der Klugen/
oder
Unterricht/ wie ſich eine
Perſon/ ſo wohl bey Hof/ oder
in andern Verrichtungen ſich
geſchicklich verhalten
ſoll.
uͤberſetzet
durch
1692.
[][0[]]
Vorrede.
ES haben ſich
von vielen Se-
culis her unter
den vernuͤnff-
tigen erbahren
Heyden iederzeit Leute ge-
funden/ welche ſich hoͤchlich
angelegen ſeyn laſſen/ wie
ſie in den Bemuͤthern der
Menſchen die Tugend ein-
pflantzen/ und hingegen die
Laſter
[]Vorrede.
Laſter ausreuten moͤchten:
Dannenhero ſie ihren Lehr-
Schuͤlern und Zuhoͤrern
heilſame Regeln und Erin-
nerungen vorgeſchrieben/
wornach ſie ſich in ihrem Le-
ben und Wandel zu richten
haͤtten. Dann nur etlicher
weniger anitzo zu gedencken/
welchem Gelehrten ſind
nicht die Buͤcher des hoch-
weiſen Philoſophi Ariſtotelis
von der Sitten-Lehr be-
kant/ in welchen derſelbe ſo
grund-richtig und hoch-ver-
ſtaͤndig von den Tugenden
und Laſtern geſchrieben/ daß
ſich hoͤchlich zu verwundern/
wie ein Heyde und der kei-
ne
[]Vorrede.
ne rechte Eꝛkaͤntniß des wah-
ren GOttes gehabt/ aus
dem Liecht der Natur ſo
weit habe kommen koͤnnen.
Was auch der Weltberuͤhm-
te Roͤm. Redner Marcus
Tullius Cicero in ſeinem
Buche de Officiis, oder von
der Gebuͤhr eines Tugend-
hafften Mannes fuͤr treff-
liche Lehren hinterlaſſen/
ſolches kan niemand/ als
der in ſeinen Schrifften un-
beleſen iſt/ unbewuſt ſeyn.
Dieſem hat des tyranni-
ſchen und gottloſen Kaͤy-
ſers Neronis Præceptor, L.
Annæus Seneca, ruͤhmlich
nachgefolget/ wie ſeine
):( 3nach-
[]Vorrede.
nachgelaſſene Schrifften hie-
von ein unverwuͤrffliches
Zeugnuͤß geben koͤnnen. Die-
ſen koͤnten noch mehr ande-
re beygefuͤget werden/ wann
man ſich mit Anfuͤhrung
derſelben auffhalten wolte;
Genug iſt es/ daß iedermaͤn-
niglich weiß/ daß bey dieſen
unſern Zeiten viel vortreff-
liche Leute und ſinnreiche
Koͤpffe in derſelben Fuß-
ſtapffen getreten/ welche
ihre klug-ſinnige Gedancken
hievon an des Tages-Liecht
gebracht/ und in den offent-
lichen Druck kommen laſſen.
P. Nierenberg, ein grund-
gelehrter Mann/ welcher in
Spa-
[]Vorrede.
Spaniſcher Sprache einen
ausbuͤndigen Tractat, Klu-
ger Betrachtungen/ Mora-
liſchen Gedancken/ und Po-
litiſcher Grund-Regeln/
geſchrieben/ iſt nicht unbil-
lig mit zu zehlen/ welchen
ein auch gelehrter Frantzoͤſi-
ſcher Jeſuit/ P. d’ Obeihl,
wuͤrdig geachtet/ wegen der
darinnen begriffenen nuͤtz-
lichen Lehr-Saͤtze/ deren ſich
ein ieder in ſeinem Stande
bedienen kan/ in ſeine Mut-
ter-Sprache zu uͤberſetzen?
Welches mir dann auch
Anlaß gegeben/ gemeltes
Tractaͤtlein/ um gedachter
Urſache willen/ gleichfalls
in
[]Vorrede.
in unſere Teutſchen Sprache
uͤberſetzen zu laſſen/ und in
Druck zu befordern/ in ge-
wiſſer Zuverſicht/ der ge-
neigte Leſer werde ſich ſol-
ches zu ſeinem Nutzen
zu gebrauchen
wiſſen.
Kluge
Kluge Betrachtungen.
I.
KEin beſſerer Lehrmeiſter uns
in der Klugheit zu unterweiſen
kan gefunden werden/ als die
Erfahrung. Dieſe vortreff-
liche Qualitaͤt kan ohne groſſe
Muͤhe erlanget werden/ wann man ihm
das Ungluͤck anderer Leute vor Augen ſtel-
let/ und aus ihrem Schaden klug wird.
Das heiſt den Gebrauch aller Dinge recht
wiſſen/ wann man ſich der Gelegenheit
recht bedienen kan. Sie entdeckt uns den
Unterſcheid zwiſchen einem weiſen und un-
weiſen Mann. Der erſte vermerckt die
Gelegenheit von fernen/ und erwartet ihrer
ſtandhafftig/ damit er ſie ergreiffen moͤge.
Der andere ſiehet ſie nur von hinden an/
wann ſie ſchon voruͤber iſt.
II.
Die groͤſſeſte Kunſt der Klugheit beſtehet
nicht ſo wohl darinnen/ daß man auff das
AGe-
[2] Gegenwaͤrtige ſiehet/ als darin/ daß man
das Zukuͤnfftige betrachtet. Man ſagt von
gewiſſen Leuten/ welche ſich befleiſſen/ kuͤnff-
tige Dinge zu verkuͤndigen/ daß ſie ſo durch-
ſichtige Augen haben/ daß ſie auch durch die
Mauren und biß unter die Erde fehen koͤn-
nen; Alſo iſt es auch gewiß/ daß ein weiſer
Mann alles was in der Folge der Zeiten
verdecket liegen kan/ mit dem Liecht ſeines
Geiſtes entdeckt. Er verliehret das Ge-
daͤchtnuͤß der vergangenen Dinge nimmer-
mehr/ er nimt die gegenwaͤrtige Zeit wohl
in acht/ und veꝛſorget ſich ohne groſſe Muͤhe
auff die zukuͤnfftige.
III.
Derjenige/ welcher bald zu dem hoͤchſten
Gipffel der Weißheit ohne Huͤlffe eines
fremden Lehrmeiſters gelangen will/ darff
ſich nur felbſt allezeit am erſten anklagen/
und ſorgfaͤltig erforſchen/ ob er nicht auch
ſolcher Fehler/ wie andere/ ſchuldig ſeye.
Man wird in kurtzer Zeit ſeiner ſelbſt Mei-
ſter/ wann man ſich eines andern Fehler be-
dienet/ als eines Spiegels/ darin man ſeine
eigene erſehen kan.
IV.
Die Vernunfft ſoll alle unſere Actiones
er-
[3] erklaͤren; Man muß nichts Gutes thun
aus Zuneigung/ noch boͤſes aus Begierden.
Verordne niemahls eine Straffe/ wann
du erzoͤrnet biſt/ und denck nicht an die Be-
lohnung/ wann du etwa mit Freuden uͤber-
nommen biſt. Nicht als wann man nicht
mit Luſt Gutes thun ſolte/ ſondern weil es
ſich nicht geziemet/ daß die Freude und Luſt
die Wolthaten austheilen ſollen.
V.
Sich nicht allzuſehr auf das Gluͤck ver-
laſſen/ und die Klugheit allezeit zu Raht zie-
hen/ iſt ein gewiſſes Mittel in demjenigen/
welches man ihm vornimt/ wohl fortzukom-
men. Es iſt eine groͤſſere Geſchicklichkeit/
wann ein guter Raht ſchon ſeinen Zweck
nicht erreichet/ als wann man ſein Vorha-
ben mit Verwegenheit ins Werck ſetzet.
VI.
Die Heimlichkeit iſt nichts anders als
der Schluͤſſel der Klugheit. Derjenige/
welcher einer einigen Perſohn ſeine Heim-
lichkeit offenbahret/ darff ſich nicht beklagen/
wann es die gantze Welt erfaͤhret. Wann
du nicht wilt/ daß ein Ding vielen bewuſt
ſeyn ſolle/ ſo entdecke es keinem Menſchen.
Man thut nicht wol/ daß man ſeinem Nach-
A 2barn
[4] barn trauet/ wann man ſich ſelber verach-
tet.
VII.
Durch Schweigen erlangt ein Narr/
daß man etwas auf ihn achtet/ und ein wei-
ſer Mann befeſtiget ſeine Reputation noch
mehr dadurch. Man waget nichts/ und
gewinnet offt viel/ wann man eingehalten
iſt mit Reden; aber es iſt allezeit gefaͤhrlich
viel zu reden/ und der ehrbarſte Menſch
macht ſich durch einen groſſen Fluß von
Worten verſchreyt.
VIII.
Man muß niemand etwas ſagen/ deſſen
man nicht ſelber wol verſichert iſt; dann
wann es etwas iſt/ daß einen groſſen Herꝛn
betrifft/ ſo iſt nicht zu zweiffeln/ daß dasje-
nige/ ſo du in geheim geſagt/ bald offenbahr
werde. Diejenige/ welche Profeſſion
machen den groſſen und reichen Herren zu
gefallen/ koͤnnen auch biß in anderer Leute
Gedancken hinein ſehen; alſo auch derjeni-
ge/ dem du nur etwas von deinem Verdacht
wirſt geſagt haben/ wird vor eine Warheit
ausgeben/ was du dir vielleicht noch nicht
techt eingebildet haſt.
IX.
[5]
IX.
Es iſt ein gluͤckſeliger ja nuͤtzlicher Feh-
ler/ wann man wohl von allerhand Leuten
redet. Man hat nicht ſo groſſe Urſache
diejenigen Schmeichler zu nennen/ welche
nicht nur die Groſſe und Maͤchtige loben/
ſondern auch von den Abweſenden und de-
nen ſo in dem Elend und Bekuͤmmernuͤß
ſeynd/ gutes reden.
X.
Man wird von jederman hoch gehalten/
wann man ſeine Zunge weißlich regieret/
und den Nutz/ den man darauß hat/ iſt die-
ſer/ daß keiner uͤbel von demjenigen reden
wird/ welcher von allen Leuten gutes ſagt.
XI.
Es ſeynd etliche Leute/ welche durch
Huͤlffe der Klugheit ſehr vergnuͤgt zu ſeyn
ſcheinen/ ob ſie es ſchon nicht ſind. Durch
ſolches Kunſtſtuͤck wollen ſie derjenigen
Gnade erlangen/ von denen ſie dependi-
ren, und loben alles dasjenige/ was dieſe
Leute gern haben. In Summa/ man
verliehret nichts dabey/ wann man bezeu-
get/ daß man dasjenige hoch achtet/ was ei-
nem andern gefaͤllt/ und es iſt nicht ſo ge-
faͤhrlich/ wann man ſein Gut und ſeinen
A 3Hauß-
[6] Haußrath lobet/ als wann man Gutes von
ſeiner Perſohn ſaget/ wann er deſſen nicht
wuͤrdig iſt.
XII.
Man klagt ſich vor der Zeit an/ wann
man allzuſehr eylet ein Genuͤgen zu thun;
es iſt eine Thorheit/ wann man ſich ſelber
verdamt/ da noch kein Klaͤger iſt; es iſt Zeit
zu antworten/ und ſeine Urſachen vorzu-
bringen/ wann man gefragt wird/ und man
etwas von uns wiſſen will. Wann du da-
vor haͤlteſt/ daß die bevorſtehende Klage von
Wichtigkeit iſt/ ſo erfodert die Klugheit/
daß du den Wuͤrckungen derſelben zuvor
kommeſt/ und die Perſohn/ die ſich be-
ſchwert befindet/ durch ehrliche Entſchuldi-
gungen zu frieden ſtelleſt. Wann du aber
verſichert biſt/ daß man keine Urſach zu kla-
gen hat/ ſo dencke nicht an das verantwor-
ten/ dann dadurch wuͤrdeſt du der Klag ein
groͤſſers Anſehen und Krafft geben.
XIII.
Es iſt beſſer eine Unbilligkeit leiden/ als
eine Schmeicheley mit Luſt anhoͤren. Ja
ich halte davor/ man koͤnne einen Mann
nicht hoͤher beleidigen/ als wann man ihn
betriegt/ und ihm des Verſtands Urtheil be-
neh-
[7] nehmen will. Stopffe den Schmeichlern/
die dich allzuſehr loben/ und den Verlaͤum-
dern/ die andern Leuten allzuviel uͤbels nach-
reden/ die Ohren zu gleicher Zeit.
XIV.
Wann ein Maͤchtiger dir etwas ver-
drießliches ſagt/ ſo ſtelle dich nicht/ als wann
du es empfindeſt/ ſondern uͤberrede dich viel-
mehr/ er habe dir einen Gefallen erwieſen/
und es ſey eine Gnade/ die du von ihm em-
pfangeſt. Es ſcheint/ daß die Worte die-
ſer Gattung Menſchen ein Privilegium
und abſondere Freyheit haben/ als andere
Leute. Alſo verhoffe nicht denſelben deß-
wegen zu Rede zu ſtellen. Ja ich wolte dir
nicht rathen/ daß du es thun ſolteſt/ wann
du es auch ſchon koͤnteſt. So laß denn den-
jenigen frey reden/ der dir eine Gnade er-
weiſen/ und deſſen du dich in der Noth be-
dienen kanſt.
XV.
Nichts iſt der wahren Klugheit alſo zu-
wider/ als dieſe Staats-Grund-Regel/
welche will/ daß man denjenigen/ der uns
Ubels gethan/ auch Ubels thun ſoll/ damit
man den andern eine Furcht einjage/ und
ihnen in der That erweiſe/ daß ſie nicht beſ-
A 4ſer
[8] ſer ſollen gehalten werden/ wann ſie uns an-
greifſen. Es iſt leichter durch Sanfftmuͤ-
thigkeit Freunde zu erlangen/ als etliche der-
ſelben durch die Furcht erhalten.
XVI.
Es iſt ſehr gefaͤhrlich/ wann man nicht
vergeben will. Die Verzweiffelung macht/
daß man ſeltzame Sachen unterfangt.
Wann ein Menſch dein unverſoͤhnlicher
Feind ſeyn muß/ und ſein Haß gegen dir
allezeit waͤhret/ ſo kan er dir groſſen Scha-
den thun/ und mit der Zeit viel Leute auff-
wickeln/ ihm zur Rache gegen dir zu helffen.
Es iſt Rache/ wann man einen ſolchen
Menſchen ſich veraͤndern ſiehet/ welchem
die Paſſion die Sinnen benommen/ der
nichts fuͤrchtet/ und der weder ſeine Freun-
de anhoͤret/ noch ſeine Schuldigkeit in acht
nimt.
XVII.
Du beklageſt dich zur Unzeit wegen der
Unbillichkeit/ ſo dir ein Menſch/ dem du ge-
trauet haſt/ zugefuͤget/ wann du gewiß/ daß
er andern uͤbels gethan/ und ſie betrogen.
Nach ſolcher Erfahrung haſt du nur allzu
groſſe Urſache ihm nicht zu trauen/ aber
mache es alſo/ daß er es nicht vernehme.
XVIII.
[9]
XVIII.
Schmeichle dir nicht ſelber/ daß man es
auffrichtig meyne/ wann man etwas loͤb-
liches von dir ſagt/ es iſt genug ſolches zu
glauben/ wann man von den Worten zu
der That kommet. Man findet viel Leute/
welche von einander uͤbels reden/ aber un-
terdeſſen auch keinem nichts gutes thun.
Man muß die Schmeicheley errathen koͤn-
nen/ und aufs Zukuͤnfftige eine Probe thun/
und ihr nicht glauben/ als wann wir ſehen/
daß ſie eine Wuͤrckung hat.
XIX.
Es iſt gefaͤhrlich einen Mann zu beleidi-
gen/ der ſich an einem erhabenen Ort befin-
det/ und der einen groſſen Vortheil uͤber
dich hat: Jedoch iſt es auch bißweilen ge-
faͤhrlicher ſich an ſeinen warhafften Freund
zu reiben/ weil er davor haͤlt/ ſeine Reputa-
tion werde dadurch geſchmaͤlert/ wann
man denjenigen angreifft/ dem er alle ſeine
Gedancken vertrauet: Derowegen wird
er ſich mehr bemuͤhen/ dieſe Unbillichkeit zu
raͤchen/ als wann man ihn an ſeiner eigenen
Perſon angegriffen haͤtte. Ein großmuͤ-
thiger Mann iſt gemeiniglich zu frieden/
wann er ſiehet/ daß er verpflichtet iſt/ ſeinen
A 5Freund
[10] Freund zu raͤchen/ ſo faͤllt es ihm ſchwer/ ſei-
nen Verdruß ein Maaß und Ziel zu ſetzen.
Er kan wohl begreiffen/ daß es keinem groſ-
ſen Gemuͤth anſtehe/ ſich ſelber zu raͤchen/
aber die Unbillichkeit/ ſo ſeinem Freund ge-
ſchehen/ zu ſtraffen/ findet allezeit ſeine Ehre
verpflichtet.
XX.
Es koſtet viel/ einen/ der in hohem Stan-
de iſt/ anzugreiffen. Alle Dienſte und Un-
terthaͤnigkeit/ die man ihm nachmals erwei-
ſet/ ſind bißweilen nicht genugſam das Ge-
daͤchtnuͤß der zugefuͤgten Schmach auszu-
loͤſchen. Es iſt kein Menſch/ der die Ehre
nicht anſiehet/ als ein Ding/ ſo ihm von
Rechtswegen gebuͤhret/ und der nicht vor
der Verachtung ein Abſcheu traͤgt. In
Summa/ es iſt gewiß/ daß es ſchwerer iſt/
ſich verachtet ſehen/ als es Freude bringet/
wann man der hoͤchſten Ehre genieſt.
XXI.
Die groͤſte Geſchicklichkeit des Lebens
beſtehet darinn/ daß man das Ubel/ ſo einem
begegnet/ gedultig ertraͤgt. Die Gedult
iſt das ſtaͤrckeſte Fundament der Tugend/
und kan man nicht zu der warhafftigen Ho-
heit gelangen/ als wann man ungewoͤnlich
leidet.
[11] leidet. Es iſt nicht ſo viel Muth von noͤh-
ten/ einen erſchrecklichen Feind anzugreif-
fen/ als die Zuͤchtigung des Gluͤcks/ oder ei-
nen andern verdrießlichen Unfall mit Ge-
dult außzuſtehen.
XXII.
Diejenige/ welche ein billiches Urtheil zu
fuͤhren wiſſen/ ſetzen den groͤſten Theil der
Tapfferkeit darin/ daß man ſich ſelber uͤber-
winde. Die Koͤnige/ welche mit maͤchti-
gen Armeen Schlachten erhalten/ Staͤdte
einnehmen/ haben ihren Ruhm den Haupt-
leuten und Soldaten/ die ihre Schuldig-
keit wohl verrichtet haben/ zu dancken/ hin-
gegen hat ein rechter Held/ der ſeine Pas-
ſiones uͤberwunden/ dieſen herrlichen Sieg
nur ſeiner Tapfferkeit zu dancken.
XXIII.
Ein boßhafftiger Menſch kan einen ieden
beſchimpffen/ aber es ſtehet nur groſſen Her-
ren zu/ denſelben zu verachten/ und ſich nicht
des geringſten Verdruſſes mercken zu laſ-
ſen. Andern uͤbels thun/ iſt das leichteſte
Ding/ aber daſſelbe großmuͤthig leyden/ iſt
das allerſchwereſte auf der Welt.
XXIV.
Du giebſt deinem Feind eine neue Krafft/
A 6in
[12] in dem du dich uͤber ihn beklageſt/ es kan
ihm nichts beſſers gefallen/ noch ihn hoch-
muͤthiger machen/ als wann er ſiehet/ daß
du das Unrecht/ ſo er dir thut/ nicht leyden
kanſt. Dardurch entdeckeſt du ihm ſeine
Schwachheit/ und weiſeſt ihm/ wordurch er
dich auf ein andermahl angreiffen ſoll/ alſo/
daß eigentlich zu reden/ du ſelbſt zu deinem
Verdruß Anlaß giebeſt. Man hat ſeine
Luſt daran/ wann man eine ſolche Perſohn
ſiehet/ deren man gutes gethan aber diejeni-
ge/ die man beleydiget hat/ ſiehet man nicht
anderſt an/ als mit Verachtung und Haß.
XXV.
Es iſt gut/ wann man von allen Leuten
geliebet wird/ aber einen Feind zu haben/
kan nicht anders/ als ſchaͤdlich ſeyn/ die recht
ehrliche Leute ſind der Geſellſchafft und
Converſation faͤhig; Aber gleich wie nichts
rarers iſt/ als ein getreuer Freund/ alſo rathe
ich dir/ denſelben mit groſſem Fleiß zu ſuchẽ.
Wann du einen ſolchen gefunden/ ſo ver-
ſichere dich/ daß dein Gluͤck nicht gering iſt.
Man gewinnet ihm Freunde durch das
Leiden/ und durch die Freygebigkeit.
XXVI.
Nichts iſt ſo gefaͤhrlich/ als ein boͤſer
Menſch/
[13] Menſch/ der ſich befleiſt/ ſeine Boßheit zu
verbergen/ ob er ſich aber ſchon verdeckt/ ſo
wird doch die Zeit die Larve/ damit er ſich
bedeckt/ von ſeinem Angeſicht hinweg tuhn.
Die Erwartung hat ihren Platz nach der
Vernunfft/ und mit einem geringen Ver-
zug und Gedult kan man die Boßheit und
Luͤſte/ welche gegen dem Liecht der groͤſſeſten
Geiſter/ undurchdringlich zu ſeyn ſcheinen/
entdecken.
XXVII.
Wann du etwas gutes von deinen
Freunden zu ſagen haſt/ ſo rede es vor der
gantzen Welt/ aber wann du davor haͤlſt/
du ſeyeſt verpflichtet ſie zu beſtraffen/ ſo muß
ſolches in geheim geſch[e]hen/ derjenige/ wel-
cher zu der Unordnung und Suͤnde ſeines
Freundes durch die Finger ſiehet/ oder/ der
das Hertz nicht hat/ ihn davon abzuhalten/
machet ſich eben deſſelben Laſters theilhaff-
tig. Der Kaͤyſer Domitianus, welcher
ſchien/ als waͤre er umb keiner andern Ur-
ſach/ als Ubels zu thun/ in die Welt kom-
men/ hat doch dieſen Vernunfft-Spruch/
welcher der menſchlichen Geſellſchafft hoch-
nuͤtzlich iſt/ gegeben: Das Stillſchweigen
der frommen Leute macht den boͤſen Maͤu-
A 7lern
[14] lern ein Hertz/ und man vermehret ihre Un-
ſinnigkeit/ wann man ſich nicht bekuͤmmert/
den Lauff ihrer Boßheit zu hemmen.
XXVIII.
Wir koͤnnen von dem Reichthum nicht
urtheilen/ als nach dem boͤſen oder guten
Gebrauch deſſelben. Das Geld iſt ein
Sclave/ wann man es recht anzuwenden
weiß/ und es macht ſich zum Herrn uͤber
denjenigen/ welcher ſich zu ſehr an daſſelbe
bindet/ oder der ſich deſſen nicht bedienet/
wie er ſolte: du eroberſt viel/ wann du
demjenigen beyſpringeſt/ die in Noth ſeynd.
Ein barmhertziger Menſch gewinnet mehr/
wann er gutes thut/ als diejenigen/ denen er
ſeine Wolthaten erweiſet.
XXIX.
Wann es ſich begibt/ daß man etwas
von dir begehret/ ſo antworte bald darauff.
Man iſt nur halb betrogen/ wann man bey
Zeiten eine abſchlaͤgige Antwort bekomt.
XXX.
Eine abſchlaͤgige Antwort iſt denjenigen/
welche arm ſind/ und kein Mittel haben ih-
nen zu helffen/ ein empfindliches Ding;
Aber kein Ubel iſt ſchwerer zu ertragen/ als
die Undanckbarkeit.
XXXI.
[15]
XXXI.
Es iſt ein Gleichnuͤß zwiſchen einem Frey-
gebigen und einem Saͤmann. Dieſer
wirfft ſein Korn auf gerath wohl/ der
Wind fuͤhret es hinweg/ und zertheilet es/
wie es ihm gefaͤllt. Die Voͤgel freſſen ein
Theil/ welches alſo in Koth verwandelt
wird/ aber das andere/ ſo tieff in die Erde
kommet/ und eine Zeitlang als vergraben
darinn geblieben/ wird dem Vauersmann
wieder vor Geſicht kommen/ denſelben
freuen/ und mit Wucher auf ſeinen Spey-
cher geſamlet werden.
XXXII.
Thue den Leuten gutes/ ſo viel dir moͤg-
lich/ zu den Zeiten/ wañ dir das Gluͤck guͤn-
ſtig iſt/ du wirſt es wieder finden zur Zeit der
Widerwaͤrtigkeit. Derjenige/ dem du
gutes thuſt/ indem er ſich deſſen nicht ver-
ſiehet/ meynt/ er ſey dir zweyfaͤltig verpflich-
tet. Die gantze Welt iſt demjenigen Danck
ſchuldig/ welcher frommen Leuten gutes
thut.
XXXIII.
Derjenige/ welcher niemand nichts giebt/
iſt ſeines Erben Schatzmeiſter/ welcher
nach dem Todt dieſes Geitzigen die wahr-
haff-
[16] hafftige Freude ſeiner Seelen unter ge-
zwungenen Thraͤnen/ und einem Schein-
Schmertzen verbergen wird. Der Geitz
der alten Leute iſt ein Wunder-Thier/ wel-
ches in dieſer Welt ſehr gemein iſt/ aber
wann man eigentlich von dem Eyffer/ mit
welchem die reichen Leute ihr Gut zu ver-
mehren ſuchen/ reden wil/ ſo muß man ſa-
gen/ daß dieſe Begierde nichts anders iſt/
als eine ſehr reich-gezierte Armuth.
XXXIV.
Verſage einem dasjenige nicht/ was du
vielleicht zu deiner Zeit auch von ihm begeh-
ren muſt/ und wann du klug biſt/ ſo begehre
nicht was du verſagt haſt. Laß demjeni-
gen/ welcher Recht begehret/ Recht wie-
derfahren/ und erweiſe denen ein Gefallen/
die du deſſen vor wuͤrdig erachteſt.
XXXV.
Es iſt allezeit vortheilhafftiger zu geben/
als anzunehmen. Wann du andern gu-
tes thuſt/ ſo verpflichteſt du dieſelbe zu dei-
nem Nutzen/ und ſcheinet es/ als wann du
dich zum Herrn uͤber ſie machteſt; Hergegen
wann du etwas von ihnen empſaͤngeſt/ ſo
wirſt du auf einige Weiſe ihr Sclav. Ruͤh-
me dich nicht/ wann du deinem Freunde gu-
tes
[17] tes gethan haſt/ du thuſt ihm eine Schmach
an/ wann du davon redeſt. Uberlaſſe ihm
die Sorge/ deine Großmuͤthigkeit zu offen-
bahren/ du kanſt kein herrlichers Zeugnuͤß
ſeiner Erkaͤntnuͤß und Danckbarkeit be-
gehren.
XXXVI.
Es iſt kein groſſer Unterſcheid zwiſchen
einem Undanckbahren und demjenigen/
welcher ſich allzu oͤffentlich beklaget/ daß
man ihm eine ſolche Wolthat/ die er ver-
hofft/ abgeſchlagen. Er thut unrecht/ daß
er dasjenige eine Ungerechtigkeit nennet/
welches auffs hoͤchſte nicht anders als ein
Mangel der Freygebigkeit kan genennet
werden; Ein Menſch/ der es alſo macht/
und nicht unterſcheidet/ was ſich von
Rechtswegen gebuͤhret/ und was man aus
Freygebigkeit gibt/ der bildet ihm niemahls
ein/ daß man ſolches erkennen muͤſſe.
XXXVII.
Man verpflichtet ſich nicht offt zu geben/
wann man ſchon offt gibt; ja es ſcheinet
vielmehr/ man habe deſto groͤſſers Recht zu
verſagen/ ſonderlich/ wann man Undanck-
bahren gutes gethan/ und alſo ſeine Wol-
thaten verlohren hat; aber auſſer Zweiffel
iſt
[18] iſt es/ daß derjenige/ welcher immerdar em-
pfaͤngt/ darum kein Recht hat/ allezeit zu
fordern.
XXXIIX.
Die Undanckbarkeit iſt ein ſehr gemei-
nes Ding. Es geſchiehet ſelten/ daß die
Erinnerung einer Wohlthat/ laͤnger als
einen Tag/ waͤhret. Die Groͤſſe einer
Wohlthat wird leichtlich ausgeloͤſcht/
durch die Groͤſſe der Beleidigung/ und es
ſind die Menſchen ſo verkehret/ daß ſie ih-
nen einbilden/ ſie ſeyn nicht mehr ſchuldig an
die Wolthaten zu gedencken/ wann man ſie
beleidiget hat.
XXXIX.
Laſſe dich nicht verblenden durch die
Gunſt der Groſſen/ und gruͤnde dich nicht
allzuſehr auff ihre Freundſchafft. Man
kan mit entlehnten Fluͤgeln nicht gar hoch
fliegen. Es iſt nichts unbeſtaͤndigers als
das Gluͤck/ es ſtuͤrtzt offtmals diejenige/
welche es ihm vorgenommen zu erhoͤhen;
aber wann ſchon dieſes nicht geſchicht/ ſo
ſolt du doch vor gewiß wiſſen/ daß die Men-
ſchen nicht eben allezeit diejenige Gedan-
cken haben.
XL.
[19]
XL.
Wann du in dem Schatten der Gluͤck-
ſeeligkeit und der Erhoͤhung einer vorneh-
men Perſohn ſeyn wirſt/ ſo bearbeite dich
nicht ſelbſt an deinem Untergang/ indem
du andere ſucheſt zu faͤllen/ ſondern erinnere
dich/ daß die Sonne alle Tage ihren
Schein verliehren kan. Das iſt eine
Thorheit/ wann man eines einigen Freund
ſeyn will/ damit man allen andern ſchaden
moͤge.
XLI.
Wann du bey dem Fuͤrſten in Gnaden
biſt/ ſo wende dein Anſehen an/ dir ſo viel
Leuthe/ als moͤglich iſt/ zu verpflichten/ und
bediene dich nicht der Gunſt irgend einen/
er ſey/ wer er wolle/ zu beleidigen. Befleiſſe
dich/ dein Gluͤck alſo in acht zu nehmen/ daß
alle deine Freunde verpflichtet ſeyn/ daſſelbe
anzuſehen/ als ihr eigenes. In Summa/
gib allen Leuten Anlaß ſich zu erfreuen/ daß
du in ſolchen Gnaden bey demjenigen biſt/
der alles kan.
XLII.
Sage nicht oͤffentlich/ daß du der Favo-
tit ſeyeſt/ wann ſolches nicht allen Leuten
bekant iſt; ſey eine zeitlang eingezogen/ und
ge-
[20] genieſſe deines Gluͤcks heimlich/ biß daß es
offenbahr/ und Groſſen und Kleinen kund
werde/ darauf muß man es frey bekennen/
und ſich nicht weigern vor diejenige zu bit-
ten/ die dich deswegen anſprechen/ ob ſie
ſchon dasjenige/ ſo du vor ſie ſucheſt/ nicht
erlangen. Dein guter Will allein wird
ſie vergnuͤgen/ und wann es ſich begibt/ daß
das Werck nicht nach ihren Wunſch aus-
ſchlaͤgt/ ſo koͤnnen ſie ſich uͤber niemand be-
klagen/ als an dem es allein gelegen ge-
weſen.
XLIII.
Du befeſtigeſt ein Hauß gar uͤbel/ wann
du es in allzu groſſer Eyl uͤber ſich fuͤhreſt.
Was in Eyl geſchicht/ faͤllt leichtlich ein/
weil es nicht wohl unterſtuͤtzet iſt. Du muſt
dir nicht einbilden/ dich auf einmahl zu er-
hoͤhen/ ob du dich ſchon in groſſen Gnaden
befindeſt/ aus Furcht/ daß du wieder in ei-
nem Augenblick moͤchteſt geſtuͤrtzet wer-
den.
XLIV.
Setze deinem Gluͤck mittelmaͤßige Graͤn-
tzen/ dieſes iſt der gluͤckſeeligſte Stand/ und
der am meiſten zu wuͤnſchen iſt/ man lebt
viel ruhiger darinnen/ und iſt weniger in
Ge-
[21] Gefahr/ als in allen andern. Ein groſſes
Gluͤck fuͤhret tauſend Sorgen mit ſich/ und
muß man alles darbey fuͤrchten. Allzu
groſſer Reichthum ſchlaͤgt den Menſchen
zu Boden/ und ſetzt ihn alle Augenblick in
Gefahr. Der Donner ſchlaͤget viel eher
einen hohen Thurn/ als die kleinen Hir-
ten Haͤuſer zu Boden/ die erſte Kranckheit
ſchlaͤget die ſtaͤrckeſten Leiber am meiſten
darnieder.
XLV.
Aus allen Paſſionen iſt die Hoffnung
diejenige/ ſo uns am uͤbelſten thun kan; ich
verſtehe dieſelbe/ die nur auf Menſchen-
Gunſt gegruͤndet iſt/ ſie betriegt uns gemei-
niglich. Und nach dem ſie gemacht/ daß
diejenige/ welche ſie anhoͤren/ hohe Gedan-
cken gefaſt/ ſtuͤrtzet ſie dieſelbe in einen er-
ſchrecklichen Abgrund des Ungluͤcks.
XLVI.
Traue einen furchtſamen und kleinmuͤ-
thigen Menſchen nicht/ er iſt mehr zu foͤrch-
ten als andere/ dann weil es ihm am Hertz
mangelt/ und keinen Muth hat/ ſo nimt er
ſeine Zuflucht zu der Liſt und dem Betrug.
Du wirſt viel eher wider zwey offenbahre
Feinde ſtreiten koͤnnen/ als wider einen ver-
borgenen.
XLVII.
[22]
XLVII.
Die kleinmuͤthige und forchtſame Leute
ſind gemeiniglich ſchwach am Verſtand/
ſehr mißtrauiſch/ leichtglaͤubig/ grauſam
und blutgierig. Die Furcht/ die ihnen ei-
ne Gefahr vormahlet/ da keine iſt/ beredet
ſie zugleich/ daß man derſelben vorkommen
muͤſſe/ derowegen ſind ſie in einem immer-
waͤhrenden Mißtrauen; und ob ſchon die
Nachſtellungen/ ſo ſie foͤrchten/ nur lautere
Einbildungen ſind/ iedoch weil ſie ihnen ein-
bilden/ dem ſey alſo/ ſo ſehen ſie den meiſten
Theil der Leute/ als ihre Feinde an/ ob man
ſchon wenig an ſie gedencket. Aus dieſer
Furcht entſtehet der Haß/ und dieſer erweckt
die Rachgier/ die niemand aufhalten kan;
ja ſie fallen bißweilen in barbariſche Exces,
und muͤſſen bißweilẽ die allerunſchuldigſten
herhalten: Es iſt keine Liſt/ ſo ſie nicht an-
wenden/ diejenigen/ welche ſie meinen/ daß
ſie ihre Feinde ſind/ umzubringen/ und ſind
ſo lang nicht verſichert/ biß daß ſie alles zu
Grund gerichtet/ was ihnen eine Furcht
verurſachet hat: Alſo kan man von den
Furchtſamen und Kleinmuͤthigen ſagen/ ſie
ſeyn verſchwenderiſch/ weil ſie die Ruhe und
eingebildete Sicherheit ſo theuer kauffen.
XLIIX.
[23]
XLIIX.
Darzu kan man ſetzen/ daß man einen
ſolchen Menſchen fuͤrchten ſoll/ welcher ſelb-
ſten befuͤrchtet in die aͤuſſerſte Noth zu fal-
len/ ſintemahlen der Geitz ihnen nur laſter-
haffte und barbariſche Gedancken eingibt.
Die Verraͤtherey und der Meineyd/ ſamt
der Kleinmuͤthigkeit erſetzet den Mangel
der Tapfferkeit/ alſo daß ein Menſch/ der
keine Großmuͤthigkeit in ſich hat/ mehr zu
fuͤrchten iſt/ als derjenige/ der großmuͤthig
iſt. Aber von einem ſolchen/ der ſchier nichts
mehr kan/ und dem ſein Elend und Armuth
erſchrecklich faͤllt/ hat man ſchier nichts zu
verhoffen/ als ſeltzame Grauſamkeiten/ und
gantz barbariſche Anſchlaͤge.
XLIX.
Man fuͤrchtet nichts/ wann man nichts
verhofft. Es iſt ſehr ſchwer einen Men-
ſchen/ welcher ohne Unterſcheid alles fuͤrch-
tet/ der bey der geringſten Begebenheit
erblaſt/ und zittert/ zu heilen/ und wann er
ſich verſaͤumet/ und ſich wider ſolche falſche
Lermen nicht bewaffnet/ und ſich von der
Schwaͤre/ welche an dieſe Gattung der
Furcht gebunden/ unterdruͤcken laͤſt/ ſo muß
man ſchlieſſen/ daß das Ubel keine Huͤlffe
mehr zulaſſe.
L.
[24]
L.
Wann du betrachteteſt/ daß du ein
Menſch biſt/ ſo waͤre dir dein Ungluͤck nicht
ſo ſeltzam/ und wann du betrachteteſt/ was
an ern vor Ungluͤck widerfaͤhret/ ſo ver-
ſichere ich mich/ daß dasjenige dir leicht vor-
kommen wird.
LI.
Greiffe die Sachen an dem beſten Ort
an; Viel Leute meynen/ ſie ſeyn ungluͤck-
ſeelig/ und ſind es doch nicht anders/ als
weil ſie ſich mit den Allergluͤckſeeligſten ver-
gleichen. Das Ungluͤck/ welches gemein
iſt/ wird zu einer Urſach des Troſtes/ oder
bekuͤmmert auffs wenigſte ſo hoch nicht.
Und die Erfahrung giebt uns genug zu ver-
ſtehen/ daß ein mittelmaͤßiges Ungluͤck auff-
hoͤret ein Ungluͤck zu ſeyn/ ja auch den Nah-
men deſſelben nicht behaͤlt/ wann man ihm
ein groͤſſers entgegen ſetzet.
LII.
Es iſt uͤbel gethan/ auf eines andern
Acker zu jagen/ aber meines Beduͤnckens/
iſt es viel ein groͤſſerer Fehler/ wann man
ſeine Veluſtigung und Vergnuͤgung nicht
anderſt als auſſer ihm ſelber ſucht. Das
Hertz muß ſich von ſeinem eigenen Reich-
thum
[25] thum unterhalten/ nichts kan daſſelbe mehr
erfreuen/ als eine gute Diſpoſition des Lei-
bes und Geiſtes. Ein Menſch/ der ſich wohl
auf befindet und Hunger hat/ der vergnuͤgt
ſich mit den gemeineſten Speiſen/ und be-
findet ſie vor gar gut.
LIII.
Die Nuͤchterkeit erwecket den Appetit/
und macht/ daß man die Speiſen beſſer
koſtet. Ein laſterhaffte Luſt hinterlaͤſt lau-
ter Bitterkeit und Sorgen/ da hergegen
Ergetzlichkeit/ die der Tugend nicht zu wi-
der iſt/ weiß/ was vor eine Suͤßigkeit ſie in
dem Gemuͤth außgieſſt/ welches dann lange
von derſelben verſuͤſſet bleibet. Die Aller-
groͤſſeſte Muͤhe und Arbeit wird durch das
Zeugnuͤß eines guten Gewiſſens gelindert
und leicht gemacht.
LIV.
Ein Feind iſt allezeit zu fuͤrchten/ wie ver-
aͤchtlich er auch zu ſeyn ſcheinet. Es giebet
keine Leute/ welche fertiger ſind einen boͤſen
Streich zu thun/ als diejenige/ die weder
Ehr noch Muth haben. Es mangelt niemals
an Urſachen/ wann man etwas abſchlagen
oder andern Ubels thun will. Eine verachte-
te Gefahr kehret meiſtentheils bald wieder-
um.
BLV.
[26]
LV.
Es iſt in der Geſellſchafft ehrlicher Leute
guter Nutz zu ſchaffen/ aber nichts iſt ſo ge-
faͤhrlich/ als mit boͤſen umzugehen. Auch
diejenige Tugend/ welche am beſten gegruͤn-
det iſt/ wancket in ihrer Geſellſchafft/ auffs
wenigſte verliehret ſie allen ihren Reſpect/
und hat groſſe Muͤhe ihren Glantz zu er-
halten. Ein guter Raht dienet ſehr wohl/
das gute Exempel hat groſſe Gewalt zu be-
reden/ und wir ſehen/ daß nur dieſes von
noͤthen iſt/ auch den Allerkleineſten ein Hertz
und tapffere Reſolution einzupflantzen.
Alles beydes findet man bey frommen Leu-
ten. Ihr Exempel machet uns ein Hertz/
und ihr Bericht macht eine Ordnung in
allen unſern Actionen. Von den Laſter-
hafften iſt gerade das Widerſpiel zu ſagen.
Ihr Raht ſtuͤrtzt diejenigen/ die ihnen ſol-
gen/ in groſſes Ungluͤck/ und ihr Exempel
macht/ daß auch die Allereingehaltenſte
aller Schamhafftigkeit abſagen. Es be-
gibt ſich gewoͤnlich/ daß ein Tugendſamer
unter den boͤſen Leuten ſchier uͤberdruͤßig
wird/ fromm zu ſeyn.
LVI.
Die Diſſimulation vergraͤbet viel Un-
billig-
[27] billigkeit/ und haͤlt den Lauf vieler Schmaͤ-
hungen auff/ welche man ohne dieſelbe
ſchwerlich vermeyden koͤnte. Man muß
ihm nicht einbilden/ daß derjenige/ welcher
uns aus Haß/ ſo er wider uns gefaſt/ belei-
digt/ allein Urſache daran ſey/ wir helffen
auch darzu/ wann wir es nicht geduͤltig
leiden.
LVII.
Die unſchuldigſte und zaͤrtlichſte Rache
iſt diejenige/ wann man ſich ſtellet/ als waͤre
man nicht beleidiget worden; ſintemahl
der Verdruß und Mißſallen/ ſo unſer
Freund uns anthun wollen/ indem er uns
einen Schimpff bewieſen/ auff ihn ſelber
faͤllt/ und ihn hefftig plaget/ wann man ſich
deſſen nicht annimmet/ wie er gemeynet;
alſo daß er ſchier unſinnig wird/ wann er
ſiehet/ daß ſeine Hoffnung vergebens/ und
alſo die Straffe vor ſeinen boͤſen Willen
ſelber traͤgt.
LIIX.
Man ſol ſich nicht zu ſehr bekuͤmmern um
den Ausgang der Sachen/ auch muß man
keine groſſe Bekuͤmmernuͤß ſpuͤren laſſen/
wann ſie uns nicht nach unſerm Willen
gehen. Wann dir einiges Ungluͤck wieder-
B 2faͤhret/
[28] faͤhret/ ſo laß keinen allzu groſſen Schmer-
tzen deßwegen vermercken/ damit du deinen
Feind nicht erfreueſt. Hergegen wann
die Sachen nach Luſt außſchlagen/ ſo maͤßi-
ge deine Freude/ damit du den Ehrgeitzigen
zu einem Exempel dieneſt.
LIX.
Man greifft ein Schloß an dem ſchwaͤ-
cheſten Theil an; es iſt eine Thorheit/ wann
man ſich mercken laͤſt/ wo unſer Geiſt am
ſchwaͤcheſten und empfindlichſten iſt; man
wird uns bald an demſelben Ort verwun-
den. So mache es dann alſo/ daß man
nicht wiſſe/ was dich am meiſten an demſel-
ben Ort trifft.
LX.
Man macht ſich leichtlich zum Herrn uͤber
eines andern Gedancken/ wann man ſich
ſeine Zuneigungen zu erforſchen befleiſſet;
das heiſt/ durch die Breſſe drein dringen/
wann man ſich dieſes unſchuldigen Kunſt-
ſtuͤcks bedienet/ damit man Theil an ſeiner
Gunſt bekommet. Es iſt nicht ſo leicht/ wie
man meinet/ den Leuten zu gefallen/ man
muß Gluͤck und Geſchicklichkeit haben/ wañ
man wohl damit wil zu recht kommen/ ſon-
derlich/ wann man ſich keiner Schmeiche-
ley bedienen will.
LXI.
[29]
LXI.
Sey langſam und betraͤchtlich in Unter-
fangung eines Wercks/ und hurtig in
Vollfuͤhrung deſſelben. Einen Krieg in
kurtzer Zeit gluͤcklich zu enden/ muß man
auf viel Sachen acht haben; Das Werck
iſt ſchon halb vollendet/ wann man es wol
bedacht hat/ ehe man es angefangen.
LXII.
Das iſt thoͤricht gethan/ wann man ſich
in Gefahr ſetzt/ ſeine Reputation zu verlieh-
ren/ indem man ſie allzuhart beſchuͤtzen will;
dieſes geſchicht gemeiniglich demjenigen/
welcher dieſelbe zu erhalten viele Worte ge-
brauchet/ dann wann es die Paſſion iſt/
welche ihn darzu bewegt/ ſo wird er die
Graͤntzen uͤberſchreiten/ und einen Exces
begehen/ ob er ſchon recht hat/ alſo/ daß er
ihm mehr unrecht wird thun/ indem er ſeine
Reputation auf ſolche Weiſe beſchuͤtzet/
als ſein Feind ihm haͤtte thun koͤnnen/ in-
dem er ſich befliſſen/ ihm dieſelbe zu ſchmaͤh-
lern.
LXIII.
Der Neid verderbt das Gluͤck/ wie der
Wurm das Holtz zernagt und zerbeiſt.
Nicht als wann es nicht allezeit beſſer waͤre
B 3der
[30] der geneldete/ als der Neider zu ſeyn; die-
ſer kan die Schande/ die ſolchem Laſter auff
dem Fuß nachfolget/ nicht entgehen/ jener
aber befindet ſich in einer ehrlichen Gefahr/
und dabey ein Ruhm zu erlangen iſt.
LXIV.
Ein Menſch kan keinen erſchrecklichern
Feind haben/ als einen andern; Und wann
der Neid ſein Gifft in das Hertz dieſes Fein-
des hat flieſſen laſſen/ ſo iſt kein Gegen-Gifft
ſtarck genug/ daß es deſſen Wuͤrckung ver-
hindern koͤnne. Diejenige Eifferſucht ver-
urſachet vielmehr Unordnungen/ und brin-
get groͤſſere Feindſchafft hervor/ als alle
Unbillichkeit/ ſo man von den aller-unver-
ſoͤhnlichſten Feinden empfangen kan. Der
Neid findet ſich niemals in der genauen
Maaß/ welche wir die Mittel-Maaß nen-
nen; er iſt allezeit gar ſchaͤdlich/ außgenom-
men/ wann er wider die Tugend ſtreitet/
dann alsdann iſt er gar nuͤtzlich.
LXV.
Man muß demjenigen/ was ein paſſio-
nirter Menſch ſagt/ nicht leichtlich Glauben
ſtellen; derjenige von welchem man weiß/
daß er warhafftig unpartheyiſch iſt/ iſt wol
wehrt daß man ihm glaube/ aber dem Nei-
der muß man nicht glauben.
LXVI.
[31]
LXVI.
Ein unerlaubter Gewinn/ und der nicht
durch rechte Wege geſucht wird/ verurſa-
chet vielmehr Schaden als wuͤrcklichen
Verluſt/ auff was Weiſe er auch geſchicht;
um des Verluſts willen wird man nur ein-
mahl recht bekuͤmmert/ aber die Gedaͤcht-
nuͤß des Schadens wird nicht aus dem Ge-
muͤth geleſchet/ und iſt ein immerwaͤhrende
Quelle des Unluſts.
LXVII.
Halte dasjenige nimmermehr vor einen
Gewinn/ was dich reicher macht/ ſondern
nur dasjenige/ welches dir eine Reputation
bringet. Dieſe zu vermehren/ muß man
groͤſſere Sorge tragen/ als die Guͤter zu
haͤuffen. Ein Menſch/ der mit Verluſt
ſeiner Ehre reich wird/ verliehret mehr/ als
man meynet. Eine ſchoͤne Reputation iſt
ein groſſes Erbgut.
LXIIX.
Es iſt keine Sicherheit in der Welt.
Der Boͤſe fuͤrchtet ſich vor der Schaͤrffe
der Geſetze/ ein frommer Mann hat ſich
billich vor dem Spiel und Unbeſtaͤndigkeit
des Gluͤcks zu befuͤrchten. Man iſt allezeit
beſſer verſichert/ wann man lange Zeit auff
B 4das-
[32] dasjenige/ was man thun ſoll/ bedacht ge-
weſen iſt.
LXIX.
Man reiſt ſich viel geſchwinder und
leichter aus den Gefahren/ denen man hier-
unden unterworffen iſt durch weiſen Raht/
als durch groſſe Macht. Es iſt ein groͤſ-
ſers Ubel/ wann man nicht wol zu leben
weiß/ als wann man gar nicht leben kan.
Es iſt ſchwerer/ das Gluͤck zu hemmen/ als
daſſelbe anzutreffen.
LXX.
Halt dein Wort/ und leiſte alles/ was du
verſprochen haſt/ mit guter Treue; Ein
Mann hat nichts mehr zu verliehren/ wann
er ſeinen Credit verlohren/ und man ihm
nicht mehr trauet. Es giebet Leute/ die
alſo gewohnet ſind zum Schweren/ daß
man ihnen kaum glaubet/ auch wann ſie
ſchon die Warheit reden. Derjenige/
welcher keinen Luſt hat die Warheit anzu-
hoͤren/ ſagt dieſelbe auch nicht gern. Die
Schmelcheley iſt ein ſehr gefaͤhrliches Ubel/
aber ſie behaͤlt doch allezeit ihren Lauff.
LXXI.
Alles und gar nichts glauben/ ſind zwey
Extremitäten/ vor denen man ſich huͤten
muß;
[33] muß; das erſte iſt eine allzu groſſe Gut-
willigkeit/ aber in dem andern iſt mehr Si-
cherheit.
LXXII.
Es iſt klar/ daß ein Menſch die War-
heit nicht ſonderlich liebt/ wann er ſelber
thut/ was er an einem andern tadelt. Es
heiſt ſchier auf eben ſolche Manier betrie-
gen/ wann man nicht thut/ was man ſagt/
aber das heiſt/ ſich ſelbſt betriegen/ wann
man nicht redet/ wie man es meynt.
LXXIII.
Was uͤbels dir auch einer gethan hat/ ſo
ſolt du ihn doch nimmermehr verachten/
noch haſſen/ das iſt thoͤricht gethan/ daß
man ſuͤndigen will aus dem Haß gegen dem
Suͤnder. Du wirſt vor einen unverſtaͤn-
digen Menſchen gehalten werden/ wann
du deine Unſchuld nicht wilt erhalten/ dar-
um/ daß ſie einander verlohren hat. Man
muß nicht eine Suͤnde mit der andern
ſtraffen.
LXXIV.
Wann du kein frommer Mann biſt/ ſo
ſey doch auffs wenigſte gegen denjenigen
leutſeelig/ die dir gleich ſind; Wann du
aufgehoͤret haſt boͤß zu ſeyn/ ſo verdamme
B 5die-
[34] diejenigen/ die noch ſo boͤß ſind/ nicht ſo ge-
ſchwinde/ ſondern gib ihnen ein wenig Zeit/
daß ſie ſich moͤgen kennen lernen,
LXXV.
Wann man ſich in dem Urtheil uͤberey-
let/ ſo bleibt die Reue nicht lang auß. Gleich
wie es ſchier unmuͤglich iſt/ eine Perſon/ die
man nur im voruͤbergang geſehen recht zu
beſchreiben/ ſo koͤnnen wir auch nicht recht
von einem ſolchen Ding/ welches wir nur
auſſen her betrachtet haben/ urtheilen.
LXXVI.
Lebe mit allen Leuten friedlich/ ſtreite
allezeit wider die Laſter/ und bleibe mit dir
ſelbſt allezeit einig. Dahin zu gelangen/ ſo
darffſt du nur deine Wort und Gedancken/
deinen Willen und deine Wercke mitein-
ander uͤbereinſtimmen laſſen.
LXXVII.
Weil es unmoͤglich iſt/ daß die Sachen
allezeit ſo anſchlagen/ wie wir gern wolten/
ſo muß unſere Zuneigung mit dem Aus-
gang/ er ſey wie er wolle/ uͤbereinſtimmen.
Man ſpahret ihm viel Muͤhe und Arbeit/
wann man ſeine Begierde recht im Zaum
haͤlt. Es iſt thoͤricht gethan/ wann man all-
zu eyfferig begehret/ was man noch nicht
in
[35] in ſeiner Gewalt hat/ oder was noch weit
entfernet iſt/ und das Gegenwaͤrtige/ das
man in der Hand hat/ verſaͤumet.
LXXIIX.
Sich in die Zeit richten/ iſt eine ſehr ſchoͤ-
ne Wiſſenſchafft/ die auch einem Koͤnige
nicht uͤbel anſtehet. Ich halte dich vor ei-
nen der allerungluͤckſeligſten Sclaven/
wann du gezwungen/ und nicht aus Zunei-
gung dieneſt/ hergegen wann du von Her-
tzen und mit Freuden dieneſt/ ſo erhebeſt du
deine Dienſtbarkeit auf eine edele Weiſe.
LXXIX.
Man muß ſein Gewiſſen mehr fuͤrchten/
als das gemeine Geſchwaͤtz/ das Gluͤck der
Allerſeligſten beſtehet in einem reinen und
unſchuldigen Leben. Es iſt kein ſchoͤners
Lob/ als wann man Lob wuͤrdig iſt/ es iſt
nichts/ wann man ſcheinet etwas zu ſeyn/
daß man nicht iſt: Aber es iſt bevorab dar-
an gelegen/ daß man warhafftig derjenige
ſey/ der man ſeyn ſoll. Was ſoll es dir
dienen/ wann du tauſenderley Lob von an-
dern empfaͤngeſt/ und dein eigen Gewiſſen
dir erweiſet/ daß du deſſen nicht werth biſt.
LXXX.
Die praͤchtige Verheiſſungen ſind mir
B 6ſehr
[36] ſehr verdaͤchtig; es iſt glaͤublich/ daß derje-
nige/ der ſie thut/ anderer Leute ſpotten will/
oder daß er ſich zur Unzeit verpflichtet. Die
raren Dinge ſollen vielmehr gegeben/ als
verſprochen werden. Thue groſſe Dinge/
aber verſpreche ſie nicht.
LXXXI.
Man gibt zweyfaͤltig/ wann man ge-
ſchwind gibt. Der Wille iſt das koͤſtlich-
ſte an allen Geſchencken/ und laͤſt ſich der-
ſelbe am meiſten ſehen/ wann man eylet das-
jenige anzubieten/ was man in ſeinem Ver-
moͤgen hat. Die guten Dienſte muͤſſen
die Unbillichkeiten uͤbertreffen/ und die
Danckſagung muß allezeit groͤſſer ſeyn/ als
die Wolthaten.
LXXXII.
Es iſt ein Gluͤck/ wann man kan beſtraf-
fet werden/ da man fehlet/ die Gluͤckſelig-
ſten in der Welt haben ſolches nicht/ und
Socrates ſagt vor gewiß/ daß an der Koͤni-
ge Hoͤfe keiner gefunden werde. Die Leute
von mittelmaͤßigem Zuſtande genieſſen der
Lebens-Luͤſte nicht ſo ſehr/ wie dieſelbe/ und
bekuͤmmern ſich nicht viel umb die Wolluſt/
wann ſie zu leben haben; aber ſie haben auch
dieſen Vortheil/ daß man ſie ohne Furcht
erin-
[37] erinnert/ wann ſie nicht thun was ſie thun
ſollen; uͤber das/ ſo dienen ihnen die Geſetze
an ſtatt eines Zaums. Die Fuͤrſten ſind die-
ſes Guts beraubt/ dañ ſie halten nur mit et-
lichen wenigen Gemeinſchafft/ und dieſe
Perſonẽ beſleiſſen ſich nur ihnen zugefallen.
LXXXIII.
Derjenige/ welcher geſetzet iſt uͤber andere
zu herſchen/ ſoll die Sanfftmuͤthigkeit eines
Vaters an ſich haben/ und nicht die Stren-
ge eines Herrn. Es iſt keine Herrſchafft an-
nehmlich/ die unter derſelbigen wohnen be-
finden ſich allezeit beſchwer- und verdrieß-
lich; derowegen muß man ſie beſaͤnfftigen/
ſo viel es moͤglich iſt/ und nichts thun oder
befehlen/ daß nicht einige Guͤte in ſich hat.
LXXXIV.
Hoͤre jederman an/ und thue hernach/
was dich wird duͤncken am beſten zu ſeyn.
Belade denjenigen niemals mit der Voll-
fuͤhrung deines Anſchlags/ der in denſelbi-
gen nicht hat willigen wollen. Es iſt ſchaͤnd-
lich/ in einem Dinge zweymahl fehlen/ ſin-
temahl man ſiehet/ daß auch die Thiere ſich
bey dem erſten aufhalten/ und Achtung ge-
ben/ daß ſie nicht zweymahl fallen.
B 7LXXXV.
[38]
LXXXV.
Halte denjenigen Rath/ der mit deinen
Begierden uͤbereinkoͤmt/ vor verdaͤchtig/
und fuͤrchte dich vor deſſelben Ausgang.
Du wirſt vor einen unweiſen Mann gehal-
ten werden/ wann du dasjenige/ was du
uͤbel angefangen haſt/ fortſetzeſt/ und man
wird Urſache haben/ dich verſtaͤndig zu
ſchelten/ wann du von deinem Vorhaben
ablaͤſſeſt.
LXXXVI.
Der ſicherſte Raht iſt allezeit der beſte/
und der leichteſte iſt der annehmlichſte/ der
nuͤtzlichſte der dieſes alles beyſammen hat.
Aſclepiades hatte Urſache ſolches zu ſagen/
wie Celſus vorbringt/ daß der allergeſchick-
lichſte Medicus ſeinen Krancken ſicher und
anmuthig und in kurtzer Zeit geſund macht.
LXXXVII.
Sey nicht allzu ſehr an deine Meynung
gebunden; wann du dieſelbe halſtarrig be-
haupteſt/ ſo werden dich der meiſte Theil
der Leute in dem Irrthum laſſen/ und dich
nicht duͤrffen beſtraffen/ damit ſie ſich nach
deinem Kopff richten/ und dich nicht er-
zoͤrnen.
LXXXIIX.
[39]
LXXXIIX.
Solon, der beruͤhmte Geſetzgeber/ will
nicht dulden/ daß man in der Spaltung ei-
ner Herrſchafft neutral bleiben ſoll; Un-
terdeſſen wann zwey vornehme Maͤnner
miteinander im Streit liegen/ ſo duͤncket
mich/ es ſey nicht gar ſicher/ ſich auff des ei-
nen oder andern Seite zu begeben. Dann
wann ſich dieſe zwey miteinander verſoͤh-
nen/ wie gemeiniglich geſchiehet/ fo geraͤht
man in eine groſſe Verwirrung und Noth.
Dann der eine wird des erwieſenen Dien-
ſtes vergeſſen/ und der andere hergegen den
Schimpff/ den er vermeynt/ daß du ihm ge-
than habeſt/ in reiffer Gedaͤchtnuͤß behal-
ten. Jedoch iſt in acht zu nehmen/ daß ſich
diejenige/ welche ſich in der Uneinigkeit ei-
ner Republic auf keine Seite begeben/ den
Flaͤdermaͤuſen gleich ſeyn/ welche die Voͤ-
gel und die Maͤuſe verfolgen; Dieſe Leute
ſind in groſſer Gefahr/ weil ſie nichts haben
duͤrffen wagen. Nicht als wann es nicht
groſſe Gefahr waͤre/ ſich aus der Gefahr
loß machen wollen. Die Bekuͤmmerniß
eines frommen Mannes iſt ein Ubel/ wel-
ches mit dem Gluͤck vergeſellet iſt. Was
vor eine Gunſt man von der Fortun em-
pfaͤngt/
[40] pfaͤngt/ ſo unterlaͤſt man doch nicht/ dar-
uͤber zu klagen.
LXXXIX.
Die Grauſamkeit leiſtet der Unehrbar-
keit gerne Geſellſchafft/ und kan man von
demjenigen ſagen/ der ſich in die Wolluͤſte
ſencket/ daß er ein Selav ſeiner Begier-
den ſey/ daß er wie ein Vieh lebet/ und ſchier
nichts von einem Menſchen an ſich habe.
XC.
Man kan die Sauberkeit und Pracht
der Kleider nicht beſſer beſchreiben/ als wañ
man ſie eine Unterſchrifft der Leichtſinnig-
keit und des Stoltzes nennet. Das heiſt
gar wenig Verſtands Urtheil haben/ wann
man groſſe Unkoſten anwendet/ vor einen
ſtoltzen und ehrgeitzigen Menſchen gehal-
ten zu werden/ und ſich zu einem Bettler zu
machen/ damit man vor reich angeſehen
werde.
XCI.
Der Ehrgeitz iſt zweyen groſſen Kranck-
heiten unterworffen/ er iſt allezeit ſehr ver-
haſſet/ und hat gemeiniglich einen ſehr lei-
digen Ausgang. Man ſiehet ſelten/ daß
es einen Mann wohl abgehet/ der die Ver-
wegenheit an ſich hat/ daß er ſich uͤber ſeinen
Herrn erheben will.
XCII.
[41]
XCII.
Die rare Sachen bringen denjenigen/
die ſie beſitzen/ keinen Nutzen/ und es iſt ſehr
ſchwer dasjenige/ was der Welt gefaͤllt/
lange zu behalten.
XCIII.
Man muß den Untergang und die Zer-
ſtoͤrung eines Reichs nicht ſo wohl den La-
ſtern zuſchreiben/ als denjenigen/ welche
dieſelbe nicht ſtraffen. Man hat nichts
als eine erſchreckliche Verwirrung aller
Sachen zu gewarten/ wann es erlaubet iſt
alles zu thun/ und die Gerechtigkeit verach-
tet iſt. In Summa/ das Ubel iſt unheil-
ſam/ wann die Richter und die Obrigkeit/
an ſtatt die Schuldigen hefftig zu ſtraffen/
ſich ſelber derſelben Laſter theilhafftig ma-
chen.
XCIV.
Es iſt eine geringere Gefahr allzu ſtreng
zu ſeyn/ als allzu ſehr uͤberſehen/ und ein hart
und ſtrenges Verfahren iſt einer Herr-
ſchafft nicht ſo ſchaͤdlich/ als wann das
Volck ſeinen Willen hat/ und in alle Uppig-
keit faͤllt. Wann die Richter nachlaͤßig
ſind/ die Laſter zu ſtraffen/ ſo wird GOtt
unfehlbarlich ſeinen Arm aufheben/ und zu-
gleich
[42] gleich die Richter/ ſamt dem Volck zugleich
ſtraffen. Man thut den frommen Leuten
groß Unrecht/ wann man die Schuldigen
verſchonet. Nichts nahet ſich ſo ſehr zur
Vollkommenheit der Gerechtigkeit/ als die
Strengheit.
XCV.
Sich allen Geſetzen unterwerffen/ und
diejenige Geſetze/ die GOtt gegeben hat/ in
acht zu nehmen/ iſt die allerſtaͤrckeſte Prote-
ction einer Monarchie/ und die beſte Vor-
hut/ welche die Voͤlcker zu ihrer Sicher-
heit haben koͤnnen. Die Verachtung der
Richter und derjenigen/ welche regieren/
iſt der Republic allezeit fatal; wann man
die Ehrerbietung gegen dieſelben verlie-
ret/ ſo bekuͤmmert man ſich nicht umb die
Geſetze.
XCVI.
Wann man in einer Herſchafft nur die
Allerreichſten zu Aemptern befodert/ und
diejenige/ ſo das meiſte anerbieten/ ſo kan ſie
nicht lange beſtehen. Solche Leute werden
ſich nicht bedencken/ dieſelbe uͤbern hauffen
zu werffen. Wann man mit den Aemptern
einen Handel treibet/ ſo werden die Leute/
die derſelben werth ſind/ meiſtentheils auß-
ge-
[43] geſchloſſen/ und werden nur die Reichen dar-
an Theil haben/ alſo daß man/ Geld zu er-
langen/ tauſenderley Gattungen der Unge-
rechtigkeit begehet/ und wann man ſich her-
nach in dieſer Gefaͤhrlichen Wiſſenſchafft
vollkommen gemacht/ und die Macht in der
Hand hat/ wird man alle Schuldigkeit der
Gerechtigkeit verachten.
XCVII.
Das gemeine Volck weiß von keiner
Mittelmaaß/ es gehet allezeit auff die zwey
Extremitaͤten loß: Wann es ein Ding ver-
achtet/ ſo ſetzet es daſſelbe viel niedrieger/ als
es billich iſt; wann es aber daſſelbe lobt/ ſo
erhoͤhet es ſolches unertraͤglich.
XCIIX.
Ob ſchon nichts ſo wanckelbar iſt/ als die
Affection des Volcks/ ſo muß man doch be-
kennen/ daß nichts ſo maͤchtig iſt/ dann man
ſiehet alle Tage/ daß die groͤſte Anzahl die O-
berhand behaͤlt/ und/ die rechte Warheit zu
ſagen/ der meiſte Theil Menſchẽ wendet ſich
auf dieſelbe Seite. Es iſt rar/ daß man einen
findet/ der der Vernunfft Gehoͤr gibt/ wañ
ſchier die gantze Welt dieſelbe verachtet.
Wer kan der Menge widerſtehen? Es iſt
ein Bach/ welcher/ wann er ſich ergeuſt/ alles
was
[44] was er antrifft/ mit ſich ziehet. Wann das
Volck ohne Pasſion handelt/ ſo kan man ſa-
gen/ ſeine Stimme ſey Gottes Stimme;
wann aber die Pasſion handelt/ ſo iſt es eine
Stimme des Satans. Es gibt deren we-
nig/ welche die Pasſion nicht bißweilen auſ-
ſerhalb der Vernunft fuͤhret; aber es iſt noch
viel ſeltzamer einen ſolchen Mann zu finden/
deſſen Actionen wol uͤbereinſtimmen/ und
keinen Fehltritt thut.
Moraliſche Gedancken.
I.
WIr ſind zu dem Ende geſchaffen
worden/ daß wir ſolten gluͤckſelig
ſeyn; Unterdeſſen ſind wir un-
gluͤckſelig/ daß wir unſer Gluͤck nicht erken-
nen/ oder wann wir es erkennen/ ſo achten
wir daſſelbe nicht hoch genug. Wie ſoll ein
Menſch den guten Weg erwehlen/ wann er
den Ort nicht weiß/ dahin er gehen ſoll? Die
Gluͤckſeligkeit iſt ein Gut/ welches unſer ei-
gen iſt/ und diejenige betriegen ſich/ welche
dieſelbe anſehen/ als ein fremb des Ding/
dar-
[45] daran ſie kein Recht haben. Es gibt Leute/
welche ſehr unordentlich leben/ dann ob ſie
ſchon alles in ihrem Hauſe haben/ was ihnen
von noͤhten iſt/ wohl und gluͤckſeelig in dieſer
Welt zu leben/ ſo betrachten ſie es doch
nicht/ und ſuchen an entfernten Orten und
mit unglaublicher Muͤhe/ was ſie bey ihnen
haben.
II.
Man ſoll keinen Unterſcheid machen
zwiſchen den vollkommenen und rechten
Gluͤck/ und zwiſchen der Tugend: jedoch/
wann jemand erſtlich behaupten wolte/ daß
es nicht ein Ding ſey/ ſo koͤnte er doch nicht
laͤugnen/ daß eines ohne das andere beſte-
hen kan/ er muß auffs wenigſte geſtehen/ daß
die Tugend gleichſam das Inſtrument zu
Gluͤckſeligkeit iſt/ deren die Menſchen in die-
ſem ſterblichen Leib genieſen koͤnnen. Man
kan nicht laͤugnen/ daß die Gluͤckſeelichkeit
nicht ein groſſes Gut ſey. Was iſt nun fuͤr
ein groͤſſerer Reichthumb als die Tugend!
Wann es billig und vernuͤnfftig iſt/ die
Sachen/ welche jederman vor gut und
gluͤcklich achtet/ zu begehren/ ſo wird es ja
auch billich ſeyn/ daß man tapffer arbeite/
ein rechtſchaffener Mann zu werden.
III. Die
[46]
III.
Die Tugend iſt ſo vortreff- und koͤſtlich
an ihr ſelber/ daß ſie keinen andern Vortheil
wil/ als denjenigen/ der ſie beſitzt. Sie hat
etwas an ſich/ daß ihr ihre Muͤhe und Arbeit
ſelbſten bezahlet; Die wuͤrdigſte und hoͤchſte
Belohnung einer ſchoͤnen That/ iſt der
Ruhm/ daß man dieſelbe gethan hat. Die
Guͤtigkeit hat eine ſolche liebreiche Anzie-
hung/ daß auch die Allerlaſterhaffteſte nicht
unterlaſſen koͤnnen/ dieſelbe zu lieben. In
Summa/ wir ſehen/ daß ſie in ihrer groͤſten
Verwirrung ihr Bildnuͤß anbeten/ ob ſie
ſchon faͤlſchlich damit handeln/ dann ſie ſu-
chen nur darauß/ was ſie vor ſich am beſten
duͤncket.
IV.
Das Gute hat allezeit dieſen Vortheil/
daß es nichts von ſeiner Guͤte verlieret/ weil
es vor ſich ſelbſt gemacht iſt. Hergegen ver-
aͤndert das Ubel ſeine Natur nicht/ ob man
es ſchon ein groͤſſeres Gut zu erlangen thut/
und es behaͤlt ſeine Boßheit/ ob man dem-
ſelben ſchon nachtrachtet/ als einem guten
und vortheilhafftigen Ding.
V.
Es iſt nich ſchwer/ der Tugend nachzuaͤf-
fen/
[47] fen/ das Laſter lehnet gemeiniglich derſelben
Nahmen und Geſtalt- In Summa/ nicht
die Action, ſondern die Intention macht ei-
nen Unterſcheid zwiſchen ihnen.
VI.
Man kan nicht laͤugnen/ daß die Tugend
eine ſonderbahre Hoheit in ſich beſchlieſt/ ſin-
temahl ſie es/ eigentlich davon zu reden/ iſt/
welche die groſſe Leute macht; Und Zeno hat
recht geſagt/ daß ein Menſch/ welcher hoch
und erhaben in der Welt iſt/ deßwegen nicht
alſobald tugendhafft wird/ aber ſo bald er
die Tugend hat/ ſo iſt er warhafftig groß.
Es mag geſchehen/ was will/ ſo muß doch die
Fortun allezeit der Tugend weichen. Man
hoͤret nicht auffzuleben/ wann man in der
Beſchuͤtzung der Tugend ſtirbt.
VII.
Die Tugend erhebet einen Menſchen
ſehr uͤber ſich ſelbſt/ das Laſter ſchluckt ihn
ein/ und macht ihn weniger als zu einem
Menſchen. Nicht nur die geziemende
Wohlſtaͤndigkeit/ ſondern auch die Noth-
wendigkeit verpflichtet uns/ die Tugend zu
lieben/ wann wir den Vortheil/ den uns die
Natur gegeben/ in acht zu nehmen begehrẽ.
Derjenige/ ſo ſich mit der Vernunfft von
die-
[48] dieſem wunderbahren Liecht entfernet/ iſt
nicht nur unvernuͤnfftig/ ſondern er wirfft
ſich auch unter den Standt der unvernuͤnff-
tigen Thiere.
VIII.
Nenne nichts gut/ als dasjenige/ welches
die Leute gut und Tugendhafft machen kan.
Wann jederman ſich beſliſſe/ dir die groͤſſeſte
Ehre zu erweiſen/ wann du allen Reichthum
der Welt beſaͤſſeſt/ wann die Geſundheit
vollkommen und unveraͤnderlich waͤre/ ſo
koͤnte man doch nimmermehr ſagen/ daß du
gut und fromm ſeyſt/ dann du die Tugend
nicht in der That haſt. Es iſt wenig daran
gelegen/ daß du Mangel an andeꝛn Sachen
habeſt/ wofern du nur die Tugend haſt; man
kan dich der Qvalitaͤt eines rechtſchaffenen
Mannes nicht berauben/ und dieſes iſt die
edelſte und vortreflichſte unter allen/ die man
in dieſer Welt beſitzen kan.
IX.
Es iſt nichts als Betrug in dem Reich-
thum/ die Ehre verſchwindet/ das Gluͤck
ſtuͤrtzet gemeiniglich diejenige/ welche es
am meiſten geliebet: Derowegen ſo ſiehe
dann dasjenige/ was dir ſo uͤbel bekommen/
und dich zu keinem beſſern Mann machen
kan/
[59[49]] kan/ nicht an/ als ein gutes Ding. Die Tu-
gend ſchadet keinem Menſchen/ ſondern ſie
iſt allen nuͤtzlich/ und ob ſie ſchon allein iſt/ ſo
iſt ſie doch beſſer/ als alles andere zugleich.
X.
Die Kluͤgſten unter den Weltweiſen ha-
ben davor gehalten/ ſie koͤnten das Gute
nicht beſſer beſchreiben/ als wann ſie ſagen/
es ſey eine reine Qvelle/ darauß die Men-
ſchen tauſenderley Nutzen ſchoͤpffen. Auch
iſt es/ damit ich auch etwas hinzu ſetze/ ein
koͤſtlicher Canal/ welcher die Tugend zu ei-
ner Qvelle hat/ und dieſelbe biß zu uns fuͤh-
ret. Ohn dieſelbe kan keiner hier gluͤcklich
ſeyn/ und dieſe iſt es auch/ die uns nach un-
ſerm Tode gluͤckſelig macht: Sie iſt nicht
nur der Seelen nuͤtzlich/ ſondern ſie dienet
auch dem Leibe ſehr/ und man findet ſich bey-
des in dieſem und jenem Leben wol dabey.
XI.
Entferne dich gaͤntzlich von dem Laſter/
und folge den ſchwachmuͤhtigen Leuten
nicht/ welche ſagen/ das iſt alles was ich
thun kan/ und meine Kraͤffte erlauben mir
nicht/ weiter zu gehen. Das iſt eben ſo viel/
als ſagte man/ ich kan zwar/ aber ich will
die Tugend nicht erlangen/ und als prote-
Cſtirte
[60[50]]ſtirte man/ wie gemeiniglich geſchicht/ ich
wolte gern/ aber es iſt nicht in meinem Ver-
moͤgen/ dieſer Unordnung zu entgehen/ noch
mich ſolches Laſters zu entſchlagen.
XII.
Die Erde iſt ſo weit vom Himmel entfer-
net/ als der Himmel von der Erden/ es iſt ei-
ne gleiche Weite von einem ſzum andern/
und man kan keine Ungleichheit vermercken/
als zwiſchen der Tugend und den Laſtern.
In Warheit/ es iſt ein kuͤrtzerer Weg von
der Tugend zu dem Laſter/ als von dem La-
ſter zu der Tugend.
XIII.
Weil die Tugend die edelſte und vor-
theilhafftigſte unter allen Qualitaͤten iſt/ ſo
kan ſie billich den ehrl chſten Platz begeh-
ren/ derowegen ſiehet man ſie allezeit in der
Mitten; Die Beſcheidenheit traͤgt Sorge/
ihr einen Platz zu beſtimmen/ und ſtellet die
Sachen ſo wohl an/ daß nichts zu viel ge-
ſchicht/ und auch nichts an der Vollkom-
menheit ermangele.
XIV.
Das Laſter laͤgert ſich allezeit zu der Tu-
gend/ darum muß man ſich nicht verwunde-
ren/ daß man offt das Laſter findet/ indeme
man
[61[51]] man die Tugend ſucht; Derowegen ſiehe
auf deiner Wacht/ damit du nicht betro-
gen werdeſt. Es iſt auch noch in acht zu
nehmen/ daß es Leute in einem Gemaͤhlde/
und hergegen warhafftige und rechte Leute
gibt/ das iſt klaͤrer und ohne Raͤtzel zu ſa-
gen/ man findet rechte Tugenden/ und auch
andere/ ſo nur in dem Schein beſtehen. Die
vermum̃te Tugend iſt ein ſeltzames Wun-
der Thier. Du ſolt wiſſen/ daß eine
Action, die von ihr ſelbſt gut iſt/ und ohne
Bedacht/ oder aus boͤſem Vorhaben ge-
ſchicht/ nur den Schein und die aͤuſſerſte
Rinde der Tugend/ aber in der That die
rechte Abſcheulichkeit des Laſters an ſich
hat.
XV.
Unter den warhafftigen Tugenden wer-
den etliche genennet einfaͤltige/ andere aber
wichtige. Die erſten ſind/ die Warheit
zu ſagen/ ſehr ſchwach/ und waͤhren nicht
lang/ die andern ſind ſtarck/ und widerſte-
hen allem. Ich geſtehe/ daß ein kleiner
Loͤw eben ſo wohl ein Loͤw iſt/ als ein groſſer/
iedoch iſt ein groſſer Unterſcheid zwiſchen
ihnen beyden. Eine helden- und tapffere
Tugend iſt allezeit begleitet von vielen an-
C 2dern
[62[52]] dern Tugenden; Eine ſchwache Tugend
iſt zwar auch eine Tugend/ aber weil ſie
ſchwach iſt/ ſo leiſten ihr die andern Tugen-
den keine Geſellſchafft.
XVI.
Bediene dich der Vernunfft/ wie die
Loͤwen ſich ihrer Klauen/ die Hirſche ihrer
Fuͤſſe/ und die Henne ihrer Fluͤgel/ ihr Le-
ben zu erhalten/ bedienen/ und ſich wider
diejenige/ die ſie angreiffen/ beſchuͤtzen. Es
iſt kein ſo kleines und veraͤchtliches Thier/
den die Natur zu ſeiner Beſchuͤtzung nicht
Waffen gegeben/ aber indem ſie dem Mañ
die Vernunfft gegeben/ hat ſie ihn beſſer
betrachtet/ und mehr verpflichtet als alle an-
dere Creaturen zugleich.
XVII.
Ein Loͤw kan nicht lange ohne ſeine
Waffen leben/ welches ſeine vordere Fuͤſſe
ſind: Ein wildes Schwein/ dem ſeine Hau/
Zaͤhne ausgeriſſen oder abgebrochen ſind/
kan ſich nicht viel wehren. Alſo kan auch
ein Menſch/ der nicht mehr aus der Ver-
nunfft handelt/ nicht weit gehen/ daß er
nicht in eine Unordnung faͤllet. Pythago-
ras hat ſehr wohl in acht genommen/ daß
die
[63[53]] die Klugheit dem Mann gegeben iſt an ſtatt
einer Veſtung/ Mauren und Wall.
XIIX.
Es iſt kein gefaͤhrlichers Laſter/ als das-
jenige/ welches der Tugend am aͤhnlichſten
iſt/ iedoch gedencket man nicht/ wie man
daſſelbige vermeiden wolle. Das iſt auch
ein groſſes/ ſamt einer ſonderbahren Thor-
heit/ wann man ſich mit dem Laſter eines
andern beladen will/ damit man ihn dar-
ſtelle/ als waͤre er unſchuldig an dem Laſter/
deſſen er von andern beſchuldiget wird.
Derjenige/ der einer Miſſethat beyſtehet/ iſt
ſtraffwuͤrdiger/ als der ſie begehet/ dann ob
ſchon etwan in jenem Schwachheit ſeyn
kan/ ſo kan doch in dieſem nichts anders/ als
eine beſondere Boßheit ſeyn.
XIX.
Wann man die Vernunfft/ mit welcher
es dem Autori der Natur gefallen hat/ die
Menſchen zu erleuchten/ abbilden will/ ſo
muß man ſagen/ daß der gute Gebrauch
derſelben allen Tugenden ihre Geburth/
Schoͤn- und Vollkommenheit giebet/ und
weil es keine Laſter gibt/ als weil man der-
ſelben mißbraucht. Kan man ſich einen
groͤſſern Mißbrauch der Vernunfft einbil-
C 3den/
[64[54]] den/ als wann man ſich derſelben wider ſie
ſelber bedienet. Ich weiß/ daß unter den
Laſtern nur Unordnung und Verwirrung
iſt/ aber ich weiß auch wol/ daß ſie ſich in
dieſem Punct vergleichen/ daß ſie allezeit
der Vernunfft zuwider ſeyn/ daß ſie ſich alle
an dem Untergang desjenigen bearbeiten/
ſo ſich denſelben zum Sclaven macht. Was
vor eine Schande iſt es vor einem Men-
ſchen/ wann er das Liecht ſeines Geiſtes nur
zu dem Ende anwendet/ damit er ſich in
den Stand der unvernuͤnfftigen Thiere er-
niedriget.
XX.
Nichts iſt einem Mann/ der in Laſtern
lebet/ ſo ſchimpflich/ als daß er ſeinen Pas-
ſionen als ein Sclav gehorchet/ und ſeine
groͤſſeſte Straffe iſt/ wann er ſein Vor-
haben nicht vollfuͤhren kan; dann es man-
gelt ihm entweder an Kuͤnheit/ dasjenige/
was er wuͤnſcht/ zu unterfangen/ oder wañ
er es unterfaͤngt/ ſo verlieret er ſeinen
Muth/ und trifft nur viel Sorge und Muͤ-
he an/ alſo wird er grauſamlich von ſeinen
eigenen Begierden geqvaͤlet; Die Hoff-
nung eines kurtzen Wolluſts erweckt ihm
ein groſſes Leiden. In Summa/ das heiſt
eine
[65[55]] eine geringe Luſt theuer kauffen/ wann man
ſie mit groſſer Gefahr mitten in dem Fluß
der Bitterkeit ſucht.
XXI.
Das intereſſe geſellet ſich zu allen La-
ſtern/ aber der Nutz befindet ſich nicht alle-
zeit dabey. Man ſuchet das Laſter nicht
um ſeiner ſelbſt willen/ allein das intereſſe
bewegt uns/ daſſelbe zu begehren. In
Summa/ die Leute laſſen ſich leichtlich we-
gen der Ehr von dem Hochmuth/ wegen des
Reichthums von dem Geitz/ und wegen der
Luſt von der Empfindlichkeit verderben.
Es iſt kein Laſter/ welches nicht einiges
Gute zu verſprechen ſchemet/ und davor die
Menſchen nicht eine groſſe Vergnuͤgung
erwarten; doch betriegen ſie ſich/ dann
nichts/ als ein groſſes Ubel/ daraus kom-
men.
XXII.
Man muß dem Boͤſen entgegen/ und
ſich von dem Laſter durch Haß und nicht
nur durch Furcht entfernen. Man kan
zwar denjenigen/ welcher das Ubel fliehet/
ob er ſchon keine rechte Abſcheu davor traͤ-
get/ furchtſam nennen/ aber deßwegen will
ich ihn nicht vor gerecht oder tugendtſam
C 4hal-
[66[56]] halten. Das iſt wenig geſagt/ daß es eine
Gefahr ſey/ boͤß zu werden/ man muß darzu
ſetzen/ daß man nicht ohne groſſen Scha-
den darzu gelangt. Wer uͤbel lebt/ der
leidet einen wuͤrcklichen und hochbetraͤcht-
lichen Verluſt/ und der hat nicht nur die
Gefahr/ darin er ſich begibt/ zu befuͤrchten/
ſondern wann er Verſtand hat/ ſo ſoll er
ohne unterlaß zittern/ dann ſein Ruin iſt un-
vermeydlich/ wann er ſeinen Paſſionen Ge-
hoͤr gibt.
XXIII.
Die Laſter koͤnnen wohl auf einige Wei-
ſe unſer Leben einnehmen/ aber ſie ſind nicht
wuͤrdig daſſelbe anzuwenden/ als daß man
das Leben der Libertiner recht zu beſchrei-
ben/ ſagen muß/ es ſey nur ein Schatten des
Lebens. Wann man uͤbel lebt/ ſo hat man
nichts als Muͤhe/ Arbeit/ uñ nicht den war-
hafftigen Gebrauch des Lebens. Der Muͤs-
ſiggang iſt nichts anders als ein Verluſt
des Lebens/ und ſein gaͤntzlicher Ruin kompt
von den boͤſen Thaten/ in welche man faͤlt.
Es iſt ein groſſer Unterſcheyd unten auff der
Welt ſeyn und leben. Man kan wol von
einem Menſchen/ ſo in dem Laſter veraltet/
ſagen/ er ſey lang auff der Welt geweſen:
aber
[67[57]] aber daß er lang gelebet habe/ kan man nicht
ſagen. Gantz anders muß man von einem
jungen Mann ſagen/ der voller Ehre/ Ver-
dienſt und Tugend geweſen/ und der Todt
in der Bluͤhte ſeiner Jahre hinwegrafft:
Dann ob er ſchon eine kurtze Zeit auff der
Welt geweſen/ ſo hat er doch lang gelebt/
weil er wohl gelebt hat.
XXIV.
Es dienet einem boͤſen Mann nichts/ daß
er ſein Laſter verborgen haͤlt/ er kan zwar ei-
ne Zeitlang machen/ daß niemand daſſelbe
erfahre/ aber wie kan er verſichert ſeyn/ daß
es niemand erfahren werde? Uberdas ſage
ich/ es ſey vielmehr daran gelegen/ daß die
Menſchen das Ubel/ ſo wir gethan/ wiſſen/
weilen wir ſelber deſſen bey uns uͤberzeuget
ſind/ und GOtt weiß es; derowegen/ wann
wir ſchon eines theils ruhig ſeyn/ ſo muͤſſen
wir doch auf der andern Seite zittern.
Man kan ſich zwar bißweilen in dieſen Zu-
ſtand des Ungluͤcks und der Gefahren/ die
uns drohen/ erwehren/ aber doch iſt unmoͤg-
lich/ daß man nicht tauſenderley Schrecken
unterworffen ſeyn/ und nicht groſſen Ver-
luſt leyden ſolte.
C 5XXV.
[68[58]]
XXV.
Man iſt in groͤſſerer Gefahr/ als man
einbildet/ wann man ein unordentlich Leben
fuͤhret. Ein boͤſer Menſch iſt nimmermehr
verſichert: Es iſt nichts vor ihn/ daß ihm
jederman verzeihet/ wann ihm ſein Gewiſ-
ſen keine Ruhe laͤſt/ und er allezeit in ſeinem
Hauſe die Straffe und Marter findet. Es
iſt eine erſchreckliche Zuͤchtigung vor einem
laſterhafften Menſchen/ wann er erkennet/
daß er uͤbel gelebt hat.
XXVI.
Trage noch mehr Sorge vor dein Ge-
wiſſen/ als vor deine Reputation. Es iſt
viel an der Tugend gelegen/ und iſt ſchier
nichts wann man nur die Meinung derſel-
ben hat. Man ſoll ſich nichts anders ach-
ten/ als was man in der That iſt/ und das
heiſt nicht wol von ſich ſelber urtheilen/ wañ
man ſich auff das berufft/ was die Men-
ſchen/ die uns nur von auſſen kennen/ ſagen.
XXVII.
Aus den Wolluͤſten des Leibes entſtehen
die Kranck- und Schwachheiten. Wann
man ſeinem Fleiſch allzuſehr ſchmeichelt/ ſo
verlieret das Gemuͤth ſeine Tugend/ aber
wann man eine Gewonheit darauß macht/
ſo
[69[59]] ſo wird man nicht nur die Krafft haben das-
jenige zu unter fangen/ was anfaͤnglich gar
leicht zu ſeyn ſchiene/ und man ernſtlich ge-
wolt hat. Wer ſich in die Wolluͤſte ſen-
cket/ der kan keine ſchoͤne edle und tapffere
Seele haben.
XXVIII.
Wann die Luſt ihre Graͤntzen uͤberſchrei-
tet/ ſo wird ſie zu einer Marter und Straff.
Es iſt gewiß/ daß die Tugend groſſen Nu-
tzen in ſich hat/ weil das Laſter ſelber derſel-
bigen nachaͤffen muß/ wann es zu ſeinem
Zweck gelangen will; Und dem iſt nicht an-
ders/ es befleiſſet ſich der Tugend nachzuar-
ten/ indem es gewiſſe Maaß/ und ſich auffs
wenigſte dem Schein nach von den Extre-
mitaͤten/ welche allezeit vor einen Exces und
Unordnung gehalten werden/ entfernet.
XXIX.
Ein Loͤw verliehret ſeine Grauſamkeit
und wird ſanfftmuͤthig/ wann man ihm
ſchmeichelt; Aber die Schmeicheley/ ſo du
deinem Leibe anthuſt/ macht denſelben noch
hochmuͤhtiger und halßſtarriger. Jß nicht/
deinen Appetit zu befriedigen/ ſondern dich
nur vor dem Hunger/ der dich plagt/ zu
wehren. Lebe nicht/ damit du eſſen moͤgen/
C 6ſon-
[70[60]] ſondern eſſe/ damit du lebeſt. Wenn du
wenig iſſeſt/ ſo wirſtu lange leben. Die Un-
maͤsſigkeit der Gurgel hat mehr Leute um-
gebracht/ als die Schaͤrffe des Schwerds.
XXX.
Die Laſter koͤnnen nichts anders verur-
ſachen/ als einen Widerwillen/ und man ſa-
ge/ was man will/ ſo kan man doch nimmer-
mehr einen Nutzen darauß ziehen. Nichts
iſt dem Leib ſchaͤdlicher/ als die allzugroſſe
Sorg und unregulirte Liebe vor denſel-
ben. Wir ſehen in der That/ daß das
Wolleben und andere Luͤſte/ welche den
Sinnen ſchmeicheln/ den Leib ſchwaͤchen/
das Gut verzehren/ die Gefundheit weg-
nehmen/ und diejenige/ welche dieſelbe allzu
eyffrig ſuchen/ in unendliche Sorgen/ Muͤ-
he und Arbeit ſtuͤrtzen.
XXXI.
Man kan die Sinnlichkeit beſchreiben/
daß ſie ſey ein ſuͤſſer und lieblicher Anfang
eines ſehr bittern und leidigen Lebens. Das
Laſter kan ihm nicht ſelber unſichtbar ma-
chen/ alſo daß/ weil es ſich ſeiner Abſcheu-
lichkeit ſelber ſchaͤmet/ die Finſternuͤß ſucht/
und ſich verbirget/ ſo viel moͤglich iſt. Un-
terdeſſen iſt ihme das Wagen/ welches von
der
[71[61]] der Fortun abtrenlich iſt/ viel guͤnſtiger/ als
die Dunckelheit der Nacht.
XXXII.
Ein Menſch/ der den Luͤſten ergeben iſt/
verunehret ſeinen Leib/ und die allzu groſſe
Sorge/ die er traͤgt/ denſelben zu frieden zu
ſtellen/ wird ihm zur Qvelle des Unmuths/
Verdrußes/ und Kranckheiten. Seinem
Leib ſchmeicheln/ ſeinem Fleiſch liebkoſen/ ſich
denen Wolluͤſten ergeben/ heiſt ſeinem
Feinde einen Muth machen/ und ihm die
Waffen in die Hand geben.
XXXIII.
Das Leben eines Unzuͤchtigen iſt ein vie-
hiſches Leben; Das Leben eines Menſchen/
welcher der Gurgel ergeben iſt/ kan billich
mit demjenigen Leben verglichen werden/
welches man den Pflantzen zueignet/ deſſen
gantze Subſtantz darin beſtehet/ daß es die-
jenige Nahrung ſucht/ die es unterhalten
kan.
XXXIV.
Der Stoltz iſt nichts anders/ als ein
praͤchtiges Kennzeichen der Thorheit; Dañ
ſage mir/ kan auch etwas ſeltzamers ſeyn/ als
daß man ſich mit einem Gut/ welches gaͤntz-
lich frembd iſt/ bereichern will? Ich wuͤrde/
C 7mei-
[72[62]] meines Beduͤnckens/ einem Menſchen nicht
unrecht thun/ wann ich ihn einen Narren
hieſſe/ weil er ihm einbildet/ man ſoll ihn hoͤ-
her ehren/ weil er beſſer gekleidet iſt/ oder in
ſeinem Cabinet viel Raritaͤten hat. Die
Ehre eines Mannes ſoll nicht von der Ge-
ſchicklichkeit eines Schneiders/ oder eines
vortrefflichen Goldſchmiedes dependiren,
man muß durch die Tugend und loͤbliche
Thaten davon urtheilen.
XXXV.
Du wuͤrdeſt denjenigen/ der ſich im
Schnee herum waͤltzen wolte/ damit er ſich
erwaͤrme/ nicht vorklug halten. Nun iſt ein
hochmuͤhtiger und einbildiſcher Mann nicht
ein geringerer Narr/ dann damit er zu ſei-
nem Zweck gelange/ ſo erwehlet er ſolche
Mittel/ die ihn gaͤntzlich davon zuruͤcke hal-
ten. Weil er ſeine Meriten und Tugend
hoch achtet/ ſo will er/ alle Welt ſoll auch
von ihm alſo urtheilen/ und denckt nicht/ daß
man ſich mit den allerſchoͤneſten Qvalitaͤten
veracht macht/ wann man ſich vor andern
will vorziehen.
XXXVI.
Die andern Laſter verbergen ſich gemei-
niglich/ und ſuchen die Finſternuͤß: Nur der
Hoch-
[73[63]] Hochmuth ſucht den Tag/ und hat dieſe
Thorheit an ſich/ daß er ſich allezeit will ſe-
hen laſſen/ als wann alles was in der Welt
iſt/ weit unter ihm waͤre. Unterdeſſen
duͤnckt mich doch/ es ſey das allerſchrecklich-
ſte unter allen Laſtern.
XXXVII.
Ich finde nicht/ daß eine Thorheit derje-
nigen gleich iſt/ die ein Mann an ſich hat/ der
auffgeblaſſen iſt und ſich ſelber hoch achtet;
dañ alles was er thut und dencket/ dienet ſei-
nem Leibe nichts/ und ſchadet ſeiner Seelen
viel. Man gewinnet nichts/ wann man
hochmuͤhtig iſt/ als daß man ihm den Haß
aller Leute auff den Hals ladet/ dieſes iſt die
Frucht des Hochmuths.
XXXVIII.
Alles/ was wir hierunten ſehen/ traͤgt eine
Liebe gegen dasjenige/ ſo ihm gleichet/ nur
allein der Hochmuth haſſet ſeines gleichen/
als den Todt ſelbſten; alſo daß/ gleich wie die
Gleichnuͤß die Liebe erweckt/ ein Menſch/
welcher dem Trieb des Hochmuths folget/
ſich der Natur widerſetzet. Der Hochmuth
iſt ein grauſames Thier/ eine Feindin der
Geſellſchafft/ und die keine Luſt hat/ als in
der Einſamkeit. Dieſes Laſter iſt vertraͤg-
lich
[74[64]] lich bey reichen Leuten/ und gantz abſcheulich
bey Armen. Wann ſich der Hochmuth an
einen reichen Mann hencket/ ſo macht ſie ihn
zum Narren. Wann er ſich des Gemuͤhts
eines Armen bemaͤchtiget/ ſo benimpt ſie ihm
alle Sinnen und Vernunfft.
XXXIX.
Was ich alhier ſagen will/ iſt etwas ſel-
tzam anzuhoͤren/ aber man muß ſich deſſen
wider die Ordnung und das Ubel/ ſo der
Hochmuth verurſacht/ bedienen. Nemlich
dieſes Laſter iſt ſo abſcheulich/ daß wann
man es mit andern vergleicht/ es uns einbil-
det/ wir finden einen Nutzen in der Suͤnde
ſelbſten; und es iſt in der That einem hoch-
muͤthigen Menſchen bißweilen nuͤtzlich/ daß
er einen groben Fehler begehet/ damit er ſich
von dieſer toͤdtlichen Aufgeblaſenheit entle-
digen moͤge.
XL.
Man muß ſich der Aemter wuͤrdig ma-
chen/ aber dieſelbe nicht ſuchen; Es iſt viel
eine groͤſſere Ehre/ wann man ſie verdienet/
ehe man ſie erhaͤlt/ als wann man ſie erhaͤlt/
ehe man ſie verdienet. Es iſt eine groſſe
Unverſchaͤmtheit/ wann man einem herr-
lichen Amt nachtrachtet/ und nicht werth
iſt/
[75[65]] iſt/ daſſelbe zu haben; Aber die groͤſſeſte
Schande iſt es/ wann man ſich unbillicher
Mittel bedienet/ darzu zu gelangen. Ein
Menſch/ der ſich durch tadelhaffte Mittel
erhoͤhet/ faͤllt viel eher/ als er auffſteigt.
XLI.
GOtt iſt ein Anfaͤnger und Urſaͤcher
alles Guten/ und das Ubel kan nur allein
von dir herkommen. Was vor eine Ur-
ſach haſt du nun dich zu ruͤhmen? Geſchichts
wegen des Boͤſen/ ſo du begangen/ ſo iſt es
nur lauter Schande und Schmach? Ge-
ſchicht es wegen des Guten/ ſo iſt es ein
gantz frembdes Ding/ und welches ſeine
Quelle auſſerhalb dir hat. Ich wolte dich
lieber in der Unordnung ſehen mii einer de-
muͤthigen und auffrichtigen Reu/ als tu-
gendhafft mit einem vom Hochmuth beglei-
tetem Vergnuͤgen.
XLII.
Der Ehrgeitz verirret ſich/ indeme er den
Weg gehen will/ der zu der rechten Ehre
leitet; man gelangt zu derſelben nicht durch
groſſe Aemter/ noch andere glaͤntzende
Sachen des Gluͤcks/ ſondern nur/ wann
man den Fußſtapffen der Tugend folget.
Alſo entfernet ſich ein Menſch mit allen ſei-
nen
[76[66]] nen ſchoͤnen Prætenſionen von demjeni-
gen/ was er mit ſolchem Eyffer begehret.
Wie ſolte ein Laſter an demjenigen ſeyn
koͤnnen/ welches nur in der Willkuͤhr der
Tugend beſtehet/ und ſie niemand anders
als dem Verdienſt vergoͤnnet.
XLIII.
Traue dem Zorn nicht/ denn er wird ſich
befleiſſen dich zu bewegen/ daß du einen boͤ-
ſen Anſchlag gut heiſſeſt/ als wann es der
beſte Raht waͤre. Ja indem er dich treibt
andern leids zu thun/ ſo noͤthiget er dich/ dir
ſelber zu ſchaden. Wie viel Leute haben
wir geſehen/ die man des Landes verwieſen/
weil ſie nicht haben diſſimuliren, noch ein
Wort/ welches ſchiene ſie vor dem Kopff zu
ſtoſſen/ nicht haben ertragen koͤnnen.
XLIV.
Nichts iſt dem guten Raht ſo zu wider
als der Zorn/ und die Ubernehmung der
Gall/ derowegen iſt ein Mann/ der dem
Zorn unterworffen iſt/ meines Beduͤnckens/
mehr ſchuldig/ die Klugheit um Rath zu
fragen/ ehe er redet. Geſteheſt du mir nicht/
daß man ſtarcke Gruͤnde haben muß/ wann
man ihm will des Verſtands-Urtheil neh-
men laſſen? Alſo hat man gewißlich auch
wenig
[77[67]] wenig Vernunfft/ wann man ſich von dem
Zorn uͤbernehmen laͤſt/ als wann man ſich
mit Wein uͤberfuͤllet.
XLV.
Es iſt allezeit viel ſicherer/ ſeinem Feinde
zu vergeben als ſich an denſelben zu raͤchen/
und es brauchet nicht weniger Beſchwer-
lichkeit. Du kanſt die Schmach/ die du
erlitten haſt/ verzeihen/ ohne einigen Schritt
zu thun/ da du hergegen viel thun/ und tau-
ſend Gefahren ausſtehen muſt/ ehe du deine
Paſſion vergnuͤgen kanſt.
XLVI.
Man darff von einem Todten keine Ant-
wort/ und von einem Geitzigen keines rech-
ten Dancks gewaͤrtig ſeyn. Die Begier-
de/ die er hat/ allezeit zu nehmen/ macht/ daß
er die Gedaͤchtnuͤß deſſen/ ſo er empfangen
hat/ verliehret. Wann er nehmen ſoll/ ſo
duͤncken ihn auch die allergroͤſſeſten Sachen
gar gering zu ſeyn: Aber wann er geben ſoll/
ſo duͤncken ihn die allergeringſten Sachen
ſehr koͤſtlich und vortreflich zu ſeyn.
XLVII.
Oeffne dein Hertz dem Geitz nicht/ wann
du nicht unluſtig und elendig ſeyn wilt/ in-
dem ſich andere ergoͤtzen. Wann du dieſer
ver-
[78[68]] verfluchten Pasſion Gehoͤr giebeſt/ ſo wird
ſie dir alle Muͤhſeligkeit der Armuth mitten
in deinem Gold und Silber auff den Halß
laden/ und du wirſt nichts thun/ als ver-
ſchmachten/ an ſtatt zu leben. Der Zuſtand
eines Geitzigen iſt ſo ungluͤckſelig/ daß das
groͤſte Ubel/ ſo man ihm wuͤnſchen kan/ die-
ſes iſt/ wann man ihm ein langes Leben
wuͤnſcht.
XLVIII.
Es gibt viel Dinge/ welche reichen Leuten
mangeln/ aber man kan ſagen/ daß insge-
mein einem Geitzigen alles mangelt; ja er iſt
ſo ungluͤckſelig/ daß dasjenige/ was er unter
handen hat/ ihm ſo wol mangelt/ als das er
nicht hat/ und vielleicht mangelt es ihm noch
mehr/ dann er empfaͤngt nicht die geringſte
Vergnuͤgung von demjenigen/ ſo er beſitzt/
da er hergegen in jenem Fall etwas zu erlan-
gen hofft/ das er noch nicht hat. Er ſamlet
die Fruͤchte der Guͤter/ die er in ſeinem Hau-
ſe hat/ nicht/ und hat auffs meiſte nichts/ als
das Anſehen und den Geruch von der Bluh-
men/ die er wuͤnſcht.
XLIX.
Es iſt ein ſehr groſſer Unterſchied zwi-
ſchen zwey Maͤnnern/ deren der eine die
Ar-
[79[69]] Armuth fuͤrchtet/ und der andere des Reich-
thums allzubegierig iſt; Den erſten ſiehet
man nicht gern/ den andern aber meidet
man ſo viel moͤglich/ auch haſſet man den-
ſelben auffs hoͤchſte. Die Nothwendigkeit
gibt jenem eine Kuͤnheit ein/ und macht/
daß er erſchreckliche Gedancken faſl; Aber
der Geitz/ welcher eine ſchaͤndliche und ab-
ſcheuliche Pasſion iſt/ macht dieſen veraͤcht-
lich bey allen Leuten/ weil er nur ſeinem
Erben/ und zwar ohne ſeine Intention/
gutes thut.
L.
Die Liebe/ ſo ein Geitziger gegen die
weltliche Guͤter traͤgt/ iſt ihm ſo ſchaͤdlich/
als ein Schiffbruch oder Feuersbrunſt.
In Summa/ ſein Gut dienet ihm auf kei-
ne Weiſe/ und es waͤre ihm eben ſo gut/ daß
ſein Gut vom Feuer verzehret/ oder vom
Meer verſchlungen waͤre. Das Gold/
deſſen ſeine Kiſten voll ſind/ iſt ſeinent wegen
gaͤntzlich verlohren: Mich duͤncket/ man
koͤnne mit einem Wort ſagen/ daß des Gei-
tzigen groſſe Schaͤtze eine ſehr wolgezierte
Armuth ſey.
LI.
Ein geitziger Mann iſt keinem Menſchen
Nutz
[80[70]] Nutz/ er thut ihm ſelber viel Leids/ er giebt
andern nichts/ und doch nimt er ihm alles
was er kan/ und macht ſich zum Ungluͤckſe-
ligſten unter allen Menſchen. In Sum-
ma/ er geraͤht in eine ſolche Extremitaͤt/ baß
er keine Wolthat erweiſen kan/ als wann
er ſtirbt/ und alsdann ſpotten die Erben
ſeiner/ und ſtellen ſich als weineten ſie/ und
bedecken eine warhafftige Freude mit einer
ſcheinenden Traurigkeit.
LII.
Es mangelt einem Geitzigen nimmer-
mehr an Urſachen/ wann er etwas verſagen
will/ aber ein rechter freygebiger Mann
hat allezeit Urſachen/ wann er geben will/
auch wann man ſchon nichts von ihm be-
gehret. Der erſte genieſt ſeines Reich-
thums nichts/ der andere verlieret ſein Gut
nicht/ auch wann er ſich deſſen/ ſeinen
Freunden zum Dienſt/ ſchon beraubet. Je-
ner iſt ein Sclav deſſen/ ſo er beſitzet/ der
aber iſt noch ein Herr uͤber dasjenige/ ſo er
gegeben hat.
LIII.
Es muß entweder der Mann uͤber das
Geld/ oder das Geld uͤber den Mann her-
ſchen/ und es iſt kein Mittel-Ding zwiſchen
die-
[81[71]] dieſen beyden Extremitäten. Der Reich-
thum mißbraucht ſich desjenigen/ der ſich
deſſen nicht bedienen kan/ wie ſichs gebuͤh-
ret.
LIV.
Der Neid hat dieſes boͤſe an ſich/ daß er
ſich uͤber das Ungluͤck/ ſo andern wieder-
faͤhrt/ erfreuet/ da er doch keinen Nutzen
davon hat/ alſo iſt nicht ſo wol eine Pasſion,
als eine Unſinnigkeit/ wann er ihm aus der
Freude und Vergnuͤgung anderer Leute
ſeine Straffe und Marter machet. O wie
ungluͤckſelig ſind diejenige/ die ſich von ſol-
cher ſchandloſen Pasſion regieren laſſen/
und wie ſehr ſind ſie zu bedauren/ weil nicht
nur das wuͤrckliche Ubel dieſelbe plagt/ ſon-
dern auch alles Gluͤck und Guͤte/ ſo ſie an
andern befinden. Das Boͤſe/ ſo einem in
dieſem Leben wiederfahren kan/ iſt nur all-
zumaͤchtig/ einen Menſchen ungluͤckſelig zu
machen/ aber der Neyd betruͤbt ihn zwey-
faͤltig/ und bedient ſich des Gluͤcks anderer
Leute/ ſie zu qvaͤlen.
LV.
Die Vergleich ng waͤre/ meines Be-
duͤnckens/ billig geuug/ wann man ſagt/ der
Neid ſeye derjenigen Gattung der Steine
gleich
[82[72]] gleich/ deren man ſich bedienet/ die Meſſer
damit zu ſtreichen/ daß ſie ſchaͤrffer werden.
In Summa/ der Neid iſt zu nichts gut/
als die Zunge damit zu wetzen; Unterdeſ-
ſen aber iſt es gut/ daß man von einem Ver-
laͤumbder boͤſe Nachrede leidet/ und ſehen
wir gemeiniglich/ daß diejenige/ welche ſich
der boͤſen Nachrede gantz ergeben/ ſich
nicht enthalten koͤnnen/ wider fromme Leu-
te zu reden.
LVI.
Es iſt beſſer Neid als Schmeicheley.
Der Zuſtand eines Neiders iſt tauſend-
mahl aͤrger/ als eines/ der von der Peſt an-
geſteckt iſt. Ja es gibt deren/ die ſich nicht
ſcheuen zu ſagen/ es ſey beſſer vom Teuffel/
als von dem Neid/ beſeſſen zu ſeyn. Wir
ſehen in der That/ daß der Neid boͤß iſt/ auf
was vor Manier man ihn auch betrachtet.
Die Voßheit/ ſo dabey iſt/ iſt gar abſcheu-
lich/ und die Straffe/ welche ſie nach ſich
ziehet/ iſt noch viel groͤſſer/ als man ſich ein-
bildet.
LVII.
Man muß geſtehen/ daß der Neyd ein
ſehr ſeltzames Monſtrum iſt/ dann ob er
ſchon die Ungerechtigkeit ſelber iſt/ wie die
gantze
[83[73]] gantze Welt weiß/ ſo iſt er doch auff einige
weiſe gerecht. Dieſes hat einer Erklaͤ-
rung von noͤthen. Nichts iſt ſo unbillig als
der Neid/ ſintemahl ein Menſch/ der davon
angegriffen wird/ ihm einbildet/ er ſey durch
andere verletzt: Aber andern theils iſt
nichts gerechters als der Neid/ dann er
zuͤchtiget denjenigen/ welcher ihm folget und
anhoͤrt/ und verdam̃t ihn zu einer erſchroͤck-
lichen Straffe/ die man ihm kaum einbil-
den kan.
LVIII.
Es iſt ſchier kein Unterſcheid zwiſchen
einem Schmeichler/ der den Leuten liebko-
ſet/ und einem Wolff/ der ein Schaff ſuchet;
Er liebt es nicht/ ſondern ſucht es ihm zu ei-
nem Raub. Derowegen entſchlage dich
eines Schmeichlers/ als deines aͤrgſten
Feindes: Der Geitzige kennet ihn beſſer/
als ein anderer; Das iſt nicht genug/ wann
man ſagt/ die Schmeicheley ſey eine ſehr
ſubtile Luͤgen/ ſondern man muß ſagen/ ſie
ſey eine ſchaͤndliche Verraͤtherey/ dann auch
der allerboͤſeſte Menſch auf der Welt hat
keine Muͤhe gutes von andern zu reden/ und
ihnen uͤber ſeine Gewalt gutes zu thun/
wann es ſeinen Nutz angehet: Zu ſolcher
DZeit
[84[74]] Zeit hat er allen Schein eines warhafften
Freundes/ nichts defloweniger thut er alles
boͤſe/ ſo viel ihm moͤglich iſt.
LIX.
Es iſt ein ſehr gemeines Sprichwort/
daß die Luͤgen keine Fuͤſſe haben/ aber ich
halte davor/ man koͤnne ſagen/ die Luͤgen
haben Fluͤgel/ und der Luͤgner habe keine
Fuͤſſe: Dann wir ſehen/ daß eine Luͤge ſehr
ſchnell durchlaufft/ und ſich in einem Augen-
blick an vielen Orten befindet: Hergegen
ertappet man einen Luͤgener eben ſo leicht/
als einen Mann/ der mit einem zerbroche-
nen Bein darvon fliehen will.
LX.
Man iſt niemals beredter/ als wann
man ſich in der Noth befindet/ und wann
der Menſch jemals faͤhig iſt/ ſich ſeltner und
ungemeiner Spruͤche zu bedienen/ ſo iſt es
zu der Zeit/ da er ſeine Noth vorbringen
ſoll. Die Warheit iſt viel ſtaͤrcker/ als alle
Vernunffts-Gruͤnde/ und ſie iſts/ eigent-
lich zu reden/ welche die Krafft des Geiſtes
unterhaͤlt. Unterdeſſen ſo ſind die Men-
ſchen gemeiniglich ſo uͤbel beſchaffen/ daß ſie
die Warheit nicht verdauen/ ja auch nicht
ſchmecken koͤnnen/ wann ſie nicht ein wenig
verdeckt iſt
LXI.
[85[75]]
LXI.
Die Liebe kan nicht rechtmaͤßig noch ver-
nuͤnfftig ſeyn/ wann ſie nicht das Gute vor
ſich hat. Derowegen thun wir ſehr uͤbel/
daß wir lieben/ was uns zu wider iſt/ und
welches uns nichts ſchaden kan/ als wann
wir unſere Affection darauf werffen.
Heißt daß nicht recht ungluͤcklich ſeyn in
der Liebe/ wann man die Urſach ſeines Un-
gluͤcks liebt? Und doch thun ſolches dieje-
nigen/ welche das Gluͤck lieben/ und die Tu-
gend verachten.
LXII.
Der geruhige Zuſtand/ in welchem ſich
die Seele bißweilen befindet/ und die Freu-
de/ ſo ſie fuͤhlet/ iſt die Frucht/ oder die rech-
te Vergeltung ſeiner Liebe. Man iſt nicht
nur gluͤcklich/ wann man ſeine Affection
auff das Gute richtet/ ſondern man hat
auch Theil an den geliebten Sachen/ und
wird warhafftig fromm. Der hohe Punct
der Tugend beſtehet in der Liebe GOttes/
und was auch die Libertiner ſagen/ ſo iſt
doch keine Gluͤckſeligkeit derjenigen gleich/
wann man von GOtt geliebet wird.
LXIII.
Iſt das nicht eine groſſe Thorheit/ daß
D 2man
[86[76]] man ſich bekuͤmmert um ſolche Guͤter/ wel-
che wann ſie von andern Perſohnen geſu-
chet/ ſie tauſenderley Unruhe verurſachen
werden? Dieſes iſt nicht die geringſte/
wann man ſich an ſolche Leute bindet/ wel-
che von andern nicht koͤnnen geliebt wer-
den/ es werde uns dann eine groſſe Eyver-
ſucht und grauſamer Verdruß verurſachet.
GOtt allein hat dieſen Vortheil vor allen
Creaturen/ daß wir ihn lieben/ und uns fe-
ſtiglich an ihn halten koͤnnen/ ohne Furcht/
daß man uns denſelben nehme. Man thut
ihm eine groſſe Schmach an/ wann man
nur an der Standhafftigkeit ſeiner Gnade
zweiffelt/ dann Er wird uns nimmermehr
vergeſſen/ oder ſich am erſten von uns ent-
fernen.
LXIV.
Ein Ding lieben/ welches man billich
verlieren ſoll/ darum/ weil man es liebt/
heiſſet lieben/ als ein Narr und Unſinniger.
Wer nun Reichthum liebt/ der iſt werth/
daß er denſelben verliere. Wuͤnſcheſt du
in der Liebe vor weiß gehalten zu werden/
ſo liebe nur dasjenige/ was du wuͤrdig ma-
chen wirſt zu beſitzen/ in dem du es liebeſt/
wie ſichs gebuͤhret. Weiſt du wol/ daß
die
[87[77]] die Tugend die Stuͤtze der Liebe iſt/ und es
iſt ein ſuͤſſer Biſſen geliebt zu werden/ die
Freundſchafft aber erwaͤchſt aus dieſen
allen beyden.
LXV.
Man muß nur das Boͤſe fuͤrchten: Weil
nun alles Boͤſe dieſes Lebens nur den
Schein hat/ ſo hat man keine Urſache/ daſ-
ſelbe zu fuͤrchten. Der geringſte Fehler
ſoll uns zittern machen/ aber die Arbeit ſoll
uns nicht erſchrecken. Die Suͤnde iſt ein
rechtes Ubel; Die Arbeit iſt kein ſolches
Ubel/ wie mans ihm einbildet/ ſie iſt in der
That gut/ wird aber von den Zaͤrtlingen
und Sinnlichen nicht geliebt; ledoch ob
ihr ſchon die Meynung nicht guͤnſtig iſt/ ſo
hat ſie doch die Warheit auf ihrer Seiten.
LXVI.
Gedencke daß in den Sachen ſelbſt/ wel-
che du ſo hefftig begehreſt/ mehr zu fuͤrchten
als zu hoffen iſt. Zum Exempel/ wann du
einer Wolluſt hefftig nachtrachteſt/ warum
fuͤrchteſt du dich nicht vielmehr vor der
Gallen/ damit ſie vermiſchet iſt/ und vor
dem Verdruß/ der von ihr nicht kan abge-
ſondert werden? Vielleicht wirſt du es die
gantze Zeit deines Lebens empfinden/ da
D 3her-
[88[78]] hergegen die Ergetzlichkeit in einer Viertel-
ſtunde voruͤber gehet.
LXVII.
Die Furcht und Traurigkeit werden
nicht uͤbel das Blut einer verwundeten
Seele genennet. Man ſiehet das Blut
nicht lang an aus der Wunden flieſſen/ es
iſt beſſer/ daß man darauf bedacht ſey/ wie
man helffe und das Blut ſtille. Wann
dir einiger Unfall drohet/ ſo verliehre keine
Zeit/ zu erforſchen/ wie ſchwer der Streich
ſeyn werde/ aber gedencke vielmehr an die
Mittel/ demſelben zu entgehen/ oder ruͤſte
dich/ denſelben wohl zu empfangen.
LXVIII.
Dein Elend und Ungluͤck wird dir nim-
mermehr ſo groß vorkommen/ wann du es
mit dem Ungluͤck anderer Leute vergleicheſt.
Die allerbetruͤbteſte Leute troͤſten ſich leicht-
lich/ wann ſie betrachten/ was andere aus-
ſtehen/ und es iſt eine Gattung der Suͤßig-
keit unter dem Elend/ wann man ſeines
gleichen hat/ und nicht allein leidet.
LXIX.
Die Schande und Furcht erhalten die
Guͤter dieſes Lebens/ mit genugſahmer
Sorge und Treue. Die Schande hat
eine
[89[79]] eine groſſe Gewalt uͤber das Gemuͤth eines
rechtſchaffenen Mannes/ dieſelbe haͤlt ihn
meiſtentheils ab/ daß er nichts ungereimtes
begehe. Der Poͤbel wird durch Furcht
in ſeiner Schuldigkeit erhalten. Jene Ur-
ſache bezeuget eine groſſe Seele und tapff-
res Hertz: Dieſe aber entdeckt nichts an-
ders/ als eine Niedrigkeit des Gemuͤths/
derowegen ſehen wir ſchier alle Tage/ daß
ſie nur uͤber ſolche Leute Gewalt hat/ die zu
der Dienſtbarkeit gebohren ſind.
LXX.
Die Furcht iſt nichts anders/ als ein
weiſer Raht/ und ein heimlicher Bericht/
welchen die Natur allen Menſchen gibt/
damit ſie auff der Wacht ſtehen/ und ſich
huͤten vor allen uͤbel/ ſo ſie angreiffen und
uͤberfallen kan. Derowegen muß man ſich
vor demjenigen nicht befuͤrchten/ welchem
man nicht entgehen kan/ weil es unmoͤglich
iſt zu verhindern/ daß ſie geſchehen: Die
Furcht iſt gut wider die Gefahr/ aber ſie
dienet nichts in den Kranckheiten/ ſo wohl
als in dem Verluſt/ den man leiden kan:
oder wann man verſichert iſt/ daß es kom-
men wird/ ſo muß man das Hertz nicht fal-
len laſſen/ noch ſich gar zu ſehr vor demſel-
D 4ben
[90[80]] ben fuͤrchten/ ſondern man ſoll deſſelben
vielmehr ſtandhafftig erwarten/ und mit ei-
nem heroiſchen Gemuͤth ertragen.
LXXI.
Die Furcht des Ubels verurſacht offt-
mals Schmertzen/ und macht viel unruhi-
ger/ als das Ubel ſelber/ wann es ankomt.
Was ſich auch vor ein verdrießlicher Zu-
fall begibt/ ſo wird man nur einmahl davon
getroffen/ und wann man den Streich er-
litten hat/ ſo iſt man davon befreyet; Her-
gegen wañ man allezeit in der Furcht lebet/
ſo muß man gewaͤrtig ſeyn viel Streiche zu
empfangen. Alſo thut man gar thoͤricht/
wann man ſich allezeit vor einem ſolchem
Ubel fuͤrchtet/ welches doch nicht immer
waͤhren kan.
LXXII.
Ein furchtſamer Menſch iſt nicht faͤhig
viel Dinge zu unterfangen/ er glaubt leicht-
lich alles was man ihm ſagt; Die Furcht
haͤlt die allerſchoͤnſten Anſchlaͤge zuruͤck/
und ſo lange man ihr Gehoͤr gibt/ ſetzt man
die Reſolution, ſo man gefaſt hat/ niemals
ins Werck. In Summa/ ſie ſtoſt die Ein-
bildung der Leute alſo um/ daß ſie auch den
leich-
[91[81]] leichteſten Verdacht/ vor eine ſehr gewiſſe
Warheit halten.
LXXIII.
Man muß von der Groͤſſe der Gefahr
nicht durch die Furcht/ welche man davor
hat/ urtheilen. Es iſt bißweilen gefaͤhrlich/
eine groſſe Zuverſicht zu haben. Wann
du begehreſt ruhiglich zu leben/ ſo ſuͤrchte
dich maͤßiglich/ und folge nicht der Mey-
nung etlicher Leute/ die ihnen einbilden/ daß
man ſich um nichts anders bekuͤmmern ſoll/
wann man nur gluͤcklich in der Welt iſt.
LXXIV.
Es iſt eine geringe Klugheit/ in dem Lauff
dieſes Lebens etwas zu hoffen/ als mit Ver-
ſtand zu fuͤrchten; Das Boͤſe hat eine
groͤſſere Zahl/ und iſt gewiſſer als das Gute.
Die Kranckheiten/ Schaden/ Ungluͤck/ Be-
kuͤmmernuͤß ſind ſo gemein/ daß man ſchier
von nichts anders hoͤret/ und es iſt rar/ ei-
nen ſolchen Menſchen anzutreffen/ der da-
von befreyt iſt. Wie viel Arme gibt es/
da es einen Reichen gibt? Die Zahl der
Gluͤckſeligen iſt gar klein/ aber die Zahl der
Elenden iſt unzehlich.
LXXV.
Es iſt wahr/ daß die Furcht alle Sachen
D 5ſehr
[92[82]] ſehr uͤbel außlegt/ iedoch hat ſie dieſen Vor-
theil/ daß ſie niemals liegt. Auch kan man
zu ihrer Entſchuldigung ſagen/ daß es ſehr
ſchwer iſt von der Furcht zu befreyen/ wann
man ſich in Gefahr befindet. Man wird
leichter betrogen wann man hofft/ ſinte-
mahl die Guͤter dieſes Lebens nicht ſo ge-
mein ſind/ und es der Menſchen gar viel
gibt/ welche denſelben nachtrachten.
LXXVI.
Keine Hoffnung haben heiſt der aller-
elendeſte unter allen Menſchen zu ſeyn; und
derjenige/ welcher nichts mehr hofft/ geraͤht
in die letzte und aͤuſſerſte Noht. Wie kan
ein Menſch einiges Gut mehr haben/ nach-
dem er die Hoffnung/ welche das letzte von
allen Guͤtern iſt/ verlohren.
LXXVII.
Die vergangene Ergetzlichkeit lindert
das gegenwaͤrtige Ubel nicht/ aber das
Boͤſe/ ſo man erlitten/ benimt den Ge-
ſchmack der gegenwaͤrtigen Ergetzlichkeit;
Das Gut/ welches man erwartet/ iſt kein
wehrhafftiges Gut: Das Ubel mit Gedult
erlitten/ iſt kein Ubel mehr/ und ſo bald es
auffgehoͤret/ ſo veraͤndert es ſich in eine
Luſt/ und gibt demjenigen/ welcher es aus-
ge-
[93[83]] geſtanden hat/ eine ſehr groſſe Vergnuͤ-
gung.
LXXVIII.
Du wirſt dich nimmermehr betriegen/
wann du deine Freude und deinen Schmeꝛ-
tzen gleich auf den Fuß der Sachen ſelbſt
regulireſt. So gebrauche es dann alſo/
daß du dich uͤber dasjenige/ das ſchier nichts
iſt/ nicht ſo ſehr bekuͤmmerſt; und dich auch
nicht gar zu ſehr erfreueſt/ wann du nicht
groſſe Urſach haſt. Die Klugheit will/ daß
man gewiſſe Maaß in der Freyheit/ die man
ſeinen Paßionen laͤſt/ halte/ und man muß
dieſelbe nicht bey ieder geringſten Gelegen-
heit/ die ſich eraͤuget/ nach aller ihrer Ge-
walt handeln laſſen. Betrachte ein we-
nig was dich erſchreckt/ vielleicht wirſt du
es gantz nicht fuͤrchten/ wann du es recht
anſieheſt/ auffs wenigſte ſo wirſt du dich
nicht ſo ſehr davor fuͤrchten. Ey lieber/
warum biſt du ſo traurig/ und was iſt das-
jenige/ das dich ſo ſehr betruͤben kan? Nim
die Gedult daſſelbe zu erforſchen/ ſo wirſt du
unfehlbarlich erkennen/ daß du ihm zu viel
thuſt/ und daß es eine geringe Urſach/ und
nicht werth iſt/ daß du in eine ſolche Bekuͤm-
mernuͤß deßwegen faͤlleſt; Deine Furcht
D 6iſt
[94[84]] iſt nicht Vernunfft-maͤßig/ ſintemahl alle
Plagen dieſes Lebens/ und wann es mit der
Zeit ſich endigen ſoll/ nicht ſo maͤchtig iſt/ ei-
nen Mann/ der ſich ruͤhmet/ daß er durch
das Licht des Verſtandes geleitet werde/
zu bekuͤmmern.
LXXIX.
Das groͤſte Elend der Menſchen iſt
nicht/ wie man meynet/ daß er den Todt zum
Feinde hat/ und er immerdar vor demſelben
in dieſem Leben ſich fuͤrchten muß/ ſondern
es beſtehet darinn/ daß eꝛ in die Welt kompt/
damit er wieder vergehe/ er iſt ſelber ſein
grauſamſter Feind/ und weil er gemeiniglich
gar zu ſehr an dem Leben haͤngt und daſſel-
be allzuſehr liebt/ ſo macht er ſich zum Scla-
ven aller Laſter/ an ſtatt/ daß/ wann er den
Todt recht foͤrchte/ er ſich nicht faͤumen wuͤr-
de/ ein frommer Mann zu werden.
LXXX.
Wer ſich von der Furcht des boͤſen be-
freyen will/ der darff ſich nur befleiſſen gutes
gu thun/ und daſſelbe ohn unterlaß. Fliehe
das Ubel/ damit du recht haſt das Gute zu
hoffen. Man wird ihm ſelber nuͤtzlich/ wann
man andere Leute verpflichtet. Du thuſt
dir mehr Leides/ als du meineſt/ wann du
nur
[95[85]] nur auff deinen Nutzen ſieheſt/ handelſtu
auff ſolche Weiſe/ ſo wird niemand in der
Noth ſich dir anbieten. Das heiſt ſchier
nichts thun/ wann man uͤbels thut: Wann
man aber andern dienet/ ſo erweiſet man
ihn nicht nur einen Gefallen/ ſondern ver-
pflichtet ſich auch ſelbſt. Mache dir ſo viel
Freunde/ als moͤglich iſt. Attalus ſagte/ es
ſey viel ſuͤſſer Freunde zu machen/ als Freun-
de zu haben/ und ich ſage/ daß es bißweilen
viel nuͤtzlicher ſey.
LXXXI.
Die Guͤtig- oder Auffrichtigkeit des Ge-
muͤhts/ welche wir unter den lieblichen
Nahmen der Unſchuld kennen/ befleiſſet ſich/
keinen Fehler zu begehen/ und hat die Ge-
rechtigkeit zu ihrem Zweck/ daß ſie keinem
Menſchen unrecht thut. Jedoch iſt dieſes
nur ein Theil der Liebe; dieſelbe nun voll-
kommen zu machen/ muß man die Barm-
hertzigkeit dazu ſetzen. In Summa/ der
Glantz dieſer Tugend/ die nicht zugibt/ daß
man jemand beleidige/ wird von der edlen
Freygebigkeit wunderbarlich erhoben.
LXXXIII.
Das Boͤſe bißweilen in Verdacht ha-
ben/ und demſelben mißtrauen/ kan vor eine
D 7Gat-
[96[86]] Gattung der Weißheit gehalten werden/
aber daſſelbe ohne Grund zu glauben/ iſt ei-
ne Leichtſinnigkeit. Es iſt eine Klugheit
ſein Vortheil einzuziehen/ und eine Billig-
keit/ daſſelbe geheim zu halten. Huͤte dich
wohl/ daß du nicht allezeit auff die Zeugnuͤß
der Sinnen urtheileſt/ ſie koͤnnen leichtlich
uͤbernommen werden/ aber du ſolt dich nicht
betriegen laſſen. Derowegen thue keinen
Spruch in der Eyl uͤber was es wolle/ die
Zeit wird dich berichten/ und dir die War-
heit zu erkennen geben/ damit du dieſelbe
nachmals andern Leuten ſagen moͤgeſt.
LXXXIV.
Die Gerechtigkeit ohne Mildigkeit/ na-
het ſich ſehr zu der Grauſamkeit/ die Mildig-
keit ohne Gerechtigkeit iſt eine ſehr gefaͤhr-
liche Unweißliche Unweißheit. Zwar man
muß der Gerechtigkeit allezeit den erſten
Platz geben; Aber die Sanfftmuͤhtigkeit/
die Guͤtigkeit/ die Mildigkeit muͤſſen dieſel-
be begleiten/ ja man muß dieſen mehr Raum
geben. Die Gerechtigkeit iſt eine ſolche
koͤſtliche und edle Tugend/ daß ſie werth iſt
gelobt zu werden/ wann ſie ſchon nicht von
der Klugheit unterſtuͤtzet iſt: Die Klugheit
aber ohne Huͤlffe der Gerechtigkeit iſt von
kei-
[97[87]] keinen Wuͤrden/ und hat keinen Schein.
Die Gerechtigkeit hat dieſen Vortheil/ daß/
ob ſie ſchon allein/ doch ſehr nuͤtzlich iſt/ aber
die Klugheit kan nur Schaden thun/ wann
ſie nicht von der Gerechtigkeit unterſtuͤtzet
iſt. Es iſt ſo kem gefaͤhrlichers Gifft als der
Schlangen; man empfaͤngt auch nimmer-
mehr ſo viel Schaden/ als von ſolchen Len-
ten/ die mit lauter Liſt umgehen.
LXXXV.
Wann man nichts anders ſucht/ als
was ergetzt/ ſo trifft man ſelten an/ was gut
und nuͤtzlich iſt. Wann der Wille die Ver-
nunfft uͤberwindet/ ſo wird er ſeltzame An-
ſchlaͤge formiren. Es iſt unmoͤglich/ gerecht
zu ſeyn/ ſo lange man von einiger Begierde
regieret wird. Betrachte nicht die Perſoh-
nen/ ſondern ſiehe nur auff derſelben Wuͤr-
digkeit; Erſorſche nur/ welcher recht habe/
und habe kein Abſehen auff deine Macht/
und hoͤre deine abſonderliche Zuneigung
nicht an.
LXXXVI.
Das heiſt ſeiner Boßheit eine Staffel
zu ſetzen/ wann man das Boͤſe nur darum
thut/ weil mans liebt/ aber das heiſt mit
groſſen Schritten zu der Boßheit eylen/
wann
[98[88]] wann man das Boͤſe liebt/ darum daß man
es gethan. Es gebuͤhret nur einem Nar-
ren boͤſe zu werden/ damit man dem Boͤſen
ſchade/ und das heiſt ſeinen Verſtand ver-
lieren/ wann man der Tugend abſaget/ weil
man diejenige haſſt/ die das Laſter lieben.
LXXXVII.
Man muß einen guten Muth und eine
gute Reſolution haben/ wann man die
Schande uͤberwinden will/ aber das heiſt/
die Großmuͤhtigkeit ſo weit fuͤhren/ als ſie
gehen kan/ wann man ſich nicht von der
Noht unterdruͤcken laͤſt/ wer das Hertz hat/
daß er ihr widerſiehet/ erlanget nicht gerin-
gere Ehre/ als derjenige/ der ſich ſelber uͤber-
windet.
LXXXVIII.
Die warhafftige Großmuͤthigkeit beſte-
het nicht darin/ daß man viel groſſe und be-
ſchwerliche Sachen unterfaͤngt/ ſondern
darinn/ daß man alles Boͤſe/ ſo einem wie-
derfaͤhret/ ſtandhafftig erduldet. Es iſt
keine allgewaltige Macht auf Erden/ wel-
che nicht bißweilen einen Widerſtand ſin-
det/ aber die Gedult bleibet allezeit beſtaͤn-
dig und unbewegt/ und man vermag nichts
wider ſie. Wann man ſagt/ man wolle
eini-
[99[89]] einigen verdrießlichen Zufall oder Unbillig-
keit nicht leiden/ ſo redet man wie die Wei-
ber/ und laͤſt ſeine Schwachheit allzuſehr
ſehen; ein Mann redet anderſt/ und ſagt
mit einer großmuͤthigen Reſolution, ich
wil das nicht thun.
LXXXIX.
Die groſſe Beſchwerlichkeiten machen
die behertzten Leute noch muthiger; Das
Ungluͤck/ ſo ihnen begegnet/ erweiſet/ was
ſie ſeynd. Sie wiſſen nicht/ was das iſt/
die Furcht anzuhoͤren/ und ſind verſichert/
daß ein großmuͤthiges Hertz uͤber alle ſeine
Feinde triumphiren kan. Man muß ge-
ſtehen/ daß die Gedult gar ſtarck iſt/ weil ſie
mit allem zum Ende komt ohne Huͤlffe eini-
ges Menſchen. Es iſt eine Veſtung/ die
ſich ſelbſt defendiret, und die des Zorns
nicht von noͤthen hat/ diejenige/ welche ſie
angreiffen/ zuruͤcke zu ſchlagen.
XC.
Die Staͤrcke und Klugheit ſind die zwey
Tugen den/ welche den Triumpff-Wagen/
darauf die Victoria ſitzt/ unterſtuͤtzen.
Man iſt doppelt ſtarck/ wañ man die Groß-
muͤthigkeit mit dem guten Raht vergeſellen
kan. Wie tapffer man auch iſt/ ſo kan man
doch
[100[90]] doch nicht lang einen gluͤcklichen Fortgang
ſeines Anſchlags haben/ wann man von der
Klugheit keinen Beyſtand erhaͤlt.
XCI.
Die Mittelmaaß erhebt ſich unfehlbar-
lich biß auf den Sitz der Tugen den/ weil ſie
ſich allezeit in der Mitten haͤlt: Die andern
Tugenden/ wann ſie die wahren Tugen-
den ſeyn wollen/ muͤſſen mit groſſer Sorge
und Muͤhe ſuchen/ was die Mittelmaͤßig-
keit von Natur hat; Ihr Nahme giebt
genugſahm zu verſtehen/ daß es eine Tu-
gend iſt/ welche allezeit in der Mittelmaaß
beſtehet/ zu deren alle andere Tugenden
ſich befleiſſen zu gelangen. Es iſt nichts
gewiſſers als dieſes/ ob es ſchon ein wenig
ſeltzam iſt: Was das geringſte in den
Sitten-Tugenden genennet wird/ iſt das
groͤſſeſte und vortreffnchſte darinn: Der
Exceſs wird billich vor einen Fehler/ und
die mittelmaͤßige vor eine ſeltne Tugend
gehalten. Die Maͤßigung macht alle
Dinge zeitig/ ohne dieſelbe wuͤrden die aller-
ſuͤſſeſten und annehmlichſten ſauer und un-
annehmlich werden: Sie unterhaͤlt die
Ehr/ ſie bietet reine Luſt und Vergnuͤgung
an. In Summa/ man ſoll ſie in acht neh-
men/
[101[91]] men/ als die Quelle und Uhrſprung alles
deſſen/ ſo gut/ ehrlich und nuͤtzlich unter den
Menſchen iſt.
XCII.
Ein maͤßiger Mann hat allezeit Gut ge-
nug. Ja/ gleich wie die Paſſionen uns ins
Verderben ſtuͤrtzen/ wegen der ſehr groſſen
Unkoſten/ die man anwenden muß/ ſie zu
befriedigen: alſo hilfft die Entfernung des
Laſters nicht wenig/ uns zu bereichern.
Man erlanget viel/ wann man keine unnoͤ-
thige Unkoſten anwendet. Derowegen
iſt die Maͤßigung nicht nur eine Tugend/
ſondern auch ein groſſer Schatz. Die
Wuͤrffel und Weiber verzehren mehr Gut/
als eine groſſe Feuersbrunſt/ und ich halte
davor/ daß aus allen Laſtern der Welt/ das
Spielen und die Uppigkeit am allerſchwe-
reſten abzugewehnen ſey.
XCIII.
Man muß nicht um anderer Urſach wil-
len Sorge vor ſeinen Leib tragen/ als dar-
um/ weil man ſeiner nicht entbehren kan:
Derowegen/ weil du nicht um ſeinet willen
lebeſt/ ſo bekuͤmmere dich ſo ſehr nicht/ den-
ſelben zu befriedigen. Regulire ſeine Be-
qvemlichkeit nach ſeiner Nothdurfft/ und
nicht
[102[92]] nicht nach dem Vergnuͤgen/ welches er ihm
zu Wege bringen will. Man wuͤrde nicht
ſo vielen Kranckheiten unterworffen ſeyn/
wann man ſeinen Leib nicht ſo zaͤrtlich hiel-
te/ wie gewoͤnlich geſchicht.
XCIV.
Der Todt iſt ein herrlichs Gemaͤhlde/
welches die Tugend ſehr wohl vor Augen
ſtellet. Wer da will lernen wohl zu leben/
darff nur die Todten um Raht fragen.
Die warhaffte Philoſophy iſt eine ernſt-
liche Betrachtung des Todes; So laſt uns
nun derſelben Lehre bedienen/ damit wir
uns vor der Abſcheuligkeit des Laſters und
der Eytelkeit aller Welt-Sachen beden-
cken: Laſt uns auch denjenigen Regeln/ die
ſie uns gibt/ folgen/ damit wir in kurtzer Zeit
groſſen Fortgang in der Tugend erlangen.
XCV.
Du wirſt niemals beſſer an dich ſelbſt ge-
dencken/ als wann du betrachteſt/ daß du
dermaleins ſterben muſt. Die Todes-Ge-
dancken haben eine wunderbare Fruchtbar-
keit in ſich/ dann ſie lehren uns/ was wir
anitzo ſeyn/ und geben uns zu verſtehen/ was
wir mit der Zeit ſeyn werden/ und unter-
weiſen uns/ was wir in unſerm Lebens-
Lauff
[103[93]] Lauff thun ſollen. In Summa/ der Todt
iſt die billichſte Regel des menſchlichen Le-
bens/ und thut ihnen mehr gutes/ als ſie ih-
nen einbilden.
XCVI.
Bilde dir nicht ein/ daß du ſchlechthin
auffhoͤreſt zu leben/ wann du ſtirbeſt/ ich ſa-
ge/ daß du alsdann auffhoͤreſt zu ſterben.
Zwar du haſt angefangen zu leben/ von dem
erſten Tage an/ da du in die Welt kommen
biſt/ aber von demſelben Tage an haſtu an-
gefangen zu ſterben: Du biſt in das Leben
und zu dem Tode eingegangen; Das Liecht/
welches dein Leben erklaͤhret/ iſt dem Liecht
gleich/ was daſſelbe unterhaͤlt/ von demjeni-
gen wird es auch verzehret.
XCVII.
Sage mir/ was iſt der Menſch geweſen/
ehe er gebohren war? Nichts: Dieſes nun
iſt die letzte und verdrießlichſte Nothwen-
digkeit. Und wer iſt derjenige/ der kurtz zu-
vor nichts war/ und der auch/ nachdem er
ſein Weſen empfangen/ ſchier nichts iſt?
Und der in kurtzer Zeit zu Aſchen und Staub
werden wird? Man muß geſiehen/ daß alle
Sachen/ wann man ſie in ſich ſelbſt betrach-
tet hoͤchlich zuverachten ſind. Nur allein
die
[104[94]] die Tugend begreifft ſolche Hoheit und
Vortreflichkeit/ daß ſie die Macht hat zu er-
hoͤhen/ alles was zu ihr nahet/ und ſie edel
macht. So laſſet uns dann dasjenige/ was
uns ſo betraͤchtlich machen kan/ hoch halten.
XCVIII.
Es iſt kein Unterſchied zwiſchen langen
Leben und langen Leiden. Die Bekuͤm-
mernuͤß/ Muͤhe/ Thraͤnen und Schmertzen
wachſen mit uns. Das Leben des Men-
ſchen iſt nichts anders/ als eine lange und
verdrießliche Kette der Gefahr/ Marter
und Ungluͤcks/ aber der Menſch hat einige
Urſach ſich zu troͤſten/ ſintemal er gleich bey
dem Anfang ſeines Lebens anfaͤngt zu dem
Ende und Todt zu nahen.
XCIX.
Die Tugend hat keinen geringern
Glantz von dem Ungluͤck/ welches den La-
ſterhafften wiederfaͤhret von der Arbeit/
welche gemeiniglich die Boͤſe außſte hen/ als
von dem rechten Vergnuͤgen/ welches die
Frommen in Ubung der ſchwereſten Tu-
gend genieſſen. Das heiſt gantz elendig
ſeyn/ eine ſolche Seele haben/ welche zu
nichts dienet/ als den Leib zu erhalten/ und
die ihre Bewegungen nicht reguliret.
Man
[105[95]] Man koͤnte wohl ſagen/ wann dem alſo iſt/
daß die Seele dem Leibe nicht anderſt die-
net/ als das Saltz den Speiſen/ welche es
von der Corruption nur eine Zeitlang er-
haͤlt.
C.
Die Tugend iſt nur ein accident, Phi-
lo ſophiſch zu reden/ aber dieſes Accident
erhaͤlt ſeine Subſtantz. Alle Dinge ſind
von Gott zum Dienſt der Menſchen erſchaf-
fen/ und hat ER den Menſchen deßwegen
gemachet/ damit ER Ehre und Dienſt von
ihm habe/ ſo wohl als von allen andern
Creaturen zugleich. Die Tugend machet
uns tuͤchtig/ Denjenigen zu ehren und ihm
zu dienen/ der uns gewuͤrdiget hat/ aus
Nichts zuſchaffen/ und ohne dieſelbe
koͤnnen wir unſerm Schoͤpffer
nicht gefallen.
Stoi-
[106[96]]
Stoiſche Grund-Regeln.
I.
NIcht dasjenige/ welches man be-
ſitzet/ giebet ein groſſes Vergnuͤ-
gen/ ſondern dasjenige/ welches
man liebet. Und was auch den Menſchen
den aller-groͤſſeſten Unmuth macht/ iſt nicht
ſo wohl was ihnen mangelt/ als dasjenige/
was ſie begehren. Wann man nichts be-
gehrt/ ſo kan man eben ſo gluͤckſeelig ſeyn/
als derjenige/ der alle ſeine Beqvemlichkei-
ten hat. Keine Begierde in dieſem Leben
haben/ iſt ein Schatz/ der keinem Koͤnig-
reich zu vergleichen iſt. Wie viel Dinge
koͤnnen auch den groͤſten Koͤnigen der Welt
mangeln? Hergegen ein Menſch/ der nichts
begehret/ befindet ſich nimmermehr in Ar-
muth.
II.
Die Freude iſt nicht unter dem Gebiethe
des Gluͤcks/ es kan uns dieſelbe nicht geben/
wann es ſchon wolte; Sie iſt ein Haußraht
des Hertzens/ nicht nur/ weil man ſie an-
ders-
[107[97]] derswo nicht kan antreffen/ ſondern auch
weil ſie in demſelben ihre Gebuhrt hat. Die
Sachen/ welche uns gefallen/ machen die
Luſt/ oder den Geſchmack nicht; auch dieje-
nigen/ die uns unruhig machen/ ſind nicht
Urſache daran/ man muß ſich allein an ſei-
nen Willen halten/ welcher die rechte
Qvelle iſt/ daraus die Freunde/ die Luſt/ der
Unmuth und die Traurigkeit entſpringet;
Daher komt es/ daß dasjenige/ welches ei-
nem beliebt/ dem andern ſehr mißfaͤllt.
Nicht die Verſchiedenheit der Dinge/ ſon-
dern des Willens/ macht/ daß unſere Her-
tzen ſo viel gegen einander geſetzte Affectio-
nen haben.
III.
Es iſt ein gemeiner Irrthum bey allen
Leuten/ daß ſie auff ſolche Wege zu der
Gluͤckſeligkeit gelangen wollen/ welche zu
derſelben nicht leiten. Was vor ein Mit-
tel iſt das/ auf ſolchen Gipfel zu gelangen/
da man nichts mehr begehren ſoll/ wann
man den Weg der Begierden nimt. Wilt
du dir viel Muͤh und Arbeit erſparen? ſo
regulire deine Begierden/ und binde dich
an nichts allzuhart; wann man nichts zu-
voraus begehret/ ſo befuͤrchtet man nicht
Eun-
[108[98]] ungluͤckſelig zu werden/ und man koͤmt zu
dem Zweck ohne Muͤhe/ die man auſ dem
Wege haben muß. Die rechte Gluͤckſe-
ligkeit eines Menſchen auf der Welt beſte-
het vielmehr darinn/ daß er nichts beſitzt/
als daß er aus der Zahl der Lebendigen iſt.
Laſt uns einmahl unſern Begierden ab-
ſagen/ dann das allein iſt in unſerer Gewalt.
IV.
Das Mittel ſich von vielen Muͤhſelig-
keiten zu erretten/ iſt/ nichts zu fuͤrchten/ und
nichts zu begehren. Dein gantzes Ubel/
wann du es bedenckeſt/ komt daher/ daß du
nicht haſt/ was du begehreſt/ oder daß dir
etwas begegnet/ welches nicht nach deiner
Zuneigung iſt. Du wirſt kein Ungluͤck zu
verſuchen haben/ ſo lange dein Hertz ſeine
Freyheit erhalten/ und ihm alle Sachen
gleich gelten werden.
V.
Der Unmuth verringert ſich in uns/ ſo
viel die Begierden in uns ausgeloͤſchet wer-
den. Man iſt niemals mehr entfernet in
Bekuͤmmernuͤß zu fallen/ als wann man
ſeinen Willen frey und ohne einiges An-
hencken befindet/ Seine Zuneigung veraͤn-
dern iſt ein ſehr leichtes und verſichertes
Mit-
[109[99]] Mittel aus dem Elend zu kommen. Richte
deine Begierden nach allerley Zufaͤllen/ ſo
wirſt du die allergroͤſſeſte Beſchwerlichkei-
ten ohne Muͤhe uͤberſteigen/ der Unmuth
wird vielmehr genommen/ als daß er ſelbſt
komt.
VI.
Es iſt eine groſſe Kunſt/ wann man be-
gehren kan; wann man nicht gar geſchick-
lich damit umgehet/ ſo kan man nicht lang
vergnuͤgt leben. Wer ſeine Begierden
kan abſchneiden/ iſt uͤber alles/ und die gantze
Welt hat nichts/ das ſeiner Werth iſt.
Es iſt leicht/ eine vollkommene Ruhe zu fin-
den/ und die ungluͤckliche Zufaͤlle/ welche
das Leben verdrießlich und unertraͤglich
machen; man muß ſich nur von allen Crea-
turen entziehen/ und ſich uͤber ſich ſelbſt er-
hoͤhen. Man hat ſolche Leute gefunden/
welche/ wann ſie blind ſind worden/ und
den Gebrauch der Haͤnde und Fuͤſſe ver-
lohren/ doch vergnuͤgt gelebt haben. So
laß dann dein Gluͤck nicht an dem Leib/ noch
allen den jenigen hangen/ was den Sinnen
ſchmeicheln kan. Ein lahmer Menſch den-
cket nur nicht daran ſich zu beklagen/ wann
ſein Hertz vergnuͤget iſt. Wer mit ihm
E 2ſelbſt
[110[100]] ſelbſt kan vergnuͤgt ſeyn/ der bekuͤmmert ſich
nicht um alles uͤbrige. Du kanſt ſehr reich
ſeyn/ wann du dich deines Willens wohl
und gut gebraucheſt.
VII.
Es iſt eine groſſe Unverſchamheit/ ohne
Erwehlung und Unterſcheid zu lieben/ man
muß wohl zuſehen/ wohin man ſeine Affe-
ction werffe. Wann man verwirret/ und
ins Grab begehret/ ſo kan es nicht fehlen/
daß man betrogen wird/ und der boͤſe Fort-
gang/ den unſere Begierden gehabt haben/
verurſacht uns eine Traurigkeit und Be-
kummernuͤß/ davon man ſchwerlich wieder
zurechte kommen kan. Wann du begeh-
reſt/ was in der Gewalt eines andern iſt/ ſo
ſetzeſt du dich in Gefahr/ nichts davon zu
ziehen/ als Unluſt/ dahergegen/ wann du
nur dasjenige begehreſt/ ſo in deiner Ge-
walt ſtehet/ als dann ſetzeſt du dein Vergnuͤ-
gen nicht in Gefahr. Mache es alſo/ daß
dein Wille ſich nur an diejenige Sachen
binde/ die unter ſeinem Gebieth ſind. Was
iſt nun das mehr von demſelben dependirt,
als die Begierde ein rechtſchaffener Mann
zu ſeyn/ und ſich nur zu loͤblichen und ehrli-
chen Actionen gebrauchen zu laſſen?
VIII.
[111[101]]
VIII.
Der Geſchmack beſtehet in Erfuͤllung
der Begierde/ derowegen muſt du deinen
Willen alſo reguliren, daß er nichts wuͤn-
ſche/ als ſolche Sachen/ damit er kan zu
recht kommen/ und ſich nicht mit ſolchen
Sachen bemuͤhe/ ſo unmoͤglich ſind zu er-
langen. Du wirſt der allergluͤckſeligſte
ſeyn unter allen Menſchen/ wann du deine
inclinationen, deine Lieb und Begierde
nach deinem Vermoͤgen miſſeſt; Wann
du dich von dieſer Regul entferneſt/ ſo wirſt
du elendig ſeyn/ ſo offt du etwas begehren
wirſt.
IX.
Wann du dein Gemuͤth vergnůgen
kanſt/ in dem du wenig iſſeſt/ ſo wird man
dich vor einen Narren halten/ wann du
wilt viel eſſen/ den Hunger zu mehren/ und
deinen Appetit zu reitzen. Alſo gehet es
dir/ wann du vergnuͤgt ſeyn kanſt/ indem
du wenig begehreſt/ und deinen Willen un-
bedaͤchtlich den Zaum laͤſſeſt/ welcher nicht
zu frieden iſt/ weil er ſich mit einem wunder-
bahren Exceſs uͤbernehmen laͤſt/ alle das-
jenige zu begehren/ was ſeiner Ruhe zu wi-
der iſt. Die Begierde iſt eine ſehr weite
E 3Ku-
[112[102]] Kugel. Unſer Hertz findet vielmehr ſeine
Ruhe und Ergoͤtzlichkeit/ wann es nichts
begehret/ als wann es nach groſſen Sachen
trachtet.
X.
Derjenige/ welcher ſo weit kommen/ daß
er nichts fuͤrchtet und nichts hoffet/ hat et-
was groſſes erlanget/ der Friede und die
Ruhe/ derer er genieſſet/ iſt ein Geſchenck/
welches ihme die Fortun/ wie reich ſie auch
iſt/ nicht geben kan: Ein Mann kan auf
dieſer Welt ſein eigener Gutthaͤter werden.
Er kan ihm mehr Vergnuͤgung ſchaffen/
indem er nichts begehret/ als er von Erobe-
rung der gantzen Welt haben wuͤrde. Man
weiß genug/ daß es großmuͤthige Perſoh-
nen gegeben hat/ welche die Welt mit Ver-
achtung angeſehen haben. Aber alle Leute
auf der Welt wuͤndſchen mit Verlangen/
daß ſie eben ſo gluͤckſelig ſeyn moͤchten/ als
derjenige/ der nichts mehr in dieſer Welt
begehret. Dieſes iſt das rechte Vergnuͤ-
gen und die wahre Gluͤckſeligkeit unſers
Hertzens.
XI.
Wann du Hertz genug haſt dich zu re-
ſolviren zu leiden/ ſo verſichere ich dich/ daß
du
[113[103]] du dich von vielen Sorgen/ und von einer
ſchweren Laſt entledigen wirſt/ ſintemahl
du dich der Ungedult entſchlagen wirſt/
welche man nicht beſſer kan beſchreiben/
als wann man ſagt/ ſie ſey wie ein Faden/
der das Boͤſe aneinander henckt/ oder wie
ein Spieß/ der dem Ungluͤck und Leiden in
unſere Seelen den Gang eroͤffnet. Die Un-
gedult verringert das Ubel nicht/ ſondern
vermehret daſſelbe.
XII.
Setze nicht ein zweytes Ubel zu demjeni-
gen/ ſo du leideſt/ indem du dich von der
Ungeduit einnehmen laſſeſt. Wer ſein
Leyd nicht mit Gedult traͤgt/ der iſt uͤber
dem Fehler/ den er begehet/ auch noch ver-
pflichtet/ eine zweyte Pein/ welche viel groͤſ-
ſer iſt/ als die erſte/ auszuſtehen.
XIII.
Man entgehet der Unſinnigkeit und
Verzweiflung/ wann man das Ungluͤck mit
Gedult leidet; aber man genieſt einer ſehr
reichen Freude/ wann man ſich befleiſt gu-
tes zu thun: Es iſt keine Vergnuͤgung
derjenigen gleich/ ſo aus einer guten That
komt.
E 4XIV.
[114[104]]
XIV.
Halte dein Hertz frey von allen Begier-
den entladen/ ſo wirſt du groͤſſer ſeyn als
Alexander; Du wirſt keines Menſchen
Sclav ſeyn/ da doch dieſer Monarch ein
Sclav ſeiner Paſſionen geweſen iſt. Ich
wolte lieber zum geringſten Sclaven wer-
den/ als daß ich mich von einer Pasſion wol-
te regieren laſſen.
XV.
Ich ſetze die Freyheit des Hertzens der
Herrſchafft der gantzen Welt vor. Man
iſt noch nicht recht frey/ ſo lange man mit
ſeinen Paſſionen zu kaͤmpffen hat/ und man
wider ſeine eigene Zuneigungen ſtreitet.
Das heiſt ein Sclav etlicher Tyrannen
auf einmahl ſeyn/ wann man ſeinen Paſſio-
nen gehorchet.
XVI.
Eine Begierde uͤberwinden iſt nicht ein
geringer Sieg. Es iſt ein groͤſſerer Ruhm
uͤber ſein eigen Hertz zu triumphiren/ als ei-
ne Veſtung mit Gewalt einnehmen/ iedoch
wofern man dieſen edlen Sieg allein der
Tugend und nicht der Begegnung und
Ungeſtuͤmmigkeit einer andern Paſſion zu
dancken hat: Dann es gibt etliche Laſter/
deren
[115[105]] deren eines das andere uͤbern hauffen
wirfft/ alſo daß ſich eines Laſters bedienen/
das andere zu vertreiben/ nicht ſo wohl eine
Victorie/ als eine ſchaͤndliche Niederla-
ge iſt.
XVII.
Wann zwey Laſter in unſerm Gemuͤht
grauſamlich wieder einander ſtoſſen/ und
das eine den Sieg erhaͤlt/ ſo treibt es daſſel-
be deß wegen doch nicht hinauß/ ſondern es
ſetzt daſſelbe auffs meiſte nur ins Gefaͤng-
nuͤß/ alſo daß mit der erſten Gelegenheit es
entgehet/ und aͤrger wird/ als zuvor.
XVIII.
Die Aeſte eines Baums beſchneiden/ und
den Stamm gantz gruͤn laſſen/ das heiſt/
ſich vergeblich bemuͤhen. Die Tugend iſt
ſehr uͤbel in einem ſolchen Hertzen befeſttget/
da die Wurtzel des Laſters noch gantz ge-
blieben iſt. Eine Paſſion wird durch eine
andere nicht zerſtoͤret/ ein Laſter leſcht das
andere nicht aus.
XIX.
Es gibt etliche verderbete Leute/ welche
gewiſſe Laſter fliehen/ nicht aus Liebe oder
Ergoͤtzlichkeit/ die ſie in der Tugend befin-
den/ ſondern von wegen der Zuneigung/ ſo
E 5ſie
[116[106]] ſie zu andern Laſtern tragen. Es iſt ein
groſſes Ubel/ wann man das Boͤſe haſſet/
und doch das Gute nicht liebet.
XX.
Nichts iſt ſeltzamer und doch zugleich
wahrer/ als daß diejenigen Laſter/ welche
der Tugend am gleichſten ſehen/ diejenigen
ſind/ die man am meiſten fliehen muß/ dann
ſie ſeynd tauſendmahl gefaͤhrlicher/ als die
andern. Ein Feind/ welcher ſich unter dem
Schein einer auffrichtigen und warhaffti-
gen Freundſchafft verbirget/ iſt vielmehr zu
fuͤrchten/ als ein offenbahrer Feind. Wir
werden den angemaßten Tugenden unſehl-
barlich in die Haͤnde fallen/ wann wir un-
ſer Hertz nicht von allen Gattungen der Be-
gierden und Paſſionen reinigen.
XXI.
Die vornehmſte Geſchicklichkeit des Le-
bens beſtehet darinn/ daß man das Gute
erkennet und lieben kan. Die Sorgen/
Bekuͤmmernuͤſſen und Muͤhſeligkeiten ge-
hen durch dieſe zwey Spaͤlte in die Seele/
und unſer gantzes Ungluͤck komt entweder
daher/ daß wir uͤbel von den Sachen urthei-
len/ oder daher/ daß wir unſere Liebe nicht
wol reguliren. Die Paſſion macht/ daß
wir
[117[107]] wir dasjenige/ was boͤß iſt/ begehren/ und
die Unwiſſenheit verhindert uns/ das Gute
von dem Boͤſen zu unterſcheiden.
XXII.
Laſt uns allezeit von der Warheit und
niemals von der Opinion leiten. Die
Furcht und der Betrug machen/ daß das
Ubel gemeiniglich viel groͤſſer ſcheinet/ als es
iſt/ und ohne dieſelbe wuͤrde man nichts ver-
drießliches in der Welt finden.
XXIII.
Wir erfreuen uns offt uͤber etwas/ das
uns die Thraͤnen aus den Augen ziehen ſolte/
und wir weinen offtmals/ da wir lachen ſol-
ten. In Summa/ man ſiehet uns offt trau-
rig/ oft froͤlich/ ob wir ſchon keine Urſach uns
zu betruͤben/ und keine uns zu erfreuen ha-
ben: Wir ſolten vielmehr uͤber unſere
Schwachheit ſchamroth werden/ wann wir
betrachten/ daß ſo geringe Sachen eine
ſolche Macht in unſerer Seele haben.
XXIV.
Das ſcheinbahre Ubel plagt uns faſt
mehr/ als das wuͤrckliche und thaͤtliche/ und
kan man ſagen/ daß dasjenige/ was die
Traurigkeit/ den Unmuth und Verdruß
verurſacht/ iſt nicht ſo wohl das Ubel/ ſo uns
E 6be-
[118[108]] begegnet/ als das jenige/ ſo man ihm einbil-
det/ daß uns wiederfahren werde. Die
Meynung betrieget und vergifftet uns.
XXV.
Der Reichthum wird bey uns vor ein
Gut gehalten/ und darinn urtheilen wir
nicht weißlich; Dieſer Nahm kompt eigent-
lich nur mit dem guten Gebrauch des Gu-
ten uͤberein/ wan man ſich weißlich in demje-
nigen verhaͤlt/ welches Gelegenheit zu einem
groͤſſern Ubel giebet.
XXVI.
Wann etwas gutes an dem Reichthum
iſt/ ſo iſt es gar gering/ dann ſie geben eine
groſſe Zuneigung zum Boͤſen/ werffen die-
jenige/ welche ſie beſitzen/ in tauſenderley
Gefahr/ und verdammen ſie zu vielen Sor-
gen/ Muͤhe und Arbeit: ſie unterhalten die
Begierde/ und dienen vor eine Materie zu
allen Laſtern: ſie beunruhigen diejenige/ wel-
che ſie begehren/ auch die/ ſo ſie beſitzen/ foͤrch-
ten allezeit/ ſie moͤchten ihnen entgehen Und
diejenigen/ welche dieſelbe verlohren haben/
koͤnnen ſich ſchier von ihrer Bekuͤmmerniß
nicht wieder erholen.
XXVII.
Die Armuth iſt unter allen Guͤtern das
groͤſ-
[119[109]] groͤſſeſte/ dann ſie thut niemand leyd/ als
demjenigen/ der ſie fliehet/ und einen Haß
gegen ſie traͤgt: Hergegen verwundet der
Reichthum diejenige/ welche ihn allzuſehr
lieben/ auffs hefftigſte. Wann jemand ſagt/
die Armuth ſey gar unbeqvem/ ſo muß man
ihm antworten/ daß die Unbeqvemlichkeit
nicht an die Armuth/ ſondern an die arme
Perſon gebunden iſt.
XXVIII.
Es iſt ein grober Irrthum/ wann man
ihm einbildet/ ein Menſch ſey gar gluͤckſelig/
wann er groſſe Schaͤtze beſitzt/ und man
mehr auff ihn ſiehet/ als auff die Armen; Ich
aber ſage/ daß er viel elender ſey/ als die jeni-
ge/ die nichts beſitzen/ dann jemehr Reich-
thum er beſitzt/ jemehr er von noͤhten hat.
Was mangelt einem Armen? ſchier nichts;
er iſt zu frieden/ wann er ſo viel hat/ als er
zur Speiſe und Kleidung bedarff; Herge-
gen muß ein reicher Mann tauſenderley ha-
ben/ feinen Pracht und Eytelkeit zu unter-
halten.
XXIX.
Die reichen Leute gerahten in eine groſſe
Noht/ ſintemahl ihnen alles/ mangelt/ was
ſie begehren. Die Armen haben nur der
E 7Er-
[120[110]] Ergetzlichkeit von noͤhten. Ein reicher
Mann beflndet ſich in eben ſo viel noͤhten/
als er Paßionen und Laſter unterhaͤlt. Ein
Armer gedencket an nichts als ſein Leben zu
unterhalten. Ich nenne einen Mann arm/
ob er ſchon ſonſten reich iſt/ wann er alles
deſſen/ ſo er beſitzt/ von noͤhten hat. Ich
nenne einen Mann reich/ ſo elendig er auch
nur zu ſeyn ſcheinet/ wann er aller Sachen/
die auſſerhalb ihm ſeynd/ nicht von noͤhten
hat. Es gibt viel Leute/ die mit allen ihren
Schaͤtzen arm ſind/ in deme ſie ſich nicht mit
wenigem vergnuͤgen koͤnnen.
XXX.
Diejenigen/ welche den Reichthum nur
Wolluſts halben begehren/ ſind nichts
werth; Diejenige/ ſo verhoffen Ehre darin
zu finden/ betriegen ſich leichtlich/ und dieje-
nige/ welche ihn um keiner andern Urſache
willen ſuchen/ als ihre Pasſionen zu vergnuͤ-
gen/ machen ſich einer groſſen Schuld theil-
hafftig/ aber diejenige/ die ihnen in ſolcher
Erſuchung keinen andern Zweck vorſetzen/
als ſich von der Noht zu entledigen/ ſolten
gedencken/ daß der richtigſte Weg/ darzu zu
gelangen/ ſey/ ſich mit wenigem zu vergnuͤ-
gen. Ich ſage noch mehr/ man darff nur
nichts
[121[111]] nichts begehren/ wann man ſich von der
Nothwendigkeit entladen will.
XXXI.
Ich will nicht laͤugnen/ daß die Geſund-
heit ein groſſes Gut ſey; aber ich wolte auch/
daß jederman bekennete/ daß die Kranckheit
kein gar groſſes Ubel ſey/ ſie lehrt die Leute/
ſich zu kennen: dahergegen die Geſundheit
ſie betrieget/ indem ſie ihnen einbildet/ ſie
werden nimmermehr ſterben. Iſt das ein
Ubel/ wann man durch die Erfahrung weiß/
daß man ein Menſch iſt? Wie viel meineſtu/
daß es Leute gibt/ die ſich anitzo wol auff be-
finden/ welche dem Todt viel naͤher ſind/ als
diejenige/ ſo die Medici verlaſſen haben?
Sehen wir nicht alle Tage ſolche Leute/ die
gar ſchwach/ zaͤrt und kraͤncklich ſind/ und
doch laͤnger leben als andere/ die da ſcheinen/
als waͤren ſie die allergeſundeſten.
XXXII.
Das Leben iſt ein gutes Ding/ wann
man es nuͤtzlich anwendet: Der Todt ſoll
niemals ein groſſes Ubel genennet werden/
als wann man nicht wol gelebt hat. Der
Todt iſt kein Mangel/ ſondern ein gar na-
tuͤrliches Ding. Es iſt vielen ein groſſes
Ubel geweſen/ daß ſie lange gelebt. Man
ſtir-
[122[112]] ſtirbet nimmer zu fruͤhe/ wann man ehrlich
gelebt hat.
XXXIII.
Ein Menſch verlieret das Leben nicht/ ob
ſchon der Todt eher ankompt/ als er meinet;
dann derjenige/ welcher ſagt/ er verliehre
dasjenige/ was er ſchuldig iſt/ laͤugnet die
Schuld/ indem er ſie bezahlet. Wir gehen
ein in die Welt durch die Pforte des Lebens
mit dieſem Beding/ daß wir durch die Pfor-
te des Todes ſollen aus demſelben herauß
gehen.
XXXIV.
Wir ſollen nicht ſo ſehr den Todt fuͤrch-
ten/ weil wir alle Tage ſterben. Wann ein
Menſch ſtirbt/ ſo hoͤret er nur auff zu leben:
Wann jemand in die Welt kompt/ ſo faͤngt
er an zu ſterben. Wann wir ſagen/ wir
werden einmal ſterben/ iſt nicht gewiſſer/ als
wann wir ſagen/ wir ſterben alle Augen-
blick des Lebens. Wuͤrde ein Mann vor
vernuͤnfftig gehalten werden/ welcher ſich
weigerte/ nur einmahl zu thun/ was er ohne
unterlaß thut? So fuͤrchte dann nicht zu
ſterben. Wann dich der Todt uͤbereylet in
der Bluͤte deines Alters/ ſo wird er eine
Million Laſter mit dir begraben; Wann
er
[123[113]] er aber erſt in dem Alter koͤmpt/ ſo wird er
dich alsdann von viel und mancherley
Schwachheiten erloͤſen.
XXXV.
Das Gute/ ſo in der Ehre ſeyn kan/ iſt
groß oder mittelmaͤsſig/ nach dem man ihm
daſſelbe einbildet. Achte die Meynung
nicht/ ſondern halte die Warheit uͤber alle
Dinge. Bekuͤmmere dich nicht daruͤber/
daß man nicht wohl von dir redet/ ſonder-
lich wann es Leute ſind/ die uͤbel reden/ und
die ohne Unterſcheyd allen Leuten uͤbel nach-
reden. Wann ſie die Warheit ſagen/ ſo
finde ich/ daß du keine Urſache haſt zu mur-
ren/ noch dich zu beklagen. Wann ſie lie-
gen/ ſo leyden ſie vielmehr davon als du:
Derowegen folge ihnen nicht nach/ und
wann du bisweilen gezwungen biſt von ih-
nen zu reden/ ſo rede allezeit hoͤflich und ehr-
bar von denſelben. Wann ſie uͤbel von dir
reden/ ſo kanſtu wohl ihre Rede verachten/
und derſelben nicht nachdencken/ aber was
vor Sorge du traͤgeſt ſie zu befriedigen und
zu beſaͤnfftigen/ ſo wirſtu doch nimmermehr
zu recht darmit kommen.
XXXVI.
Eine Perſon/ die warhafftig werth iſt/
ge-
[124[114]] gelobt zu werden/ ſoll ſich nicht ſehr bekuͤm-
mern/ wann man ihm ſolches Recht nicht
wiederfahren laͤſt; Aber man muß wohl
Achtung geben/ daß man kein Lob begehret/
deſſen man nicht werth iſt. Wann man
ſchon einen Mann lobt/ ſo iſt er doch nicht
deſto tugendhaffter/ aber wann man die
Gutheiſſung frommer Leute verdienet/ ſo iſt
ers in der That. Eine Perſohn/ die weder
Tugend noch Vollkommenheit an ſich hat/
heiſt dieſelbe ſchmaͤhen. Der Verdienſt al-
lein ohn Lob iſt eine rare Tugend/ und eine
ſonderbahre Guͤtigkeit. Der Neid henckt
ſich nur an edle und groſſe Qvalitaͤten.
XXXVII.
Deine Muͤhſeligkeit wird dir nicht ſo ver-
drießlich vorkommen/ wann du ſie mit der
Muͤhſeligkeit anderer Leute vergleicheſt.
Begehreſt du nicht ſo viel zu leyden/ ſo leide
das Ungluͤck/ ſo dir begegnet/ mit Gedult;
Wann deine Schwachheit ſich auff deine
Seite begibt/ ſo befeſtige deine Seite mit
der Vernunfft. Wann das Ungluͤck von
deiner Schuld herkompt/ ſo nim es an als
ein Ding/ ſo dir gebuͤhret; wann du nichts
darzu gethan haſt/ ſo thue dir ſelbſt ein Ge-
nuͤgen wegen deiner Unſchuld in deinen Ge-
dan-
[125[115]] dancken/ und murre nicht/ aus Furcht/ du
moͤgeſt einen Fehler begehen.
XXXVIII.
Ein Menſch/ der verlohren hat/ was er
hoch gehalten/ und der ſich ſelbſt nicht ver-
lohren hat/ darff ſich nicht ſehr bekuͤmmern.
Wir nennen gemeiniglich ein Ungluͤck/ was
unſeꝛm Ubel ein herꝛliches Mittel iſt/ und wir
ſehen offtmals dasjenige/ was uns groſſen
Nutzen bringet/ als einen groſſen Schaden
an. Man kan von einen Mann/ welcher
ſich uͤber den Verluſt ſeiner Guͤter bekuͤm-
mert/ ſagen/ daß er ſich ſelber verlohren hat.
Das heiſt ein Raͤuber ſeyn/ wann man ei-
nes andern Gut raubt. Schaͤtze mit Un-
ruhe erhalten/ macht einen Geitzigen: Geld
fodern/ heiſt arm ſeyn: Sich bekuͤmmern/
daß man keines hat/ heiſt elendig ſeyn. Ich
weiß nur allzuwohl/ daß ſich ein Menſch vor
ungluͤckſelig haͤlt/ wann er ſiehet/ daß er aller
ſeiner Guͤter durch einiges Accident be-
raubt wird; aber ich weiß auch/ daß er ſich
betriegt/ und keine Urſach hat zu klagen/
dann dasjenige/ was er als eine beſchwer-
liche Verdrießlichkeit betrachtet/ iſt gewoͤn-
lich die Qvelle ſeines Gluͤcks.
XXXIX.
[126[116]]
XXXIX.
Das heiſt ſehr wenig Verſtand haben/
wann man ſich erzuͤꝛnet/ ſo ihm etwas wider
ſeine Hoffnung begegnet iſt. Man ſolte
dasjenige nicht er warten/ was uns nie-
mand verſprochen hat. Nichts iſt beſtaͤn-
dig in der Welt. Die allergewoͤnlichſte
Arth/ das allergemeineſte und allgemeine-
ſie Geſetz unter den Menſchen iſt/ daß man
ſchier alle augenblick etwas ſehen muß/ das
uns beleydiget. Auff was vor eine Seite
man ſich draͤhet/ ſo trifft man nichts an als
Ungluͤck/ welches man auch wider willen
verſuchen muß. Hat man einem unter uns
ein immerwaͤhrendes Gluͤck ohne Vermi-
ſchung mit dem Ungluͤck verſprochen? Be-
trachte in dem Ungluͤck/ ſo dir wiederfahren
iſt/ niemals den Schaden/ ſo er dir verurſa-
chet hat/ ſondern bedencke die Gefahr/ deren
du entgangen biſt/ denn derjenige/ der alles
verlohren hat/ was er beſeſſen/ hat nichts de-
ſto weniger Urſach ſich zu troͤſten/ ja auch ſich
zu erfreuen/ daß er ſich nicht ſampt ſeinem
Reich thum verlohren.
XL.
Ihr ſolt die Dinge nicht darum gut ach-
ten/ weil du ſie ſo hefftig begehret haſt. Die
Straf-
[127[117]] Straffe iſt offt die Frucht und der Zweck der
Begierden/ und das heiſt gluͤckſelich ſeyn/
wann man nicht alles erhaͤlt/ was man
wuͤnſchet. Entſchlage dich deines Willens/
er betrieget den Verſtand/ und fehlet am
oͤffterſten in der Erwaͤhlung der Dinge.
Nicht die inclination/ ſondern die Ver-
nunfft ſoll uns in allen Begebenheiten zur
Richtſchnur dienen.
XLI.
Wir ſollen nicht alle Sachen dieſer
Welt hoch achten/ weil diejenigen/ welche
eine Billichkeit und Verſtand in ſich haben/
urtheilen/ es ſey ein groͤſſer Ruhm ſie mit
groſſem Gemuͤth zu verachten/ als ſie durch
ſeine eigene Kunſt erlangen.
XLII.
Das Leben mit dem Laſter iſt ein Todt;
ohne die Luſt/ die bey der Suͤnde iſt/ iſt es eine
ſehr verdrießliche Nacht: wegen der Freude
iſt es auffs hoͤchſte eine Stunde: wegen der
Sorge und Muͤhe iſt es ein gantzes Secu-
lum: wegen der Hoffnung iſt es ein Schlaff
oder vielmehr ein Traum. In Summa/
von dem Leben zu reden/ wie es ſich gebuͤh-
ret/ ſo ſoll man daſſelbe niemahls ein Leben
nennen/ wann es nicht von der Tugend ge-
leh-
[128[118]] lehret wird. Das Leben duͤnckt die gluͤckſeli-
gen Leute ſehr kurtz/ und die Elenden ſehr
lang zu ſeyn. Die gute Zeit iſt diejenige/
welche unempfindlich dahin fleuſt/ und die
am aller geſchwindeſten darvon laufft.
XLIII.
Wer wol leiden und außſtehen kan/ der
kan viel Arbeit uͤberwinden. Leiden und uͤ-
berwinden gehoͤren in eben eine Wiſſen-
ſchafft. Die Gedult lehret alles beydes ſehr
wohl/ die Fortun muß derſelben auch mit ih-
rer gantzen Macht weichen.
XLIV.
Gleich wie alle andere Sinnen das Ge-
fuͤhl vorauß ſetzen/ alſo auch alle andere Tu-
genden die Gedult/ und kan man ſagen/ es
ſey eine fruchtbahre Qvelle/ darauß alle gu-
te Actionen entſtehen.
XLV.
Ein Menſch/ welcher wuͤnſcht/ daß er in
derjenigen Arbeit/ zu deren er wider ſeinen
Willen genoͤthiget wird/ keine groſſe Muͤhe
finden moͤchte/ hat nur vor ſich ſelbſt Arbeit
zu ſuchen/ dann man leidet lieber und leich-
ter ein ſolches Ubel/ deſſen man ſchon ge-
wohnet iſt; die Erfahrung hilfft nicht nur/
ei-
[129[119]] einen Menſchen klug zu machen/ ſondern ſie
dient ihm auch/ viel Gedult zu erlangen.
XLVI.
Begnuͤge dich mit wenigem/ ſo wirſtu in
dem Elend anderer Leute einen reichen
Schatz ſamblen. Die Armuth iſt keine
Tugend/ ſondern die Liebe der Armuth iſt
wuͤrdig einen ſolchen Nahmen zu fuͤhren.
XLVII.
Man findet einen ſehr grauſamen Feind
inder Armuth/ wann man keine Affection
gegen denſelben traͤgt: Denn ohne die Un-
gelegenheit/ die ſie nach ſich ziehet/ oͤffnet ſie
auch vielen andern Ubeln die Thuͤr. Die
Nothwendigkeit und die Schande ſind
zwey unerſchoͤpffliche Quellen alles Ubels
und Ungluͤcks.
XLVIII.
Ob ſchon der Reichthum in ſich ſelber
betrachtet nicht boͤß iſt; ſo iſt es doch alle-
zeit ſehr gefaͤhrlich und alſo billich zu verach-
ten. Das Feuer iſt gut zu hunderterley
Sachen/ doch darff man nicht ſagen/ daß
es unter einen groſſen Hauffen Pulver gut
ſey. Eben alſo gehet es mit dem Reich-
thum/ derſelbe wird boͤſe/ ſo bald man ſich
daran bindet.
XLIX.
[130[120]]
XLIX.
Das Gold verurſachet groſſe Unord-
nung/ wann es nicht in gute Haͤnde faͤllt.
Wilt du wiſſen/ wann es gut iſt? alsdann
wann man ſich von ihm entfernet. Wann
derjenige/ der deſſen Herr iſt/ Luſt hat/ et-
was Nutzen davon zu ziehen/ ſo darff er es
nur bald von ſich thun. Ich will auch noch
dieſes darzu ſetzen/ daß diejenige Perſon/
welche daſſelbe abſchlaͤgt/ nicht weniger
Lob verdienet/ als derjenige/ der es geben
will.
L.
Man hat nicht allzuuͤbel von dem Reich-
thum geredt/ wann man ihn ein außſpeyen
des Gluͤcks genennet: Dann es iſt gewiß/
daß dasjenige/ ſo uns mit Gewalt aus dem
Eingeweide gehet/ ſchon verdorben iſt/ da-
her komt es/ daß diejenigen/ welche nicht ſo
zaͤrtlich ſind/ daſſelbe nicht ohne Schrecken
anſehen koͤnnen.
LI.
Betrachte alle Guͤter dieſer Welt/ als
ſrembde Sachen/ es kan ſich keiner ruͤhmen/
daß die Fortun von ihm dependiret. Wir
ſollen die Tugend nimmermehr unter unſe-
re Guͤter ſetzen/ als wann wir dieſelbe er-
lan-
[131[121]] langet haben. Sage nimmermehr/ ich habe
ein ſolches Ding verlohren/ dann du haſt
nichts/ das nicht entlehnet iſt. Wann ie-
mand von deinen Kindern zu ſterben komt/
ſo ſiehe wohl zu/ daß du nicht weineſt/ als
wann du es verlohren haͤtteſt/ ſondern be-
gnuͤge dich zu ſagen/ ich habe es demjenigen
wieder geben/ dem es gehoͤret. Erfreut
dich an ſtatt des traurens/ wann man dich
alle deines Gutes beraubet hat/ dann als-
dann wirſt du nichts mehr ſchuldig ſeyn.
LII.
Es iſt wenig daran gelegen/ ob man wiſſe
auff was Weiſe der Glaͤubiger das Geld/
ſo ihm gebuͤhrt/ bekommen/ wofern er ſeinen
Schuldner nichts mehr abfordert. Es ge-
buͤhret dir nicht/ diejenige Perſohn anzu-
ſehen/ deren GOtt hat wiedernehmen wol-
len/ was du ihr ſchuldig wareſt: Halte dich
nicht auff zu erforſchen/ ob die Perſohn gu-
te oder boͤſe Qvalitaͤten an ſich hat/ oder ob
ſie dich leiden mag: Iſt es nicht genug/ daß
du verſichert biſt/ daß dir dein Schuldherr
nichts mehr abfordert?
LIII.
Das heiſt ein vollgewaltiger Herr ſeyn/
wann man nach oder wider ſeine inclina-
Ftion
[132[122]]tion handelt: Nichts deſtoweniger kanſt
du dieſe Gewalt nicht uͤben/ als in denen
Actionen, die von der Tugend herkommen/
denn ſie erſtrecket ſich nicht auf diejenige
Guͤter/ welche man von der Fortun em-
pfangt: ſich mit Gewalt daruͤber zum
Herrn machen wollen/ heiſt/ bald ihr Scla-
ve zu werden.
LIV.
Das waͤre ein groſſer Streich der Weiß-
heit und zugleich ein aͤuſſerſtes Gluͤck/ wann
du dich in einen ſolchen Stand begeben
koͤnteſt/ da dir nichts widerwaͤrtiges wie-
derfuͤhre/ und dieſes ſtehet in deiner Macht/
wann du nur die allerverdrießlichſte Zufaͤlle
zu deinen Nutzen richteſt/ und gutes aus
dem boͤſen zieheſt. Sey gaͤntzlich verſichert/
daß/ ausgenommen die Suͤnde/ kein Ubel
iſt/ daß unter ſeiner Rinde nicht etwas gu-
tes hat.
LV.
Ich weiß gewiß/ daß du keinen Reich-
thum begehren wuͤrdeſt/ wann du darbey
zum Sclaven werden ſolteſt/ ſintemahl un-
ter allen Guͤtern/ deren man in der Welt
genieſſen kan/ keines der Freyheit gleich iſt.
Ich bitte dich/ ſage mir/ welche von dieſen
zwey
[133[123]] zwey Freyheiten wolteſt du am liebſten ver-
liehren/ des Leibes und der Seelen? Du
wirſt mir alſobald antworten/ daß die
Dienſtbarkeit des Hertzens tauſendmahl
aͤrger iſt/ als die Dienſtbarkeit des Leibes:
Ich geſtehe es/ aber ich muß dich auch leh-
ren/ daß die Freyheit des Hertzens nicht kan
erhalten werden/ als durch eine großmuͤ-
thige Verachtung des Reichthums.
LVI.
Erinnere dich/ daß du ein Menſch biſt/
und ſetze alles was dir begegnet/ in die Zahl
der Menſchlichen Dinge/ es mag ſeyn/ was
es wil. Ruͤſte dich/ eine Million Wider-
waͤrtigkeiten auszuſtehen/ und erſchrecke
nicht mehr daruͤber/ wann ſie dich uͤberfal-
len/ als wann du ſie an deines gleichen
ſieheſt. Biſt du gefaͤhrlich an der Hand
oder am Arm verwundet? Es ſind andere
auch alſo tractiret worden/ und dieſer Zu-
fall iſt auffs hoͤchſte nichts mehr als ein Un-
gluͤck.
LVII.
Gib Achtung/ daß du nicht alles begeh-
reſt/ was dich gut zu ſeyn duͤncket: Man
muß ſo wohl auf das Mittel/ als auff das
Ende ſehen. Es gibt ſehr anmuthige und
F 2ange-
[134[124]] angenehme Oerter in der Welt/ dahin nie-
mand darff gehen/ dieweil der Weg/ der
dahin fuͤhret/ gar rauch und hart iſt. Ge-
ſetzt/ daß dasjenige ſo du begehreſt vollkom̃-
lich gut iſt/ ſo wolte ich doch rathen/ du ſol-
teſt nicht mehr daran gedencken/ wann du
eine Leichtfertigkeit begehen muͤſſeſt/ oder
es viel Arbeit koſtete/ daſſelbe zu erlangen.
LVIII.
Wohl von der Bekuͤmmerniß zu urthei-
len/ ſo muß man dieſelbe anſehen/ als den
Anfang eines ſehr groſſen Guts/ und nicht
als ein Ubel. Erſchrecke nicht vor dem
Schein/ es iſt auch kein Rieſe/ der nicht klei-
ner iſt als eine Muͤcke/ wann er anfaͤngt in
dem Leibe ſeiner Mutter formiret zu wer-
den.
LIX.
Begib dich niemahls in die Meynung
des gemeinen Mannes/ und ermeſſe die
Sachen nicht nach der gemeinen Mey-
nung; Es iſt ein Irrthum/ geſchwinde zu
ſchlieſſen/ daß ein Menſch ſehr gluͤckſelig ſey
und ſich wohl auff befindet/ weil man ſie het/
daß er gar froͤlich iſt; Auch muß man ihm
nicht einbilden/ daß er kranck/ oder daß ihm
etwas widriges begegnet ſey/ wann man
ihn
[135[125]] ihn melancholiſch uñ traurig ſiehet. Nichts
iſt in dem Gebrauch der Dinge gemeiner/
als die Verdeckung. Siehet man nicht
alle Tage viel traurige und betruͤbete Leute
unter dem Reichthum und den Ehren/ und
andere/ die ihre Freude oͤffentlich ſehen laſ-
ſen/ ob ſie ſchon in der aͤuſſerſten Noth
ſtecken.
LX.
Ehe man von einem Dinge urtheilet/
muß man das Ende wohl betrachten. Du
kanſt in aller Sicherheit ein Ding gut nen-
nen/ wann es alſo nach ſeinem Ende iſt/ ob
es ſchon anfaͤnglich ſcheinet/ als ſey es nicht
gut/ und dasjenige/ was nach ſeinem Zweck
oder Ende nicht gut iſt/ verwerffen als ein
boͤſes Ding/ ob es ſchon einen ziemlichen
ſchoͤnen Anfang hat. In dieſem Fall muß
man alle Sachen in der Welt ſehr geringe
achten/ weil ſie ſo nahe an ihrem Ende ſind.
Die Guͤter dieſes Lebens ſind weniger
zu betrachten nach ihrer Menge/ als nach
ihrer Waͤhrung.
LXI.
Das Gute/ wer es recht erforſchen will/
beſtehet in der Action, die Tugend iſt ein
Gut welches nicht an der Fortun henget/
F 3und
[136[126]] und an dem der Neid nichts vermag. Be-
fleiſſe dich/ daß du dich moͤgeſt zum Herrn
uͤber dieſes Gut machen: Ich verſichere
dich/ daß du es kanſt/ iedoch weil kein
Menſch iſt/ der dir dieſen Schatz geben kan/
ſo muſt du es doch auch demjenigen nicht
mißgoͤnnen/ die ihn gefunden haben. Was
vor ein Guth auch ein Mann von dem
Gluͤck empfangen/ ſo iſt er doch deswegen
nicht gluͤckſeliger/ und ſein ſcheinliches Gluͤck
ſoll in deinem Hertzen keine Eyferſucht er-
wecken/ trage vielmehr ein Mitleiden mit
demſelben/ und beklage ihn/ daß er dem
Hochmuth und dem Willen der Fortun
unterworffen iſt.
LXII.
Wann du einen ſehr reichen Mann ſie-
heſt/ und dem es wohl gehet/ ſo huͤte dich
wohl/ daß du ihn nicht vor gluͤckſelich ſchaͤ-
tzeſt: Ich ſage vielmehr mit einem Mitlei-
den/ ach! er iſt nicht weit von ſeinem Fall/
auffs wenigſte ſtehet ihm ein groſſes Unheil
vor/ und wann er lange lebet/ ſo wird er viel
Widerwaͤrtigkeit ausſtehen muͤſſen. Allen
ſolchen verdrießlichen Zufaͤllen iſt man nicht
unterworffen/ wann man in einem mittel-
maͤßigen Stande lebet/ und wenig Reich-
thum
[137[127]] thum hat. Geſetzt/ daß einiger Vortheil
ja auch eine Beſtaͤndigkeit in den zeitlichen
Guͤtern waͤre/ ſo bleibt es doch allezeit
wahr/ das man ſie nicht hoch achten ſolle/
weil ſie nichts anders ſeynd/ als die Urſach
alles unſers Ubels und die Quell alles un-
ſers Ungluͤcks.
LXIII.
Du wuͤrdeſt keinen Menſchen verach-
ten/ oder ihn neiden/ wann du an ſtatt daß
du ihn in dem gegenwaͤrtigen Zuſtand/
darinn er ſich befind/ betrachteſt/ wohl be-
daͤchteſt was er geweſen/ oder ins kuͤnfftig
werden kan. Iſt er nun gar reich? er kan
arm werden. Hat er eines von den groͤ-
ſten Aemtern des Koͤnigreichs? man wird
ihn vielleicht bald unter den Ubelthaͤtern in
dem Gefaͤngnuͤß ſehen: Verachte ihn nicht/
wann er in Noht iſt/ dann du wirſt ſeiner
von noͤthen haben/ wann ihm die Fortun
erhoͤhet.
LXIV.
Wann du es vor boͤß befindeſt/ daß man
dir verſagt/ was man einem Schmeichler
leicht vergoͤnnet/ ſo biſt du nicht beſſer als er/
auffs wenigſte iſt deine Klage nicht gar
Vernunfftmaͤßig. Weiſt du noch nicht/
F 4daß
[138[128]] daß die Sachen dieſer Welt niemahl um̃
nichts gegebẽ/ ſondern daß ſie allezeit theuer
verkauffet werden/ und daß die Muͤntz/
welche am meiſten unter den Menſchen
laͤuffig iſt/ die Schmeicheley ſey? Wann
du dieſelbe niemands angeboten/ warum
verwunderſt du dich/ daß man dir nichts ge-
geben? und wann du dich derſelben eben
ſo wohl bedienet haſt/ als die andere/ war-
um gedenckeſt du nicht/ den Fehler/ ſo du
begangen/ durch eine rechte Reue auszu-
leſchen.
LXV.
In dem kauffen und verkauffen empfaͤn-
get der eine etwas/ aber der nichts kaufft/
bleibet mit dem/ was er hatte. Beklage
dich nicht/ daß man dir dasjenige verſagt/
was gemeiniglich nur den Laſtern gegeben
wird: Begnuͤge dich mit demjenigen/ ſo
du zuvor beſitzeſt/ und daß du nicht boͤß wor-
den biſt. Es iſt nicht ein geringer Vor-
theil vor dich/ daß du dich in einer ſo groſſen
Verderbnuͤß erhalten/ und dasjenige haſt
erhalten koͤnnen/ welches nur den Schein
des Guten hat.
LXVI.
Das heiſt thoͤricht gethan/ wann man
ſich
[139[129]] ſich ſelber verkaufft/ damit man ein Kleid
kauffen moͤge; wie darffſtu dann dein Ge-
muͤht verkauffen/ deinen Leib zu befriedigen?
Wer ſich vor die Beqvemlichkeiten und
Luſt des Leibes beunruhiget/ iſt ſchon ein
Sclav desjenigen/ ſo er begehret. Du haſt
nichts als was du werth biſt/ wann ſich dei-
ne Seele in eine ſchaͤndliche Dienſtbarkeit
geſtuͤrtzet/ weil du deinen Leib allzuſehr ge-
ſchmeichelt haſt.
XLVII.
Nichts iſt wunderbahrers noch billicher
hoch zu achten/ als eine großmuͤhtige See-
le/ welche das Lob beſtaͤndig von ſich abtrei-
bet/ und der Tugend das unrecht nicht thut/
daß er ihr aus Eigennutzen dienet. Du
kanſt nichts groͤſſers finden unter den Men-
ſchen als einen edlen/ groſſen und erhabenen
Geiſt/ welcher alles/ was ſchier die gantze
Welt blind macht und bezaubert/ verachtet.
Nun iſt es eben alſo mit demjenigen beſchaf-
fen/ welcher die Ehre verachtet/ und des
Weyrauchs der Schmeichler nicht begeh-
ret.
LXVIII.
Die Guͤter dieſes Lebens ſind wie die
Neſſeln/ welche von weiten ſchoͤn und gruͤn
F 5ſchei-
[140[130]] ſcheinen/ aber wann man ſie anruͤhret/ ſo
brennen ſie. Dasjenige/ ſo wir begehren/
oder was wir verhoffet/ duncket uns voll-
kommen gut zu ſeyn/ ſo lange es entfernet iſt/
aber kaum haben wirs in unſern Haͤnden/
ſo verwundet es uns biß ins Hertz.
LXIX.
Ein Narr begehret allezeit/ und betrach-
tet nicht/ was er in ſeinem Vermoͤgen hat/
ob es ſchon gemeiniglich etwas beſſers iſt/
als dasjenige/ ſo er begehret. Alſo genieſſen
ſolche Leute keines Dinges/ indem ſie alles
haben wollen. Die Begierde ſtreiten un-
tereinander und fuͤhren Krieg/ einander zu
Grunde zurichten.
LXX.
Es iſt ſchwer zu erhalten/ was viel Per-
ſohnen wuͤnſchen/ aber ich halte davor/ daß
es ſehr ſchwer ſey daſſelbe zu behalten/ nach-
dem man es bekommen hat. Die groſſe
Anzahl der Nachtrachtẽ den verhindert oft-
mahls/ daß man mit ſeinem Vorhaben nicht
zum Ende gelangen moͤge; aber die Zahl
der Neider beunruhiget einen Menſchen in
ſeiner Beſitzung. In Summa/ je mehr
man ein Ding begehret/ je mehr entfernt es
ſich.
LXXI.
[141[131]]
LXXI.
Dieſes iſt mit wenigen Worten die Ab-
bildung eines weiſen Mannes und die Be-
ſchreibung: Er ſoll wollen ohne begehren/
nichts foͤrchten/ und ſich allezeit wol vorſe-
hen: Vergnuͤgt ſeyn und die Wolluſte flie-
hen: Nur dasjenige lieben/ welches der
Vernunfft gemaͤß iſt: Zu allem was noth-
wendig iſt Verſehung zu thun und ſich nim-
mermehr beunruhigen: Keine Zeitvertreib
haben/ die nicht ehrlich iſt: ſich nicht bekuͤm-
mern/ als wann er einen Fehler begangen/
ob er ſchon davon außgenommen ſeyn ſolte/
weil er Profesſion macht in allen der Ver-
nunfft zu folgen.
LXXII.
Ein rechtſchaffener Mann hat dieſen
Vortheil/ daß er ſich vor gluͤckſelig ſchaͤtzt
unter allen grauſamſten Plagen/ und ge-
wißlich/ er irret ſich nicht. Alles was ſeine
Tugend nicht beflecken kan/ das iſt bey ihm
kein Ungluͤck/ er fuͤrchtet ſich nur vor der
Suͤnde/ er leidet die Straffe ſtandhafftig-
lich/ er fiiehet die Wolluſt/ er betrachtet die
groſſe Weite des Koͤnigreichs der Fortun/
mit einer großmuͤhtigen Verachtung/ und
ſetzt ſich aller ihrer Macht entgegen/ ohne
F 6eini-
[142[132]] einige andere Huͤlffe/ als die jenige/ welche er
von ſeiner Gedult und eigenen Hertzen
hat.
LXXIII.
Stehe allezeit auff der Wacht wider die
verdrießlichſte und aͤrgſte Zufaͤlle/ und ma-
che es alſo/ daß alles Ungluͤck/ ſo dir begeg-
nen kan/ vielmehr deinen Willen als deinen
Verſtands-Urtheil vorkomme. Der aller-
weiſſeſte Mann kan ſich von dem Ungluͤck
und Elend dieſes Lebens nicht befreyen: A-
ber das hat er ſonderlich an ihm/ daß er ſich
nimmermehr beſtuͤrtzt befindet. Beſchlieſſe
nichts/ du ſetzeſt dann dieſes Beding darzu/
wofern mich die Fortun nicht hindert. Es
iſt gut/ wann man die Fortun nicht fuͤrchtet/
damit man mit derſelben Eigenſinnigkeit
und ſeltzamen Poſſen nichts zu thun habe.
LXXIV.
Wann es ſich zutraͤgt/ daß die Sachen
nicht ſo uͤbel außſchlagen/ wie du gemeint
hatteſt/ ob ſchon der Fortgang nicht gantz
nach deinem Willen iſt/ ſo wird dich dieſes
kleine Ungluͤck auch bekuͤmmern. Wann
man keinen Fortgang verhofft/ ſo bekuͤm-
mert man ſich nicht ſo ſehr/ wann man ſich
betrogen ſiehet.
LXXV.
[143[133]]
LXXV.
Dencke vielmehr an das/ ſo ſich begeben
kan/ als an das/ ſo ſich gemeiniglich begibt:
Dieſes iſt das rechte Mittel in Ruhe zu le-
ben. In Summa/ gleich wie man ein ſol-
ches Ubel/ zu welchem man ſich ſchon lang
gewehnt hat/ leichtlicher ertraͤgt/ alſo wird
man uͤber einen ſolchen Zuſall/ wie groß er
auch iſt/ weniger beſtuͤrtzt/ wann man ihn zu-
vor geſehen/ und ſich geruͤſtet hat/ denſelben
zu empfangen. Diejenigen/ ſo auff dem
Meer fahren/ thun alle vor das Uugewitter
dienende Sachen in das Schiff/ ob ſchon
das Wetter zur ſelbigen Stundte gut iſt/
und es kein anſehen der Gefahr hat. Alſo
ſoll ein weiſer Mann thun/ er muß ſich ruͤſten
das boͤſe anzunehmen/ wann er im Gluͤck
iſt.
LXXVI.
Weil man davor haͤlt/ es ſey eine Gat-
tung der Freyheit/ wann man einem weiſen
Mann gehorcht/ ſo muß man auch ſagen/ es
ſey eine Gattung der Dienſtbarkeit/ wann
man uͤber ſolche Leute herſcht/ die weder
Witz noch Verſtand haben. Ein Narr
wird von zween ſeltzamen Ubeln geplagt.
Erſtlich daß er ein Narr iſt: Zum andern/
F 7weil
[144[134]] weil er den Mangel des Verſtandes mit
der Boßheit erſetzt: Dann gleich wie ein
weiſer Mann durch ſein gutes Leben alles
dasjenige erſetzt/ welches ihm ſonſten man-
gelt: alſo gebraucht ſich auch derjenige/ wel-
cher weder Geſchicklichkeit noch Beſcheiden-
heit hat/ aller erdencklichen Boßheit.
LXXVII.
Ariſtoteles hat ſehr weißlich in acht ge-
nommen/ daß es der Narren Eygenſchafft
iſt/ daß ſie ohne unterlaß von allerhand Sa-
chen ihre Meynung ſagen/ ohne Rath der
Vernunfft/ und in der Eyl die Sachen de-
cidiren, ſich der gegenwaͤrtigen Guͤter
nicht befleiſſen wollen/ und ſich nimmermehr
bemuͤhen/ zu er kennen/ was einen Menſchen
in der Welt gluͤckſelich machen kan. Ich
ſetze dazu/ daß die Thorheit derjenigen gleich
iſt/ die ein Menſch/ der nicht weiß/ worinn
die Gluͤckſeeligkeit dieſes Lebens beſtehet/ be-
gehet/ und allezeit doch ein unordentliches
Leben fuͤhret.
LXXVIII.
Die vollkommene Weißheit beſtehet
nicht ſo wol darinn/ daß man tieff in die
hoͤchſte Wiſſenſchafft hinein gruͤndet/ ſon-
dern daß man ſein Vorhaben wohl anſtel-
let/
[145[135]] let/ und ſeine Worte und Anſchlaͤge in acht
nimt. Es iſt ein groſſes Zeichen der Weiß-
heit/ ſich an dasjenige zu binden/ was gut in
ſich ſelber iſt/ an ſtatt daß man ſich auffhaͤlt/
die Geheimnuͤß der Natur zu erforſchen/
die Hefftigkeiten der Paßionen zu maͤßigen/
an ſtatt daß man unnuͤtzliche Diſcurs und
Schluß-Reden fuͤhret: ſich mit ihm ſelber
vergnuͤgen/ und machen/ daß man nicht von
der Fortun dependire.
LXXIX.
Ich halte einen Mann vor gluͤcklich/ wel-
cher weniger von noͤthen hat ruhig und ſtill/
als nur ſchlechthin zu leben. Er hat der
Nahrung/ Kleider/ und vieler anderer
Dinge von noͤthen zum Leben: aber ver-
gnuͤgt zu leben iſt es genug/ daß er eine er-
habene Seele habe/ welche die gute und
boͤſe Fortun ohne Unterſcheid betrachte/
auch nichts achte/ als dasjenige/ was ewig
waͤhren ſoll/ welche allen moͤglichſten Fleiß
anwende/ ſich GOtt gleich zu machen/ wel-
che ihre Ruhe/ Freude und Gluͤckſeeligkeit
finde in Verachtung aller Guͤter/ ſo von dem
Gluͤck herkommen.
LXXX.
Es iſt leichter/ als man meinet/ ſich zum
Herrn
[146[136]] Herrn der gantzen Welt zu machen/ man
darff nur alles verachten/ und ſich aller
Dinge wol gebrauchen: Die Vortreflich-
keit des Vermoͤgens muß aus dem Einkom-
men geſchloſſen werden: Nun iſt es ge-
wiß/ daß kein Menſch einen groͤſſern Nu-
tzen aus den weltlichen Sachen ziehet/ als
derjenige/ der ſie durch die Tugend ver-
achtet.
LXXXI.
Alle boͤſe Leute ſind Sclaven/ nur der
allein der fromme Mann iſt vollkommen
frey; kan man ihm eine gaͤntzlichere Frey-
heit einbilden/ als diejenige/ deren du ge-
nieſſeſt? Sintemal dich keiner verhindern
kan/ zu leben/ wie es dir gefaͤlt; es fehlet
viel/ daß ein Libertiner ſo gluͤckſelig ſeyn
ſolte als du/ dann er hat ihm eine ungluͤckſe-
lige Nothwendigkeit aufgeleget/ ſeinen
Paßionen zu folgen/ und unter der Herr-
ſchafft der ſchaͤndlichen Laſter zu leben. Die
Geſetze verbieten ihm/ zu ſuchen/ was er be-
gehre[t]: und er hat nicht die Freyheit/ das
Gute zu wuͤnſchen/ weil er ſich zum Scla-
ven ſeiner Begierden gemacht. Aber nichts
kan ſich den Begierden und Anſchlaͤgen
desjenigen widerſetzen/ der ſich auf der Tu-
gend
[147[137]] gend Seiten begeben/ er bindet ſich allein
an das/ ſo ehrlich iſt/ er folget allzeit der
Vernunfft/ als der einigen Regel ſeiner
Actionen, und ſeiner Lebens-Leitung.
LXXXII.
Es iſt keine Freyheit der Freyheit eines
ſolchen Mannes gleich/ der ſich gewehnet
hat/ daß er nichts als was GOtt will/ es
wiederfaͤhrt ihm nichts wider ſeinen Wil-
len/ und vollfuͤhret ſein Vorhaben/ ohnge-
achtet alles widerſetzens der Fortun. Man
iſt gaͤntzlich Meiſter uͤber ſich ſelbſt/ wann
man an ſtatt die Sachen auf ſeine Mei-
nung und Ehr mit Gewalt zu zwingen/ ſei-
nen Willen und Meynung mit dem Ding
ſelbſt vergleichen kan. Heiſt das nicht in
einer groſſen Freyheit leben/ wann man
gaͤntzlich uͤber ſich diſponiren kan?
LXXXIII.
Du magſt ein Koͤnig ſeyn oder nicht/
wann du nicht darbey tugendſam biſt/ ſo
biſt du ein Sclav: Wann du aber die Tu-
gend haſt/ ſo biſt du in der That ein Koͤnig/
ob du ſchon andern dienen muſt. Der
Wolluͤſtige iſt nicht ein Sclav eines Men-
ſchen/ ſondern vieler Laſter. Der Fromme
hat eine voͤllige Gewalt uͤber ſein Hertz/ und
er
[148[138]] er hat das Recht/ daß er ſich mag einen Koͤ-
nig uͤber alle ſeine Begierden nennen.
Was iſt regieren/ als einer ſolchen Macht
genieſſen/ die niemand unterworffen iſt?
Und wo meyneſt du/ daß ſie ſich befinde?
Frage den beruͤhmten Chryſippum, der
wird dir antworten/ daß dieſe allgewaltige
Authoritaͤt nur in den Perſohnen ſitze/ die
mit einer vollkommenen Weißheit begabet
ſind.
LXXXIV.
Die Gedult ſchlaͤgt die Unbillichkeit
wunderbarlich zuruͤck/ und die Liebe macht/
daß man niemands beleydige. Wann du
eine ſolche Seele haſt/ daß du in dieſer Welt
nichts achteſt/ als die lautere Tugend/ ſo
wirſtu den Schimpff und Unbillichkeit nicht
ſo ſehr empfinden/ und die verdrießliche Zu-
faͤlle werden deine Standhafftigkeit nicht
zerſchuͤttern/ und du wirſt ſie nicht mehr an-
ſehen als ein Ubel. Laß dichs nicht verdrief-
ſen/ daß ein anderer uͤbel von dir redet. In
Summa/ wann du recht weiſe biſt/ ſo wir-
ſtu dich nimmermehr bekuͤmmern/ als wann
du dich einer Suͤnde theilhafftig befindeſt.
LXXXV.
Bemuͤhe dich nicht/ jederman zu gefallen/
be-
[149[139]] befleiſſe dich nur demjenigen nachzufolgen/
ſo warhafftig weiſe und in der Tugend voll-
kommen ſeynd. Thue deine Schuldigkeit/
und laß die Leute murren. Ich halte davor/
es ſey ein groſſes Lob/ wann man den Boͤ-
ſen nicht gefaͤlt: Betrachte wol/ wer diejeni-
gen ſind/ welche billigen/ was du thuſt: es iſt
beſſer/ einem einigen gefallen/ wofern derſel-
be tugenhafft iſt/ und Verſtand hat/ als ei-
nem hauffen verderbter Leute. Ich habe
von einem Oraculo der Welt-Weißheit
gelernet/ daß ein ehrlicher Mañ nicht gaͤntz-
lich gluͤckſeelig iſt/ wann er nicht von den ge-
meinen Leuten verachtet wird.
LXXXVI.
Gewehne dich/ in allen Begebenheiten
gutes zu thun/ und es iſt nichts/ daß mehr
koſtet zu unterhalten/ als die hochachtung.
Von allen Kranckheiten iſt keine zu heilen/
als die Kranckheit der Reputation, ſonder-
lich/ wann ſie ſchon angefangen hat/ ſchwach
zu werden. Die Reputation wird nicht
ohne Gluͤck erlanget/ aber dieſelbe zu erhal-
ten/ muß man gar geſchickt ſeyn/ und weder
Muͤhe noch Arbeit ſpahren.
LXXXVII.
Ein tugendſamer Mann kan ſich an ſei-
nen
[150[140]] nen Feinden ohne Schuld raͤchen/ wann er
fortfaͤhret gutes zu thun/ und ein boͤſer
Mann/ wann er ſein Leben aͤndert. O
welch eine gluͤckliche Rache? weil ſie dem ei-
nen Theil groſſen Nutzen bringet/ und dem
andern nichts ſchadet.
LXXXVIII.
Wann dasjenige/ das man von dir ſagt/
ſich der Warheit gemaͤß befindet/ ſo nimm es
an/ als einen hochwichtigen Bericht; wann
es falſch iſt/ ſo bekuͤmmere dich nicht darum/
und verſichere dich/ daß die Verlaͤumdung
deine Reputation nur vermehren wird.
Es wird dir nicht allezeit ruͤhmlich ſeyn/ daß
man wiſſe/ daß dein Feind ſeine Zuflucht zu
der Luͤgen genommen/ weil er in deinem Le-
benslauff nichts hat koͤnnen zu tadeln fin-
den.
LXXXIX.
Setze dich nicht auff deines Feindes Sei-
ten/ indem du alle Dinge/ ſo er wider dich
außgibt/ gar zu ſehr zu Hertzen nimbſt/ dann
er ſagt es nur/ dich zu erzuͤrnen/ und er thut
es nicht darum/ damit er dich zu einem beſ-
ſern Mann mache/ indem er ſich wider dir
auflehnet: ſein gantzer Zweck gehet dahin/
wie er dir groſſen Unmuth verurſache/ raͤche
dich
[151[141]] dich an ihm/ ſintemal ſolches in deiner Ge-
walt ſtehet; und damit du ſeine Hoffnung
zernichteſt/ ſo verbeſſere deine Fehler/ erzoͤr-
ne dich nicht/ und verachte ſeine Unbilligkeit.
XC.
Wann du ſieheſt/ daß den Sachen nicht
zu helffen iſt/ ſo ſuche deiner ſeits/ daß du ein
Mittel findeſt/ indem du deinen Unmuth
muͤßigeſt/ auch durch Verachtung der Din-
ge ſelbſt/ von welchen er entſtehet; Oder
durch eine ernſthaffte Betrachtung des
Schadens/ welchen eine gewaltthaͤtige Be-
kuͤmmernuͤs thun kan. Wann dem Ubel
nicht zu helffen iſt/ ſo verzweiffele doch deß-
wegen nicht; Die Boßheit der Menſchen
kan uns zwar in beſchwerliche Extremitaͤ-
ten ſetzen/ darauß kein Mittel iſt/ ſich wieder
zu erholen: Aber nur wir allein ſeyn tuͤch-
tig/ unſern Paßionen die Mittel/ ſo ihr ei-
gen ſind/ zu benehmen.
XCI.
Der Zorn ſchadet ihm ſelber mehr/ als
man ſich einbildet/ dann er beraubet ſich der
Vernunfft und des guten Verſtandes/
wann er deſſen am allermeiſten von noͤthen
hat. Du wirſt mir geſtehen/ daß man ein
groſſes Liecht und Verſtands-Urtheil
haben
[152[142]] haben muß/ wann man ſich aus einer groſ-
ſen Gefahr/ ſo wol als wann man ſich aus
der Thorheit ziehen will: Sage mir nun/
iſt auch eine groͤſſere Gefahr und eine ſeltza-
mere Thorheit zu erdencken/ als wann man
ſich in Gefahr ſetzt/ das Leben zu verlieren/
um ſeiner Rache ein Genuͤgen zu thun?
XCII.
Wann du/ nachdem du ſehr gearbeitet/
eine zu der Rache rechte Zeit zu finden/ groſ-
ſe Hindernuͤß bey deinen Anſchlaͤgen fin-
deſt/ was haſt du alsdann gefunden/ als Un-
muth/ Zorn und Verdruß? Man kan
auch noch darzu ſetzen/ daß du deinem Fein-
de eine ſchoͤne Gelegenheit gegeben/ ſich an
dir zu raͤchen/ alſo daß eben ein Ding dir zu
einer Straffe/ und einer Rache wird.
XCIII.
Biſt du arm/ ſo ſolt du dich troͤſten/ weil du
verſichert leben wirſt/ dahergegen diejenige/
welche reich ſind/ allezeit Urſach haben zu
zittern/ in dem ſie ſich tauſenderley leidigen
Zufaͤllen unterworffen ſehen. Es waͤre gut
genug/ wann man eins um das andere haͤt-
te/ aber dein Stand iſt beſſer/ ſintemal die
Armuth und das uͤbrige Elend des Lebens
ſchier nichts/ in Vergleichung des aͤuſſerſten
Un-
[153[143]] Ungluͤcks/ welches den Reichen ohne unter-
laß drohet.
XCIV.
Entſchlage dich auffs allereheſte derjeni-
gen Gattung Dinge/ welche wann ſie mit
allzugroſſer Sorge erhalten werden/ ſind/
als wann ſie verlohren waͤren. Das Gold
iſt einer boͤſen Feuchtigkeit gleich/ die man
ausdorren und bald verzehren muß/ wann
man ſich vor dem Tode erretten will. Das
heiſt/ ſich einer ſeltzamen Untreue gegen
GOtt theilhafftig machen/ wann man ſich
nicht bemuͤhet/ den Armen und Elenden
mit demjenigen zu helffen/ was man zu viel
hat. Wiſſe/ daß dieſes Uberfluͤßige ihnen
gebuͤhret/ und daß GOtt dir daſſelbe nur
unterhanden gegeben/ damit du ihnen in
ihrer Noth zu Huͤlffe kaͤmeſt.
XCV.
Ich weiß nicht/ ob eine Thorheit derjeni-
gen gleich iſt/ wann einer/ der ſich von aller
Herrſchafft entziehen/ und niemand unter-
worffen ſeyn will/ meynet das rechte Mittel
zu ſeinem Zweck zu gelangen ſeye dieſes/ daß
er ſich ſeinem Reichthum zum Sclaven
macht. Man kan wol ohne Schade einem
Mann gehorchen/ aber es iſt allezeit ſchaͤnd-
lich/
[154[144]] lich/ ein Gefangener eines Metalls zu
ſeyn.
XCVI.
Die Ehrgeitzige/ welche uͤber die Men-
ſchen herſchen wollen/ nehmen nicht acht/ daß
ſie Sclaven ihrer Pasſionen ſind/ und daß
ſie weiß nicht wie viel Laſtern gehorchen.
Wer da ſucht ſich auff die Fortun zu ſtuͤtzen/
wird mit einer ſo ſchwachen Protection
nicht weit gehen/ es waͤre ihm ehrlicher und
nuͤtzer/ wann er die Tugend zu ſeiner Vor-
hut nehme. Ein frommer Mann kan nicht
fehlen gluͤckſelig zu ſeyn/ und er wird allezeit
in groſſer Authoritaͤt ſeyn/ ſo lange er ſein
Hertz und ſeine Begierden gaͤntzlich regie-
ren wird.
XCVII.
Man ſoll die Macht und den Hochmuth
des Gluͤcks nicht ſehr fuͤrchten/ wann man
wenig Gut hat/ und in einem mittelmaͤßigen
Stande iſt. Es iſt beſſer/ ſo vielen Gefahren
nicht unterworffen ſeyn/ als viel uͤbrig ha-
ben Man findet Leute genug/ welche unend-
liche Wolthaten von dem Gluͤck empfan-
gen; unterdeſſen/ wie verſchwenderiſch es
auch iſt/ ſo kan es doch einen ſolchen Men-
ſchen/ der mehr Gut begehret/ als ihm von
noͤthen
[155[145]] noͤhten iſt/ nicht befriedigen. Derjenige/
welcher ſein Geld uͤbel anlegen will/ hat nie-
mals nichts uͤbrig. Es koſtet ſchrecklich
viel/ ein Laſter zu unterhalten.
XCVIII.
Du ſchmeichelſt dir gar zur unrechten
Zeit/ daß du tugendhafft ſeyeſt/ darum/ die-
weil du eine Verachtung erlitten haſt. Du
haſt auffs meiſte nicht mehr gethan/ als dei-
ne Gedult mit der Gedult eines Ehrgeitzi-
gen vergleichen/ welcher es nicht achtet/ ob
er ſchon durch tauſenderley Widerwertig-
keiten zu ſeinem Zweck gelangen muß. Be-
gehreſtu gelobt zu werden/ weil deine Tu-
gend dem Laſter eines andern ſehr gleichet?
Ach welch eine Schwachſinnigkeit/ wann
man nicht mehr leyden wil/ damit man ei-
ne ewige Belohnung empfange/ als dieje-
nige/ die der Welt nachfolgen umb ver-
gaͤngliche Guͤter leiden?
XCIX.
Es iſt beſſer keinen Verdruß erleiden/ als
einen groſſen Troſt empfangen. Alle Freu-
den der Welt koͤnnen uns nicht ein graues
Haar vom Kopff nehmen/ aber man darff
ſich nur ein wenig bekuͤmmern/ ſo bekompt
man ein graues Haar/ und wird vor der
GZeit
[156[146]] Zeit weiß. Es muß ein Menſch einen groſ-
ſen Verſtand haben/ wann er ſich niemals
von nichts laͤſt verunruhigen/ und in einer
allgemeinen Beraubung der Luſt und Er-
getzlichkeit/ welche der meiſte theil der Leute
mit einer unglaublichen Hitze ſuchen/ ver-
gnuͤgt lebt.
C.
Man beklagt ſich in dem Ungluͤck/ und in
dem Gluͤck wird man ſtoltz und auffgebla-
ſen. Es iſt kein eintziger Stand/ der nicht
einigem Laſter unterworffen iſt/ außgenom-
men derjenige/ welcher der Tugend nach-
folget/ und das Mittel haͤlt/ auch ſich gar
fleisſig vor allen Extremitaͤten huͤtet. So
ſieheſtu nun/ daß es nicht ſo ſchwer iſt/ als
man ſich gemeiniglich einbildet/ die Tugend
zu erlangen; Es iſt nicht mehr darzu von
noͤthen/ als daß man das Ungluͤck mit
Gedult ertrage/ und in dem Gluͤck
ohne Hochmuth lebe.
Koͤ-
[157[147]]
Koͤnigliche und Politiſche Be-
trachtung/ Spruͤche
oder
Grund-Regeln.
I.
DJe Ober-Herrſchafft iſt eigentlich
davon zu reden/ eine zugleich ſchwe-
re und ehrenreiche Laſt: Ein Fuͤrſt
ſoll gedencken/ er ſey um keiner andern Ur-
ſach willen auff den Thron kommen/ als
auff daß er beſſer arbeite/ und nicht daß er
ruhe. Weil er der einige auff dieſer hohen
Staffel iſt/ ſo hat er vieler Leute Nutz zu be-
obachten/ und muß ſich befleiſſen/ ihnen alle
erdenckliche Wolfahrt zu verſchaffen. Es
gibt etliche ſehr muͤhſame und beſchwerliche
Geſchaͤffte/ welche man nichts deſtoweniger
im ſitzen verrichtet: Und Philippus II. der
groſſe und kluge Monarch/ pflegte zu ſagen/
daß die Geſchaͤffte eines Koͤnigs ſich wohl
mit einem Weber vergleichen: denn gleich
wie dieſer Handwercksmann/ den Schein
nach/ beqvemlich ſitzt/ unterdeſſen aber mit
Haͤnden und Fuͤſſen mit dem Mund und
G 2ſei-
[158[148]] ſeinem gantzen Kopff arbeiten muß/ alſo ſoll
auch kein groſſer Herr ſeyn/ der ſich nicht
immerdar befleißige/ ſeinen Staat wohl zu
regieren/ und ſeiner Unterthanen Nutzen
und Ruhe zu befoͤrdern.
II.
Ein Fuͤrſt/ welcher die Voͤlcker/ die ihme
untergeben ſind/ regieren will/ wie es ſich
gebuͤhret/ ſoll ſich erſtlich befleiſſen/ die Ver-
nunfft bey ihm ſelbſt regieren zu laſſen.
Was vor eine Schande iſt es vor einen/
Menſchen/ welcher unzaͤhlich viel Voͤlcker
unter ſeiner Herrſchafft hat/ daß er als ein
Sclav ſeinen eigenen Begierden folgen
muß? Wann ihm die Begierden regieren/
ſo fallen alle Dinge unvermeidlich in eine
Unordnung und Verwirrung. Es iſt keine
eꝛſchrecklichere Mißgeburth/ als ein Leib oh-
ne Kopff; ſolches aber geſchicht in einer ſol-
chen Herrſchafft/ da der Oberherr ſeine
Schuldigkeit nicht beobachtet/ und die
Vernunfft und Gerechtigkeit verachtet.
III.
Die warhafftige Klugheit iſt die ſtaͤrcke-
ſte Stuͤtze eines Staats/ aber man be-
ſchuͤtzet denſelben unvergleichlich beſſer
durch Verſtandt und Geſchicklichkeit/ als
durch
[159[149]] durch Gewalt/ und er wird vielmehr durch
den Verſtand der Regenten/ als durch die
Veſtung und viele Beſatzungen erhalten.
Die Klugheit traͤgt vor ſich eine vollkom-
mene Erkaͤntnuͤß der Sachen in ihrem
Grund/ und dienet alles was ſich begeben
kan/ ja auch die geringſten Zufaͤlle zu ent-
decken.
IV.
Ein Fuͤrſt kan weder der Sicherheit noch
der Klugheit nach einem an ſeinen Platz ſtel-
len/ der ſein Amt verfehe. Es iſt nicht ſeltzam/
daß man viel Leute findet/ die viel kluͤger/
und viel tuͤchtiger waͤren dieſen Platz zuer-
ſuͤllen/ aber man wird deren teinen finden/
der nicht von GOtt darzu erwehlet iſt/ ſein
Volck zu regieren. Der oberſte Monarch
unterlaͤßt nicht den Koͤnigen ſonderlich bey-
zuſtehen/ ſeine Vorſehung arbeitet immer-
dar vor ſie/ weil er ſie erwehlet hat/ zu dem
End/ damit er ſich ihrer bediene als wun-
derbahrer Werckzeuge/ ſein groſſes Vor-
haben ins Werck zu ſetzen: Die Gaben/
die ſie von GOtt empfangen/ ſeynd viel
groͤſſer und mehr als diejenige/ die er gemei-
nen Leuthen mittheilt. Allein den Koͤnigen
und Monarchen gibt er einen Ertz-Engel
G 3oder
[160[150]] oder viel Engel zu/ ſie zu bewahren/ und ih-
nen zu helffen/ ihre Laͤnder wohl zu regie-
ren: Und es iſt von noͤthen/ daß man wiſſe/
daß zwar die Koͤnige die Laſt der Geſchaͤff-
ten auf ihre Diener abladen/ und einen von
den tuͤchtigſten aus ihren Unterthanen er-
wehlen koͤnnen/ an ihrer Stelle zu arbeiten/
aber ſie haben die Macht nicht den Engeln
zu befehlen/ die ihnen GOtt zugegeben/ und
nur zu dieſem Zweck beſtimmet hat/ daß ſie
denjenigen ſollen beyſtehen/ die er zu der Re-
gierung der Herrſchafften erwehlet hat.
V.
Ein Herr muß das Koͤnigreich nicht be-
trachten/ als ein Gut/ welches er von ſeinen
Eltern ererbet/ noch als eine ungewoͤhnliche
Wolthat des Gluͤcks/ und einen gluͤcklichen
Streich des Geſtirns/ ſondern er ſoll es be-
trachten als ein Werck GOttes und hoch-
wichtiges Amt/ ſo er ihm anvertrauet hat.
Die Perſianiſchen Koͤnige hatten vor Zei-
ten nicht die Freyheit/ ſo lange zu ruhen/
als es ihnen beliebte: Ein Bedienter kam
alle Morgen/ dieſelbe auffzuwecken/ und
muſte er dem Koͤnige ſagen: Stehe auff/
und arbeite an den Sachen/ die dir GOtt
unterhanden gegeben. Ein Chriſtlicher
Fuͤrſt
[161[151]] Fuͤrſt ſoll eine Lehre hieraͤuß fchoͤpffen/ die
ihm ſein eigenes Gewiſſen geben kan/ und
muß Er ſeinen Stand nicht anſehen/ als
eine lautere Gluͤckſeligkeit/ ſondern vielmehr
als ein ſchweres Amt/ und eine Laſt die er
immerdar tragen muß.
VI.
Regieren iſt ein ſchweres und zugleich ge-
faͤhrliches Ding. Die Unterthanen geben
den beſten Theil ihres Lebens der Arbeit/ ſie
werden in der Schuldigkeit durch die Ge-
ſetze erhalten/ und haben auffrichtige Freun-
de/ die ſie beſtraffen/ wann ſie uͤbels thun.
Dieſes alles mangelt den Koͤnigen und O-
berherren ſagt Iſocrates. Die Nohtdurfft
zwingt ſie nicht zu arbeiten/ ihre groſſe
Macht ſetzet ſie uͤber die Geſetze/ uñ die Ma-
jeſtaͤt/ die ſie umgibt/ veꝛblendet alſo diejenige
die zu ihnen nahen/ daß ſie ihnẽ die Warheit
nicht ſagen/ noch ihre Fehler zu verſtehen
geben duͤrffen: Ohne Zweiffel iſt ihre Noht-
durfft groͤſſer und ihr Standt beſchwerli-
cher/ als man ihm einbildet: Aber ihre Tu-
gend muß alles/ was ihnen mangelt/ erſetzen.
VII.
Ein Fuͤrſt hat nichts zu fuͤrchten/ wann
er allezeit ſeine Majeſtaͤt und ſeine Crone in
G 4der
[162[152]] der Furcht Gottes und der Liebe der Unter-
thanen erhaͤlt. Wann der Koͤnig GOtt
fuͤrchtet/ und ſich befleiſſet die Hertzen ſeiner
Unterthanen/ zu gewinnen/ ſo wird er von
GOTT und Menſchen geliebt werden.
Wann er ſich ohne außnahme GOtt ergie-
bet/ ſo wird ihn GOtt mit allem Seegen
erfuͤllen/ er wird ihm aller Menſchen Hertz
geben. Endlich/ wann der Koͤnig ſich be-
fleiſſet gutes zu thun und ſanfftmuͤhtig und
freundlich gegen alle diejenige iſt/ welche un-
ter ſeiner Herrſchafft ſind/ ſo verſichere ich
ihn/ daß ſeine Regierung das ſtilleſte und
gluͤckſeligſte auff der Welt ſeyn wird.
VIII.
Es iſt nichts/ deſſen ein Fuͤrſt mehr von
noͤhten hat/ als Gottes: Und unter allen
vernuͤnfftigen Creaturen iſt keine/ die
Gottes ſo ſehr von noͤhten hat/ als derjeni-
ge/ welcher uͤber andere herſchet: So iſt es
dann klar/ daß ſeine vornehmſte Sorge ſeyn
ſoll/ GOtt ſelber wohl zu dienen/ und zu ver-
ſchaffen/ daß derſelbe in ſeinem Koͤnigreich
geehret werde. Man iſt wuͤrdig/ uͤber Men-
ſchen zu herſchen/ wann man GOtt voll-
koͤmlich gehorchen kan; aber man iſt nicht
werth zu regieren/ wann man vergiſt/ daß
man
[163[153]] man unter Gott ſtehet/ der doch der oberſte
und erſte Monarch iſt. Ein Fuͤrſt/ der ſich
bemuͤhet/ GOtt zu befriedigen und Sorge
traͤgt vor alles/ ſo ſeinen Dienſt betrifft/ der
kan ſich verſichern/ daß GOtt ſein Vorha-
ben ſegnen/ und eben ſolche Sorge vor ſeine
zeitliche Sachen tragen wird.
IX.
Der Glaube und die Religion ſind die ſtaͤr-
ckeſten Stuͤtzen und das beſte Fundament
eines Reichs: Die Herrſchafft vermehret
ſich/ wann dieſelben im Schwang gehen/
und ihre Verringerung iſt Urſach/ daß alles
in einem Koͤnigreich allgemach und unem-
pfindlich in Abgang und zu Grundt gehet:
Ein Fuͤrſt ſoll wiſſen/ daß er den rechten Ge-
horſam und Unterthaͤnigkeit ſeines Volcks/
allein dem Glauben zu dancken hat: Aber
zur Vergeltung erfodert der Glaube von
dem Fuͤrſten/ daß er ſeine Geheimnuͤß/ Warl
heit und Ceremonien beſtaͤttige und unter-
halte. Der Glaub wohnet in keiner wuͤrdi-
gern Perſohn/ als in dem Koͤnige/ von der
Hoheit und Macht eines Fuͤrſten empfaͤn-
get er ſeinen groͤſten Glantz/ aber man muß
auch ſagen/ daß der Fuͤrſt keinen beſſern
Schutz hat wider ſeine Feinde/ als die un-
G 5fehl-
[164[154]] fehlbare Warheit/ und ungezweiffelte
Grund-Regeln des Glaubens. Der Glau-
be bluͤhet/ der regieret eine heilige Politic:
aber da derſelbe in Verachtung iſt/ da kan
keine gerechte noch gluͤckliche Politic ſeyn:
Dann man kehret die Ordnung der Dinge
nicht um/ wann man ſich der Religion als
eines Mittels bedienet/ und die hoͤchſte Au-
thoritaͤt und allgewaltige Regierung zu ſei-
nem einigen Zweck hat: Im widerſpiel wen-
den ſie die Kraͤfften des Staats und die o-
berſte Macht an als herrliche Mittel/ da-
durch die rechte Gottesfurcht und Religion
befeſtiget wird/ und dieſes iſt ihr einiges Ab-
ſehen.
X.
Die Religion unter die Unglaͤubigen
außbreiten iſt ein ehrliches und herrliches
Werck vor einen Koͤnig/ und welches ihm
ſehr wohl anſtehet; aber er wird mehr mit
dem Glauben gewinnen/ als er durch die
Macht ſeiner Waffen erobert. Ich weiß/
daß man mit maͤchtigen Krieges-Heeren
gantze Nationen zwingen/ und ihre Haͤlſe
unter das Joch bringen kan; Aber die Re-
ligion unterwirfft ihr ein gantzes Koͤnig-
reich/ und thut doch keinem Menſchen Ge-
walt
[165[155]] walt an/ und gewinnet das Hertz der Aller-
hartnaͤckigſten. Wann man ſich dieſes
unſchuldigen Kunſtſtuͤcks gebrauchet/ ſo
koͤmt die Unterthaͤnigkeit denjenigen die
uͤberwunden ſind/ nicht ſauer an/ ſie erfreuen
ſich/ daß ſie auf ſolche weiſe darzu gebracht
ſind/ und koͤnnen ſich nicht enthalten/ dieje-
nigen Perſohnen zu lieben/ die ihnen die
Freyheit weggenommen. Ja/ ſie halten
ſich vor verpflichtet/ Goͤttlicher Vorſehung
Danck zu ſagen/ daß es Ihro gefallen hat/
ſich der Waffen und des Krieges zu bedie-
nen/ als eines herrlichen Mittels/ dadurch
ihnen die Augen ihres Verſtandes geoͤffnet
worden/ und ſie alſo die Suͤßigkeit ſchme-
cken/ welche der Glaube in ſeiner ſo Ge-
heimnuͤß-vollen und fruchtbahren Dunckel-
heit verbirgt.
XI.
Eine rechte und Koͤnigliche Meynung
hat dorten Pelopidas gehabt/ da er denjeni-
gen/ die ihn ſo hefftig bahten/ er ſolle ſich
doch beſſer in acht nehmen/ und ſich nicht
alſo ſamt ſeinen Leben in Gefahr wagen/ ge-
antwortet: Daß iſt gut vor einen gemei-
nen Mann/ der ſich billich nur allein ſucht
zuerhalten/ und vor ſich arbeitet; Aber ei-
G 6nem
[166[156]] nem Koͤnige ſtehet es nicht zu/ dann derſelbe
ſoll nur auf die Wolfahrt ſeiner Untertha-
nen ſehen/ und ſein eigenes Intereſſe ver-
ſaͤumen/ wann es von noͤthen thut/ ſein
Volck zu beſchuͤtzen und zu erhalten. Die
Perſohn wird von einer lautern menſchli-
chen Majeſtaͤt bekleidet/ aber das Beſte
und der Nutz des gantzen Koͤnigreichs ha-
ben etwas goͤttliches an ſich/ und es iſt eine
Grund-Regel/ welche von den weiſſeſten
Philoſophis und Theologis gebillicht
worden/ daß ie gemeiner und weitausge-
ſtreckter das Gute ſey/ ie Goͤttlicher ſey es.
XII.
Ein Fuͤrſt wuͤrde ſich ſehr irren/ wann er
meynte/ die Herrſchafft ſey mehr ſein/ als er
der Herrſchafft ſey. Alle ſeine Sorge und
Arbeit ſoll dahin gehen/ daß er derſelben
nuͤtzlich und ohn unterlaß diene. Man kan
ſagen/ daß der Muͤßiggang die gemeine
Leute lehret Ubels thun/ ſo bald er auffhoͤret
um der Unterthanen Nutzen willen zu ar-
beiten.
XIII.
Die warhafftige Großmuͤthigkeit lehret
einen Koͤnig ſich um ſeines Reichs Nutzen
willen zuerhalten/ und ſich in gefaͤhrlichen
Be-
[167[157]] Begebenheiten in acht zu nehmen/ damit er
GOtt in andern Faͤllen nuͤtzlicher dienen
koͤnne. Die hohe Großmuͤthigkeit erfo-
dert nicht gerade/ daß man eine Abſcheu
vor dem Leben trage/ ſondern daß man den
Todt ohne Schrecken anſehen/ ja gar ver-
achten ſolle. Ich ſage noch mehr/ die Liebe
des Lebens ſelber kan ſich mit der Verach-
tung des Todes vergleichen; ſintemal die
Verachtung dieſes Guts nur einen Zweck
haben ſoll/ welcher iſt das gemeine Beſte.
XIV.
Ob ſchon ein Fuͤrſt allein iſt/ ſo arbeitet
er doch vor viel; Derowegen ſoll er ſeine
Lebensleitung ernſtlich betrachten. Es
werden viel Leute Ubels thun/ wann er nicht
guts thut: Hergegen werden viel guts
thun/ wann er nicht Ubels thut. Die War-
heit figuͤrlicher weiſe zu ſagen/ ſo iſt das Re-
giment ein groſſer Werckzeug/ welchen der
Obriſte richtet wie er will/ er hangt allein
an ihm/ er reguliret alle ſeine Bewegun-
gen/ und kan auch entweder aus Boßheit
oder Nachlaͤßigkeit denſelben gantz verder-
ben. Das geringſte Laſter an einem Koͤ-
nige iſt offtmals Urſach einer groſſen Un-
ordnung unter dem Volck/ und es iſt biß-
G 7wei-
[168[158]] bißweilen nicht mehr von noͤthen eine gantze
bluͤhende Monarchie zu Grunde zu richten:
Dahergegen/ wann er fromm iſt/ oder nur
bezeuget/ daß er eine Neigung zu der Tu-
gend habe/ und dieſelbe hoch halte/ ſeine Au-
thoritaͤt leichtlich erhalten/ und ſchier kei-
ne Muͤhe haben wird in der Regierung ſei-
ner Herrſchafft.
XV.
Der Wille des Fuͤrſten iſt ein Ebenbild
der hoͤchſten Macht Gottes: Dann gleich
wie GOtt alles thut/ was ihm gefaͤllt/ dar-
um/ weil er es will: alſo verpflichtet ein
Fuͤrſt ſeine Unterthanen/ alles dasjenige zu
thun/ was ihm gefaͤlt. Damit aber ſeiner
Gluͤckſeligkeit nichts ermangele/ und ſeine
Unterthanen auch ein voͤlliges Gluͤck unter
ſeiner Herrſchafft genieſſen/ ſo ſoll er ſich be-
fleiſſen/ nur dasjenige zuerſuchen/ welches
gut in ſich ſelbſt iſt/ und ſich nur an die rechte
Tugend halten/ vor allen Dingen aber die
Gerechtigkeit lieben.
XVI.
Ein Koͤnig ſoll in zween Puncten unter-
richtet ſeyn/ welche ich vor ihn ſehr und hoch-
wichtig achte. Erſtlich/ daß er gedencke/
daß er uͤber Menſchen herſchet/ und zum
an-
[169[159]] andern/ daß er ſelbſt ein Menſch ſey. Die
erſte Betrachtung wird ihm bewegen/ ſehr
freundlich zu ſeyn/ die zweyte wird machen/
daß er nicht hochmuͤhtig wird. Weil ihn
Gott erwehlet hat/ die Voͤlcker zu regieren/
ſo muß er ſich befleiſſen/ eine Sanfftmuth/
Guͤtig und Freundlichkeit eines Vatters
zu haben; Und weil er ſelber ein Menſch iſt/
ſo ſoll er nicht mit Hochmuth herſchen/ noch
ein unertraͤglicher Herr ſeyn.
XVII.
Ein Fuͤrſt/ der ſich mit Hoheit umgeben/
und uͤber alle Leute/ die in ſeinem Koͤnigreich
ſind/ geſetzt ſiehet/ ſoll deßwegen nicht ſtoltz
und hochmuͤhtig werden. Damit er nun
den Hochmuth/ der ihm ſich entgegen ſetzen
moͤchte/ leichter darnieder ſchlagen koͤnne/ ſo
ſoll er betrachten/ daß er nicht unſterblich
iſt/ und daß er aus allem/ was er in dieſer
Welt beſitzt/ ihm nach dieſem Leben nichts
mehr uͤbrig bleiben wird als die Tugend/
welche allezeit mit warhafftigen Guͤtern be-
gleitet iſt/ und in der That allerley Vortheil
in ſich begreifft/ ſie mag ſich befinden/ wo ſie
will.
XVIII.
Man ſoll nimmermehr von der Hoheit ei-
nes
[170[160]] nes Potentaten durch ſeine Fortun/ ſondern
nur durch ſeine Tugend/ durch ſeine Ge-
ſchaͤffte und durch ſein herliches und ſchoͤnes
Leben urtheilen. Wann er klug und tu-
gendhafft iſt/ ſo ſoltu ihn anſehen als einen
ſehr groſſen Fuͤrſten/ ob er ſchon in ſeinen An-
ſchlaͤgen ungluͤcklich iſt. Lerne vor einmahl/
daß nicht der Fortgang/ ſondern nur die An-
ſchlaͤge/ die Anſtalt und Reſolution, die Ge-
ſchicklichkeit und die Klugheit eines Monar-
chen an den Tag geben.
XIX.
Die Tugenden eines Fuͤrſten ſollen nicht
falſch/ angemaſſt und betruͤglich/ ſondern
wuͤrcklich/ und wachafftig ſeyn; ſintemahl
weder der Ehrgeitz/ noch die Dependentz/
in demjenigen Grad/ darin er iſt/ ſeyn koͤn-
nen. Dieſes ſind zwar die Vorwaͤnde/ da-
mit ſich diejenigen bedecken/ welche ihr Gluͤck
ſehr weit fortzuſtoſſen begehren: dann ſie
begnuͤgen ſich gemeiniglich mit dem Schein
der Tugend/ und warten ihr nicht anders
auff/ als damit ſie von ihrem Reichthum ei-
nen Nutzen ſchoͤpffen: ſie reiſſen ihr den
Schleyer ab/ ſie nehmen ihren Mantel/ da-
mit ſie ſich damit zieren/ und laſſen ſie allein
und als gleichſam gefangen. Auch iſt die Tu-
gend
[171[161]] gend/ auffrichtig davon zu reden/ niemals
freyer/ als wann ſie in der unterſten Staffel
und Verachtung iſt/ und dem Ehrgeitz vor
eine Stuͤtze dienet/ welcher nur den aͤuſſer-
lichen Schein von derſelbigen entlehnet.
XX.
Nicht die Macht und Authoritaͤt ſollen
die Actionen und den Willen eines Koͤ-
nigs reguliren, ſondern die geziemende
Wohlthaͤtigkeit und rechte Vernunfft.
Der jenige/ welcher alles kan/ ſoll doch nichts
begehren/ als was erlaubet iſt: Derowegen
muß ihm ein Fuͤrſt nicht einbilden/ daß er
alles thun koͤnne. Er kan nichts anders
thun/ als was er mit Recht thun kan:
Wann das Gluͤck demjenigen/ welchem es
ſchmeichelt/ auch die Freyheit gebe alles zu
thun/ was ihm ſeine Begierden an die Hand
geben/ ſo wuͤrde man taͤglich nichts anders
ſehen/ als aͤuſſerſte Verwuͤſtungen/ und ei-
ne gantze Umkehrung der Welt. Ich be-
kenne/ daß ein Menſch/ der die hoͤchſte Ge-
walt hat/ viel Ubels thun kan. Aber man
muß mir auch geſtehen/ daß er ſich nicht lan-
ge erhalten kan/ wann er nichts als boͤſes
thut.
XXI.
[172[162]]
XXI.
Ein Fuͤrſt/ welcher ſich befleiſſet in allen
Sachen die Ehrbarkeit und Wohlanſtaͤn-
digkeit zu halten/ der iſt gewißlich ſehr lob-
wuͤrdig. Dieſe herrliche Qvalitaͤt hat nur
einen geringen Glantz/ wann ſie ſich bey ge-
meinen Leuten befindet/ aber bey groſſen
Potentaten glaͤntzt ſie auff eine gantz wun-
derbahre Weiſe/ derowegen/ weil ſchier nie-
mand iſt/ der nicht auff ſie ſiehet/ und die
Freyheit nicht gebrauchet/ von ihren Acti-
onen zu urtheilen/ ſo ſollen ſie mit allem
moͤglichſten Fleiß Achtung geben/ daß ſie
niemals in gewiſſe Fehler/ welche die gemei-
ne Leute ohne Bedencken begehen/ weil man
ſie leichtlich wegen derſelben entſchuldiget/
und ſie keine Muͤhe haben Vergebung zu
erlangen/ fallen. Die Fuͤrnehmſten ſollen
ſich erinnern/ daß ihre eigene Hoheit ihnen
ſchaͤdlich iſt/ weil man ihnen in nichts wider-
ſprechen darff/ weil ſie ohne Widerſtand le-
ben/ und alles ungeſtrafft thun koͤnnen/ was
ihnen in den Sinn kompt.
XXII.
Die oberſte Macht iſt der Dienſibarkeit
nicht befreyet/ dann es giebet zwar viel Sa-
chen/ die man ins beſonder leidet/ welche
doch
[173[163]] doch nicht bey der Hoheit und Majeſtaͤt der
Koͤnige ſeyn koͤnnen/ alſo koͤnnen ſie nicht al-
les thun/ was ihre Unterthanen thun koͤn-
nen. Alſo ſagt auch Seneca von einem vor-
nehmen Mann: Du darffſt hunderterley
Sachen nicht thun/ welche zu thun die ge-
meinen Leute gleichſam ein Recht ſcheinen
zu haben. Glaube mir/ ein hohes Gluͤck iſt
eine ſehr groſſe Dienſtbarkeit/ du kanſt in
vielen Dingen dein Gemuͤht nicht befriedi-
gen/ noch das jenige/ was du ſo hefftig begeh-
reſt/ ins Werck ſetzen. Du muſt auch wi-
der deinen Willen ſo vielen Leuten Audientz
geben/ die Klagen deiner Unterthanen an-
hoͤren/ ihre Supplicationen empfangen/
ihre Fragen examiniren, und den beſten
Theil deiner Zeit an ſehr beſchwerliche Ge-
ſchaͤffte wenden.
XXIII.
Steht es einem Fuͤrſten/ welcher in dem
Stand iſt da er alles thun kan/ nicht ruͤhm-
lich an/ wann man das Boͤſe/ ſo man gegen
ihm hat/ großmuͤhtig zu leiden ſucht/ das Un-
recht/ ſo man ihm angethan/ leicht zu verzei-
hen/ und diejenige/ welche ſeine Unterthanen
plagen oder beleidigen/ ernſtlich zu ſtraffen?
Dann/ die Warheit zu ſagen/ man iſt gar
frey-
[174[164]] freygebig/ wann man uͤber eines andern
Gut zu walten hat/ aber von ſeinem eigenen
Guth ſchenckt man wenig weg. Der
Thron/ darauff der Koͤnig ſitzt und die Ma-
jeſtaͤt/ ſo ihn umbringt/ erfodern einen ho-
hen Muth und eine gantz heroiſche Seele:
Weꝛ weiß nicht/ daß die vollkommene Gꝛoß-
muͤhtigkeit darinn beſtehet/ daß man ſich
wegen erlittener Beleydigung nicht raͤche/
daß man ſo viel moͤglich allen Menſchen gu-
tes thue/ daß man ſich um hunderterley
Sachen/ die ſich taͤglich begeben/ nicht be-
kuͤmmere/ daß man ſo viel moͤglich allen
Menſchen gutes thue/ daß man ſich den Un-
muth nicht uͤbernehmen/ und ſich von ſeinen
Begierden nimmermehr uͤber winden laſſe.
Das heiſſe ich ein groſſes Hertz/ und das
heiſt recht tapffer/ kuͤhn und muhtig ſeyn/ da
man nicht in Gefahr ſtehet/ vor verwegen
gehalten zu werden.
XXIV.
Die Mildigkeit iſt einem groſſen Fuͤrſten
ſo noͤhtig/ daß ſie auch dienet/ zu erkennen zu
geben/ daß er ein Fuͤrſt in der That iſt/ und
daß kein Menſch daran zu zweiffeln habe:
Ich habe geſagt/ daß die Mildigkeit erwei-
ſe/ was er in der That iſt/ denn indem er die
Streng-
[175[165]] Strengheit des Todten-Geſetzes maͤßiget/
ſo wird er angeſehen/ als ein lebendiges Ge-
ſetz. Ich habe auch geſagt/ daß dieſelbe die
Unterthanen in der Meynung befeſtigt/ daß
ihr Koͤnig ein rechter Koͤnig ſey/ weil er ſich
durch ſeine Billichkeit/ Weißheit und Guͤ-
tigkeit zum Herſcheꝛ uͤber die Heꝛtzen macht/
und ſein Reich in denſelben befeſtiget. Die
Schuldigkeit eines Oberherrn beſtehet
darinn/ daß er 2. Dinge/ die von einander
ſehr entfernet ſind/ betrachte/ nemlich den
Schuldigen und den Staat. Wann der
Schuldige durch den Fehler/ ſo er began-
gen/ dem Nutzen des Staats ſchaden kan/
ſo muß man ſich der Mildigkeit gegen dem
Staat bedienen/ und den Thaͤter hart
ſtraffen: Wann aber der Fehler von kei-
ner groſſen Conſequentz iſt/ oder wann die
Qualitaͤt oder Profeſſion desjenigen/ der
denſelben begangen/ der Verzeihung koͤn-
nen Platz geben/ ſo ſage ich/ daß der Fuͤrſt
ſeiner Mildigkeit ſich bedienen/ und verhin-
dern ſoll/ daß man den Schuldigen nicht
nach der Schaͤrffe der Geſetze Straffe.
XXV.
Das Gluͤck/ ja das Leben der Untertha-
nen mit ſolcher Billichkeit/ Maͤßigung und
Weiß-
[176[166]] Weißheit regieren/ und ein ſolch exempla-
riſches Leben fuͤhren/ daß er niemals der
Verzeihung von noͤthen habe; aber an-
dern muß er gern verzeihen/ und ſich nicht
lang bitten laſſen. Ich halte davor/ daß
die vielen Straffen und Zuͤchtigungen den
Fuͤrſten ſo viel Schaden thun/ als die allzu-
viele Begraͤbnuͤſſe den Medicis. Es mag
ein lauteres Ungluͤck ſeyn/ oder ein Mangel
der Wiſſenſchafft und Erfahrung/ ſo tau-
gen ſie beyde nichts. Das heiſt ſchier/ in
einem immerwehrenden Kriege leben/ wañ
man unter der Herrſchafft eines harten und
grauſamen Fuͤrſten iſt. Man muß die
Schuldigen nicht zuͤchtigen/ damit man ſie
ſehr martere/ ſondern nur/ damit man an-
dere fromm mache/ und ſie durch ein ſcharf-
fes Exempel in ihrer Schuldigkeit erhalte.
Auch ſoll man nicht verzeihen von wegen
der Sanftmuth oder Luſts/ ſo dabey iſt/ ſon-
dern/ damit man den Schuldigen bewege
Reu zu tragen/ und ſich zu beſſern. Wann
der Fuͤrſt ſich derer Mildigkeit bedienet/ ſo
macht er/ daß die Frommen noch eine groͤſ-
ſere Abſcheu vor den geringſten Fehlern
tragen/ und verhindert auch auf ſolche Wei-
ſe/ daß die uͤbrige Unterthanen in keinen
Ex-
[177[167]]Exceſs fallen/ und mit einem Wort zu ſa-
gen/ es iſt viel edler und herlicher/ wann
man die Fehler und das Verbrechen des
Volcks mit Sanfftmuth/ als durch die
Schaͤrffe der Straffen verbeſſert.
XXVII.
Die Straffe/ welche man verordnet/ ge-
ſchiehet nicht ſo wohl wegen der Miſſethat/
als damit man inskuͤnfftige keine Miſſethat
mehr begehe. Dem vergangenen iſt nicht
mehr zu helffen/ die Vorhut aber dienet
auffs kuͤnfftige. Es iſt bißweilen von noͤhten
einen Mann/ der ſehr uͤbel gelebt/ zum To-
de zu verdammen/ damit viel andere lernen
wohl zu leben. Ein unordentlicher und ſel-
tzamer Krancker zwinget ſeinen Medicum,
ſcharff und ſtreng zu ſeyn. Es waͤre eben ei-
ne ſolche Grauſamkeit/ wann man jederman
ohne Unteꝛſcheyd lieſſe ungeſtrafft hingehen/
als wann man keinem verzeihen wolte. Re-
gieren iſt ein Geſchaͤffte und eine Kunſt/ die
ihre abſonderliche Regeln hat/ und die mehr
Geſchicklichkeit erfodert/ als man ihm ein-
bildet. Die Kunſt des Koͤniges beſtehet da-
rinn/ daß er billich ſey/ der Fleiß und ſeine
Arbeit haben die allgemeine Ruhe und die
Gluͤckſeligkeit ſeiner Unterthanen zum
Zweck.
XXVIII.
[178[168]]
XXVIII.
Das heiſt/ ſich in der That ſelber verdam-
men/ wann man einen boͤſen Menſchen ver-
ſchonet. Die Ruhe einer Herrſchafft beſte-
het nur auff der Zuͤchtigung der Boͤſen.
Ein Fuͤrſt iſt gehalten/ ſo wohl das Verbre-
chen/ ſo wider ſeine Unterthanen/ als dasje-
nige/ welches wider ihn geſchicht/ ſtraffen
zu laſſen. Zu dieſem Ende muß er ſeinen
Bedienten und Leuten die Macht und Ge-
walt geben/ uͤber die Schuldige zu urthei-
len/ und ſie zu ſtraffen. Er ſoll ihren Auß-
ſpruch nicht ohne groſſe Urſache umſtoſſen/
auch nichts darinn veraͤndern/ damit die boͤ-
ſen nicht nur aus Furcht zuruͤcke gehalten
werden/ ſondern auch/ damit ſie die Kuͤnheit
nicht haben/ vor den Koͤnig zu gehen/ und
von deſſen Mildigkeit die Vergebung ihres
Laſters erhalten. Wann man ſich uͤberey-
let mit dem Rechtſprechen/ ſo kan leichtlich
eine Ungerechtigkeit mit unterlauffen/ und
ich halte davor/ daß ein Urtheil/ ſo in der
Eyl und ohne ferners Nach ſehen geſprochen
wird/ nicht gar billig ſeyn kan.
XXIX.
Ein Fuͤrſt ſoll diejenigen/ welche er in
Miſſethat gefunden/ niemals ſelber ſtraffen/
auch
[179[169]] auch nicht zugeben/ daß man ſie in ſeiner Ge-
genwart ſtraffe: Und ich halte davor/ es ſey
eine herrliche Regel den Staat zu erhalten/
daß der Fuͤrſt ſich mehr befleiſſen ſoll/ gelie-
bet als gefuͤrchtet zu werden. Zwar man
kan eine Perſohn nicht aufrichtig lieben/
wann man ſich nicht zugleich fuͤrchtet/ der-
ſelben zu mißfallen und ſie zu beleidigen:
Hergegen kan man wol eine Furcht haben/
und darbey doch nicht lieben. Ich gehe
weiter/ und behaupte/ daß gemeiniglich die
Furcht und der Haß beyeinander ſind.
Derowegen iſt es beſſer/ daß ein Fuͤrſt ſich
befleiſſe/ von allen geliebt und von niemand
gehaſſt zu werden. Ein ſehr ſichers Mit-
tel/ zu ſolchem Zweck zu gelangen/ iſt ihm
vorbehalten/ alles gutes zu thun/ ſo in einer
Herrſchafft zu thun iſt/ und die Aemter und
Belohnungen denjenigen zu geben/ die
deren wuͤrdig ſind/ und den Richtern und
Bedienten die Sorge laſſen/ die Schuldi-
gen zu ſtraffen. Wann der Koͤnig allezeit
ſeinen Lebenslauff alſo richten will/ ſo iſt
nicht zu zweiffeln/ daß diejenige/ welche Be-
lohnungen empfangen/ ihn lieben und an-
ſehen werden/ als ihren Gutthaͤter/ und daß
er von denjenigen/ welche man verdammen
Hwird/
[180[170]] wird/ nicht wird gehaſſet werden/ weil er
ihr Richter nicht geweſen iſt.
XXX.
Ein Fuͤrſt ſoll allezeit ein Ohr zuruͤcke be-
halten vor die Gruͤnde desjenigen/ welcher
als ein Miſſethaͤter iſt angeklaget worden.
Er ſoll die Warheit mit Gedult erwarten/
dann dieſelbe komt erſt mit der Zeit an den
Tag. Es koſtet nicht viel/ die Vollziehung
eines Urtheils aufzuſchieben/ weil man den
Schuldigen allezeit ſtraffen kan; Aber
wann das Urtheil vollzogen iſt/ ſo iſt nicht
mehr zu helffen. Es iſt bißweilen gar gut/
ſich anders zu ſtellen/ und ich wolte lieber
rahten/ daß ein Oberherr ſich bereden lieſſe/
als daß er ſeinen Verſtand gar zu viel
traue. Derowegen ſoll er ſich gewehnen
großmuͤthiglich zu verzeihen/ und bißweilen
eine Luſt haben/ dasjenige nicht zu wiſſen/
welches er nicht haͤtte verbergen ſollen oder
koͤnnen.
XXXI.
Eine Aufruhr kan offtmahls mehr in ei-
ner Herrſchafft ſchaden/ als ein groſſer
Krieg. Die Aufruhr iſt nicht eine ſolche
Kranckheit/ deren man im Anfang nicht
gleich nicht helffen koͤnte/ aber ſie wird un-
heil-
[181[171]] heilſam und verzweiffelt/ wann man ihr
nicht zuvor koͤmt/ ja man muß ſie auch fuͤrch-
ten/ wann ſie ſchon in ihrem Abnehmen iſt.
Es iſt in ſolchen Begebenheiten gaͤntzlich
von noͤthen/ ein groß und ſchreckliches
Exempel zu ſetzen/ damit alle andere Auff-
ruͤhrer wieder zum Gehorſam gebracht
werden. Auf ſolche weiſe gewinnet man
ſie gar wohl/ wann man etliche von den
Schuldigen hart ſtrafft/ und den andern
mit Sanfftmuͤthigkeit begegnet/ und ihnen
Verzeihung anerbietet; Aber alsdann
handelt man gar uͤbel/ und ſtehet in Gefahr
alles zu verlieren/ wann man keinem eintzi-
gen verzeihen will/ und kan man ſagen/ daß
man ſo viel Schaden leide/ ſo viel man Per-
ſohnen zuͤchtige. Aufruhr und Murren
ſind zwey unterſchiedliche Dinge/ und muß
man ſie nicht untereinander mengen. We-
gen der Klagen und etwas freyen Reden/
in welche das gemeine Volck bißweilen faͤlt/
muß man ſich nicht erzuͤrnen und dieſelbe
nicht hoch achten/ aber was nur den Schein
der Aufruhr und des Aufſtands hat/ dem
muß man auffs eheſte bevorkommen.
XXXII.
Ein Fuͤrſt ſoll ſeinen Actionen niemahls
H 2trau-
[182[172]] trauen/ und allezeit genauer und wachtſa-
mer in dieſem Fall ſeyn/ als wann er maͤch-
tige Feinde auf dem Halſe hat. Er muß
nicht fuͤrchten/ das Ubel zu leiden/ ſondern
er ſoll ſich fleißig huͤten/ daſſelbe zu begehen/
weil eines nothwendig von dem andern
folget: Er muß einen groſſen Unterſcheid
machen/ zwiſchen einem Koͤnige und einem
Tyrannen; Der Koͤnigtraͤget Sorge vor
ſeine Unterthanen/ weil er ſie liebt/ der Ty-
rann fuͤrchtet ſie/ weil er nur ſich ſelber liebt.
Der Koͤnig bemuͤhet ſich mit einer ſonder-
bahren Guͤtigkeit vor ſeine Unterthanen/
damit ihnen nichts verdrießliches begegne.
Der Tyrann dencket nur an ſein eigenes
Intereſſe/ und zu verhindern/ daß man ihm
nichts Leids thue. Die Authoritaͤt des
Fuͤrſten und die Liebe der Voͤlcker ſind zwey
Dinge/ welche am meiſten zu Erhaltung ei-
ner Herrſchafft thun/ und was die Autho-
ritaͤt erhaͤlt/ iſt die Furcht neben der Hoch-
achtung/ oder vielmehr nebſt der Verwun-
derung. Die ſchoͤne und vortreffliche Art
zu regieren macht/ daß man ſich uͤber die
Fuͤrſten verwundere/ wann man ſchon der
Tugenden/ die in ihren Perſonen leuchten/
nicht gedencket: Seine Macht bewegt die
Leute/
[183[173]] Leute/ ihn zu fuͤrchten/ und ſeine Tugend zu
lieben.
XXXIII.
Derjenige/ welchen es GOtt gefallen
hat auf den Thron zu erheben/ ſoll ſich an-
derer Leute bedienen/ wohl zu regieren/ aber
nicht/ daß ſie an ſtatt ſeiner regieren. Er
muß allein regieren: Er ſoll mit Luſt anhoͤ-
ren/ und mit Freuden aufnehmen/ was ihme
gerahten wird/ alle Schmeicheley aber muß
er verwerffen: ja er ſoll ſie ſonderlich fuͤrchtẽ/
dann ſie behalten allezeit eine Gewalt in
dem Gemuͤth desjenigen/ welcher ſie zuruͤcke
ſchlaͤget/ und wann ſie nicht allezeit Ubels
thun/ ſo iſt es doch gewiß/ daß ſie nimmer-
mehr kan nuͤtzlich ſeyn. Es iſt gut/ daß
ein Fuͤrſt von Zeit zu Zeiten den Verſam̃-
lungen beywohne/ in welchen man in ſei-
nem Nahmen und durch ſeine Authoritaͤt
die Sachen ſo wohl die den Staat/ als die-
jenige/ welche Privat-Perſonen betreffen/
decidire, dann/ in Summa/ es iſt ſehr
ſchwer/ ſich nicht zu irren/ wann man die
Sachen nur von Erzehlung anderer Leute
weiß.
XXXIV.
Es iſt ein gewiſſes Ding/ daß derjenige/
H 3ſo
[184[174]] ſo ſich von dem Ungluͤck laͤſt niederſchlagen/
und dem das Hertz mangelt/ in der Wider-
waͤrtigkeit uͤberauß hochmuͤhtig/ und jeder-
man unertraͤglich wird/ wann er ſiehet/ daß
man ihn zu dem hoͤchſten Regiment erhebet.
Gewißlich/ man iſt gantz nicht tuͤchtig/ je-
mand zu befehlen/ wann man von niemand
etwas leiden kan: Man muß ſolche Leute/
welche von Natur mißtrauiſch/ argwoniſch
und boßhafftig ſind/ nimmermehr zum Regi-
ment uͤber andere ſetzen. Derjenige/ wel-
cher herſchet/ kan ſich verſichern/ daß man
ihm Gehorſam leiſtet/ wann ſeine Untertha-
nen alle ihre Zuverſicht auff ihn geſetzt ha-
ben: Aber wann er hergegen in einem im-
merwaͤhrenden Mißtrauen iſt/ wann er ſich
ermuͤdet und ohn unterlaß qvaͤlet/ ob man
ſeinen Befehl außrichte/ ſo ſage ich/ daß er
niemalhs zum Zweck gelangen werde. In
Summa/ er wird mehr ein Fuͤhrer der ge-
zwungenen und ungluͤckſeligen Sclaven
ſeyn/ als ein Haupt und Regierer freyer
Perſohnen.
XXXV.
Man iſt zum Regiment nimmermehr
tuͤchtig/ wann man ſich durch den erſten
Diſcurs/ den man hoͤret/ unbetraͤchtlich ein-
neh-
[185[175]] nehmen laͤſſet/ oder ſich auff die erſte Be-
ſchwerlichkeit/ ſo ſich eraͤuget/ ohne einigen
Widerſtand ergibt. Ein Mann/ welcher
herſchet/ hat Muth von noͤhten/ er muß be-
ſtaͤndig reſolvirt und unerſchrocken ſeyn:
Die Gefahr/ Eygenſinnigkeit und Poſſen
des Gluͤcks muͤſſen ſeine Gemuͤths-Ruhe
nicht zerſtoͤhren/ ſein Hertz muß nicht aus
ſeinem gewoͤnlichen Sitz gehen/ was vor
ein beſchwerlicher Zufall ſich auch begeben
mag. In Summa/ das Gute und Boͤſe/
wie groß daſſelbe auch ſeyn mag/ muß ihm
allezeit gering und leicht vorkommen.
XXXVI.
Es iſt den Oberherrn ſehr viel daran ge-
legen/ daß ſie wiſſen/ einen Unterſcheyd zu
machen zwiſchen Aempter und Belohnung.
Man ſoll diejenige belohnen/ welche dem
Fuͤrſten einen Dienſt geleiſtet/ oder ſich dem
Staat verpflichtet haben. Das Ampt a-
ber erfordert eine Tuͤchtigkeit/ alſo daß man
den Dienſt nicht mit Aempter belohnen ſoll/
wann die Leute nicht tuͤchtig genug ſind/ die-
ſelbe zu exerciren. Ja ich will auch darzu ſe-
tzen/ daß/ wann 2 Perſohnen um ein Ampt
anſuchen/ und ſich befindet/ daß der eine groſ-
ſe Dienſte gethan/ aber nicht viel Verſtand
H 4hat/
[186[176]] hat/ der andere aber keine Dienſte gethan
und doch tuͤchtig darzu iſt/ ſo ſoll man ohne
allen Zweiffel denjenigen vorziehen/ welcher
tuͤchtig darzu iſt. Die getreueſten Raͤhte
des Fuͤrſten ſind nicht diejenige/ welche blind
hin alles nach ſeinem Willen thun und lo-
ben/ ſondern er ſoll ſich allein denjenigen veꝛ-
trauen/ welche auffrichtig von ihm reden/
und die allezeit ſeiner Meynung ſind.
XXXVII.
Es iſt nicht rahtſam/ daß man groſſe
Aempter ſolchen Leuten anvertrauet/ deren
Geburt niedrig/ dunckel und gering iſt/ und
ich ermahne die Koͤnige ſehr/ daß ſie ſich ſol-
cher Leute bedienen/ welche von edlen und
herlichem Geſchlechte ſind/ ſo wohl wegen
Ubung der Gerechtigkeit/ als ihre Authori-
taͤt in den Staͤdten und Provintzen hand-
zuhaben; die Urſache deſſen iſt klar/ denn ein
Menſch erinnert ſich doch allezeit ſeines
Herkommens/ er hat immer einiges Bild-
nuͤß davon in ſeinem Hertzen/ und kan mei-
nes Beduͤnckens ſein hohes und erhabenes
Gemuͤth nicht verliehren/ noch ſo bald an
ſeiner Schuldigkeit fehlen/ als andere/ dann
das hieſſe ſeine herliche Qvalitaͤten/ welche
mit dem Blut in das Hertz der Edlen rin-
nen/
[187[177]] nen/ zweyfaͤltig beflecken. Jedoch ſoll man
die Aempter und Commißionen weder der
Dienſte und Verdienſts der Leute reguliꝛen/
und keinen zu den vornehmſten Aemptern
erheben/ man habe dann denſelben eine Zeit-
lang in geringerem geprobirt. Dann eine
allzugeſchwinde Befoͤrderung und hohes
Gluͤck/ ſo gleichſam in einem Augenblick
kompt/ iſt gemeiniglich der Zweck des Neids/
und mißſaͤlt jederman. In Summa/ wir
ſehen/ daß die Leute/ welche einsmals auff
die hoͤchſte Ehrenſtaffel ſteigen/ ſo eyferſuͤch-
tige uͤber ihre Hoheit und Richter ihrer
Actionen und Worte finden/ als ſie Leute
unter ihnen haben.
XXXVIII.
Ein Fuͤrſt/ der ſich nichtirren will in Er-
wehlung ſeiner Bedienten und Raͤhte/ ſoll
mehr Achtung geben auff den guten Ver-
ſtand und Urtheil/ als auff die Lebhafftigkeit
des Geiſtes und das Feuer der Einbildung.
Die gute Meynung/ ſo ein ſubtiler hurtiger
Geiſt von ſich ſelber hat/ iſt der Klugheit
ſehr zu wider/ und dieſe Gattung Leute pfle-
gen in Irrthum zu fallen/ und blind zu wer-
den/ wegen des allzugroſſen Liechts/ ſo ſie zu
haben vermeynen. Die Kaltſinnigkeit/
H 5Ge-
[188[178]] Gedult und Maͤßigung ſind denjenigen
gaͤntzlich vonnoͤhten/ welche die Differenti-
en, die ſich unter den particular Perſohnen
eraͤugen/ ſchlichten ſollen/ und die viel Leute
zu vergnuͤgen haben: Dieſes dienet ihnen
nicht nur die Muͤhe/ ſo ihrem Ampt unzer-
trenlich anhengt/ zu lindern/ ſondern auch
ſich von tauſenderley Ungeſtuͤmigkeiten zu
entledigen. Wann man ſich aber zu einer
dieſer Extremitaͤten begeben muͤſte/ nemlich
zu dem eylen/ oder daß man ſich nicht reſol-
viren koͤnne/ ſo wolte ich lieber ein um etwas
geſchwinde Reſolution erwehlen/ als in ei-
ner gewiſſen Langſamkeit/ welche nichts
außmacht/ verbleiben. Wann man einen
Raht geben muß/ ſo muß man mehr auf die
Klugheit ſehen/ und auf dasjenige/ was ſich
geziemet zu thun/ als auff das Gluͤck und
den Fortgang/ den man haben kan. In
Warheit/ ein Mann kan ſagen/ was man
weißlich thun ſoll/ er kan nach dem Licht ſei-
nes Geiſtes und ſeiner Erfahrenheit/ die
Anſchlaͤge und das Vorhaben des Koͤnigs
reguliren, aber wegen des Fortgans oder
das Ende kan er wenig oder nichts ſprechen/
dann es iſt keine Menſchliche Weißheit/
welche ſich ſo weit erſtrecket.
XXXIX.
[189[179]]
XXXIX.
Die Geſetze ſind auff die Vernunfft ge-
gruͤndet/ aber die Richter ſollen ſich nach
dem Geſetz richten. Das heiſt klaͤrlich wi-
der die Klugheit ſuͤndigen/ wann man das
kauffen und verkauffen der gemeinen Aem-
pter billichet. Man ſolte auch den Obrig-
keiten nicht zulaſſen/ ſich von dem Einkom-
men ihres Amptes zu unterhalten/ ſondern
ihnen eine genugſame Beſtallung geben/
daß ſie ſich ehrlich und reputirlich außbrin-
gen moͤgen/ und nichts andeꝛs annehmen/ es
ſey was es wolle. Eine jede Obrigkeit ſoll ſich
erinnern/ daß im Anfang die erſte Authori-
taͤt ſehr groß ſcheinet/ aber in der Folge der
Zeit erſcheinet die allergroͤſſeſte nur mittel-
maͤßig/ und man ſiehet nur allzuviel/ daß die-
jenige/ welche/ ehe ſie zu den Aemptern ge-
langet/ fromme Leute und freundlich/ hoͤfflich
und ehrbar geweſen/ ihre Natur hernach
gantz veraͤndern. In Summa/ es iſt ein
Ding/ welches wunderbarlich bey uns
waͤchſt/ ob wir ſchon nicht daran gedencken:
nehmlich die Begierde zu herrſchen/ und
uns unempfindlicher Weiſe uͤber andere zu
erheben. Je mehr man Gehorſam und Un-
terthaͤnigkeit findet/ je mehr will man ſeine
H 6Au-
[190[180]]Authoritaͤt ausbreiten: Die Menſchen ge-
wehnen ſich alſo daran/ daß/ ſo bald man ſich
will befleißigen/ ihnen einen Widerſtand
zu thun/ ſie ſich alſo erzuͤrnen/ und nicht
leiden koͤnnen/ daß man ihrer Macht einen
Zaum anlege/ auf ſolche Weiſe ſetzet man
die Graͤntzen der Koͤnigreiche und Herr-
ſchafften ſo weit fort.
XL.
Drey Dinge helffen zur Vollkommen-
heit und Vortreflichkeit des Regiments:
und dieſes iſt die Abbildung/ die ich mir for-
mirt habe/ eine Herꝛſchafft zu regieren;
Die Regierung muß ein wenig eingezogen/
ernſthafftig und beſtaͤndig ſeyn. Ich ſage
ernſthafftig und nicht ſtreng/ ſintemahl man
durch die Ernſthafftigkeit und Gelindigkeit
dasjenige/ was man zu thun beſchloſſen/
vollziehen muß: dann dieſes ſind die allge-
meinen Mittel zu dem Ende/ welches man
ihm vorgenommen/ zugelangen. Ich ſage
eingezogen/ weil ein Fuͤrſt ſein Amt nicht
theilen/ noch ſeine Authoritaͤt einem andern
mittheilen/ ſondern dieſelbige gantz vor ſich
behalten ſoll. Ich ſage beſtaͤndig/ und die-
ſes beweiſet/ daß man nach den Geſetzen re-
gieren/ und nichts von den alten Gewonhei-
ten
[191[181]] ten nachlaſſen/ und keine Neurung in der
Herrſchafft leiden ſoll.
XLI.
Ein Fuͤrſt ſoll ſeiner Jugend nicht trauen/
ſonderlich/ wann er noch keine Erfahrung
hat/ und er ſich voll Feuers und einer leb-
hafftigen/ hurtigen und wachenden Natur
befindet. Alsdann muß er ſich befleißigen/
ſich einzuhalten/ und nichts thun ohne den
Raht der weiſſeſten und geſchickteſten ſeines
Koͤnigreichs. Er ſoll ſich mit nichten ſtuͤtzen
auf die Guͤtigkeit und Lebhafftigkeit ſeines
Geiſtes/ dann eben gleichwie ein gutes und
herrliches Land/ welches man nicht pfluͤget/
und darein eine Hand nicht ſaͤet/ nichts
bringet als Dornen und Unkraut: Alſo
verleſcht auch ein hohes Gemuͤth und hoher
Geiſt/ welchen man nicht erbauet und bey
Zeiten zu der Tugend und der Arbeit ge-
wehnet/ und verdunckelt ſich gaͤntzlich durch
das Laſter/ welches ihn leichtlich einnimt.
Die Klugheit wird nicht nur mit den Jah-
ren/ und durch einen langen Gebrauch der
Dinge erlanget/ ſondern das Studiren/
Betrachten und die Bemuͤhung macht/ daß
man dieſelbe vor der Zeit bekomt. Man
muß ſich nicht gaͤntzlich auf die Erfahrung
H 7ver-
[192[182]] verlaſſen/ wann man eine Herrſchafft wohl
regieren wil: Die Vernunfft muß auffs
wenigſte eben ſo viel Theil daran haben.
XLII.
Ein Oberherr ſoll alſo leben und handeln/
daß unter allen denjenigen/ welche die Ehre
haben/ zu ihm zu nahen/ keiner ſey/ der ſich
nicht verpflichtet befinde/ dasjenige/ was er
thun ſoll/ wohl auszurichten/ damit er ſeine
Gnade nicht verliere. Er muß diejenige
lieben/ welche tugendreich ſeyn/ und durch
ſeine kluge Lebens Leitung die Hertzen der
Menſchen gewinnen: Sein Hoff muß der
Tugend keine Steinklippe ſeyn/ und ein ie-
der ſoll an demſelben eine gaͤntzliche Frey-
heit haben/ die Treue/ ſo ein ieder GOtt/
als dem groͤſſeſten Koͤnige ſchuldig iſt.
Derowegen muß ein Fuͤrſt durch ſeine Re-
gier-Kunſt und durch ſeine Reden gegen
dem Volck den Frommen ein Hertz machen/
und denjenigen/ welche in ſeinen Dienſten
ſind/ eine ehrbare Freyheit laſſen/ daß ſie
ihm ſagen moͤgen/ was ſie gedencken/ und
die Warheit nicht verdecken. Er muß die
Schmeichler verwerffen/ den Libertinern
kein Gehoͤr geben/ ja ſich gegen denſelben
erſchrecklich erzeigen/ und allen boͤſen Leu-
ten/
[193[183]] ten/ was Standes ſie auch ſeyn/ uͤbel wollen.
Ich geſtehe/ daß ein Menſch nicht viel
werth iſt/ wann er die Tugend nur um ſei-
nes Nutzens halben liebet/ ſintemahl dieſelbe
liebens werth iſt in ihr ſelber/ und ihren
Preiß und Vortrefflichkeit in ſich begreifft:
Jedoch iſt einem Oberherrn nicht verboh-
ten/ ſich der Tugend zu befleiſſen/ und einige
Action der Gottesfurcht und Froͤmmigkeit
zu unterfangen/ damit er ſeinen Untertha-
nen zum Exempel diene: auffs allerwenig-
ſte muß er ſich huͤten/ daß er nicht gottloß
zu ſeyn ſcheine/ damit er nicht vielen Anlaß
gottloß zu werden/ und andern/ welche ſchon
in der Unordnung weit vertieffet ſeynd/ Ge-
legenheit gebe/ ſich zu ruͤhmen/ und um die
Bekehrung nicht mehr zu bekuͤmmern.
XLIII.
Die Geſetze unterhalten die Gerechtig-
keit/ aber die Aufrichtigkeit und das exem-
plariſche Leben des Allerhoͤchſten gibt der
Tugend ein Anſehen. Er wendet die Krafft
und Strengigkeit derſelben an/ die Krie-
gesleute in dem Gehorſam zu erhalten/ und
gibt der Tugend durch ſeine gute Actionen
einen Credit. Die Guͤtig- und Ernſthaff-
tigkeit zuſammen vereiniget machen/ daß
man
[194[184]] man die Geſetze genau in Obacht nimt/ als
die zu des Koͤnigsreichs beſten gegeben
worden. Die Gerechtigkeit und Billig-
keit/ von deren ſie begleitet werden/ ſind den
Frommen eine genugſame Urſache/ daß ſie
denſelben gaͤntzlich gehorchen/ und die
Strengheit/ die auf ſie folgt/ dienet die Up-
pigkeit zur Gebuͤhr zu bringen/ und derſel-
ben gottloſes Weſen einzuhalten. Es iſt ein
Unterſcheid zwiſchen ungehorſam ſeyn und
verachten. Die Verachtung betrifft den-
jenigen/ ſo das Geſetz gegeben/ der Unge-
horſam aber ſtreitet gerade wider die Be-
feſtigung des Geſetzes. Wer das Geſetz
heimlich uͤberſchreitet/ der beleidiget die
Reputation desjenigen nicht/ ſo daſſelbe
gegeben hat/ aber wer daſſelbe offentlich
verachtet/ der tractirt den Fuͤrſten oder
Geſetzgeber unbillicher als das Geſetz
ſelber.
XLIV.
Die Menge der Geſetze und Ordonan-
tien dienet zu nichts/ als dieſelbe zu veꝛſchrei-
en/ und zu machen/ daß man ſie deſto verſi-
cherter uͤberſchreite: Aber die Sorge die
man hat/ die Leute zu Beobachtung derſel-
ben anzuhalten/ hilfft dieſelbe in ihrer Krafft
zu
[195[185]] zu erhalten. Worzu dienen ſo viel verachte-
te oder gantz vegeſſene Geſetze. Man hat
nur eine kleine Anzahl Geſetze von noͤhten/
die Voͤlcker in der Schuldigkeit zu erhal-
ten/ aber man muß machen/ daß dieſelbe
wohl in acht genommen werden. Ein Ge-
ſetz/ das nicht mehr im Schwange gehet
und gehalten wird/ iſt/ die Warheit zu ſa-
gen/ ein ſehr ſchaͤdliches Exempel/ ein gemei-
nes Aergernuͤß/ und gibt vielen Leuten An-
laß/ allerley Boßheit zu begehen. Es iſt gut
dieſelbe bißweilen nach den Zeiten und Ge-
legenheiten zu veraͤndern/ wann das Geſetz
dem Verſtandes. Urtheil/ und der Klugheit
des Geſetzgebers nicht ſchimpfflich/ und an-
dern theils dem gemeinen Weſen nuͤtzlich
und vortheilhafftig iſt/ ſo muß man daſſelbe
nicht verſaͤumen/ noch zugeben/ daß es in Ab-
gang komme. Nicht die Vernunfft macht
das Geſetze/ ſondern die Noth und gezie-
mende Wohlſtaͤndigkeit. Man ſoll ſo viel
moͤglich verhindern/ daß die Gewonheit
nicht auffkomme/ denn wo ſie der Herr lei-
det/ und das Volck unempfindlicher Weiſe
auffnimpt/ ſo wird mit der Zeit ein Geſetz
darauß/ und verpflichtet ſo wohl als die an-
dere Verordnungen des Fuͤrſten. Es iſt
beſſer
[196[186]] beſſer ſehr wenig Geſetz haben/ und dieſelbe
wohl und ſtandhafftig halten/ alsderſelben
viel zu haben/ die nur ſelten in acht genom̃en
werden/ und die man entwedeꝛ aus Verach-
tung oder aus Vergeſſenheit uͤberſchreitet:
Dann weil ſolche Gattungen deꝛ Geſetze faſt
alle Tage ſich aͤndern/ ſo verwirren ſie eine
Herrſchafft/ und dienen dem Volck zu einer
Urſache des murrens und ſchreyens. In
Summa/ du wirſt mir geſtehen/ daß das
heiſt in eine ſehr beſchwerliche Dienſtbarkeit
gebracht zu ſeyn/ wann man keinen Schritt
thun kan/ man ſtehe dañ in Gefahr zu fallen/
und wañ man nicht das geringſte unterfan-
gen darff/ da man nicht alſobald ein Geſetz
findet/ welches das Gegentheil verbietet.
Daher kompt es/ daß wo viel Geſetze ſind/
auch groſſe Fehler ſeynd/ und kan man den-
ſelben nicht helffen/ als wann man den mei-
ſten theil der Geſetze/ Edicten, und Verord-
nungen/ die man ohne Nohtdurfft gegeben
und vermehret/ wieder abſchafft.
XLV.
Diejenigen/ welche ſo kuͤhn ſind/ daß ſie
am erſten ein Geſetz uͤbertretten/ ſollen mit
groͤſſerm Ernſt gezuͤchtiget werden/ als die
andern/ welche ihrem boͤſen Exempel gefol-
get.
[197[187]] get. Die Urſache iſt/ weil die erſten ohne
Exempel ſuͤndigen/ alſo daß ſie keine End-
ſchuldigung oder Vorwand haben/ und eine
groſſe Aergerniß verurſachen.
XLVI.
Die Koͤnige ſind ſchuldig/ die buͤrgerliche
Geſetze/ die ſie um des Landes beſten willen
gegeben/ ſelber zu halten: Dann ob ſie ihnen
ſchon keinen Gehorſam ſchuldig ſind/ ſo koͤn-
nen ſie doch denſelben GOtt/ welcher der
hoͤchſte iſt/ oder dem natuͤrlichen Geſetz/ wel-
ches will/ daß das Haupt mit den andern
Gliedern des Leibes in einer vollkommenen
Vereinigung ſtehe/ und daß das Haupt
und der Herr des Volcks nicht ſelber ver-
dammen/ was er andern befiehlet gut zu heiſ-
ſen/ und anzunehmen als ein Ding/ welches
der Vernunfft gar gemaͤß iſt. Zwar die
Koͤnige ſind der Straffe und Zuͤchtigung
nicht unterworffen/ ob ſie ſich ſchon in der
That ſchuldig befinden/ wann ſie an der
Beobachtung der Geſetze ermangeln: Sie
ſind nicht verpflichtet/ denjenigen/ ſo unter
ihnen ſind/ Rechenſchafft zu geben/ aber ſie
koͤnnen ſich auch erwehren/ daß ſie nicht von
ihrem HErrn und oberſten Geſetzgeber/
welcher GOTT iſt/ examiniret werden.
Der-
[198[188]] Derſelbe wird ſie mit einer unvergaͤngli-
chen Strengheit ſtraffen/ wann Er ſie einer
groͤſſern Miſſethat ſchuldig befindet/ wenn
ſie vor ſeinen Richterſtuhl erſcheinen wer-
den.
XLVII.
Ein Fuͤrſt muß nicht leiden/ daß die Ge-
wonheiten in ſeinem Lande auffkommen/ und
einen feſten Fuß ſetzen: Dann uͤber das/ daß
ſie die Macht der Geſetze an ſich nehmen/
wann man ſie duldet: So iſt auch dieſes
noch insbeſondere zubetrachten/ daß es viel
leichter iſt/ das geſchriebene Geſetz abzuthun/
als eine Gewonheit abzuſchaffen. Jenes
wird ohne Muͤhe wiederruffen/ und iſt nur
ein Blat Papier von noͤhten/ damit zum
Ende zu kommen; aber man leſcht eine Ge-
wonheit/ welche das Volck angenommen/
und die es ſeither vielen Jahren gehabt/ viel
ſchwerlicher aus: Es gehoͤret viel Zeit/ Kunſt
und Gedult dazu.
XLVIII.
Die beſte Regel/ welche man einen groſ-
ſen Herrn geben kan/ ſein Land gluͤck- und
friedlich zu regieren/ iſt/ daß man ihm rahte/
daß er allezeit wohl lebe undſonderlich dieje-
nigen liebe/ welche der Tugend ergeben ſind.
Sei-
[199[189]] Seine Lebens-Leitung iſt das Bildnuͤß des
Lebens aller ſeiner Unterthanen. Man
wird ſich in dem gantzen Lande verhalten/
nach dem er lebt: Was vor ein Ubel waͤre
das/ wann man die Qvelle und den Brun-
nen/ welcher allen gemein iſt/ vergifften wol-
te? Derowegen ſoll ein Fuͤrſt ſehr fleisſig be-
trachten/ ſo wohl wegen ſeiner/ als auch we-
gen ſeiner Unterthanen/ daß er andere lehrt
uͤbels thun/ wann er auffhoͤret zu leben/ wie
es ſeine Schuldigkeit erfodert. Der Muͤſ-
ſiggang iſt eine Kunſt/ die nichts anders
lehrt als Ubels thun.
XLIX.
Es wird eher geſchehen/ daß die Natur
an ihrer Schuldigkeit fehle/ als daß die Voͤl-
cker den Actionen des Fuͤrſten/ der ſie regie-
ret/ nicht nachfolgen ſolten. Derowegen
muß er ſich befleiſſen/ daß er nichts boͤſes
thue: Seine Actionen ſollen zugleich eine
Verwunderung und Furcht erwecken.
Und ob er ſchon ohne Geſetz und Furcht lebt/
ſo ſoll er doch gedencken/ daß er ſelbſt ein le-
bendiges Geſetz iſt: Und gleich wie die
Straff-Geſetze einen Schrecken erwecken/
und diejenige welche das gute Regiment
und die Policey betreffen/ weiß nicht was
vor
[200[190]] vor eine Verwunderung in das Gemuͤth
des gemeinen Manns eindruͤcken: Alſo
verdammen auch die Actionen des Ober-
herrn/ wann ſie nach der Vernunfft gerich-
tet ſind/ und durch ein Principium der Tu-
gend geſchehen/ die Unordnung und das
boͤſe Leben der Unterthanen hoͤchlich und
kraͤfftig/ und ſetzen alle diejenige/ die ihre
Lebens-Leitung in acht nehmen/ und dieſe
glaͤntzende Ebenbilder und lebendige Co-
peyen der Gottheit ernſtlich anſehen/ in
groſſe Verwunderung.
L.
Ein guter und tugendſamer Fuͤrſt/ wie
Plutarchus ſagt/ iſt ein lebendiges Bildnuͤß
Gottes/ welches/ wie iedermann bekennet/
gut/ allmaͤchtig und allweiſe iſt. Die Guͤ-
tigkeit eines Oberherrn giebt ihm ein/ allen
ſeinen Unterthanen gutes zu thun/ und die
Weißheit/ damit er erfuͤllet iſt/ macht/ daß
er ſich nimmermehr irret: Die Macht iſt
ihm eine groſſe Huͤlffe/ ſeine Anſchlaͤge und
Vorhaben ins Werck zu ſetzen. Aber von
einem laſterhafften und unregulirten Fuͤr-
ſten muß man gantz anders ſagen/ er iſt das
Bildnuͤß des Teuffels/ welcher ſich ſeiner
bedienet als eines Werckzeugs/ alles Unheil
in
[201[191]] in der Welt anzuſtifften. Ja ſo bald er
ſich erklaͤret hat als einen Feind der Tu-
gend/ ſo wendet er ſeine Macht an/ ſeine Un-
terthanen zu plagen: Dann die oberſte
Authoritaͤt/ dabey die Guͤtigkeit nicht iſt/
ſchlaͤgt in eine Grauſamkeit und Tyranney
aus/ und alsdann/ wann ſie nicht von der
Klugheit unterhalten wird/ ſo iſt ſie nichts
anders/ als eine leidige Qvelle alles Ubels
und Unheils/ ſo ſich auf die Unterthanen er-
gieſſet/ und bißweilen die gantze Herrſchafft
uͤberſchwemmet.
LI.
Ein Fuͤrſt ſoll ſein Wort eben ſo heilig
halten/ als er eifferig iſt ſeine Wuͤrdigkeit
und den Nutzen ſeines Landes zu befodern.
Man hat alles verlohren/ wann man ſei-
nen Credit verlohren hat/ welcher bey nahe
iſt/ wie die Seele/ welche nicht wieder in den
Leib kommet/ aus welchen ſie gegangen iſt:
Er muß ihm die Religion nicht dienen laſ-
ſen/ ſeine Herrſchafft zu erweitern/ noch ſein
Wort treulich halten/ weil es ſeinen Nutzen
betrifft/ dann wann man mercket/ daß er in
allen beyden nur um dieſer Urſache willen
handelt/ ſo wird er alle gute Meynung/ ſo
man von ihm gehabt/ fallen laſſen/ und wird
er
[202[192]] er nimmermehr von den Voͤlckern alſo ge-
ehret werden/ was vor Kunſt er auch ge-
brauchet/ damit zum Ende zu gelangen.
LII.
Die Koͤnige ſollen ſich nicht uͤbereylen
mit verſprechen/ aber was ſie verſprochen/
ſollen ſie ohne Auffſchub und Verzug halten.
Man muß nicht meꝛcken laſſen/ daß ein groſ-
ſer Herr ſein Wort nicht gern halte/ und es
muß keine lange Zeit ſeyn zwiſchen der Ver-
heiſſung und Vollziehung: Man hat es ſol-
len zuvor ſehen/ ehe man ſich verpflichtet:
Man kan ſagen/ daß ein heimlicher Accord
und Tractat zwiſchen dem Herrn und den
Unterthanen ſey; Und daß die Verheiſſun-
gen dem Herrn dienen/ ſich von der Pflicht
die auff ſie liegt/ zu endledigen/ und die Unter-
thanen des Guten/ ſo ſie erwarteten/ genieſ-
ſen zu laſſen: aber ſie muͤſſen Achtung geben/
daß ſie nur denjenigen gutes thun/ die deſſen
werth ſind/ oder die uͤber das gemeine Volck
verſtaͤndig und getꝛeu ſeynd/ damit er ſie auff
ſolche Weiſe verpflichte dem Staat nuͤtzlich
zu dienen/ und nimmermehr eine Reu tra-
gen muͤſſe/ wann er ihnen etwas verſpro-
chen hat.
Der
[203[193]]
LIII.
Der Fuͤrſt muß gedencken/ daß er ver-
pflichtet ſey/ den Dingen/ die man von ihm
ſagt/ Glauben zuzuſtellen/ und daß es ihm
viel dran gelegen/ daß andeꝛe ihm auch glau-
ben. Was das erſte anbelangt/ ſo muß er
nicht ſo hartſinnig ſeyn/ daß er niemand
glauben wolte/ er wuͤrde ſeiner Wuͤrdigkeit
unrecht thun/ wann er davor hielte vaß un-
ter ſeinen Unterthanen einer waͤre/ der ihn
zu betriegen begehrt. Ge wißlich,es iſt kei-
ne Straffe zu ſchwer vor einen ſolchen Men-
ſchen/ der ſeinem Koͤnig luͤgen darff; und
wann jemand in dieſen Fehler fiele/ ſo wuͤr-
de er die allerſchaͤrffeſte Straffe verdienen/
und ſolte man ein erſchreckliches Exempel an
einem ſolchen ſtatuiren, daß die Gedaͤcht-
nuͤß deſſelben ewig behalten werde. Wañ
man es nicht alſo macht/ ſo wird man in den
Hoͤfen und Pallaͤſten groſer Monarchen
nichtes als Betrug/ Verdeckungen/ heim-
lich murmeln/ und falſches Anbringen ſehen/
welche Sachen aus dem Ehrgeitz/ Neid
und Schmeicheley erwachſen. Zum zwey-
ten/ ſo muß er ſo genau und gottesfuͤrchtig
ſeyn/ und ſein Wort alſo halten/ daß er ſei-
nem Verſprechen ein Genuͤgen thue/ damit
Jjeder-
[204[194]] jederman uͤberzeugt bleibe/ das Verſprechen
ins Werck ſetzen/ Sagen und Thun/ bey
ihm nichts anders iſt als Ding.
LIV.
Die Warheit iſt ſo maͤchtig/ und hat ei-
ne ſolche Krafft/ daß man ſie nicht kan
ſchwaͤchen/ hergegen die Liſt und Bede-
ckung/ mit deren die Luͤgen ſich verbergen
will/ kan nicht verhindern/ daß dieſelbe
nicht in tauſenderley Beſchwerlichkeiten
falle. Man ſagt gemeiniglich/ daß ein Mañ/
der nicht diſſimuliren kan/ auch des Regi-
ments nicht faͤhig iſt: aber gewiß iſt es/ daß
derjenige/ welcher geneigt iſt zu Luͤgen/ und
der die Warheit gern verdeckt/ nicht werth
iſt/ daß er uͤber andere herrſche. Ich be-
kenne/ daß ein Oberherr nicht gar weißlich
thaͤte/ wann er ſeine Gedancken entdeckte/
und ſein Vorhaben/ Anſchlaͤge und
Staats-Geheimnuͤſſe/ ſolchen Leuten/ die
er nur obenhin kennet/ und die nicht von
ſeinem Rahte ſind/ offenbahret: Aber es
iſt ihnen nimmermehr erlaubet zu liegen/
noch ſich in einigen Betrugs oder falſchen
Scheins zu bedienen/ dañ dadurch ſchwaͤcht
er ſeine Authoritaͤt/ befleckt den Glantz ſei-
ner Majeſtaͤt/ truckt ſeine Hoheit nieder/
und
[205[195]] und bezeuget nur allzuſichtbahr/ daß er kein
Hertz und keine Erfahrung hat.
LV.
Die Freygebigkeit giebet der Koͤnig-
lichen Majeſtaͤt nicht nur einen Glantz/ ſon-
dern ſie bringet ihm auch Nutzen und einen
ſehr groſſen Gewinn. Und warum ſolte
er nicht einen groͤſſeꝛn Nutzen davon haben/
als ſeine Unterthanen? Derowegen ſo iſt
es ihm ruͤhmlich und zugleich nuͤtzlich/ daß
er ſeinem Volck gutes thut: er gewinnet
durch die Schaͤtze/ ſo er außgießt/ das Hertz
derjenigen/ welche ihm unterthaͤnig ſind/
und kan von ihnen groſſen Dienſt zur Zeit
der Noth verhoffen. Bißweilen gewin-
net er tauſend/ wann er einem eine Gnade
laͤſt wiederfahren/ dann jene verhoffen mit
der Zeit ein gleiches Gluͤck. Derowegen
ſoll er mit Freuden geben/ und es ihm vor
eine Ehre halten/ freygebig und bedacht zu
ſeyn/ die Leute/ ſo es wehrt ſind/ zu beloh-
nen. Die Belohnungen ehren diejenige/
welche ſie empfangen/ ſonderlich diejenige/
die in den Armeen dienen/ und die Gelehr-
ten. Es iſt gut/ daß die gantze Welt um
die Wolthaten des Fuͤrſten/ ſo er gelahrten
Leuten thut/ wiſſe/ aber gut iſt/ dasjenige in
J 2ge-
[206[196]] geheim zu halten/ welches nicht ſo wohl eine
Belohnung als eine Gnade gegen die Ar-
men und Elenden iſt. Er ſoll ihm eine Luſt
machen/ ſeinen Unterthanen guts zu thun
und ſie zu bereichern/ und nicht darauf ſe-
hen/ daß er deßwegen hoͤher geachtet werd/
wann man gewiß weiß/ daß er ſo gut und
großmuͤthig iſt. Ja er ſol mehr befuͤrch-
ten/ er gebe denjenigen/ die nur eine gerin-
ge Belohnung verdienet haben/ zu viel
gebe. Er ſoll nicht unterlaſſen ſreygebig
zu ſeyn gegen den Frommen/ und die es ver-
dienet haben/ ob ſchon in einer ſo groſſen
Anzahl bißweilen einer gefunden wird/ der
es nicht ſo wol verdienet hat. Es iſt beſſer/
daß man den Boͤſen gutes thue/ in Betrach-
tung der Frommen/ als daß man dieſen
nichts gutes thut wegen jener. Im uͤbri-
gen/ gleich wie er nicht gegen allen ſoll frey-
gebig ſeyn/ alſo ſoll er auch nicht allzu einge-
zogen ſeyn gegen gewiſſe Perſohnen/ und
er muß gedencken/ daß er alles empfange/
was er denjenigen gibt/ die dem Staat ge-
dienet haben/ und vortrefliche und recht-
ſchaffene Leute ſind. Er verpflichtet ſein
gantzes Koͤnigreich/ wann er einem tugend-
hafften/ gelehrten oder ſonſt wolverdienten
Mann guts thut.
LVI.
[207[197]]
LVI.
Wann man belohnen will/ ſo muß man
vor allen Dingen acht haben auff den
Dienſt der Leute/ und ihnen recht thun/ dann
nicht alle Leute ſind der Belohnung werth/
ſondern nur diejenige/ die man derſelben
werth mit Verſtand erachtet. Der Ehr-
geitz ſoll nicht an ſtatt eines Verdienſtes
ſeyn/ noch die Prætenſionen vor einen wuͤrck-
lichen Dienſt geachtet werden. Der Kaͤyſer
Theodoſius und Valentianus haben allezeit/
wann ſie jemand zu Aemptern befoͤrdert/ in
ihren Befehlen Meldung gethan/ warum
ſie dieſelbe zu ſolchen Ehren erhaben/ und
wolten alſo/ daß jederman wiſſen ſolte/ daß
diejenigen Leute/ die ſie erwehlet ſolche
Aempter zu fuͤhren/ einiges Recht darzu
haͤtten/ weil der Staat ohne ihre abſonder-
liche Verdienſte/ auch groſſen Dienſt von
ihnen genoſſen. Wer anders verfaͤhret/
der eignet ihm eine ſolche Macht zu/ die ihm
nicht gebuͤhret: Und wann man ſich bemuͤ-
hen will/ ein Decret, welches eben dieſe Kaͤy-
ſer außgehen laſſen/ zu examiniren, ſo wird
man unfehlbarlich ſehen/ wann man den
Verſtand der Worte recht in acht nimpt/
daß es denen Oberherrn nicht erlaubet ſey/
J 3nach
[208[198]] nach ihrem Gefallen die Aempter außzuthei-
len/ dann das Geſetz ſagt außdruͤcklich/ daß
in Anſehung der Dignitaͤten und Beloh-
nungen eine Obligation ſey/ die ſich auff die
Gerechtigkeit/ deren die Fuͤrſten in ſolcher
Begebenheit ein Genuͤgen leiſten ſollen/ und
daß ſie nur als Ausleger ſind/ und erklaͤren/
wem die Ehre gebuͤhre/ und wer derjenige
ſey/ welchen man belohnen ſoll. Oder wann
du wilt/ ſo iſt der Fuͤrſt in ſolcher Gelegen-
heit ein getreuer Diener/ welcher das Gut/
ſo ihm anvertrauet iſt/ weißlich außtheilet.
LVII.
Wann die Aempter und Dignitaͤten an
ſtatt einer Belohnung ſeyn ſollen/ ſo muß
man 2 Dinge betrachten. Erſtlich daß
man dem Verdienſt ſein Recht muß wie-
derfahren laſſen/ zum andern/ daß man die-
ſem Ampt einen Meiſter geben ſoll. Dem
Verdienſt der Leute ein Genuͤgen zu thun/
iſt eine Schuldigkeit/ dem Ampt und der
Dignitaͤt einen Meiſter zu geben/ iſt eine
groſſe Verpflichtung/ weil die Belohnung
der Dienſte nur die privat Perſohn betrifft:
Aber einem ein Ampt anvertrauen/ iſt ein
Ding/ daran dem gemeinen Weſen gele-
gen iſt.
Ge-
[209[199]]
LVIII.
Geben nur umb des gebens willen/ iſt ein
Kennzeichen der Freygebigkeit/ und es ſte-
het ſchoͤn zu ſehen/ daß ein Koͤnig alſo verfah-
re/ aber es ihm noch viel ruͤhmlicher aus Be-
lohnung zu geben/ als auch Luſt ihm einen
verpflicht zu machen. Ich glaube nicht/ daß
man hieruͤber ein rarers Exempel finde/ als
daſſelbige/ welches derjenige Hiſtoricus,
der des groſſen Alexandri Leben beſchrie-
ben/ beygebracht. Er ſagt/ der ungluͤckliche
Monarch Darius habe/ als er anitzo ſterben
wollen/ den Verluſt ſeines Reichs/ oder die
Gefaͤngnuͤß ſeines Weibs und Kinder nicht
beweinet: Aber das habe ihm ſchmertzlich
wehe gethan/ und er habe es unter ſein aͤuſ-
ſerſtes Ungluͤck gerechnet/ daß er nicht Mit-
tel hatte/ den Poliſtratem, welcher ihm/ da
er erſchrecklichen Durſt gelitten/ friſch
Waſſer gebracht/ zu belohnen.
LIX.
Es ſtehet einem Fuͤrſten ſehr wohl an/ daß
er ſeinen Unterthanen die Freyheit laſſe/ daß
ſie ſich getroſt in ihren Noͤhten zu ihm verfuͤ-
gen moͤgen/ und ich halte davor/ es ſey ihm
gantz ruͤhmlich/ wann er in ihrem Gemuͤth
vor freygebig/ ſanfftmuͤthig und freundlich
J 4ge-
[210[200]] gehalten wird. Er ſoll ſich nicht viel be-
kuͤmmern/ ob man ihm vor das gute/ ſo er er-
weiſt/ Danck ſage. Es iſt dem Koͤnige An-
tigono ſehr ſchimpflich ausgelegt worden/
daß er das wenige/ ſo man von ihm ſo frey-
muͤthig begehret/ abgeſchlagen: Dann als
ihn der beruͤhmte Cynicus gebehten/ er wol-
te ihm einen Talent verehren/ befand er ſei-
ne Bitte vor allzu groß/ nahm ein ſtuͤck Gel-
des/ und wieſe es ihm/ ſagte aber/ dieſes Ge-
ſchenck waͤre nicht groß genug vor einen Koͤ-
nig. Seneca ſchreyet ſehr daruͤber/ und ta-
delt den Antigonum hefftig: ſiehe/ alſo ge-
het er mit ihm um: O ungeziemende Subtili-
taͤt! O welch eine Niederlage/ die einem
Koͤniglichen Gemuͤht nicht wol anſtehet;
du haſt die Entſchuldigung gefunden/ da-
mit du nichts geben duͤrffeſt. Du verſageſt
den Talent dem Cynico, und ſagſt/ er ſey
deſſen nicht werth: du giebeſt ihm auch das
ſtuͤcke Geldes nicht/ weil es/ wie du ſageſt/
gar zu wenig iſt vor die Macht und Maje-
ſtaͤt eines Koͤnigs. Du haͤtteſt den Talent
ſollen geben/ als ein Koͤnig/ und das ſtuͤcke
Geldes noch darzu wegen der Armuth des
Cynici.
LX.
[211[201]]
LX.
Ich! ſetze die Ehre und den Ruhm eines
Koͤnigs nicht darinn/ daß er beſchwerliche
und gefaͤhrliche Sachen vornimt/ ſondern
darin/ wann er ſchoͤne Actionen begehet/
und ſonderlich/ wann er mit demjenigen/
was er angefangen/ zu Ende kompt. Dañ/
in Summa/ es ihm eine groͤſſere Schmach/
wañ er von ſeinem Voꝛhaben ablaſſen muß/
als er Ehre gehabt hat/ daſſelbe vorzuneh-
men. Damit er nun nicht in eine ſolche ver-
drießliche Extremitaͤt gerathe/ ſo ſol er die
Mittel mehr erforſchen als das Ende.
LXI.
Das Gluͤck und die Wohlfahrt der Koͤ-
nigreiche wird durch den Frieden erhalten
und vermehret/ wann er von langer Waͤh-
rung iſt. Man muß denſelben allezeit dem
Krieg/ dem Ruhm und allen andern Vor-
theil/ den man ihm einbilden kan/ vorziehen.
Ein Fuͤrſt ſoll ihm dieſe Grund-Regel/ wel-
che mich allezeit ſehr gerecht und Ver-
nunfftmaͤßig geduͤncket hat/ daß nemlich
der Friede und die Einigkeit machen/ daß
aus den geringen und kleinen Dingen groſ-
ſe werden: Da hergegen der Krieg und die
Uneinigkeit auch das edelſte und erhaben-
ſte
[212[202]] ſte darnieder ſchlagen/ wohl zu Hertzen faſ-
ſen. Dieſer Spruch gefiel dem Koͤnig A-
grippa ſo wohl/ daß man ihn gar offt den-
ſelben hat hoͤren wiederholen/ er hat ihm
gedienet/ daß er gluͤcklich regiert hat/ und
von allen Menſchen iſt geliebt worden.
Ein weiſer Koͤnig ſoll andere Krieg fuͤhren
laſſen/ und ſeines theils alle moͤgligſte Mit-
tel ſuchen/ ſein Land und Herrſchafften in
Friede und Ruh zu erhalten/ und hierin ſoll
er ſich befleiſſen/ alle andere Monarchen zu
uͤberwinden. Er laſſe andere in Unord-
nung und Verwirrung leben und verſchaf-
fe/ daß ſeiner ſeits nichts ſey/ als Friede und
Eynigkeit: Er ſoll allezeit mit den Leuten
in gutem Verſtaͤndniß ſtehen/ und mit den
Laſtern einen grauſamen Krieg fuͤhren.
LXII.
Der Frieden ſoll aus der Begierde und
der Krieg nur aus der Nothwendigkeit er-
wachſen: dann man ſoll nicht Frieden ma-
chen/ damit man nachmals Krieg fuͤhren
koͤnne: ſondern man fuͤhret eine zeitlang
Krieg/ weil es gemeiniglich ein herlich Mit-
tel iſt/ einen dauerhafften Frieden zu erlan-
gen: Ein Fuͤrſt muß ſich erinnern/ daß/ weil
er ein Fuͤrſt iſt/ er ſein Wort unzerbruͤchlich
hal-
[213[203]] halten ſoll/ wie gluͤcklich auch ſein Fortgang
ſey: gewißlich er wuͤrde der groſſe und her-
lichen Qvalitaͤt/ damit er bekleidet iſt/ un-
recht thun/ wann er nur vom Frieden als-
dann wolte reden hoͤren/ wann ihm ein all-
gemeiner Abfall zu beſorgen iſt/ oder er ſon-
ſten einen beſchwerlichen Zufall vor Augen
ſiehet. Der Friede/ ſo zwiſchen Chriſtl. Fuͤr-
ſten geſchloſſen iſt/ ſol um eines jeden Laͤr-
mens und Unruhe willen gebrochen werden.
Der Krieg/ welcher am aller vortheilhaff-
tigſten zu ſeyn ſcheinet/ und den man ihm
einbildet/ daß er gar nuͤtzlich ſeyn ſoll/ wird
allezeit von vielem Ungluͤck begleitet/ es ko-
ſtet vielen das Leben/ das Feld wird gantz
verwuͤſtet/ die Handthierung ſteckt ſich/ der
Soldat begehet allerley Boßheit/ das
Volck wird noch mehr als ſonſt gedraͤnget:
dann in ſolcher Zeit vermehret man die
Contributionen und Aufflagen/ derowegen
muß man den Krieg ſo viel moͤglich iſt mei-
den/ und denſelben niemals ankuͤndigen/
als wann man es wol bedacht/ weil in die-
ſem Fall die Parthey auch Richter iſt.
LXIII.
Man gewinnet viel dabey/ wann man
lang rathſchlaͤgt/ was am beſten oder nuͤtz-
J 6lich-
[214[204]] lichſten ſeyn mag. Man muß ihm wohl
Zeit nehmen ſich zu ruͤſten/ daß man einen
Krieg wol zu Ende fuͤhren moͤge. Man
ſiehet nicht leicht/ daß groſſe Sachen wol
von ſtatten gehen/ wann man ſie ohne Be-
trachtung angefangen/ und dem Fortgang
nur dem Gluͤck uͤberlaͤſt. Der rechte Weg/
daß man von dem Ungluͤck nicht unter-
druͤckt werde/ iſt/ daß man ſich vor demſel-
ben ſehr fuͤrchte. Nichts iſt ungewiſſer
als das Wagen/ nichts iſt unbeſtaͤndiger
als das Gluͤck/ auch alsdann/ wann es
ſcheinet/ als wolte es uns ſchmeicheln: aber
die Klugheit und der gute Rath betrieget
niemand.
LXIV.
Silber und Gold kommen leichtlich mit
allen Sachen zum Ende: Aber das Eiſen
und Feuer verzehren alles und richten alles
zu grunde. Es iſt beſſer/ daß man die
Victorien mit viel Geld als mit Bluth ver-
kauffe: dieſer Urſach halber ſollen die Koͤ-
nige Schaͤtze ſam̃len/ und die Zerſtreuung
ihrer Schaͤtze verhindern. Dieſe Sorge
ſtehet ihnen gar wohl an/ und wer es alſo
macht/ wird von verſtaͤndigen Leuten nie-
mals getadelt werden/ und wird man nicht
Ur-
[215[205]] Urſach haben ihn anzuklagen/ als wann er
das Geld allzuſehr liebet. Es iſt ein Un-
terſcheid zwiſchen einem Fuͤrſten/ der vor
ſeine Herrſchafft weißliche Verſehung thut/
und einem ſolchen/ der nur Schaͤtze ſam̃let/
damit er ſeinen Geitz ſaͤttigen moͤge. Der
Geitz iſt ein groſſer Fehler und ein ſchaͤnd-
licher Flecken/ man muß ihn verfluchen
allenthalben/ da er ſich eraͤuget: aber die
Vorſehung iſt gaͤntzlich von noͤthen/ es iſt
eine herrliche Qualitaͤt/ die groſſen Lobs
wuͤrdig iſt. Derowegen ermahne ich ei-
nen Fuͤrſten/ daß er ſich aller ehrlichen/
rechtmaͤßigen und guten Mitteln bediene/
ſich zu bereichern/ ſeine Macht zu vermeh-
ren/ ſeine Veſtungen zu ſtaͤrcken/ viel Sol-
daten zu unterhalten/ und alſo ſein Koͤnig-
reich in guten Flor zu ſetzen. Eines von
den beſten Mitteln ſich reich zu machen/ iſt/
daß man nicht ſo viel auff Gaſtereyen/ Co-
moͤdien/ Spielen und dergleichen wende/
daß man nicht ſo praͤchtig ſey mit Hauß-
rath/ nicht ſo koͤſtlich in Kleidern/ keine ſo
koſtbahre Pallaͤſte bauen laſſe/ und viel
andere Gelegenheiten mehr/ darinn man
ſein Geld unnuͤtzlich verzehret/ vermeide.
Die Politic hat einen groſſen Nutzen in
J 7die-
[216[206]] dieſen Faͤllen/ und dienet/ tauſenderley be-
ſchwerlichen Zufaͤllen/ ſo aus der Ver-
ſchwendung erwachſen/ vorzukommen.
LXV.
Der beſte Gebrauch der oberſten Macht
und Authoritaͤt beſtehet darinn/ daß man
derſelben gar maͤßig gebrauche. Wann
man ihr ihren gantzen Umkreiß laſſen will/
ſo faͤllt man allezeit in einen Exces, Miß-
brauch und Unordnung/ abſonderlich in
neuen Aufflagen. Ich weiß wohl/ daß
des Fuͤrſten Recht iſt/ daſſelbe ohne Be-
willigung des Volcks zu fodern/ und aufzu-
legen: aber die Warheit zu ſagen/ es waͤre
etwas unregulirtes in ſeinem verfahren/
wann er ſeines Rechten auf eine gar zu
hohe Manier und ohne vorhergehende Er-
forſchung/ was er vernunfftmaͤßig von ſei-
nen Unterthanen fodern koͤnne/ gebrauchen
will: zwar weil es dem Oberherrn erlau-
bet iſt/ die Nothdurfft ſeines Staats und
Hauſes vorzuſtellen/ ſo ſcheint es um eben
dieſer Urſache willen/ daß es den Untertha-
nen ſoll erlaubet ſeyn/ zu ſehen/ was ſie ver-
moͤgen und dem Fuͤrſten geben koͤnnen.
Man muß nicht etlichen die Aufflagen oder
ſolche Aemter/ daran dem gemeinen We-
ſen
[217[207]] ſen gelegen/ und was andere tragen muͤſſen/
nachlaſſen/ ſondern es iſt beſſer/ daß man
eine groſſe Anzahl Leute in den gewoͤhn-
lichen Aufflagen begreiffe/ als daß man ſich
nur an etliche Leute halte/ und eine groſſe
Summa Geld von ihnen erpreſſe: Frey
von Aufflagen und Subſidien-Geldern zu
reden/ ſo ſind die geringſte und die am we-
nigſten geſchehen/ die beſten: und wann
man in der That benoͤthigt iſt/ ſo muß man
alles verſuchen/ ehe man auf dieſe Extremi-
taͤt kom̃t/ und ſoll man ſich derſelben nicht
ohne groſſe Vorhut bedienen.
LXVI.
Man ſoll nimmermehr einen Feind ver-
achten/ er mag ſeyn wer er will/ noch eine
gute Gelegenheit vorbey gehen laſſen. Die
Ubereilung und Verachtung eines andern/
und die groſſe Zuverſicht/ ſo man auf ſich
ſelbſt ſetzet/ ſind Qvellen alles Ungluͤck und
Ubels/ welches man ſo offt ſich begeben ſie-
het. Man kennet ſeinen Stand nicht gar
wohl/ wann man meint/ man ſey gar wohl
verſichert in dem Zuſtand/ darinn man iſt.
Ich halte davor/ daß es im Kriege nicht ſo
empfindlich iſt/ wann man durch Gewalt
groſſen Schaden leidet/ als wann man
durch
[218[208]] durch die Geſchicklichkeit und Boßheit ei-
nes Feindes zu Boden geworffen wird.
Man laͤſt ſichs nicht ſo ſehr bekuͤmmern/
wann man an Macht und Anſehen gerin-
ger iſt als andere/ als dieſelbe uns am Ver-
ſtand und Geſchicklichkeit uͤberlegen ſeyn.
LXVII.
Wann ein Unterthan/ nach dem er oͤf-
fentlich von ſeinem Herrn abgefallen/ den
Ort/ dahin er ſich begeben hat/ nicht verlaſ-
ſen will/ und bewaffnet in demſelben ver-
bleibt/ mit Vorhaben ſich zu wehren/ wann
man ihn herauß treiben wolte/ ſo ſoll man
demſelben nicht trauen/ er mag verſprechen
was er will. Er iſt in ſeinem Gemuͤth eben
ſo treuloß als zuvor. Die ſtarcken Plaͤtze
ſind an den Graͤntzen hoch noͤhtig/ damit
man den Feind moͤge auffhalten: aber die
mitten in dem Koͤnigreich ſind/ dienen nur
die Auffwickler zu verſuchen/ welche ſich
nicht verweilen/ dieſelbe einzunehmen/ und
daraus mit ihrem rechtmaͤßigen Fuͤrſten
Krieg zu fuͤhren. Es ſoll allezeit auff ſeiner
Wacht ſtehen/ und ſich von den Frembden
nicht uͤberfallen laſſen: aber er muß auch
gantz Herr ſeyn uͤber alle ſeine Unter-
thanen. Ein Koͤnig/ damit er nicht
un-
[219[209]] unter die Haͤnde der Fremden/ die ihm den
Krieg angekuͤndiget haben/ falle/ vertraut
ſeinen gantzen Staas-Nutzen/ Macht und
eigene Perſon keinen Generalen/ der ihn
offtmahls verraͤht. Ein Gubernator wird
nicht ſo kleinmuͤhtig ſeyn/ daß er den Feind in
das Ort laſſe/ welches ihm zu verwahren
anbefohlen/ und wird er ſich darin halten/ ob
er ſchon von ſeinem Herrn Ordre empfaͤngt/
heraus zu gehen. Solches darff man von
den Mauern/ Paſteyen und Veſtungen
nicht beſoͤrchten/ zudem helffen ſie auch zu der
Zierde der Staͤdte und Oerter/ da ſie ge-
bauet ſind.
LXVIII.
Zwey Dinge machen meines Beduͤn-
ckens einen Krieg ſehr zweiffelhafftig/ erſtlich
weil es uͤbel gelingen kan/ und man denſel-
ben nicht recht verſtehet: zum andern/ weil
es ſchwerlich geſchicht/ daß die Verwegen-
heit und Unklugheit nicht mit unterlaufft:
Aber es iſt noch ein groͤſſere Gefahr/ wann
man denſelben gar nicht verſteht: man ſoll
denſelben niemals vornehmen/ man habe
dann Urſach. Man ſoll ſich billich vor der
Folge eines ſolchen Krieges fuͤrchten/ deſſen
man nicht gewaͤrtig geweſen/ welcher durch
die
[220[210]] die Eroberung einer Stadt/ oder durch ei-
nen andern verdrießlichen Zufall anfaͤngt.
Das Recht/ ſo man vermeynet uͤber eine
Stadt zu haben/ groſſe Foderung/ Verach-
tung/ Schimpff und erlittene Injurie, das
ſind die gewoͤnlichſte Vorwaͤnde/ durch wel-
che man pflegt Krieg anzufangen/ aber der
Ehrgeitz macht/ daß derſelbe lang waͤhret/
und die unerſaͤtliche Begierde zu herſchen
und ſeine Macht zu erweitern/ welche der
Rache und Grauſamkeit den Nahmen/
und die Farbe der Gerechtigkeit gibt.
LXIX.
Man kan nicht anders als denjenigen ei-
ner Unweißheit beſtraffen/ welcher ſich in
Gefahr ſteckt/ all ſein Land zu verlieren/ da
es keinen Schein hatte/ daß er etwas wich-
tiges gewinnen koͤnte/ wann er ſich in dieſe
Gefahr begibt: Das iſt ein verwegenes
Stuͤck/ und koͤnte man einen groſſen Herrn/
der ſich in ſolche Gefahr geben/ nicht ent-
ſchuldigen/ ob er ſchon gluͤcklich wieder her-
aus gezogen worden. Man muß die
Schlacht annehmen/ nicht nur/ weil der
Feind dieſelbe anerbietet/ ſondern weil man
urtheilet/ es ſey nuͤtzlich/ eine Schlacht zu
halten. Wann man weiß zu rechter Zeit
und
[221[211]] und guter Ordnung ſich zuruͤck zu begeben/
iſt man mehr Lobs werth/ als wann man
ſich ohne Noth in eine Schlacht eingelaſſen.
Man kan ſagen/ daß in einer erſten
Schlacht der Sieg gaͤntzlich an dem Hertz
und Verſchrockenheit der Kaͤmpffenden
liegt. Aber ich halte davor/ daß er in dem
andern an der Noth liegt/ um welcher wil-
len man mit dem Feinde zu thun hat/ und
an der Wichtigkeit der Urſach/ um welcher
willen man die Waffen ergriffen: Die
Großmuͤhtigkeit begehret nichts anders/
als uͤberwinden/ und die Reputation, daß
man eine Schlacht gewonnen: derjenige/
welcher weiß/ daß er ſeinen Feind ſchon in
andern Begebenheiten uͤberwunden/ denckt
an nichts anders/ als von neuem zu uͤber-
winden; derjenige/ ſo gleichſam verſichert
iſt/ die Schlacht zu gewinnen/ denckt an
nichts anders als den Streit: Aber derje-
nige/ der mit verzagten Hertzen den Streit
angehet/ iſt ſchon halb uͤberwunden. Die
Einbildung der Hauptleute ſind oftmals
Urſach geweſen an der Niederlage und
gaͤntzlichen Ruin der Armeen/ und das iſt
vielmehr zu fuͤrchten/ als die groſſe Troupen
des Feindes. Ein General/ welcher zweif-
felt/
[222[212]] felt/ ob er den Sieg erhalten werde/ kan kei-
ne groſſe Thaten thun/ und alles was man
von ihm verhoffen kan/ iſt/ daß er ſich eine
zeitlang defendirt.
LXX.
Die allzu groſſe Haͤrtigkeit der Haupt-
leute und die uͤbermachte Strengheit/ ſo ſie
wider die Soldaten gebꝛauchen/ ſampt der
immerwaͤhrenden Arbeit/ davor ſie doch
keine Belohnung empfangen/ geben Anlaß
zum Auffſtand/ die man nachmahls mit groſ-
ſer Muͤhe ſtillen kan. Man muß die Auff-
ruͤhrer ſtillen mit Beſtraffung ihrer Raͤdels-
fuͤhrer. So bald die Auffruhr geſtillet/ muß
man die Armee gerad gegen den Feind fuͤh-
ren/ und ſo bald als moͤglich eine Schlacht
halten/ dann das iſt das rechte Mittel/ die
Ruhe und Gehorſam wieder unter die Sol-
daten zu bringen.
LXXI.
Es iſt nicht genug vor einen Koͤnig/ die
Tugend zu haben/ noch in der Reſolution
ſeyn/ ſeine Herrſchafft wohl zu fuͤhren; er
muß auch in den Hiſtorien wohl erfahren
ſeyn/ und wiſſen/ was ſich von Zeit zu Zeiten
vor Veraͤnderungen zugetragen/ und daß
das menſchliche Leben nichts anders iſt/ als
eine
[223[213]] eine immerwaͤhrende Vermiſchung des
Gluͤcks und Ungluͤcks/ der Freude und des
Leids/ der Erhoͤhung und Erniedriegung.
Auch ſoll er offtmals die wunderſame Vor-
ſehung Gottes betrachten/ welche ſo fleißig
uͤber alle Fuͤrſten in der Welt wachet. Ein
Fuͤrſt ſoll gedencken/ daß er noch naͤher uͤber
ihm iſt/ als uͤber gemeinen Leuten. Ja Er
nimpt die Koͤnige in acht/ und erleuchtet ſie/
als die hier auff Erden ſeine Stadthalter
ſind.
LXXII.
Es iſt aus den Zeugniſſen der heilgen
Schrifft klar/ daß die Suͤnde/ ſo begangen
werden/ Gott bewegen/ Staͤdte/ Laͤnder
und Koͤnigreiche zu ſtraffen. Bißweilen
verfaͤhrt die goͤttliche Providentz alſo damit/
wegen der Suͤnden der Koͤnige und ihrer
Unterthanen: bißweilen ſtrafft Gott auch
die Koͤnige wegen der Suͤnde ihrer Unter-
thanen: bißweilen ſtraffet er das gantze
Koͤnigreich wegen der Suͤnden des Koͤ-
nigs. Derowegen muß ſich der Koͤnig ent-
halten zu ſuͤndigen/ und nachmahls ſeine
Unterthanen hart anhalten/ daß ſie Gott
nicht beleydigen/ dann er iſt alsdann in gꝛoſ-
ſer Geſahr auff allen Seiten.
LXXIII.
[224[214]]
LXXIII.
GOtt ſiehet offtmals durch die Finger
bey den Suͤnden/ aber er verſchonet derje-
nigen/ die ſie ungeſtrafft laſſen/ gar ſelten.
Der Untergang einer Herrſchafft kompt
nicht her von den groſſen hauffen der
Ubelthaͤter/ ſo ſich darinn befinden/ ſon-
dern/ ich halte davor/ daß ein Land gantz
verlohren ſey/ wann diejenigen/ ſo verordnet
ſind recht zu ſprechen/ ſich nicht bekuͤmmern/
den Lauff der Laſter zu hemmen/ und die
Schuldige zu ſtraffen. Die Boßheit iſt
alsdann am gefaͤhrlichſten/ wann ſie nicht
geſtraffet wird.
LXXIV.
Alles gehet hinter ſich in einer Herr-
ſchafft/ wann der Oberherr nur durch eines
andern Augen ſiehet/ und ſich nicht ſelbſt in
die Geſchaͤffte miſchet. Ein weiſer Politi-
cus hat wol geſagt/ daß ein Koͤnigreich des
Mittleidens wuͤrdig/ und die Voͤlcker gantz
ungluͤckſelig ſeyn/ wann man den Koͤnig
alſo mit ſeinen Dienern reden hoͤret: Gebt
Achtung/ daß alles woll hergehen thut/ was
ihr vors beſte erachtet/ ich befehl euch die
Sach/ ich uͤberlaſſe euch die gantze Sorge
derſelben: Laſt euch den Nutzen meiner
Cron
[225[215]] Cron wohl angelegen ſeyn. Dieſe Rede
ſtehet einem groſſen Fuͤrſten gar nicht wol
an: er muß ſelber arbeiten/ und eine Er-
kaͤntniß der Sachen ſeines Reichs haben/
und wiſſen/ was in ſeinem Koͤnigreich ge-
ſchiehet: er muß von Zeit zu Zeiten ſeine
Bedienten ruffen/ dieſelbe Rechnung thun
laſſen/ ihr Leben erforſchen/ und das Ruder
ſeiner Herrſchafft ſelber fuͤhren.
LXXV.
Der Untergang der Monarchien und
Herrſchafften komt ſchier allezeit her von
der Unordnung und Hochmuth derer/ ſo ſie
regieren/ oder von den groſſen Verſchwen-
dungen/ von ihrer Grauſamkeit/ oder allzu-
groſſen Guͤtigkeit/ oder von ihrem Geitz/
oder von dem Aufruhr der Voͤlcker/ oder
von Verachtung heiliger Sachen und
Perſohnen/ welche geſetzet ſind die Reinig-
keit des Glaubens zu erhalten. Dieſes ſind
ſehr gefaͤhrliche Klippen.
LXXVI.
Wann man mit den Dignitaͤten und
Aemmtern einen Handel fuͤhren will/ ſo wird
der geitzigſte allezeit am meiſten bieten denn
er verhofft groſſen Gewinn davon zu haben
da er dann alle/ ſo unter ihm ſind/ zu rantzio-
niren/
[226[216]] niren/ und ſeinen Geitz zu ſaͤttigen/ wird An-
laß und Macht haben.
LXXVII.
Man kan mit Warheit ſagen/ daß nichts
gering/ nichts mittelmaͤßig iſt in Koͤnigen
und Perſohnen von hoher Qualitaͤt. Ihre
Tugend ſind groß und glaͤntzend/ aber ihre
Laſter und Maͤngel ſind auch gantz ſichtbar
und derowegen niemals mittelmaͤßig. In
Summa/ gleich wie ſich ein weiſer Mann
niemahls leichtlicht irrt/ wann er in einigen
Irrthum faͤllt/ alſo faͤllt auch ein Menſch
von hoher Qualitaͤt niemals ohne Ver-
letzung ſeiner.
LXXVIII.
Es iſt nicht genug/ daß der Brunnen ſau-
ber und rein ſey/ wann der Canal/ dadurch
das Rohr gehet/ voll Koth und Unflath iſt.
So iſt es auch nicht genug daß ein Fuͤrſt
gut und tugendhafft ſey/ wann ſeine Die-
ner und Leute/ die er in dem Regiment ſei-
ner Herrſchafft gebraucht/ nicht zu der Tu-
gend geneiget ſind. Nicht nur das Exem-
pel des Oberherrn/ ſondern auch der Be-
dienten hat viel bey dem Volck zu bedeu-
ten/ und ſoll man gewiß davor halten/ daß
die
[227[217]] die boͤſe Geſellſchafft das Gemuͤth des Koͤ-
nigs ſehr verderben und veraͤndern kan.
LXXIX.
Der Krieg iſt ein Theatrum, da man
bald gluͤck-bald ungluͤckliche Zufaͤlle und
mancherley Veraͤnderungen ſiehet: End-
lich aber erklaͤret ſich die Victoria zu demje-
nigen/ welcher das Recht auff ſeiner Sei-
ten hat: und kan man kuͤhnlich ſagen/ daß
ein Krieg/ den man ohne Urſach und zu ei-
nem boͤſen Zweck angefangen/ nichts als
Schande und Schmach hinter ſich laſſen
kan.
LXXX.
Wann man einen Oberherrn treibet
Krieg zu fuͤhren/ ſo ſoll er ſonderlich dem
Rath ſeines Weibes nicht folgen/ dann die
Erfahrung hat ſeither erwieſen/ daß derſel-
be Rath ſchier allezeit gefaͤhrlich iſt/ und daß
nichts als groſſes Ungluͤck daraus entſtehen
kan. Im uͤbrigen laͤſt ſichs nicht verwun-
dern/ ſintemal gemeiniglich der Ehrgeitz/
Hochmuth oder die Rache macht/ daß die
Weiber in dieſer Begebenheit alſo reden.
Der Koͤnig Ottocarus hat ſich gaͤntzlich zu
Grunde gerichtet/ darum daß er der Mey-
nung ſeines Weibes/ welche gaͤntzlich haben
Kwolte/
[228[218]] wolte/ daß er ſolte Krieg fuͤhren/ gefolget.
Pariſatis hat 3 groſſe Maͤnner/ nemlich den
Artaxerxes, Mnemon und den juͤngern
Cyrum wider einander gehetzt.
LXXXI.
Die Unterdruͤckung der Voͤlcker hat offt-
mahls groſſe und wunderbahre Veraͤnde-
rungen in den Monarchien und Republic-
quen verurſacht: Und Lycurgus hatte Ur-
ſache zu ſagen/ daß man in einer Herrſchafft
die reichen Leute nicht ſehr fuͤrchten ſoll/ ob
ſie ſchon gar hohe Gedancken haben. Aber
diejenige/ ſo kein Einkommen noch Haͤuſer
haben und in der aͤuſſerſten Noth ſtecken/ ſoll
man allezeit fuͤrchten. Man fanget viel
ſeltzame Dinge an/ wann man ſiehet/ daß
man arm iſt/ und nirgends keine Huͤlffe her
hat: Und Silius der zaͤrtliche und erleuchtete
Poet hat ſehr wol geſagt/ daß die Armuth
ein ſchreckliches Ubel ſey/ welches die Leute
zwinget/ allerley Laſter zu begehen.
egeſtas.’
LXXXII.
Ein Fuͤrſt ſoll ſo viel moͤglich iſt/ die Gat-
tung des Gemuͤths/ die Zuneigung und den
Humor ſeiner Unterthanen kennen/ und ich
finde
[229[219]] finde/ daß Ulpianus ſehr weißlich verordnet/
daß derjenige/ welcher einen verkauffen will/
zugleich ſagen muͤſſe/ wo er her ſey/ und was
er vor ein Gemuͤth habe.
LXXXIII.
Die Schaaffe verlieren ihre Wolle/
wann ſie gerade gegen Mittag gehen/ und
der Wein wird je heller je klaͤrer/ je naͤher
er gegen Mitternacht liegt. Dieſe Beob-
achtung gehoͤret den Naturkuͤndigern:
aber ſiehe hier eine/ ſo klugen Politicis zu-
kompt/ nemlich/ daß die Armeen/ welche aus
mittaͤgigen Laͤndern kommen/ und allezeit
gegen Orient ſteigen/ eine groſſe Staͤrcke
und Krafft haben; die ſich aber gegen
Mittag nahen/ werden unempfindlich/ matt
und nicht tuͤchtig zu hohen Anſchlaͤgen.
LXXXIV.
Man weiß/ daß es gewiſſe Pflantzen
giebt/ welche mehr Frucht tragen und beſſer
werden/ wann man ſie in einander Erdreich
ſetzt. Aber die Erfahrung hat uns offtmals
ſehen laſſen/ daß einige Auslaͤndiſche beſſer
mit den gemeinen Staats-Sachen zu recht
kommen/ und daß es bißweilen gut iſt/ ſich
derſelben in einen Regiment zu bedienen.
K 2LXXXV.
[230[220]]
LXXXV.
Kaͤyſer Gordianus hatte pflegen zu ſa-
gen/ der allerungluͤckſeligſte Fuͤrſt ſey derje-
nige/ dem man die Warheit verhaͤle. Ich
glaube/ wann er ſich erweiſt/ daß er froh ſey
dieſelbe anzuhoͤren/ ſo werde man ſolche ihm
nicht verbergen; aber wann er einen Eckel
vor derſelben hat/ ſo wird er ſie niemals er-
fahren/ und wird man ſich nur befleiſſen/
ihn zu betriegen; man wird ihm ſchier ſo
offt luͤgen/ als man mit ihm redet/ niemahls
wird man ihm ſagen/ wie die Sachen be-
ſchaffen ſind. Summa/ er wird ungluͤck-
lich ſeyn/ wann er der Warheit nicht
glaubt/ indem iemand ernſtlich und unver-
deckt mit ihm reden will.
LXXXVI.
Ich meines theils halte davor/ es ſey die
Authoritaͤt/ welche die Majeſtaͤt ſonderlich
hoch erhebt/ und dieſelbe in groſſen Credit
unter den Voͤlckern ſetzt: Der Koͤnig/
welcher dieſelbe wol weiß in acht zu nehmen/
wird befinden/ daß ſie ihm viel nothwendi-
ger und nuͤtzlicher iſt/ als alle ſeine Macht/
Armeen und alle Straffen; Aber er muß
auch wiſſen/ daß man dieſelbe weder durch
Kunſt/ noch durch Gewalt/ noch durch
Huͤlffe
[231[221]] Huͤlffe der Soldaten erlangen kan/ ſondern
es iſt eine Gabe Gottes und eine Gnade/ die
er nicht allen Fuͤrſten erweiſet.
LXXXVII.
Drey Dinge ſind gaͤntzlich von noͤthen/
daß ein Fuͤrſt mit dieſer Authoritaͤt/ von
deren ich allhier geredt habe/ bekleidet wer-
de/ nemlich die Tugend/ das Gluͤck und die
Affection der Voͤlcker. Dieſe erweckt
GOtt in den Hertzen der Unterthanen/ der
iſts der ſie bewegt ihren Oberherrn zu lie-
ben. Was das Gluͤck anbelangt/ ſo iſt es
am ſchwereſten zu erlangen/ und weiß man
nicht/ wo man es ſuchen ſoll: Was das
dritte anbelangt/ ſo iſts GOtt/ welcher uns
hilfft die Tugend zu erlangen.
LXXXVIII.
Wir haben gnug Exempel von Fuͤrſten
und Oberherrn/ welche ihre Authoritaͤt
gaͤntzlich verlohren haben/ weil ſie dieſelbe
durch ihre Strengheit und Grauſamkeit
haben wollen erhalten. Wann die Po-
litici davon reden/ ſo wollen ſie uns bere-
den/ es ſey eine goͤttliche Qualitaͤt/ deren
ſehr wenig wuͤrdig ſind/ darum muß man
ſie vom Himmel erhalten/ oder ſich befleiſ-
ſen dieſelbe vielmehr zu verdienen/ als daß
K 3man
[232[222]] man mit Gewalt erweiſen will/ daß man ſie
in der That beſitzt/ indem man auf eine
allzu hohe und allgewaltige Manier re-
gieret.
LXXXIX.
Kein Staat/ keine Republicq, noch Mo-
narchey kan lange beſtehen/ wann man
die Geſetze ungeſtrafft uͤbertritt/ und den
Reſpect verliehret/ den man den Richtern
und der Obrigkeit ſchuldig iſt.
XC.
Die Unehrbarkeit iſt einem groſſem
Herrn tauſendmahl ſchaͤdlicher/ als die
Grauſamkeit. Ein grauſamer Fuͤrſt
macht/ daß ihn nur ſeine Unterthanen
haſſen: aber wann er unzuͤchtig lebt/ ſo
wird er von iederman verachtet und ge-
haſſet. Die Grauſamkeit macht Furcht
und verurſacht einen groſſen Schrecken
unter dem Volck: aber das uͤppige Leben
des Fuͤrſten gibt den Unterthanen einen
Muth zu ſuͤndigen; dann ein ieder glaubt/
daß das Laſter der Unzucht ein Kennzeichen
iſt eines ſehr ſchwachen und geringen
Hertzens.
XCI.
[233[223]]
XCI.
Gewiß iſts/ daß die Armuth unzehlige
Laſter bedeckt/ aber man kan die Larve/ da-
mit man verhuͤllet/ kuͤhnlich weg thun/ und
man bekuͤmmert ſich nicht mehr es zu ver-
bergen/ wann man ſeinen Stand veraͤn-
dert hat/ und nunmehr reich/ maͤchtig und
des Gluͤcks Favorit iſt. Man hat nicht
heut erſt in acht genommen/ daß diejenige/
welche das Ohr und die Gunſt des Fuͤrſten
haben/ ihr Gemuͤthe bald veraͤndern/ ſie
bleiben nicht ſo maͤßig/ freundlich und lieb-
reich/ wie ſie zuvor waren. Ein ſchwacher
Magen hat groſſe Muͤhe/ allerley Gattun-
gen Speiſe zu verdauen/ und eine gemeine
Seele laͤſt ſich durch die Gunſt ſo ſehr ver-
dunckeln/ daß ſie ihr Weſen gantz veraͤn-
dert: man kan ſagen/ daß ſie ſich verirren
und verlieret/ ſo bald ſie auf einen ſo glaͤn-
tzenden Weg komt. Derowegen muß ein
Fuͤrſt erkennen/ wie groß die Krafft und der
Verſtand desjenigen ſey/ den er will zum
Regiment erheben/ damit er ihn nicht An-
laß gebe zu fallen und ſich gaͤntzlich zu ver-
derben/ indem er ihn uͤber ſeinen Verdienſt
und uͤber ſeine Kraͤfften erhebt.
K 4XCII.
[234[224]]
CXII.
Ein Koͤnig ſoll wiſſen/ worinn ſein Gluͤck
und Gluͤckſeeligkeit auff der Welt beſtehe.
Tales hat es nicht gewuſt/ da er geſagt/ das
heiſſe recht gluͤckſelig ſeyn/ wann man ruhig
auf ſeinem Bette ſterbe/ nachdem man lan-
ge Zeit in Ehren gelebt. Solon hats nicht
jo wol getroffen/ da er gewuͤnſcht/ daß die
Monarchien bey nahem regulirt ſeyn ſol-
ten/ wie die Democratiſche Staͤnde. Ana-
charſis hat davor gehalten/ daß das groͤſte
Gluͤck der Voͤlcker waͤre/ unter einem wei-
ſen und erfahrnen Koͤnig ruhig zu leben.
Pittacus ſtellete das Gluͤck eines Fuͤrſten
nicht darauf/ daß er ſich zu fuͤrchten machte/
ſondern daß er mache/ daß ſeine Untertha-
nen ſich ſeinent wegen fuͤrchten/ und alle
Sorge anwenden/ ihn auch in den gering-
ſten Dingen zu befriedigen. Socrates re-
det wohl davon/ da er ſagte/ die Gluͤckſelig-
keit eines Oberherrn beſtehet darinn/ daß er
uͤber ſich ſelbſt vollkomlich Herr ſey. Hen-
ricus IV. einer von den beſten Koͤnigen/ ſo
Spanien gehabt/ hat dieſe Frage recht er-
laͤutert/ in deme er geſprochen/ daß ein Ober-
herr nicht fehlen koͤnne/ gluͤckſelig zu ſeyn/
wann er ſich immerdar befleiſſe/ ſeine Unter-
thanen gluͤckſelig zu machen.
XCIII.
[235[225]]
XCIII.
Derjenige/ welcher ſich gewehnet/ ohne
Unterſcheyd allen Leuten zu geben/ der wird
ſich bald genoͤhtigt ſehen/ daß er von andern
begehren muß. Ein Koͤnig muß nicht ver-
ſchwendiſch ſeyn/ aber er ſoll groſſe Achtung
geben auff den Dienſt und Qvalitaͤt der Leu-
te/ denen er gutes thun will: er ſoll mit Un-
terſcheyd belohnen/ abeꝛ denen die arm und
elendig ſind/ ohne Unterſcheyd beyſtehen.
XCIV.
Viel vortrefliche Politici haben in acht
genommen/ daß wann eine ſolche Perſon
ſtirbt/ die wegen ihrer Wiſſenſchafft/ Erfah-
rung und Treue beruͤhmt iſt/ oder die ſich in
den Kriegs-Sachen oder Verwaltung der
Juſtitz beruͤhmet gemacht/ es ſchier ein un-
fehlbahres Zeichen iſt/ daß es eine Veraͤn-
derung geben/ oder dem Staat einiger ver-
drißlicher Zufall begegnen werde.
XCV.
Die Koͤnigreiche und Herrſchafften/ wel-
che gar groß und weitlaͤufftig ſind/ haben
den Feind weniger zu fuͤrchten/ als ihre ei-
gene Groͤſſe. Dann ihr Untergang kompt
gemeiniglich her von dem Auffruhr und Ge-
gentheilen/ die ſich in einem Staat ereigen/
und
[236[226]] und ſie ſind unterworffen von dem Feuer ei-
nes Buͤrgerlichen Krieges verzehret zu wer-
den: Ein groſſer Fuͤrſt ſoll ſich vor dem Auff-
ſtand einer Provintz mehr fuͤrchten/ als vor
der Macht eines ieden andern Monarchen/
der ihm zu wider iſt.
XCVI.
Es iſt nichts als alles gutes und weiſes
an dem Spruch Heſiodi, ſo er von der Zu-
verſicht/ den man auff ſeine Feinde ſetzen ſol/
außgegeben. Dieſer groſſe Mann will
nicht/ daß man jemanden gaͤntzlich vertrau-
en ſoll/ ja/ wie er ſagt/ auch ſeinem eigenen
Bruder nicht. Derowegen ſoll ein Fuͤrſt
in dieſen Puncten ſehr wol Achtung geben:
aber ob er ſchon ſeine Heimlichkeit keinem
ſo leicht vertrauen ſoll/ ſo muß er doch auch
keinen Menſchen ohne Urſach mißtrauen.
XCVII.
Der Zorn und die Ubereylung ſind 2 ſehr
gefaͤhrliche Steinklippen/ und wer ein gu-
tes Vorhaben formiren/ und eine gute Re-
ſolution faſſen will/ der ſoll dieſe 2 Felſen
mit aller moͤglichſten Sorge vermeyden:
Wann man nicht die Weile nimpt/ uͤber
eine Sache Rath zu ſchlagen/ und nur oben-
hin daran gedencket/ ſo arbeitet man ohne
Nu-
[237[227]] Nutzen/ und nimt groſſe Muͤhe/ damit
man wieder zur Reue gelange. Ich ſinde/
daß Cæſar ſehr wol geſagt/ daß die Sachen
ſo wol außſchlagen/ allezeit bald genug ver-
richtet werden.
XCVIII.
Was der weiſe Ennius vor Zeiten ge-
ſagt/ befindet ſich noch heute und alle Tage
vor wahr. Nemlich/ daß ein krancker Geiſt
allezeit in Irthum falle. Nun ſage mir/ iſt
auch eine gefaͤhrlicher Kranckheit vor das
Gemuͤht des Menſchen als der Zorn? dar-
um eben wie ein Blinder nicht unterſchey-
den kan/ was weiß oder ſchwartz/ alſo kan
auch ein Menſch/ der dem Zorn unterworf-
fen iſt/ nicht ſehen/ was in dergleichen Be-
gebenheiten zu thun oder zu laſſen iſt.
XCIX.
Ein Fuͤrſt ſol keine melanchol- oder
phlegmatiſche Leute zu ſeinen Raͤhten er-
waͤhlen: Jene haben gewiſſe ſeltzame Ein-
bildungen/ und gantz wunderbahre Gedan-
cken: ſie ſind gemeiniglich gar mißtrauiſch/
und der Neyd regieret meiſtentheils bey ih-
nen. Dieſe ſeynd gar zu langſam/ furcht-
ſam/ nachlaͤßig/ und groſſer Geſchaͤffte un-
faͤhig.
C.
[238[228]]
C.
Ich kan wohl ſagen/ wie viel hochver-
ſtaͤndige Leute vor mir geſagt haben/ daß
ein Fuͤrſt mehr Urſache hat ſich vor ſeinen
Bedienten und denen die um ihn ſind/ als
vor frembden und offenbahren Feinden vor-
zuſehen. Koͤnig Antigonus war der War-
heit dieſer Grund-Regel uͤberzeugt/ dann
er bath/ Gott wolle ihn vor ſeinen Freunden
und Haußbedienten behuͤten: und als man
ihm geſagt/ er ſolte vielmehr Gott bitten/
daß Er ihn vor ſeinen Feinden behuͤten wol-
le/ hat er geantwortet: Ich weiß wol wie
ich mich gegen meine offenbahre Feinde
wehren ſoll/ aber Gott allein kan mich vor
meinen verdeckten und heimlichen Feinden
behuͤten. Laſt uns darzu ſetzen/ daß kein
verdeckter Feind iſt/ als ein Schmeich-
ler/ ein Ehrſuͤchtiger und ein
Neider.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 0. Hofzimmer der Klugen/ oder Unterricht/ wie sich eine Person/ so wohl bey Hof/ oder in andern Verrichtungen sich geschicklich verhalten soll. Hofzimmer der Klugen/ oder Unterricht/ wie sich eine Person/ so wohl bey Hof/ oder in andern Verrichtungen sich geschicklich verhalten soll. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhdr.0