwärts, rückwärts ſonder Halt

Raſchelt der Täuſcher durch den Wald.
Erſt im Verhaue, wo die Luft ſpielt mit der Beere Würzarome,

Und auf den goldnen Schwingen trägt das Feſtgeläut vom

nahen Dome,

Dort ſinkt er ſchluchzend auf die Knie, ſo feſt, ſo feſt die

Händ' gefaltet,

O ſelten hat ein Seufzer ſo des Herzens tiefſten Grund

geſpaltet!

Was dieſer Seufzer trägt, es muß

Sich nahen wie ein glüher Kuß.
Und Zähren Perl' an Perle ſich entlang die braunen Wangen

ſchmiegen,

So mochte der verlorne Sohn zu ſeines Vaters Füßen liegen;

Da plötzlich zuckt der Beter — greift zum Gurte — taſtet

dann auf's Neue —

Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein

wunder Leue,

Und in den Fingern angſtgekrampft

Die triefende Phiole dampft!!

V.

Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes

Nagen rüttelt,

Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem ſich Kohlenſtaub

entſchüttelt,

[387]
Die Träume ziehen, ſchwer wie Blei und leicht wie Dunſt,

um Flaum und Streue,

In Gold der hagere Poet, der dürre Klepper wühlt im

Heue,

Vom Kranze träumt die Braut, vom Helm

Der Krieger, und vom Strick der Schelm.
In jener Kammer, wo ſich matt der Fenſter tiefes Grau

ſchattiret,

Hörſt du ein Rieſeln, wie die Luft der Steppe zarten Staub

entführet?

Und ein Geſäuſel, wie im Glas gefangner Bremſe Flügel

wiſpelt?

Vielleicht 'ne Sanduhr die verrinnt? ein Mäuschen das im

Kalke riſpelt?

So ſcharf es geht, ſo bohrend ein

Wie Senſenwetzen am Geſtein.
Und dort am Hange — Phosphorlicht, wie's kranken Gliedern

ſich entwickelt?

Ein grünlich Leuchten, das wie Flaum mit hundert Fäden

wirrt und prickelt,

Geſtaltlos, nur ein glüher Punkt in Mitten wo die Faſern

quellen,

Mit klingelndem Geſäuſel ſich an der Phiole Wände ſchnellen,

Und drüber, wo der Schein zerfleußt,

Ein dunkler Augenſpiegel gleißt.
Und immer krimmelts, wimmelts fort, die grüne Wand des

Glaſes ſtreifend,

Ein glüher gieriger Polyp, vergebens nach der Beute greifend,

[388]
Und immer ſtarrt das Auge her, als ob kein Augenlied es

ſchatte,

Ein dunkles Haar, ein Nacken hebt ſich langſam an des

Tiſches Platte,

Dann plötzlich ſchließt ſich eine Hand

Und im Moment der Schein verſchwand.
Es tappt die Diel' entlang, es ſtampft wie Männertritt auf

weichen Sohlen,

Behutſam taſtend an der Wand will Jemand Rathes ſich

erholen,

Dann leiſe klinkt der Thüre Schloß, die losgezognen Riegel

pfeifen,

Durch das Gemach, verzitternd, ſcheu, gießt ſich ein matter

Dämmerſtreifen,

Und in dem Rahmen, duftumweht

Im Nachtgewand der Täuſcher ſteht.
Wie iſt die ſtämmige Geſtalt zum ſehnenharten Knorren

worden!

Wie manches, manches graue Haar ſchattirt ſich an der

Schläfe Borden!

O, dieſe Falten um den Mund, wo leiſe Kummerzüge

lauern —

So mocht an Babels Strömen einſt der grollende Prophete

trauern,

So der Verfehmte ſonder Raſt,

Wie ihn Salvator * aufgefaßt.
[389]
Genüber, feingeſchnitzelt, lehnt die Gnadenmutter mit dem

Kinde,

Das ſein vergoldet Händchen ſtreckt wie ſegnend aus der

Mauerſpinde,

Und drunter, in Kriſtall gehegt, von funkelndem Geſtein

umbunden,

Ein überköſtlich Heiligthum, ein Nagel aus des Heilands

Wunden;

Zu ſeiner Ehre Nacht für Nacht

Das Lämpchen am Geſtelle wacht.
Nie hat, in aller Schuld und Noth, der Täuſcher einen Tag

beſchloſſen.

Daß nicht an dieſer Schwelle ihm ein glüher Seufzer wär'

entfloſſen,

Selbſt auf der Fahrt, auf nächt'gem Ritt, dämmert ſein

Auge in die Weite,

Von des Polacken Rücken hat er mühſam ſich gebeugt zur

Seite,

Und ſein beladnes Haupt geneigt

Woher das Kind die Händlein reicht.
Ein ſcheuer Bettler Tag für Tag ſo ſteht er an des Himmels

Pforte,

Er ſchlägt kein Kreuz, er beugt kein Knie, nicht kennt ſein

Odem Gnadenworte,

Schlaftrunknes Murmeln nur und glüh fühlt er's durch die

Phiole ranken,

Die ſeinem Leibe angetraut wie ragend Krebsgeſchwür dem

Kranken,

[390]
Und von dem kargen Lebensheerd

Ein Jahresſcheit iſt weggezehrt.
Auch jetzt, in dieſer Stunde, ſteht er lautlos, mit geſtreck¬

ten Knieen,

Nur leiſes Aechzen und voran! — ſchau, ſchau, wie ſeine

Muskeln ziehen!

Voran! — das Heilthum — der Kryſtall — er lehnt ſich an

die Wand, er ſchwindelt,

Ein angſtvoll Zupfen — ein Geſtöhn — er hat den Nagel

losgewindelt,

Und ſtößt ihn dicht am Heil'genſchrein

In der Phiole Siegel ein.
Hui! knallt der Pfropfen, hui, fährt das Glas in Millionen

Splitter!

Gewinſel hier, Gewinſel dort und ſpinnefüßelndes Geflitter;

Es hackt und prickelt nach dem Mann, der unterm Gnaden¬

bilde wimmert,

Bis Faſer ſich an Faſer liſcht, des Centrums letzter Hauch

verſchimmert,

Und an der Gotteslampe ſteigt

Das Haupt des Täuſchers, ſchneegebleicht.

VI.

Weh, Glockenſturm! Trompetenſtoß! und Spritzen raſſeln

durch die Gaſſen,

Der aufgeſchreckte Pöbel drängt und kräuſelt ſich in wüſten

Maſſen,

[391]
Hoch ſchlägt die Brunſt am Giebel auf, Gewieher kreiſcht

aus Stall und Scheunen,

Der Eimer fliegt hinab, hinauf, umhergeſtoßne Kinder

weinen,

Und zögernd ſteigt das Morgenroth

Dem doppelt Glut entgegen loht.
Es war beim erſten Hahnenſchrei als alle Bürger aufge¬

ſchüttert

Mit Schloſſenpfeifen Knall auf Knall; ſo gräulich hat es nie

gewittert!

Grad ob des reichen Böhmen Dach, des Täuſchers, ballte

ſich das Wetter,

Wo Blitz an Blitze niederzuckt, mit ohrbetäubendem Ge¬

ſchmetter,

Nun überall an Scheun' und Haus

Praſſelt der Flammenhaag hinaus.
Im Hof die Knechte hin und her mit Axt und Beilen fluchend

rennen,

Wer ſchob die innern Riegel vor? die Thüren weichen nicht

und brennen,

„Der Herr! der Herr!“ ruft's hier und dort: „wo iſt der Herr!“

daß Gott ihm gnade,

An ſeinem Kammerfenſter leckt die Loh' aus der geſchloſſnen

Lade!

Und eben krachte in's Portal

Die Stiege zu dem obern Saal!
[392]
Entſetzt Gemurmel läuft umher und ſchwillt in des Gedränges

Wogen,

Dann Alles todtenſtill, ſie ſtehn, die Brauen finſter einge¬

zogen;

So um den Scheiterhaufen einſt gruppirten ſich des Südens

Söhne:

„Da brennt der Schächer, deſſen Vieh das Land verlockt mit

fremder Schöne

Und kaum verkauft, am dritten Tag,

Ein todtes Aas im Stalle lag!
Der Gaukler brennt, aus deſſen Gurt ein wunderlich Ge¬

klingel ſurrte,

Daß man in rabenſchwarzer Nacht ihn kennen mocht' an

ſeinem Gurte,

Der keine Kirche je betrat, vor keinem Gnadenbild ſich neigte,

Wenn ihm begegnet Chriſti Leib von Schwindel ſtammelt'

und erbleichte,

Im gottgeſandten Element

Der Täuſcher, mit der Kuppel, brennt!“

VII.

Am Wieſenhang 'ne Linde ſteht, ſo lieblich winkend mit den

Zweigen,

Auf jedem Aſt ein Vogelneſt, um jede Blüth' ein Bienen¬

reigen,

Sie ſcheint den düſtern Föhrenwald aus ihren Kelchen an¬

zulächeln,

[393]
Des nahen Städtleins Angelus ein ſäuſelnd Ave zuzufächeln,

Und für den nahen Friedhof auch

Hat ſie verſüßt des Weſtes Hauch.
Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verſtreut ſie auf des

Greiſes Stirne,

Der in dem Wurzelmooſe lehnt ſein Haupt mit ſiedendem

Gehirne;

Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der

Ranzen,

Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenſchritten

drüber tanzen,

Wie ſie der Bruſt geheimſter Hut

Entſchlüpfen in des Fiebers Glut.
Den Anger ſeiner Kindheit ſieht er in den Lindenzweigen

ſpielen,

Die ſüße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbe¬

pfühlen;

Was er verloren und erſtrebt, was er geſündet und getragen,

Wie Eine Nacht ſein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn

geſchlagen.

O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab'

Zerbrach und ihm die Seele gab!
Er ſieht ſein faltiges Geſicht im Waſſerſpiegel widerſcheinen

Wie er ſich ſelber nicht erkannt, und kindiſch dann begann

zu weinen;

Ach, all die Thränen, ſo nachher aus tiefrer Quelle ſind

gefloſſen,
[394]
Ob ſie ihn Chriſti Blut vereint? des Himmels Pforten auf¬

geſchloſſen?

Wohl Schweres trug er mit Geduld,

Doch willenlos, durch eigne Schuld!
Mit vierzig Jahren ſiecher Greis, iſt er von Land zu Land

geſchlichen,

Hat ſeines Namens Fluch gehört und iſt zur Seite ſcheu

gewichen,

Aus mancher Hand, die ihm gedient, hat er das Bettelbrod

gebrochen,

Und iſt, ein todeskranker Mann, an dieſes Hügels Bug ge¬

krochen,

An dieſen Hügel — ew'ge Macht!

Er ſchaudert auf; — Sylveſternacht!
Der Föhrenwald — das öde Haus — dort ſtand der Prieſter,

dort am Hagen —

O, in der Sterbeſtunde hat ſein irrer Fuß ihn hergetragen,

Das iſt kein Schemen, dieſes nicht; dort ſtreckt Sankt Michael

die Flügel,

Dort kreucht am Fußgeſtell der Drach' und ſchlägt die Kralle

in den Hügel;

Des Greiſes Auge dunkelt, wild

Die Agonie zum Haupte quillt.
Das Buch — das Buch — er ſieht das Buch — o Gottes¬

mutter, Gnade! Gnade!

Er liebte dich, er liebte dich in Sünd' und Schmach! —

gleich einem Rade

[395]
Die Zeichen kreiſen — Gott, o Gott, er ſieht ein Händchen

niederreichen,

Mit leiſem goldnen Fingerzug die blutgetränkten Lettern

ſtreichen!

Und auf des Täuſchers bleichen Mund

Ein Lächeln ſteigt in dieſer Stund.'
Um Mittag hat der Mähder ihn am Lindenſtamme aufge¬

hoben,

Und in des Karrens Futtergrün dem Leichenhauſe zuge¬

ſchoben,

Auf der Gemeinde Koſten iſt ein grobes Sterbehemd be¬

reitet,

Ein kurzer träger Glockenſchlag hat zu der Grube ihn ge¬

leitet,

Wo ſich der Engelsflügel neigt

Und nicht des Drachen Kralle reicht.
[[396]][[397]]

Das Hospiz
auf dem großen St. Bernhard.

[[398]][[399]]

Das Hoſpiz
auf dem großen St. Bernhard.

Erſter Geſang.

Die Sonne hat den Lauf vollbracht,

Schon ſpannt ſie aus ihr Wolkenzelt;

So manche Thrän' hat ſie bewacht,

So manchem Lächeln ſich geſellt;

Um Sel'ge hat ihr Strahl gekräuſelt,

Wo ſüß verſteckt die Laube ſäuſelt,

Und hat die Todtenbahre auch

Geſegnet mit dem frommen Hauch;

Nun einmal ihres Schleiers Saum

Noch gleitet um der Alpen Schaum,

Und in des Schneegeſtäubes Flaum,

Das an Sankt Bernhards Klippe hängt,

Der matte Hauch ſich flimmernd fängt.
Dort, wo es, aus des Paſſes Schlunde,

Um's Pain de Sucre macht die Runde, *

[400]
Berührt ein menſchlich Angeſicht,

Fürwahr zum letzten Mal, das Licht.

Wie hat der Greis die dürre Hand

So feſt um ſeinen Stab geſpannt!

Und wie er ſo verkümmert ſteht,

So ganz verlaſſen um ſich ſpäht,

Da iſt's als ob, erſtaunt zumal,

Noch zögern will der letzte Strahl.

Schon zog der Aar dem Horſte zu,

Und nur die Gems vom Tour des foux*

Noch einmal pfeift, und ſchwindet dann.

Am Riffe lehnt der alte Mann,

Wie auf dem Meere, jüngſt ergrimmt,

Einſam noch eine Planke ſchwimmt.
O, du biſt immer ſchön, Natur!

Doch dem, der Hertha's Bild gegrüßt,

Die Woge bald die Lippe ſchließt.

Biſt Königin vernichtend nur!

Der Blitz, der Seeſturm, der Vulkan,

Sie ſtehn als Zeugen oben an.

Und jener Greis am Felſenrand?

Dem Strahl, der widerprallt im Schnee,

Will ſchützend die beſennte Hand

Sich vorbaun, an der Braue Höh'.

Zum Montblanc hat er lang geſehn,

Und wendet abendwärts den Fuß,

Da ihm die Augen übergehn,

Daß er vor Kälte weinen muß.

[401]
Ihm iſt wie taub, ihm iſt wie blind,

Er ſpricht gepreßt, und thut's nicht gern:

„Mein Knabe! Henry! liebes Kind!

Schau mal hervor, ſind wir noch fern?“
Dann aus des Mantels Falten dicht

Ein Bübchen windet ſein Geſicht;

Die kleinen Züge ſchwillt der Hauch,

Die rothen Händchen birgt es auch

Sogleich, und zieht des Vließes Saum

Sorgfältig um der Stirne Raum,

Daß nur der Augen röthlich Licht

Durch des Gewandes Spalten bricht.

Nun mit den Wimpern zuckt er ſchnell;

„Großvater, ſchau! wie blitzt es hell!“
Der Alte ſeufzt: „es blitzt, mein Sohn,

Am Himmel nicht um dieſe Zeit;

Es iſt die Sonne wohl, die ſchon

Sich um die letzten Zacken reiht.“

Doch wiederum der Knabe ſpricht:

„Großvater! 's iſt die Alpe nicht,

Es ſpringt und zittert in die Höh',

Wie wenn die Sonne tanzt im See

Und ſpielt in unſerm Fenſterglas.“

„Wo, Henry? Kind, wo ſiehſt du das?“

Ein Aermchen aus der Wolle ſteigt.

Der Alte ſenkt das Haupt und ſchweigt.

Nein, nein, das iſt kein Hoſpital!

In tauſend Funken ſprengt den Strahl,

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 26[402]
Gleich nachtentbranntem Meeres-Drange,

Nur Roche polie * von jenem Hange.
Und zögernd ſchiebt des Greiſes Hand

Den kleinen kalten Arm zurück,

Zieht feſter um ihn das Gewand.

Er wirft den kummervollen Blick

Noch einmal durch die dünne Luft,

Auf jeden Fels, in jede Kluft;

Dann folgt ein Seufzer, unbewußt,

So ſchwer wie je aus Mannes Bruſt,

Und langſam abwärts, mit Gefahr,

Beginnt er Pfade unwirthbar.

— Schmal iſt der Raum, die Klippe jäh; —

Zuweilen bietet das Geſtein,

Ein altergrauer Felſenſpalt,

Für Augenblicke ſchwachen Halt.

Die Ferſe drückt er in den Schnee,

Und ſtößt des Stabes Stachel ein;

Denn eine Zeit gab's, wo im Gau

Von Saint Pierre kein Schütz ſich fand,

Der auf der Jagd, am Alphorn blau,

Dem Benoit gegenüber ſtand.

Kein Aug' ſo ſcharf, kein Ohr ſo fein,

So ſicher keine Kugel ging.

Von all den Kühen er allein

So ſorglos an der Klippe hing!

[403]
Zum letzten Mal dem Meiſter alt

Sich dankbar ſeine Kunſt erzeigt.

Gottlob! nun iſt die Schlucht erreicht.

Er blickt empor, durch's graue Haupt,

Faſt von der Kälte ſinnberaubt,

Noch einmal durch die öde Bruſt

Zieht ſich das Bild vergangner Luſt,

An der ſein ganzes Herz gehangen,

Und doppelt fühlt er ſich gefangen.
In Quarzes Schichten eingezwängt,

Durch die der ſchmale Pfad ſich drängt,

Streckt, überbaut von Felſenwucht,

Sich lang des Pain de Sucre Schlucht.

Kein Laut die todte Luft durchirrt,

Kein Lebenshauch iſt zu entdecken;

Und, wenn es unverſehens ſchwirrt,

Das Schneehuhn kann den Wandrer ſchrecken.

Wo droben ſchwimmt das Felſendach,

An dem der Winterſturm ſich brach

Jahrtauſende; — doch die Gedanken

Verlaſſen ihn, — er ſieht es wanken —

Er fördert keuchend ſeinen Schritt —

Und immerfort, in tollem Schwanken,

Ziehn rechts und links die Klippen mit;

Daß jener harrt, — ſogleich — ſogleich —

Wie, aus der Lüfte Schwindelreich,

Die ungeheure Maſſe klirrt,

Und er ſich ſchon zerſchmettert glaubt,

So ſehr ihm Furcht die Sinne raubt.
[404]
In dieſe wüſte Bahn hat jetzt

Der müde Mann den Fuß geſetzt,

So ſchnell es gehn will, fort und fort.

Noch immer glühn die Firſten dort,

Und abwärts gleiten ſieht den Strahl

Mit Luſt er und mit Graun zumal.

Sobald der Abendſonne Schein

Nicht mehr die letzte Zacke badet,

In's Hoſpital ein Glöckchen rein

Den Wandrer aus der Steppe ladet.

Und ſchon am Pointe de Drone das Licht

Kaum merklich noch den Schatten bricht.

„O Sonne,“ ſeufzt der müde Greis,

„Bald biſt du hin! der Himmel weiß,

Vielleicht hör' ich die Glocke nicht! —“

Blickt zweifelnd nach den Felſenwällen,

An denen mag der Klang zerſchellen.

Das Kind, das Kind iſt ſeine Noth!

Schon fühlt er, wie, vom Froſte laß,

Der ſteife Arm zu gleiten droht;

Und ohne Ende ſcheint der Paß!

Ein Thurm ragt an dem andern her,

Es iſt, als würden's immer mehr.

Dem Himmel Dank, die letzte Klippe!

Und als, mit angeſtrengtem Fleiß,

Sich immer näher treibt der Greis,

Was kniſtert über'm Steingerippe?

Am Rande ſchiebt ſich's, zittert, blinkt,

Langſam ein weißer Klumpen ſinkt;

Dann ſchneller, dann mit jähem Fall,

[405]
Entlang die Klüfte toſ't der Schall.

Und zu des Alten Füßen rollen

Schneetrümmer und geſprengte Schollen.
Und dieſer einen Augenblick

Steht regungslos, mit Schwindel ringt; —

So ſcharf vorüber zog der Tod!

Gefaßt er dann zuſammenrafft,

Was ihm von Wollen bleibt und Kraft.

Und vorwärts nun, mit harter Noth,

Er in den Trümmerhaufen dringt.

Doch neben, vor und um ihn ſtemmt

Die Maſſe ſich, zum Wall gedämmt.

Mitunter eine Scholle auch

In ſchwachem Gleichgewichte ſteht,

Nur wartend auf den nächſten Hauch,

Und aufwärts ihre Kante dreht.

Wenn das Geſchiebe ſich belebt,

Ein Sarkophag, der ihn begräbt!

Horch! wie er durch die Zacken irrt,

Zuweilen eine Scheibe klirrt;

Ein feines Schwirren — ſchwaches Rucken —

Vor ſeinen Augen Blitze zucken;

Doch immer wieder fügt ſich's ein,

Und ſtarr die Mauer ſteht wie Stein.

So muß er, faſt in Todesbanden,

Wie durch ein Labyrinth ſich ſchmiegen.

Es iſt vorüber, iſt beſtanden,

Und hinter ihm die Trümmer liegen.
[406]
Indeß des Tages matte Zeichen

Allmählig von den Kuppen bleichen,

Und, nach und nach, am Firmament

Des Mondes Lampe ſtill entbrennt;

Verſchwimmend, ſcheu, ihr zartes Licht

Malt noch der Dinge Formen nicht.

Doch allgemach aus Wolkenſchleier

Erſteht die klare Scheibe freier.

Die Felſen ſcheinen ſich zu regen,

Geflimmer zittert über'n Schnee,

Und langſam ſteigend aus der Höh'

Die Schatten auf den Grund ſich legen.
Gebeugt, mit angeſtrengtem Schritt,

Aus ſeiner Schlucht der Wandrer tritt

In eine öde Fläche vor.

Er ſteht — er lauſcht — er trägt das Ohr

Zur Erde bald und bald empor,

Und alle Sinne lauſchen mit.

Er wendet ſich, ob nichts vom Schalle

Aus einer andern Richtung falle. —

Nur hohl und ziſchend ſich die Luft

In des Geſteines Spalten fängt,

Und, mit Gekniſter, durch den Duft

Zu Nacht gefall'ner Flocken drängt.

Der Kälte, die den Stamm zerſchellt,

Kein Schirm ſich hier entgegenſtellt.

Ach Gott, wohin! ringsum kein Steg,

Sich überall die Ebne gleicht.

Doch vorwärts, vorwärts, immer reg',

[407]
Eh dich im Schlummer Tod beſchleicht,

Nur immer in die Nacht hinein.

Da, durch die Steppe fällt ein Schein,

Wie wenn ſich Kerzenſchimmer brechen

In angehauchten Spiegels Flächen.

Und über dieſes Meteor

Ragt eine Maſſe dunkel vor.

Gegrüßt, o Stern im Mißgeſchicke!

Es iſt die Drance, es iſt die Brücke.
Kaum die bekannten Pfade ſchaut

Der Greis, ihm iſt wie aufgethaut;

Halb kehrt der Jugend Muth zurück,

Er wähnt ſich einen Augenblick

Für dies und Schlimmres noch genug.

Die Brücke naht ſich wie im Flug.

Schon hat er rüſtig ſie beſchritten,

Schon ſteht er in der Ebne Mitten,

Schon keucht er um des Stromes Bogen:

Und vor ihm her die glaſ'gen Wogen

Durchrollt des Mondes Silbertuch.

Vergebens! dieſe Kraft iſt Schein;

Mit jedem Hauche ſinkt ſie ein,

Mit jedem Schritte weicht das Blut.

Ach keine Wunder wirkt der Muth!

Schon matter wird des Greiſes Tritt.

Das Licht im Strome fliegt nicht mehr,

Es wandert zögernd vor ihm her.

Aus den gelähmten Fingern glitt

Der Stab und eine weite Strecke

[408]
In Sätzen prallend von der Decke,

Dann lagert er an Stromes Rand.

Hin ſchleppt der müde Mann den Schritt;

Er bückt ſich mühſam, welche Qual!

Ergreift ihn, der zum dritten Mal

Ihm immer gleitet aus der Hand.

Und ſchwindelnd, bei dem ſauren Beugen,

Fühlt er das Blut zum Haupte ſteigen,

Sein Aug', von kalten Thränen ſchwer,

Sieht kaum das Allernächſte mehr.

Noch tappt er, wo aus dunklem Schaft

Die glatte Eiſenſpitze blinkt.

Da weicht des Armes letzte Kraft,

Und auf den Schnee das Knäbchen ſinkt;

Es rafft ſich auf, ergreift den Stab,

Gehorſam, leichtem Dienſt gewöhnt.

„Mein Kind! mein Kind!“ der Alte ſtöhnt,

Und nimmt die kleine Laſt ihm ab,

„Was willſt du noch zuletzt dich plagen!“

Späht mit der Augen trübem Stern

Beklommen durch den nächt'gen Schein; —

„Du kannſt nicht gehn, ich dich nicht tragen,

Und ach! das Hoſpital iſt fern.

So müſſen wir das Letzte wagen,

Und kehren bei den Todten ein.“

Er lenkt die Schritte von dem Strand,

Sein Knäbchen hält er an der Hand.
Das Mondlicht, das mit kaltem Kuſſe

Liebkoſet dem verſteinten Fluſſe,

[409]
Gleich links, auf ein Gewölbe klein,

Streut alle ſeine Schimmer rein,

Die, wie ſie Wolkenflor umwebt,

Bald auf dem Dache, wie belebt,

Sich kräuſeln, in den Fenſtern drehn,

Und bald wie eine Lampe ſtehn,

Die halb der Grüfte Dunkel bricht.

So leiſten ſie die fromme Pflicht

Dem, ſo der Fremde ward zum Raube,

Und bei dem unbeweinten Staube

Entzünden ſie das Trauerlicht.

Ja, dieſe Mauern, wohl erbaut

Mit Chriſtenſinn, ſie bergen doch,

Wovor des Menſchen Seele graut,

Wem Blut rollt in den Adern noch.

Sie alle, die zum Todesſchlaf

Sankt Bernhards leiſer Odem traf,

Wenn ſie nicht Freundes Wort genannt,

Nicht Eidgenoſſen Blick erkannt,

An dieſen Ort ſind ſie gebannt.

Der Bettler, dem kein Heimathland,

Der Jude, ſo auf Geld bedacht

Gefahrenvollen Weg betrat,

Der arme wandernde Soldat,

Der Flüchtling vor Geſetzes Macht:

Sie alle liegen hier, wie Tod

Aus dieſer Wildniß ſie entbot.

Im Pelze der, im Mantel weit,

Und jener im Studentenkleid.

Das tiefe Auge, trüb und offen,

[410]
Auf liebe Züge ſcheint zu hoffen;

So Zeit auf Zeiten, keine Thräne

Rann auf die bleiche Wange noch;

Und ließen treue Kinder doch,

Und ſind geliebter Eltern Söhne.
Die Schwelle kennt der Greis genau,

Hier führt ein Steg nach Wallis Gau,

Sein alter Pfad, wenn von der Jagd

Er heimwärts manchen Gang gemacht,

Ans Fenſter pflegt er dann zu treten,

Nachdenklich in die Gruft zu ſehn,

Und ſinnend auch, im Weitergehn,

Ein Vaterunſer wohl zu beten.

Doch vor dem Tode auf der Flucht

Erfaßt ihn ungeheures Grauen,

Als tret' er in das eigne Grab

Und ſoll die eigne Leiche ſchauen.

Kaum wehrt er den Gedanken ab.

„Hinweg! hinweg! ſo weit der Fuß

Dich trägt“; und unwillkührlich muß

Er wenden. Doch da weint das Kind:

„Großvater! weiter ſollen wir?

Wir ſind ja hier an einer Thür.

Ich kann nicht mehr.“ Verſchwunden ſind

Die Zweifel; mühſam öffnet jetzt

Der Greis das Thor, mit Roſt verſetzt,

Tritt in die Wölbung, kauert ſich

Dann auf den Boden kümmerlich,

Und nimmt an ſeine Bruſt den Kleinen.

[411]
So eine Weile ſitzen ſie,

Der Knabe auf des Mannes Knie

In ſtummen Schauern an ihn biegend,

Der Alte, ſich nach innen ſchmiegend,

Das Haupt am feuchten Mauerſtein,

Und übermüdet, überwacht,

Hat minder der Umgebung Acht;

Minuten noch, ſo ſchläft er ein. —

Schon ſummt es um ihn wie ein Schwarm,

Der Mantel gleitet mit dem Arm;

Und als das Haupt zur Seite ſinkt, —

„Großvater! iſt das Glas? es blinkt!“

Der Alte fährt empor, er blickt

Verſchüchtert ſeitwärts, unverrückt

Zu Boden dann: „ſey ſtill, ſey ſtill,

Mein Kind, es ſey auch was es will.“

Und ſeufzend fügt er noch hinzu:

„Es iſt ſo ſpät! gib dich zur Ruh.“

Doch wie ein Strahl es ihn durchfliegt,

Daß Schlaf den Willen faſt beſiegt.

Schon greift der Krampf die Glieder an:

Zu reiben gleich beginnt der Mann.

Und als das Blut nun ſchneller rinnt,

Er immer heller ſich beſinnt,

Auch der Gedanke Kraft gewinnt.

Was war es, das, vom Schlaf erwacht

So in Verwirrung ihn gebracht?

Es war ein Blitz, es war ein Licht!

Und dennoch war es beides nicht.
[412]
Indeſſen har das Knäbchen leiſ'

Die beiden Aermchen ausgeſtreckt,

Und aus des Mantels Huth mit Fleiß

Den kleinen Kopf hervorgeſteckt.

Das Schlummern will ihm nicht gelingen;

Die Langeweile zu bezwingen

Am Mantel neſtelt's immerfort,

Schaut unverrückt nach einem Ort,

Bald gähnend, bald mit halbem Wort.

„Ja!“ flüſtert's, vor Ermattung roth,

Die Händchen in des Mantels Taſche,

„Dort ſteht das Glas, und dort die Flaſche,

Und auf dem Tiſche liegt das Brod.“

Dann zieht es ſacht den Mantel los;

Es gleitet von des Alten Schooß,

Es taucht in's Dunkel. Auf ſich rüttelnd

Aus wüſter Träumereien Graus,

„Henry! mein Kind!“ ruft jener aus,

Das graue Haupt verdroſſen ſchüttelnd,

„Wo biſt du nur? komm wieder, Sohn!“

Dort glänzen ſeine Löckchen ſchon!

Was reicht und ſtreicht es an der Wand?

An's Auge hebt der Greis die Hand:

Fürwahr! nach einem Brode ſucht

Der kleine Arm hinauf zu langen;

Und nebenan ſich Schimmer reihn,

Bald roth, bald grün, wie ſie gefangen

Im Glaſe dort, und dort im Wein.

O unverhoffter Segen! Schon

Vom Boden taumeln ſieh den Alten.

[413]
„Laß, du vermagſt es nicht zu halten,

Laß ab!“ Es zittert jeder Ton,

Der aus bewegter Bruſt ſich windet,

Und kaum im Odem Nahrung findet.

Die Glieder, ſo in Froſt und Qual

Ihn treulich trugen durch die Steppen,

Kaum vorwärts weiß er ſie zu ſchleppen

Bis hin, wo harrt das karge Mahl.

Er faßt das Brod und kann's nicht theilen,

Und ſtöbert, ſucht mit wirrem Eilen

In allen Taſchen, allen Falten,

Selbſt in der Stiefel engen Spalten.

„Hab' ich mein Meſſer denn verloren?“

Die Rinde bricht, ſie iſt noch warm.

„Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm!

O, kam ich eher um zwei Stunden!

Um eine einz'ge Stunde nur!“

Die Mönche hätt' er noch gefunden;

Dies iſt des Hospitales Spur.
Denn was die kühnſte Flamme bricht,

So wild ſie durch die Adern tobt:

Es löſcht die fromme Liebe nicht,

Die Leib und Leben hat verlobt.

Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt,

Wenn ſich das Schneegeſtöber ſchüttelt,

Wenn durch die öde Winternacht,

Nur wie ein fernes Mordgeſchütz,

Die zitternde Lawine kracht,

Wenn um die Gipfel ſpielt der Blitz:

[414]
Das ſind die Boten, die er kennt;

Vom Betſtuhl, wo die Lampe brennt,

Der Mönch ſich hebt, den Weg beginnt

Zum Tobel, wo der Sturzbach rinnt,

Zum Paſſe, wo der Schnee am höchſten,

Zum Steg, wo die Gefahr am nächſten,

Hinauf, hinab Sankt Bernhards Rund;

Voran ihm ſpürt ſein kluger Hund.

Dann, kehrend zu des Kloſters Pforte,

Die Nahrung, ſo er bei ſich trägt,

Mit milder Sorgfalt wird gelegt

An ſichre ſturmgeſchützte Orte.

Und oft, im letzten Augenblick,

Trat die gebrochne Kraft zurück

Durch ſie in die verſiegten Adern.

Wer mag mit ſolchen Mönchen hadern!

Welch' ſeelerſtorbner Atheiſt

So frevler Thorheit ſich vermißt,

Daß er auf ſie die Pfeile richte?

Schau! wie, gleich neuentflammtem Lichte,

Das Kind des Glaſes volle Laſt

Mit beiden rothen Händchen faßt.

Nun ſetzt es an, und trinkt, und trinkt‚

Durch alle Adern ſtrömt das Heil,

Und läßt nicht ab, und ſtöhnt vor Eil,

Faſt wird der Athem ihm verſetzt.

Des Alten Auge freudig blinkt:

„Mein Junge, ſprich, wie iſt dir jetzt?“

Doch kaum und unverſtändlich nur

Des Kindes Antwort ihn erreicht,

[415]
Das auf ſein Stückchen Brod gebeugt,

Natur, nach deinem weiſen Walten,

Das ſchwache Leben zu erhalten,

Gefahr zu fliehn, die es nicht ſieht,

Aus allen Kräften iſt bemüht.
Indeß hat draußen durch die Nacht

Ein Murmeln, Rauſchen ſich verbreitet,

Wie wenn erzürnte Woge ſchreitet;

Des Sturmes Stimme iſt erwacht.

Noch fern und hohl im Klippenſchacht,

Von Fels zu Felſen hört man's klagen.

Der Alte ſinnt: ſoll er es wagen,

Sich und ſein Liebſtes fortzutragen?

Bald iſt das Hospital erreicht! —

Ein Stoß um das Gewölbe ſtreicht,

Und heulend ſingt er über'm Dache

Das Todtenlied dem Grabgemache.

Am Boden leiſes Kniſtern irrt,

Die Thür in ihren Angeln klirrt;

Umſonſt! umſonſt! es iſt zu ſpät,

Der Wirbel durch die Steppe geht.

Und nun? Des Greiſes Blicke fragen,

Ob nirgends hier ein Plätzchen ſey

Noch unbeſetzt, vom Zuge frei.

Durch des Gewölbes Mitte ſtehn

Drei lange Bahren, ſind ſie leer?

Das Dunkel wirbelt drüber her.

Doch rechts und links und gegenüber,

Wohin der ſcheue Blick ſich richtet,

[416]
Wenn flieht ein Mondenſtrahl vorüber,

Der die zerrißnen Wolken lichtet,

Der bleichen Schläfer Reihn er ſtreift,

Die rings in Niſchen aufgeſchichtet.

Ein Antlitz halb dir zugewandt,

Hier braunes Haar, und dort gebleicht,

Aus jenem Winkel wie verſteckt

Sich eines Fußes Spitze ſtreckt,

Und dort ſich wächſern eine Hand

Wie abgetrennt vom Körper zeigt.

Wer iſt der Mann ſo unverzagt,

Den ſolch ein Anblick nicht erſchüttert?

Wenn über ihm, wie ſchmerzdurchzittert,

Die mitternächt'ge Stimme klagt,

Gleich Geiſtern durch der Nacht Revier.

Ein heimlich Flüſtern ziſcht und kocht,

Und an die ſchlecht verſchloßne Thür

Der Wind mit leiſem Finger pocht.

Dem alten Manne wird's zu viel,

Die Phantaſie beginnt ihr Spiel;

Auf ſeinem Haupt in jedes Haar

Scheint Leben und Gefühl zu kommen.

Mehr iſt der Athem ihm benommen

Als je vor Zeiten in Gefahr.

Den Steinbock hat er oft gehetzt,

Dem Lämmergeier ſich geſellt,

Und fröhlich pfeifend in die Welt

Dann über'n Klippenſpalt geſetzt.

Ein Andres, dem Geſchick ſich ſtellen

In friſcher Luft, auf freien Wellen,

[417]
Ein Andres iſt's, am Grabe ſtehn

Und ruhig dem verzerrten Ich

In's eingeſunkne Auge ſehn.

Sieh! wie ſchon wieder ſchauerlich

Der Strahl durch das Gewölbe ſtreicht,

Und dem betäubten Manne ſich

Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt

In das Gemäuer eingefugt.

Das iſt ja eben, was er ſucht!

Und muß nun ſeufzend ſich bereiten,

Die ganze Wölbung zu durchſchreiten.

Wie er die Schritte zögernd lenkt,

Die Augen bleiben ſcharf geſenkt,

Beinah' geſchloſſen, als er quer

Um eine Bahre wendet her,

Zu eilig; mit dem Fuße ſchwer

Trifft er an des Gerüſtes Stützen,

Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.

Die Bahre ſchwankt, er will ſich ſchützen,

Er gleitet; modriges Gewand,

Verwirrtes Haar ſtreift ſeine Hand.

Der Alte taumelt und erbleicht.

Wie jener Winkel noch erreicht,

Das weiß er nicht, hält immer feſt

An ſeine Bruſt das Kind gepreßt,

Und ſucht vergebens zu bezwingen

Der Phantaſie verſtörtes Ringen.

Die Wölbung dreht, die Mauern ſingen,

Ihm iſt, als hätte ſeine Hand

Des Todten Züge all ergründet;

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 27[418]
Er ſieht das große Augenband,

Das ſinkend die Verweſung kündet,

Und drüber her, zu treu! zu treu! —

So tragend eigner Schwäche Joch

Doch bleibt ihm das Bewußtſeyn noch

Und eben noch die Willenskraft,

Zu kämpfen gegen ſchnöde Haft.

Er ſinnt und grübelt allerlei,

Wie wohl zum Hospital der Weg?

Wie zu beſchreiten jener Steg?

Wie fern die Morgenſtunde ſey?

Sucht heitre Bilder aufzuwecken,

Als in der Scheibe Herzen ſtecken

Ein Jeder Benoits Kugel ſah. —
Indeſſen lehnt der Knabe da,

Des ſpäten Wachens ungewöhnt,

Und ſchaukelt ſich und ſeufzt und gähnt,

Ahmt leiſ' des Sturmes Stimme nach,

Verfolgend mit den ſchweren Blicken

Die Strahlen, ſo durch das Gemach

Zuweilen lichte Streifen ſchicken,

Ergötzlich, im beſchränkten Meinen,

Ihm an der Wand die Bilder ſcheinen;

Der klare Blitz, wenn ſich das Licht

In den metallnen Knöpfen bricht

Die Reih' entlang, ſo Funk' an Funken

Aufſprühn und ſich in's Dunkel tunken. —

Die Scene wechſelt, langſam ſtreicht

Ein Wolkenvorhang ſich zurück,

[419]
Und in die ganze Wölbung ſteigt

Der Mond mit ſeinem Geiſterblick.

Was noch verborgen war in Nacht

Wird an ein mattes Licht gebracht;

Aus allen Winkeln ſieht man's rücken,

Was niedrig lag ſcheint aufzuſtehn,

Und was erhaben ſich zu bücken.

Vorüber nun. In ſtarrer Raſt,

Wie Grabmal ſich an Grabmal faſt

In königlichen Grüften zeigt,

Am Boden ſchlummert das Gebein,

Und drüber her der Mann von Stein.

Um manchen Buſen ſpielt der Schein,

Mich dünkt ich ſeh' ihn ſinken, heben,

Und lange Athemzüge ſchweben.

Der arme Kleine wie bethört

An ſeines Vaters Buſen fährt.

„Großvater, ſchau! die Bilder leben,

Sie athmen All und wollen gehn!“

Den Greis durchzuckt ein leiſes Beben:

„Sey ſtill, es wird dir nichts geſchehn.“

Wohl denkt er an den nächt'gen Schein,

(Es fällt ihm manches Blendwerk ein,)

Und zögert dennoch aufzuſehn.
Und wieder hebt der Knabe an:

„Dort auf dem Tiſche ſitzt ein Mann;

Er ſitzt nicht, nein — er liegt ſchon wieder —

Und ſtand doch erſt ſo eben auf.“

Dann hebt die Aermchen er hinauf

[420]
Und zieht des Greiſes Stirne nieder,

Ihm flüſternd, mit verſtecktem Ton:

„Es iſt der Pfarr, ich kenn' ihn ſchon!

Er hat den Mantel umgeſchlagen

Und ſeinen großen weißen Kragen.“

Nun wieder fröſtelnd ſchaut das Kind

Mit offnem Munde, vorgebückt,

Dann an des Vaters Arm gedrückt:

„Wie weiß ihm ſeine Finger ſind!“

Der Alte ſucht mit allem Fleiß

Sich der Gedanken zu entſchlagen,

Die faſt wie Irrwahn ihn bedräun.

„Henry! du ſollteſt ruhig ſeyn,

Allein du weißt mich nur zu plagen.

Schlaf ein, ſchlaf ein, mein kleiner Sohn!“

Der Knabe bei dem harten Ton

Verſchüchtert ſich zur Seite ſchiebt,

Die müden Aeuglein reibt betrübt.

Sein Köpfchen ruht ſo loſ' und ſchlecht,

Auch iſt der Sitz ihm gar nicht recht,

Zu dick der Mantel hängt und ſchwer;

So lange rutſcht er hin und her

Bis, von dem harten Schooße gleitend,

Er auf den Grund die Sohlen ſetzt,

Und, wie ein Häschen matt gehetzt,

In's dürre Laub ſein Häuptlein reckt,

So aus die zarten Arme ſtreckt

Das Kind, um Vaters Leib ſie breitend,

Und bricht vor unverſtandnem Graus

In ganz geheime Thränen aus.
[421]
Doch jener, in ſich ſelbſt gekehrt,

Des Kleinen Stimme nicht beachtet,

Mit angeſtrengter Sorge trachtet

Die innern Feinde abzuwehren,

So pochend durch die Adern gähren.

Er birgt die Augen, ſinnt und ſinnt:

Zu Saint Remi, im Stübchen klein,

Was ſeine Tochter wohl beginnt?

Die Wände hell, die Schemel rein

Sucht er den Sinnen vorzuführen.

Vergebens! wunderlich berühren

Auch hier ſich Wirklichkeit und Schein;

Die todte Schweſter fällt ihm ein.

Gleich Träumen die Gedanken irren,

Im Ohre hallt ein feines Schwirren,

Ein Klingeln, ſeltſam zu belauſchen;

Es iſt des eignen Blutes Rauſchen,

Das, murrend ob der Adern Band,

Zum Haupt die Klagen hat geſandt.

So geht es nicht, ſo darf's nicht bleiben!

Der Greis, in ſeiner Seelenqual,

Beginnt die Glieder allzumal

Mit angeſtrengtem Fleiß zu reiben.

Des Mantels Rauſchen an der Wand,

Das Riſpeln ſeiner eignen Hand,

Des Haares Kniſtern, wenn er ſchwer

Streicht mit den Fingern drüber her:

Ein Laut des Lebens ſcheint dem ſchwachen

Bedrängten Buſen Luft zu machen.

Und dann — ein Schrei! woher und wie?

[422]
Des Alten Blut zu Eis gerinnt.

Er tappt umher: „Henry! Henry!

Wo biſt du nur? wo biſt du, Kind?“

Da wieder das Geſtöhn beginnt,

Und „Vater! Vater!“ und auf's neu'

„Mein Vater!“ wimmert's im Geſchrei.

Der Alte, nach dem Laut gerichtet,

Hat jenen Winkel bald erreicht,

Wo, ſchwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,

Sich dunkel eine Niſche zeigt,

Drin ſichtbar halb ein Leichnam ruht,

Auf breiter Stirn den Schweizerhut.

Und um des Todten Hand geklemmt

Der Knabe wimmert und ſich ſtemmt

Den lieben Vater aufzuwecken.

„Was machſt du, Henry? Kind, komm her!

Er iſt's ja nicht, er kehrt nicht mehr,

Du arme Waiſe!“ und im Schrecken

Hat er des Knaben Arm geſchüttelt,

Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,

Der Hut ſich in die Kante ſtellt,

Und dicht an ſeine Ferſe fällt.

Mit Einem Ruck des Kindes Hand

Befreiend, ſtürzt in tollem Graus

Der Alte in die Nacht hinaus.

Die Thüre hat er eingerannt,

Und klirrend ſprengt ſich hinter ihm

Die Feder ein mit Ungeſtüm.
[423]
Nur fern erſt an der Drance Rand

Gewinnen die Gedanken Stand.

Der Arm des Sturmes halb geſenkt

Nicht mehr ſo wild die Flagge ſchwenkt;

Doch auch das Mondlicht halb erbleicht

Ihm dämmernd nur die Richtung zeigt.

Getroſt, getroſt! kurz iſt der Weg,

Bekannt, betreten jeder Steg!

Nur immer vorwärts, immer reg',

Eh' dich im Schlummer Tod beſchleicht.

Ein Weilchen geht's mit hartem Muth,

Wie Noth ihn und Verzweiflung leiht.

Die Schatten dehnen ſich ſo breit,

Die Luft verrauſcht, entſchlummert, ruht;

Ein grauliches Gewölke ſteigt

Allmählig an den Mond hinauf,

Der einmal noch die Scheibe zeigt.

Dann dicht und dichter zieht es auf,

Ein Nebelſee, in hoher Luft;

So wallt und wogt und rollt der Duft,

Bis, durch den Horizont verbreitet,

Sich formlos eine Decke ſpreitet.

Nun fällt ein Flöckchen, unbemerkt,

Nun wieder, auf des Greiſes Hand,

Trifft hier und dort des Hutes Rand.

Nun das Geſtöber ſich verſtärkt,

Bis wimmelnd, in verwirrten Kriegen,

Die Flocken durch einander fliegen.

Dann, einer Staublawine gleich,

Entlaſtet ſich der Lüfte Reich.

[424]
So ganz entſchlafen iſt die Luft,

Daß ſich vernehmlich reibt der Duft

Und durch die eingewiegten Flächen

Der Glocke Stimme hörbar wird,

Die mild und lockend ſcheint zu ſprechen:

Kommt Alle her, die ihr verirrt!

Der Alte ſtutzt und bei dem Klingen

Gewaltſam ſich zuſammen rafft.

„O! könnteſt du mir junge Kraft

In meine alten Adern ſingen!“

Doch enger ſtets in Froſtes Haft,

Wie kleine ſpitze Dornen wühlen,

Muß er's in allen Muskeln fühlen.

Gleich einer Trümmer, überſchneit,

Er ſchleppt ſich durch die Einſamkeit;

Sein Mantel, ſeine grauen Locken

Sie ſtarren unter Eis und Flocken.

Oft von dem ſchlecht gebahnten Pfad

Der Fuß, getäuſcht durch falſches Licht,

Auf eine lockre Maſſe trat

Und ſtampfend ihre Decke bricht.

„O namenloſe Todesqual!

So nah, ſo nah dem Hospital!

Nur noch ein Steg, nur noch ein Paß,

O ſpannt euch an ihr Sehnen laß!

Mein armes Kind! allein um dich,

Nicht um mein Leben kämpfe ich.“

So tappt er fort. Die Bahn ſich neigt:

Der Alte hat den Sieg erreicht,

[425]
Den durch des Wirbels ſtäubend Rennen

Er eben, eben mag erkennen.
Die Drance in ihrem engen Bette

Sich windet um das Felſenriff,

Und drüber her, ein luftig Schiff,

Der Fichte Stamm vereint die Kette.

Am Tag', bei hellem Sonnenſchein,

Wer ſchaute ohne Schwindel drein!

Zudem der Steg, jüngſt überſchwemmt

Von aufgelöſ'ten Schnees Wogen,

Mit Eiſes Rinde iſt umzogen,

Die ſich zu glatten Hügeln dämmt.

Hier ſteht der Greis in ſeinen Nöthen,

Der nichts mehr kann und nichts mehr weiß

Und ſachte noch verſucht zu beten;

Schiebt dann voran die Sohle leiſ'.

Schau! wie auf dem beglaſ'ten Bogen

Um einen Tritt er vorwärts ſchreitet;

Er ſteht nicht feſt, er ſchwankt, er gleitet,

Er iſt verloren — nein — er ſteht.

Mit blindem Glück zurück gezogen

Sein Fuß auf feſtem Grund ſich dreht.

Zuerſt der Alte ganz betäubt

Am Rand der Kluft gefeſſelt bleibt:

Dann, wie aus plötzlichem Entſchluſſe,

Den Mantel ſchiebt er von der Bruſt

Und herzt mit langem, langem Kuſſe,

Dem letzten irdiſchen Genuſſe,

Das Kind in Scheidens bittrer Luſt.

[426]
Und nun: „Wohlan! es ſey gewagt!

Uns hier der Morgen nimmer tagt.“
Doch horch! ein Klang die Luft durchweht.

Der Alte ſteht und lauſcht und ſteht —

Ein Zittern durch die Züge geht.

Auf's neu' der Ton herüber treibt,

Doch ſchwach nur unter'm Winde bleibt.

„Henry! Henry! leih mir dein Ohr!

Mein guter Junge, lauſch hervor!“

Das Kind nur zögernd und betrübt

Sein fröſtelnd Häuptlein aufwärts ſchiebt,

Ein Thränchen flirrt um Wang' und Mund:

„Großvater! 's iſt ja nur ein Hund!“

„Iſt's auch gewiß ein Hund, der bellt?

Mein Gott! du ſahſt die bittre Qual!

Dann ſey's in deine Hand geſtellt,

Dann wag' ich's nicht zum zweiten Mal.“

Er ſteht und horcht: und horcht und ſteht,

Auf's neu' der Wind den Klang verweht.

Nun wieder heller — ha! ſie nah'n;

Schon räumt der greiſe Mann die Bahn.

Ganz nah — ſie drehn um jene Bucht; —

Ein Weilchen ſtill — dann, wie zum Spott,

Ganz aus der Ferne — heil'ger Gott!

Sie ziehn vorüber an der Schlucht.

Des Alten morſcher Körper nicht

Erträgt die Laſt des Schreckens mehr.

Es flirrt, es wirbelt um ihn her,

Noch hält er ſich, noch ſinkt er nicht.

[427]
Doch höher ſchon die Schauer ſteigen,

Allmählig ſich die Knie neigen,

Noch einmal ſeufzt er auf in Weh

Und fällt dann taumelnd in den Schnee.
Die Luft, ſo auf und niedergeht,

Jetzt friſchen Klang herüber weht,

Nicht klaffend, wie zu Jagd und Luſt,

Nein, gleich dem Ruf aus Menſchenbruſt,

Mit kurzen wiederholten Stößen,

Wie Wächter die Signale löſen,

Verhallend oft in Windes Rauſchen

Der Ton auf Antwort ſcheint zu lauſchen.

Nun wiederum in weiten Reifen

Sie ſpürend durch die Gegend ſchweifen

Bald fern, bald näher; wie im Traum

Der Greis vernimmt die Laute kaum.

Nur einmal zuckend ſeine Hand

Dem Knaben klemmt ſich in's Gewand.

Kein Schmerz mehr durch die Nerven wühlt,

Kein Glied er mehr als eignes fühlt.

Nur wie von tauſend Ketten ſpielt

Im Haupt ein wunderliches Klirren;

Die Töne wechſeln — ſich verwirren —

Nun wird's zum Klingeln — nun zum Schwirren —

Nun wie ein linder Hauch vergeht's —

Und leiſer — leiſer — leiſer ſtets,

Er ſchläft — —
[428]

Zweiter Geſang.

Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht

Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau,

In ſeiner Trümmer Irrgeflecht

Ein Thal ſich lagert, eng und rauh.

Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen,

Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen,

Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen.

Inmitten ſchwärzlich ruht der See,

Der des verlornen Strahles Weh

Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen,

So dort gleich dem Gefangnen liegt,

Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt,

Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen.

Und nah dem unwirthbaren Strand

Das Hospital ſteigt in die Höh'

So ſchlicht wie eine Klippenwand,

Der Wandrer unterſcheidet's nicht.

Nur wenn ein Klang die Stille bricht,

Vom Hochaltar das ew'ge Licht

Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein

Wirft in das Schneegefild' hinein,

Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt,

Der wahrlich ſonſt vorüber glitt.

Denn in der Dämmrung ungeſtalt

Erſcheint es wie ein Felſengrat

Rings eingekerbt von weitem Spalt.
[429]
Doch jetzt ein Flockennebel kraus

Löſcht duftig alle Formen aus.

Die Schneenacht dieſer ew'gen Wüſte,

Als ob ſie nimmer enden müßte,

So dicht die Mauern hält umrungen,

In jede Zelle iſt gedrungen.

Auf allen Wimpern liegt der Mohn,

Und nur des Schlafes tiefer Ton,

Wie er bejahrter Bruſt entſteigt,

Geſpenſtig durch die Gänge ſchleicht.

Ein Augenpaar noch offen ſteht.

Nachläſſig, in verklommten Händen,

Der Mönch des Glockenſtranges Enden,

Sich auf und nieder windend, dreht.

Ermüdung kämpft in ſeinen Zügen,

Die Nacht iſt ſtreng, der Dienſt iſt ſchwer.

Wie die Gedanken abwärts fliegen,

Er wirft den düſtern Blick umher,

Zumeiſt ſein Auge iſt gericht't

Doch immer auf den Eſtrichgrund,

Wo ew'ger Lampe ſchlummernd Licht

Geträumet hat ein mattes Rund.

In dieſer todten Einſamkeit

Der Bruder ſich des Schimmers freut.

Er weiß es ſelbſt nicht wie ihm iſt,

So öd', ſo öd' zu dieſer Friſt.

Das Dunkel, das im Bethaus waltet,

Der leeren Bänke Reih'n, ein Bild,

Das ſcheinbar aus der Niſche quillt,

Und von der Decke hochgeſtaltet,

[430]
Manch' grauer Heil'ger zürnend ſchaut.

Zudem — das Eis an Wänden hängt,

Vom Glockenſtuhl ein Luftzug drängt,

Wie endlos Bommeln über'm Haupt

Schier die Geduld dem Bruder raubt.

Ob denn die Stunde nimmer endet?

Doch ſtill! die Kloſteruhr ſich wendet:

Eins — zwei — und drei — das Echo dröhnt,

Und auch der Mönch die Glieder dehnt.

Er läßt den Strang, im Spähn verloren,

Ihm ſummt's noch immer vor den Ohren.

Nun knarren Thüren, ſchlurfen Tritte,

Ein Lichtſtrahl durch die Ritze gleitet;

Dann, haltend vor des Auges Mitte

Sein Lämpchen in gebräunter Hand,

Hervor Denis der Alte ſchreitet.

Längſt vom Geſetz dem Dienſt entbunden

Hat er ſich nimmer drein gefunden,

Ein eifervoller Gottesknecht,

Behauptend ſeiner Pflichten Recht.

Grau iſt ſein Haar wie ſein Gewand,

Und da er bleibt am Pförtchen ſtehn

Den Finger mahnend aufgehoben,

Du meinſt den Alpengeiſt zu ſehn.

„O Eleuthère! ſoll man dich loben?

Mein junger rüſtiger Geſell,

Ermatteſt du im Dienſt ſo ſchnell?“

Der Bruder läßig faßt den Strang

Und läßt ſogleich ihn wieder fallen;

„Dem Vater wird die Zeit wohl lang;

[431]
Ihr ſeyd der Rüſtigſte von Allen.“

Dann ſteht er, ſtreicht mit flacher Hand

Die Falten von der Stirne Rand:

„Nehmt's, Vater, heut nicht ſo genau,

Die Nacht war gar zu wüſt und rauh,

Mir friert das Hirn am Schädel an.“

„Schlaf wohl!“ verſetzt der alte Mann.

Sein Lämpchen zündet Eleuthère,

Zupft an dem Dochte mit Bedacht,

Und nickt und murmelt drüber her:

„Hab' ich mich je dem Dienſt entzogen,

Wenn Schnee die Päſſe gleich gemacht,

Und jede alte Spur getrogen?

Allein, was in der Jahre Lauf,

Uns reibt am allermeiſten auf,

Dies Läuten, Läuten durch die Nacht,

Wo nicht das Schneehuhn kommt hervor,

Wo nicht der Uhu ſelber wacht,

Wo auf dem Bernhard klimmt kein Thor;

Und wir!“ Er hebt die Lamp' empor.

An dem Gemäuer, überall,

Steigt glitzernd auf der Eiskriſtall,

Daß klar, wie in polirtem Stahl,

Steht geiſterhaft der kleine Strahl.

„'S iſt eben eine hieſ'ge Nacht,“

Verſetzt Denis, „doch kannſt du ſagen,

Dich habe Trug hieher gebracht

Zu Ruhe und bequemen Tagen?

Und, Eleuthère, wie magſt du wiſſen,

Daß Niemand in der Steppe wacht?
[432]
Ich ſelbſt hab' in Decembernacht

Vor Zeiten dieſen Weg gemacht.

Ich macht' ihn, hab' ihn machen müſſen,

Und, rathlos am Montmort gebettet,

Hat unſer Glöckchen mich gerettet.

So treibt die Noth“ — der Alte ſchweigt,

Doch nieder auf den Strang ſich beugt,

Und angeſchlagen mit Gewalt

Das Glöckchen durch die Steppe ſchallt.

Dann — „ſtill! rief's meinen Namen nicht?“

„Nein, Vater.“ „Haſt du nichts vernommen?“

„Ein Schnauben, Scharren?“ Jener ſpricht:

„Iſt's möglich! unſre Hunde kommen.“

„Still! Bruder, ſtill!“ — Man horcht auf's neu;

Ein leiſes Winſeln ſchleicht herbei

Vom Kloſterthor, ein Stoßen, Kratzen,

Ein Rütteln wie mit ſchweren Tatzen.

„Schnell, Eleuthère! ſchnell aufgemacht!

Schau, was der Barry uns gebracht!“

Denis, gebannt am Glockenſtrang,

Doch immer ſchaut den Weg entlang.

Nun nahen Tritte, ja gewiß —

Die Gänge tappt's hinauf — allein

Ein Hund ſcheint's und ein Menſch zu ſeyn.

Das Pförtchen öffnet ſich. „Denis!“

Ruft Eleuthère, „o ſeht doch hier

Das gute kluge treue Thier!“
Und nach ihm, ſchwer ermüdet, wankt

Der große Hund in die Kapelle;

[433]
Er dreht die Augen rings, er ſchwankt,

Ihm hängt das Eis vom zott'gen Felle,

Auf ſeinem Rücken liegt ein Kind,

Ein armes Knäbchen, ſchier erfroren:

Voll Reifen ſeine Löckchen ſind;

Die Hände hat es eingeklemmt

In ſeines Trägers rauhe Ohren,

Mit ſchwachen Beinchen ſich geſtemmt

Um Barry's Leib: in Angſt verloren

Wagt's nicht zu ſchrein, nur allgemach

Ein Thränchen rinnt dem andern nach.

„O Barry, brav!“ der Bruder hebt

Das Kind empor, das ſchaudert, bebt,

Sich immer noch nicht faſſen kann,

Die kalten Händchen nun und dann

An ſein geblendet Auge hebt,

Und von dem wunderlichen Mann,

Der, fort es tragend koſ't und ſchilt,

Sich angſtvoll loszuwinden ſtrebt.

Hart nebenher, das Ebenbild

Des Mönches ſchier, die Dogge trabt,

Mit gleicher Einſicht faſt begabt,

Der auch den Knaben will ergötzen,

Glutäugig, mit gehobnem Haupt

Gar liebreich in die Höhe ſchnaubt,

Und tummelt ſich in wüſten Sätzen;

Peitſcht mit dem Schweif, ſteigt gähnend auf,

Streckt ſeine breite Tatze auf

Bis an das Kind, das vor Entſetzen

Beginnt zu ſchrei'n, der Hund zu bellen:

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 28[434]
Die Fenſter klirren, alle Zellen

Beleben ſich, und vorgeduckt

Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.
Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n,

Das Kindchen unter ihrem Dache,

Da iſt's, als ob die Sonne, traun!

Auf jedem Angeſicht erwache.

Und alle eilen, wie bethört,

Ihm irgend Gutes zuzufügen;

Auf die Geſchichte keiner hört.

Das iſt das heilige Vergnügen,

Das iſt die unverſtandne Macht,

So über Kindes Leben wacht!

Der Infirmier * mit leiſer Hand

Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen,

Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,

Und heimlich, an der Zellenwand,

Ein alterſchwacher Mönch ſich müht

Den kleinen Korb herabzuſtellen,

Darin nach ſeiner thör'gen Art

Er gute Biſſen aufgeſpart.

Dem Pater Koch nicht ſchnell genug

Das Reiſig will die Flamme zollen.

Dort Einer bringt ein warmes Tuch;

Doch — horch! die Gitterpforten rollen. —

„Der Prior!“ läuft's von Mund zu Mund.

Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund,

[435]
Die Mönche mit den Brüdern ſchelten

Und laſſen ſie den Lärm entgelten;

Zur Zelle ein Noviz ſich ſchleicht.

Der Prior naht, geſetzt, doch leicht.

Die Schritte, ſchon vor manchen Jahren,

Der ſchlanken Gemſe tödlich waren,

Als auf dem Montblanc dieſe Hand

Vergebens nie den Schuß entſandt.

Und der Gewohnheit zähes Band

Verräth ſich noch bei grauen Haaren;

Ja, dieſer blauen Augen Blitz

Scheint noch zu ſpähn des Geiers Sitz;

Den Stab er in der Mitte faßt,

Wie einſt der Doppelbüchſe Laſt.

Fürwahr! als einſt, gedankenſchwer,

Berathend in der Brüder Kreis

Er zum Brevier griff ungefähr,

Sah man das heil'ge Buch ihn ſchütteln,

Wie's Pulverhorn die Jäger rütteln.

So leiſ' und feſt die Schritte greifen.

Nun, redend, an des Gurtes Strang

Die Sehne ſcheint er noch zu ſtreifen.

„Was, Brüder, zaudert ihr ſo lang?

Der Barry hat das Kind gebracht,

Allein wer nahm das Kind in Acht?

Wo iſt der Mann, wo iſt die Frau,

So auf den Bernhard es getragen?

Seyd Väter ihr umſonſt ſo grau?

Muß euch des Hundes Witz verklagen?

Seht, wie das arme Thier ſich müht,

[436]
Euch eure Pflichten anzuſagen,

Wie's den Eugene am Kleide zieht!

Ja, Barry, ſolche Läſſigkeit

Erfährſt zum erſten Mal du heut!“
Hier wirft er einen Blick umher,

Der trifft nur wen'ge, aber ſchwer;

Zwei Brüder nur, von Schüchternheit

An ihren Plätzen feſtgehalten.

Schon in den Zellen ſind die Alten,

Schon zur gefahrumgebnen Fahrt

An dieſes Schneemeers falſchen Küſten

In Eile ſich die Jungen rüſten.

Bereit nun alles. Aus dem Thor

Sechs Brüder treten haſtig vor

Im Schneelicht wie ein Geiſterchor.

Die grauen Mäntel, Kappen rauh,

An ihrem Fuß der Filzſchuh grau,

Gewirkte Gürtel um die Lenden,

Der Eiſenſtachel in den Händen.

Und ihrer zwei an Stangen auch,

Die arme Leiche einzuſchlagen,

Ein feſtgerolltes Leilach tragen.

Voran, in der Laterne Schein,

Die Funken ſendend über'n See,

Tritt feſten Schritts der Marronier; *

Den Alpſtock trägt er in die Höh',

So kühn wie den Kommandoſtab

[437]
Der Feldherr über Schlachtfelds Grab.

Er kennt die Stege, jeden Stein:

Ein Felsgeäder ſichtbar kaum,

Des Schneehuhns überjährig Neſt,

Geborgen in der Spalte Raum,

Das Strombett ſich nur wenig dehnend,

Ein Block ſich an den andern lehnend

Stellt ihm ſogleich die Richtung feſt.

Denn täglich in des Hunds Geleite

Grüßt er die todtdurchhauchte Weite —

Ja, jeden Tag und ganz allein!

Drum man zu dieſem Amte ſchafft

Den Beſten ſtets an Muth und Kraft.

Doch ſeht, wer miſcht ſich in den Zug?

Gebeugt, mit angeſtrengtem Schritte

Denis iſt in der Brüder Mitte.

Du Alter, haſt du nicht genug

Durch dreißig ſaure Jahr' getragen?

Nein, heute muß er es ſchon wagen.

Ihm Eleuthère, des Trägen, Wort

Bohrt wie ein Dorn im Herzen fort.

Da hilft kein Mahnen, kein Verſagen:

Sie ſollen ſehn, die Leute jung,

Der Alte thut auch noch genung.

Schau, wie voran in weiten Sprüngen

Den ſtarken Leib die Hunde ſchwingen,

Dickmaulig, ſcheckig, lang von Haar,

Feſt in den Gliedern ganz und gar,

Nicht Wachtelhund, nicht Dogge ganz,

Halb Spaniens, halb Englands Race

[438]
Iſt's eine eigne edle Klaſſe.

Die Augen drehn in klugem Glanz,

Bei jedem Sprunge Schellchen klingen

An ihrer Nacken Lederringen.

Barry voran, obgleich in Scheiben

Und Schollen ſich die Zotten reiben,

Der Barry mag zu Haus nicht bleiben.
Bald geht es abwärts; näher ſchon

Die ungeheuren Maſſen drohn.

Den Todtenſchädel reckt Montmort

Und ſcheint den Wanderern zu nicken.

Der Weg, beengt von Felſenſtücken,

Die längs der Mutterklippe Rand

Entrafft des Winterſturmes Hand,

Muß oft an das Geſtein ſich drücken;

Dann ſchlingt er mühſam ſich heran,

Springt über eingeſchneite Zacken;

Die Brüder wandeln Mann für Mann,

Und ziehn die Kappen in den Nacken.

Zuerſt manch abgebrochnes Wort

Fliegt durch die Reihe hier und dort,

Vom letzten Zuge, jener Frau,

Die halb erſtarrt man heimgetragen;

Was in den jüngſten zwanzig Jahren

Das Hospital an Leid erfahren,

Gezählt an Kranken und an Bahren:

Der Marronier weiß ganz genau

Dir jeden Umſtand herzuſagen.

Doch ſteiler ſinkt der Pfad; vom Schaft

[439]
Geſtützt, eindrängend mit Gewalt

Den Stachel in des Eiſes Spalt,

Die Brüder nur mit ganzer Kraft

Der ſtrammen Sohle Gleiten hemmen.

Und immer, immer näher ſich

Die glimmerblanken Riffe klemmen:

Steil, zackenreich, ein Rieſenſchloß,

Wo aus geſpaltner Scharten Hort

Sich niederdrängt des Winters Zeichen,

Als wollten Rieſenjungfrau'n dort

Im Nebelthau die Schleier bleichen.

Und oben drauf an Zinnenwand

Die wunderlichſten Steingeſtalten,

Und einen Zoll breit nur vom Rand

Im Gleichgewichte ſcharf gehalten,

Noch aufrecht, zu getreuer Wacht.

Doch weiter — und in Schlummers Macht

Die Häupter immer ſchwerer neigen,

So ſchwindelnd an einander beugen,

Daß kaum in ſeinem höchſten Stand

Läßt einen Strahl der Sonnenbrand

Auf Augenblicke niederſteigen.

Oft Einer an des Andern Hand

Die frommen Brüder, keuchend nur,

Ein Jeder in des Vormanns Spur,

Verſtummt auf ihre Tritte achten,

Als noch des Himmels karger Schein

Verliſcht, und nur die Leuchte klein

Flammt heller auf bei tiefrem Nachten.

Sieh an des Glimmers reinen Scheiben

[440]
Den Strahl ſich mit Geflatter reiben,

Ein Silbernetz auf Felſen webend,

Und an der Brüder Kutte bebend,

Die reiferglänzend ganz und gar

Nachziehn wie des Kometen Haar.
Wie lang die Schlucht, die Nacht wie kalt!

Des Nordes ſchneidende Gewalt

Strömt langſam durch die ſchmale Gaſſe,

Sich öffnend nur nach Mitternacht.

Die Brüder mit der Sohle Rand,

Und wechſelnd dieſer, jener Hand

Den Schaft der Eiſenſtange ſchlagen,

Daß nicht der Froſt die Glieder faſſe.

Nur kaum vermögen ſie's zu tragen;

Und Einen hört man heimlich klagen,

Der noch in keiner ſolchen Nacht

Den Kloſterzug hat mitgemacht.

Frei wird die Bahn, doch milder nicht;

Der Wind ſich an den Klippen bricht,

Und wirft ihm Flocken in's Geſicht.

„Hätt' er's gewußt, hätt' er's gedacht!

Es iſt zu arg! und“ — horch! ſie lauſchen,

Nicht fern ſeitab Gewäſſer rauſchen,

Doch kollernd, dumpf, wie überdacht

Von einer Röhre hohlen Gängen.

Die Hunde ſchnaubend näher drängen,

Und Barry plötzlich wie gehetzt

Zur Seite in den Flugſchnee ſetzt;

Steht ſtill dann, winſelt, ſchaut ſich um

[441]
Dann fort er watet, mühvoll ſtöhnend,

Verſinkend oft, nun auf ſich dehnend,

In kurzen Sprüngen weiter jetzt:

Und immer mit geſtoßnem Laut

Er rückwärts nach [den] Brüdern ſchaut.

Voran der Marronier, geſchürzt,

Sein Mantel unter'm Arm ſich kürzt;

Die Brüder nach mit weiten Schritten,

Verſenkt bis an des Leibes Mitten;

Und rechts und links die Hunde klimmen,

Im aufgerührten Schneemeer ſchwimmen.

So vorwärts; „halt! der Führer ruft:

Hier ſteh'n wir an der Drance Kluft!

Nicht weiter!“ Aber Barry leicht

Mit Einem Satz den Stamm erreicht,

Der zweier Felſen Rücken bindet;

Tief drunter ſich die Drance windet,

Wo aus geſprengten Eiſes Spalt

Das Waſſer brodelt mit Gewalt.

Nur einmal ſich der Barry ſchüttelt,

Die Flocken aus dem Pelze rüttelt,

Im Hui ſchwindet: längs der Kluft

Hört man ihn rauſchen über'n Duft.
Der Marronier die Leuchte jetzt

Dicht an den Rand der Tiefe ſetzt.

Auf ſteigt die alte Fichte weiß,

Ein ungeheurer Zapfen Eis,

Wo überall gleich Bergkryſtallen

Die blanken Stengel abwärts fallen,

[442]
Wie ſich der Tropfſtein bildet leiſ'

In feuchter Grottenwölbung Hallen.

Und drunten das Gewäſſer ſchäumt,

Sich ſprühend an der Scholle bäumt,

Wirft Perlen auf, in Bogen ſpringt

Und tiefe heiſ're Weiſen ſingt,

Bis, nicht zu fern, des Winters Macht

Auf's neu' in Feſſeln es gebracht,

Wo pfeilgeſchwinder Wellen Zug

Des Strudels Macht verräth genug.
Die Brüder ſtehn und ſehn ſich an. —

Der Marronier der feſte Mann

Streicht mit den Fingern bald die Sohlen,

Bald prüfend auf den Steg ſie reibt

Und in die Tiefe blickt verſtohlen.

Kopfſchüttelnd ſpricht er: „Brüder, bleibt!

Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen;

Der Wildbach hat den Steg beſchwemmt,

Seht, wie das blanke Eis ſich dämmt:

So ſey die Leiche Gott befohlen!

Was für den Lebenden uns Pflicht,

Das bleibt es für den Todten nicht.

He, Barry! Barry!“ Aber dicht

Von drüben Wind und Stromes Rauſchen

Ein wohlbekannter Ruf durchbricht,

Erſt kurz, geſtoßen — Alles ſtill —

Dann folgt ein ungeduldig Heulen,

Man hört ihn hin und wieder eilen;

Nun ſcheint er an der Kluft zu lauſchen,

[443]
Wo über'm Rande, weiß umhegt,

Ein matter dunkler Fleck ſich regt. —

Und plötzlich in des Steges Mitte

Erſcheint die zottige Geſtalt:

Ein Sprung — ſich vor den Brüdern ſchmiegt

Das fromme Thier; es winſelt, keucht,

Am Marronier ſich angſtvoll ſtreicht,

Zupft an den Kleidern mit Gewalt.

„Ich fürcht' — ich hoffe — ja, ich glaube —“

Haucht ein Noviz, der Angſt zum Raube,

„Was trüben liegt, todt iſt es nicht.“

Und „Barry! alter Barry!“ ſpricht

Der Führer, ſtreichelt ſanft das Thier,

Vielleicht zum erſten Mal verlegen

In ſeines Amtes ſchwerem Segen.

Da ſtöhnend durch den Schnee ſich bricht

Denis, die morſchen Kniee ſchüttern,

Vor Zorn mehr als Erſchöpfung zittern.

„Zurück! ruft er, ich will voran!“

Trifft mit dem Arm und grimmen Blicken,

Was ſchnell nicht aus dem Pfad kann rücken,

Und vorwärts bricht der rauhe Mann.

Betäubt, faſt willenlos die Brüder

Geſtalten einer Kette Glieder;

Nun vorwärts, mit verſchränkten Händen;

Der Himmel mag ein Unglück wenden!

Er hat's gewandt: tief athmend ſetzt

Jenſeits den Fuß der Letzte jetzt.
Nur einen Blick, der war nicht ſüß,

Schenkt den Genoſſen noch Denis,

[444]
Brummt etwas noch von „trägen Hunden;“

Dann hat er ſchon den Ort gefunden,

Wo an die Felſenwand geſchmiegt

Benoit der alte Senne liegt,

Und neben ihm der Barry gut,

Der Wanderſtab, der breite Hut,

Sein Mantel, oben feſtgehalten

Durch der erſtorbnen Finger Band,

Scheint, unten offen, aus den Falten

Gezerrt von ungeſchickter Hand,

Wo in dem Schnee ſteckt tief genug

Die Flaſche, ſo der Barry trug.

Zu Nacht gefallne Flocken haben

Den Körper mehr als halb begraben.

Wenn nicht ein Knie ſich aufwärts ſtreckt,

Man hätt' ihn nicht ſo bald entdeckt.

Herbei, Elias' fromme Raben!

Stemmt euch, hebt, hebt, das Leilach breitet!

Die ſteifen Glieder, drein geſchlagen,

Ein Bruderpaar ſich ſtumm bereitet

Auf ſeinen Schultern heimzutragen.

Derſelbe Paß, erhöhte Noth!

Bräch' jetzt hervor des Mondes Licht!

Auf allen Zügen ſteht der Tod,

Doch keine Lippe widerſpricht.

Zuerſt der Marronier gebeugt

Dicht an den Steg die Leuchte ſtreicht,

Daß jeder ſieht zu jeder Seite

Der überglaſ'ten Wölbung Breite.

Schwieg jetzt des Strudels Rauſchen auch,

[445]
Man hörte keines Athems Hauch,

Und Mancher ſchlöſſ' die Augen gar,

Doch reißt ſie offen die Gefahr.

Nur langſam — flach den Fuß geſetzt —

Des Vormanns Stange Jeder faſſe —

Und ſeyd auf einen Ruck bereitet,

Wenn Einer ſchwankt, wenn Einer gleitet;

Nur immer langſam — Schritt vor Schritt. —

Ha! auf den Grund der Erſte tritt

Und zieht mit ſeiner feſten Hand

Die ganze Kette an den Strand.

Und Jeder, wie er fühlt das Land,

Den Athem ſtößt mit voller Kraft

Aus der befreiten Kehle Haft.

Dem Himmel Dank! das war ein Wagen!

Hat Niemand es zu künden Luſt?

Doch war ſich Keiner in der Bruſt

Nur Eines ſichern Schritts bewußt,

Und Keinem blieb, ſo kühn er ſey,

Das Auge klar, Bewußtſeyn frei,

Als ſie, wo drunten Wogen ſpühlten,

Der Sohle leiſes Gleiten fühlten,

Und in der Hand verklommen, zitternd

Die Stange hin und her ſich ſchütternd.

Ja, Gottes Huld hat ſie getragen,

Des Herrn, ſo ſprach: „Ich bin dein Reich,“

Und: „Meinen Engel ſend' ich euch.“
Erſt ſpäterhin und fern vom Stege

Löst mählig ſich der Zungen Band,

[446]
Und wenn auch auf demſelben Wege,

Den früher man ſo übel fand,

Scheint doch, nach dem was man befuhr,

Ein Kinderſpiel die Heimfahrt nur.

Entſchloſſen wird der Fuß geſetzt,

Was ſchlüpfrig ſonſt, ſcheint ſicher jetzt;

Auch klimmt ſich's leichter wohl hinan

Als abwärts auf beeister Bahn.

Nah iſt der Tag, der Froſt gewaltſam;

Allein die Luft, da man gekehrt,

Den Wandernden ſo unaufhaltſam

Nicht ferner in die Augen fährt.

Und wer ſie hört, nicht ſollt er ſagen,

Daß dieſe einen Leichnam tragen;

So überſtandne Fährlichkeit

Die Herzen ſtimmt zur Heiterkeit.

Man lockt die Hunde, lobt und ſtreichelt,

Geplauder wechſelt durch die Reihe,

Zumeiſt bei der Gefahr es bleibt;

Und, wie's der Phantaſie nun ſchmeichelt,

Wenn Dieſer ſpricht mit Heldenweihe,

Die Schrecken Jener übertreibt.

Der Marronier auch redet drein,

Die Träger ſelber ſtimmen ein;

Sogar das Lachen überraſcht

Den Jüngſten, als ein Bruder gleitet,

Nach der entfallnen Kappe haſcht

Und ſtolpernd auf dem Alpſtock reitet.

Doch wen dort, als von ungefähr

Der Lampe Schimmer ſich verbreiten,

[447]
Sieht hinter'm Zuge man von weiten?

Denis! Wird ihm der Weg ſo ſchwer?

Man ruft und harrt, er ſchreitet an.

„Reicht mir die Hand!“ Ein Bruder ſpricht:

„Stützt euch auf mich!“ Der alte Mann

Erwiedert: „Müde bin ich nicht.“

Dann ſetzt er an mit feſtem Schritt

Und rüſtig in die Reihe tritt.

Was wohl den Mann betroffen hat?

Nicht kraftlos ſcheint er, in der That!

Und doch ihm in ſo kurzer Friſt

Die Stimme klein geworden iſt.

Wie das Geſpräch ſich wieder rege,

Er wandelt ſtumm und träumend fort,

Und fällt auch wohl ein ſchlimmes Wort,

Daß allzuviel in dieſer Nacht

Um eine Leiche ſey gewagt,

Nur tiefer ſich der Alte bückt,

Nur in den Schnee die Ferſe drückt,

Und der, ſo geht zunächſt im Wege,

Meint, täuſch' ihn nicht des Froſtes Kniſtern,

Er höre ſchwere Seufzer flüſtern.

Was wohl das gute Mönchlein quält?

Dem alten treuen Männchen fehlt?
Indeſſen, nun zum zweiten Mal,

Hat man die Klippenſchlucht betreten;

Hier ſind die Sinne all vonnöthen.

Hu, wie der Wirbel ſtreicht durch's Thal!

Die Luft gleich Aether ſcharf und fein!

[448]
Sogar die Worte frieren ein.

Und wieder hört man durch die Stille

Der Mäntel Reiben an den Kappen,

Des Tritt's Geknarr, des Alpſtocks Klappen;

Ein Jeder ſchmiegt ſich in die Hülle,

Und treibt den Fuß, ſo ſehr er kann,

Voran, und immer nur voran.

Das Lampenlicht, was hier zuvor

Um Vließe duftbeſtreut geflogen,

Trifft ſie mit Eiſe jetzt umzogen,

Und ganz von Glas erſcheint der Chor.

Voran, voran! zieht ſacht den Hauch,

Und ſtreicht die Kappe dicht an's Aug'!

Voran! — Schaut nicht die Klippe hier

Faſt wie ein formlos wüſtes Thier?

Hier ein verſtümmelt Rieſenhaupt,

Das rechte Aug' iſt ihm geraubt.

Voran, voran! — Was flattert dort?

Ein Lämmergeier, aufgeweckt

Aus ſeinem Lager, flieht erſchreckt,

Gefangen in des Paſſes Enge.

Seht, wie er angſtvoll krallt die Fänge!

Zurück! zurück! er naht dem Licht.

Und nun er über'm Leilach ſchwebt,

Mit ausgeſpanntem Fittig bebt.

Die Lampe bergt! Da ſteigt er auf,

Um's Rieſenhaupt noch einmal kreiſend

Und pfeifend, daß die Gaſſe ſchallt;

Und nun verſchwimmt er in die Nacht.

Noch einmal, ſein Gekreiſch verhallt.

[449]
Gottlob! jetzt hebt die Leuchte auf!

Leicht wird des Weges Reſt vollbracht,

Ein Schimmer, nach dem Ausgang weiſend,

Des Tages erſter Bote ſcheint.

Ganz recht! hier öffnet ſich das Thal!

Die Brüder ſchau'n empor zumal:

Montmort ſteht ſchwarz, die Jungfrau grau:

Doch ſüdlich im verſenkten Blau

Die mächt'ge Roſenkuppel ſchwebt,

Bewegungslos am Aether hängt,

Und unter ihr Gewölke webt.

Es iſt die Stirn, ſo ſtets empfängt

Den erſten Strahl der niederſank,

Es iſt der Alpenfürſt Montblanc.
Allein des Dunkels Ueberreſt

Verdoppelt auf die Fläche preßt;

Formloſe Maſſen noch, die Höh'n

Im Horizont verſchwimmend ſtehn.

Nur links am breiten Felſenthurm

Erſcheint, ein mächt'ger Feuerwurm,

Die ew'ge Lampe, deren Strahl

So milde winkt in's Hospital.

Noch tauſend Schritt — die Wandrer keuchen,

Noch hundert Schritt — ſie ſtehn am Thor.

Und eben bricht, ein glühend Zeichen,

Verſchämt der Jungfrau Stirn hervor.

Was zaudert Bruder Pförtner noch?

Vielleicht vom Schlummer aufgeſtört!

Du alter Benoit, hat dich doch

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 29[450]
Dein Wunſch in's Hospital gebracht!

Ach, anders gar wie du gedacht.

Da klinkt das Schloß, und eben hört,

Als grade ſie ins Thor ihn tragen,

Man ſechs die Kloſterglocke ſchlagen.
Der Infirmier indeß zu Nacht

Durch Schmeicheln und geduld'ges Fragen

Vom Knäbchen hat herausgebracht:

Wie Mutter ſchon vor vielen Tagen

Geſchlafen, Vater auch nachher,

Der wenig Stunden krank geweſen,

Und beide gar nicht wachten mehr.

Wie anders dann Großvaters Weſen,

Wie ſein Geſicht geworden ſchmal;

Und wie er geſtern erſt vom Thal

Bei argem Froſt und harter Müh'

Getragen ihn auf üblen Wegen

Und viel verzählt von St. Remi,

Wo Tante Roſe ganz genau

Ihn wie die Mutter werde pflegen,

Etienne la Borte des Sennen Frau.

O wohl mein armer Henry dir,

Daß du entſchlummert unter Klagen,

Da ſie vorbei an deiner Thür

Jetzt deinen guten Aetti tragen!

Sähſt du ſo blau das Antlitz treu,

Zu ſtillen nicht wär' dein Geſchrei.

Im Krankenzimmer ſchon die Glieder

Man hüllt in Schnee, man bürſtet, reibt,

[451]
Sucht den entfloh'nen Athem wieder

Ihm einzuhauchen; alle Brüder

Verſtummt und lauſchend ſtehn dabei.

Kein Regen — und der Kerze Licht

Kein Zucken zeigt im Angeſicht; —

Am vorgehaltnen Flaume nicht

Ein ſchwaches Fäſerchen ſich beugt,

Und mächtig ſchon das Morgenroth

Bis an den Rand des Thales ſteigt.

„Ihr Brüder!“ nun der Prior ſpricht,

„Es ſcheint, der arme Greis ſey todt.

Doch thut noch ferner eure Pflicht;

Ihr ſeyd zur eignen Seele Frommen

Bis jetzt ihr treulich nachgekommen:

Allein zumeiſt, das iſt gewiß,

Am allermeiſten that Denis.

Wo iſt er? nun er ruht wohl aus!

Und ſicher war's ein harter Strauß

Für ſeine Jahre.“ Ach Denis

An keinen Schlummer denkt gewiß,

Vor dem Altare, wo im Bild

Die Gottesmutter rauchgeſchwärzt

Ihr eingeräuchert Kindlein herzt,

Verzeichnet, bunt, doch gut genug,

Da es dem Manne ſonder Trug

Mit Andacht ſo die Seele füllt,

Denn ganz beſonders hat er ſich

Geweiht der Jungfrau minniglich.

Was mag ihm ſo zu Herzen gehn?

Die Falte um den Mund, dies Stöhnen

[452]
So hat man ſonſt ihn nicht geſehn.

Wie, ſchmolz der Mauerduft? Sind's Thränen,

Die niederfallen auf den Stein?

Dies feſte Auge ſcheint mir nicht

Gewöhnt zu ſolcher Tropfen Pflicht.

Der Alte iſt ja ganz allein!

Stets weiß die Jungfrau was er denkt:

Wär' zehnfach herber auch ſein Grämen,

Vor ihr braucht er ſich nicht zu ſchämen.
Indeß das Dämmergrau zergeht;

Nur einzeln in die Mauerlücken

Sich kleine ſchwarze Schatten drücken.

Schon in der Fenſter Mittelſcheiben

Die rothe Sonnenkugel ſchwebt;

Viel goldbeſtreute Wölkchen treiben,

Die ganze Luft iſt glanzdurchbebt.

Im Morgenlichte doppelt mild

Dem Beter ſcheint das Mutterbild;

Selbſt Märtyrer aus Gitterſchrein

Nicht all ſo kläglich ſchauen drein.

Und nun das Diadem, das klare,

Am Haupt der Tagesfürſtin ragt,

Da aus dem Winkel am Altare

Den letzten Schatten ſie verjagt.

Sich von den Knieen hebt Denis,

Ein andrer Mann; die Finger leiſ'

Streicht er durch ſeine Löckchen weiß,

Er ordnet ſorglich ſein Gewand,

Dem eingedrückt des Eſtrichs Sand,

Und zu den Brüdern, die noch immer

[453]
Verſammelt ſind im Krankenzimmer,

Vegibt entſchloſſen ſich der Greis.

Doch als er nun die Thüre lichtet,

Auf ihn ſich jedes Auge richtet;

Da, deut' ich recht der Finger Zucken,

Am Gurt' das unbewußte Rucken,

So ſinkt ein wenig ihm der Muth,

Auch in die Wange tritt das Blut.

„Wie, alter Vater! ſchlaft ihr nicht?“

Ruft ihm der Prior ſchon entgegen,

„Nein, Maaß muß ſeyn in allen Wegen,

Auch ihre Schranken hat die Pflicht.

Ihr ſcheint's Euch heute vorzunehmen

Uns alle gründlich zu beſchämen,

Und Ihr ſeyd matt, man ſieht's Euch an.

Zu Bett, zu Bett!“ Der alte Mann

Steht lautlos, und in ſeiner Noth

Auf's neu beginnt das Kleid zu reiben,

Als ſollte nicht ein Stäubchen bleiben:

Bis an die Stirne ſteigt das Roth.

Dann holt er tief und tiefer aus,

Und zitternd bricht die Stimm' heraus:

„Nein, lobt mich nicht, ich bin's nicht werth!

Ich will den ſchlimmſten Vorwurf dulden

Und daß ihr mir den Rücken kehrt;

Allein vergebt mir meine Schulden,

Der alte Feind hat mich bethört.

Der alte eingefreßne Zorn,

Im Herzen mir ein ſteter Dorn,

Seit ich in meinen jungen Tagen

[454]
Den Sennen blutig einſt geſchlagen.“

Hier ſtockt er, ſeufzt ſo tief betrübt,

Daß jede Bruſt ihm Antwort gibt.

„Als ich nach einem Ausweg ſah

Am Drance-Rand die Brüder ſuchen,

Da fühlt' ich ſeine Kralle nah,

Und innerlich begann zu fluchen.

Und als nun ſprach der Marronier:

„Hier iſt nur ſichrer Tod zu holen,“

Und: „ſey die Leiche Gott befohlen!“

Es kribbelt mir durch alle Glieder:

Den Alpſtock hob ich in die Höh',

Dem Himmel Dank, ich ſenkt' ihn wieder.

Und als nun endlich, als am Strand

Barry, das unerſchrockne Thier,

Ich treu auf ſeinem Poſten fand:

Da hab' ich, hab' in Zornes Brand

Den Bruder einen Hund genannt.“

Er athmet auf: „Es iſt heraus!

Ihr Brüder, ach vergebt dem alten

Verſtockten Mann, was ich verbrach;

Kein böſes Beiſpiel bleibe nach.

Vergib mir Bruder!“ Ganz gebeugt

Zum Marronier er langſam ſchleicht

Und küßt voll Demuth ihm die Hand.

Dann, eh noch Einer ſpricht ein Wort

Vor Rührung, Staunen, tiefer Scham,

Schon ſtapft er durch das Zimmer fort,

Nicht ganz ſo trübe als er kam,

Um ſich in ſeine Zelle klein

[455]
Drei Tage, frierend und allein

Bei Brod und Waſſer einzuſchließen.

Noch immer ſtehn die Brüder ſtumm

Und Jeder heimlich ſchilt ſich dumm,

Daß ſie den Alten ziehen ließen.

Die Stirn ſoldatiſch in die Höh'

Am ſteifſten ſteht der Marronier.
Zuerſt das lange Schweigen bricht

Der Prior: „Was wir alle denken,

Ihr Brüder, brauch' ich nicht zu ſagen.

Denis will uns in dieſen Tagen

Nicht nur von wandelloſer Pflicht,

Von Reue auch ein Vorbild ſchenken,

So demuthsvoll ein Chriſt nur handelt:

Deshalb“ — Er ſtockt und wendet ſich,

Denn eine Regung wunderlich

In Zittern ihm die Rede wandelt.
Der Prior ſich zur Seite kehrt,

Und, dem Erſtarrten zugewandt,

Die ſteifen Glieder abwärts fährt.

Den Flaum noch einmal mit der Hand

Bringt langſam an des Mundes Rand,

Erſt quer, dann ſenkrecht aus der Höh'.

Nun hebt er ſich, vom Bücken roth:

„Eugene und Louis! nehmt ihn fort!

Jetzt gleich! Und, Bruder Clavendier, *

Zum Sennen Etienne la Borte

Schickt nach Remi! Der Mann iſt todt.“
[[456]][[457]]

Des Arztes Vermächtniß.

[[458]][459]

Des Arztes Vermächtniß.

So mild die Landſchaft und ſo kühn,

Aus Felſenritzen Ranken blühn;

So wild das Waſſer ſtürmt und rauſcht,

Und drüber Soldanella * lauſcht!

Nichts was ein wundes Herz ſo kühlt

Als Bergesluft die einſam ſpielt,

Wenn Maienmorgens friſche Roſen

Mit Fichtendunkel flüſternd koſen.

Wo über'm Wipfelmeer das Riff

Im Aether ſteht, ein flaggend Schiff,

Um ſeinen Maſt der Geier ſchweift:

Tief im Gebüſch das Berghuhn läuft,

Es ſtutzt — es kauert ſich — es pfeift

Und flattert auf; — ein Blättchen ſtreift

Die Rolle in des Jünglings Hand.

Der ſchaut, verſunken, über Land,

Wie Einer, ſo in Stromes Rauſchen

Will längſt verklungner Stimme lauſchen.

Er ruht am feuchten Uferrand. —

In ſeinem Auge Einklang liegt

Mit dem, was über ihm ſich wiegt,

Mit Windgeſtöhn' und linden Zweigen:

Was iſt ihm fremd, und was ſein eigen?

Gedankenvoll dem Boden ein

[460]
Gräbt Zeichen er mit ſpitzem Stein,

Und löſt gedankenvoll das Band

Am Blatt, wo, regelloſer Spur,

Ach! eine Hand, zu theuer nur,

Vertraut geſtörter Seele Leiden,

Die Wahr und Falſch nicht konnte ſcheiden.

Und will er — ſoll er — dringen ein

In ein Geheimniß das nicht ſein?

Es ſey! es ſey! die Hand iſt Staub,

Und ein Vermächtniß ja kein Raub!

Dann — Waſſer, Felſen, Alles ſchwand.
„Ich war noch jung; o Zeit, entfloh'ne Zeit!

Wohl vierzig Jahre hin, mir iſt's wie heut.

Ein friſches Waſſerreis war ich, im Traume

Von Blüthe, Frucht und tauſendjähr'gem Baume.

Ein Flämmchen war ich, luſtig angebrannt,

Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt.

Ach! damals hatte fremde Sünde nicht

Gelegt auf meinen Nacken ihr Gewicht.

Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn:

So war's, ſo war's, und anders iſt es nun.

Der dunkle Mann — das Bild das mich umkreist —

Ich ſage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt.

Zu Nacht mein Auge fand das deine offen,

Dein ſorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen,

Wenn Mißgeſchick in Sünde mir zerfleußt,

Zur Gegenwart wird die Erinnerung.

Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein Geiſt,

Das kennſt du nicht, du biſt geſund und jung.
[461]
Am zwölften Mai, bei einſam tiefer Nacht,

Nach einem Tag, ich hatt' ihn froh verbracht

Auf Waldeshöh'n, die wimmelnd von Geſindel

Zum Aether ſtrecken ihrer Fichten Spindel,

An Böhmens Gränze eine ſtarre Wacht:

Dort nahm, der Wiſſenſchaft und Armuth Sohn,

Ein kleines Haus mich auf ſeit Wochen ſchon,

Wo Kräuter ſuchend zwiſchen Fels und Gründen

Die Einſamkeit ich traulich konnte finden.

Am zwölften Mai, wo das Geſchick mich traf —

Auf meinen Wimpern lag der Jugend Schlaf,

Doch ruhig nicht, mein Traum war wie ein Fieber —

Auf Felſen ſtand ich, Adler kreisten drüber;

Mir näher, näher aus dem tiefen Grau,

Der Flügel Schlag ich hört' ihn ganz genau,

Und hört' es immer, als der Traum zerrann.

Vernahm ich's wirklich? Und was war es dann?

Den Athem haltend lauſch' ich vorgebeugt,

Und wahrlich — zweimal — dreimal — nah der Wand

Pocht es vernehmlich an des Fenſters Rand.

Dann Schatten ſeh' ich vor der Scheibe ſchwanken,

Ein langer Arm, ein dunkler Finger ſteigt;

Ich war noch jung, wie Pulver die Gedanken,

Wenn aufgeregt, erkannten keine Schranken.

Man weckt den Arzt um Mitternacht ſo leicht:

Gewöhnlich fänd' ich's jetzt, dort wunderbar;

Doch Jugend ſchäumt entgegen der Gefahr

Und ohne Sprudel iſt kein Trank ihr klar.
So war's nur Neugier und verwegne Glut,

Was durch die Adern trieb das üpp'ge Blut,

[462]
Als ich verlaſſen jener Hütte Frieden

Um einen Wunden, wie man mich beſchieden,

In jener Nacht ſo ſchwarz und ſchauerlich,

Daß nicht ein Glühwurm durch die Kräuter ſchlich;

Des Graſes Kniſtern nur, der ſchwache Hauch

Des eignen Athems brach die Stille auch.

Vor ging ein Mann, und Einer nach mir ſchritt.

Ich ſah nur Grau in Grau und tappte mit,

Als wir dem Bergwald zogen ſtumm entgegen‚

Gleich Kohlenſtämmen unter Aſchenregen.

Zuerſt ein Weiher kam, und dann ein Steg,

Dann ging es aufwärts halb verwachsnen Weg;

Im tiefern Grau verſchwammen die Geſtalten;

Nur ſelten zeigten mir des Waldes Spalten

Noch meines Vormanns unterſetzten Bau.

An einer Klippe meine Führer halten,

Und ich mich wende zu verſtohlner Schau.

Nur dunkle Maſſen rings — wo mag ich ſeyn?

Da über mir hört' ich die Eule ſchrei'n

Und dachte noch, ihr Neſt liegt im Geſtein.

Doch dort und dort und dorten überall,

Entlang die Waldung, gellt's im Wiederhall,

Ringsum die Zweige kniſtern wie im Brand,

Vor mir ein Mantel, drüben eine Hand,

Dann über meine Schulter es ſich ſtemmt,

Und eine Binde hat den Blick gehemmt.

Der Boden ſchwindet; eh ich mich gefaßt‚

Ein Roß trägt ſchnaubend fürder ſeine Laſt.
Mir war doch ſchwül, als ich zum Zügel griff;

Seekranken war mir's gleich auf leckem Schiff.

[463]
Verwirrung hatte mich betäubt, zum Heil,

Sonſt hätt' ich mich gefürchtet, als ſo ſteil

Pfadloſen Weg betrat des Thieres Fuß,

Wo ich nur klammernd mich erhalten muß

An ſeine Mähne mein Geſicht gelegt,

Daß mir des Thieres Schweiß vom Kinne rann.

Ich hörte wie, von ſeinem Huf geregt,

Des Weges Steine langſam rollten, dann

Von Klipp' zu Klippe ſprangen, bis zuletzt

Der Schall im Nachhall ſchwand. Ich hörte jetzt

Ob meinem Haupt die Waſſer niederrauſchen,

Daß zarter Regen mein Geſicht benetzt.

Oft warnte eine Stimme mich in Haſt:

„Dich vorgebückt!“ und über meinem Nacken

Strich ſich ein breiter Aſt mit trägem Knacken.

Entferntem Knalle glaubt' ich oft zu lauſchen,

Der Boden einmal klang wie Eſtrich faſt;

Was weiß ich, meine Phantaſie war reg'; —

Doch immer ſeltſam blieb und ſchlimm der Weg.

So öde war mein Hirn, gedankenleer,

Die Zügel ließ ich, oft dem Falle nah,

Dann wieder kehrte das Bewußtſeyn ſchwer.

Mit angeklemmten Gliedern ſaß ich da

Und log, von Sorge überſchlau gemacht,

Ein heitres Angeſicht der finſtern Nacht.

Wie lange ſo, vermag ich nicht zu ſagen.

Mir iſt wie dem der aus dem Schlaf erwacht:

Ihm ſcheint's vom Abend ein Moment zum Tagen,

Doch blieb ihm das Gefühl entſchwundner Zeit,

Und öfters über's Ziel ihn führend weit,

[464]
Daß er die Sonne ſucht um Mitternacht.

Ja! ſinn' ich was noch all ſich zugetragen

Bevor es tagte, hat die Fahrt wohl kaum

Gefüllt auf's längſte einer Stunde Raum.

Dann ſtand das Thier, und Arme fühlt' ich wieder;

Nun ſchwebt' ich in der Luft, nun ließ mich's nieder;

Und tiefer in die Bruſt der Athem glitt,

Als Grund, als feſten Grund mein Fuß beſchritt.
Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch,

So griff ich nach der Binde; haſtig doch

Mich faßte eine Hand, die war ſo ſtark,

Der leichte Druck mir rieſelte in's Mark.

Und weiter, weiter durch bethautes Kraut;

Man wandle rechts und links und ſucht' zu meiden,

Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterſcheiden

Im Gras verſtreuten Schutt, hier ward gebaut.

Dann Stufen ging's hinunter, ſeltſam hallend,

Und immer tiefer, eine lange Reih'.

Ich ſtütze mich auf Mauern, morſch, zerfallend,

Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei;

Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen —

Ich räuſpre — und es ſchmettert mir entgegen —

Des Kleides Reibung flüſtert am Geſtein —

Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe ſeyn.

Vor Allem ſeltſam war's, als, unterm Grund

Auftauchend, Schritte rechts ſich gaben kund.

Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben;

Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht,

Ich fühlte um Geſicht und Bruſt ſie beben.

[465]
Doch ferner, ſchwächer ſchon der Schall ſich bricht.

Nur immer weiter, wie die Wege drehn,

Und bald verſchwimmt das Klirren, Rufen, Gehn

In ein Geſchwirr, dem Hall des Waſſers gleich,

Wenn's niederrauſcht in einer Grotte Reich.
Oft ſinn' ich wie mir alles noch ſo klar;

Ich war betäubt, drum ſcheint mir's ſonderbar.

Ja, Angſt iſt fein, und ſchier bewußtlos doch,

Mechaniſch ſammeln ein die Sinne noch.

Nun ſtand mein Führer: ſchwere Riegel klirrten,

Schnell ſchwand das Tuch, und ſchneller vor's Geſicht

Schlug ich die Hand, mich blendete das Licht,

Man ſprach zu mir, ich ſah und hörte nicht;

Von allen Seiten bunte Flügel flirrten:

Es that der Binde Druck, denn da's zerging,

Ein einſam Lämpchen nur im Winkel hing,

Wo einer Scheibe vieldurchlöchert Ziel

Das Erſte war was mir in's Auge fiel.

Und, als ich noch dem Schwindel kaum entrann,

Zu einer Wölbung zieht man mich hinan,

Bis dicht vor meinen Füßen liegt ein Mann.

Und Dieſer iſt's? vom groben Pelz bedeckt?

So ausgeſpannt wie ſich die Leiche ſtreckt?

Und Dieſem ſoll ich helfen? Wenn ich kann.

Ich ſah den halbentblößten Fuß, die Hand,

Kalt, todtenfahl, erſchlafft der Muskeln Band;

Ich ſah recht um der Lunge Sitz das Tuch,

Wodurch ein Streif ſich naß und dunkel wand;

Ich ſah das ſchwarze Blut am Boden hier,

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 30[466]
Und weiß nicht wo ich die Gedanken trug.

Gleich einer fremden Stimme ſprach's aus mir:

„Bei Gott! bei Gott! bei Gott! der hat genug.“

Ob man's vernommen hat? ich glaub' es kaum;

Mich dünkt, gemurmelt hab' ich wie im Traum.
Ein Schimmer jetzt auf den Enthüllten fällt,

Auf Züge, edel doch gefällig nicht.

Dies Auge kalt und unbezwungen bricht

Da ſich dem Tod' zum Kampf die Seele ſtellt.

Vor Grimm dies Antlitz ſchien mir zu erbleichen

Um einen Gegner dem es jetzt muß weichen.

Kraftſammlung, tiefes Brüten, ſollt' man glauben,

Bewegung ihm und Sprache müſſe rauben;

Und drüber, wahrlich, noch ein Hauch ſich rührt

Von dem was Herzen anlockt und verführt.

Ich ſah wohl wie es mit uns zweien ſtand,

Mit mir und ihm, wir beid' an Grabes Rand,

Da hab' ich auch gefühlt zu dieſem Mal,

Wie Todesangſt in vollem Laube thut.

Man meint, am beſten ſey's ſo kurz und gut,

Bevor uns Krankheit Zoll um Zoll verzehrt;

Glaub mir, es iſt 'ne wunderliche Wahl,

So um ſich, neben ſich kein Fußbreit Raum,

Und über'm Haupt an Einem Haar das Schwert,

Fürwahr die Zunge klebte mir am Gaum!

Vielleicht dem Fiſcher mag ich mich vergleichen,

Der ſonder Nahrung im verſchlag'nen Boot

Die Möve ſtreifen ſieht und an dem bleichen

Gewölk aufzucken ferner Blitze Roth,

Gleich nah dem Abgrund und dem Hungertod.
[467]
Doch die Beſinnung kehrte mir zum Heil,

Auch etwas Muth und eben Liſt genug;

Ich konnte fragen in geſchäft'ger Eil'

Nach jener Waffe ſo die Wunde ſchlug.

Der Führer ſprach — fürwahr, ich weiß nicht was.

Mein Blick hing an des Kranken Muskelſpiel:

Die Lippe bebt, das Auge hat kein Ziel.

Auf ſeinen Buſen legt' ich meine Hand,

Und fühlte wie der Herzſchlag kam und ſchwand,

In Stößen bald, dann wieder träg und laß;

Da grade ward das Eiſen mir gereicht,

Ein Meſſer aus dem Küchenſchrank vielleicht,

Mit einer Schling', es an die Wand zu hängen;

Das Anſehn einer Waffe hat's zumal,

Die man ergreift in Angſt und Todesqual.

Ich fühlte wohl wie mein Geſicht erblich.

Und als der Klinge blutgefärbte Längen

Am Ermel auf und ab der Führer ſtrich,

Und recht als ob ihn wilde Luſt beſchlich,

Nun ſpielend zuckt und ausholt gegen mich:

Es war mir doch als dringe ein der Stich.

Verbergen wollt' ich meiner Kniee Schwanken,

Und ſuchte nach des nächſten Schemels Halt,

Man ſollte wähnen, ſorglos, in Gedanken:

Da traf ich eine Hand, ſo feucht und kalt;

Doch jene nicht der kämpfenden Geſtalt,

Nein, neben mir, daß Arm an Arm ſich drücken,

Sitzt eine Frau, das Auge wie von Stein,

Auf Den gewendet, der dem öden Seyn,

Es ſcheint, mit ſich zugleich ſie wird entrücken.
[468]
Im Antlitz lag ſo tiefer Seelenſchlaf

Wie nie bei Kranken ich noch Irren traf;

Die Stirn — ein Gletſcher klar im Alpenthal,

Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;

Dies Auge, ſeltſam regungslos und doch,

Erloſchen gleich, voll todten Lichtes noch.

Nicht Wahnſinn war's, doch Schlimm'res was ich ſah;

Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah.

Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,

Wie Wetterleuchten die Erinn'rung ſpielt.

Dies Antlitz iſt — und doch ein Andres ganz,

Ich hab's geſehn, es war im höchſten Glanz.

Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf!

Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.

Ward der gelöſ't und frei des Blutes Lauf,

Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!

Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dann

Gedenkt noch hier und dort ein alter Mann.

Und du mein Sohn? Was die Atome ſind;

Sonſt andrer Mann, und andren Mannes Kind. —

Ach, alles Leben iſt wie Schaum und Duft!

Und doch hat jede Stunde ihre Pein.

Die Enkel treten meiner Freunde Gruft;

Wo biſt du, Eduard? ich bin allein —

Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.“
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,

Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,

Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt,

Gepreßter Finger Zucken offenbaren.

Der Jüngling ſeufzt, und wendet raſch das Blatt.
[469]
Hier ſteht's: „Mir war nicht wohl, nun bin ich matt,

Fürwahr, fürwahr, und auch des Lebens ſatt.

Doch weiter — da du's wiſſen mußt, mein Sohn —

Naphta bekam der Kranke, ſagt' ich ſchon;

Was ſoll man ſonſt in ſolcher Noth verſchreiben?

Noch einmal wollt' ich künſtlich Feuer treiben

Durch ſeine Adern, ob ſich mir vielleicht

Indeß der Himmel weiß welch' Ausweg zeigt:

So jung noch ſollt' ich in der Schlinge bleiben?

Ein junges Blut iſt hoffnungsreich und leicht;

Ich gab ihm Naphta; bis die Wirkung kömmt

Laß ich verſtohlen meine Blicke ſtreifen;

Die Dämm'rung ferner nicht das Auge hemmt,

Es möchte jeden Gegenſtand ergreifen.

Ich war in einem dunſtigen Gemach,

Langſame Tropfen glitten von den Wänden;

Aufrecht geſtellt träf' ich der Wölbung Dach;

Ob dies die Werke ſind von Menſchenhänden?

Zu ſchlecht zum Keller, und zu gut zum Stollen:

Was mögen dieſe langen Zapfen ſollen?

Ich meinte Stalacktiten; in der That,

Die erſte Höhle war's ſo ich betrat.

Und ring's, wie zu gemeiner Maskerade,

Hing's überall in ſchmutziger Parade:

Ein Bauernkittel und ein Mönchsgewand,

Soldatenkleider, Roßkamms langer Rock,

Beim Judenbart des Aelplers Hakenſtock,

Und gleich am Lager mir zur rechten Hand

Hier ein Gewehr von Damascirung falb,

Ein andres dort, beſchmutzt, zertrümmert halb.

[470]
Auch nicht zu fern auf rohbehau'nen Stein

Die Lampe warf den halbentſchlafnen Schein

Aus einer Schale wie mich dünkte reich

Mit Wappen oder Bildern ausgeziert.

O, daß man mich an dieſen Ort geführt,

Von übler Vorbedeutung ſchien mir's gleich!

Denn wie man die Umgebung ſo vergaß,

Nachläßig war es über alles Maaß!
So irrend trifft mein Aug' auf jene Frau;

Sie iſt verwandelt, in den ſchönen Bau

Kam Leben, aber erſt wie Dämmerlicht

Sich mählig, mählig durch die Nebel bricht.

Sie ſitzt nicht mehr, ſie hat ſich aufgerichtet,

Hält mit der Hand des Kranken Haupt gelichtet,

Sie blickt wie ein vom Schlaf erwachtes Reh.

Auf ihre Wange zog ein zarter Schein,

Wie Morgenhimmel wogend über'n Schnee

Ihm ſeine lichte Spuren drückte ein.

Nun hebt den Arm ſie, rückt die Locken, ja!

Da plötzlich tritt mir die Erinn'rung nah,

Wien, Carneval, der Maskenball ſind da.

Um dieſen Nacken Perlenſchnüre ſpielten,

In dieſen dunklen Locken lag ein Kranz,

Es war als ob auf ſie die Fackeln zielten,

Wenn ſie vorüberglitt, ein Lichtſtrom ganz.

Noch ſeh ich wie der milde Kerzenſchein

In Atlasfalten ſchlüpfte aus und ein,

Wie eine Roſe ſich, gelöſ't vom Band,

Ob ihrer Augen Bronnen ſchien zu bücken.

[471]
Sie war das ſchönſte Grafenkind im Land:

Dennoch ein Etwas lag in ihren Blicken,

Als ob ſie Alle dulde, achte Keinen,

Der ſchöne Mund geformt ſchien zum Verneinen:

Nicht Härte hab' ich's und nicht Hohn genannt,

Jedoch zu allernächſt es beidem ſtand.

Man ſagte mir, dies wunderſchöne Bild,

— Vertraute Stimmen wurden drüber laut,

Für Herzensſchwächen iſt die Menge mild —

Man nannt' es eine unglückſel'ge Braut.

Der Mann, dem Elternwille ſie verſprach,

Er legte ſelbſt den Grundſtein ſeiner Schmach,

Als er mit ungeſtümer Grille Hang,

Wie Schwache gerne keck und ſeltſam ſcheinen,

Dem Fremdling auf ſich zum Genoſſen drang,

Der ſich am mindeſten ihm mochte einen,

Der zehnfach ſchöner, tauſendfach ſo kühn,

Mit Sitten die beleid'gen und verführen,

Genau gemacht ein ſtarkes Herz zu rühren,

Geheim, man wußt' es, ließ die Braut erglühn;

Der folgt ſein Blick, wie dem Kometen klar

Die Seuche und das ſegenloſe Jahr.

Von beiden Männern dort ich keinen ſah,

Gefährlich war der Fremde, oder nah,

Von ihm man flüſterte; mit offnem Hohne

Den Grafen macht' zum albernen Patrone.

Partheiiſch man des Weibes Fehl vergaß,

Nur Männer wurden laut dort wo ich ſaß.

Mir ſchien ſie ſtolz, weit über Ziel und Maaß,

Und minder trauernd auch als ſtill entbrannt,

[472]
Dem Himmel zürnend, Andern, ihm und ſich

Daß er's gewagt, daß er den Schlüſſel fand,

Zum mindeſten ſo wirkte ſie auf mich.

Doch all mein Sinnen hielt ſie ſo gebannt,

Um ſie das Feſt vor meinem Auge ſchwand;

Und als ſie zeitig ging, da ging auch ich.

Drei Jahre waren hin ſeit dies geſchah,

Und jetzt an ſie mich mahnte was ich ſah,

Wie Steingebilde über's Grab geſtellt

An jenes mahnt was unter ihm zerfällt,

Wenn Seele fordernd ſtehn die Formen da.

— Es pickt der Fink am Auge regungslos,

Und ruhig wächſt auf ihrem Haupt das Moos —

Nur wenig minder Todtes war mir nah.

Im dunklen Blick, ſo überreich geweſen,

Doch Eins noch war aus jener Zeit zu leſen:

Verhärtet Dulden — ob von Haß getrennt?

Zu tief verſenkt lag's in dem tiefen Blau.

Ich ſann, und daß ich's that in dem Moment,

Bezeugt wie ſeltſam feſſelnd dieſe Frau.
Des Kranken Muskeln totenbleich erſchlafft

Indeß hat aufgeſpannt des Aethers Kraft;

Nicht all ſo ſtier das Auge glänzte mehr,

Den Arm ſah ich ihn heben minder fahl,

Das Haupt verrücken auch nach eigner Wahl,

Und Zeichen geben wie ihn dürſte ſehr.

„Wird's beſſer?“ ſprach mein Führer, „kömmt er auf?“

Ich nickt'. Er gähnte, dehnte ſich, ſtand auf

Und ſtapfte fort; die Freude ſchien nur klein,

[473]
Und locker hier der Schlimmen Band zu ſeyn.

Mir war's wie ein Gewitter das verzog,

Als er ſo langſam um die Ecke bog

Und träge ſchob die langen Glieder vor.

Ich hört' ihn rauſchen durch Gerüll und Sand,

Dann ſeitwärts, ferner dann, dann ging ein Thor;

Ich lauſchte, lauſchte, lauſchte — Alles ſchwand.
Und Muth nun, Muth! der Augenblick iſt mein:

Ich muß ihn halten oder gehn verloren;

Noch einmal flammt, dann liſcht das Meteor!

Ich war allein, mit jener Frau allein.

Sprach ich zu ihr? Sie blickte nicht empor,

Ihr Auge will ſich in den Eſtrich bohren,

Kaum athmet ſie; mir Alles deuten muß,

Auf Schweigens tief verhärteten Entſchluß.

Ob ſie mich ſieht? Sie ſcheint betäubt zu ſeyn,

Und „Hört mich ſchöne Frau!“ Sie regt ſich — nein.

Und wieder „Hört mich ſchöne Frau!“ Sie ſchweigt.

Ganz ſacht erheb' ich mich — was rauſcht, was ſteigt

Im Winkel dort? Ein Fleck, ein Schatten, ha!

Nun rückt es vor — und nun, nun ſteht es da!
Ungern gedenk' ich deß, den du wohl weißt,

Des Dunklen, der allnächtlich mich umkreiſ't,

Auf meine Scheitel legt die heiße Hand,

Ungern gedenk' ich deß, der vor mir ſtand.

Ihn zu beſchreiben, unnütz wär's und kühn.

Du willſt mir's hehlen, Sohn! doch ſahſt du ihn,

Als lang und bleich zu deinem Bett er trat;

[474]
Er rührte dich, du zuckteſt wie gebrannt,

Du zuckteſt, ja du zuckteſt in der That,

Und ſeufzen hört' ich dich in jener Nacht;

Mich ſchlafend meinteſt du? Ich hab' gewacht!

Ob nicht ein Sternbild ſeine Augen ſcheinen,

Das über Klippen ſteht und dürren Hainen?

Die Wimper ſchattet ſeiner Züge Bau,

Wie über's Leichenfeld ſich ſenkt der Thau:

Was er verbrach, Gott mög' ihm gnädig ſeyn!

Und Eine That, der mög' er ledig ſeyn!

In dieſer Bruſt wohl keimte gute Saat,

Ob mir's verborgen blieb was ſie zertrat.

Ich ſprach zu ihm, nicht nur was ich beſchloß,

Geheimes ſelbſt mir von den Lippen floß:

Ein Pilger, der, in Räuberhand gefallen,

Hört plötzlich nahe Wanderlieder ſchallen,

Dünkt minder ſich des Nahenden Genoß.

Seltſam gewiß, wie ich ſo ganz vergaß

Daß er im blut'gen Rath mit jenen ſaß.

Ich ward gehört, und ob kein Wort er ſprach,

Nur tiefer legte ſeiner Wimper Haag:

Sein Schweigen ſelber meine Zweifel brach.
Was dann dem Kranken er geflüſtert hat,

Erwiedert dieſer auch mit Zeichen matt:

Nur wenig Laute kamen an mein Ohr;

Einmal der Wunde zuckte doch empor.

Die wilde Faſſung, ſo ſein Antlitz ſprach,

Doch unwillkührlich ſich in Schauder brach,

Und noch zu bergen ſah ich ihn bedacht,

[475]
Was ſelbſt den Wurm im Staub ſich krümmen macht:

Ich wußte daß der Tod ihm angeſagt.

Den Namen jener Frau dann hört' ich nennen,

Und einen Laut ſich von der Kehle trennen,

Gewaltſam zwar, ſo hohl und heißer doch,

Wie ihn die Woge ächzt im Klippenloch.

Mit raſchem Flüſtern ein der Andre fällt,

Was Wildes ſeiner Stimme war geſellt;

„Sie folgt dir!“ Ein dann eine Pauſe trat,

Und dann, und dann — hält um den Arzt man Rath.

Alsbald der Jüngre hatte ſich gewandt,

Daß beider Antlitz mir in Schatten ſtand.
Was meinſt du was durch meine Adern bebte,

Als über'm Haupt des Richters Stäbchen ſchwebte?

Nur Liſpeln hört' ich, wie die Pappel rauſcht,

Doch Angſt dem Liſpeln ſelber Deutung gab;

So feinen Ohres hab' ich nie gelauſcht.

Es ſtieg und ſank, mit einem Mal brach's ab,

Und plötzlich eine Hand ſich aufwärts ruckt,

Die winkt und winkt und nach der Pforte zuckt.

Dann fiel ſie ſchlaff hinab — es war vorbei —

Gott löſche ihm die Schuld! er gab mich frei!
Der Jüngling blickte auf den todten Mann,

Wie ſehr er ihn geliebt, man ſah's ihm an.

Doch Etwas lag im Auge offenbar,

Was dämpfen mochte allzu herbe Glut;

Mich dünkt ſo blickt man auf verwandtes Blut,

Deß Schmach uns bittrer als die eigne war,

[476]
Wenn's endlich ruht im Sarge, ſchandebaar.

Nur ein Moment noch wo er ſtand und ſann,

Und einen Eid ließ er mich ſchwören dann,

Des Räubers Fluch, daß, ſinne ich Verrath,

Geſchick mich treiben ſoll' zu gleicher That,

Und dieſe Höhle ſey mein letzter Rath;

Ich ſoll' den Wald mich drin zu bergen ſuchen,

Den Menſchen nahn, damit ſie mich verfluchen,

Am ſchrecklichſten mir ſey der Heimath Licht,

Und tödtend meiner Mutter Angeſicht. —

Matt war ſein Ton, das Ende hört' ich nicht.
Und fort nun, fort! Was ward aus jener Frau?

Sie ruhte jetzt, gleich Schlummernden genau,

Das Haupt im Schooß, mehr iſt mir nicht bewußt,

Die Eil den Athem ſchnürte in der Bruſt;

Und fort nun, fort! Geblendet wie zuvor,

Durch manche Krümmung ging's und manch ein Thor;

Voran der Jüngling zog in Haſt mich nach,

Einmal nur Bretterwand uns ſchien zu ſcheiden,

Von Gläſerklang und ausgelaß'nen Freuden.

War etwas minder tobend das Gelag,

Ich hätte wohl verſtanden was man ſprach.

Hier war von einem Quell der Weg durchſchnitten,

Geräuſch zu meiden wir behutſam ſchritten;

Und nun hinauf, die Hand dort angeklemmt,

Den Kopf gebückt, und hier den Fuß geſtemmt.

Die Mauern bröckeln, rieſeln uns entgegen;

Wir rutſchen lang', oft an den Grund uns legen,

Mein letzter Griff in Kräuter war und Gras.

[477]
Nun noch ein Schwung: ich ſtand in freier Luft.

Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft:

Auf meines Führers Ruck ich niederſaß,

Zwei Worte ſprach er, die ich nicht verſtand.

Dann plötzlich ſchwand aus meiner ſeine Hand,

Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein!
Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht,

Als jedes Auge ſchien 'ne grimme Wacht,

Daß Einſamkeit mir peinlich könnte ſeyn.

Ich ſaß am Grund wie ein verſpätet Kind,

Das riſpeln hört den Wolf, die böſe Fee

In jedem Strauch. Wenn reger ſtrich der Wind,

Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh'

Ein Vogel rückt' im Neſt, die Brut zu decken:

Zuſammen fuhr ich in geheimen Schrecken.

Doch Alles ruhig, nur die Fichten rauſchen,

Und eine nahe Quelle murmelt drein.

Die Zeit verrinnt, es wächſt, es wächſt die Pein.

Was kniſtert dort? Ein Hirſch vielleicht, ein Reh,

Das nächtlich Nahrung ſucht, ſo mußt es ſeyn.

Am Zweige hört' ich's nagen, ſchnauben, lauſchen,

Dann ſprang es fort; — gekauert ſaß ich da,

Denn plötzlich waren Männertritte nah.

Und vor mir im Geſträuch es knackt und bricht,

Die Zweige ſchlagen feucht an mein Geſicht.

„Iſt's hier? Nein dort, es iſt die Stelle nicht.“

Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr,

Ja mühſam ich des Athems Keuchen zwang.

Sie ſtöbern, wie der Hund auf Wildes Spur,

[478]
Um manchen Baum und das Gebüſch entlang;

Dann endlich gehn ſie, ſchleifen etwas nach,

Das dicht vor mir im Strauch verborgen lag.

Dem Himmel Dank! mir ward die Seele wach;

Es war gewiß, ſie wußten nichts von mir.

Was ſie geſucht, nie hab' ich dran gedacht;

Vielleicht ein Raub hier ins Verſteck gebracht.

Ich dacht' und wünſchte Eins, den Jüngling hier

Der mich geleitet, und er war mir nah;

Kaum ſind die Andern fort, ſo ſteht er da.
„Zu Pferd'! zu Pferd'! es iſt die höchſte Zeit!“

An mir gewiß nicht lag's, ich war bereit,

Saß auf; und über Stock und Stein wir traben

Wie ſolche, die den Feind im Nacken haben;

Nie macht' ich gleichen Ritt. So Nebel fliehn,

Wenn Stürme über braune Haiden ziehn,

So Schwalben, wenn die Wolke murrt und droht;

Am Sattel mich zu halten that wohl Noth,

Da wahrlich ſchlimmer als zuvor der Weg,

Wenn ich ſo nennen ſoll, wo weder Steg,

Noch Haag uns Hemmung ſchien: dies Wege waren,

Die heute wohl und nimmermehr befahren.

Bald rechts, bald links; bald offen ſchien das Land,

Bald peitſchten Zweige mir Geſicht und Hand.

Den Führer nur verrieth des Hufes Ton;

Zuweilen doch, wenn ſtutzt das Roß im Trab,

Macht Sätze gleich dem Hirſch, und wenn's bergab

Sich kunſtreich ſtemmend gleitet auf den Eiſen,

Iſt ihm ein kurzer Warnungsruf entflohn.

[479]
Der Lärm bringt alle Vögel aus den Gleiſen:

Das flattert, zirpt, mich Aeſte blutig färben,

Fürwahr! ich dachte auf dem Thier zu ſterben!

Es war ein Hexenritt. Doch lange nicht,

So ſtand das Roß: mein Führer ſprach: „Steig ab,

Der Mond iſt auf, wir müſſen Bahn uns brechen.“

Die Binde fiel, ich ſah ein ſanftes Licht;

Doch Jener trieb: „Voran! voran! voran!“

Und drängte in's Gebüſch ſo ſchwarz und dicht,

Wo Dorn [und] Ginſter uns die Ferſen ſtechen.

Doch endlich dämmert's, und nun kam heran

Zuerſt ein Strahl, und dann durch Waldeslücke

Der ganze Mond auf ſeiner Wolkenbrücke.

Dann ſtanden wir am Haage, wo ein Thal

Tief unten breitet ſeinen grünen Saal.

Der Jüngling ſprach: „Halt dich am Waldesſaum'

Und ſpute dich, wir beide haben Eil.

Leb' wohl! An deinen Schwur ich mahne kaum,

Du wirſt verſchwiegen ſeyn zu eignem Heil.“

Und auf mein Haupt legt' er die Hände heiß

Und blickte tief mir in die Augen ein;

Noch einmal ſah ich in des Mondes Schein

Sein Angeſicht, die Züge blaß und rein,

Ich ſah noch zucken ſeine Wimper leiſ';

Dann ſchnell gewendet, eh' ich mich verwahrt,

Behend umfaßt er, wirbelt mich im Kreis.

Fort war er, hin. Vollendet war die Fahrt!
Ich ſtreckte mich auf grünen Teppich nieder

Zum Tod erſchöpft, es ſchütterten die Glieder,

[480]
Und kann nicht ſagen, wie ſo wohl mir war.

Der wüſte Ritt, entſchwundene Gefahr,

Ließ doppelt noch den Augenblick empfinden,

Nachdenken konnte keine Stelle finden,

Da ſich in Taumel herbe Spannung brach.

Halbſchlummernd ſah ich in den grünen Haag:

Die Nacht war jetzt ſo milde, lichtbewegt

Als ſie begonnen ſchwarz und ſchauerlich.

Ein jedes Kräutchen Thaugeflitter trägt,

Es ſchläft der Klee, die Blumen bücken ſich,

Im Traume lächelnd ſcheint der Mond zu beben,

Wenn linde Nebelſtreifen drüber ſchweben.

So ruhig wohl am dritten Schöpfungstag

In ihrem erſten Schlaf die Erde lag,

Wo Leben nur in Kräutern noch und Gras.

Ganz heimiſch war die Scholle wo ich ſaß;

Denn tauſend Schritt von dieſer Stelle noch

Barg meine Klauſe jenes Klippenjoch:

Dies Waſſer rauſcht' an ihren Bretterwänden,

Ihr Gärtchen lag an jenes Waldes Enden,

Dies iſt der Baum, wo ich im Schatten lag,

Und dies die Höhe, wo ich Kräuter brach.

Ob wohl die Quelle drunten wacht im Thal?

Ein Glitzern nur verrath das klare Naß.

So ſinnend wär' entſchlummert ich zumal,

Wenn nicht der Thau ſich durch den Mantel ſtahl.

Die Kälte weckte mich, es war im Mai,

Es war wohl ſchön, doch friſch die Nacht dabei.

Nicht fern mehr ſchien der Tag: ſo ſtand ich auf

Und dämmerte gemach den Wald hinauf,

[481]
Durchaus nicht, wie du denken magſt, erſchüttert,

Nein, gleich dem Kranken, wenn nach Fiebers Wuth

Ihm ſchlafend durch die Adern ſchleicht das Blut,

Nur vor Ermattung jede Muskel zittert.

So träumte und ſo ſchlief ich halb voran,

Folgt' einem Pfade, einem andern dann,

Sah endlich auf und ſtand in Waldes Bann.
Ob ſchon ſo weit ich mich bereits verirrt,

So ſtumpf mein Sinn in dieſem Augenblick?

Genug, ich ging und ging, und immer wirrt

Der Pfad ſich tiefer in den Hain zurück.

Wie lang' ich ſo getappt die Kreuz und Quer,

Durch Dornen mich und durch Geſtrippe ſchlug,

Bald Pfaden folgte, bald dem Ungefähr,

Und jeder Schritt mir üble Früchte trug:

Nicht meld' ich's lang, der Weg war ſchlimm genug,

Von oben dunkel und am Grunde wüſt.

Manch' Vogel ſtrich vom Lager mit Geſchwirr,

Unſichtbar aus der Luft die Eule grüßt,

Doch ließ mich träg' und dämmrig das Gewirr,

Ich ging ja ungefährdet, ob auch irr.

Mich dünkt in dieſer Stunde litt mein Hirn,

Brand und Gekrimmel fühlt' ich in der Stirn.

Geſumme hört' ich wie von fernen Glocken,

Und wie am Auge ſchoſſen Feuerflocken;

Einmal gefallen, blieb ich liegen gar,

Ließ mich geduldig von den Ranken tragen

Und mein Geſicht Gezweig' und Blätter ſchlagen

Und nahm von allem dem nur wenig wahr.

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 31[482]
Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach,

Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag.

Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,

Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm;

Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,

Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund.

So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,

Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen;

Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,

Und dann — und dann — das Auge langſam bricht.

Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn —

Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.
In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir;

So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,

Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen,

Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen:

Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier.

War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar

Umſonſt und manche tiefe Furche gar.

Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer,

Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,

Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. —

Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet

War jede Muskel, wie im Tod gebettet;

Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort

Und horchte immer dem Gewirbel dort.

Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern,

Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern;

Ich konnte zählen, ihrer waren drei:

[483]
Sie ſtrichen mir ſo dicht am Haar vorbei,

Daß jedes Mantel meine Schläfe rührt.

Dann ſtill, wie Wild das nach dem Winde ſpürt,

Und dann, aus Weibes Bruſt ein ſchwacher Schrei:

„Ich mag nicht leben; doch von eurer Hand!

Nein, nicht von eurer Hand!“ Man flüſtert, ſteht,

Und dann, ein Laut der mir die Seele bannt;

Du ahneſt wohl, mein Sohn, wen ich erkannt.

„Bet', Theodora, ſammle dich und bet'!“ —

„Ich kann nicht beten!“ — „Deine Hand iſt rein,

Verſuch' es nur; Gott mag dir gnädig ſeyn!“

Angſtvoll Gemurmel glaubt' ich jetzt zu hören

Und Seufzer die das Blut im Herzen ſtören;

Nie wünſch' ich meinem Feinde ſolche Pein,

Als mir aus dieſen Tönen ſchien zu klagen.

„Ich kann nicht ſterben, ſchmachvoll und allein:

O bringt mich fort, nur fort, wohin es ſey!“

Und haſtig flüſternd fallen ein die Drei.

Was man gedroht, gefleht, ich nicht vernahm,

Doch ruhig ward's und eine Pauſe kam.

Gott gebe, daß ſie ſich zu ihm gewandt,

In deſſen Huld ihr einzig Hoffen ſtand.

Mit einmal hört' ich's an die Klippen ſchlagen,

Und einen Schrei noch aus der Tiefe ragen; —

Vorüber war's, ſo todtenſtill umher,

Der Nadel Fall mir nicht entgangen wär'.

Wo blieben jene Drei? Ich kann's nicht ſagen,

Sie waren fort; kein Läubchen rauſchte mehr!

Nun kommt in holprigem Galopp ein Hund:

Er will vorüber, nein, er ſtellt ſich, knurrt;

[484]
Da kriecht er in's Gebüſch, legt an den Mund

Mir ſeine Schnauze, ſchnuppert mir am Gurt;

Doch auf ein fernes Pfeifen trabt er fort,

Läßt mich in kaltem Schweiß gebadet dort

Noch immer an der Erde wie gebannt.

Du magſt ermeſſen was ich wohl empfand,

Da all mein Troſt in Traumes Hoffnung ſtand.

Denn wenn ich träumte, war ich mir's bewußt,

Und daß ich träume, dacht' ich halb mit Luſt,

Verſuchte auch zu regen meine Hand;

Vergebens anfangs: doch ein Finger ruckt,

Und plötzlich bin ich in die Höh' gezuckt.

Da ſaß ich aufrecht, aber wüſt und ſchwer.

Der Wald war ſtumm, die Fichten ſtarrten her,

Die Dämm'rung um mich wogte wie ein Meer,

Und Alles ſchien dem Traume zu gehören.
Da ſaß ich, ſchweißbedeckt, von Kälte zitternd,

Ein ſcharfer Oſt an Strauch und Halmen knitternd

Verkündete des Tages Wiederkehr.

Noch kämpfte Dämm'rung, doch das Morgenroth

Aus halbgeſchloßner Wolkenpforte droht'

Und ſpülte kleine Feuerwellchen her.

Es ſtreckt ſich, dehnt ſich, gleitet in den Raum,

Die rothe Welle ſchlägt der Berge Saum,

Allmählig zündet's, geht in Flammen auf:

Der Tag, der Tag beginnt den friſchen Lauf!

Zum hohlen Stamme Nachtgevögel kehren,

Hoch oben läßt der Geier Ruf ſich hören

Und tauſend Kehlen ſtimmen jubelnd ein.

[485]
So maienhold kein andrer Tag mag ſeyn

Wie dieſer, und ſo mild in Waldes Haag

Noch nie ein Thal am Morgenſtrahle lag;

Wie war das neugeſchenkte Leben reizend!

Ich ſchlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend.

Und als ich ſah die Heerde drunten graſen,

Am Quellenrande ſich die Weiden neigen,

Ein einfach Lied den Hirten hörte blaſen,

Und durfte wenig Schritt nur abwärts ſteigen:

Da ſchien mir Alles, alles dies mein eigen.

Doch weiß ich auch, daß Schauer mich beſchlich,

Da allgemach der Morgenſtern erblich,

Als ſcheide Etwas das mir theuer war;

Nie hab' ich ſpäter dieſen Stern geſehn,

Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn.
Der Rauſch verſchwand, und mählig ward mir klar,

Vom Traume ſey doch wohl die Hälfte wahr.

Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht;

Den Ruf, das Höhlenneſt, den Ritt bei Nacht

Muß ich mit Schauder doch dem Leben laſſen.

Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum!

Wo war die Kluft, der ſich der Schrei entrang?

Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang,

Da abwärts alle Hälmchen aufrecht ſtanden,

Da friſch wie je ſich Zweig' und Ranke wanden?

Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum,

So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum,

Geſpalten grade einen Leib zu faſſen.

Nicht ſieben Schritt von mir die Klippe ſtand;

[486]
Zuvor erſchien ſie ungetheilte Wand,

Doch eben traf ein Strahl den ſcharfen Rand.

So unverſehens fällt kein Schlag im Spiel,

Als mir's wie Hammerſchlag zum Herzen fiel.

Die Angſt, die Angſt mir ſchnürte alle Sinnen,

Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen.

Und — höre Sohn! — das Ufer hing hinein,

Wie wenn man rutſcht und nach die Scholle bricht,

Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall ſeyn:

Der Rand war ſchroff, und bröcklig das Geſtein.

Und — höre mich! — ob Röthel in der Schicht?

Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht.

Und hör'! — Am Grunde ſah ich Etwas ragen,

Das weiß und zuckend an der Scholle hing.

Mir ſchien's ein Tuch vom Wellenſchlag getragen,

Der Himmel wolle, daß ich falſch geſehn!

Vielleicht im Spalt ſich eine Taube fing:

Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn.

Es war ein bitter, o ein hart Geſchick,

Was mich betraf in Jugendmuth und Glück

Und lange, lange mußt ich heimlich tragen.

Doch Zeit iſt kräftig und die Heimath lind.

Um meine Scheitel wehte mancher Wind.

Ich nahm ein Weib, ich ſah mein eignes Kind.

Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein,

Daß ich gelacht und öfters fröhlich war.

Ich ſah mich friſch an deinen Augen klar:

Ja, Kinder müſſen unſre Engel ſeyn!

Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle,

Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.

[487]
Das Alter kam, das Alter ſtellt ſich ein; —

Nun vor den Augen ſchwebt es mir zumal,

Nun vor dem Ohre hallt es ohne Zahl:

„O bete! ringe! hilf ihm aus der Qual!“

Ach Gott! du weißt nicht, wie voll Brand mein Hirn,

Wenn mir der Dunkle nächtlich rührt die Stirn,

Genau wie ſcheidend er geſtreckt die Hände:

Auch jetzt ich fühle wie das Blut ſich dämmt.

Geduld, Geduld! Da kömmt er, kömmt er, kömmt!“
Das Blatt iſt leer; hier hat die Schrift ein Ende.
So mild die Landſchaft und ſo kühn!

Aus Felſenritzen Ranken blühn,

Der wilde Dorn die Roſe hegt.

In ſich verſenkt des Arztes Sohn

Schwand in des Waldes Spalten ſchon,

An ſeine Stirn die Hand gelegt.

Und wieder einſam toſ't der Fall,

Und einſam klagt die Nachtigall.

Mich dünkt es flüſt're durch den Raum:

O Leben, Leben! biſt du nur ein Traum?
[[488]][[489]]

Die Schlacht
im Loener Bruch.

1623.


[[490]][[491]]

Die Schlacht im Loener Bruch.

Erſter Geſang.

'S iſt Abend, und des Himmels Schein

Spielt um Weſtphalens Eichenhain,

Gibt jeder Blume Abſchiedskuß,

Und auch dem Weiher linden Gruß,

Der ihm mit ſeinen blanken Wellen

Will tauſendfach entgegen ſchwellen.

Am Ufer Waſſerlilien ſtehn,

Und durch das Schilf Geſäuſel gehn,

Wie Kinder, wenn ſie, eingewiegt,

Verfallen halb des Schlafes Macht,

Noch einmal flüſtern: „Gute Nacht!“

Es iſt ſo ſtill; die Ebne liegt

So fromm, in Abendduft gehüllt,

Der Wittwe gleich in Trauer mild,

Die um ſich zieht den Schleier fein,

So doch nicht birgt der Thränen Schein.

Am Horizont das Wolkenbild,

Ganz, wie ihr Sinnen, zuckend Licht,

Das bald ſich birgt, bald aufwärts bricht,

Phantaſtiſch, fremd, ein Traumgeſicht.

[492]
Seh ich dich ſo, mein kleines Land,

In deinem Abendfeſtgewand:

Ich meine, auch der Fremdling muß

Dir traulich bieten Freundesgruß.

Du biſt nicht mächtig, biſt nicht wild,

Biſt deines ſtillen Kindes Bild,

Das, ach, mit allen ſeinen Trieben

Gelernt vor Allem dich zu lieben!

So daß auch keines Menſchen Hohn,

Der an des Herzens Fäden reißt,

Und keine Pracht, wie ſie auch gleißt,

Dir mag entfremden deinen Sohn.

Wenn neben ihm der Gletſcher glüht,

Des Berges Aar ſein Haupt umzieht,

Was grübelt er? Er ſchaut nach Norden!

Und wo ein Schiff die Segel bläht

An würzereichen Meeresborden,

Er träumeriſch am Ufer ſteht.

Ich meine, was ſo heiß geliebt,

Es darf des Stolzes ſich erkühnen.

Ich liebe dich, ich ſag' es laut!

Mein Kleinod iſt dein Name traut.

Und oft mein Auge ward getrübt,

Sah ich in Südens reichen Zonen,

Erdrückt von tauſend Blumenkronen,

Ein ſchüchtern Haidekräutchen grünen.

Es wär' mir eine werthe Saat,

Blieb ich ſo treu der guten That,

Als ich mit allen tiefſten Trieben,

Mein kleines Land, dir treu geblieben!

[493]
So ſey dir alles zugewandt,

Mein Geiſt, mein Sinnen, meine Hand,

Zu brechen die Vergeſſenheit,

Der rechtlos dein Geſchick geweiht.

Wacht auf ihr Geiſter früher Zeit!

Und mögt an jenen Himmelsſtreifen

Ihr Schatten gleich vorüber ſchweifen.

Wacht auf, wacht auf, der Sänger ruft!

Und ſieh, es ſteigt am Wolkenſaum,

Noch ſcheu und neblig wie ein Traum,

Es ſchwillt und wirbelt in der Luft,

Und nun wie Bienenſchwarm geſcheucht

Es ſtäubend aus einander fleucht:

Ich ſehe Arme, Speeres Wucht,

Ich ſehe Nahen, ſehe Flucht,

Und gleich entfernten Donners Grollen

Hör' ich es leiſe zitternd rollen.

Ihr ſeyd's, ihr bracht den langen Schlaf!

Der tolle Herzog!1 Anholts Graf!2
Es war im Erntemond, ein Tag

Gleich dieſem auf der Landſchaft lag,

Wo Windes Odem, ſüß und reg',

Hielt mit den Zweigen Zwiegeſpräch,

Der letzte einer langen Reihe,

Voll Glaubenswuth und Todesweihe,

Da, ach! um Lehren, liebereich,

Gefochten ward den Wölfen gleich.

'S war eine thränenſchwere Zeit

Voll bittrer Luſt und ſtolzem Leid,

[494]
Wo ſchwach es ſchien den Todten klagen,

Wo ſo verwirrt Geſetz und Recht,

So ganz verwechſelt Herr und Knecht,

Daß ſelbſt in dieſen milden Tagen,

Da klar und friedlich jeder Blick,

Nicht Einer iſt, ſo möchte ſagen:

Der ward allein um Schuld geſchlagen,

Und der allein durch Mißgeſchick.

Das Recht, es ſtand bei jedem Hauf,

Und ſchweres Unrecht auch vollauf,

Wie ſie ſich wild entgegen ziehn,

Hier für den alten Glauben kühn,

Und dort für Luther und Calvin.
Faſt dreißig Jahre ſind entſchwunden,

Und noch kein Ende iſt gefunden:

Es rollt der Rhein die dunklen Wogen,

Durch brandgeſchwärzter Trümmer Graus;

Da iſt kein Schloß, kein niedres Haus,

Das nicht, vom Wetter ſchwer umzogen,

Von Freund und Feinde gleich geplagt,

Dem Wurf der nächſten Stunde zagt.

O Tilly,3 deine blut'ge Hand

Hat guter Sache Schmach geſpendet!

Wohin dein buſchig Aug' ſich wendet,

Ein Kirchhof wird das weite Land.

Ständ' nicht ſo mild in deiner Näh',

Ein Pharus an ergrimmter See,

Der fromme Anholt, deſſen Wort

So gern den Irren ruft zum Port

[495]
Und mag den Strandenden geleiten,

Du wärſt ein Fluch für alle Zeiten!

Doch wo der tolle Braunſchweig ſengt,

Da iſt die Gnade gar verdrängt,

Wenn, des Corſaren Flagge gleich,

Sein Banner weht im Flammenreich,

Sein Banner, rothen Blutes helle,

Mit „Tout pour Dieu et tout pour Elle!“

Die Kirchen ihres Schmuckes baar,

Die Prieſter am Altar erſchlagen,

Sie können ohne Worte ſagen,

Daß hier der tolle Herzog war.

So dieſe ſtille Gegend auch

In ihrem Abendfriedenhauch;

Sie ruht, doch wie in Schreck erſtarrt,

Und todtbereit des Schlages harrt.

Noch hat die Flur kein Feind betreten,

Noch zittert nur die fromme Luft

Vom Klang der Glocke, welche ruft

Die Kloſterfrauen zu Gebeten,

Wo dort aus dichter Buchen Kranz

Sich Meteln4 hebt im Abendglanz.

Ach, mancher Seufzer quillt hinauf!

Und ſtöhnend manche Stimme bricht

Der ſchonungsloſen Hora Pflicht.

Bei jeder Pauſe horcht man auf:

Und dann die Melodie ſich hebt,

So angſtvoll wie die Taube bebt,

Wenn über ihr der Falke ſchwebt.

Ein Landmann, heimgekehrt vom Pfluge,

[496]
Hat alle Sinne aufgeſtört;

Er glaubte in des Windes Zuge

Zu horchen wüſter Stimmen Schall,

Und war es Furcht was ihn bethört,

Doch hatte jedes Ohr gehört

Des donnernden Geſchützes Hall.

Es iſt gewiß, ſie ſind bedroht,

Die Hülfe fern und groß die Noth.
Und hier an dieſem Weiher klar

Saß damals kleiner Mädchen Schaar;

Nichts wußten die von Furcht und Scheu,

Und ſpielten an dem Borde frei.

Sie warfen flacher Steinchen Scheiben,

Die tanzend blanke Tropfen ſprühn;

Dann pflückten Blumen ſie und Grün,

Und ſah'n ſie mit den Wellen treiben,

Und ſchauten in den Spiegel ein,

Und ordneten die Mützchen fein;

Denn ſey ein Mädchen noch ſo klein,

Es mag ſich gerne zierlich wähnen.

Auch haſchten ſie nach den Phalänen,

Die ſummend kreiſen über'n Teich.

Es war ein holdes Friedensreich,

Der grüne Bord, die leiſen Wellen

Und dieſe tändelnden Geſellen.

Doch ſtill! — Die Mädchen ſchauern auf. —

Was ſteigt dort hinterm Dickicht auf?

Es ſtampft und knackt, es ſchnaubt und klirrt,

Dazwiſchen es wie Senſen ſchwirrt.

[497]
Schau, in das Ufer dichtumbuſcht,

Iſt ſchnell die kleine Schaar gehuſcht.

Und immer näher trabt es an,

Und immer heller ſchwirrt's heran.

Nun ſind ſie da, ein ſtarker Troß,

In Eiſen ſtarrend Mann und Roß;

Die Rüſtung wohl des Glanzes baar,

Und manche Klinge ſchartig war,

Bevor ſie kamen hier zur Stell'.

Sie ſprengen an den Weiher ſchnell,

Dann mühſam beugend über'n Rand

Das Waſſer ſchöpfen mit der Hand.

Und tief die heißen Nüſtern tauchen,

Die Roſſe, Gras und Binſen rauchen,

Man hört des Odems ſchweren Drang,

Und Worte fallen ſonder Klang,

Als wollten ſie in heiſ'ren Tönen

Hervor die müde Seele ſtöhnen.

Dort einer klirrt den Rain entlang

Zur Seite abgewendet ſchier,

Ein Andrer hält ſein ſchnaubend Thier,

An ſeinem Hut ein Handſchuh ſteckt

Vom Reiherbuſche halb verdeckt;

Die Federn hangen drüber her,

Geknickt, von rothen Tropfen ſchwer.

Nun baarhaupt einen Augenblick,

Die Locken ſchiebt er wild zurück:

Nie ſah man in ſo jungen Zügen

So tiefen Grolles Spuren liegen;

Ja, als er ob der Welle beugt,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 32

[498]
Wo ihm ſein Bild entgegen ſteigt,

Man meinte dieſe Zweie gleich,

Sie müßten faſſen ſich am Teich.

Lang ſchlürft er, gierig, tief geneigt,

Nun faßt den Zaum die Eiſenfauſt,

Und nun voran! Die Haide ſauſ't,

Das Laub von dem Gezweige ſtäubt

Wie ſich der Zug vorüber treibt,

Und aufgejagten Sandes Wellen

Sich lagern erſt an fernen Stellen.

Sie ſind dahin — des Hufes Spur

Blieb am zerſtampften Weiher nur.

Doch in der Haide Nebelweiten

Wie Vögelſchwärme ſieht man's gleiten;

Es wimmelt längs der Wolkenbahn,

Und wie die Eiſenmänner nahn,

Ein ſummend Jauchzen, hörbar kaum,

Verzittert in der Ebne Raum.

Und nun verſchwimmt's im Nebelthau,

Und wieder iſt der Himmel blau,

Und wieder friedlich liegt das Land.

Doch ſchon an Horizontes Rand

Steigt hier und dort ein wallend Roth:

O wehe! das Panier der Noth!

O wehe! wehe! Mord und Brand!

Und durch die Ebne, halb wie Zagen

Und halb wie Jauchzen, geht ein Schrei:

„Der tolle Braunſchweig iſt geſchlagen!

Der tolle Herzog floh vorbei!“
[499]
Wohl iſt er toll, wohl iſt er ſchlimm,

Ein Tigerthier in ſeinem Grimm;

Und doch ſo mancher edle Keim,

War einſt in dieſer Bruſt daheim,

Als noch an Vaters Hof den Knaben

Sein heimlich Sinnen durfte laben,

Wenn er, dem Zwange ſchlau entzogen,

In ſeinem Mark die junge Glut,

Von der Gefährten Schaar umflogen

Die höchſten Zweige klimmend bog,

Des Sturmes Odem gierig ſog,

Und dann ertappt, o ſchnöde Pein!

Die Strafe willig trug allein.

Für einen Freund gäb' er ſein Blut!

Es war ein ſtolzer, friſcher Stamm,

Der ſiechte in des Hofes Schlamm;

Denn damals man wie heute that,

Und zog nicht die Natur zu Rath:

Man heiſchte von der Ceder Wein.

Feſt ſtand der Schluß, und ſchon genannt

Das Bisthum ward, das zuerkannt

Dem Knaben, wenn der Jahre Lauf

Die reife Stunde trüg' herauf.

So konnt' es wohl nicht anders ſeyn,

Die edlen Säfte mußten gähren,

Zum Mark die Thräne ſiedend kehren,

Und Keinem trauend, Keinem hold,

Der junge Prinz des Herzens Gold

Zu ſchnöden Schlacken ließ verglimmen.

Doch weiß die Sitte er zu ſtimmen,

[500]
Wie es gebeut des Hofes Ton,

Und Keiner ſah den bittern Hohn;

Die Mutter lobt den klugen Sohn,

Ob von der Wespe Stiche gleich

Galläpfel trägt der bunte Zweig.

Was will man mehr? So wächst er auf,

Und nach dem wohlbeſchloßnen Lauf,

Fürwahr! die Inful nimmt er auch.

Und Keiner ſah ſein blitzend Aug',

Und ſah, wie krampfhaft ſeine Hand

Des Hirtenamts Symbol umſpannt'.

Gemacht zum Prieſter, meinte man,

Hab' ihn nicht eben die Natur,

Doch Tugend ſetze Alter an

Dem Geiſt, wie Roſt dem blanken Stahl:

Kurz Jeder war vergnügt der Wahl.

Und Vaters Augen bald nachher

In Frieden auch geſchloſſen ſind,

Sein letzter Seufzer war nicht ſchwer,

Er klagte kein verlornes Kind;

Sind ewig denn die Fürſten blind? —
Indeſſen dringt das Kriegsgeſchrei,

Und immer näher dringt's herbei;

Wie ſchlummert noch der junge Leu?

Träumt er die edlen Stunden hin?

O Böhmens ſchöne Königin!5

Aus deinen Augen fällt ein Strahl,

Da zucken ſeine Brau'n zumal.

Er ſpringt empor, die Mähne ſchüttelnd,

[501]
An ſeiner Kette grimmig rüttelnd;

Sie bricht, und aus der langen Haft

Verdoppelt ſtürmt die wilde Kraft.

O Frau! bethört von Stolzes Trug,6

Der nicht ein Fürſtenhut genug,

Du haſt geweckt den ſchlimmſten Leu'n,

Der Himmel mag es dir verzeihn!

Sie ſah ſo ſanft, man ſollte wähnen,

Dies Auge, um des Thieres Noth,

Vergießen müſſ' es fromme Thränen,

Und ihrer lichten Wangen Roth

Schien ſo verſchämt, als könne ſie

Dem Manne ſeh'n in's Auge nie.

Wohl öfters wie ein Blitz es zog

Durch ihr Geſicht, dann war ſie hoch,

Und aller Frauen Kaiſerin:

Doch nichts verrieth den harten Sinn,

Der ſich durch tauſend Leichenhaufen

Ein ſchnödes Zepter will erkaufen.

Doch war es ſo; ſeit den Gemahl

Von Böhmens Ständen traf die Wahl,

That ſie ſich heimlich dieſen Schwur,

Als Königin zu ſterben nur;

Und Keiner in der Zeiten Drang

Gleich ihr des Aufruhrs Fahne ſchwang.

Sie fand die tief verſteckte Spur,

Die Herzens Beben mochte künden,

Das, ach! an ihrem Odem hing.

Sie war gemacht, es zu ergründen,

Und nie umſonſt ſah ſie ein Ding.
[502]
Daß ſie ihn liebte ſag' ich nicht,

Sie wahrte treu der Gattin Pflicht.

Zwar durft' er ihren Handſchuh tragen,

Das war nicht viel in jenen Tagen,

Ein Spiel, nicht von Bedeutung gar.

Doch edel war er, das iſt wahr!

Und jung, und da er liebte, auch

Verklärt von ſüßer Flamme Hauch.

Sein Gang war adelig, gewandt,

Vor Allem zierlich Fuß und Hand:

Vom Antlitz wich der bittre Hohn

Jetzt träumeriſcher Schwermuth Thron;

Und zuckt unheimlich es zuſammen,

Sie wußte ja, es war um ſie;

Wird eine Frau ihn drum verdammen?

Ich weiß es nicht und glaub' es nie.

Kurzum, er wirft die Inful fort

Und greift zum Schwert; ein Panzer hüllt

Die Bruſt von trüber Glut erfüllt,

So harrend auf der Herrin Wort;

Denn dienen kann ein Fürſtenſohn

Nur Frauen, Keinem ſonſt um Lohn. —
Was ſoll von dieſem Zug' ich künden?

Das Schiff nur ſegelt mit den Winden,

Und ohne Nahrung ſtirbt die Glut,

Nichts ohne Glück vermag der Muth.

Das war für ihn ein ſchwerer Tag,

Als nieder Böhmens Banner lag!

Er gab es nicht, es ward entwandt

[503]
Der noch zum Kampf bereiten Hand,

Durch jener Wort, die ihn geſendet;

Sie ſchrieb: „Fahrt wohl! Wir müſſen fliehn,

Als Heimathloſe fürder ziehn;

Legt hin das Schwert! Es war zu kühn,

Das Königsſpiel es iſt geendet.“

Ja, Böhmens Banner iſt verloren,

Doch nicht ſein Schwert! Er hat geſchworen,

Nicht raſten will er Nacht und Tag,

Bis es die Schmach der Herrin brach.

Soll reuig an die Bruſt er ſchlagen?

Soll wieder ſeine Inful tragen?

Noch weiß er, weiß noch einen Mann,

Den auch Geſchick nicht beugen kann,

Obwohl er tief und grimmig fühlt.

Für einen Abenteurer hielt

Er ihn bis jetzt; doch mag es ſeyn!

Auch ihn verließ der Sonne Schein.

Ein Fürſt, ein Feldherr war er ſchon,

Und jetzt? Fortunens kecker Sohn!

So geh' es denn auf eigne Hand!

Und bald um ſeinen Führer ſtand

Ein Heer, vom Reiche ausgeſtoßen,

Landſtreicher, flüchtige Matroſen,

Manch' Räuber auch, entfloh'n dem Rad,

Und wen geächtet ſonſt der Staat.

„So recht! ſo recht!“ der Braunſchweig lacht,

Denn ihn auch träf' des Reiches Acht.

Und vor dem Mansfeld7 tritt er auf,

Die Hand ihm bietend: „Nun wohlauf!

[504]
Geſell, wir müſſen uns vereinen,

So mag die Sonne wieder ſcheinen.

Mein Heer, ein wenig bunt und klein,

Allein geächtet: alſo mein.“

Und ſchallend ſchlug der Mansfeld ein.
Seit dieſem Tage war es ganz

Als löſche jener trübe Glanz,

Der zwiſchen Braunſchweigs hohen Brauen

Ließ ſeiner Bruſt Geheimniß ſchauen,

Der Liebe nicht, nein, jene Schrift,

Die Miſchung kündend, draus beſtand

Sein ſeltſam Weſen: Froſt und Brand,

Heilkräftig Gold, Oxides Gift.

Das war nun hin, dafür entſtand

Ein zuckend Fältchen an der Stelle,

Schwach im Gefechte, tief beim Brand,

Wie eingeätzt, wenn Mönches Zelle

In ſchwarzen Wolken qualmt empor.

Schlimm war er, dennoch ſchwer zu ſagen,

Wie viel von ſeiner Thaten Laſt

Muß argen Heeres Willkühr tragen;

Er hatte ſich ſo tief gefaßt

In Stolz und Schlauheit, daß es ſchien,

Kein Hälmchen falle ohne ihn.

So meint gehorſam ſich der Knecht,

Wenn was geſchehn zumeiſt iſt recht;

Und anders nicht zu lenken war

Ein Heer wie dieſes, das iſt klar.

Nicht ſoll man zweifeln, daß zu Zeiten

[505]
Es ſchlimmer ward, als er gedacht,

Daß öfters die verſchwiegne Nacht

Manch ſchweren Seufzer ſah entgleiten,

Wenn zuckend hellt der Lampe Strahl

Auf ſeiner Stirn das Runenmahl,

Obſchon es ihm wie Labſal war,

Sah er aus einem Kloſter klar

Die Funken wie Raketen ziehen.

Und „Gottes Freund, der Pfaffen Feind!“8

Von Herzen war der Spruch gemeint.

Auf ſeinen Münzen lieſt man dies.

Ja, ſeine Bruſt war ein Verließ,

Drin tief wie ein Gefangner lag

Der Groll um längſt vergangnen Tag.

Und ach! das wüſte Leben brach

Zuletzt auch jeder Tugend Blühen,

Daß nur die Treue blieb allein

Wie weinenden Geſtirnes Schein,

Wie Palmeninſel in der Wüſte,

Korallenglanz an öder Küſte.

Und nicht die Amneſtie er nahm,

So ihm von Kaiſers Hulden kam,

— Zu Regensburg am Fürſtentag, —

Doch ſeinem Heere ließ die Schmach:

Laut war das „Nein,“ ſo er da ſprach:

Und um die Seinen iſt es nur,

Daß ſich die fürſtliche Natur

Zu neuem Dienſte kann bequemen

Und Sachſens Fahne wieder nehmen;

Viel lieber würd' er fallen kühn,

[506]
Sein blutig Banner über ihn;

Doch Treue läßt ihm keine Wahl.

Und ſo, des Bundes General,

Sah ihn der Rhein, ſah ihn Weſtphalen

Mit ſcharfer Münze klingend zahlen,

Auf ſeinem Weg' die Flamme prahlen.

Der Platow, ſeine rechte Hand,

Brandmeiſter ward im Heer genannt,9

Er ſelbſt der tolle Herzog nur.

Ihm war es recht, er ſagt' es offen,

Der Titel ſchien ihm wohl getroffen.

Wild war er wenn Fortuna lacht,

Ihr Zürnen ihn zum Tollen macht;

Der Himmel mag ſich deß erbarmen,

Den heut er trifft! Wir ſah'n ihn fliehn,

Und ſchwarz ihm nach wie Flüche ziehn

Rauchſäulen aus dem Dach des Armen.
In einem Schloß, vom Wald geſchützt

Man ſcherzt und koſ't beim heitern Mahl.

Stieg denn das Wetter auf? Es blitzt,

Entlang die Zweige zuckt der Strahl,

Und alle Fenſter klirren auf.

Ha! dort und dorten ſteigt es auf!

Und alle trifft des Wortes Wucht:

„Der tolle Herzog auf der Flucht!“

So ſtürmt er fort, ein Meteor

Mit Flammenſpur am Himmelsthor,

Bis nun auf Ahaus10 Haidegrund

Sein Heer ſich lagert wirr und bunt.
[507]
Ach, armes kleines Städtchen du,

Wie ſteht's um deine nächt'ge Ruh!

All deine Bürger blieben wach

Und zittern vor dem jungen Tag,

Wie Jener, dem der Sonne Licht

Nur leuchten ſoll zum Hochgericht.

Man hat gehemmt der Glocke Schlag,

Kein Lämpchen in der Kammer glimmt;

Der Blendlaterne trüber Schein

Nur wohlverdeckt im Keller ſchwimmt,

Wo zitternd birgt, ſo gut er kann,

Sein bischen Hab der ärmſte Mann.

Auch in den Kammern Manche ſind,

Die betend an den Fenſtern ſtehn,

Und ſehen gleich Dämonen gehn

Die Wache längs der Feuer Schein.

Im Bett der Kranke bleibt allein,

Und langſam in des Mondes Glanz

Regt klappernd ſich der Roſenkranz:

Daß Gott, der einſt in ſeiner Huld

Für Israel bedeckt mit Schuld

Die Sonne ließ am Himmel weilen,

Ach heute nur, dies Eine Mal,

Den Sternen Dauer mög' ertheilen!

Umſonſt! die Stunde rollt heran.

Im Lager drüben Roß und Mann, —

O ein Geräuſch! den Tod zu bringen, —

Vom Lager hört man klirrend ſpringen,

Doch zögert noch der Morgenſtrahl. —
[508]
Dort, wo gelehnt am Lanzenſtab,

Ein dunkler Fleck, die Wache ſteht,

In ſeinem Zelte auf und ab

Der Chriſtian von Braunſchweig geht.

Er iſt alleine; was er denkt,

Sein Auge kündet tief geſenkt,

Das nur zum Grund die Blicke führt.

Zuweilen ſeine Rechte rührt

Des Hutes Rand, wo blutbefleckt

Am Reiherbuſch der Handſchuh ſteckt,

Als zweifle er, ob nicht dies Zeichen

Mit ſeinem Glücke müſſe weichen.

Und ſoll ſein Antlitz ich vergleichen:

Des Griechen Feuer müßt' es ſeyn,

Das heimlich frißt mit kaltem Schein.

Ja! weſſen Auge jetzt ihn trifft,

Der läſe ſchnell die Runenſchrift:

„Ein Held! ein Schwärmer! ein Soldat!

Und ſeines Glaubens Renegat!“

Schau, ein Papier am Boden dort!

Er ſchleudert's mit dem Fuße fort.

Der Mansfeld hat ihm aufgeſagt;11

„Ein Narr, der es mit Schelmen wagt!“ —

Im Lager bleibt es immer ſtill,

Noch ſchlummert rauchend der Vulkan,

Was hemmte ſeiner Lava Bahn?

Die Vorſicht, ſo nicht gönnen will,

Der Beute Luſt ſich zu ergeben,

Wo Schwerter über'm Haupte ſchweben.

Nur Roſſes Wiehern, Wächters Gang,

[509]
Vom Hammerſchlag ein ferner Klang

Durch des Gezeltes Spalten drang.

Sie öffnen ſich, und langſam tritt

Vor ſeinen Feldherrn Obriſt Spar.12

Ein Mann ſo aller Milde baar,

Daß ihn der Herzog oft verglich

Der Roßkaſtanie, deren Stich

Nur trotzig zu verbergen ſucht,

Daß ungenießbar iſt die Frucht.

Im Zelt ſie wandeln Schritt bei Schritt,

Was ſie geſprochen war nicht lang;

Doch weiß man, in den Herzog drang

Er wiederholt: nach ſolchem Streite

Zumeiſt dem Krieger zieme Beute,

Daß Eine Luſt noch rüttle wach

Den Muth, der im Gefechte brach. —

O ſtolzer Feldher, gib nicht nach!
Wie endlos iſt der Kirche Bogen,

Wie geiſterhaft der Ampel Strahl,

Wenn Furcht und Seelenglut zumal

In Stößen treiben Blutes Wogen.

Die Decke ſchwimmt, der Leichenſtein

Scheint aus den Fugen ſich zu heben,

Und ein unheimlich, blutlos Leben

Regt flimmernd ſich im Heil'genſchrein.

Auf leerer Kanzel knackt ein Tritt,

Wie Nachtwind an den Fenſtern wühlt;

Von unſichtbarer Hand geſpielt

Die Orgel ſummend ſcheint zu beben,

[510]
Sein Schwert Sankt Michael zu heben

Und Zugluft, die dem Spalt entglitt,

Regt nun und dann des Greiſes Haar,

Der dort am Hochaltare liegt,

So regungslos in ſich geſchmiegt,

Als ſey er ſchon des Lebens baar.

Und wie es flatternd ihn umfliegt,

Er meint, es ſey des Vorfahrs Odem,

Ins Ohr ihm flüſternd immer neu:

Halt aus, halt aus! auf ſchwankem Boden

Bleib deinem Heiligthume treu!

Nicht rühme ſich die blut'ge Schaar,

Verlaſſen traf ſie den Altar!

Was war das? Stimmen, und ganz dicht!

„Jeſus, Maria, ſteh uns bei!“

Nun iſt es ſtill. Und nun auf's neu'! —

„O heil'ge Jungfrau, laß mich nicht,

Wenn nun mein Stündlein kommt herbei!“

Es klopft und drängt, es dreht am Schloß,

Die Flügel ſchwanken. Ha! da bricht

Es ſplitternd mit gewalt'gem Stoß:

Sturmhaube, Federbuſch und Hut,

Von Lanzenſpitzen eine Flut; —

Mit gelben Kollern angefüllt

Die Kirche dröhnt von Flüchen wild.

Und, o mein armer Sakriſtan!

Zum Hochaltar die grade Bahn

Treibt wie ein Strom der Troß hinan.

„Wo blieb der Kelch? wo die Monſtranz?

Das beſte Paar im ganzen Tanz!

[511]
Der graue Schelm hat ſie verſteckt!“

Und zwanzig Fäuſte krallen an

Den Greis, der gen der Waffen Glanz

Die unbewehrten Hände ſtreckt.

„Bekenne, Hund!“ und hochgepflanzt

Die Partiſane zuckend tanzt:

So hängt der Boa Haupt vom Aſt

Und züngelt, eh den Raub ſie faßt.

„Bekenne, Hund!“ — Kein Sterbenswort,

Der Greis die Wimper hat geſchloſſen.

Nun flüſtert er. — Da kniet ſofort

Ein grauer Leitbock der Genoſſen;

Er bückt ſich, lauſcht, dann ſpringt er auf,

Und grimmig ſeine Lache ſchallt.

„Ave Maria, Jeſu mein!“

Iſt zitternd in ſein Ohr gehallt.

Riſch ſteigt die Partiſane auf

Noch einmal kreiſend mit Gewalt,

Dann krachend in der Rippen Spalt.

Ein Zucken längs den Gliedern, dann —

Es iſt vorbei! — Das Blut entrann.

„Mein Jeſu!“ war ſein letztes Wort.

Und „Huſſah Braunſchweig! nun voran!“ —

Ach, ſoll ich künden, wie entehrt

Ward meines Glaubens theurer Heerd!

Wie man die Heiligthümer fand,

Und kirchenſchänderiſche Hand

Mit Branntwein füllt bis oben an

Den Kelch, ſo faßte Chriſti Blut!

Wie man Gewänder, gottgeweiht,

[512]
Sah wehn um Kriegerſchultern breit!

Was ſchonte jemals Schwärmerwuth?

Was mehr noch ein Verbrecher, der

Soldat nur iſt von ungefähr?

Die Fenſter klirren, vom Geſtell

Apoſtel ſchmettern, ſchwankend ziſcht

Die ew'ge Lampe und erliſcht.

Vom Lanzenſtich der Märtyrer

Zum zweitenmal wird todeswund.

Reliquien beſtreu'n den Grund,

Von Hammerſchlägen, Speeres Stoß

Reißt der Altar ſich krachend los,

Und „Huſſah Braunſchweig!“ bricht es ein.

Zierrathen ſplittern auf den Stein,

Und heulend muß die Glocke gellen,

Jetzt ein Signal den Raubgeſellen.

Schau, dort ein bärtiger Bandit

Selb einem Andern ſtampft und glüht.

„Ha, dort ein Kruzifixchen noch

Im Winkel; Silber muß es ſeyn!“

Er ſchiebt ſich hin, ſo ſchlau und ſcheu,

Vermeidend des Gefährten Blick.

Nun faßt er es — ein lauter Schrei!

Und wie ein Block er ſtürzt zurück;

War nicht ſchon nah ſein Kamerad,

Leicht kam es, daß man ihn zertrat.

Doch nun, im Winkel hingeſtreckt,

Die Stirn er mit den Händen deckt,

Nur leiſe ächzend, nun und dann:

„Der Teufel — Teufel — ſah mich an!“

[513]
Dann auf ſich rafft er, taumelt weg,

Wie Blinde wanken über'n Steg.

Sein Kamerad vergaß ihn ſchon,

Das Kruzifix nimmt er zum Lohn.

„Ha, Spiegelglas!“ und klirrend bricht

Es an der Jungfrau Angeſicht.
Von Ulmenſchatten halb verſteckt

Ein Häuschen liegt mit Stroh gedeckt,

Wohin nur ſchwach der wilde Klang

Gleich Kranichheeres Schrillen drang,

Da dem Soldaten nicht vergönnt

Zu ſtreifen längs der Mauer Kreis:

Die Kirche gab der Herzog preis,

Kein Hälmchen ſonſt; nach einer Stunde

Macht er im Lager ſelbſt die Runde,

Ob Alles in der Ordnung ſey,

Vollzählig jedes Regiment.

Und dieſe Hütte liegt allein.

Was kauert dort im Mondenſchein,

Undeutlich, wie ein Klumpen grau

Und ächzt gleich Sterbenden genau?

Gertrude lauſcht am Fenſterrand:

Sacht, ſachte ſchiebt ſie mit der Hand

Den Riegel auf, wohl ſchaudert ihr;

Sie iſt ſo fromm, das junge Blut.

O nenne nicht gering den Muth

Von dieſem ſchlichten Waiſenkind!

Der Koller, Speer — ſie iſt nicht blind.

Doch, wär' es nur ein armes Thier!

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 33[514]
Und, geh, es iſt ein Menſch in Noth!

Da ſteht ſie zitternd, feuerroth.

Und wenn er, wie ein wirrer Geiſt,

Die Kräuter aus dem Raſen reißt,

Ein wenig rückwärts tritt ſie dann;

Doch wenn er ſeine Hände ringt,

Aus tiefem Auge Jammer dringt,

Sie näher, näher rückt heran.

Und: „Armer Mann, ihr armer Mann!“

Ob er es nicht vernahm? Er ſchweigt.

Da zögernd ſie die Hand ihm reicht,

Er hebt ſich auf, er folgt, ſo lind,

So ganz unmündig wie ein Kind.

Und nun ihr jungfräuliches Bett

Bereitet ſie geſchwind und nett;

Und Labung auch vom Beſten reicht,

Und ſteht ſo ſorgenvoll gebeugt,

Verwundert daß ſich nirgends Blut

Und nirgends eine Wunde zeigt.

Nun ſchlummert er, das iſt wohl gut;

Er ſieht doch gar entſetzlich grimm,

Man ſollte denken, er ſey ſchlimm.

Und fort ſie huſcht wie Wirbelwind,

Dreht auch den Schlüſſel um geſchwind.
Kaum iſt ſie fort: vom Lager hebt

Der Gaſt ſich, ſeine Wimper bebt,

Er grübelt, an den Fingern dreht

Und murmelt was man nicht verſteht.

Nun heller: „Ja ich hab's geſehn,

[515]
„Ich ſah den Teufel vor mir ſtehn,

„Ich ſah ihn ſeine Krallen ſtrecken.

„Johannes May, verruchter Hund!13

„Mit Blute mußteſt dich beflecken

„Von Jenen, die der Taufe Bund

„Mit dir geweiht am gleichen Becken,

„Die Kirche, die dir Tröſtung gab,

„Die einſchließt deiner Eltern Grab,

„Die dich gelabt mit Chriſti Leib,

„Dir am Altare gab dein Weib,

„Wo deine Kinder alle drei

„Steh'n im Regiſter nach der Reih';

„O wehe, wehe! Mord und Brand!“

Und wieder ſchlägt er ſeine Hand

An das Geſicht, man meinet ſprengen

Die Adern muß des Blutes Drängen,

Und nun im Ton der Leidenſchaft:

„Genugthun will ich, wie nur kann

Ein einzelner und niedrer Mann;

Doch meine Reu' ſey meine Kraft!

Vergoß ſo oft ich Freundes Blut —

Mein Arm iſt feſt, die Büchſe gut.“

Nach einer kleinen Pauſe dann:

„Herzog, du biſt ein todter Mann!“

Nun ſteht er rüttelnd an der Schwelle,

Nun durch das Fenſter huſcht er ſchnelle!

Nun ſchreitet er den Rain entlang.

O arme Taube, mild und bang!

Wie ward dir da du dies gehört?

Das Blut ſich ihr im Herzen kehrt,

[516]
Und Mord und Brand, und Brand und Mord

Im Ohre hallt es immerfort;

Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert!

Stellt ſie die Sache Gott anheim?

Läßt ſprießen des Verbrechens Keim?

Sucht ſie zu hindern, wie's vermag

Ein machtlos Weib von ihrem Schlag?

So fallen, reulos, unbewehrt,

Von ſeines Untergebnen Hand!

Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand

So jammervoll in ihrer Schöne,

Wie unterm Kreuze Magdalene.

Vielleicht gibt ihr die Kirche ein,

Was mag des Himmels Wille ſeyn.

Schon weicht dem Morgenroth die Nacht,

Laut wird das Vogelneſt am Aſt;

Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht;

Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt

Wie Kain gemarkt von Gottes Hand,

Sie könne wandern durch das Land.

Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm,

Geſperrt die Läden rings herum.

Gottlob, die Kirche! Aber wie!

Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh?

Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht,

Der Hochaltar — ſie ſieht ihn nicht!

Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet,

Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet.

Da über ihr Geziſch, Geknarr,

Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr

[517]
Setzt aus und dröhnend, Schlag auf Schlag,

Wie Wetterkrachen donnert's nach;

Sie meint, es ſey der jüngſte Tag.

Geſpenſter ſchau'n aus Fenſterluken,

Im Thurm beginnt ein wildes Spuken,

Hinab die Stiegen mit Geſcharr.

Nein, wehe! das iſt Menſchenhand,

Die jetzt ſie zerrt am Gürtelband.

O, ſchlimmer als Geſpenſter weit,

Soldaten ſind's in Trunkenheit!

Sie ſchreit nicht, wehrt ſich nicht, nur ſacht

Sie wimmert wie ein Vogel klein,

Dem man das ſchwache Hirn drückt ein;

Vor ihren Augen wird es Nacht.

Da rückwärts taumelt der Geſelle,

„Der Herzog!“ ruft's, und plötzlich nah

Ein Dritter ſtand, unbärtig noch,

Doch über Manneslänge hoch.

Ja, wie ein Schatten ſtand er da,

Kalt, tödtlich bohrt ſein Blick ſich ein:

Die beiden Männer ſind wie Stein.

Und als den Strahl er tiefer trug,

Blaß ihr Geſicht ward wie ein Tuch.

Er winkt, ſie weichen auf der Stelle.

Auch ſie noch ſchaut er ſeitwärts an,

Sich, ſeltſam lächelnd, wendet dann

Und geht, iſt fort. O Jeſus Chriſt!

Ihr Retter ſelbſt der Herzog iſt, —

Und dieſer liegt im Kirchenbann.
[518]
So freundlich war das Himmelblau,

So klar im Graſe lag der Thau;

Man dachte nur, zu Luſt und Frieden

Ein ſolcher Morgen ſey beſchieden.

Im Sonnenlichte ſtand das Heer,

Glanzwellen brachen ſich am Speer,

Und leiſe wallend an den Stäben

Die Fahnen hob der Lüfte Weben.

Ein leerer Kreis, ein Haufen Sand,

Und ſeitwärts an der Lanzenwand

Zwei Krieger ihrer Wehr beraubt,

Tief auf die Bruſt das bleiche Haupt.

Die ſahen nicht nach Sonnenlicht,

Sie hörten Roſſes Wiehern nicht;

Vor ihrem Ohre ſummt es nur,

Ein Spinngewebe ſchien die Flur.

O anders, friſchen Tod erwerben,

Als ſchmählig vor dem Standrecht ſterben!

Zur Seite, mit den Offizieren,

Die flüſternd raſche Reden führen,

Der General verdüſtert ſtand.

Kopfſchüttelnd redet Obriſt Spar,

Der Styrum nickt und lächelt gar,

Und der Sergent und Reiter auch

Sich wahren ihrer Rechte Brauch:

Es iſt vorbei, das Stäbchen brach,

Den beiden ſtieg der letzte Tag.
Wer dieſe bleichen Sünder ſah,

War er kein Stein, es ging ihm nah.

[519]
Sie hatten luſtig fortgelebt,

Vertrauend auf ihr gutes Schwert,

Das manche Wunde abgewehrt;

So manche Kugel pfiff vorbei,

Und nun — am Sande ſtehn die zwei;

Und eh das Tuch die Augen deckt,

Noch ſehn ſie wie der Arm ſich ſtreckt,

Sehn zwölf der bravſten Kameraden

Maſchinen gleich die Büchſen laden.

Ade, o Strahl! nun iſt es Nacht.

Geblendet ſchon der Lunte Rauch,

Zu ihnen trägt des Windes Hauch.

Stieg himmelan ein Seufzer auch?

Ich weiß es nicht; es blitzt, — es kracht! —
Geendet iſt das Kriegsgericht,

Verlöſcht des Himmels Gnadenlicht.

Zwei liegen dort im kalten Grund,

In ihrer Bruſt ein Stückchen Blei;

Die feuchte Scholle deckt den Mund:

Daß Gott der Seele gnädig ſey!

Die Schützen putzen ihr Gewehr,

Ein Wald von Lanzen ſteht das Heer,

Die Züge ſtarr, den Blick geſenkt,

Man kann nicht ſehn was Einer denkt.

Geſchlagen ſind ſie, dennoch kühn,

Und ganz verhaßt die Disciplin.

Entlang der Herzog geht die Reih'n,

Und Manchen ſchaut er an mit Fleiß;

Ward Einem bang? Es mag wohl ſeyn;

[520]
Doch Vielen ward es ſiedend heiß.

War nicht ſein Schlangenauge da,

Man kann nicht wiſſen was geſchah.

Nun, ſtauend wie ein Mühlenbach,

Zum Lager ſchiebt es drängend nach,

Es iſt ein fürchterlicher Troß,

Dem Führer ein unbändig Roß.

Ungern der Herzog drum, wie heut,

Zum Fehlen gibt Gelegenheit.

Als in den Zelten ſie zumal,

Am Sande weilt der General;

Er bohrt den Degen ſinnend ein,

Stößt mit dem Fuß des Weges Stein;

Und neben ihm der Obriſt Brand,

Graf Styrum auch, ſein Adjudant,

Ein kühnes Blut und lockrer Fant:

Die Zunge läuft mit ihm davon,

Und halb Gedachtes gibt ſie ſchon.

So jetzt, zum Obriſten gewandt:

„Die Pferde knirſchen in's Gebiß,

„Des Tilly Silber hat gewiß

„Noch, als ſein Eiſen, ſchärfern Zahn.

„Was meint ihr? Iſt der alte Hahn

„Ein Baſiliskenei zu legen

„Nicht eben recht? Ich ſage dies.

„Und ferner noch: Herr Herzog nehmt

„Nicht allzu leicht, was heut beim Tagen

„Das ſchmucke Ding euch vorgetragen,

„Was ſich ſo bürgerlich geſchämt.

„Man ſah, von Herzen ward's ihr ſchwer,

[521]
„Drum glaub' ich es um deſto mehr,

„Vielleicht — Was trabt denn dort heran?

„Ein Weihquaſt? Was, zum letzten Segen?

„Und ſteckt doch ſeinen kahlen Kopf

„Grad' in die Fall', armſel'ger Tropf!“

Gelaſſen tritt der Mönch heran.

Man ſpricht ſo viel aus jener Zeit

Von Clerus Ausgelaſſenheit;

Dies war ein ſtill gelehrter Mann,

Und einzig ſeiner Bücher froh

Im Gotteshauſe zu Burloh.14)

Von ſeinem Obern ausgeſandt

Und kehrend heut durch Ahaus Thor,

Des Glaubens Feinde er davor

Und jammervoll die Bürger fand.

Daß nicht der Kelch, nicht die Monſtranz

So wie der Leuchter Silberglanz

Zu retten, ſcheint ihm ſelber doch;

Allein die Kreuzreliquie noch,

So nur in ſchlechtes Holz gefaßt —

Drum gönnt er ſich denn keine Raſt,

Und tritt den Herzog muthig an.

Er bittet um geneigtes Ohr,

Trägt ruhig ſein Geſuch ihm vor;

Hat nun geredet, blickt empor,

Doch haſtig wieder auf den Grund:

Dies Muskelſpiel um Wang' und Mund,

Und dieſer Augen todte Glut —

Fürwahr die Sache ſteht nicht gut!

„Herr!“ fährt er fort, „was nützt es Euch?

[522]
„Wir werden arm, und ihr nicht reich.

„Zum erſten Mal im Leben ich

„Schau einen Fürſten, ſicherlich;

„Und ihr ſeht ganz ſo adelich

„Wie Fürſten ſollen.“ O Geduld!

Faſt blendet ihn das Muskelſpiel.

„Gebt mir dies Zeichen Eurer Huld,

„Was Euch ſo wenig, mir ſo viel.

„Gedenkt wie Cyrus alter Zeit

„Hat den Zorobabel erfreut,

„Dem er die Heiligthümer gab

„Zu beten an der Väter Grab;

„Wie Julian der Apoſtat“ —

Spricht Styrum lachend: „Schmucke Wahl,

„Mit Apoſtaten uns zumal,

„Mit Juden deine Schaar vergleichen:

„Mein Alter das ſind ſchlimme Zeichen!

„War Julian ein Apoſtat,

„Du ſcheinſt mir halber Renegat.“

Was nun den Herzog hat gerührt,

War es das Wort ſo ſchlicht geführt,

War es das Zutraun unverdeckt,

Ein Zug der ihm Erinn'rung weckt:

Genug er winkt, er ſpricht ein Wort,

Und lachend wandert Styrum fort.

Wie war doch unſer Mönch ſo froh,

Als er die Kreuzreliquie ſah;

Er faßt ſie an dem Rande, ſo,

Dem heil'gen Splitter nicht zu nah;

Und vor dem Herzog bückt er ſich,

[523]
Und abermals und wiederum,

Er meint es ſey noch nicht genug;

Der ſteht und lächelt wunderlich:

„Ihr ſpracht ja eben wie ein Buch,

„Und ſeyd mit Einem Mahle ſtumm.

„So ſagt uns denn gleich klar und ſchön,

„Was Ihr auf eurer Fahrt geſehn.“

Der Mönch den Seufzer drängt zurück,

Er zögert einen Augenblick:

„Zuerſt traf ich am Küchenheerd

„Den Mann mit Frau und Kindern werth,

„Die nahmen ihr geringes Mahl.

„Demnächſt ich ſie im Felde fand

„Nach Abend ſchauend unverwandt,

„Die trieben ſeufzend und mit Müh'

„Dem Dickicht zu der Rinder Zahl;

„Dann eine Hütte unbewacht,

„Und dann — nicht finſter war die Nacht,

„Die Flamme“ — O welch dunkles Roth

Von Braunſchweigs hoher Stirne droht!

„Ich frage nicht nach Mann und Weib! —

„Saht ihr die Baiern?“ „O bei Leib!

„Deß war nicht meine Furcht gering;

„Der Baier bleibt auch nur Soldat.

„Doch ſagt man, daß der Tilly naht.

„Herr! ſeht Euch vor, das iſt mein Rath.“

Zeit war es, daß der Pater ging.
'S iſt ſchaurig, wenn im Felſenthal

Die Kuppen bleicht des Mondes Strahl,

[524]
Wenn Windeszug entlang der Kluft

Mit Seufzern füllt die graue Luft,

Und Uhu's Auge auf der Wacht

Vom Riffe leuchtet: doch bei Nacht

Wohl ſtandeſt du am Meere je,

Und hörteſt wie der Wellenſchlag

Sich wühlend am Geſtade brach?

Ein wüſtes Unthier iſt die See,

Wenn ſchwärzer als die Dunkelheit

Haſcht Wog' auf Woge nach dem Strand.

Doch ſchauriger die Haide weit,

Wo Lichter flattern über's Moor,

Die Kröte unter'm Raſen ſchrillt.

Bei jedem Tritt es ſchwankt und quillt,

Und dampfend aus dem Grund empor

Sich Nebelchaos wirbelnd ſtreckt,

Wie Geiſterhüllen halb geweckt,

Als wollten die Atome ringen

Sich los aus Gras und Krautes Schlingen,

Die vor der grauen Sündfluth Zeit

Lebend'gen Odems ſich gefreut.

Auf Gräbern glaubſt du nur zu ſchreiten,

Durch halbgeformten Leib zu gleiten;

Die Mährchen deiner Kinderzeiten

Sich unabwendbar drängen an:

Faſt glaubſt du an den Haidemann.

Es iſt kein Trug, dort rückt er an!

Nein! Menſchenſtimmen, männlich Eine,

Die andre Vögeln gleich an Feine.

„Gertrude, war das wohlgethan?

[525]
„Was ließeſt du dem Himmel nicht

„Sein freies Walten und Gericht?

Und nun die klare Stimme ſpricht:

„So war es nicht des Himmels Wille,

„Daß ich vernahm was jederzeit

„Wohl hätte Menſchenohr geſcheut?

„Wenn es nicht Gottes Finger that,

„Was führte dann den Reiter grad'

„An meine ganz entleg'ne Thür?

„O Eberhard! ſey ſtille, ſtille,

„So Hartes rede nicht zu mir,

„Bei Gott! ich bin genug gequält!“

— „Nun wohl! noch haſt du nicht erzählt.

„Doch horch, Gemurmel! — 's iſt der Wind,

„Und das Gewitter ſteigt geſchwind.“

— „Ich wählte einen Blumenſtrauß

„Und meine blankſte Schüſſel aus;

„So ging ich langſam aus dem Haus,

„Gewiß! es war ein ſaurer Gang!

„Ich betete den Weg entlang

„Zu den Nothhelfern alleſammt,

„Antonius, dem Schutzpatron;

„Und ſieh! da ſtand der Herzog ſchon!

„War das nicht ſeltſam?“ — „Still, was flammt

„Dort auf!“ — „Du ſiehst ja, daß es blitzt;

„Wir müſſen eilen. — Als ich itzt

„So vor ihm ſtand ganz nah am Thor:

„Kein einzig Wort bracht' ich hervor,

„Ich hielt ihm nur die Schüſſel hin

„Und weinte wie 'ne Sünderin;

[526]
„Die bei ihm ſtanden, lachten helle,

„Zu ſterben meint' ich auf der Stelle,

„Und bracht' es endlich doch heraus,

„Wie Jener kam zu meinem Hauſ',

„Ganz wirrig, ſchaudernd und bethört,

„Und wie ich ſagen ihn gehört,

„Was ich bei Gott beſchwören kann:

„Herzog, du biſt ein todter Mann!

„Mußt' ich das nicht? Dann fragt' er mich,

„Ob ich ihn kenne, ſicherlich

„Ich ſagte nein; recht war es nicht.

„Ich ſah wohl deutlich ſein Geſicht.

„Was trug er? — Wie ein Landesknecht

„Den Koller, Lederſtrümpfe ſchlecht.

„— Schon gut! und Dank für den Bericht, —

„Und denk', er bot mir Geld und Wein,

„Doch wie ein Haas lief ich feldein.

„Gott gab mir eine ſchwere Laſt,

„Nun Kummer mir das Herze bricht,

„Daß ich verrathen meinen Gaſt,

„Vielleicht — fürwahr! da klirrt es gleich.

„Doch nein! der Fiſch ſprang auf im Teich.

„Die Nacht iſt ſchwül.“ — „Gertrude komm!

„Du biſt ein thöricht Ding, zu fromm.

„Kam jene Kunde in mein Ohr,

„Dem Ofen ſagt' ich's lieber vor,

„Könnt' ich nicht ſchweigen. Komm geſchwind,

„Schau, wie das Wetter treibt der Wind;

„Wir haben weit bis Ottenſtein,15)

„Ich weiß, der Oheim wartet dein.

[527]
„Und, wahrlich! das iſt Waffenklang,

„Gewiß, den Liesner16) ganz entlang —

„Fort! fort!“ — Wie Schatten ſchwinden ſie.
Und Zug auf Zug, aus Waldeshagen

Sieht man die ſchwarzen Säulen ragen,

Sich endlos die Kolonne zeigt,

Wie drüben Wetterwolke ſteigt,

Als wollten Heere jener Welt

Sich nächtlich treffen über'm Feld,

Das ihre Gräber mußte tragen.

Nun breitet ſich's, wie Stromes Fall,

Nun windet ſich's, ein wüſter Ball;

Im Hui ſchlägt die Flamme auf,

Und dort und drüben wie im Lauf

Steifſtiefeln, Koller rings umher:

Es iſt der Tilly und ſein Heer;

Ganz deutlich wie am Tage ſchier

Sieht man des Rautenſchilds Panier.

Die Reiter von den Roſſen ſteigen,

Den Hals die Thiere dampfend neigen;

Und Wiehern, Hämmern, Stimmenſchall

Verſchwimmen in des Donners Knall,

Da grade über Mann und Zelt

Sich das Gewitter hat geſtellt.

Oft röthlich zuckend hellt ein Strahl

Die ganze Maſſe auf einmal.

Schon ziſchen Tropfen in der Glut,

Nun ſchwenkt ſchon der Soldat den Hut,

Am Federbuſche flirrt es fein:

[528]
Und nun mit grenzenloſer Wuth

Die Elemente brechen ein,

Und niederſtürzend eine Flut

Wie über's Wrack ſich ſchäumend legt.

Der Donner ſchwieg, doch Sturmes Macht

Und Hagelſchlag die Haide fegt —

Ich ſehe nichts mehr, es iſt Nacht!
[529]

Zweiter Geſang.

Wie tiefberauſchend iſt dein Odem,

O Phantaſie! was kommt ihm gleich,

Wenn über Mauerzinnen bleich

Du gleiten läßt den Grabesbrodem!

An einem Tage muß es ſeyn,

Wo bläulich ſteigt der Höhenrauch,

Vielleicht auch wenn der Dämmerhauch

Mit grauem Staube füllt die Luft,

Des Meteores falber Schein,

Ein fallend Sternlein, theilt den Duft.

Weß Seele würde nicht bewegt,

Gedenkt er dann der warmen Hand,

Die dieſen kalten Stein gelegt,

Des Geiſtes, der die Formen fand,

Die, Greiſe ſelber, gliedermatt,

Wie von dem Baume Blatt um Blatt,

Langſam nachrollen in die Gruft.

Am Thurme lieb' ich dann zu ſtehn,

Zu lauſchen Wetterhahnes Drehn,

Mag wandeln um des Städtchens Kreis,

Und aus der Mauerſcharte weiß

Des Graſes Finger winken ſehn,

Die alten Gräben, halb verſchüttet,

Die Warte bröckelnd, grau, zerrüttet,

Und über'm Thor das Fenſterlein,

Draus öfters trat der Fackel Schein

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 34[530]
Bevor das Gitter ſteigend klang.

Mich dünkt, ich höre Geiſterſang:

Wie kurz o Leben, Zeit wie lang!

Siehſt drüben du den ſtolzen Bau?1

Bald wird an jenes Schloſſes Pforte,

Das kein Jahrhundert noch geſehn,

An meiner Statt ein Andrer ſtehn,

Entziffernd halb verlöſchte Worte,

Wird Biſchofſtab und Mitra nur

Errathen aus entſtellter Spur.

Dann wird er Ahaus Bürger fragen,

Und dieſer weiß nur dunkle Sagen,

Daß in verjährter Zeiten Grau

Ein Baierfürſt geführt den Bau.

Noch kurze Zeit, ſo ſinkt er ein.
Wie heute ſchon kein Mauerſtein

Verkündet wo die Veſte lag,

Darin des Tilly ſtarrer Muth

Sich barg vor Elementes Wuth,

Ingrimmig harrend auf den Tag.

Und nur der Dichter kennt allein

Den Fleck wo einſt die Halle ſtand,

Gebilde ſchauten von der Wand,

Wo des Kamins geſchweiften Bogen

Hinauf die Funken kniſternd zogen,

Und manche kühne blut'ge Hand

Sich friedlich ſtreckte über'n Brand.

Am Heerde, abwärts von der Glut,

Der Feldherr ſteht und ſtreicht den Bart;

[531]
Das war nun einmal ſeine Art,

Gekannt von Allen, Keinem gut;

Gewaltſam aufgeregtes Blut

So will er dämpfen: dieſen Strich

Sieht der Soldat und richtet ſich.

Sein Auge klar, doch grau wie Blei,

— So durch die Welle blitzt der Hai, —

Geſpannt auf der Tapete ruht,

Wo ſchaumbedeckt, mit Todesmühen,

In's Dickicht ſcheint der Hirſch zu fliehen.

Auf Tilly's Stirn die Ader ſteigt,

Denkt ſeines Wildes er vielleicht,

Und meint, ſchier ſey der Forſt erreicht,

Da Hollands Gränze ſchützen kann

Vor'm Schlage den verfehmten Mann?

O alle Teufel, welch ein Streich! —

Zunächſt ihm, luſt'gem Strauche gleich,

Der über'n Krater ſtreckt den Zweig,

Der junge Albrecht Tilly kniet,

Dreht auch am Zwickelbärtchen fein

Und um das Feuer iſt bemüht;

Sein Antlitz blüht im Widerſchein.

Wär' nicht dies Auge, ſtolz und kühn,

Man dächte, nicht ſo friſches Grün

Kann ſproſſen aus verbranntem Stein.

Dann Schönberg, wie ein Reutersknecht,

Im Lederkoller ſchlicht und recht,

Die Glatze kahl, behaart die Hand,

Und Holſteins Herzog, ſchlau, gewandt,

Manierlich wie ein Wieſenbach:

[532]
Die beiden zogen ſchweigend Schach.

Graf Fürſtenberg, bedacht und kalt,

Erwitte's hagere Geſtalt,

Und Obriſt Lindler noch dabei.

Am Tiſche ſtanden dieſe drei

Und ſahen mit geſpannten Blicken

Der Karte längs die Feder rücken,

Die, flüchtig deutend Moor und Wall,

Graf Anholt führt, der Feldmarſchall.

Im Saale war es ſtill genug:

Man hörte wie der Regen ſchlug,

Wie Ströme von den Dächern rinnen,

Die Fahnen kreiſchen auf den Zinnen,

Und — Schach dem König! à la Reine!

Spricht Tilly plötzlich: „Wenn er doch

„Entwiſcht. Fürwahr, es kann geſcheh'n!

„Allein bis Prag bleibt immer noch

„Ein Stückchen Weg, und Gabor2 mag

„Sein harren bis zum jüngſten Tag.“

Nach einer kleinen Pauſe ſchnell:

„Verdammt hartnäckiger Geſell!“

Drauf Albrecht: „Daß er heute gar

„Vor ſeiner abgehetzten Schaar

„Das Feldſpiel ließ ſo luſtig rühren,

„Als gelt' es ſie zum Tanz zu führen:

„Ein furchtlos übermüth'ger Gaſt,

„Und mir gefallen könnt' er faſt.

„Bei Höchſt3, als er im Kahne floh,

„Und an der Brücke Groß und Klein

„Wie Lachſe zappelten im Rhein,

[533]
„Ich ſag' es frei: wir waren froh.

„Faſt übel ward es unſern Leuten:

„So gegen einen Mann zu ſtreiten,

„Der die Kanonenkugeln mehr

„Nicht achtet als ein Nudelheer.“

Er blickt umher: „Ihr Herren ſeyd

„Nicht ungehalten; jederzeit

„Hab' ich gehört, mehr als der Freund

„Den Braven ziert ein tapfrer Feind.“

Des Tilly Auge gleitet, ſchier

Mit Huld, auf ſeinen jungen Geier,

Doch immer unwirſch, doppelt heuer:

„Ein Renegat, ein räud'ger Hund!“

Er murmelt, fährt hinab den Mund,

Und tritt in die Tapetenthür,

Wo tiefgebückt bei'm Lampenſchein

Man emſig ſieht das Schreiberlein;

Der Riegel klingt. „Mein junger Graf!“

Erwitte ſpricht: „Ich bin kein Schaf,

„Mag gern an keckem Feind mich üben;

„Doch ſprech' ich frei mich, ihn zu lieben.“

Er ſchweigt, bewußt daß Wittich's4 Au

Ihm Braunſchweigs Rücken gab zur Schau,

Wo er den Erben ließ im Feld,

Seitdem auf Sühne nur geſtellt,

Und mehr nun Rächer, minder Held.

Um Albrechts Lippe zuckt es auf,

Das Zwickelbärtchen ſteigt hinauf.

Doch Anholt ſpricht: „Ihr Kameraden,

„Wollt nicht ſo ſcharf die Zunge laden;

[534]
„So leicht entglitten iſt ein Hauch,

„So ſchwer geſühnt. Doch mein' ich auch,

„Frei anerkennen Feindes Muth

„Steht immer dem Soldaten gut,

„Und zeigt zum Grolle keine Spur.“

Drauf Fürſtenberg: „Das iſt gewiß,

„Mein General! doch ſag' ich dies:

„Wer ſo die menſchliche Natur

„Im eignen Bruder kann zerſtören,

„Daß der, mit Knittel, Senſ' und Beil

„Den Bauern waffnend, ſchmählich Theil!

„Sich gen das eigne Blut muß kehren,5

„Um den in hundert Kirchen heut

„Beängſtet ſteht die Chriſtenheit:

„Erlöſ' uns, Herr! vom Halberſtadt!6

„Gewiß, der iſt im Marke matt;

„Und mehr noch jener, ſchlangenglatt,

„Der Winterkönig7, den man noch

„Bei Zabern8 ſah, nachdem er doch

„Die Fürſten bat mit frommen Mienen

„Des Kaiſers Majeſtät zu ſühnen,

„Der ſo viel Märtyrer in Prag,

„Als gleich der Peſt er drüber lag,

„Ließ bluten, daß ſo edle Spur

„Es trägt als Cöln, der Chriſten Ruhm,

„Und ſeine Oefen heizte nur

„Mit Kruzifix und Heiligthum:9

„Fürwahr, ein Stern der Braunſchweig iſt,

„Sofern man ihn mit Jenem mißt;

„Der kommt doch ſeinem Worte nach,

[535]
„Ein treuer Diener ſchlechtem Herrn.“

„Hier murmelt Schönberg über'm Schach:

„Heißt Lucifer nicht auch ein Stern?“

Au roi!“ verſetzt der Holſtein drauf.

Das Spiel iſt aus, ſie ſtehen auf.

Doch Schönborn noch bedächtig ſprach:

„Ihr Herr'n, es naht der jüngſte Tag!“
Auf Schemel, Polſter, wie ſich's traf,

Die Führer hatten ſich geſtreckt;

So leicht und wachſam war ihr Schlaf,

Ein Riſpeln hätte ſie geweckt.

Noch hielt Graf Fürſtenberg das Schwert,

Die Flaſche Lindler feſt genug,

Und Holſtein zierlich lag am Heerd,

Um ſeine Stirn ein ſeidnes Tuch.

An Beten dachte Keiner heut;

Sie ritten ſcharf und ritten weit

Durch Regenguß und Sonnenglut:

Ein Kreuz ſie ſchlugen, damit gut.

Nur Anholt mochte nie ſich legen

Ohn' Roſenkranz und Abendſegen;

So eine Weile kniet' er jetzt;

Und wie das Wort auch war geſetzt,

Die Seele, die hinein er trug,

That ihrem Schöpfer wohl genug.

Nicht Viele gab's zu jener Zeit,

So mochten ohne Bitterkeit

In ihr Gebet die Feinde ſchließen,

Die Formel müßte ſie verdrießen.

[536]
Doch als ein wahrhaft frommer Mann

Der Anholt ſtets ſie zweimal ſprach,

Und einen Vers um Frieden dann

Aufricht'gen Herzens ſandte nach.

Dann „Amen“ und ſein Augenlied

Sich ſchloß. Doch Albrecht Tilly mied

Den Schlaf, er mochte viel vertragen

An Stürmen, Traben, Tanz und Jagen.

Wenn todesmatt, nach heißen Tagen,

Auf ſeine Streu der Reiter fiel:

Trieb er noch Neckerei und Spiel.

Klar iſt die Nacht, von Sturmesbraus

Die Sterne ruhen friedlich aus

Im Aether, wolkenlos und rein,

Und alſo fällt ihm eben ein,

Recognosciren möcht' er reiten!

Was ihm geſtellt Fortunens Hand,

Das Ziel, beſchau'n von allen Seiten.

Und ſieh, dort trabt er über Land!
Vom Glockenthurme dröhnte juſt

Die Mitternacht, und jede Luſt,

So Schauer nur gewähren mag,

Schwerhauchend auf der Landſchaft lag.

Die Sterne ſtanden kalt und klar,

Kein Lüftchen hob des Mooſes Haar,

Das Thaugeperl' am Flechtenring

Wie Feilſtaub am Magneten hing.

Weit, weit das Feld, ein graues Tuch,

Johanniswürmchen hier und dort
[537]
Das matte Silberfunken trug,

Wie Schlangenauge über'm Hort;

Ein Kniſtern durch die Haide fort,

Ein leiſes Brodeln unterm Moos,

Ein Quitſchern in der Kräuter Schooß;

Mit Hügelchen der Grund belegt,

Wo's d'runter gährt und Dämpfe regt,

Wie Elfenkirchhof, Geiſterheerd;

Und d'rüber her das ſchwarze Pferd

Mit grauem Reiter, deſſen Schritt

Treibt Brodem auf bei jedem Tritt:

So durch die Haide zieht der Tod.

Doch Albrecht dachte nicht daran,

Er ſchien ſich wie ein andrer Mann;

Ihm war die Stunde ganz genehm,

Da noch ſo fern das Morgenroth,

Das Dunkel recht, der Weg bequem,

Und nicht im kleinſten ſchauerlich.

So vorwärts längs der Haide Strich

Durch manche Lache ſprengt' er friſch,

Daß d'rin das Sternenlicht erloſch,

Behend zum Grunde fuhr der Fiſch,

Und plätſchernd der erſchreckte Froſch

Kopfüber in den Ginſter ſchnellt.

Ein wenig fluchte unſer Held,

Da immer länger ſchien das Feld;

Und endlich zeigte doch ein Pfad

Des Waldes rechten Eingang grad.
Als in den Liesner10 kam der Graf,

Die Zügel zog er ſtraffer an.

[538]
Ringsum die Aeſte wie im Schlaf

Streckt ſchwarz und wüſt der weite Tann,

Ein Rieſenheer in Zaubermacht

Für tauſend Jahr und Eine Nacht.

Schwer war ihr Traum, da überall

Wie Schweiß ſich aus den Poren ſtiehlt,

Man rauſchen hört der Tropfen Fall,

Wenn nur ein Lüftchen, kaum gefühlt,

Um die beladnen Nadeln ſpielt.

Stickdunkel rings; war nicht ſo breit

Der Weg, mein Fant kam nimmer weit.

Doch nun er luſtig trabt voran;

Zuweilen einer Lichtung Rund

Die kargen Schimmer läßt heran,

Vom goldbeſtreuten Himmelsgrund

Ein Stamm auch, nadellos und hohl,

Durchblitzen läßt ein Sternlein wohl.

Viel nutzt es nicht, und manchen Streich

Vorlieb muß unſer Ritter nehmen

Von manchem derben Tannenzweig,

Und brauchte deß ſich nicht zu ſchämen;

Die Ehre blieb, nur Waſſer floß,

Daß es entlang den Koller goß;

Und ohne manchen guten Fluch,

Der ächt und kräftig mußte ſeyn,

Mein Tilly kam nicht aus dem Hain,

Er war erhitzt und grimm genug.

Denn ſah er einmal einen Schein,

So war es wohl der Funke blos,

Der öfters ihm vom Auge ſchoß

[539]
Wenn drein die Fichtennadel ſchlug.

Doch auch die ſchlimmſte Stunde rennt,

Und lange Schnur hat auch ein End'.
Als ſich des Waldes Ausgang zeigt,

Von ſeinem Roſſe Albrecht ſteigt,

Zieht es ins Dickicht, und in Haſt

Die Zügel ſchlingt am Tannenaſt;

Dann leiſe, wie die Welle ſchreitet,

— So zu dem Liebchen loſ' und leicht

Ein lockrer Vogelſteller ſchleicht, —

Er über Moos und Nadeln gleitet,

Tritt aus dem Forſt und ſtutzt beinah,

Als auf Karthaunenweite nah

Vor ihm ſich Feindes Lager breitet.

Er faßt ſein Sehrohr, tritt zurück,

Und lauſcht nun mit geſpanntem Blick,

Wie über'n Aſt der Falke neigt,

Bevor, ein Pfeil, er pfeifend ſteigt.

So viele Feuer ſind gezündet,

Da Thau dem Regenguß verbündet,

Daß ſich dem Lauſcher ganz genau

Die volle Maſſe gibt zur Schau.

Nicht manches Zelt war aufgeſpannt,

Zumeiſt der Reiter bei dem Roß

Im Mantel ruhte, Schwert zur Hand,

Wo Funken ſprüht der Fichtenſchoß.

Tief tiefer Schlaf die Krieger deckt,

Am Boden rückſichtlos geſtreckt,

Man meint, es ſey ein Feld voll Leichen;

[540]
Und wie ſie hin und wieder geht,

Die Wache, noch Nachzügler ſpät

Auf Beute laurend, ſcheint zu ſchleichen.

So deutlich Alles zeigt das Rohr,

Daß wenn ein Schläfer rückt das Haupt,

Ein Roß, die Mähne ſchüttelnd, ſchnaubt,

Am Glaſe ſteigt es dicht empor.

Und ſehr vermindert war die Zahl

Der Männer ſeit dem letzten Tag;

Man ſah, daß in des Dunkels Haag

Feldein ſich mancher Reiter ſtahl;

Die Fahnen trennt nur ſchwacher Raum.

Allein zur Rechten, wo der Leu

Ergrimmt am ſturmgebeugten Baum,

Ventus Altissimi!“ ſich frei

Von Zeichen eine Fläche zeigt;

Mit tauſend Mann und mehr vielleicht,

Wilhelm von Weimar führt die Schaar,

Im Felde ſtreng und kraus von Haar.
Sein Rohr der Albrecht ſchiebt zurück,

Wirft noch umher den Falkenblick;

Dann leiſe, leiſe ſchleicht er fort,

Bald tief gebückt und bald geſtreckt,

Wie ſich die Fläche breitet dort,

Und hier ein Baum den Lauſcher deckt,

So nah und frei oft, daß ein Schuß

Ihn unvermeidlich treffen muß,

Wenn Schwerteskuppel Blitzen nur

Dem Wächter gab die kleinſte Spur.

Doch keine Kugel ward geſandt,

[541]
Kein Wacheruf den Späher ſchreckt;

Oft rückt das Schwert in ſeiner Hand,

Wenn der Soldat ſich gähnend ſtreckt;

Wenn Funken ſprühend knackt der Brand.

Der Graf wie eine Säule ſtand,

Dann leiſe, leiſe fürder ſchreitet —

So um den Teich der Weihe gleitet,

So Wölfe um der Hürde Reif, —

Ein Dunſtgebild, ein Nebelſtreif!

Dort, wo nicht fern im Haidegrund

Der Linden Dunkel ſich verzweigt,

Dort, meint er, gebe Lagers Rund

Die rechte Schau. Sie ſind erreicht,

Und Albrecht ſteht, und athmet leicht.

Was war das? Räuſpern, und ſo nah?

Huſch duckt der Lauſcher in das Kraut,

Wie eine Boa lag er da. —

Nun Huſten — naher Stimmen Laut! —

Und — weh! vom Baum nicht Spannen lang,

Ein Poſten juſt beginnt den Gang.

Unglaublich daß er ihn nicht ſah!

Sein Tritt, ſo nah an Albrechts Ohr,

Lockt Schweißestropfen kalt hervor.

Geſchieden durch die Stämme blos,

Der Landsknecht ſchreitet über's Moos,

Nach ſchwerem Tage feuchte Nacht

Blutſauer ihm das Stehen macht.

Nun, tauchend aus der Zweige Schoos,

Des Hutes Feder ſchwankt hinauf,

Am Karabiner blitzt es auf,

[542]
Er hebt ihn auf, er legt ihn an; —

Nein, eine Lunte ſteckt er an.

Dann wieder wandelnd auf und ab,

Geſang verſüßt den ſauern Trab:

„Unſer Feldherr das vernahm,

„Der Grave von Mansfelde,

„Sprach zu dem Kriegsvolk lobeſan:

„Ihr lieben Auserwählte!

„Nun ſeyd ganz friſch und wohlgemuth,

„Ritterlich wollen wir fechten,

„Gewinnen wollen wir Ehr' und Gut,

„Gott wird helfen dem Rechten.“

Ein wenig beugend um das Rund

Dicht der Soldat am Tilly ſtund,

Gleichlinig mit der Linde Stamm;

Doch ſchauend nach der Zelte Kamm,

Zieht Brod, ein Würſtchen er hervor,

Gar ſtreng verboten auf der Wacht,

Doch Niemand ſieht ihn, es iſt Nacht,

So kecklich ſpeiſend unter'm Thor.

Ein Bröſelchen den Tilly traf:

O, wie ſo ruhig lag mein Graf!

Er fühlt' wie über ſein Geſicht

Die Schnecke zog den zähen Schlamm:

Still lag er, wie ein Haidedamm,

Und fürchtete ſich wahrlich nicht,

Doch war zum Aeußerſten gefaßt.

Da vorwärts tritt der Linde Gaſt,

Und neu erfriſcht den Rain entlang

Mit hellerm Laut der Landsknecht ſang:

[543]
„Die Reiter die ſeynd lobenswerth,

„Ob ſie die beſten wären.

„Der Graf von Mansfeld wird geehrt,

„Sein Lob das thut ſich mehren;

„Im Felde er der Beſte war,

„Adelich thät ſich ſtellen,

„Die Landesknecht' auch ganz und gar

„Ihre Spieß' thäten fällen.“

Was hält ihn auf? Er hebt die Hand

An's Auge, ſtarrend über Land,

Dann wieder längs der Blätterwand.

„Und der geſungen dieſes Lied

„Wohl auf der grünen Haide,

„Dabei iſt er geweſen mit;

„In dem Kampf und Streite

„Ward' ihm geſchlagen manche Wund';

„Der Püffe that er warten,

„Als er uff der Mauern ſtund

„Hinter der Münche Garten.

„Wer da!“ — Und Todtenſtille drauf.

„Wer da!“ — Am Zweige ſteigt der Lauf.

Noch einmal „Wer da!“ und es knallt,

Tiefdröhnend Antwort gibt der Wald.

Ha, Wächterruf! Und den Soldaten

Gedehnten Halſes Tilly ſieht

Hinſtarren in das Haideblüth;

Dann ruhig die Muskete laden,

Und langſam wieder ſchreiten an.

Der Rauch verfliegt, im Haidekraut

Man formlos eine Maſſe ſchaut.
[544]
Bald ſtanden Krieger um den Wunden;

Die Fackel, tiefgeſenkt zur Schau,

Sich flimmernd brach im blut'gen Thau.

Was nicht geſucht, das ward gefunden,

Denn deutlich ſah man ein, es war

Ein Mann vom Regimente Spar,

Der zuckend lag im gelben Sand,

Die Lederflaſche in der Hand.

„Wer kennt ihn?“ Eine Stimme ſprach.

Die Antwort drauf: „Ich ſah ihn oft

„Im Kugelregen, wenn es galt

„Die Schanze nehmen mit Gewalt,

„Und wie ein Sturmbock drängt' er nach.

„Hm, Zufall! ſeltſam, unverhofft!“

Ein Dritter dann: „Bei meiner Treu!

„Soldatenherz vom ächten Schrot,

„Das nach dem Teufel nichts gefragt,

„Doch öfters trunken, wie man ſagt;

„Sein Name war Johannes May.“

Allein der Landsknecht war nicht todt;

Ob nahe an der Scheidewand

Des Jenſeits, furchtbar, ungekannt.

Den Arm beginnt er matt zu regen,

Das ſtiere Auge zu bewegen,

Ein Athemzug, gehemmt im Lauf,

„Wo iſt der Herzog?“ röchelt's auf.

„Hier Kamerad!“ Und tief geneigt

Sich Reiherbuſch und Handſchuh zeigt.

Ein Wort heißt die Begleiter geh'n,

Und wie der Mond das klare Rad

[545]
Läßt ſteigen über'm Liesner grad',

Den tollen Herzog kann man ſeh'n

Im Mooſe knieen, — wahrlich nie

That er ſo fromm, als nur vielleicht

Den Sporn zu ſchnallen Morgens früh; —

Um ſeinen Arm der Mantel bauſcht.

So ruhig wie ein Felſenriff,

An dem ſich ächzend reibt das Schiff,

Dem Wort des Sterbenden er lauſcht.

Matt war der Hauch, die Stimme wund,

Verſchwiegen blieb der Lüfte Mund,

Was er vernahm, es ward nicht kund.

Nur einmal als die kalte Hand

Der Wunde hob, des Mondes Schein

Drang durch die blaſſen Finger ein,

Es heller ächzt: „An Grabes Rand

„Ich warne dich, o Halberſtadt!

„Laß ab, laß ab; auch Petrus hat

„Dreimal verläugnet ſeinen Herrn

„Bevor der Hahn gekräht.“ Und fern

So lang und klagend durch die Nacht

Hebt juſt den hellen Schrei der Hahn;

Der Wunde zuckt dann: „Chriſtian

„Von Halberſtadt! gedenk der Stunde,

„Wenn ſo du liegen wirſt am Grunde,

„Dann denken nicht an Sieg und Feind,

„Ein Fetzen dir die Fahne ſcheint,

„Doch deine Eltern aus der Gruft,

„Zerhau'ne Rümpfe ohne Haupt,

„Und hier und dort“ — Er ſchnappt nach Luft,

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 35[546]
Dann ſtill — „Wer hätte das geglaubt!“

Die Worte ſprach der Herzog blos,

Als er ſich langſam hob vom Moos.
Nicht mehr am Baume Tilly lag;

Bevor der Pulverdampf verflog,

Feldein er wie ein Reiher zog,

Geborgen von des Qualmes Haag.

Doch öfters noch mußt' er ſich ſtellen,

Wenn grad' der Mond die klaren Wellen

Zog über eine Fläche nah;

Und dicht am Herzog ſtand er da,

Auf dreißig Schritte ſah er ihn

So ſchußgerecht und ruhig knien,

Sah ganz genau die Liebeslocke11

Sich ſtreichen an der Binſenflocke.

Brav war der Albrecht, aber wild,

Schier Blut ihm aus den Augen quillt;

Und war ihm ein Piſtol zur Hand,

Ich fürcht', er hätt' es abgebrannt,

Obwohl es ewig ihn gereut.

Doch nun die Strecke war zu weit,

Das Schwert zu kurz; er duckt am Strauch:

Und wenn ein wandernd Wölkchen leicht

Sich über Himmelsauge ſtreicht,

Er fürder gleitet wie ein Hauch.

Und war der Herzog in Gefahr,

Weit mehr noch Tilly, offenbar;

Daß keiner ihn der Späher ſah,

Faſt wie ein Wunder ſteht es da.

[547]
Doch in den Liesner glitt er ſchon

So leicht und freudig, als ſein Roß

Ihn wiehernd grüßt vom Fichtenſchoß,

Als ſey er dem Schaffott entflohn.

Das Dunkel wich, des Mondes Schein

Drang flimmernd durch die Zweige ein,

Und, eine weiße Schlange, ſich

Im Walde zog des Weges Strich.

„Friſch auf, Alerte, tummle dich!“

Und durch den Liesner flog der Graf,

Die Vögel zirpten auf im Schlaf;

So reiten drei und zwanzig Jahr.

Um ſeine Finger ſtrich der Wind,

Er meint es ſey des Roſſes Haar,

Nie flog ein Reuter ſo geſchwind,

Als der ſich ſelber Urlaub nahm.

Und als er an die Veſte kam,

Ein wenig ſchwül ward ihm zu Muth,

Doch Alles ſtill in rechter Hut;

Nur leiſe kniſternd im Kamin

Die Scheite noch zerfallend glühn.

Glück auf, mein ritterliches Blut!

Dem Kühnen iſt Fortuna gut.
Und Braunſchweigs Herzog? Chriſtian?

Ei nun, der ſchlief in ſeinem Zelt.

O hege nicht den frommen Wahn,

Daß ihm Minuten nur vergällt,

Der drüben ſtarr im Mooſe lag!

Nicht einen Deut gab er darum

[548]
Was irgend eine Lippe ſprach.

Und ſahſt du ihn, geſpannt und ſtumm,

Sein Ohr dem trüben Warner leih'n,

So ſog es andre Kunde ein,

Als die des Herzens Rinde bricht;

Ihm ward ein ungenügend Licht.

„Armſel'ger Narr! verrückter Wicht!“

Das war die ganze Litanei,

Das Requiem für Johannes May.

Und auf ſein Feldbett ſtreckte ſich

Der Braunſchweig ſo gelaſſen ſchier

Als ging es morgen zum Turnier;

Nur einmal ſeine Rechte ſtrich

Die Locken aufwärts, dies allein

Mocht' Zeichen tiefrer Regung ſeyn,

Und dann — die Wimpern ſchloſſen ſich.

So groß war ſeine Willenskraft,

Daß ſie dem Schlummer ſelbſt gebot,

Die Sinne hielt in ſteter Haft;

Er konnte, wie es eben Noth,

Die Ruhe ſcheuchen Wochen lang,

Und ſchlafen unter Schwertes Hang.

Jetzt, wo Geſchick die Würfel hält

Zum letzten Satz um Land und Ehr',

Sähſt du ihn ſchlummern unter'm Zelt:

Du dächteſt, nur von Sehnen ſchwer

Verträum' ein achtzehnjährig Kind

In ſüßem Wahn die Nächte lind.

Wie edel ſeine Formen ſind!

Die Stirne, hochgewölbt und rein,

[549]
Die Farbe klar, die Lippe fein;

Ja, ja! ſo war er, eh der Wurm

Am Marke nagte, eh der Sturm

Die Blätter ſchüttelte vom Aſt,

Ein zärtlich ſtolzer Page faſt:

So hätt' er ſeiner Königin

Gedient, ſchien Anmuth ihr Gewinn,

Und drum nicht minder ruhmeswerth

Gezückt ſein tadelfreies Schwert.

Ich ſag' es noch: ein edler Stamm

Verflechte in des Hofes Schlamm;

An eine Ceder Frauenhand

Zerſtörend hat gelegt den Brand,

Die, wehe! jetzt in Traumes Haag

Nur Sodomsäpfel treiben mag!

Um ſein Geſicht ein Lächeln flog,

So ſonnig als am Tage nie,

Und nach ihm glühe Röthe zog;

Vielleicht im Traume ſah er ſie

Die Laute rühren, und vielleicht

Ein Wort ihr von den Lippen fleugt,

Wie arglos ſchwimmend in den Tönen,

Dem jeder Herzſchlag mußte fröhnen.

So ward es ihm zum letzten Mal,

Es war ein Maientag in Prag,

Als flimmernd ſtieg der Waſſerſtrahl,

Die Nachtigall den ſüßen Schlag

Ertönen ließ aus Buſch und Haag,

Und achtlos hingeſummte Weiſe,

Oft unterbrochen, klagend, leiſe,

[550]
Wie Echo von den Lippen flog,

Indeß der Schwan die Kreiſe zog,

Und mancher Silbertropfen traf

Der Herrin Blüthenſtirn und Schlaf.

Träumt ihm ſo Süßes? Nun, es mag!

Nur Herbes bietet ihm der Tag.

Und in demſelben Zelte lag

Der junge Schlick, und Styrum auch,

So war des Herzogs ſteter Brauch:

Bei Tag und Nacht der Adjudant

Sey immer fertig und zur Hand.

Drum nahe an der Leinenwand

Das brüderliche Feldbett ſtand.

Und Styrum mochte feſter ſchlafen,

Als alle deutſche Herr'n und Grafen;

Doch alſo nicht der finſtre Schlick,

Den ſeltſam paarte das Geſchick

Mit Jenem der ſo leicht und klar,

Als ſchwer und trübe Otto war.

Graf Otto Schlick — horch, wie er ſtöhnt!

Schau, wie er ruhelos ſich dehnt!

Nicht Luft und Lampe ſollen wiſſen,

Was heut er hat erleben müſſen;

Drum hält er ſeine Hand ſo feſt

An die geſchwollne Stirn gepreßt,

Und weiß nicht, daß an Fingerſpitzen

Verrätheriſche Tropfen blitzen.

In dieſer Nacht, vor Einem Jahr —

Es war ein ehrenwerthes Haupt,

Ein theures Haupt mit grauem Haar —

[551]
Und jetzt — wer hätte das geglaubt!

Es iſt ein Sohn, dem grimmig wacht

Der Wunde Qual in dieſer Nacht;

Es iſt ein Sohn, deß Phantaſieen

Um augenloſe Schädel ziehen,

Um tapfre Rechten, fleiſchesbaar. 12

Und wahrlich, wer in dieſem Jahr

Die Moldaubrücke ging entlang,

Wenn einſam nur die Welle klang,

Der Mond durch Regenwolken drang,

Der ſagte: ſchaurig ſey zu ſehen

Im feuchten Wind der Bärte Wehen.

An Otto's Bruſt wie ein Vampyr

Die Rache lag ſo grimm und gier,

Und keinem Andern war ſo lieb

In Feindes Leib der blanke Hieb.

O, könnt' er deine Thürme, Prag,

Zerſchmettern nur mit Einem Schlag:

Gleich wär' es, ob der Hammer brach!

Vom Lager ſprang der junge Schlick,

Trat vor das Zelt und ſah hinauf,

Wo in das Dämmergrau zurück

Verrauchend wich des Mondes Lauf.

Nur einſam ließ die Schimmer fallen

Der Morgenſtern aus Domes Hallen.

„O Sonnenbote, Hesperus!

„Führ' ihn herauf den heißen Tag,

„Der manche Scharte zahlen mag!“

Die Lüfte kalt wie Sterbekuß

Erſeufzten, als er dieſes ſprach.

[552]
Es war am ſiebenten Auguſt,

Als ſo die Sonne ward erſehnt;

'S war eine kühne treue Bruſt,

Um die der Morgenwind geſtöhnt.
Hell ſchmetterte Trompetenton;

Friſch auf zu Roß, der Feind iſt wach!

Entlang den Liesner hörten ſchon

Die Poſten dumpfen Trommelſchlag.

Und wimmelnd über'm Haidegrunde

Das Heer ſich ordnete zur Stunde;

Die Ordonnanzen flogen, laut

Signale dröhnten über's Kraut,

Ein langer Scolopender zog

Des Fußvolks Linie, Speere hoch;

Und klare Schlangenblitze floh'n,

Wenn ſtäubend ſchwenkte die Schwadron.

Es war ein heiß und klarer Tag,

Wie der Auguſt ihn bringen mag;

Vom Himmelsbogen glüh und ſteil

Die Sonne ſchoß den goldnen Pfeil,

Die Lüfte kochten, Mann und Roß

Im Dampfe ſtanden, das Geſchoß

Ward heiß dem Schützen in der Hand.

Von Käfern wimmelte der Sand,

Wenn langſam knarrend über'm Pfad

Sich wälzte der Kanone Rad.

Trompeten ſchweigen, Schaar an Schaar,

Ein Säulenwall die Linie ſteht.

Vor ſeinem Regimente Spar

[553]
Mit langen Schritten muſternd geht.

Geprüfte Krieger, Feder weht

Vom Eiſenhute, Gürtel blitzt,

Der Lederkoller aufgeſchlitzt,

Und Lederſtrümpfe, derbe Schuh,

Pumphoſen, Taſchen noch dazu,

Ein Troß vor Allen kühn und ſchlecht;

Die Partiſane und das Schwert

Sind ſeine Waffen, oft bewährt

Beim Marodiren und Gefecht.

Dicht hinter ihm der Obriſt Schricken

Ließ ſeine Karabiner rücken,

Daß kräuſelnd ſchwacher Windeshauch

Trieb durch die Bärte blauen Rauch.

Zur Linken Herzog Friederich

Von Altenburg, dünn wie ein Strich,

Mit rothem Haare, ſcharfen Zügen,

Gewandt in Schwert- und Federkriegen,

Hat ſeine Reiter aufgeſtellt.

Ihm Thurn und Tolle ſind geſellt;

Graf Bernhard Thurn, ein ſchmucker Held,

Ein Sproſſe jenes deſſen Witz

So ſchlecht behagt dem Martinitz.

Und dieſe Truppen allzumal

Geworben ſind mit größrer Wahl;

Die Sitte nahm man nicht genau,

War nur der Burſche keck und ſchlau.

Filzhüte, Mäntel trugen ſie,

Stulpſtiefel, ſteigend über's Knie;

Der Mantel war ein ſeltſam Ding,

[554]
Dem flügelgleich der Ermel hing,

Und dieſes Eine mocht' allein

Die Engelſpur am Träger ſeyn.

Beim Schwerte ſie Piſtolen führten,

Und trafen wenn ſie galoppirten.

Sie plünderten mit Höflichkeit

Und kamen drum nicht minder weit.

Wilhelm von Weimar hatte ſich

Gepflanzt zur Rechten ritterlich,

Kraushaarig, ſtark, ein zorn'ger Mann;

Die Eiſenmänner führt' er an,

Und ſeine Reiter ſchmolzen faſt

In ihrer heißen Kerkerlaſt.

Der tolle Herzog nannte nie

Sie anders als den „Thurm im Schach“.

Wie Felſenblöcke ſaßen ſie

Und gaben grad' ſo wenig nach,

Wenn, ungelenk wie Elephanten,

Sie über Stock und Steine rannten,

Auf Roſſen von der ſchwerſten Art;

Brabants Geſtüte gab die Zucht,

Hochbeinig, knochig, lang behaart,

Und ſelber eine wüſte Wucht.

Dennoch die Disciplin traf man

Allein bei dieſem Haufen an,

Das heißt, was damals ſo genannt,

Doch nicht verwehrte Raub und Brand;

Und ganz allein auch dieſe Schaar

Vollzählig noch ſeit geſtern war.

Auch Hakenſchützen ſah man ſtehn

[555]
An ihren Gabeln, grad' wie Rohr;

Aus Linienlücken grollend ſehn

Karthaunenſchlünde ſchwarz hervor.

Und Grenadiere, ſtarke Leute,

Die ſchweren Beutel an der Seite,

— Der ſtarke Arm, der feſte Fuß

Den Grenadier bezeichnen muß, —

Sah man mit Zündſtrick und mit Beilen

Längs den Plotonen ſich vertheilen.

Dann Alles ſtill, es ſtand das Heer

So ruhig wie ein ſchlafend Meer,

Die Blicke nach dem Forſt gewandt,

Man ſah auch rucken keine Hand.

Nur ſacht der Fahne Welle rauſcht,

Ein Jeder horcht, ein Jeder lauſcht.

Und leiſer als des Odems Fall,

Viel leiſer als der Fahne Wallen,

Zog von des Feindes Feldmuſik

Heran ein ungewiſſer Hall;

War's Windeszug? War es ein Schall?

Und in demſelben Augenblick

Ein Rabenſchwarm, ſo ſchwarz und dicht,

Daß er gehemmt der Sonne Licht,

Stieg krächzend aus dem Liesner auf,

Dann langſam ſtreichend über's Heer;

Die Flügelſchläge klatſchten ſchwer,

Und tauſend Augen hoben ſich.

Ward Einem ſchauerlich zu Muth?

Ich weiß es nicht, zu jener Zeit

Viel anders fühlte man als heut,

[556]
Wo kalt der Glaube, matt das Blut.

Nun wieder mit des Windes Strich

Der Bayern Marſch — ganz deutlich ſchon —

Und um den Liesner, Zug auf Zug

Der Rautenſchildes Fahne trug,

Sich ſchwenkte Fußvolk und Schwadron.

Nun ſind ſie da, auf Schuſſes Weit',

Es wimmelt, ordnet, dehnt ſich breit:

Die Heere ſteh'n zum Schlag bereit.
Wer kann viel tauſend Menſchen ſeh'n

In ihrer Vollkraft muthig ſteh'n,

Und denken nun, wie Mancher fand

Den jähen Tod, eh Sonne ſchwand,

Daß ihn dann Schauer nicht beſchlich!

So glänzend unter'm Sonnenſtich

Die Waffe prahlt; der Loener Bruch,13

Mit Hirtenbuben nur bekannt,

Barfüßig, lagernd in dem Sand,

Noch nie ſo Blank- und Schönes trug.

Schau! brechend aus der Linie Zug,

Ein leichter Trupp ſtolzirend ſprengt:

Er theilt ſich, fliegt, den Zaum verhängt;

Auf ſteigt der Arm, es knattert friſch,

Lichtblaue Wölkchen; im Gemiſch

Sieht, luſtig plänkelnd über's Grün,

Man Bayer, Sachs, gewandt und kühn

Abblitzen und wie Pfeile fliehn.

Man dächt', es ſey ein zierlich Spiel,

Säh' man nicht ſchwanken dort und hier

[557]
Den Reiter, das verletzte Thier

Im Felde ſchnauben herrenlos.

Kommandowort — Trompetenſtoß —

Und Holſteins leichte Reiterei

Trabt wie ein Sturmgewölk herbei.

Standarte hoch: da hui! in's Knie,

Den Speer gefällt, die Infanterie

Lag wie ein Wall, und drüber her

Es knatterte wie Wetterſchlag;

Der nahen Eiche Wipfel brach.

Dann Pulverdämpfe ſchwarz und ſchwer

Verhüllen Alles, einmal noch

Den Qualm durchflog ein matter Schein,

Als nun die Reiter hieben ein.
Heiß ward gekämpft an dieſem Tag;

In beiden Heeren Keiner war,

Der weichen mochte um ein Haar.

Und nicht am weißen Berge mag

So wilder Strauß gefochten ſeyn,

Wo es um eine Krone galt.

Mit den Centauren Weimar brach

Die Linie ohne Widerhalt;

Wohl Mancher ſtürzte wie ein Stein;

O ſchwerer Tod! zerbrochen ſeyn,

Zerſchmettert von des Panzers Laſt!

Was übrig blieb drang friſch voran,

Und auch vom Regimente Spar,

Da kein Pardon zu hoffen war,

Da Aechter jeder einzle Mann.

[558]
Die Landsknecht thaten Wunder faſt,

An Wittich dachten ſie mit Wuth;

Bei'm Himmel! ſie bezahlten gut.

Und heut Erwitte ward gewahr,

Daß Glück und Muth nicht ſtets ein Paar;

Obgleich vorauf an ſeiner Schaar

Der Obriſt wie ein Fleiſcher hieb,

Mehr mußt' er räumen als ihm lieb.

Schmid und Mortaigny thaten brav,

Scharf der Kroaten Klinge traf,

Des Holſtein zierlich Rößchen flog

Und tanzte wie ein Elfenthier,

So feſt den Hahn der Reiter zog,

Gelaſſen, kalt wie im Revier,

Und wer ihn zielen ſah vom Roß,

Denkt daß er nach der Scheibe ſchoß.

Kühn waren Styrum auch und Reck;

Doch Keiner wie der junge Schlick,

Im Auge Baſiliskenblick,

Hieb zweimal ſtets auf Einen Fleck.

Doch tapfer waren All' zumal,

Nicht Einer der ſich mochte ſchonen.

Sechs Stunden brüllten die Kanonen,

Sechs Stunden lang der helle Stahl

Auf Pickelhaub' und Harniſch klang,

Und über'n Grund ſechs Stunden lang

Sah man wie Hühnerſchwärm' in Haufen

Granat und Wachtel pfeifend laufen,

Daß noch die Waage um kein Haar

Zu Eines Heil geſunken war.

[559]
Bei'm Braunſchweig ſtand die Minderzahl,

Doch Alles Männer hart wie Stahl,

Den Tod nicht ſcheuend im Gefecht;

Sie ſchlugen drein wie Henkersknecht'.

So glühend wurde ihr Geſchütz,

Daß drüber fuhr der Funken Blitz

Und mancher Kanonier die Hand

An dieſem Tage hat verbrannt.

Viel ſpricht man von der Alten That;

Doch kühner nicht Leonidas

Focht zu Thermopylä am Paß,

Als heut der tolle Halberſtadt.

Die Kugeln ſchienen ihn zu meiden,

Das Schwert zu ſtumpfen ſeine Schneiden,

Die brennende Granate lief

Um Roſſes Huf und ſchnurrte fort.

Man ſah ihn hier, man ſah ihn dort:

Wo das Gewühl am meiſten tief,

Da flog der Reiherbuſch umher.

Fürwahr, den Bayern ward es ſchwer

Im dichten Staub und Pulverrauch,

Wo glüh und aſchig jeder Hauch,

Da Windes Odem, umgeſtellt,

Zu ihren Feinden ward geſellt,

Und öfters nicht geſehn die Hand,

Bevor gefühlt der Wunde Brand.

Es fuhr der Speer wie eine Schlange,

Die Erde dröhnt' vom Trommelklange,

Geſpenſt'ge Waffen ſchienen ſich

Zu kreuzen wild und mörderlich.

[560]
Doch ob es keinen Zollbreit wich,

Allmählig ſchmolz des Herzogs Heer,

Wie Schneeball unter'm Sonnenſtich;

Viel tauſend lagen kalt umher.

Und als für Augenblicke ſich

Der Dampf zertheilte, ſah man klar,

Wie ſchwer bedrängt der Haufen war.

Ein Tropfen hing an jedem Haar,

Aus den zerfetzten Kollern rann

Das warme Blut den Grund hinan,

Und Mancher mit der linken Hand

Hat die Muskete abgebrannt.

Noch ſtanden ſie wie eine Wand;

Doch bald dem Bayer es gelang,

Daß er ein wenig fürder drang;

Und langſam weichend, Schritt für Schritt,

Die matten Landsknecht' drängten mit,

Dem Moore zu, das binſenreich

Sich dehnte wie ein grüner Teich.
O Chriſtian! was frommt dein Muth,

Dein feſter Arm, dein fürſtlich Blut!

Als ſeine Krieger mußten weichen,

Ha, welch ein Wüthen ſonder Gleichen!

Hätt' er den Hut des Fortunat,

Sie ſollten büßen auf der That!

Doch die Beſinnung kehrte ſchnell,

Man ſah ihn wenden auf der Stell',

Und durch das Heer nach allen Seiten

Mit abgezognem Hute reiten;

[561]
Man ſah ihn winken mit der Hand,

Inſtändig flehend: „Haltet Stand!“

Nicht Einer war, der ihn verſtand.

So todesmüde der Soldat,

So ſtumpf an Sinnen, ohne Rath,

Kaum hörte des Signales Klang;

Und ſchwer dem Herzog es gelang

Mit wenig Treuen für Minuten

Zu hemmen noch den letzten Schlag.

Sie thaten was ein Menſch vermag,

Vom Roſſe ſinkend, im Verbluten,

Die Finger, ſteif in Todesnahn,

Noch ſuchten des Piſtoles Hahn,

Sie ſtießen mit der Partiſan,

Am Grund auf blut'gen Stümpfen liegend,

Und wimmernd ſich im Mooſe ſchmiegend,

Des Schwertes Spitze ſuchten ſie

Zu bohren in der Roſſe Knie.

Da plötzlich wie ein Ebertroß,

Der knirſchend vor dem Jäger rennt,

Heran der Spar'ſche Landsknecht ſchoß;

Und hinterdrein auf flücht'gem Roß

Das Herberſtorfſche Regiment,14

Die Säbel hoch im Sonnenblitze,

Den Albrecht Tilly an der Spitze.

Und ein Gemetzel nun begann,

So trieb es nie ein braver Mann

Gen Feinde unbewehrt und wund;

Man ſah ſie knieen auf den Grund,

Die Hände falten um Pardon:

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 36[562]
Ein Klingenhieb, geſchärft durch Hohn,

Die Antwort drauf, und Kolbenſchlag

Half Partiſan und Schwerte nach.

Kroatenmeſſer, ſcharf gewetzt,

Auch hielten ihre Erndte jetzt;

Wie Reiſebündel, Kopf an Kopf

Sah ſchwanken man vom Sattelknopf

An Lederriemen oder Strick;

Und glücklich wen der Tod beſchlich,

Eh' über'n Hals die Schneide ſtrich.

Wohl Einigen die Flucht gelang;

Doch ſeitwärts nach dem Moore drang

Des Feindes Nah'n; und wem das Glück

Die feſte Stelle gab im Moor,

Der kam am Ende wohl hervor,

Ein hülflos Wrack für Lebenstag,

Das betteln oder ſtehlen mag.

Doch Mancher an des Schlundes Rand

Noch hat zum Kampfe ſich gewandt,

Und zog mit letzter Kraftgewalt

Den blut'gen Feind vom ſichern Halt;

Dann wüthig kämpfend in dem Schlamm,

Sie rangen wie zwei Waſſerſchlangen,

Die ſich in grimmer Lieb' umfangen.

Zuletzt nur noch des Helmes Kamm

Sah aus den Binſen, und der Schlund

Schloß zuckend ſeinen ſchwarzen Mund.
Nicht Albrecht Tilly iſt der Mann,

Den ſolch' ein Schauſpiel freuen kann;

[563]
Ob noch ſo heiß ſein Blut gewallt,

Als er geflucht im Hinterhalt,

Ob ihm der erſte Säbelhieb,

Die erſte Kugel ſo er ſchoß,

Sogar die erſte Wunde lieb,

Gleich fürſtlichem Araberroß,

Das, wenn zu wild das Feuer kreiſ't,

Sich auf die heißen Adern beißt:

Doch ſah man überall im Troß

Ihn ſteuern, wie es möglich war;

Zurück er Manchen riß am Haar;

Vor Partiſan und Kolbenſchlag

Er ſchützte Viel' an dieſem Tag.

Und ſelbſt der wilde Obriſt Spar,

Dem des Kroaten blanker Schnitt

Schon prüfend um die Gurgel glitt,

Muß ihm Erhaltung danken. Doch,

Iſt Leben eine Gabe noch,

Gefangen, wund, in Schmaches Joch?

Und Chriſtian? O bittrer Hohn!

Er mußte fliehn, er iſt entflohn!

Kein kluger Rückzug, wie zuvor:

Nein, ſcharf gehetzt durch Ruhmes Thor,

Das krachend hinter ihm ſich ſchloß.

Als er die Sporen gab dem Roß,

Sein Antlitz war ſo weiß wie Schnee,

Und, ſchwärzlich ſteigend in die Höh',

Auf ſeiner Stirn das Runenmahl

Schien wie geätzt vom Wetterſtrahl.

Auch zuckt' er, und die Sage ſcholl,

[564]
Es traf ihn eine Kugel dort;

Doch ſagt' er nichts und ſprengte fort,

Vielleicht nur zuckte inn'rer Groll.

Vier Kompagnie'n, zerfetzt genug,

Das war der ganze Heereszug

Des Chriſtian vom Loener Bruch.
Auf Wieſenfluren, nett und fein,

Zeigt ſich der Flecken Ottenſtein:15

Recht wie ein Fräulein, das ſich jetzt

Zur Bumenleſe hat geſetzt,

Wenn Bürger, ſtattlich, Mann und Frau,

Luſtwandeln durch die grüne Au.

Am Schattenbaum die heitre Bank,

Manch' Wieſenquellchen, klar und ſchlank,

Den müden Wandrer weiß zu locken,

Und gerne mag der Fuß hier ſtocken.

Doch damals eine Veſte lag,

Wo jetzt des Gärtchens Blumenhaag.

Und über'm Thore, ſchwarz und hoch,

Das zwitſchernd Schwalbenbrut umflog,

Auf hohem Stuhl der Wächter ſaß,

Bedächtig in der Chronik las,

Nur wenig achtend auf das Paar,

Das in der Fenſterbrüſtung ſtand,

So leiſe flüſternd immerdar,

Daß er die Hälfte nicht verſtand.

Gertrude iſt's und Eberhard,

Scheu vor des Ohmes Gegenwart,

Ein Brautpaar ſeit der letzten Stunde,

[565]
Mit allem Himmelsglück im Bunde.

Was ward geſprochen? Allerlei,

Wie immer reden ſolche zwei,

Vom erſten Strahle überglänzt;

Iſt Einer dem es nicht ergänzt

Nicht Gegenwart, Erinnerung:

Gar arm iſt er! wo nicht, gar jung!

Sie hörten des Geſchützes Schall;

Doch brach es ſich wie Widerhall

An ihres Glückes heil'gem Dom.

Und immer fürder las der Ohm

Von Wechſelbälgen, Wunderzeichen,

Von Helden, mächtig ohne Gleichen;

Es dünkt ihn ſeltſam, daß Ein Mann

So viele Tauſend zwingen kann.

War er doch auch zu ſeiner Zeit

Kein ſchlechter Kämp' im ernſten Streit,

Der manche gute Lanze brach,

Und weiß wohl was ein Mann vermag.

Ständ's nicht mit klarer Schrift gedruckt,

Er zweifelte; unwillig zuckt

Die Braue, daß er, mit Verdruß,

Sich ſo gering erſcheinen muß.

Zuweilen fährt ein halber Blick

Auf ſeine Rüſtung, Stück vor Stück,

Wo an den Eiſenpanzer juſt

Gertrude hat die Stirn gelegt,

Wie Balſam ſaugend in die Bruſt

Des Liebſten Worte, tiefbewegt.

Du ahneſt Liebeſtändelei?

[566]
Ach Nichts von dieſem war dabei!

Ein Gärtchen vor dem Thor hinaus,

Ein kleines wohlbeſtelltes Haus

Am Moore, wo man Feurung gräbt:

Aus dieſem Stoff ward es gewebt;

Doch war es ihre Häuslichkeit,

Ein Paradies zukünft'ger Zeit,

Und um die Worte wiegten ſich

Viel tauſend Engel minniglich.

Und immer fürder las der Ohm

Vom Pabſte, vom Concil zu Rom,

Von Faſten, Skapulier und Sack,

Das war nicht eben ſein Geſchmack.

Allmählig tiefer ſinkt das Haupt,

Die Lettern tanzen, ſinnberaubt,

Gleich einer Lampe im Verglimmen;

Schon fühlt er die Gedanken ſchwimmen.

Ein heller Ruf! Er fährt empor.

Ha! Reiterſchaaren dicht am Thor!

Sie fliegen, daß der Anger pfeift.

Von Mann und Thiere tröpfelnd läuft

Das klare Blut, und Flockenſchaum

Fährt flatternd an Geſträuch und Baum.

Wie ward der Thorwart grimm und wach!

Wie griff er nach der Partiſan!

Rief laut: „Der tolle Chriſtian!“

Und war der Herzog nicht ſo jach,

Er ſandt' ihm ſeine Waffe nach.

Doch durch die Wieſen langgeſtreckt

Das Roß die wunden Hufe reckt.

[567]
Nun noch an Horizontes Grund —

Nun ſind ſie fort. Des Wächters Mund

Gab ihnen manchen guten Fluch,

Daß, wen er trifft, der hat genug.

So triumphirend ſchaut er nach,

Wie Simſon der Philiſter Schmach.

Und wieder durch den grünen Raum

Vereinzelt trabt ein armer Troß,

Todtmüde Reiter ohne Roß,

Die ſteife Ferſe trägt ſie kaum;

Wie Hirſche keuchend vor dem Hunde,

Nicht achtend Blutverluſt und Wunde,

Sie ſtolpern längs dem weichen Grunde;

Der Eine fällt und rafft ſich auf,

Der Andre reckt den Arm hinauf,

Und gichtriſch Zucken deutet an,

Daß nun der Todeskampf begann.

Dort hinkend ein erſchöpfter Mann

Steht an der Linde Stamm gelehnt,

Man glaubt zu hören wie er ſtöhnt;

Das Haupt er zweimal beugt zurück,

Man glaubt zu ſehn den ſtieren Blick.

Dann ſtemmend an der Linde Zweigen,

Die ſchattig über'n Anger neigen,

Er müht ſich mit der letzten Kraft

Zu klimmen an des Baumes Schaft.

Dreimal fiel er zurück in's Gras,

Und ſchmerzbetäubt am Grunde ſaß,

Und wieder dreimal ſetzt er an,

Bis er den erſten Aſt gewann.

[568]
Dann ſchwindend in der Blätter Dach,

Wo ihn der Himmel ſchützen mag.

Und ſchon der Bayern Feldgeſchrei

Wie Rabenkrächzen dringt herbei,

Schon Staubeswolken dicht und ſchwer

Vom Horizonte rollen her:

Da durch den Anger matt heran

Trabt einzeln noch ein wunder Mann;

Die Haltung edel, ob gebeugt,

Von ſtolzem Blut genugſam zeugt.

Man kann nicht wiſſen ob er floh,

Krank war die Haltung, furchtſam nicht;

Er wandte öfters ſein Geſicht,

Und eine Weile hielt er ſo.

Dann langſam ſteigend von dem Thier

Er ſchleppt ſich mühſam für und für,

Am Erlenſtamme ſah man ihn

Im blutgetränkten Graſe knien;

Zum Fliehen fühlt' er keine Luſt,

Die Kugel lag in ſeiner Bruſt;

Doch ſterben unter Feindes Spott!

Kroatenmeſſer! großer Gott!

Zum Himmel blickt' er feſt hinauf,

Dann löſ't er ſacht den Koller auf,

Und lang' ſich ſtreckend über's Grün,

Noch einmal zucken ſah man ihn.

Mein junger Held, mein Otte Schlick!

War dein der jammervolle Blick?

Ob ungekannt dein ſtilles Grab,

Das Morgens dir der Bauer gab,

[569]
Nicht Marmorthräne drüber weint:

Doch ewig bleiben wird dein Recht,

Ein treuer Sohn, ein tapfrer Feind,

Und heut der Letzte im Gefecht.
Wie über'n Förſter der durchwacht

Auf Frevlers Spur die Sommernacht,

Wenn halb die Wimpern ſanken ſchwer,

In Aeſten brauſ't das wüth'ge Heer,

Fuhr nun heran die wilde Jagd.

Sie ſprengten über Todt' und Wunde,

Die hülflos wimmerten am Grunde,

Und im Vorüberfliegen blos

Schoß einzeln wohl ein Lanzenſtoß.

Als Einer längs der Linde ſtrich,

Ein Blutestropfen fiel herab,

Da raſch im Fluge wandt' er ſich,

Und brannte die Muskete ab,

— Nur Blätter wirbelten herab.

Und weiter, weiter, nur voran,

Sie ſauſ'ten durch den Wieſenplan

Dem tollen Herzog ſtets im Nacken,

Wie Rüden nach dem Wilde packen.

Sie ſah'n ihn ſtreifen über'n Raum,

Oft nur auf Schuſſes Weite kaum

Und jener moosbedeckte Stein

Fürwahr, muß Holland's Gränze ſeyn:

O hurtig ſetzt die Sporen ein! —

Es iſt umſonſt, der letzte Mann

Grad' über'm Scheideſtrich entrann.

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 37[570]
Dort mag, von Schaum und Dampf umhüllt,

Verſchnaufen das gehetzte Wild.

Und grimmig ſchmetternd über'n Raſen

Zum Rückzug die Trompeten blaſen.
Zweihundert Jahre ſind dahin:

Und alle, die der Sang umfaßt,

Sie gingen längſt zur tiefen Raſt.

Der Tilly ſchläft ſo feſt und ſchwer,

Als gäb' es keinen Lorbeer mehr;

Und Chriſtians verſtörter Sinn

Ging endlich wohl in Klarheit auf.

Wie trübt die Zeit der Kunde Lauf!

An ſeiner Brüder mooſ'gem Grab

Beugt weidend ſich das Rind herab,

Und ſchreiend fliegt der Kibitz auf.

Willſt du nach dieſen Hügeln fragen:

Nichts weiß der Landmann dir zu ſagen;

„Multhäufe“ nennt er ſie und meint

Stets ſey Wachholderbuſch ihr Freund.

Am Moore nur trifft wohl einmal

Der Gräber noch auf roſt'gen Stahl,

Auf einen Schädel; und mit Graus

Ihn ſeitwärts rollend, ruft er aus:

„Ein Heidenknochen! Schau, hier ſchlug

„Der Türke ſich im Loener Bruch!“16
[571]

Anmerkungen zum erſten Geſange.

1) Chriſtian Herzog von Braunſchweig, gewöhnlich der tolle Herzog,
der tolle Braunſchweig, auch Halberſtadt genannt, als ernannter Biſchof
von Halberſtadt, ging in den erſten Jahren des dreißigjährigen Krieges zur
proteſtantiſchen Religion über und trat als General in die Dienſte des
Pfalzgrafen Friedrich des Fünften, den die aufrühreriſchen Böhmen ſich aus
eigner Macht zum König geſetzt hatten, auch der Winterkönig genannt,
nach der kurzen Dauer ſeiner Herrſchaft. Chriſtian, noch ſehr jung, wurde
zu dieſem Schritte nicht ſowohl durch Ueberzeugung geleitet, als durch ſeinen
glühenden Haß gegen den Stand, den man ihm ſo ganz gegen ſeine Wünſche
und die natürliche Neigung ſeines kriegeriſchen Geiſtes gegeben hatte, zu¬
gleich durch ein tiefes leidenſchaftliches Intereſſe für die Gemahlin des
Winterkönigs, Eliſabeth, Tochter Jakobs des Erſten von England, eine
der ſchönſten und vielleicht die ehrgeizigſte Frau ihrer Zeit. Nach dem Ver¬
fall ihrer kurzen Herrſchermacht konnte Chriſtian ſich nicht zur Ruhe geben.
Ohne eigne Mittel dennoch ein bedeutendes Heer meiſtens von Rathloſen
und Geächteten, von denen es damals wimmelte, zuſammenbringend und
ſich mit einem kühnen Abentheurer, dem Grafen Ernſt von Mansfeld ver¬
bindend, wagte er es den Krieg auf eigne Hand fortzuſetzen. Dann von
der proteſtantiſchen Union in Dienſte genommen, unternahm er, mit ab¬
wechſelndem Glück, die kühnſten Wagſtücke, jedoch an der Uebermacht ſich
nach und nach verblutend. — Seit Monaten bereits vom Feldmarſchall der
katholiſchen Ligue, Johann Tſcherklas, Grafen von Tilly, hart gedrängt,
erhielt ſeine Macht am ſiebenten Auguſt 1623 bei dem Städtchen Stadtloen
im Bisthum Münſter den letzten Schlag, von dem er ſich nicht wieder erholte.
Nur mit Wenigen gelang es ihm die holländiſche Grenze zu erreichen, und
als er bald nachher ſowohl vor Kummer als an den Folgen ſeiner Wunden
ſtarb, ward ſein Tod kaum bemerkt. Er war ein gewaltiger Krieger, die
Geißel der Rheinlande und Weſtfalens. Da im Verlauf der Erzählung
ſelbſt ſowohl der Charakter als das Schickſal des Chriſtian von Braunſchweig
ſich genugſam und durchaus geſchichtlich treu entwickelt, ſo mag es mit
dieſen Andeutungen genügen. Er ſtarb mit 25 Jahren.


[572]

2) Graf von Anholt, General der katholiſchen Ligue, hat dem Braun¬
ſchweig überall die meiſten Niederlagen bereitet. Bei der Schlacht im Loener
Bruch (eine weite Haide unweit Stadtloen) wird der Sieg zum größten
Theile ihm zugeſchrieben. Die Geſchichte ſchildert ihn als einen wahrhaft
frommen und milden Mann.


3) Johann Tſcherklas, Graf von Tilly, Oberbefehlshaber der katholiſchen
Ligue, doch unter dem Kurfürſten Maximilian von Bayern, der aber in den
letzten Kriegsjahren nicht mehr perſönlich bei der Armee war. — Sein
kühner, grauſamer Charakter iſt hinlänglich bekannt.


4) Ein adeliches Frauenſtift auf dem Wege von Steinfurt nach Ahaus.


5) Eben jene Pfalzgräfin Eliſabeth, ſiehe Anm. 1.


6) Als ihr Gemahl, der Pfalzgraf Friedrich, Bedenken trug, ſich in
eine ſo gefährliche Sache, als die Annahme der böhmiſchen Krone, einzu¬
laſſen, machte ſie ihm die heftigſten Vorwürfe: Wie? Ihr habt es gewagt,
eine Königstochter zu ehlichen, und habt nicht den Muth, nach einer Euch
dargebotenen Krone zu greifen? Lieber will ich trocknes Brod an Eurem
königlichen Tiſche eſſen, als Leckerbiſſen am pfalzgräflichen.


7) Ernſt Graf von Mansfeld, gewöhnlich „der Baſtard“ genannt, um
ihn von ſeinem Vater Ernſt von Mansfeld zu unterſcheiden, der ihn in
nicht ebenbürtiger Ehe zeugte, war einer der ſchlauſten und zugleich kühnſten
Abentheurer. Nachdem er vorher unter dem Erzherzoge Leopold gegen die
Proteſtanten gefochten, ging er ſpäterhin zu ihnen über, und richtete überall,
bald im Dienſte irgend eines proteſtantiſchen Fürſten, bald auf eigne Hand,
mordend und raubend Alles zu Grunde, was ihm in den Weg kam. Sein
Ende war traurig. Keinem recht treu, hatte er ſich auch Niemandes Liebe
und Beiſtand erworben. Als die allmählige Annäherung beider Partheien
zum Frieden kriegeriſchen Freibeutern ſeiner Art keinen Spielraum mehr
vergönnte, verlaſſen von denen, die ihn früher benutzt, zwang die Noth ihn,
ſein Heer in Böhmen zu entlaſſen, und nach ſo vielen Räubereien arm wie
ein Bettler, brachte er durch den übereilten Verkauf ſeines Kriegsgeräthes
eine kleine Summe zuſammen, womit er zuerſt nach Venedig, und, ging
es fehl, weiter zu pilgern gedachte bis er ein Unterkommen gefunden. Bei
Zara übereilte ihn der Tod.


8) Wahlſpruch des Chriſtian, den er ſowohl in ſeinen Fahnen, als auch
auf den Münzen anbrachte, die ſämmtlich oder doch größtentheils aus ge¬
raubtem Kirchenſilber geſchlagen ſind. Beim erſten Schlage bekam der
Stempel einen Riß, den man deutlich auf den Münzen ſieht. Als man
den Braunſchweig aufmerkſam machte, daß dieſes als ein übles Omen könne
gedeutet werden, ließ er einen neuen Stempel mit gleichem Spruche ver¬
fertigen. Alle Münzen von ihm ſind ſelten, die mit dem Stempelriß vor
allen andern. Er führte übrigens in den Fahnen außer dem genannten
Spruche noch mancherlei Sinnbilder und Deviſen, z. B. tout pour Dieu
et pour elle
, dann einen Löwen an einem vom Sturm bewegten Baume:
Ventus Altissimi, auch zwei Löwen, die nach der kaiſerlichen Krone greifen,
mit: Leo septentrionalis etc.


[573]

9) Der Lieutenant Platow hieß nicht nur, ſondern war wirklich be¬
ſtellter Brandmeiſter im Heere.


10) Ahaus, eine kleine Stadt, faſt am Eingange eines bedeutenden
Fichtenwaldes, des Liesner, der ſich bis an das Schlachtfeld, Loener
Bruch, eine ſtarke Stunde weit erſtreckt. Sie war früher befeſtigt, doch zu
jener Zeit waren die Werke bereits zerfallen; nur ſtand noch eine Veſte in
der Stadt, die ihrem Namen aber wenig entſprach.


11) In den letzten Tagen vor der entſcheidenden Schlacht erhielt Braun¬
ſchweig drei Briefe von Mansfeld; der erſte: „er werde ihm unfehlbar zu
Hülfe kommen“; der zweite ſchon in zweifelnden und ausweichenden Aus¬
drücken; endlich am Abend vor dem Treffen: „er möge ſich durchhelfen ſo
gut es gehe, und auf ihn nicht ferner rechnen.“


12) Spar, Obriſt eines Regiments Landsknechte. Die übrigen bedeuten¬
den Anführer in Chriſtians Heere waren: Herzog Friedrich von Sachſen-
Altenburg, Herzog Wilhelm von Sachſen-Weimar, Obriſt Schniken, die
Obriſten Tolle, Thurn und noch einige Andere, die in der Schlacht eine
weniger bedeutende Rolle ſpielten.


13) Johannes May, eine fingirte Perſon, und nicht zu verwechſeln mit
dem Obriſten May, einem der unbedeutenderen Anführer Chriſtians. Die
Sage, daß in der letzten Zeit ſich mancherlei Anſchläge und Verſchwörungen
gegen den Braunſchweig angeſponnen, die aber alle, mitunter durch die
ſeltſamſten Zufälle, geſcheitert, hat mich veranlaßt dieſe Epiſode einzu¬
ſchieben.


14) Groß Burloh, ein Ciſterzienſer Kloſter, etwa eine Meile von Ahaus
gelegen.


15) Ottenſtein, ein hübſcher damals befeſtigter Flecken in einer anmu¬
thigen Wieſengegend, etwa eine Meile von Stadtloen, und der holländi¬
ſchen Grenze nah.


16) Liesner, Name jenes Fichtenwaldes, wovon Anm. 10 Rede iſt.

Anmerkungen zum zweiten Geſang.

1) „Siehſt drüben du den ſtolzen Bau?“ Einer der letzten gefürſteten
Biſchöfe von Münſter, Clemens Auguſt von Bayern, baute ein ſchönes und
großes Luſtſchloß in der Stadt Ahaus, vor etwa hundert Jahren.


2) Bethlem Gabor, Fürſt von Siebenbürgen, verſuchte zugleich mit
Friedrich von der Pfalz ſeinen Fürſtenhut mit einer Königskrone zu vertauſchen
und mit Hülfe der Pforte das Zepter von Ungarn an ſich zu reißen. Die
Geſchichte dieſes Unternehmens iſt lang, allgemein bekannt, und gehört
nicht hieher. Jetzt war er geſchlagen und hatte ſich nach Prag gewendet,
doch noch mit einer bedeutenden Macht und großen Hoffnungen im
Vertrauen auf den Beiſtand der Pforte, Chriſtians Plan war, ſich wo
möglich mit ihm zu vereinigen.


[574]

3) Chriſtian ward bei Höchſt von dem vereinten Heere der Ligue ge¬
ſchlagen, eigentlich nur durch einen Mißverſtand, da er ſeine Poſition un¬
vortheilhaft findend ſich über die Rheinbrücke zurückzuziehen verſuchte, was
ſein Heer als den Beginn der Flucht anſah. Das Gedränge auf der Brücke
ward ſo groß, daß Viele in den Rhein ſtürzten und darin umkamen.
Chriſtian ſuchte Ordnung zu halten, ſo lange es möglich war; endlich daran
verzweifelnd, ließ er ſich im Kahne überſetzen, ſeinen Leuten zurufend:
„Sauve qui peut!“ Er hielt ſich übrigens auch dieſes Mal unbegreiflich
lange gegen die Uebermacht.


4) Erwitte hatte das Glück dem Chriſtian beim Flecken Wittich eine
kleine Schlappe anzuhängen, und erinnerte ſich deſſen zuweilen wohl etwas
zu übermüthig. Er ſowohl, wie die übrigen Hauptführer im Heere des
Tilly, ſind im Verlaufe des Gedichts genugſam charakteriſirt und es bedarf
keiner weitern Erläuterungen.


5) Geſchichtlich.


6) Geſchichtlich.


7) Friedrich von der Pfalz.


8) Es wird dem Friedrich zur Laſt gelegt, daß er noch heimlich bei der
Belagerung des erwähnten Platzes zugegen geweſen ſey, während die Fürſten
für ihn beim Kaiſer unterhandelten und er ſelbſt ſich zu den demüthigſten
Bitten herabließ.


9) Geſchichtlich.


10) Siehe Anm. 10 des erſten Geſangs.


11) Liebeslocke wurde eine lange Locke genannt, die am linken Ohre bis
auf die Schulter herabhing, während das übrige Haar bedeutend kürzer
gehalten wurde. Chriſtian von Braunſchweig erſcheint aus allen Bildern
mit dieſer damals ſehr beliebten Zierde.


12) Johann Andreas, Graf von Schlick, ward von den böhmiſchen
Edlen abgeſandt den Winterkönig an der Grenze zu empfangen; ſpäterhin
ward er nebſt 11 andern der vornehmſten Rädelsführer enthauptet, und von
jedem der Kopf und die rechte Hand an der Moldaubrücke zu Prag auf¬
geſteckt, ſechs auf jeder Seite; die gleichzeitigen Schriftſteller erwähnen mit
Grauſen: wie ſchaurig es an trüben Abenden geweſen ſey, das Wehen der
greiſen Bärte im Winde zu ſehen. Johann Andreas ſtarb ſehr gefaßt; als
man ihm ſtark zuſetzte ſeinen Glauben zu verlaſſen, antwortete er: „Laß
mich zufrieden, ich gehe zum Tode.“ Auf dem Schaffotte zog er noch ſeinen
Siegelring vom Finger und übergab ihn ſeiner Tochter, mit dem Auftrage
ihn baldmöglichſt ſeinem abweſenden Sohne zukommen zu laſſen. Ob es
nun gleich nicht geſchichtlich feſt ſteht, daß dieſer Sohn derſelbe mit dem
Schlick in Chriſtians Heere ſey, der bei Stadtloen ſo muthig kämpfte und
tödtlich verwundet ward, in der Geſchichte immer der junge Schlick ge¬
nannt, ſo ſteht doch dieſer Vorausſetzung auch nichts entgegen.


13) Loener Bruch: Name des Schlachtfeldes, einer weiten Haide zwi¬
ſchen Stadtloen und Ahaus, an der Einen Seite vom Liesner begränzt.
[575] Nicht fern, nach der Seite von Holland zu, liegt ein Moor; jetzt iſt das
Feld getheilt und beackert.


14) Das Herberſtorfſche Kavallerie-Regiment ward an dieſem Tage, in
Abweſenheit ſeines Obriſten, vom jungen Tilly kommandirt.


15) Ottenſtein, ſiehe Anm. 15 zum erſten Geſange.


16) „Der Türke“ — unter dem Landvolk finden ſich nur noch ſchwache
Spuren einer Sage vom 30jährigen Kriege, unter dem Namen des Türken¬
krieges.

[][][][]
Notes
*
Buprestis, ein in allen Farben ſchimmernder Prachtkäfer, der ſich
im Haidekraut aufhält.
*
Trifolium, Dreiblatt, Menianthes trifoliata. L. Biberklee. Eine
Waſſerpflanze, die nur in ſehr tiefem Waſſer wächst, mit ſchöner aber ſehr
vergänglicher Blüthe.
*
Hier nicht das bekannte Geſpenſt, ſondern die Nebelſchicht, die ſich zur
Herbſt- und Frühlingszeit Abends über den Haidegrund legt.
*
Die Kuppe des Alpſteins, der ſich durch die Kantone St. Gallen
und Appenzell ſtreckt.
*
Crategus pyracantha, auch ſonſt der „brennende Buſch“ genannt.
*
Der Huldigungseid, den er als Grundbeſitzer hätte leiſten müſſen.
*
Henriette von Hohenhauſen, in Herford geboren, ſtarb im April des
Jahres 1843 zu Münſter, Sie iſt Verfaſſerin verſchiedener Erzählungen,
Gedichte und Jugendſchriften, die ſich durch ſittlich religiöſe Richtung und
große Gemüthlichkeit auszeichnen.
*
Dionæa muscipula, auch „die Fliegenfalle“ genannt.
**
Sparrmannia.
*
Clemens Auguſt Freiherr von Droſte, Profeſſor an der juriſtiſchen
Fakultät zu Bonn, wurde im Jahre 1832, während eines Aufenthalts zu
Wiesbaden, ſeinen Freunden durch einen plötzlichen Tod entriſſen. — Seine
Hülle ruht auf dem dortigen Gottesacker.
*
„Gezähn“ das Handwerkszeug der Bergknappen.
*
„Der Hund“ der kleine kaſtenähnliche Karren, auf dem die Erzſtufen
aus dem Stollen zu Tage gefördert werden.
*
Zu (dem Kreuz) Cöln die Roſe (das Wappen von)Berg, deſſen Beſitz
Engelbert dem Bruder von Iſenburgs Gemalin vorenthielt.
*
Es beſtand, und beſteht hier und dort noch in katholiſchen Ländern
die Sitte, am Vorabende des Oſter- und Weihnachtstages den zwölften
Glockenſchlag abzuwarten, um den Eintritt des Feſtes mit einem frommen
Liede zu begrüßen.
*
Nach der Zauberſage.
*
Das Geſchlecht der Barmekiden gehörte, zur Zeit des Kaliphats,
zu den edelſten, mächtigſten und zahlreichſten. Zuletzt war „Dſchafer der
Barmekide“ Großvezier des Kaliphen Harun-al-Reſchid, und ſein Liebling.
— Die Schweſter des Kaliphen, Maimuna, faßte eine glühende Leiden¬
ſchaft für den ſchönen und edlen Mann, und da ſie ſich ihm auf keine andre
Weiſe zu nähern wußte, betrat ſie ſeinen Pallaſt in den Kleidern einer
Tänzerin — Die Folge dieſer Zuſammenkunft war ein Verhältniß, das,
eine Reihe von Jahren verborgen geblieben, doch endlich zur Kenntniß des
Kaliphen gelangte, und den Untergang des ganzen Geſchlechts nach ſich
zog. — Dſchafer ward hingerichtet, ſein Kopf über eins der Stadtthore
Bagdads aufgeſteckt, und ſämmtliche Barmekiden, in die Wüſte getrieben,
unterlagen dort dem Hunger und Elende. — Siehe „Roſenöl.“
*
Salvator Roſa.
*
Pain de Sucre, eins der Alpenhörner des großen St. Bernhard,
beträchtlich vom Wege abwärts.
*
Eine mächtige freiſtehende Felszacke auf dem Gipfel des St. Bernhard.
*
Eine von der Natur aufs glänzendſte polirte Felſenwand. Man
ſchreibt dieſe Erſcheinung der gewaltſamen Reibung mit andern Felſenmaſſen
bei einer früheren Erdumwälzung zu.
*
Infirmier, Krankenwärter.
*
Marronier, derjenige Bruder, deſſen eigentliches Amt es iſt, täglich
ohne Ausnahme nach Verunglückten zu ſuchen.
*
Clavendier, der Bruder, dem die Beſorgung der Hausgeschäfte obliegt.
*
Soldanella alpina, Alpendrottelblume.

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TextGrid Repository (2025). Droste-Hülshoff, Annette von. Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhqj.0