Vorwort

[VII]

Die Ziele des Modernen Musen-Almanachs sind dieselben geblieben, die in den zur Einführung des ersten Jahrganges geschriebenen Worten niedergelegt worden sind. Er will eine palästra musarum der aufsteigenden künstlerischen Generation in Deutschland sein, will, soweit dies möglich ist, einen Überblick über das vielgestaltige Leben bieten, das sich im Schaffen der Jüngeren und jener Älteren zeigt, die im Streben mit der neuen Generation eins oder verwandt sind.

Eine palästra musarum ist kein Fechtboden für kritische Gänge. Auch dem Herausgeber muß es versagt bleiben, das Schauspiel, das schaffende Künstler hier bieten, mit kritischen Bemerkungen einzuleiten. Er überläßt es gerne und getrost den Kritikern, die Kunst und Wissenschaft des Scheidens und Ordnens an dem reichen Stoffe zu üben, der hier geboten wird. Auch das Gebiet der Antikritik läßt er beiseit, so viel Anlaß dazu sich auch in der großen Menge kritischer Äußerungen zum Musenalmanach aus 1893 fände. Er glaubt, daß dieses Sammelbuch deutscher Kunst durch Beweisstücke des Schaffens besser für den Geist des heutigen Kunststrebens spricht, als es kritische oder antikritische Kundgebungen aus den Reihen derer, die an ihm beteiligt sind, vermöchten.

Man wird in diesem Bande die modern-realistische Gegenwartsdramatik vermissen, in der die „Modernen“ in Deutschland bislang die stärksten Erfolge hatten. Dieser Mangel liegt in der Natur der Sache. Der Versuch, durch Proben moderner Dramatik wenigstens in Bruchstücken ein genaues Bild dieses Schaffensgebietes zu geben, da Raumrücksichten den Abdruck ganzer Dramen verbieten, ist im vorigen Jahrgange des M. M. A. gemacht worden, und es muß zugestanden werden, daß[VIII] dieser Versuch nicht geglückt ist. Man muß Dramen dieser Art ganz geben können oder völlig darauf verzichten. Zudem hat sich diese Dramatik bereits die Bühnen erobert und ihre Art siegreich vor der Öffentlichkeit durchgesetzt. Dem Herausgeber des M. M. A. gereicht es zur ganz besonderen Genugthuung, daß es gerade ein Drama, von dem der erste Akt im 93er Jahrgange erschienen ist, war, das einen der stärksten Erfolge des vergangenen und jetzigen Theaterjahres bedeutet: Max Halbes „Jugend“.

Ein Sammelbuch wie der Moderne Musen-Almanach wird sich in der Hauptsache immer auf Lyrik und Novellistik zu beschränken haben und dramatische Bruchstücke nur ausnahmsweise bringen dürfen. Ein solcher Ausnahmsfall scheint dem Herausgeber bei dem in diesem Bande abgedruckten ersten Akte des Bahrschen „Bonaparte“ vorzuliegen, von dem rein-lyrischen Fragmente aus Julius Harts Christustragödie ganz zu schweigen.

Ein Vergleich der Autoren-Tafel des 93er Jahrganges mit der des hier vorliegenden Bandes zeigt, daß die Namen der Mitarbeiter an beiden Bänden nicht durchweg dieselben sind. Man wird auch dies in der Natur eines derartigen Sammelbuches begründet erachten, das sich bestrebt, möglichst alle Autoren zu Worte kommen zu lassen, für deren Kunst es eine Art freie Bühne sein will, das aber nicht über soviel Raum verfügt, um jedesmal Alle zugleich zu vereinigen. Der nächste Jahrgang wird Namen wie M. G. Conrad, Max Halbe, Arno Holz, Ompteda und andere, die heuer fehlen, hoffentlich wieder aufweisen können. Eine lückenlose Vollständigkeit wird in einem Sammelbuche indeß kaum jemals erreicht werden können, zumal dann nicht, wenn es, wie der M. M. A., in der Hauptsache nur bisher ungedruckte Beiträge bringen will. Leider mußte der Herausgeber diesen Grundsatz diesmal gerade bei so hervorragenden Dichtern wie Liliencron und Falke umstoßen, weil beinahe gleichzeitig mit dem Almanach neue Sammlungen von Poesien dieser Dichter erschienen.

O.J.B.

Pallanza

[11]
Vor meiner Kammer eine einsame Föhre steht,
Darin der Abendwind auf und nieder geht,
Darin deine liebe Seele flüstert,
Wenn's draußen mitternächtigt und düstert.
Das Fenster klirrt auf. Es rauschet sacht herein...
Die Wände flimmern plötzlich in silberblauem Schein,
Glutathmend überdränget ein Küssen mich...
O Seele, stürmische, liebe, ich — fühle dich.

Stärker als Feuergluten

„Frau Maria, ich liebe dich!
Ich lieb deiner stolzen Lippen Pracht,
Deiner wilden Locken dunkle Nacht,
Deiner Nüstern geheimnißvolles Zittern,
Deiner Augen leuchtendes Ungewittern.
Frau Maria, werde mein Weib!“
Sie drehte die goldene Spindel
Als er warb um sie mit heißem Blut,
Sie rief mit freiem Liebesmut. -
„Feind war dein Vater dem meinen.
Willst du mich küren, verlaß die Deinen,
Deine Burg betret ich nicht.“
[12]
„Frau Maria, ich liebe dich!
Tot sind die Alten, tot ihr Haß,
Mutter und Schwestern im Frauengelaß
Weben für dich das Hochzeitsgewand,
Frau Maria, deine Hand, deine Hand!
Die Myrthen wollen nicht warten.“
Sie schüttelte leise das Haupt.
„In der Halle wo er zum letzten mal
Der Tochter zutrank aus mächtigem Pokal,
Wo die Ahnen zechten in fernen Tagen,
Wird die Hochzeitstafel aufgeschlagen.
Die Burg verlaß ich nicht.“
. . . . . . . . . . . . . . .
Die Schwestern umschlangen ihn zärtlich,
Die Mutter küßte den blassen Mund,
„Mein Sohn, o werde wieder gesund!“
Er kehrte sich gen die Mauer,
Und hauchte im Fieberschauer:
„Frau Maria, ich liebe dich!“
Auf schnaubendem Rosse kam er gesaust,
Den blitzenden Helm in der stählernen Faust
Trat er vor sie: „den Lohn, den Lohn,
Nicht Bruder bin ich mehr, noch Sohn,
Um — deinetwillen, Weib.“
Sie sah ihn lange an.
„Fort mit der Rüstung, sie kleidet euch schlecht,
Dem Herrn ziemt sie, nicht dem — Knecht.“
Seine Augen sprühten Flammen,
Er preßte die Zähne zusammen,
Raste davon.
[13]
Sie drehte die goldne Spindel,
Da kam ein stummer Bettelmann
Den Saal herein, und — sah sie an. —
Sie kniete vor ihm nieder,
Küßte, und küßte ihn wieder,
Und ging still mit ihm hinab.
„Mütterlein, habt mich lieb!
Laßt mich schnell in euern Garten,
Die Myrthen sollen nicht warten,
Mein Ritter begehret mich.“
„Frau Maria, wie lieb ich Dich!“

Unter den Rosen

Du schlummerst stumm in dunkler Ruh,
Und Erde deckt dein Lächeln zu,
Mir wollen Sonnenstrahlen saugen
Die heißen Thränen aus den Augen.
Nein, ich bin's, die im Sarge ruht,
Du rufst nach mir in Mittagsglut,
Ich, du, o Gott, wir sind ja: eins,
Und bist du tot, lebt von uns keins.
Frau Sonne, geh auf leisen Flammen,
Wir schlafen Brust an Brust beisammen.
Verhüll' dein jubilierend Licht,
Erweck uns nicht, erweck uns nicht!

Teufelsträume

[14]

I.

Er blieb mir immer nah... Wie viel der Götter
Mein Denken auch verdaut, wie viel an Wahn
Und Glauben ich von mir gewiesen, reulos,
Zu stolz ein Lotophag des Trugs zu sein —
Kampfhungrig, sinnendurstig, nach dem Leben
Begehrend, wie es in mir aufschrie, und
Bereit, lieber die Hölle einzuhandeln,
Die Hölle, die da „Selbsterkenntnis“ heißt,
Als einer Lüge bodenlosen Himmel,
Ein Siechen-Paradies, drin welke Kraft
Und müd hindämmernde Gehirne feiern,
Und selig thun... Er blieb mir immer nah!
Und seltsam war's, zu sehn, wie er allein
Sein düst'res Rätselhaupt emporhob aus
Der Sintflut meiner zornigen Gedanken,
Die höher stieg und immer höher: erst
Der Kindheit unschuldvolle Friedensstätten
Hinwegspülend; die Tempel dann, darin
Im Flitterstaat die steifen Götzen thronen,
Die wir anbeten, weil die Mutter es
Gethan, die uns gesäugt, und jene Größ're,
[15]
Die uns'rer Mutter Mütter aufgesäugt:
Vergangenheit, die welke Menschheitsamme.
Hoch über ihre Tempel ging die Flut
Drauf meines eig'nen Herzens Heiligtümer
Begann sie zu bespülen — kalt, eiskalt,
Daß mich ein Grau'n durchschüttelte, wie ich
Allmählich die verschwinden sah, und jene
Als Strandgut auf den Fluten treiben: Alle
Lebendig einst, und Teile meines Ich's —
Nun Leichen... und die Flut stieg höher, höher!
Schon zwischen meines einst'gen Glückes Trümmern,
Und dem Gebälk der Tempel meiner Götter,
Und meiner Ideale krampferstarrten
Leichnamen trieb frei meine Arche hin —
Doch er blieb nah mir: aus der Ebene
Des Ozeans, der über Ideale
Und Götter seine schwarzen Wolken rollte,
Eintönig, hob er gipfelstolz das Haupt,
Wie damals aus dem Meer der Engelschaaren
Er's hob, unüberwindlich, da Jehovah
Die weiten Himmel frug: „Wer ist wie Ich?!“

II.

Ich aber — wie an einer Krankheit litt ich
An ihm, der Qual mir war, und doch auch wieder
Geheime Leidenschaft, darin ein mystisch
Begehren fremd mit angebor'nen Schauern
Sich paarte, und mit einer Sehnsucht, die
Ich liebte, scheu und heiß wie einen Frevel.
Um mich schien er zu sein, wo ich auch ging,
Ein ungeseh'ner, doch empfundner Schatten,
Dem Form zu geben und Gestalt ich rang.
So nah' oft schien er, daß mir war, als fühl'
Ich seiner Athemzüge Geh'n und Kommen,
[16]
Und müss', kehrt' ich ein wenig nur das Haupt,
Ihn lächeln sehen, über meine Schulter
Hinweg... Zumeist dies Lächeln quälte mich,
Dies ungeseh'ne, und doch ahnungsvoll
Geschaute! So viel Freiheit lag darin,
Und ein wollüstig königliches Glück
Das froh in stolzer Einsamkeit sich sonnte,
Und Mut hatte, reulosen, unbeirrten
Despotenmut...
Wer also lächeln konnte,
Der hatte Viele weinen schon gemacht — —
Ich fühlt' es wol, und haßte ihn darob
Wie Sklaven und Getret'ne Freie hassen,
Und Schwache Starke. — Doch wenn aufgelöst
Ich lag im Bann des Schlummers; wenn nach Innen
Die Sinne all' sich kehrten und aufschrie'n
Wie Hungrige; das Blut Haschisch ward, und
Machtlos, wie ein Betrunkener, das Bewußtsein
Just auf derselben Schwelle lag, die sonst
Erbebt vom Echo seiner Büttelschritte —
In dieser Stunden Ohnmacht riß er mich
Vom Lager auf, gewaltig, wie Traumwandler
Des Mondes Strahl emporzieht. Nacht für Nacht
Geschah mir so. Nicht daß im Traum er schreckhaft
Vor mich hintrat — sein Kichern nur vernahm ich,
Ein leis' anlockend, wunderliches Kichern —
Und seinem Schalle folgt' ich Schritt für Schritt,
Neugierig, mit scheu angezog'nem Atem.
Stets führt' es vor dieselbe Thüre mich,
Verschlossen war sie — doch dahinter saß er —
Ich wußt' es wol, hob meine Hand auch nie
Zur Klinke sich, denn feig sind Händ' und Augen,
Bewußtseinsknechte! Tapfrer war mein Ohr:
Das lauschte gierig, lüstern, bis die Seel'
Sich frug: „Wie mag der drinnen sich vergnügen?“
[17]
Und sieh: wofür ich wachend ihn gehaßt,
Im Traum begann ich drum ihn zu beneiden!
Einmal so aufzulachen können — ah —
Ein einzigmal nur — unbekümmert, reulos...
Und plötzlich schien dies Lachen mir ein Gut,
Ein großes, herrliches, darum die Menschheit
Betrogen ward, oder sich selbst betrog,
Und noch betrogen wird, und das sie heimlich
Zurücksehnt, vor verschloss'nen Thüren lauernd,
Wie ich...
Wenn sie versuchte, so zu lachen?
Wenn... Und ganz heimlich quoll's dann in mir auf,
Als woll' es sich zu jenem Klang verdichten.
Doch — da verstummte er — und plötzlich war mir,
Als säh' ich ihn, wie er, vor sich hinlächelnd
Das Haupt neigte, um mich nun zu belauschen...
Entsetzt, in Schweiß gebadet wacht' ich auf.

III.

Ob je ich's wage, jene Thür zu öffnen?
Feig sind wir, Knechte, selbst wo wir begehren!
O pfui der greisenhaften Lüsternheit,
Dazu die Leidenschaft in uns entmannt ward;
Der Freiheit, die als Bagnosträfling wir
Tagtäglich mit den Ketten rasseln hören,
Und lachen nicht dazu, und bleiben ernst,
Und staunen, Vaterstolz im blöden Auge,
Der Sitt' und Nützlichkeit Homunkel an!
Sind sie nur heerdentüchtig! Keines andern
Vorzug's bedarf es, wo so allgemach
Zur Tugend sich die Wolle hat vervollkommt!
Ich dacht' es, und entschlief — entschlafend noch
Mich fragend: „Wie mag Jener sich vergnügen?“
Da kam ein Traum, hold dämmernd über mich.
Ein Traum, wie keiner noch mir Sinn und Seele
[18]
Entzückt: Ein fremdes Land sah ich, fremd mir
Bis auf die Töne, die an's Ohr mir schlugen,
Bis auf die Farben, die mein lechzend Aug
Berauschten. So dem ersten Blick erschien es,
Der wie betäubt aufging in brünstigem Schaun
Und tief einschlürfendem Genuß. Allmählich
Erkannt ich erst die Farben meiner Welt;
Nur daß sie andre Dinge färbten, als
Dort oben, wunderlich verteilt mir schienen,
Und doch so wahr hier wirkten, daß beschämt
Als Unnatur sich plötzlich die Erinn'rung
Empfand. —
Da lag ein rosenfarb'ner See,
Kristallhell bis auf seinem Grund. Stahlblaue
Reflexe, und grün-gold'ne huschten leis'
Wie Schemen über seine Fläche, und
Ein Klingen ging von seinen Wogen aus.
Phantastische Gewächse wucherten
Längs seiner Ufer: Riesen-Blumenkelche,
Die wie Fühlhörner ihre Staubfäden
Ins Naß der Fluten tauchten, tastend, saugend
Und schlürfend, in wollüstigem Genuß.
Dahinter hoben schwarze Marmorfelsen
Wie Festungsmauern sich, steil abfallend,
Und pfadlos — weltausschließend, weltverachtend.
Doch wo zum einz'gen Durchblick sie sich theilten,
Da brach's herein, wie eines unbekannten
Gestirnes Lichtflut, blendend, sinnberückend,
Das Sonnenzentrum, das den Dingen rings
So eigne Farben lieh, und doch sich selbst
Verbarg, geheimnisvoll, unnahbar, wie
Ein Gott im Strahlenkleid des eignen Lichts...
Und aufschrie plötzlich heiß in meiner Seele
Ein Wunsch: die Sehnsucht dort zu sein, entgegen
Zu steuern diesem Licht, das trunk'ne Farben
[19]
Ringsum zerstreute, und Empfindungen,
Die nie mein Herz berauscht, nie meine Sinne
Durchschüttelt. Sieh, und wie ich's dachte, nahm
Gleich einem Boote eine ros'ge Welle
Des Sees mich auf, und trug mich schaukelnd weiter
Und weiter. Leis' klang unter mir die Flut,
Im Rhythmus einer wundersamen Weise.
Aus ihrer Tiefe aber stierten halb
Entsetzt, halb lüstern, unzählbare Augen
Zu mir empor, geheimen Neid im Blick,
Und durst'ge Glut und eunuch'sche Trauer.
In bleichen, freudlosen Antlitzen brannten
Wie Kohlen hinter einer Maske sie —
Nur daß lebendig jede Maske war,
Daß klingend ihre Lippen sich bewegten.
„Wir wagtens nie, dem Meer des Bluts uns zu
Vertrauen!“ klagten sie. „Nun schaukelst du
Dahin, als hätt' es keine Ungeheuer
Und keine Tiefen... Reißt hinab sie, die
Verbrecherin!“ Und ihre Arme, welke
Asketen-Arme, reckten sich empor,
Und suchten meines Kleides Saum zu haschen.
Doch kraftlos sanken sie zurück, und hell
Auflacht ich, plötzlich ihres Neids mich freuend,
Und ihres Zorns, der ohnmächtiger Wunsch
Nur war, nicht mehr...
Die Welle trug mich weiter.
Vorbei an jenen Riesenblumenkelchen
Nun glitt ich, die zuerst mein Aug berückt.
Doch sieh — nicht Blumen, Götterknäblein waren's,
Die knapp am Strand sich sonnten, derb-frohe,
Gesunde Genien! Händ' und Füß' und Lippen
Bethauten wechselnd in den Fluten sie,
Und ihre Flüglein, thau'ge Falterschwingen,
Bewegten auf und nieder sich dabei,
[20]
Wie atmend. Und sie sangen:
„Sei bedankt,
Daß an des Blutes Heilquell Du uns wieder
Aufblühn läßt — Deiner Sinne Genien sind wir!“
Und weiter, weiter trug die Welle mich.
Schon glitt im Feuerzauber jener Sonne
Ich hin, und nun — ha — nun erblickt' ich sie:
Ein Eiland war's! Allein, selbstherrlich lag
Es da, selbstleuchtend — ein vergessenes Eden!
Am Saume seines Ufers aber lag,
Im Glanze ihrer gold'nen Schuppenringel
Sich sonnend, eine Schlang', gekrönten Haupts.
Dämonisch, wie mit unsichtbaren Fesseln
Zog mich ihr wollüstiger Blick an's Land...
Hinsank ich. Meine Lipp' nur hauchte: „Satan!“
Da streckte sich die Schlange über mich...

IV.

Es war, als wacht' ich auf aus tiefem Schlummer,
Erquickt, und sinnenfrisch und thatbereit.
Aufhorcht' ich, und ich hört' — und täuscht' mich nicht —
Auf's Neue jenes wunderliche Lachen.
Nur heller klang es, und in seiner jähen
Kadenz vibrirte ein verhalt'ner Schrei.
Aufzog es mich auch heut', und jener Thür zu.
Doch sicher klang mein Schritt, nicht schlich ich mehr.
Und an mir nieder rieselte das Graun
Wollüstig, wie die Ringel jener Schlange.
Ein Griff — ein Druck — aufflog die Thür... ha, träumt' ich?
Da stand ich selbst und lächelte mich an!
Gehüllt in weiße Kleider stand ich, Rosen
Im Haar, blutrote, lebenschwellende,
Im Angesicht das Lächeln, das an ihm ich
[21]
Zuerst gehaßt, sein freies, reuloses
Despotenlächeln... starr zu meinen Füßen
Lag, und entseelt die Schlange jenes Traums.
Wer war Phantom hier?
Da nahm sie das Wort,
Die Kranzgeschmückte, die wie eine Herrsch'rin
Vor mir stand: „Sieh, nun bin ich frei!“ Und auf
Die Schlange setzte sie den Fuß. „Mein Balg ist's,
Der Kerker, drin die Heerde fest mich hält,
Seit für das „Wir“ die königliche Freiheit
Des „Ichs“ sie hingab, dort, im Paradies!
Das eigne Ich verdammte sie als Schlange,
Da kraftberauscht in ihrem Blut es aufstand
Und schrie: „Genießet, daß ihr seid wie Gott!“
Ihm lauschend, aß vom Baume der Erkenntnis
Der Mensch — vor ihm erbebend aber floh er
Und schämte sich der Nacktheit seiner Kraft,
Der göttlichen, und ließ die gold'nen Früchte
Am Baum des Lebens ungenossen steh'n.
So heut wie damals thut er noch: Er schaudert,
Und gibt sich hin als Sklav den Göttern und
Den Brüdern, und wagt nie, er selbst zu sein,
Und sieht die Schlang', wo nur sein Ich sich aufbäumt,
Und nach der Frucht am Baum des Lebens langt!
Ich geh' nun, sie zu brechen! Lang genug
Krümmt' ich im Dienste deiner Feigheit mich —
Aus meinem Weg, Gespenst!“
Sie rief's und an mir
Vorüber schritt hinaus sie — ich hinein.
Zufiel dumpf krachend zwischen uns die Pforte...

Im Schnee

Es ist ein Schnee gefallen
Und ist noch nicht die Zeit —
[22]
Komm mit mir, leise, leise
nicht knistert der Schnee uns zu Füßen
der tiefe Schnee.
Und dunkel die Nacht,
schwer, nieder, schweigend. —
Du siehst nicht?
Ich will dich führen durch den Schnee
Weit durch die lautlose Nacht.
O komm!
Gieb deine Hand, widerstrebe nicht,
nur küssen will ich sie,
nicht deinen Mund, nicht deine Augen
und schweigend wandern
allein mit dir.
Weißt du wohin?
Du zauderst?
Du willst sie nicht sehen? —
Laß sie uns einmal noch
einmal noch sehen
eh' der tiefe Schnee sie decket
für immer.
[23]
Sieh, langsam fällt Flocke auf Flocke.
Weinet die Nacht?
Weinet sie um die Eine, die wir
in Glanz und Schönheit und Wärme schauen
müssen, ehe sie kältet
unter dem weißen Schnee?
Du mußt nicht achten, daß deine Füße bluten,
Du mußt nicht fühlen, daß der Frost dich schüttelt,
du mußt nicht zaudern vor dem Dunkel.
Komm, komm schneller!
Sieh dort den lichten Schein
Fahl durch das lastende Dunkel.
Wandere, wandere ihm entgegen.
Eile, eile!
Nicht meine Hand drück auf dein wehes Herz
nicht dein Haupt neige meiner Schulter.
Schneller, schneller!
Daß wir sie einmal noch, einmal noch sehen.
Haste!
Meinen Atem nimm, Kälte,
mein Augenlicht, Nacht,
Schnee trinke mein Herzblut —
nur meine Hände laß mir, meine Nägel,
daß sie wühlen über ihr, wühlen
sie zu finden.
Dort! dort!
Hilf mir.
So tief, so kalt
meine Kniee sinken, meine Arme erstarren,
der Schein lodert hochauf,
blendet mir die Augen.
Hilf.
Wo bist du?
— — — — —
Nein!
[24]
zurück, zurück!
Schau sie nicht an
laß meine Hand
geh — heim,
allein.
Sie ist starr, sie ist kalt,
sie ist tot
für ewig
die Liebe.

Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein...

[50]

I.

Im Arm der Liebe schliefen wir selig ein...
Am offnen Fenster lauschte der Frühlingswind
und unsrer Athemzüge Frieden
trug er hinaus in die helle Mainacht.
Und aus dem Garten tastete zagend sich
ein Rosenduft an unserer Liebe Bett
und gab uns wundervolle Träume,
Träume des Rausches — so reich an Sehnsucht.

II.

[51]
Auf einem weißen Thierfell kugeln sich
ein nacktes Kind und ein defecter Globus.
Die blondgelockte Kleine setzt bedächtig
sich oben auf des Nordpols eisige Spitze —
und dann —: Hallo! Mit Jauchzen und Beinestrampeln
fährt sie hernieder in das zottige Fell! —
Und gar nicht müde wird das Kind des Spiels:
es ist ganz außer sich vor toller Freude,
daß Gott der Herr die Welt so rund geschaffen...
Wie herrlich läßt mit dieser Welt sich spielen!

III.

[52]
Ein Ton, der in den Lüften lebt,
der über allem Dasein schwebt,
den doch des Menschen Ohr nur hört,
wenns schon kein fremder Laut mehr stört,
wenn Todesschweigen schon die Welt
gebannt in ihren Tiefen hält...
Ein Ton der Freude — überreich —
so stolz und froh — so lieb und weich —
ein Ton — er lebt! Auch du darfst einst ihn hören —
— dann wird kein Leid, kein Schmerz die Seele mehr bethören!

IV.

[53]
Es dunkelte schon im Thal. Das Schloß am Berge stand
gespenstisch groß im gelben Abendsonnenschein,
doch gegenüber auf dem Friedhof, der sich rings
mit weißer Mauer um die alte Kirche schloß,
ausbreitete still sich eine blaue, kühle Luft...
Und an den Gräbern gingen wir entlang. — Sie zog
den Arm aus meinem Arm. — — An jedem Kreuze hing
ein rostiges Becken voller Wasser. — Und sie stieß
ein jedes Becken leise an und goß daraus
auf jedes Grab...
dann sah sie mich mit einem ernsten Lächeln an
und sprach —: die Stunde ist den armen Seelen lieb!

Reimgespräche mit einem Narren
(Fragment)

[72]

I.

Ich fragte lächelnd: „O, sage, John Carr, doch,
Wer ist im Staate ein größerer Narr noch
Als du?“
Und lächelnd sagte John Carr: „Na nu!
Viel närrischer noch als der Narr ist im Staate,
O Herr, der Büreaukrate.
Zuerst wird ihm glatt das Gehirn rasirt;
Dann werden ihm hinter der Stirn planirt
So Meinungen wie Gedanken.
Er aber, geschmeichelt, tauscht sonder Wanken
Nun gegen Vernunft und Gesinnung fein
Die Zunft und die Innung ein.
Hei! macht er dir große Carrière,
Sei's nun civiliter oder im Heere!
Scheint doch ihm zum Zwecke kein Mittel schlecht,
Als Helfer ihm Kutte und Kittel recht.
So schlägt er sich denn zu den glatten Gesellen,
Zu jenen höheren Staatspedellen,
Die niemals Kröte und Molch zertreten,
Nein, ewig nur den Erfolg anbeten.
[73]
Und siehe! so lernt er,
Ein frühe Betreßter und Besternter,
Schier über alle Brücken gehn,
Lernt mit gekrümmtem Rücken stehn
Vor Monarch und Minister,
Lernt klug, der Listigen Überlister,
Auf allen Hintertreppen lauschen,
Wo die seidenen Schürzen und Schleppen rauschen,
Lernt tänzelnd um Excellenzen
Scherwenzen,
Lernt hündisch der Großen und Edeln Schaar
Anwedeln gar.
Lernt hungrig hasten in allen Ländern
Nach Titeln und Ordensbändern,
Und was in Reinheit nicht erreichbar,
Ist durch Gemeinheit ihm erschleichbar —
Und das alles — o gähnende Leere! —
Nur um den gleißenden Wahn der Ehre!
Der Staat ist, o Herr, ein Narrenhaus,
Und Keiner zieht ihm den Sparren aus,
Und bei Sinnen im Staate ist einzig John Carr,
Dein Narr.“

II.

Ich fragte: „Wer stäupt mit Stiel und Besen
In China die Chinesen?“
Da sagte John Carr,
Mein Narr:
„So grausame Potentaten
Wie schlausame Büreaukraten,
So schmeichelnde Ducker
Wie speichelnde Mucker,
So wulstige Bäuchlinge
Wie schwulstige Heuchlinge,
[74]
So pfiffige Afterrichter
Wie kniffige Schranzengesichter,
So Leibesknechter, soldatische,
Wie Seelenwächter, dogmatische,
Kurz, Mächtige wie Schmächtige
Doch lauter Niederträchtige
Und rings an Thüren und Pforten
Staatsschergen von allen Sorten —
All diese Peiniger
Und Steiniger,
Sie stäupen mit Stiel und Besen
In China die Chinesen.
Und doch! Es zahlen die armen Schlucker
Für Branntwein, Tabak und Zucker
Geduldig ihre theuern,
Vielfachen Steuern
Und küssen Stiel und Besen
Als unterthänige Chinesen.
Potztausend, alle Wetter,
Ist euer langmüthiges Gebahren
Nicht um aus der Haut zu fahren?
Traumselige Schlummerköpfe,
Saumselige Kummerzöpfe
Und lahme Langsamtreter
Und zahme Götzenanbeter,
Das seid in China ihr Chinesen
Und solltet doch lieber trotz Stiel und Besen
Die Zöllner und Vornehmen *)
Kräftig beim Ohr nehmen,
Und das sag' ich, John Carr,
Dein Narr.“

* ) Die Vornehmen sind bekanntlich diejenigen, welche im Nehmen die Vorhand haben. Anm. des Setzers.

Ritter rät dem Knappen dies

[75]
Sitz im Sattel, reite,
Reite auf die Freite,
Freie dir die Fee der Freien,
Freie sie im milden Maien.
Mit Narzissen in den Händen
Geh ihr nah, doch an der Lenden
Schwebe dir dein Schwert!
Sprich zu ihr: Madleine,
Rose, Rose, Reine,
Willst du dich mir zärtlich neigen,
Willst du mir den Himmel zeigen?
Und sie wird die Augen senken,
Wird dir alle Himmel schenken.
Nimm sie auf dein Pferd!
Sitz im Sattel, sause,
Reit' mit ihr nach Hause.
Unter seidenbunten Decken
Sollst du dir dein Glück verstecken.
Alle Thore zugeschlossen!
Dämmergold ist ausgegossen
Über euern Herd.

Sehnsüchtige Melodie

[76]
Roseninsel, schwanumschwommen,
Roseninsel im grünen Meere,
Roseninsel, düfteschwere, —
Sonnenheiße,
Felsenweiße,
Heckenheimliche Roseninsel.
Rote Rosen, rankenwilde,
Rote Rosen, herzenheiße,
Rote Rosen auf Säulenweiße, —
Stengelhohe,
Schönheitfrohe,
Glutensammelnde rote Rosen.
Tempelhallen, marmorhelle,
Tempelhallen in heiligem Schweigen,
Tempelhallen, von Lorbeerzweigen
Eingeschlossene,
Sonnenübergossene,
Lautlose, leuchtende Tempelhallen.
Weiße Leiber, heiße, nackte,
Weiße Leiber, rosenumrötet,
Weiße Leiber, tanzumflötet, —
Schlanke, hohe,
Schönheitsfrohe,
Glutenhauchende, weiße Leiber.

Lied

[77]
Die Nacht ist nieder gangen,
Die schwarzen Schleier hangen
Nun über Busch und Haus.
Leis rauscht es in den Buchen,
Die letzten Winde suchen
Die vollsten Wipfel sich zum Neste aus.
Noch einmal leis ein Wehen,
Dann bleibt der Atem stehen
Der müden, müden Welt.
Nur noch ein zages Beben
Fühl durch die Nacht ich schweben,
Auf die der Friede seine Hände hält.

Oh Richard Voß!
Überschriftreime

[78]
Wann findet Rettung im Tierschutzverein
Dein Dichterroß?

Isten und Asten
Überschriftreime

Sie essen an Schlagwortknödeln sich satt;
Die Kunst muß fasten.

Deutsche Mäzene
Überschriftreime

Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott!
Ich zerdrücke eine Thräne.

Deutsche Literaturgeschichte
Überschriftreime

Sie entspringt der Abschreckungstheorie:
Daß nie ein Deutscher mehr dichte.

Die „neue Richtung“
Überschriftreime

Das Wort war gut, nun laßt es fort,
Schreibt tapfer: neue Dichtung.

Emil Zola
Überschriftreime

Er wechselt die Garderobe gern:
Jetzt ist er schon bei der Stola.

Heil! Fräulein Bürstenbinder!
Überschriftreime

[79]
Des Reichs Romanmilchbreiverquirlerin
Für Kinder.

Im Tingel-Tangel
Überschriftreime

Frau Aphrodite Pandemos
Wirft virtuos die Angel.

Im Kirchenstuhle
Überschriftreime

Frau Langeweile gähnt und dreht
Die abgegriffene Spuhle.

Literarische Rhobolophoren
Überschriftreime

Wer der Knüppelgarde höflich kommt,
Der ist verloren.

„Unter den Linden“
Überschriftreime

Ich möchte gern weniger Uniform,
Dafür mehr Menschen finden.

Die kranken Riesen
Überschriftreime

Krank Wagner, Ibsen, Tolstoj, Nietzsche, — Herr Max Nordau sagts,
Und der hat freilich stets sich als — gesund bewiesen.

„Die Waffen nieder!“
Überschriftreime

Ein Traum: Der letzte Leutnant hängt den Säbel auf,
Baronin Suttner singt ihm Wiegenlieder.

La débâcle
Überschriftreime

[80]
Schaut hin, wie David-Zola tanzt
Vor Chauvins Tabernakel.

Reklamegrößen
Überschriftreime

Sie brauchen in der That mehr als ein — Zeitungsblatt,
Zu decken ihre Blößen.

Kunst und Moral
Überschriftreime

Wer Wasser in den Wein gießt,
Macht ihn schaal.

Laura am Papier
Überschriftreime

Statt Saiten rupft sie ihre Nerven wund,
Den Schmerz erdulden wir.

Hermann Bahr
Überschriftreime

Wann seh' ich, Freund, dich tanzen auf dem Seil
Im Alkazar?

Das Traumland

[96]
In weichem Lilapurpur
liegt fern ein Traumesland:
blaudunkel glühn die Wellen,
und golden ist der Strand.
[97]
Cypressenwälder wiegen
im Wind ihr Nadellaub
und in den Lüften liegen
Maiglück und Sonnenstaub.
Die himmelhohen Kuppeln
der ewigen Berge schaun
im Scharlachschnee der Frühe
hin auf die goldnen Gaun.
Das Glück, das Glück umschmiegt uns,
wir sind vom Schmerz befreit —
und unsre Seele wiegt uns
in blaue Ewigkeit...

Herbstabend

Die angewelkten Wiesen liegen
vom goldnen Lichtmehl überstaubt,
drei hohe Buchenstämme wiegen
im Wind die Kronen, rotbelaubt,
nur aus verträumter Ferne dringen
verworrne Töne dir zu Sinn;
es zieht mit seinen roten Schwingen
der Abend überm Walde hin.
Du möchtest seinen Purpur greifen,
ihn greifen wie das goldne Glück,
und deine Lenzgedanken schweifen
nach einer hellen Zeit zurück.
Doch dunkler breiten sich die Dämmer,
die lilablauen, übers Feld;
fern klirren noch die Schmiedehämmer
und dann wird Ruhe auf der Welt.

Sommertrost

[98]
Gottes Güte kündet sich an,
einer sagts dem andern,
und der Schmerz, der weise Mann,
schnürt sein Bündel zum Wandern.
Weicher, tröstender Sommerduft
trocknet die Augen, die feuchten.
Gottes Segen liegt in der Luft,
und die Lande leuchten...

Eine Rose

Eine bleiche volle Rose
ruhte auf dem schwarzen Haar,
durch das Nachtgewand, das lose,
quoll dein junges Brüstepaar.
Deiner Augen dunkle Schatten
tauchten in die meinen tief,
und du küßtest, bis ich matten
Leibs an deiner Seite schlief...
In der Sonne Lichtgekose
strahlt des Morgens Glanzpanier.
Eine bleiche volle Rose,
ruhst du träumend neben mir.

Diesseits — Jenseits

[105]
Diesseits das Ufer und der Strom,
Lichtgrün ein Rasen am klaren Strand,
Der hohe, strahlende Himmelsdom
Über Hügel und Wälder hingespannt.
Jenseits, verhohlen und abgewandt
Wie die schattenflüchtige Seele vom Leib,
Die fremde Küste — sie droht dir: Komm!
Und die Ufer des Lebens lachen: O bleib
Diesseits!
Diesseits eine unendliche Sicht:
Der selig empfangende Mutterschooß,
Geborgnes Keimen zum schäumenden Licht,
Ein Sonnendasein, ein Liebesloos —
Und dann hinüber auf schmalem Floß
Die unsichtbare Küste entlang,
Wo sich die Brandung lautlos bricht:
Ein irres Landen, ein dunkler Empfang
Jenseits.
[106]
Wir wandeln hoffend und unbedacht,
Wir gleiten hinauf, hinab;
Bei Tage, da scheint die Sonne und wacht,
Da brauchst du keinen Stab.
Ein ragender Grenzpfahl steht fernab,
Kreuzpfade wirr ringsum,
Da stockst du scheu und schauernd bei Nacht,
Es weisen die Zeiger stumm:
Jenseits.

Ein Lied des Lebens
Nach Swinburne

Ich fand im Traume einen Ort der Rast
Mit süßen Blumen, duftigem Gerank;
Im weichen Sommerwinde bog sich schwank
Mit lieblichem Geflüster Ast zu Ast.
Inmitten saß ein Weib, weiß angethan,
In meinen Adern flammte und gerann
Das Blut, denn sie war wundersam;
In ihren Augen glomm ein sanftes Weh,
Auf ihren Lippen lag ein Glück von eh,
Ein milder Gram.
Sie hielt in ihrer Hand ein Instrument,
Das war von Gold und glänzte zauberhaft,
Aus eines Spielmanns Hinterlassenschaft
Vielleicht, den längst die Nachwelt nicht mehr kennt.
Die Saiten hatten Namen, Kräften gleich
In Menschenbrust. Die erste schien so weich,
Sie hieß Barmherzigkeit und weinte blos;
Die andern waren Traum, Glück, Leid benannt
Und Liebe, dem Erbarmen so verwandt
Und so erbarmungslos.
[107]
Drei Männer hielten sich im Hintergrund,
Gehüllt in rote Mäntel, Gold daran;
Gold klebte auch an ihren Schuhen, und
Gepflückte Ähren hingen ihnen an.
Des ersten Mannes Haar war auf sein Haupt
Wild hochgeknotet, sein Gewand verstaubt,
Die Wangen glühten fieberisch und hohl,
Und seine Brauen waren halbverdeckt
Von einem Tuch in Fetzen und befleckt:
Der Lust Symbol.
Schmach hieß der Zweite. Fahl war sein Gesicht
Wie grünes Holz, an dem die Flamme zehrt,
Die dünnen Füße wankten wie beschwert,
Als trügen sie die leichte Bürde nicht;
Sein Antlitz war uralten Grauens voll,
Mit jedem Kreislauf seines Blutes schwoll
Das Unmaß seiner Qual. Dem Dritten lag
Das Haar ins Auge; dieser war zu schaun
Starr wie der Tod, er war das Graun,
Der Blutsgenoß der Schmach.
Da sprach in mir mein Herz: O wunderbar!
Kein Blick ins All kann staunenswerter sein,
Ja selbst der Sonne Huld nicht — wenn es wahr,
Daß auch der Sünde gilt ihr milder Schein;
O seltsam Rätsel! Und ich frug danach
Die Frau'n, die Jener huldigten. Da sprach
Von den drei Männern erst das Graun: „Sieh mich,
Ich bin gestorbene Barmherzigkeit.“
Sprach Schmach: „Ich bin getröstet Herzeleid.“
Sprach Lust: „Die Liebe ich.“
Hierauf berührte sie ihr Saitenspiel
Und sang in fremden Lauten lieblich leis,
[108]
Und alle Angesichter wurden weiß
Von süßem Schmerz, und alle weinten still.
Von den drei Männern aber fiel das Kleid
Des Elends ab, die Augen wurden weit.
Durch ihre Wangen floß in frischem Lauf
Das Blut, die Glieder füllte neues Mark,
Als ständen sie von den Begrabnen, stark
Und jung, zum Leben auf.
Da sprach ich: Wahrlich, Herz, nun sei gewiß,
Daß meiner Herrin leuchtet Gottes Huld,
Daß Gott verklärt der Erde Bitternis,
Der Erde Tod und Sündenschuld,
Daß meine Herrin heilig ist und rein
Wie ihrer Stirne, ihrer Lippen Schein,
Dran meine ganze Seele bebend hängt,
Und daß ich selber ohne Fehl gleich ihr,
Wenn sie nur bis zum Tode mir
Ihr Mitleid schenkt.
Hinan, mein Lied! mein stolzes Lied, hinan!
Nimm Rosen in den Arm, so viel er trägt,
Dein purpurgolden Sängerkleid leg' an,
Das königliche Falten um dich schlägt —
So tritt vor meine Herrin hin und sprich:
„Borgia, dein golden Haar brennt mir im Sinn,
Nach deiner Lippen Glut gelüstet mich,
Küss' mich so vielmals, als ich durstig bin!
Borgia, sieh hier mein duftend Angebind,
Küss' mich so vielmals, als hier Rosen sind!“
Vielleicht, wenn sie so hold und stolz dich sieht,
Daß sie sich lieblich zu dir niederneigt,
Wie eine schlanke Rebe dich umzweigt,
Dich lachend küßt auf Wang' und Mund, mein Lied;
Vielleicht, mein Lied...

Ein Lied des Todes
Nach Swinburne

[109]
O Liebe, nieder in den Staub, und Flor
Um dich! Umgürte deine Lust mit Qual,
Und mit dem Widerhall
Von Wehgeschrei und Klage füll' dein Ohr!
Mach' ein Gewand aus Seufzerdunst und Harm,
Und hülle dich wollüstig fest
In sein Gewebe ein,
Und schmiede Ketten dir für Hals und Arm
Aus spitzem Schmerz und jeglichem Gebrest
Und Höllenpein!
O Lebensharfe, die du im Gefild
Der Todeslande hangen bliebst verwaist,
Zeit, Liebe, Sünde, Buhlen wild,
Wie habt ihr einst von Ihrem Ruhm gekreißt!
Herolde meiner Inbrunst, die sich jach
Aus euerm Schooß riß, gleich dem Flammenguß,
Den Feuerberge spein:
Auf ihren Pfaden wurden Lenze wach,
Und süß und heiß war ihres Mundes Kuß
Wie Wein!
O Liebe, sag', ob sie dir lieblich däuchte!
Zeit, fändest du in deinem weiten Reich,
Bis du aus Händen wirfst die Sonnenleuchte,
Ein Weib ihr gleich?
Und Sünde, wurde nicht dein frecher Mut
Auf ihren reinen Lippen scheu und zag?
Schmolz dein Gelüst
Nicht hin an ihrer Scham, hold wie die Glut,
Die über Rosen gleitet, wenn der Tag
Sie auf die Wangen küßt! —
[110]
Nachts trat zu mir Frau Venus; Todesschweiß
Bedeckte ihre Stirn, darunter schlich
Langsam und siech
Das Blut, und ihre Schläfen glühten heiß.
Des Meeres Schein und goldenes Geflirr
Und seine Woge war in ihrem Haar,
Im Auge schwamm
Ein wellenfeuchter Glanz, unstät und irr,
Und das Gestein an ihren Füßen war
Leuchtend und wundersam.
In ihr Gewand gewoben war der Liebe
Mysterisch Alphabet, ihr Sinn und Sein
Und tausendfach Getriebe,
Draus Wonne lachte, wie aus Trauben Wein.
Schämige Lippen, Wangen weich und glatt,
Blutende Herzen, die Cupido traf
Mit seinem Pfeil,
Und weinende Gesichter, todesmatt
Von taumelndem Genuß, lüstern nach Schlaf
Und ewig geil.
Sie weinte, weinte; durch das helle Naß
Der Thränen rollte dunkelrotes Blut,
Flüssige Glut,
Die auf mein Antlitz fiel und es zerfraß.
Sie sprach zu mir: „Fürwahr, es blieb dir nichts“ —
Selbst sie, für die der höchste Preis, den nur
Die Erde beut,
Ein einziger Strahl in einer Welt des Lichts,
Ein einziger Strahl nur, eine flüchtige Spur
In trunkner Ewigkeit;
Selbst sie, auf deren herrischen Befehl
Die Liebe lauscht, der Könige ehrfurchtsvoll
Sich nahn, den Zoll
[111]
Der Schönheit bietend, Wein und würzig Öl;
Selbst sie, auf deren Mund der Kuß zu Brand
Und Weihrauch wird und purpurn wie der Gleisch
Im Sonnenlicht;
Sie, deren Haar wie königlich Gewand
Und deren Auge wie der Morgen keusch,
Wenn er der Nacht entbricht! —
Da traf mein Blick zu meiner Rechten, weh,
Das Abbild der Geliebten, still und tot.
Noch süß, doch nicht mehr rot
War der geschloss'ne Mund, so siegreich eh;
Und süß, doch trüb wie mattes Gold ihr Haar,
Und süß die Lider, deren Kern das Licht
Der Seele trug,
Und süß, doch fremd in seinen Farben war
Ihr Leib, um den ein dunkler Schatten dicht
Die Schwingen schlug.
Weh, meiner Thränen Fluten rannen heiß
Auf ihrer Brust erstarrte Blume hin,
Die marmorn schien
In ihrem kalten, fleckenlosen Weiß;
Weh, meiner Thränen heiße Welle floß
Auf die erstarrte Blüte, deren Duft
Nun, ach, verflog,
Die Blüte, die sich lieblich einst erschloß
Wie eine Lilie, die aus Frühlingsluft
Den Atem sog.
O, in den Tagen, da mir Gott noch Huld
Erwies, war jeder Teil an ihr geweiht,
Ihr Mund Barmherzigkeit,
Des Mundes Lächeln reinigend von Schuld.
Zu jener Zeit, da wir in Gottes Hut
Gewandelt, goß auf ihren Leib
Sein Licht der Liebesstern,
[112]
War ihre ganze Hülle schön und gut
Und frommer als in jedem andern Weib
Der Seele Kern.
Flieg aus, mein Lied, such' einen geilen Ort,
Den niedrig wucherndes Gewächs umflicht,
Brich Distelkraut und Dornensträucher dort,
Verfaultes Gras und mild Vergißmeinnicht,
Und sammle roten Mohn und Rosmarin —
So suche dir des Todes Angesicht
Und tritt, dich tief verneigend, vor ihn hin
Und laß ihn sehn, wie du dich härmst und weinst.
Und sprich zu ihm: „Mein Herr, der dermaleinst
Der Liebe Lehnsmann war, verspricht sich Euch!“
Doch zaudre nicht auf deinem Wege, fleuch;
Denn wahrlich, eh der Sonnenball versinkt,
Blickt er vielleicht von selbst zur Thür herein
Und starrt und grinst und harrt schon mein
Und winkt und winkt...

Wahl

Aus ihrer Nacht verlangen wol die Seelen
Im Licht der Welt einander zu begegnen,
Und suchend wagen sie sich zu entlegnen
Pfadlosen Wolkenhöhn hinan und wählen.
Aber, verwirrt und sonnentrunken, fehlen
Und straucheln sie auf den unsichern Steigen
Und müssen sich verhüllt hinunterstehlen
Und müssen ihre bange Flucht verschweigen.
Nur wenn ein Stern sich annimmt der Verwegnen,
Dann dürfen sie dort oben sich vermählen
Und dann von ihrem Sehnsuchtsflug erzählen
Und ihren Stern mit stummen Zeichen segnen.

Der Faden der hl. Jungfrau
(Nach einem Bilde im Pariser Salon 1888)

[113]
Wißt ihr, warum der schnellen Schwalben
Nester Glück in die Hütten bringen?
Hört: auf dem Plattdach saß Maria
Schlummernd, es ruht' ihres Spinnrads Schwingen.
Denn nachdem sie im Abendwallen
Schaut' auf Bethlehems träumenden Plan,
Ließ sie das Haupt auf die Linke fallen,
Sah im Traume die Zukunft nah'n.
Sah ihr herrliches Kind mit neuen
Kräften die alternde Welt beleben,
Sah ihn den Hüttenfirst benedeien,
Ackersklaven zu Menschen erheben —
O wie hat sie gelächelt im Traume,
Daß sie den Sohn des Herren trug!
Doch hinab zu des Lichtkleids Saume
Fließt ein Schleier, düster genug.
Pfeifende Schwalben pfeilen und schlupfen
Kühn vorbei, weil das Rad nicht saust;
Von der Schläferin Rocken zupfen
Sie den Flachs — und wo Einfalt haust,
[114]
Bau'n sie getrost mit der Jungfrau Faden
Über den kleinen Thüren ihr Nest;
Dort ist Friede zu Gast geladen,
Weizen und Herzen gedeihen aufs Best'!
***
Als nun die Sommerfäden schifften
(Nachmals Marienfäden genannt),
Fühlte die Jungfrau in volleren Hüften
Einer himmlischen Liebe Pfand.
Aber wie sonst mit feinem Tritte
Schritt sie im Schühlein hurtig dahin
An den Bronn, in der Mägde Mitte,
Die sie neckten mit spöttlichem Sinn:
„Sage, Maria, wir wüßten's gerne,
Wie du nur eilends schreiten magst,
Wo man doch munkelt nah und ferne,
Daß du vom Zimmrer ein Kindlein tragst?“
„Seht ihr die Sommerfäden eilen?
Schaut ihr die reisenden Schwalben dort?
Mich auch drängt's, wie durch tausend Meilen,
Denn ich trage das Flügelwort!“

Osterkerzen

Die Osterkerzen im Orgeldust
Erwachten mit Engelblicken,
Da hast du das Beste meiner Brust
Entzündet in Entzücken!
Du selber wie eine Leuchte schlank,
Die Augen flammenleuchtend —
O wie ich in die Kniee sank,
Mit Thränen den Betstuhl feuchtend!
[115]
So rannte der Heide Widukind
Einst in den Dom zu Aachen,
Wo bunte Scheiben, Gesänge lind,
In Sinn und Herz ihm brachen —
„In meinem Urwald auf's Gradewohl
Stehn Bäume, rankendurchrungen —
Doch hat der Fürst der Franken, Karol,
Selbst Säulen zu Koppeln gezwungen.“
„Und wolltest dich wagen, mein rasend Schwert,
An ihn, an die Stärkste der Säulen!“
Vom Hauch der Symmetrie verklärt,
Zerschmolz der Mörder in Heulen. —
— So brach ich Wilder aus dem Grund
Der Gier mit rauhem Verlangen —
Da sah ich deinen Leidensmund,
Des edlen Härmens Wangen —
Und von Entsagung, Säulenzucht
Des Geistes zeugte dein Wesen —
Bin unter Staunen und Orgelwucht
Zu meinem Ostern genesen.

Wo nur?

Am kleinen Tag Sonnenaufgangschein
Wie ein Bronzegeschmeid auf dem Kuppeldach lag,
Über der Öde von Zink und Stein
Schwebte schmetternder Finkenschlag,
Während doch alles von Schloten umragt,
Rings kein Baum zu erblicken.
Habe mich drum erstaunt gefragt:
Wo singt nur der Vogel voller Entzücken?
[116]
Das hohe Eckhaus meiner Rue Monge
Mit seiner gewölbten Giebelmauer,
Mit seinen gestäbten Reifenbalkons
Sieht aus, wie ein riesiger Vogelbauer.
Ach, und der Vogel flötet so feucht,
Ob auch aus Dachkammerlücken
Kaum ein kümmerlich Grünwerk schleicht —
Wo steckst du nur, Buschkind voller Entzücken?
Fröstelnd trat ich zurück an's Bett,
Drinn meine heiße Braune träumte —
Bald im Takt mit dem Atem-Duett
Draußen der schwebende Triller sich bäumte.
Zitternd küßt' ich die wallende Brust,
Schwamm in den halben Blicken —
Und da hab' ich's auf einmal gewußt:
Aus den stummen Häusern jauchzt das Entzücken!

Nationalfest (14. Juli)

Fest des Bastillensturms! Lampionglänzen
Über nächtigen Pflastertänzen.
Straßensänger — ein Kicherduft
Von tremolirendem Selbstvergessen
Der Guitarren — fast riecht die Luft
Nach der Violinen Karessen.
— Manch Pärchen entschlief, gestreichelt von Geigen;
Nur ich kroch einsam in's Bett; mir schweigen
Die fremden Laute
Weil ich im Traume die Heimat schaute!
Nicht entflieh mir aus Traumesneigen,
Madl, das mich zu trösten kam!
[117]
Deine Stimme klingt mir wie Geigen,
Weil ich so lang kein „boarisch“ vernahm —
Wälschlands schmeidige Walzer, verdampft!
Horch? Dort wird ja Schuhplattler gestampft!

N.

Er warf sich, erschöpft vom Juli-Dunst,
Auf die muldige Steinbank im Louvre-Thor;
Durch den Thorweg rannte man flötend, bepackt,
Ihm kam all das Volk wie Heuschrecken vor.
„O wo ein Zeichen, mit dem man beschwört
Und leitbar macht dies Hunger-Gerenn?!“
Da winkt' ihm über dem wucht'gen Portal
Mit Lorbeer umkränzt der Schriftzug N.
„Du Heuschreckenwälzer, Napoleon,
Dein Namenszug — ein erstarrter Blitz!
Ein Peitschenschwung, auf Nacken gesaust,
Die nur vor dem Herrscherwagen was nütz!
Auch du hast matt wohl gebrütet hier,
Verloren unscheinbar im Heuschreckenschwarme —
Trotz Ohnmacht und Staub, ich verzweifle nicht!
Im Hirn ja wachsen mir tausend Arme!“
„Was gibt's noch zu stemmen, zu rütteln all
Für Künstlerfaust am steinblockigen Leben!
Und mehr, als du thatest — wenn es geläng',
Den Heuschrecken Schmetterlingsflügel zu geben.
— Ein Mütterchen sank in die Muldenbank,
Das ein großes Heft unterm Arme trug —
Verschrumpfte Hexe, bist du die Norne?
Und enthält dein Heft einen Runenzug?“
[118]
„Napoleon riß die Krone dem Papst
Aus der Hand, sie sich selber zu stülpen auf's Haupt —
Des Cäsars Kanonen barsten längst,
An den Priester die halbe Erde noch glaubt.
Nur geistig Gemeingut ist fester Kitt,
Und die Kunst soll das Papsttum der Zukunft sein!
Gegen Heuschreckenhunger und Dynamit
Sichern Schmetterlingsflügel allein.“
„Da drüben die Trümmer des Rechnungshofs
Durchwuchert von Ahorn und Clematiten;
Das Mauerskelett nackt abgenagt
Von roter Heuschrecken Flammenwüten.
Die Massen, die Kraterkraft gezeigt
Beim Bombenballspiel und Niederbrennen,
Sollten sie, wenn erst ein Glaube sie zähmt,
Nicht auch Dome der Künste türmen können?“

Tant pis!

Quai-Fenster blitzen im Abendgold
Glühend, wie Carmenküsse —
O bleib' dieser prächtigen Erde hold
Und mach' keine grämlichen Schlüsse!
Auf Brüstungen Ahornblätter verstreut;
Der Winter kommt, der Mai ist so weit —
Da drüben der Dom, ein harmonisch Juwel!
Das Stadthaus in Wehr und Waffen!
Aber auf Erden ist Alles scheel —
Schönheit giebt's nur bei Schlaraffen.
Dicht hinter dem Dom das gekauerte Haus,
Das ist die Morgue, ein grämlicher Graus —
Die dort so stumpf zusammengeklappt
Haben auch einst ihren Mai gehabt.
[119]
Violette Wölkchen in träumenden Lüften.
Vorbei mir tänzeln mit runden Kinnen,
Speckigen Hälsen, wiegsamen Hüften
Zwei kleine, kokette Arbeiterinnen.
Um so schlimmer für ihn, den die Morgue hält —
Welch patente Erfindung ist doch die Welt!

Rotkäppchen

Rotkäppchen, sprich, warum denn bist
Du gar so traurig heut?
Und strahlt doch sonst dein Kinderaug'
In klarer Fröhlichkeit.
Was dich bedrückt, o sag's mir an,
Damit ich dich erleichtern,
Dir helfen kann.
„O Jesus! Reißend groß ein Wolf,
Gar furchtbar anzuschauen,
Ist mir aus finsterm Tannenforst
Gefolgt im Abendgrauen.
Und wie ich bang nach hinten sah,
Urplötzlich stand er drohend
Als Zaub'rer da.“
„Ein Kreuz ich stets am Halse trug,
(Ein Pilger einst mir's schenkte)
Der Zaub'rer hieß mich, daß ich's tief
Im sumpf'gen Teich versenkte.
Ach, daß ich's fortgeworfen hab'!
Ich wollt', ich läg' verborgen
Im tiefen Grab.“
[120]
Nein, weine nicht, du armes Kind!
Es bleibt ja doch geschehn.
Ob Spatzen frech auch schnattern, darfst
Drum mir in's Auge sehn.
Du bist und bleibst ja engelhold,
Und all dein süßes Wesen
Ist Unschuldsgold.
Du wagtest dich im Käppchen schlicht
Und dünner, knapper Taille
Durch Großstadt-Schluchten — weine nicht! —
Drinn manche Wolfskanaille.
Doch that kein Wolfszahn dir ein Leid —
Denn dich umpanzert Seelen-
Jungfräulichkeit.
Den Diamanten werft in Schmutz —
Er bleibt, was je er war.
So botest du dem Weltschlamm Trutz,
Dein Aug' und Herz blieb klar.
Ein Wurmbezwinger strahlt dein Blick!
Was in mir selber kochte,
Kraucht tief zurück.
Nicht weinen! Lacht dein Käppchen doch
Auf einer Stirn so rein!
Darunter flehen Augen groß,
Wie seufzende Schalmei'n —
Du liebes Kinderangesicht!
Ich schütze dich, du Süße!
O weine nicht!
Du sollst nicht, schweifend heimatlos,
Am Dorn die Füßchen ritzen,
Wir wollen siedeln traut im Wald,
[121]
Vor stiller Hütte sitzen.
Großmütterlein den Rocken spinnt,
Sie nickt — nun gib die Lippen,
Die Blüten sind.

Berliner Frühling

Berlin ist nun zwar nicht mein Fall —
Doch Mai im Thiergarten — sapperment!
Spazieren gehn im Blüthenschwall
Ein Dichter und ein Rezensent.
„Die Sonne rief hinab: erwache! —
Und alles Dasein sprengt die Frohn.“
„„Schön, schön. Nur ist die ganze Sache
Eintönig, ohne Variation.““
„Ein Fächeln ist's des Paradieses,
Der gold'nen Knospen traumhaft Wehn!“
„„Schön, schön. Doch hat man Alles Dieses
In früh'ren Jahren schon gesehn.““
„Nestvögel schlüpfen, gleich den Elfen,
Die Nachtigall ahnt Wonnestunden.“
„„Schön, schön. Doch kann ich mir nicht helfen
Sie singt ein bischen anempfunden.““
„Der täppischen Blättchen summend Gedränge
Wie Mücken in den Lüften steht.“
„„Hm. Doch man fühlt sich in der Enge —
Der Blick im Winter weiter geht.““
[122]
„Die Eiche trotzt, noch ohne Blatt,
Zum Selbstwuchs eine stolze Mahnung.“
„„Von kunstgemäßem Aufbau hat
Der krause Zweigwust keine Ahnung.““
„Ein Pärchen auf der Bank verschmiegt,
Wie Birkenreiz an Buchensäule.“
„„Das Publikum ist mißvergnügt,
Dort schlafen zwei vor Langeweile.““
„Am Stamme trommelt keck der Specht,
Eichhörnchen flutscht mit buschigem Sterze.“
„„Mir wird von der Reklame schlecht!
O diese abgebrauchten Scherze!““
„Ah, rings welch kindlich gütiger Segen!
Ich fühle mich in brausenden Strömen!“
„„Nun, ein gewisses Gestaltungsvermögen
Will ich dem Frühling ja nicht nehmen.
„„Nimmt Autor Lenz mein Urtheil wahr,
Bleibt nüchtern, thut nicht wie besoffen,
So läßt sich wohl im Januar
Ersprießliches von ihm erhoffen.““

Das Ende des Tages
Nach Baudelaire

[123]
Das Leben, frech und dumm und schamlos,
Im letzten, blassen Abendschein,
Seh' ich es rennen, springen, tanzen. —
Die wollustreiche Nacht bricht ein,
Und sie vertreibt des Hungers Nagen,
Sie löscht der Schande dunkles Mal,
So bist du endlich doch gekommen
Ruft der Poet — nun schweigt die Qual.
Mein Hirn und meine Knochen mahnen
Zur Ruhe mich mit heißem Flehn,
Im Herzen schwillt ein Todesahnen,
Wohlan denn: ich will schlafen gehn
Und tief mich hüllen in dein Kleid,
Erlabend süße Dunkelheit.

Motto für ein verdammtes Buch

Leser, kindlich unbefangen,
Mäßig, sanft und hirtenfröhlich,
Wirf von dir mein Buch, so finster,
Schwelgerisch und melancholisch. —
[124]
Wenn du nicht Kollegien hörtest,
Satans, dieses schlauen Meisters,
Bleibt's dir unverständlich — oder
Hältst du mich für nervenkrank.
Aber lerntest du die Augen
Tauchen in die tiefsten Schlünde
Ihrem Zauber unzugänglich —
Nimm mein Buch und lern' mich lieben!
Seele, neubegierig, leidend,
Paradiese rastlos suchend,
Weih' mir Klage, Seele, oder —
Sei verflucht.

Spleen

Dir, König jenes Landes, dem steter Regen wallt,
Dir gleich ich: reich, doch machtlos, noch jung und doch so alt.
Verachtend der Erzieher ergebungsvolle Meute
Wird er und seine Hunde der Langenweile Beute.
Nicht Rothwild und nicht Falke ihm Fröhlichkeit erwirbt,
Auch nicht sein Volk, das täglich vor seinen Fenstern stirbt;
Und längst nicht mehr des Narren groteske Schauermähren
Dem Krauken, trüb und grausam, Erlustigung gewähren.
Ihm wird zum Grab sein Lager mit Lilien geschmückt,
Die Damen seines Hofes, die jeder Prinz entzückt,
Sie wissen nicht wie schamlos die Kleider noch zu tragen,
Um dem Skelett, dem jungen, ein Lächeln abzujagen.
Nicht konnte selbst sein Weiser, der Gold aus Eisen brennt,
Aus seiner Seele tilgen das kranke Element.
Ja selbst in Blut die Badung, ein römisches Verfahren,
An das sich gern erinnern die alternden Cäsaren,
Gab Wärme nicht, noch Leben, dem Leibe, stumpf, versiecht
Den grünes Lethewasser an blutesstatt durchkriecht.

Semper eadem

[125]
„Erstaunlich dünkt dir, Liebste, meine Trauer?“
„Sie wogt wie Meer um Klippen, schwarz und kahl?“
— Des Herzens Erntezeit hat kurze Dauer,
Sie geht vorbei und dann ist Leben Qual.
Nicht Leiden sind das, tief geheimnisvolle,
Wie deine Freuden stehn sie voll im Licht;
D'rum laß das Forschen, schöne Neugiertolle,
Und trotz der süßen Stimme frage nicht.
Schweig', ahnungsloses, immerfrohes Wesen!
Du bist zum Lachen und zur Lust erlesen,
Ich aber fühle stets des Todes Macht.
O laß aus Lügen Seligkeit mich saugen,
Versenken mich in's Traumbild deiner Augen,
In deiner Wimpern schattenschwere Pracht.

Verwandte Schrecken

Was dieser Himmel, fahl und schaurig,
Und wie mein Schicksal, wild bewegt,
In meiner öden, wüsten Seele
Was für Gedanken er erregt? ...
Voll unersättlicher Begierde
Nach ungewisser Dunkelheit
Veracht' ich's wie Ovid zu jammern
Nach Haus und Herd und Seligkeit.
Du Himmelsstrand, zerrissen wild
Bist meines Stolzes Ebenbild.
Ihr aber, Wolken, schwarz und schwer
Seid meiner Träume Rabenheer.
Und all' dies fahle Licht entgleißt
Der Hölle, die mir — Eden heißt.

Der Dämon
(Ein Fragment)

[126]

I.
Die Entfremdung

Verflucht, ihr Sonnen und Sterne!
Du blauende Ferne!!
Was äfft ihr den wachen, träumenden Geist
Mit Bildern, die doch ein Hauch zerreißt!
Dies ganze bunte Bilderbuch
Ist ein Trug.
Das atmende Meer im Morgenlicht,
Das kenne ich nicht.
Der Frühhauch, der perlend die Flut überläuft,
Der Glanz, den der Äther herniederträuft,
Die Wärme, das lachende Himmelszelt, —
Lüge, Lüge die ganze Welt!
Und echt nur die Qual, und echt nur die Qual,
Der Schrei, der durch Ewigkeiten sich stahl
Aus unendlichem Weltenweh erdenwärts
In das fühlende, schuldige Menschenherz,
Das nun, ein Echo der leidenden Zeit,
Die Qual widertönt der Ewigkeit.
O, wie ich sie hasse, die prahlende Kraft,
Die spielerisch Welten aus Träumen schafft
[127]
Und gaukelnd den hungernden Menschengeist
Mit gleißnerischen Symbolen speist!
Ermattet bin ich, die Flügel so schwer,
Und dennoch schwing' ich mich über das Meer
Und schlage die schwarzen Flügel voll Hohn
Um ihren erlogenen Sonnenthron.
Und schau, den du Gott den Allmächtigen nennst,
Er fürchtet sich vor dem vergrämten Gespenst!

II.
Der Flug des Einsamen

In purpurner Dämmerung schwing ich die Flügel
Über die Hügel
In's träumende Land.
Schwer in den Sand
Tropfen salzige Thränen
Aus sengendem Sehnen.
Und wo eine blitzende Thräne fällt
In das fahle Feld,
Da sproßt eine schwarze Blume auf,
Die heißt Schmerz.
Schaust du der Sterne beruhigten Lauf,
Verbittertes Herz?
Siehst du ihr Blinken?
Kühlen Frieden zu trinken,
Drängt es dich auch;
Aber Glut ist dein Hauch!
Den er streift, der Ort,
Ist versengt, verdorrt,
Und ewig verstummt ist der Quelle Laut,
Die deine glühenden Lippen betaut.
Den blumigen Grund, den dein Fuß betrat,
Deckt Aschensaat.
Vergilbt und verwittert ist dir die Welt,
Ein Trugbild das Sternenzelt,
[128]
Gottesliebe dein Herzeleid,
Verdammt in Ewigkeit!
So suche ich über der schlafenden Flur
Auf schwarzen Flügeln die alte Spur. —
— — — — — — — — — — — — — — —
Nun seh' ich die gähnende Tiefe erhellt.
Morgenlicht trinkt die Welt.
Mit ermatteten Flügen rausch' ich einher,
An ein fernes Meer.
Da tauch' ich die sinkenden Schwingen, umloht,
In Meerschaum und Morgenrot.
O Tod, o Leben!
Hin und her zu schweben
Durch die Welt, die Gott schuf,
Ist mein Beruf.
Hab' ich Hunger — o Scham!,
So würg' ich Gram.
Steigert Durst mein Sehnen,
Trink' ich Thränen!
Ich leihe, wenn meine Qual erwacht,
Den Fittig der Nacht
Und stürme mit Wolken und Winden einher
An mein fernes Meer.
Dann muß mir der Morgen
Seine Flügel borgen.
Und über knisternden Meeressand
Streift hinter mir unverwandt
Als ein grauer, schleppender Seidenflor
Die Reue, daß ich mich selbst verlor.

III.
Weltlage

Da sitz' ich in sengender Sonnenglut
Am Meer, das verschlafen und bleiern ruht.
Ich fasse den Felsen und fühle ihn nicht,
Er bröckelt wie Zunder im Sonnenlicht.
[129]
Und es sehnt sich nach Schlaf, nach traumloser Ruh'
Der Schmerz und drückt seine Augen zu.
Da taucht ein Kirchlein aus Almengrün,
Im Friedhof verworren die Rosen blüh'n.
Das Glöcklein zittert in's dämmernde Thal
Und Schweigen atmet im Alpensaal.
Die Kirchenthüre sperrangelweit —
In der weltverlorenen Einsamkeit.
Da tönt ein Schluchzen so weh und wild —
Grad unter dem Muttergottesbild.
Ein lieblich Menschenkind betet im Sand
Zur schmutzigen, häßlichen Leinewand.
Die schweigt und lächelt gefirnißt dazu:
Du mein süßes, blödsinniges Nannerl du! —
Der Pfaffe derweil sitzt beim sauern Wein
Und schenkt sich ein frisches Krügel ein.
Dann führt er mit gichtisch-zitternder Hand
Die Prise zur Nase und niest an die Wand.
„Na, was da wieder das Wochenblatt schreibt:
Im Dägermoos hat sich ein Wild'rer entleibt.
Mareia und Josef, es wär' nichts dabei,
Aber 's giebt wieder Anständ' und Schererei!“ —
Da fahr' ich empor, aus dem Schlafe geschreckt, —
Mein eignes Lachen hat mich aufgeweckt. —
O traure nicht, Dämon, und dämpf' deine Glut,
Die Welt wohnt noch immer in sicherer Hut.
Sie spielt noch immer in seliger Ruh
Mit Heiligenbildern — und lächelt dazu.
Derweil du schmachtest in ewigem Leid,
Herrscht drunten die alte Gemütlichkeit.
Da spannt' ich die Flügel und segelte weit
Und schämte mich meiner Kläglichkeit.

Elegie

[135]
Hinab zur unendlichen Ebene taucht
Rotglühend der volle Mond.
Des Morgens erster Odem behaucht
Mit feuchtem Kusse die silbergrauen
Erschauernden Roggenauen.
Wie schmacht' ich, die schwülen
Vergrämten Sünderschläfen
Im thauigen Schoße des Feldes zu kühlen!
Wenn nur die Ähren
Nicht spröde Beichtiger wären.
Doch zwischen den Ähren, du lodernde bleiche
Blüte des Mohnes, üppige weiche
Zu dir will ich gehen,
Süßes Köpfchen, du wirst mich verstehen.
Dies schüchterne Neigen,
Wehmütige Lächeln, schmachtende Schweigen...
O ich weiß, was es spricht:
[136]
„Getrost, mein Liebling, laß dein reuiges Mühen
Und bette dich her zu mir! Ob es bricht,
Das fromme Korn, o scheue die Sünde nicht;
Wir sündigen, weil wir blühen.
Vergiß die Welt, die uns Unkraut schilt,
Versenke die Seele versöhnt und mild
In meine barmherzige Blüte,
Laß heimlich uns trinken die duldsame Güte
Des Mondes und rings vom weiten Gefild
Unendliche heilige Ruhe!“

Die Pappel

Pappel, in deren Schattenrevier
Still geborgen ich ländlich wohne,
Breitgewipfelte Silberkrone,
Endlich wieder daheim bei dir!
Segne die schmachtende Stirne mir,
Die in schwatzender Menge Gewühl
Staubig ward und taumlig schwül,
Segne sie mit dem Kusse des Friedens!
Holde Rast, wo gastlich die frischen
Blätterschatten auf Gräsern sich kräuseln,
Wo in wogendes Wipfelsäuseln
Hurtige Schwalben ihr jauchzendes Zischen,
Ähren ihr sanftes Gelispel mischen,
Während die Sonne hinunterrollt,
Mit verklärendem Purpurgold
Zärtlich die Wolke von Laub umkost...!
Heimische Pappel, Freundin, mein Trost! ...
[137]
Wenn in stummer heißer Nacht,
Ganz verloren in Gram und Grimme,
Meine Seele weinend wacht,
Hebt erlösend vor dem Fenster
Sich der treuen Pappel Stimme
Und verscheucht die Schreckgespenster.
O du heimlich süßes Lauschen,
Ruhevolles Wipfelrauschen!
Dies Gewoge und Gewühle,
Aufgeregt vom hauchenden Wetter,
Dies Geplätscher derber Blätter
Gleich dem Waldbach an der Mühle...
O du Labetrank voll Kühle!
Manchmal seh ich die Pappel, von blauen
Blitzen umlodert, ob Garten und Haus
Stattlich ragen und weit hinaus
Spähen über die nebelgrauen
Wellenschlagenden Korngefilde,
Wo die flammende Wolke regnet, —
Wie ein Patriarch, der milde
Seine träumenden Völker segnet.

Erstes Kapitel aus Alfred de Musset's „Rolla“

[138]
Ruft ihr nach der Zeit, wo diese Erde
Noch ein Glanzgeschlecht von Göttern trug;
Wo der Salzflut Tochter, Astaroth,
Jungfrau noch, von Mutter-Thränen triefend,
Weltenschwängernd ihre Haare wand?
Ruft ihr nach der Zeit, wo geile Nymphen,
Durch besonnte Wasserblumen schwimmend,
An den Ufern schallenden Gelächters
Stumpfe Faune neckten, Schilfrohrschläfer;
Wo vom heißen Kuße des Narziß
Quellen bebten, drin sein Bild er schaute;
Wo die ewige Gerechtigkeit
Herkules im blutigen Löwenmantel
Nord- und südwärts durch die Schöpfung führte;
Wo aus Eichenrinden Spottsylvane
Huschten, mit dem Winde sich zu wiegen
Auf dem grünen schwankenden Gezweig,
Und des Wandrers Lied im Echo äfften;
Wo noch göttlich Alles, selbst des Menschen Weh;
Wo die Welt gehuldigt, wenn sie heute mordet;
Wo viel Tausend himmlische Gestalten
[139]
Keinen einzigen Gottesleugner fanden;
Wo noch glücklich Alles, nur Prometheus nicht,
Satans ältrer Bruder, der gleich ihm gestürzt?
— Und als Alles sich verwandelt hatte,
Erd und Himmel und des Menschen Jugend,
Als der Welt die Wiege ward zum Sarg,
Als ein Sturm, aus dunklem Norden fegend,
Seine Schneesturzfluten südwärts rollte
Und das Trümmerfeld von Rom begrub, —
Ruft ihr nach der Zeit, wo aus Verwildrung
Eine neue goldene Ära wuchs,
Früchtereich, voll niegekannter Schöne?
Wo die alte Welt mit Lazarus
Ihres Riesengrabes Stein gesprengt
Und verjüngt aus der Verwesung schritt?
Ruft ihr nach der Zeit, wo ihre Flügel
Unsre alten Goldromanzen dehnten,
Ihrer Welt ein Staunen und Entzücken;
Wo, was wir geschaffen und geglaubt,
Seiner Unschuld weißen Mantel trug;
Wo das ganze Leben neu ersproß
Unter Christi stiller Friedenshand;
Wo von Fürstenschloß wie Gotteshaus,
Bergentwachsen, himmelwärts sich türmend,
Niederleuchtete dasselbe Kreuz;
Wo fernab in Steingewändern knieend,
Notre-Dame, Sankt Peter, Straßburg, Köln
Neuer Welt ihr Hosianna brachten
Zum Gedröhne ungezählter Orgeln
Betend hingeworfner Völkerschaaren?
Nach der Zeit der Wunder und Legende,
Wo des Kruzifixes Elfenbein
Von geweihtem Altar niederstreckte
[140]
Milchweißlautre Arme, weltumfangend;
Wo das Leben jung noch war, der Tod
Reich an Hoffen — ruft ihr nach der Zeit?
Nimmer trag ich, Christus, bange Bitte
Andern gleich in deine stummen Tempel;
Nimmer nah ich dem Kalvarienberg,
Deine blutigen Füße dort zu küssen;
Aufrecht steh ich da in düstren Hallen,
Wenn dein gläubig Volk, gebetemurmelnd,
Beim Tedeum-Brausen tief sich bückt,
Wie beim Nordwindwehn ein Schilfrohrvolk.
Nimmer glaub ich an die Heiligkeit
Deines Worts: bin allzuspät
In die allzualte Welt gekommen.
Ein Jahrhundert ohne Hoffnung muß
Ein Jahrhundert ohne Furcht gebären;
Unsrer Leuchtgestirne greller Glanz
Scheuchte alle Himmelsvölker fort.
Aufgewacht aus ihren Wähnen irrt
Jetzt die Welt am Strand des Unbekannten,
Von der Gottheit „Ohngefähr“ geleitet;
Und der Vorwelt Geist, um Trümmer kreisend,
Stürzt dein Engelheer, verstümmelt schon,
In den Gähneschlund der Ewigkeit.
Kaum noch tragen dich des Kreuzes Nägel
Und dein göttlich Grabmal brach zusammen:
Tot dein Ruhm, o Christ! auf unsrer Kreuze
Schwarzem Ebenholz zerfiel dein Leichnam.
Wohl! so sei's vergönnt, den Staub zu küssen,
Einem minder glaubensfrohen Sohn
Des Jahrhunderts, dem der Glaube fremd.
Und die kalte Erde zu beweinen,
Die von deinem Tode lebte, Christ,
[141]
Doch zum Sterben deiner nicht bedarf!
Oh, nunmehr, wer soll ihr Leben bringen,
Wie du's einst mit reinstem Blut verjüngt?
Wer soll wieder thun, was du gethan?
Uns, die Greise, Gestern erst geboren,
Wer in weiter Welt soll uns verjüngen?
Just genau so alt, wie deine Zeit,
Harren wir und haben mehr verloren.
Todeskälter starrt zum zweitenmal
Lazarus im ungeheuren Sarg.
Wo der Heiland, der die Gräber sprengt?
Wo Sankt Paulus, der zu Römern redet,
Noch mit Götterfetzen Völker ködernd?
Wo das Abendmahl? die Katakomben?
Wen umstrahlt ein Glorienfeuerschein?
Wessen Fuß salbt Magdalenas Öl?
Wo die Luft, drin Geisterstimme flüstert?
Wer von uns geht hin, ein Gott zu werden,
Wer von uns? — Genau so alt und morsch
Ward die Welt, genau so hoffnungsbar
Schüttelt sie ihr Haupt, wie in den Tagen,
Da Johannes Rufwort in der Wüste
Ihr mit eins den siechen Leib durchrieselt
Und sie neues Leben in sich pochen fühlte.
Der Neronen Tage kehrten wieder;
Mit der Zeit zugleich starb Alles hin
Und verdorrt ist ihrer Kinder Blutstrom.
Aber müde ward die Menschen-Hoffnung,
Übersatt zu neuer Mutterschaft,
Und die Brust von vielem Säugen schlapp
Ward sie unfruchtbar und nennt es Ruhe.

Brudergruß

[142]
Die Nacht ist still, so wunderstill,
Mein Blut schlägt leise, leise,
Ich horche dem uralten Rätsel Zeit,
Der alten granitenen Weise.
Wie das donnert und wogt aus Höhle und Schacht
„Wir waren! wir waren! wir waren!
Wir sahen den Tag, wir horchten der Nacht,
Dein „Leben“ wir haben's erfahren.“
Und wie's von granitenen Wänden klingt
Im Echo vergangner Äonen:
„Wir kommen wieder vieltausendgestalt',
Im Lichte des Lebens zu wohnen!“
Und mitten aus Donner und Sturmgesang
Erhebt sich nach zahllosen Morgen
Ein Brudergesicht, in der Stille der Nacht
Dem uralten Zeitlied zu horchen.
Ich grüße dich, grüße dich, Bruder mein,
Nach manchem Hundert Jahr,
Wann ich schon lange verschluckt, verdaut
Im Werdebauch „Es war“.
Ich grüße dich, Bruder, und küsse dir
Die ahnungsselige Stirn
Aus meinem dunklen Verwerden herauf —
Du leuchtendes Lebensgestirn.

Der souveräne Herr

[143]
Kam über einen Kirchhof daher,
Hört' ich es flüstern kreuz und quer,
Bald ein Gelächter, bald Wimmern und Weinen,
Alles im Wisperton klangs von den Steinen.
Schwül war die Nacht und ich blieb stehn,
Ließ mich von seltsamen Schauern umwehn.
Welkende Kränze und bleichende Bänder,
Sinkender Rasen, gesunknes Geländer,
Glitzer und Glaster, vom Rost zerfressen,
Dunkle Pinien und schwarze Cypressen,
Und Alles vergessen.
Und aus den Lüften brachs brausend herab,
Da gings erst recht los von Grab zu Grab.
Flügelt mir, springt mir, webt mir ums Haupt,
Daß ich mich wahnsinnig fast geglaubt.
Beugte mich, bückte mich, hielt mit den Händen
Stirn mir und Augen als Schützer und Blenden.
Es stolpert, es strauchelt, es wippt und es wappt,
Taumelt und torkelt und foppt sich und schnappt.
Und um die große Mittelpunktlinde
[144]
Segeln und jagen die Geister im Winde,
Huschen und haschen sich, schweifen und schwärmen.
Herr des Himmels, war das ein Lärmen,
War das ein Tumult und Alles uneins,
Trotz des verehrlichen Knochenvereins.
Da schlug es Eins.
Und wieder ein Flüstern kreuz und quer
Kam von den Gräbern und Hügeln her,
Bald ein Gelächter, bald Wimmern und Weinen,
Alles im Wisperton klangs von den Steinen.
Hob ich mich langsam und schaute scheu,
Ob der Tanz begönne aufs neu.
Doch das Gepolter ward stiller und schwächer,
Aus dem Gezeter: Gezitter, Gefächer,
Sie legten sich in den Särgen zurecht,
Herrin und Zofe, Gebieter und Knecht.
Dann war der große Aufruhr vorbei,
Und Alles wieder im Einerlei.
Über die Gräser und Blumen und Blätter
Faulenzt ein Gähnen als Schreckenserretter
Und Unrastglätter.
Als ich mich trollen wollte nach Haus,
Überlief mich wieder ein Graus.
Neben mir war mit dem groben Spaten
Der Totengräber hingeraten:
Du hast noch nichts gehört und gesehn,
Warte, wir bleiben hier einmal stehn.
Ich rufe jenen her und diesen,
Den ich mir grade will erkiesen.
Die stellen sich dann vor uns hier auf
Und erzählen uns ihren Lebenslauf.
Ich konnte nicht fort, ich stand wie gebannt.
Da hat er schon einen Namen genannt:
[145]
Der kluge Mann soll kommen, ich bitte,
Nur immer etwas rascher die Schritte.
Und alsobald, was er laufen kann,
Kommt, ein Skelett, der kluge Mann:
Mir hatte Natur viel Verstand gegeben,
Das hab' ich ausgenutzt im Leben.
Merkte vor Allem, daß mit Schweigen
Wir viel erreichen und höher steigen.
Nun ward mir die Welt eine milchende Kuh.
Freilich gehörte auch noch dazu:
Daß ich mit der „Richtung“ ging,
Kirchenbesuch, mich mit Flitter behing,
Niemand meinen Geist ließ fühlen,
Immer spielte den Kalten, den Kühlen.
Doch muß ich offen das bekennen,
Viel kann ich nicht aus den Tagen nennen,
Das mir behagte: das ewige Schweigen,
Dies zum Schein vor der Dummheit sich neigen,
Die furchtbare Vorsicht, wollt' ich einmal
Mich heimlich vergnügen im Narrensaal.
Denn Neid und Scheelsucht passen auf
Und hindern uns den freien Lauf.
Besonders auf der Liebe Wegen
Umzäunt ich mich mit Stachelgehegen.
That ich für ein Schätzchen entbrennen,
Entführt' ich es schleunig in die Ardennen,
Wo ich ein einsam Schlößchen besaß,
Worin ich den Tamtam der Welt vergaß.
Die Liebe von allem hat mir im Leben
Einzig köstliche Stunden gegeben.
Suchte Nachts ihr Arm im Traume mich
Und wenn ihre Hand mir die Haare strich,
Und sie dann, immer im Traum noch ganz,
Verschlafen mich liebkoste: Eia, eia, mein Hans,
Und sie sich, im Traum immer, an mich drängte,
[146]
Und ich sie, lächelnd, fest an mich zwängte,
Ihr Götter, wie war ich überreich,
Dem kommt euer siebenter Himmel nicht gleich.
Und mögen auch die Philister schelten,
Nur heimlich genossenes Glück laß ich gelten.
Sonst wär ich jetzt, käms noch einmal vor,
Gern ein den Menschen trotziger Thor.
Die Nähmamsel, schrie des Maulwurfs Vetter.
Und alsbald ein schnelles Gekletter,
Da kommt sie schon das zarte Gerippe,
Hätts lieber gehabt mit roter Lippe.
Vortragen! brüllt der Gräber sie an,
Und sie fing zu erzählen an:
Wohnte mit den Eltern im Hinterhaus,
Gehörte uns nicht Katz noch Maus,
Mußte nähen den ganzen Tag,
Und keiner fragte mich, ob ich auch mag.
War ein jung Ding, erst sechzehn Jahre,
Trug gern Rosen im blonden Haare,
Sehnte mich nach Sonnenschein,
Nach Lust und Liebe im Kämmerlein.
Mein schönster Tag, ich vergess' es nie,
War in den Wald eine Landpartie.
Unter uns tischlerte ein Gesell,
Ein frischer Junge, sang klar und hell,
Der sang sich mir ins Herz hinein.
Und einer Stunde war ich sein.
Ich wollte nicht auf die Mutter hören,
Ließ mich von meinem Knaben bethören,
Ertränkte mein Kind — mehr weiß ich nicht,
Und das ist meine ganze Geschicht.
Der Dumme her, der Dumme soll kommen,
Wirds bald, das Gebein in die Hand genommen.
[147]
Nun heraus mit der Sprache, wie erging es dir?
Ich graste wie das liebe Thier,
Schlug mir den Wanst voll und spielte Skat,
Gab willig jedem, der mich bat,
Hatte den Nacken immer im Joch,
Mußte für andere schwitzen und doch:
Käm' ich noch einmal auf Erden an,
Blieb ich ganz gern derselbe Mann.
Der Scheerenschleifer, Schockschwerenot,
Wo steckt der Kerl mit dem knappen Brot.
Hier bin ich, ich schliff am Tage die Scheeren,
Um Nachts zu saufen, im Krug zu verkehren.
Der Dichter heraus mit dem langen Haar,
Deß wird er selbst im Sarge nicht bar.
Von all den verrückten Menschengeschöpfen
Gehört er zu den possierlichsten Tröpfen.
Nun schüttle die ambrosischen Locken,
Und bleib in deiner Rede nicht stocken.
Ach, ich hatt wenig im Garten zu pflücken,
Mußte für jeden Groschen mich bücken
Vor dem verehrlichen Publikum,
Griff immer ins Vocabularium
Für Hochzeitsschmaus und Siegeskranz,
Für Geburtstagskind und Firlefanz.
Doch wollt' ich mich in die Lüfte schwingen,
Schrien sie alle, der Narr will springen.
Seht ihn, herunter, braucht Gewalt,
Daß er den Hungergurt strammer sich schnallt.
Und in meiner Tannentruhe
Ließen sogar sie mich nicht in Ruhe,
Lärmten und lachten hinterher:
Da wird begraben der große Homer.
[148]
Der Gelbgießer jetzt, her mit dem Schuft,
Etwas gewandter aus deiner Gruft.
Erzähl' uns deine Heldenthaten,
Wie hat dich das Dasein beraten.
Meine Herren, das ist nicht viel,
Bald kam ich zum gewünschten Ziel,
Freite ein Weib, wir hatten uns lieb,
Und ich muß sagen, daß es immer so blieb.
Unsere Kinder gediehen gut,
Daß ich zuletzt im Übermut
Mir ein Häuschen konnt' erwerben,
Hatten genug zum Leben und Sterben,
Waren immer zufrieden, gesund,
Weiter kann ich euch thun nichts kund.
Die Hure heran, wo liegt das Aas,
Daß ich sie auch bis jetzt vergaß.
Kein Genieren, das muß ich loben,
Hast es nicht vergessen von oben.
Ich ward schon im vierzehnten Jahre verführt,
Hab' nichts von Schönem und Edlem verspürt,
Fiel immer schneller, bis ich gelassen
Mich jedem anbot auf Plätzen und Gassen,
Hat sich keiner um mich bekümmert,
Sind Seel' und Leib mir rasch zertrümmert.
Nun der Minister, Potz Siebensachen,
Donner und Doria, Kerl, will er machen.
Vorwärts, wie that es dir gefallen,
Als du mußtest im Odem wallen.
Ach, meine Herren, noch einmal auf Erden,
Würd' ich niemals Minister werden,
Was hatt' ich für all meinen Fleiß, meine Plage,
Verdrießliche Jahre und fiebrige Tage,
Wäre Karrenschieber...
[149]
Halts Maul, Kamel,
Willst du noch mehr sehn, ich steh zu Befehl,
Wendet der Schaufler sich mir zu.
Um der Heiligen Willen, laß mich in Ruh'.
Sonst, wie gesagt, wollen wir wandern,
Von einem Kirchhof gehts zum andern.
Findest immer die gleiche Sippe,
Findest immer dasselbe Gerippe,
Nur ist vielleicht höchst edel und wacker
Der Scheerenschleifer auf dem nächsten Gottesacker.
Während dort vielleicht als Saufaus und vertiert
Der Gelbgießer sich vor uns präsentiert.
Und so gehts fort durch alle Stände,
Durch jeden Rang, durch alle Verbände;
Dem hat die Natur das geschenkt,
Ihn so veranlagt, ihn so gerenkt,
Den schuf sie sich aus anderm Teige,
Zum schnellen Fall, zum Lorbeerzweige,
In ihren sonderbaren Launen,
Was kehrt sie sich an euer Staunen.
Nur bleiben stets sich gleich im Gefuge,
Paß auf, der dumme Mensch und der kluge.
Von den klugen dann, über das Millionenvieh,
Herrscht ein einziger wieder, das Genie.
Der hat, ob durchs Schwert, ob durch Verstand,
Unter sich das ganze Land,
Und muß sich doch zu mir bequemen
Und Platz in meinen Kammern nehmen.
So geht denn jedes Wachsen und Werden
In meinen Schlund bei euch auf Erden,
Und nicht nur hier, im ganzen All
Bin ich der Generalfeldmarschall.
[150]
Du scheinst mir das nicht recht zu glauben,
So werd' ich mir einen Spaß erlauben.
Und es gab mir der Tod einen Schlag,
Daß ich kopfüber am Boden lag.
***
Am andern Morgen erwacht' ich am Strande
In einem mir gänzlich fremden Lande.
Vor mir dehnt sich ein großes Meer,
Ohne Wellensturz, heilig und leer.
Der Küstensand, auf dem ich geruht,
War von Gold und rot wie Blut,
Überschimmert von bläulichem Licht
Zweier eirunder Sonnen, die dicht an dicht
Über der See am Himmelsrande
Sich zeigten mit purpurnem Wolkenbande,
Das sie leicht überfällt und ungezwungen,
Als wärs um zwei Rococospiegel geschlungen.
Ich konnte, ohn' mit den Augen zu blinken,
In ihren milden Flammen ertrinken.
Dünn, wie meines Spazierstocks Lauf,
Schossen nah hinter mir Bäumchen auf,
Sechs an der Zahl, gut ausgerichtet,
Nur in den Gipfeln blattverdichtet,
Schlank und lang; in deren Kronen
Sah ich eine Blume wohnen,
Glockenartig, zeisiggrün
Schienen die seltsamen Kelche zu glühn.
Sonst war die Gegend um mich her
Von aller Daseinsfreude leer.
Nein! Eine ungeheure Eiche
Stand in diesem Zauberreiche
Kaum einen Steinwurf entfernt meinem Haupt,
Mit Überfülle, verschwendrisch belaubt.
Und in den Zweigen, fast überviel,
Schoß ein reizendes Gaukelspiel.
[151]
Das waren nicht Menschen, das waren nicht Affen,
Was waren es denn, wie wars beschaffen?
So ähnlich, als wenn wir mit erstem Triebe
Fühlen die erste Kinderliebe,
Ich meine, ja wie denn, solche Gestalten,
Solche Gesichter, die wir behalten
Als Erinnerung an unsre Schülerzeit,
Voll erster süßer Entzündlichkeit.
Die warfen sich mit silbernen Bällen.
Und wie sie durchs Geäst sich schnellen,
Hintereinander, in Sprung und Geglitscher,
Mit Lachen, das klang wie Vogelgezwitscher,
Da bemerkte mich eins der Knospenwesen,
Und fort, wie weggekehrt mit dem Besen,
Hockten sie alle auf einem Ast,
Wie von unnennbaren Schmerzen erfaßt,
Und schauten dann voll Neubegier
Auf mich hinab aus dem schwanken Revier.
Und ich wandte mich wieder den Sonnen zu:
Ich stand auf den Inseln der ewigen Ruh.
Und wie mich ihr sanftes Leuchten beglückte,
Und wie mich ihr herrlicher Glanz entzückte,
Spannt' ich die Arme dem Schöpfer aus,
Ich wohnte in seinem Vaterhaus.
Da taucht aus fernster Ferne her
Ein Punkt auf aus dem unendlichen Meer.
Der Punkt wird größer, er nähert sich mir,
Grad auf mich zu, ein Fabeltier?
Doch kann ich nun ein Boot unterscheiden,
Ein schwarzes Segel, sturmgebläht,
Und hat doch nicht ein Lüftchen geweht.
Und dies schwarze Segel am Vorderbug
Verhüllt das ganze Schifflein klug.
Und dies schwarze Segel, wie ich sah,
Stößt an den beiden Enden der Raa,
[151]
Wie Oriflämmchen, zwei Rauchwölkchen fort,
Unaufhörlich trieb sichs dort.
Jetzt ists mir nah, und ein schriller Pfiff
Ertönt vom geheimnisvollen Schiff.
Die Stengen fallen, frei ist der Bord,
Und hinten steht aufrecht der große Lord,
Der Tod.
Die Arme sind untereinander geschlagen,
So seh ich den Gewaltigen ragen.
Ein holländisch Kalkpfeifchen steckt ihm schräge
Im vortrefflichen Zahngehäge.
Ich hör sein Gelächter — und kein Entrinnen,
Ich fiel in den Sand und verlor das Besinnen.

Heimkehr

Nach all dem Blumenpflücken,
Gejachter und Entzücken,
Nach Tanz und Zymbelzug,
Nach all dem Kaffeetrinken,
Uns in die Arme sinken,
Hast endlich du genug.
Und durch verstummte Wälder,
Durch mondbeglänzte Felder
Erstreben wir dein Haus.
Schon flimmern einzelne Sterne,
In grau verwebt die Ferne,
Und Spaß und Spiel sind aus.
Wir ziehn an Gärten, Hecken,
An plätschernden Marmorbecken
Vorbei wie schon im Traum.
[153]
Die Nachtigallen singen,
Gesang und Lärm verklingen,
Ein Toter, steht der Baum.
Und müder wird dein Schreiten
Nach all den Herrlichkeiten,
Und schüchtern lacht die Lust.
Ich halte dich umfangen,
Bis wir zu dir gelangen,
Lehn' dich an meine Brust.
Stütz dich, daß ich dich führe,
Schon dämmert deine Thüre,
Nun ist der Gang vollbracht.
Noch einmal deine Hände,
Noch einen Kuß als Spende
Zur letzten Gutenacht.

Schöne Junitage

Mitternacht, die Gärten lauschen,
Flüsterwort und Liebeskuß,
Bis der letzte Klang verklungen,
Weil nun alles schlafen muß —
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Sonnengrüner Rosengarten,
Sonnenweiße Stromesflut,
Sonnenstiller Morgenfriede,
Der auf Baum und Beeten ruht —
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Straßentreiben, fern, verworren,
Reicher Mann und Bettelkind,
[154]
Myrtenkränze, Leichenzüge,
Tausendfältig Leben rinnt —
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.
Langsam graut der Abend nieder,
Milde wird die harte Welt,
Und das Herz macht seinen Frieden,
Und zum Kinde wird der Held —
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.

Der Genius

Gewitter drückt auf Sanssouci,
Ich stand im Park und schaute
Zum Schloß hinan, das ein Genie
Für seine Seele baute.
Und Nacht. Aus schwarzer Pracht ein Blitz
Vom Himmel jäh gesendet,
Und oben steht der alte Fritz,
Wo die Terrasse endet.
Ein Augenblick. Grell, beinernblaß,
Den Krückstock schräg zur Erde,
Verachtung steint und Menschenhaß
Ihm Antlitz und Geberde.
Einsamer König, mir ein Gott,
Ich sah an deinem Munde
Den herben Zug von Stolz und Spott
Aus deiner Sterbestunde.
Denselben Zug, der streng und hart
Verrät die Adelsgeister,
Der aus der Totenmaske starrt
Bei jedem großen Meister.

Pietà

[155]
Wie kommt hierher Maria mit dem Leichnam?
Er liegt im Sand, am Ufer hart auf Muscheln,
Und unbegrenzt dehnt sich die See hinaus.
Der Abendhimmel zeigt Gewitterstimmung,
Und bis zum Wasserspiegel reicht die Wolke,
Die einzige, große, schwarze Wolkenmasse.
Ganz schwache Wellen, ohne Mützchen selbst,
Die träge spielen, spülen an den Strand,
Und lassen einen schmutzigen Schaum zurück,
Der längs der Küste wie ein Strich hinzieht.
Auf harten Muscheln liegt der Crucifixus.
Die Füße sind, die noch gekrümmten Hände
Mit weichem Tuch umwickelt, daß die Male
Der Nägel nicht, die schrecklichen, zu sehn.
Und über ihn neigt sich Maria hin
In ungeheuerm Gram, und kann es nicht
Und kann es nicht begreifen, daß wir Menschen
So schändlich ihren Sohn verraten konnten.
War er die Liebe nicht? War nicht sein Trieb,
Sein einziger Trieb auf seinem Lebenswege
Versöhnung, Friede, Herzenslauterkeit?
„O Haupt voll Blut und Wunden“, und Maria,
Mit ihren Thränen wäscht den Staub sie ab
Von seinem Antlitz; und mit ihren Fingern
Kämmt, trocknet sie den Bart vom Todesschweiß.
Am Horizont, wo nun die Sonne scheidet,
Die hinter dickem Dunste sich verbirgt,
Bricht Licht hervor, doch nur zurückgeworfnes.
Und dieses Licht ergießt sich übers Meer
Und geht in Streifen schnell darüber hin,
Und trifft das Ufer und die Leidensgruppe
[156]
Bis sich der Himmel plötzlich wieder schließt.
Ein Augenblick ists dunkelschwerer Nacht:
Da lodert in der Ferne, landeinwärts,
Ein Flammenchaos: Städte, Länder brennen,
Und wüstes Schreien, Lärm von Schwert und Schilden
Dröhnt her, und Roßgestampf und Kriegsmusik,
Und gen einander tobts: In Jesu Namen!
Die Sonne sank, die Dämmerung beginnt,
Ein linder Westwind hat sich aufgemacht
Und streichelt sanft den spitzen Dünenhafer,
Und kühlt die Augen unsrer lieben Frau,
Und küßt die Schmerzenszüge des Erbarmers,
Und gibt der Woge leichten Plätscherton,
Der sich verbündet mit dem leisen Weinen,
Das unaufhörlich auf den Heiland tropft.

Bettler

[168]
Blüten, Früchte, Füll' und Farben,
Überfluß der reichen Saat,
Schnitterinnen, eure Garben,
Wie sie wogend mich umwarben,
Als ich Reicher euch genaht!
Meine schönen Schnitterinnen,
Sonnumleuchtet, blaubekränzt,
Trieb für ewig euch von hinnen
Mit dem Riesentroß von Spinnen
Das verheerende Gespenst?
Wüst und leer, wo eure Garben
Üppig sich gewölbt im Rund —
Blüten, Früchte, Füll' und Farben,
Meine reichen Welten starben...
Sterbend zuckt des Bettlers Mund.

Tote Stunden

[169]
Das sind die toten Stunden,
Die seine Seele lebt,
In denen unempfunden
Die Welt an ihm vorüberschwebt.
Mit schleiergrauen Blicken,
In fruchtlos träger Ruh
Sieht er des grünen Tuchs Geschicken,
Der Billardkugel dumpfhindämmernd zu...

Zwischensommer

[170]
Ich habe den Sommer genossen
In selbstgenügsamer Ruh,
Den roten Vorhang geschlossen,
Drängte die Sonne sich zu.
Nur schüchtern spielten die Strahlen
Zum blinkenden Ofenring,
Auf rosaroten Sandalen
Die Sonne durchs Zimmer ging.
So lag ich in stillender Kühle,
So lag ich in reifender Rast
Auf golddurchwobenem Pfühle
Und habe mich selber erfaßt.
Ich habe gelauscht und getrunken
Meiner Jugend wirbelnden Gischt,
Da ist es in schäumenden Funken
Noch einmal emporgezischt.
All mein verwegenes Wollen,
All mein messianischer Mut...
Rollen hört' ich und grollen
Die glühende Willensflut...
Ich habe den Sommer genossen
In selbstgenügsamer Ruh,
Den roten Vorhang geschlossen,
Drängte die Sonne sich zu.
Nun schüttet krystallene Bläue
Der Herbst in mein off'nes Gemach.
Schwebend in eigner Treue
Schau ich der sinkenden Sonne nach.

Über Gräbern
(Frei nach einem Bilde)

[171]
Wo die steilen Pappeln ragen
Über Gräbern todesgroß,
Wo die welken Kränze klagen
Um ein schnellverblühend Loos...
Wo an grauen Felsenwänden
Sich wie Spinnweb netzt der Stein,
Und mit weiten Schattenhänden
Sich Gestalten aschfahl reih'n...
Steht ein Mönch in schwarzem Kleide,
Zündet zitternd dann und wann
Auf dem Thron von roter Seide
Weiße Kerzen lächelnd an...

Sei nur robust!

[172]
Sei nur robust! Wie du dich stellst,
Steh fest und lach der Spießer,
Die dich zertreten, wenn du fällst,
Die edeln Kannegießer.
Denn hassen, hassen muß der Wicht,
Der ein beschränkter Tropf ist,
Das überlegene Gedicht
Deß, der ein freier Kopf ist,
Drum sei robust und wappne dich,
Mit einer Haut von Eisen!
Wenn du gesiegt — o sicherlich!
Sie werden dich noch preisen.

Silvesterlied

[173]
Ich hebe mein Champagnerglas —
Wie golden schäumt und schimmert das!
Mit grüßendem Begehr.
Ich bring' es uns'rer Freiheit Tag,
Daß sie in Blüten kommen mag
Mit lichtumlohtem Speer.
Ich trink' es auf der Stunde Gunst
Daß uns die Kunst, die edle Kunst
Mit leisem Zauber feit;
Daß sich, wen Not und Sorge drückt,
Ausatmend regt, wer tiefgebückt
Im harten Joch der Zeit.
Ich leer' es uns'rer Liebe Huld
Mit sehnsuchtschwerer Ungeduld,
Daß, Immergrün im Haar,
Sie treu uns führe Hand in Hand
Durch unsrer Wünsche Frühlingsland
Zum lodernden Altar;
Wo Seele sich in Seele senkt,
Wo von Jasminduft mild getränkt
Dein Haupt sich kraftvoll neigt,
Indes ein freies Hochzeitslied
Aus Kampf und Flammen ins Gebiet
Der blauen Lichtwelt steigt.

Der Sonne entgegen!

[174]
Der Sonne entgegen
In Liebesgluten
Wandr' ich... o Wonne,
Wer mäße dein Maß!
Von Reif bepudert
Prangen die Wälder,
Die Berge grüßen
Das blendende Licht.
Vor Eiseskälte
Knirschen die Schritte,
Der Hauch des Mundes
Ballt sich zu Dampf...
Ich trage Feuer
In meinem Herzen,
Mich hat die Liebe,
Das rasche Kind.
Sie schürt die Flamme
Mit hastigen Händen,
Die Kohlen knistern,
Der Wohlduft quillt...
Der Sonne entgegen
In Liebesgluten
Wandr' ich... o Wonne,
Wer mäße dein Maß!

Sphinxgeburt

[175]
Auf dem Meeresgrunde, da träumte das Nixenweib,
Die Wellen spülten um ihren weißen, schimmernden Leib,
Und rauschten und raunten geheimnisvoll,
Wie wenn es aus tigerfleckigen Muscheln quoll;
Ein Murmeln der Träumenden leis und bang
In die perlengeschmückten Ohren drang...
Da hob sie lauschend den Kopf empor,
Mit offenem Munde und horchendem Ohr,
Doch wie sie auch spähte scharf in die Flut,
Sie sah nur der Fische lautlose Brut,
Seesterne und Farren, Korallen wie Blut,
Nur stolze Algen mit roten Zweigen
Plätschern und auf- und niedersteigen,
Veilchenfarb' zitternde Blütentangen,
Die lüstern um ihre Brüste gehangen...
Da lachte sie unmutsvoll,
Daß es gedämpft durchs Wasser scholl,
Und warf sich wieder auf schlanken Rücken,
Und griff nach Perlen, den Hals zu schmücken,
Und lachend griff sie nach grünen Krystallen,
[176]
Und lachend zerdrückte sie milchweiße Quallen
Und lachend zerbrach sie die roten Korallen
Und warf sie den glotzenden Fischen hin.
Und glitt durch die Wellen mit schläfrigem Sinn...
***
...Und wie sie griff nach grünen Krystallen,
Und wie sie zerdrückte die milchweißen Quallen,
Und wie sie zerbrach die roten Korallen,
Da rauschte wieder das leise Rauschen,
Das Wellenmurmeln, das Wogenbauschen,
Und stärker wurde das Murmeln und Raunen! —
In bangem Erstaunen
Läßt sie die Perlen und roten Korallen
In die Woge fallen,
Um zu lauschen...
Auch schaut sie in die Meerflut über sich,
Die einem klaren Riesenbergkrystalle glich,
Da sieht sie durch das helle Meeresgrün
Pfeilschnell einen Schatten ziehn,
Der immer tiefer und tiefer dringt
Und schwer zu ihren Füßen sinkt.
Silberne Bläschen drängen perlend nach oben,
Unruhig murmeln die Wellen und toben
Und spülen um den toten Leib,
Der lag vor dem jungen Nixenweib. —
Angstvoll schaut sie im grünlich zitternden Licht
Des Toten Angesicht;
Das starrte mit Augen, seltsam-offen,
Als hätt' ihn ein großes Wunder getroffen...
Ein Staunen ging durch das stille Meer
Vom Toten zur Nixe hin und her,
[177]
Und strich die Wellen glatt und eben;
Nun lagen sie regungslos, ohne Leben.
Noch ein Atmen, tief und schwer,
Und es schlief das weite, schweigende Meer...
***
Aus offnen verglasten Augen,
Aus denen das Rätsel rann,
Da wollte sie Kunde saugen,
Kunde vom bleichen Mann.
Vom Haupt die Korallen lohten
Blutrot auf den bleichen Mann,
So saß sie zu Häupten dem Toten
Und sann erschrocken und... sann...
***
Mit Steinen und Edelkorallen
Will sie dem Toten gefallen.
Der Tote schweigt und schweigt.
Perlmuschel und stolze Tangen
Hat sie für ihn gefangen.
Der Tote schweigt und schweigt.
Seerosen und Anemonen
Pflückt sie, mit Purpurkronen.
Der Tote schweigt und schweigt.
Da drückt sie in bangem Gelüste
Sein Haupt an die runden Brüste.
Der Tote schweigt und schweigt.
Da klagt sie Tag und Tage, —
Lautlos verklingt ihre Frage.
Der Tote schweigt und schweigt...
***
[178]
In den kühlen Meereswogen
Lag sie still und träumeschwer;
Und die Sehnsucht kam gezogen
Durch das dunkelgrüne Meer.
Ihre großen Träumeraugen,
Blickten müde in die Flut.
Ach, das Spiel will nicht mehr taugen:
Muscheln, Perlen, Korallenblut.
Achtlos, wenn von Purpurtangen
Gold auf ihre Brüste rann,
Hielt ein Traum sie weich umfangen,
Traum von einem bleichen Mann.
Achtlos, wenn das Meergewimmel
Sie liebkosend überfällt,
Träumte sie vom blauen Himmel.
Einer andern Wunderwelt...
***
...Und langsam hob sich auf die warme blaue Flut,
Die Sonne lag auf den Wassern in goldner blitzender Glut,
Ein Haupt und ein Nacken, schimmernd und rund,
Und ein Arm und ein schwellendes Brüstepaar
Taucht aus des Meeres schweigsamen Grund; —
Mit Algen und Tangen im grünlichen Haar
Hob sich ein lächelndes Angesicht,
In das trunken sich wiegende Sonnenlicht;
An der blütenweißen, feuchten Brust
Blitzten Perlen in zitternder Lust.
Mit leuchtendem Leibe, wogend und rund
Und dem Staunen aus offenem lachenden Mund,
So tauchte sie auf aus der blauen Flut...
[179]
...Und wie sie sich wandte um,
Da ward sie bleich und stumm,
Das Lachen fror auf den Lippen ein,
Die Perlen verloren den blitzenden Schein.
Und ein Schrei, der weit über's Meer erscholl,
Aus ihrem totwunden Herzen quoll.
Entsetzensvoll will sie rückwärts gehn;
Sie hatte dem Leben ins Antlitz gesehn! —
Doch wie sie die weißen Arme regt,
Den schimmernden weichen Leib bewegt,
Da fühlt sie die Arme müd und schwer,
Als wenn sie Erz und Felsen wär.
Regungslos liegt mit steinernem Leib
Und stieren Augen das Nixenweib.
Die Meerflut weicht und weicht zurück,
Ihr graut vor ihrem bangen Geschick;
Die Wellen rollen, um fortzufliehn,
Nachdem sie die Steinerne ausgespien.
...Still liegt sie da, die Sphinx aus Stein,
Und starrt in das ewige Leben hinein.
So ruht sie seit dunklen Ewigkeiten,
Den Blick entsetzensvoll gebannt
Mit schauerlichem Schweigen über den weiten
Regungslos dämmernden Wüstensand...

Blut

[180]
Über den blauen Höhen
Schwimmt ein leuchtendes Rot:
Blutlachen, die verwehen.
Denn die Sonne ist todt.
Der Mond ließ sie erschlagen
Von Wolken, die sie gehaßt,
Die sie einst hochgetragen
Von goldenem Arm umfaßt.
Sie hat die schwarzen Verräter
Scheidend glanzüberstrahlt,
Mit ihrem Blute der Thäter
Hat sich sein Antlitz bemalt.

Plein-air

[181]
Lilaglocken auf moosigem Steingeranke
Und darüber verzitternde Kiefernzweige.
Vorne der Hund der rosaohrige, schlanke,
Blinzelnd hinüberblickend zur Sonnenneige.
Vogelzwitschern vereint zu preisendem Sommerdanke.
Und ein Wipfelrieseln und Stengelgegeige.
Hinten verblaut der Himmel, der abendblanke,
In die schwarzverwitterten Wolkensteige.

Pierrot
(Nach Verlaine.)

Das ist der alte Vollmondträumer nicht,
Der unsern Vätern durch die Thüre lachte.
Tot ist sein Witz, das Licht, das er uns brachte.
Heute schreckt uns sein Gespenst, so bleich und licht.
Im eis'gen Wind schwankt wie ein Leichenlinnen
Die weiße Bluse, wenn der Blitzstrahl schreit.
Sein Mund klafft wie zum Heulen ellenbreit,
Er klagt sein Leid: Die Würmer nagen drinnen.
Und wie ein Nachtgevögelflügelschlagen
Schwirren seine Ärmel, rufen fernehin.
Doch keine Antwort lockt sein närrisch Fragen.
Wenn aus den Augen auch ihm Phosphor blitzt,
Noch grauenvoller macht der Puder ihn
Um seine Nase, die der Tod schon spitzt.

Aus Verlaines Buch der Weisheit

[182]
Der Himmel ist über dem Dache
So blau, so linde,
Ein Baum wiegt über dem Dache
Seinen Wipfel im Winde.
Die Glocke im tiefblauen Raume
Klingt zart und leise,
Ein Vogel singt oben im Baum
Seine Klageweise.
Mein Gott, o mein Gott, dieses Leben
Wie einfach fließt es.
Das friedliche Lärmen daneben
Vom Städtchen grüßt es.
Was weinst du denn, armer Geselle,
Bei Tag und bei Nacht.
Was hast du, sag, armer Geselle,
Mit deiner Jugend gemacht?

Mädchendefiliermarsch

[183]
Ein fester Tritt, ein Lieutenantstritt,
Ein bauernmädelbreiter Schritt —
Der Boden ächzt und keucht und stöhnt,
Das Fensterscheibenglas erdröhnt...
Eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei —
So defiliert sie fesch vorbei.
Die Backen drall und rot wie Blut,
(Die Kleine ist mir wirklich gut!)
Ein Grübchen links, ein Grübchen rechts;
Ein Kuß, so denkt sie, ist nichts Schlecht's!
So spitzt sie denn den Kirschenmund,
Stürzt auf mich zu und — — „bleib gesund!“
Dann wieder hurtig eingereiht;
Das Hauptmannmädel flucht und schreit;
Noch einen Gruß, noch einen Blick,
Noch einmal sieht sie scheu zurück, —
Dann vorwärts marsch! und nicht gemuckt!
Und Carcerpillen fromm geschluckt!
Das blonde Haar frohlockt im Wind,
Sie läßt es lächelnd gern geschehn,
Oft läßt sie ihre Zähne sehn...
Sie weiß, daß sie ein hübsches Kind.
[184]
Eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei —
So geht sie stramm in Glied und Reih.
Die Augen frühlingshimmelblau,
Darin ein winzig Perlchen Thau
Und eine buntbeflaggte Welt,
Die Hüften lebenslustgeschwellt,
Der Nacken rund und sonnverbrannt,
Und klein und dick die braune Hand,
Die Arme nackt und muskelstark,
Die Schenkel voller Glut und Mark,
Das Mieder aus geblümtem Sammt,
Der, wie sie prahlt, aus Indien stammt.
Der Faltenrock flaggt bänderschwer
Im Winde hin, im Winde her.
Ein steifer Unterrock lugt vor...
Sie siehts... wird rot... bis an das Ohr...
Geht lammfromm dann in Schritt und Tritt,
(In ihrem Herzen hüpf' ich mit)
Lacht neckisch Perlen, exerziert,
Lacht nochmals, nickt und — salutiert!
Und blickt nach mir recht ungeniert...
Die Blonde, die Blonde... —
Da ward mir just ein wenig bang;
Doch wahrte dies nicht gar so lang,
Denn eben kam, gezwängt, gedrängt,
Im müden Schritt, das Haupt gesenkt,
Die Wangen schamrot angeglüht;
Sultaninüppig aufgeblüht;
Die Augen lackschuhspiegelschwarz,
Die Locken wie aus Cedernharz, —
Die Schwarze schüchtern anmaschiert.
Wer weiß was sie hierhergeführt?
Das Röckchen gelb und kurz und glatt,
[185]
D'rauf flimmert Flitter silbermatt;
Die Strümpfe schwarz, die Waden voll,
Wie Weichholz das im Regen schwoll;
Sandalen roth und goldgestickt; —
Was wohl die Kleine heut' bedrückt?
Da schritt sie, zimperlich im Gang;
Weiß Gott, ihr war so sehnsuchtsbang...
Ihr Herzchen pochte männerwild,
Ihr Herzchen trug ein glühend Bild,
Ein Bild von tropisch-heißer Glut,
Von wildphantastisch-tollem Blut,
Von Palmenwäldern, Piniensang,
Der scheu durch Blätterlippen klang,
Von sonnenklarem Himmelsblau;
Doch hier, ... hier war es kalt und rauh — —
Um ihre Lider wob ein Traum...
... Da war der Busch und da der Baum.
... Und da lag sie und dort lag er,
... Und Erdbeerbündel um sie her.
... Und da ihr Hut mit rotem Band,
... Aus gelbem Stroh und Blütenschmuck;
... Nun nahm er ihre heiße Hand...
... Und dann im Dunkeln... Geisterspuk — —
.............
Die Lider schloß sie, ging und ging —
Das Hauptmannmädel schalt das Ding,
Das närrisch Takt und Schritt verfehlt,
Und, wenn schon blöd, nicht 'mal gezählt!
Da zählte sie... eins-zwei... eins-zwei...
Eins-zwei... eins-zwei... eins-zwei... macht drei...
Sie wankte, ... fiel — — man lacht sie aus;
Da klingt aus fernem Palmenhaus
Zu ihr die welke Melodie:
„...Und da lag er... und da lag sie...“
„Auf! auf!!“ — man schreit, packt sie am Arm,
[186]
„Na, auf!“ — man bläst und paukt Alarm,
Und zerrt sie auf, reißt sie empor,
Und alle kichern rings im Chor,
Das Hauptmannsmädel schilt sie „dumm!“ —
Dann wieder: eins- zwei —, bum — bum — bum —,
Bum — bum —, eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei
Sie folgt — ihr ist es einerlei...
Die Wangen fahl... dann schamdurchglüht;
Sultaninüppig aufgeblüht;
Die Augen lackschuhspiegelschwarz,
Der Locken Glanz wie Cedernharz;
Und wieder zimperlich im Gang...
Weiß Gott... ihr war so sehnsuchtsbang..
Und wieder müd' gesenkt das Haupt,
Durchfröstelt, lichtscheu, kahl entlaubt,
Und aus den Augen greis, gebückt,
Ein frostig Winterseelchen blickt,
Und singt die Frühlingsmelodie:
„...Und da lag er... und da lag sie...
Die Schwarze, die Schwarze“ — —
Potz Blitz!! Da kommt ein toller Schwarm!
Zwölf Mädel sind es Arm in Arm;
In bunten Röcken, keck und drall
Und siegsbewußt, das ganze All,
Die Welt und Hecken, Busch und Flur,
Die farbenbunte Prachtnatur,
Die nixenkranke Grottenkluft,
Die backenrote Würzeluft,
Das thaugetränkte Glitzergras
Und das und dies und dies und das
Gehöre ihnen — sangen sie
Zur Hölle, Palmenmelodie!
Ich schließe mich den Drallen an!
[187]
Mir scheint, — ich bin ein Mädelmann!
Ein Mädelmann! ein Mädelmann!
Was geh'n mich Stadtgewächse an!?
Die kranke, nervenmüde Brut,
Das bleiche, rosenbleiche Blut!? ... —
Weiß nicht, ob ich von Grund aus so,
Von Grund aus drallverliebt und froh...
Ob nicht zur Zeit in meinem Hirn
Der kränklich bleiche Wurm gewühlt
Und meine tollgehetzte Stirn
Nur blasser Farbenthau gekühlt...
Oft griff mir Sehnsucht in mein Herz
Und Marterqual schien mir — ein Scherz.
Die Seele lachte manchen Stich;
Um Nächtlichfahles wand sie sich,
Um Marmor, den der Mondstrahl traf...
Ein Eckel war mir Maulwurfsschlaf!
Zum Fenster ging ich, träumend-wach,
Und reckte mich zum Himmelsdach
In Silbersehnsucht frech empor...
Und Töne klangen an mein Ohr,
Wie stummer welker Blütensang...
Ich war gesund... und war doch krank — —
Doch manchmal schreit es laut in mir
Nach weißen Zähnen, Backenrot,
Und jeder mondscheinbleichen Gier
Posaune ich urew'gen Tod!
Weiß nicht, ob ich von Grund aus so,
So drallverliebt und landluftfroh...
Halt!! Augen links und salutiert!
Und nicht so schnell vorbeimarschiert!
[188]
Zu Euch! zu Euch! ich schließ' mich an!
Kam'raden! bin ein Mädelmann!
Ein Mädelmann! ein Mädelmann!
Das Hauptmannmädel schreit: „voran!“
„Voran! und marsch! nicht umgeseh'n!“
„Und bleibt mir nicht, ihr Racker, steh'n!“
Und bum-bum — bum, — eins-zwei — eins-zwei —
Eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei —
Der Boden ächzt und keucht und stöhnt,
Das Fensterscheibenglas erdröhnt;
Noch einmal lacht der bunte Schwarm
Und pfeift und trällert Arm in Arm;
Und weiße Zähne, säbelblank,
Sie necken schelmisch den Gesang,
Der, brusterlöst, nach Freiheit lechzt — —
Dann bum-bum — bum. — Die Trommel ächzt.
Und wieder stramm: eins-zwei — eins-zwei —
In ödem blödem Einerlei. — — —
Noch einmal nicken Zwölf mir zu:
„Na, komm' do' mit! wo steckst d'nn du!?“
Dann seh' ich noch, wie Eine lacht...
Eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei — eins-zwei —
Ich rüttle mich — — und bin erwacht...

Jenseits der Straße!
„—: Glück?“

[189]
Es ist nur Schein und ist nur Phrase,
Drauf dünkelstolz der Alltag stelzt;
Das Beste liegt jenseits der Straße,
Da sich der große Haufe wälzt:
Jung und mit Leichtsinn nur zu finden,
Jenseits der Straße... im Versteck,
In quelldurchrauschten Rosengründen
Und üppig wildem Dorngeheck...

Die Bucht der Abgeschiedenen
Allerseelentag in der Bretagne
(Zu dem Gemälde von Hermann Hendrich)

So starrt es auf: granitne Mauern,
Vom Meer zerklüftet und zersägt,
Das rings ums Kap mit zornigen Schauern
Die wild gefräßige Brandung schlägt.
[190]
Wrack neben Wrack in schwarzer Tiefe,
Grab neben Grab im schlammigen Tang —
Und doch: als ob nicht Einer schliefe,
Von allen, die's hinunterschlang:
Stöhnt es empor voll Weh und Grauen:
Im weißen Gischt aus Schlucht und Schacht,
Und irrt's im düsteren Nebelbrauen
Qualvoll aufseufzend durch die Nacht; —
................
— —:
„„Der du sie schlugst mit Sturmeslohn
Der See zu Raub, dem Tod zu Frohn,
In deiner Himmel hohen Höhen
Erhör Allmächtiger unser Flehen!
Erbarm dich, Christus, lichtentstammt,
Erbarm dich ihrer, die verdammt,
Weil ohne Segen, unbegraben:
Nicht Heimat und nicht Ruh zu haben!
Durch unsere Stimmen flehen sie
Auf auch zu dir, Jungfrau Marie,
Ruf ihre Seelen von der Erde,
Daß ihnen Frieden, Frieden werde!
Unselig, ohne Trost und Lieb —
Erlös, erlöse sie und gib
Die Heimat ihnen, die verschönte,
Zu deinen Schemeln, Schmerzgekrönte!
Die du einst Mutter warst wie wir,
Bei deinem Sohn, o sprich dafür:
Er möge ihre Unstat enden
Und ihrer Qual Erlösung senden!““

Laub am Boden

„Einen ganzen Sommer lang Sonnenschein und blauen Himmel... —
Sei glücklich, glücklich gewesen zu sein!“

Jost Seyfried

[191]
Laub am Boden, Laub am Boden,
Gelb und rot und braun,
Dorn und Hagebutt am Strauche,
Leere Nester im Zaun!
Sommerende — Spätoktober...
Glauben muß ich's nun doch:
Daß wir lange auseinander
Eh' Dezember es noch!
Sturm am Himmel — Schneegestöber...
Frost im Herzen und Hohn;
Daß es anders einst gewesen,
Du bereust ja es schon!
Laub am Boden, Laub am Boden,
Gelb und rot und braun;
Und der nächste Windstoß kehrt es
Lachend hinter den Zaun.

Auf den Höhen

[192]
Reines Glühen hält die Höh'n
Abendfeierlich umfangen,
Ob die Sonne, groß und schön,
Auch schon ganz hinabgegangen.
Bläulich seh ich fern den Rauch
Aus der Thale Dämmrung steigen.
Rings kein Atem, rings kein Hauch!
Namenloses tiefes Schweigen.
Unnennbare Sehnsucht will
In der Brust mir nimmer sterben,
Während rings die Höhen still
Sich in tiefe Nacht verfärben.

Im Dom der Heiligen Gudula zu Brüssel

[193]

I.

Ein Sommerabend. Lärm und Staub und Schwüle.
Die Häuser glühn. — — Aus hastendem Gewimmel
Umfängt mich tief des Domes Dämmerkühle.
Gemach verglimmt der Abendpurpurhimmel.
Der Weihrauch duftet. — Fernen Lärms Verhallen. —
In Gold und Purpur blühn die Fensterscheiben,
Darauf der Heiligen Beterzüge wallen
Und selig niederschaun in irdisch Treiben.
Ein altes Weib mit welken, müden Lippen
Sitzt murmelnd in dem braunen Holzgestühle,
Das würmermorsch von ungezählten Sippen.
Doch mich ergreifen streitende Gefühle. — —
Mein Hirn ist dumpf und müd. Es will sich senken
Aus dieser Dämmerung leise Trauer nieder
Auf all mein Dichten, all mein schmerzlich Denken:
Wann lebt ein neuer Gott denn siegreich wieder?
Wann wird die neue Zeit sich Tempel bauen,
Der Erde froh im reinen Sonnenlichte,
Im Herzen Klarheit, Fülle, Glück, Vertrauen
Und Luft und Licht und lachende Gedichte?

II.

Das ewige Licht dort vor dem Hochaltare
Kämpft still mit dieses Dunkels dumpfen Schwingen
Und — zeigt die Nacht, die Alles will bezwingen. —
Die Glorie stirbt am letzten Fensterpaare.
Mein Auge trennt sich nicht von diesem Ringen
Mit düfteschweren schwülen Finsternissen.
Da — faßt es mich wie wilden Geistes Schwingen,
Das schwangere Dunkel ist entzweigerissen:

III.

[194]
Ein golden Dämmern über Land und Meer.
Die griechischen Inseln dunkeln aus den Wogen.
Die Wellen schauern schweigend. Drüber her
Kommt weicher Sternenfriedehauch gezogen.
Wie weiße Meeresbräute blühn am Strand
Errötend Marmorstädte. Von den Spitzen
Der Berge grüßt das abendliche Land
Das Licht noch einmal zu der Menschen Sitzen.
Der goldne Augenblick der Feierzeit
Des Tages, wenn im warmen, reifen Frieden
Die Sterne treten aus der Ewigkeit,
Sieghaft zu strahlen jedem Aug' hinieden!
Doch leis und leiser bleicht die Feierpracht.
Hier der Olymp steht öd in dunkler Trauer.
Mitleidig deckt ihn zu die alte Nacht,
Die alte Nacht voll wundersamer Schauer.
Nur dort ein matter, nachtumgrenzter Schein — —!
Auf Golgatha —! Das Schmerzensbild am Holze
Des Kreuzes ausgespannt in ewiger Pein,
Als Demutmahnung jungem Menschenstolze.
Doch horch — ! Ein Schritt. Ein wegemüdes Weib
Hält vor dem altersmorschen Kreuzesstamme.
Ein licht Gewand umhüllt den magern Leib;
Aus ihrem Aug glüht eine düstre Flamme. — —
Ich kenne wohl die wankende Gestalt,
Die einstens prangte in der Weltlenzschöne,
Getrieben von sehnsüchtigster Gewalt,
Zu wandern in dem Reich der Menschensöhne:
„O Psyche, suchst du noch den teuern Gott,
Den schönsten Jüngling, unter Qual und Jammern,
Jahrtausend lang umgellt von Hohn und Spott,
Um an sein selig Herz dich anzuklammern?
Quält dich Erinnerung der Seligkeit
[195]
Der Sommernacht, voll Flüsterlaut der Quellen
Und Rosen in der Brandung leisem Schwellen
Und Rosen auf des Purpurlagers Pracht,
Wo glückesmüde Augen sich geschlossen
Und dein Gedanke, wie ein Kahn der Nacht,
Stieg durch des Sinnens Meer — von Glanz durchflossen?
Suchst du dein göttlich Glück —? Und führt dein Fuß
Dich immer wieder zu dem Schmerzensgotte —?
Du stehst entsetzt! Dein brennend Auge muß,
Muß schaun das Opfer haßvertierter Rotte:
Die blutbesprengten Schultern leuchten matt.
Der tiefste Schmerz in seines Hauptes Neigen.
Der Mund geheimnisvoll und schmerzenssatt.
Die Augen starrend in das ewige Schweigen —:
Doch horch —! Was kommt wie wilden Grimmes Laut,
Wie notentzücktes Opferlied gezogen,
Wie Beten, das dem Himmel nicht vertraut,
Wie stürmisch Glück, das nimmer noch getrogen?
Das goldne Schicksalslied vom Reich der Welt!
Es schwankt das Kreuz im grimmen Sturmesbranden. —
Es steht. Der stumme Friedestifter hält
Die Arme ausgespannt ob allen Landen. —
Das Weib entflieht. Und Golgatha sinkt sacht
In stimmenvolle, schreckensschwangre Nacht.

IV.

O Menschensohn, ich lästerte dich nie,
Wie viele, die dem dumpfen Schicksal fluchen,
Das ihrer Seele Gier — und Ohnmacht lieh
Und heißen Drang, ein ewig Glück zu suchen. —
Der Schmerz ist tief. — Und ruhelos der Geist,
Dem sieghaft glühen neue Morgenröten,
Der deiner Liebe Fülle richtend preist
Und göttlich wird in hohen Schöpfernöten. — —
[196]
Mir winkt ein Traumgesicht: Soll nie der Welt
Erstrahlen deine himmlisch reine Güte
In schönen Menschen, — nie der junge Held
Im schönen Körper tragen dein Gemüte —?
Empor zu dir und — höher geht der Flug!
Die Freude adelt wie die tiefen Leiden.
Zum Glück wird schon der Menschheit Sehnsuchtszug
Und rein das klare, edele Bescheiden. —
Schon reift heran ein herrliches Geschlecht
Von männerstarken, lachensfrohen Erben,
Die neuen Menschen mit dem heilgen Recht
Auf alle Fülle, drum wir bitter werben.
Sie schreiten schön! Sie ziehn zur Frühlingspracht
Des Schmerzenshügels feierlich, voll Schweigen
Der Seligkeit, die aus den Augen lacht.
Vor deinem hohen Bilde sich zu neigen;
Am höchsten Feiertage der Natur
Dein Haupt zu kränzen mit den frischen Rosen
Und mild zu segnen deines Wandelns Spur,
Versöhnt mit dieser Erde dunkeln Losen.

Während eines Gewitters

[197]
Bei den bleichenden Blitzen
Des mählig verrauschenden Abendgewitters
Sah ich dich plötzlich, klar und deutlich,
Mein Jugendgespiele! —
Eintöniger Regen rauscht strömenden Segen.
Mit blauen, klaren, friedlichen Augen
Blickst du ins Grau des ziehenden Wetters
Von der Sandsteintreppe
Des alten Hauses.
Es riecht nach Rauch und Kräutern und Erde,
Betäubend würzig.
Zuweilen zankt ein Spatzenpärchen
In der Lindenkrone.
Was sinnt dein Blick —?
Soweit er taucht ins fegende Grau,
Ist alles dein Erbe von Väterzeiten.
Zu Ende die Ernte.
Die letzte Garbe ruht wohlgeborgen
In strotzender Scheune.
Und drüben am Hügel
Reift mählig drängend
Die purpurn und goldenbräunliche Fülle
Der Trauben zum leuchtenden
Wein deiner stillen Feiertage.
So stehst du mit markigen Gliedern auf der
Mittagshöhe gesättigten Lebens.
Nun klingen die klaren, heiteren Stimmen
Deiner Kinder herüber. —
Du — lächelst leise.
[198]
Und siehe, auch dieser dräuende Tag
Leuchtet noch einmal in spätem Glänze —
Von allen Zweigen tropft flüssiges Gold —
Ehe er reift
Zur glücklichen Nacht. — —
Auch ich, ich starre zur selben Stunde
In das leise sich rötende
Grau des verrauschenden Wetters.
Bist du gekommen
Siegreiches Ende,
Goldene, glühende Sonnenwende
Der unfruchtbaren, rastlosen Jugend —?
Darf ich euch hoffen:
Leuchtende Tage und selige Nächte
Und schwellende Ernten
Des reifenden Geistes,
Daß herrlich die Brust
Der Welt ihre Fülle
Offenbare? — —
Schwermütiges Rauschen!
Mein Glück ist einsam. —
Auf ganzen Geschlechtern
Liegt drückende Öde
Und Unlust und Trauer.
Das Glück der Väter
Ward unersprießlich und schal und leer.
Und das Ernteglück der ringenden Völker
Lebt nur als Hoffnung
In Dichterworten
Und jungen Herzen
Der reifenden Zeit.

Eva im Paradiese
(Zu einer Radierung Max Klingers aus dem Cyklus „Eva und die Zukunft“)

[199]
Eva träumt im jungen Paradiese.
Auf der blumenlichten Maienwiese
Sinnt die Jungfrau, deren Schönheitsblüte
Fruchtlos reift, mit grübelndem Gemüte: —
Übersättigt, goldenfarbig gleichen
Sich die Tage, die wie Bäche schleichen,
Stets des Himmels warme Bläue spiegelnd,
Stets des gleichen Friedens Glück besiegelnd.
Schauen —! Selig Schauen! Doch nicht Wissen! —
Wunderbar regt sichs in Finsternissen —
Unermessenes muß die Welt noch füllen,
Selig locken Zauberschleierhüllen.
Ist das Schmerz, was durch die leise Ahnung
Zuckt wie eines neuen Glückes Mahnung?
Unnennbares will ich fassen, schauen!
Nur nicht dieser Tage leeres Blauen.
Voll mein Sinn — —. Vorwonne süßer Feier
Zuckt durch meines Auges lichten Schleier,
Zuckt mir durch den Leib —! O nicht bezwingen
Kann ich dieser Brust unsäglich Ringen!
Wird mein Sinn mir hell mit einem Schlage?
Her die Frucht! Steigt auf, ihr neuen Tage!

Was wißt denn Ihr...

[203]
Was wißt denn Ihr von Leidenschaft,
Ihr zahmen Seelen,
Die Ihr von Lust und Liebe singt
Aus vollen Kehlen.
Die tändelnd Ihr und scherzhaft reimt
Zum Herzen — Schmerzen
Und stiftet — zahm, verjährt und feist,
Erinnerungskerzen
Dem Fünkchen, das verfrüht versprüht
In Euch und todt,
Kühlt Euern Muth an unsrer Gluth,
Die ewig loht!

Puppentanz

[204]
Ich lag zu Bett, nicht eben ernstlich krank,
Doch lag ich einsam in der großen Stadt
Und träumt' und sann und dachte, dachte, dachte.
Ein schwüler, trüber Junitag. Vom Fenster
Tönt' aus dem Hinterhof nur Kinderlachen.
Dann drang's an's Ohr mit hartem, grellem Klang,
Ein Leierkasten drunten in der Tiefe,
Affen und Puppen drum in buntem Tanz.
Wie falsch und laut die schrille Melodie
In's Ohr mir tönte und der Kinderjubel
Schneidend dazwischen in die Seele griff.
Doch wüst und wüster ward die tolle Weise —
Und plötzlich schien sie meinem wunden Hirn
Im ungeheuren Puppenspiel der Welt
Des Lebenstanzes Leitmotiv zu sein,
Nach dessen Klängen athemlos auch ich,
Wie all' die andern Puppen, rastlos kreiste
Und zuckte an den Drähten des Geschicks!

Geruch der Walderde
Aus „Gesänge der Düfte“

[205]
Unter schwarzen röchelnden Algen,
Scharfen Harzen, rothen Blättern
Stumm eine qualmende Quelle.
In lallender Welle sengender Wein.
Nelken, entzündet, scharlachwild,
Müdes Glimmen schwüler Amethysten.
Kühler Narzissen weiße Stimmen
Singen und lachen im Welken.
Nächte fliehen auf eisigen Schwingen.
Heiß schleichen der Wein und die Nelken.

Regenduft
Aus „Gesänge der Düfte“

Schreie. Ein Pfau.
Gelb schwankt das Rohr.
Glimmendes Schweigen von faulem Holz.
Flüstergrün der Mimosen.
Schlummerndes Gold nackter Rosen
Auf braunem Moor.
Rauschende Dämmerung in weißen Muscheln.
Granit blinkt eisengrau.
Matt im Silberflug Kranichheere
Über die Schaumsaat stahlkühler Meere.

Jasmin
Aus „Gesänge der Düfte“

[206]
Wachsbleich die Sommernacht.
Auf erddunkeln Moderlachen
Singen rosigblaue Irislichter.
Wetterleuchten, schwefelgrün, in Splittern.
Eine weiße dünne Schlange sticht
Züngelnd nach dem blauen Mond.

Morgenduft
Aus „Gesänge der Düfte“

Schwergebogen nasse Zweige.
Trübe Aprikosenblüten.
Unter tiefem Himmel schleichen
Feuchte Wege.
Aschenweiche Buchenwälder.
Kahle perlenmatte Fjorde.
Kaltes Schilf. Auf nacktem Grunde
Spielen scheue Rosenmuscheln.

Rosen
Aus „Gesänge der Düfte“

Weinrot brennen Gewitterwinde.
Purpurblau der Seerand.
Hyazinthentief die ferne Küste.
Ein Regenbogen, veilchenschwül,
Schmilzt durch weihrauchblaue Abendwolken.
Im Thaudunkel lacht
Eine heiße Nachtigall.

Das Herz

[207]
Aus grünem Waldesdämmerdunkel
Tret plötzlich ich in helles Licht,
Da grüßt aus goldnem Glanzgefunkel
Mich ein entzückendes Gedicht:
Ein Marmorhaus in lauter Rosen,
Ein Säulenrund, wo Schaft und Schaft
Verstrickt in eines leichten losen
Gerankes holder Liebeshaft.
Und in der stillen Tempelgrotte
Hebt sich ein schlankes Postament,
Darauf sternblank dem Liebesgotte
Ein Erzbild in der Sonne brennt.
Den Pfeil auf dem erhobenen Bogen,
Darüber er sein Ziel eräugt,
Steht er, die Sehne straff gezogen
Zum Schuß, ein wenig vorgebeugt.
Und vorn an des Geschosses Spitze,
Wie man den Heiligen Opfer bringt,
An einer schlichten, wollnen Litze
Ein wächsern Herz im Winde schwingt.
[208]
Das zeigt von warmen Fingermalen
Im weichen Wachs ein Conterfrei,
Und eine Spur, als ob in Qualen
Ein Weinen drauf gefallen sei.
Und eine abgepflückte Rose,
Wie ein verlornes Liebespfand,
Liegt da, und Stapfen rings im Moose
Und weiterhin im glühenden Sand.
Die tauchen in die Buchenschatten
Und finden ungesehn nach Haus,
Und niemals plaudern diese Matten
Das zärtliche Geheimniß aus.
Und einsam in des Mittags Gluten
Am Pfeil des Gottes schmilzt das Herz,
Und tropft, ein langsames Verbluten,
In roten Thränen niederwärts.
Und tropft in roten heißen Thränen
Auf weißen Marmors kalt Geleucht,
Von ungestillter Liebe Sehnen
Ein rührend Gleichniß, wie mir däucht.

Das Gartenfest

[209]
Rosen, Guitarren und Lachen!
Schatten geistern von ferne —
Ach wie bald, und der heiterste Tag
Schläft und es wandeln die Sterne.
Becher und atmende Brüste!
Glück ist ein Augenblinken —
Einmal muß auch der zärtlichste Arm
Vom Nacken sich lösen und sinken.
Trübsinn ist Sünde, seid fröhlich!
Horch! wer trat in den Garten?
Sieh in geöffneter Pforte den Tod,
Wortloses Winken und Warten.
Fräulein, was brachte euch Schrecken?
Lachen verstummt und Geklimper —
Klirrendes Glas und entblätterter Kranz,
Seufzer und sinkende Wimper.

Der Citronenbaum

[210]
Weinend sitzt die alte Frau im Garten.
Wo ihr Schmerz die schwarze Erde feuchtet,
Sprießt ein Baum, in dessem dunklen Laube
Frucht bei Frucht in gelbem Golde leuchtet.
Kommt der Sohn und sieht der Mutter Thränen.
Die Citronen pflückt er, pflückt sie alle,
Schlürft den Saft mit seinen jungen Lippen,
Daß kein herber Tropfen ihm entfalle.
Spricht die Mutter: Lieber, meinen Kummer
Nahmst du von mir, mag dich Gott belohnen.
Und der Sohn drauf: Kann es Früchte geben,
Die noch süßer sind als die Citronen?

Unrast

[211]
Tag und Tage geh ich
Wie durch tiefen Sand,
Und am Wege steh ich
Wie in fremdem Land,
Nacht und Nächte lieg ich
Schlummerlos allein,
Und vergebens wieg ich
Meine Unrast ein.
Hoch in Sternenkühle
Schwebt der Frieden. Ach,
Von gewühltem Pfühle
Schrei ich laut danach:
Einen Flaum nur deines
Schneegefieders, nur
Einen Traum lang deines
Segens eine Spur.

Confirmandinnen

[212]
Es war ein feuchter Novembertag,
Sankt Gertrud in dichten Nebeln lag.
Da sprang eine fröhliche Schaar mir vorbei,
Halbwüchsige Dirnen, mit viel Geschrei,
Mit roten Backen und roten Ohren.
Kamen direkt vom Herrn Pastoren,
Der die munteren Lämmlein all
Schäfern sollte in Betlehems Stall.
Waren gar schmucke Lämmlein darunter,
Eins weiß, ein schwarz, eins etwas bunter,
Eins größer, eins kleiner, eins glatt, eins gerauht,
Wie sie der liebe Hergott gebaut.
Von Andacht sah ich nicht eine Spur,
Aber viel frische, frohe Natur.
Zum Schluß eine zierliche, schlanke, blasse
Ging gesondert von der Masse.
Traumumschleierte Augen schienen
Noch immer ihrem Gott zu dienen,
In dieser frommen Kinderseele
Klangen nach des Herrn Befehle
Mit heiligem Erschauern weiter,
Der himmlische Bräutigam war ihr Begleiter.
Sittig ging sie und fromm einher,
Erfüllt von der heiligen Christenlehr,
Sah einmal, zweimal ins Buch hinein,
Woraus ein lieblicher Widerschein
Des köstlichen Inhalts sie überstrahlte,
Mit einem zarten Rot übermalte.
Sah aus wie eine Himmelsbraut,
Die ihren Bräutigam erschaut.
[213]
Wie rührte mich das junge Ding,
Das so an seinem Gott schon hing.
Ich sah sie an, sie ward verlegen,
Spürte wohl, was mich mochte bewegen.
Wie schnell sie das Buch zusammenklappte,
Als ob ich auf Sünden sie ertappte,
Wie denn meistens den wahrhaft Frommen
Nichts vor allem so unwillkommen,
Als wenn man ihr christlich Thun belauscht,
Während Heuchelei gerne radschlägt und rauscht,
Und läutet vor allem Volk die Glocken
Mit Bettelsuppen und Waisensocken.
Bescheiden ging das gute Kind
An mir vorüber, wie Mailuft lind,
Wie im Nebel ein Sonnenschein,
Wie dem Sünder ein Engelein.
Da sah ich auf der Erde liegen,
Eine Strecke im schwachen Winde fliegen,
Und wieder liegen und winken mir,
Ein loses Blättchen, ein weiß Papier;
Gewiß ein Spruch, ein frommer Traktat,
Den die Vertiefte verloren hat.
Ich hob es auf: ein zierlich Couvert
Mit großen Buchstaben überquert.
Verwundert sah ich mich um, da stand
Die Kleine und lachte hinter der Hand.
Warte nur, Schelm! Was seh ich geschrieben!
Hauptpostlagernd G. F. 7.

Empfehlung

[227]
Ich möchte dir ja wirklich gern erzählen,
Mit heißen Worten, zärtlich und genau,
Daß mich Gefühle neuerdings beseelen
Und dir sich neigen, seltsam schöne Frau.
Doch leider, leider kann ichs nicht verhehlen:
Mein Blut ist bleich und rieselt dünn und flau.
Ich will dir lieber einen Freund empfehlen!
Er ist so frisch und rein wie Morgenthau,
In seinem Kinderherzen kaum erglommen
Ist jenes Feuer, das mir längst verblasst;
Ich rath dir gut, er wird dir wohl bekommen,
Er träumt noch von der großen Leidenschaft!
Sein Anblick schon wird deine Nerven stärken,
Auch ist er gern bereit zu frommen Werken!

Aus alter Gewohnheit

[228]
Ich liebe deine zartbeflaumten Wangen
Und deinen Leib, so frisch und köstlich-kühl;
Doch eines, Kind, darfst du mir nicht verlangen:
Die Leidenschaften und das Sturmgefühl!
Ich bin ja recht geneigt zu kleinen Scherzen,
Ein bischen Plaudern und, wenn man schon muß,
Ein Viertelstündchen auch an deinem Herzen,
Doch schenk' mir den berauschenden Genuß.
Ich folge ja nicht ungestümen Trieben,
Nicht dunkler Sehnsucht, die den Sinn bethört,
Nur aus Gewohnheit pfleg' ich noch zu lieben —
Und weil die Liebe zum Beruf gehört.

Letzte Laune

Ich kenne nun so ziemlich alle Leiden
Und fühle wirklich etwas Müdigkeit;
Ich weiß genau, für mich ist Schlafenszeit,
Mag sich wer immer will am Feste weiden.
Das Abschiednehmen möcht ich gern vermeiden,
Drum halt ich ganz im Stillen mich bereit,
Wenn auch im leichten, festgeschmückten Kleid,
Gelegentlich, ganz unbemerkt zu scheiden.
Doch einer Laune will ich noch genügen,
Eh' ich verlasse diesen alten Bau:
Ich will mich noch an einer hübschen Frau
Mit reinen, unverdorbnen Kinderzügen,
Mit Augen, die gewitterwolken-grau,
Beiläufig zehn Minuten lang vergnügen.

Aut - aut!
Randglossen

[230]
Fortkommst du nur auf zweierlei Weisen:
Entweder Maul halten oder beißen!

Epitaph auf Königsgräber
Randglossen

Hic ossa regia tegit lapis. Amen.
In des Volks Gedächtnis such' den Namen!

Halbwelt und Ganzwelt
Randglossen

„Die Halbwelt benimmt sich offen und frei“ — Mit Fug!
Die Ganzwelt heuchelt für Alle genug!

Georges Ohnet
Randglossen

Georges Ohnet — welch ein begeistertes Tosen! —
Natürlich: die Marlitt in Männerhosen!

Erkenntnis
Randglossen

[231]
Wie sie fechten mit Hand und Mund,
Der Theresitas und der Alexander
Und endlich kommen sie doch auf den Grund:
Mäusedreck ist kein Koriander.

Logik

Als der Kritiker einst die Hofpoeten zerzauste,
Klagten sie alle gesammt, daß er den König geschmäht!
— Tadle die Geistlichen nicht! Sie sind wie jene Poeten:
Wenn du der Sünde sie zeihst, schrein sie, du lästertest Gott!

Weltfern

[232]
Ein winz'ges Inselchen blickt aus dem Meere,
Ganz weltvergessen und doch unentweiht,
Ein grünes Heiligtum der Einsamkeit,
Ringsum verteidigt durch Korallenspeere.
Da murmeln Wogen früh und spät ihr Lied
Und glucksen schläfrig in den bunten Grotten,
Durch die der Wind bisweilen schnarchend zieht,
Um ihre ew'gen Klagen zu verspotten.
Da herrscht noch frisch der Urzeit kräft'ges Leben,
Es kribbelt und es krabbelt an dem Strand:
Insekten, die mit leisem Surren schweben,
Und Krustentiere, die an Steinen kleben,
Und Schlinggewächs verschwendrisch ausgespannt.
Durch Fächerpalmen weht ein sanfter Hauch,
Daß sie sich lautlos auf und nieder wiegen;
Schneeweiße, duft'ge Blütenflocken fliegen,
Bis sie im lauen Wellenbette liegen,
Wenn sie nicht fing ein rauher Dornenstrauch.
Doch durch die Büsche springt kein muntres Tier,
Kein Vogel flötet in den schwanken Zweigen,
Nur niedre Wesen, die verdammt zum Schweigen,
Verbringen sehnsuchtslos ihr Dasein hier.
[233]
Einst, mittags, wandelt übern Ozean
Der Sturm, in schwarzes Wolkenkleid gehüllt.
Die Sonne birgt sich scheu bei seinem Nahn
Und überläßt ihm ganz den feuchten Plan,
Wo er nach Herzenslust nun tobt und brüllt.
Doch gegen Abend legt sich seine Wut.
Am klaren Himmel flimmerts blaß und blasser.
Die Sonne gießt den letzten Glanz auf's Wasser,
Das, müdgehetzt, breit hingelagert ruht.
Nur kleine Wellen hüpfen noch und tanzen,
Sorgloses Leben zeigt sich wieder heiter,
Da rudern Muscheln, saugen Wurzelpflanzen,
Es kribbelt und es krabbelt lustig weiter.
Von Wellenhänden wird herbeigetragen
Manch wunderbar Gerät: Ein Mast, ein Faß,
Ein Zeitungsblatt, ein Bild und dies und das,
Wie es der Sturm mit roher Faust zerschlagen.
Und langsam schwimmt nach diesem stillen Reiche
Von irgend einem jammervollen Wrack,
Das auf dem Grund liegt — eine Mädchenleiche.
Kaum angekleidet ist sie, im Gezack
Des Spitzenhemdes schimmern Frühlingsbrüste,
Das schöne Haupt umspritzt der Meeresschaum,
Ein goldnes Kreuz glänzt auf der vollen Büste.
Ist sie auch tot? Sie scheint nur tief im Traum,
Und lässig schaukeln Wogen sie zur Küste.
Da ruht sie nun, derweil am Himmelssaum,
Den purpurhauchend er soeben küßte,
Der rote Glutball zögernd sacht versinkt
Und Abendtau an Blatt und Blume blinkt.
[234]
Seltsam Getier kriecht zappelnd leis heran
Und hängt ans Fleisch sich, das so wundersam
Noch nie in diese Gegend kam,
Und gierig saugt's, wo's einen Platz gewann...
Längst brach die Nacht herein. Es schläft der Friede
Im Palmenwald. Das dunkelblaue Meer
Lullt sich in Schlaf mit einem Wogenliede.
Neugierig lugt der Mond aus Sternen her
Und spielt mit seinen zarten Silberfingern
Im goldnen Haar der marmorblassen Lady.

Uhs Hannjärg

[249]
De Wind, de gung mächdig un blus un blus
de Kathrin grod in die Ank 1),
he ballert de Räck 2) un blus un blus
un weist 3) ei'm de Hosse 4), so blank.
He fegt um de Kopp er 5), es Dichelche 6) weht,
he kloppt an de Kist uf ir'm Kopp;
de Kathrin, de wehrt em, — ihr Knoche sein stark,
sus 7) fegt' he se üm 8) im Galopp.
De Kist is klah 9), de Ahstrich 10) gäl, 11)
fest hot se de Kathrin gepackt,
drei Mark hot se kost, drum is se so schie,
Dodervor 12) hot sei sich geplackt.
Zwa Stunne schon wor se unnerwägs,
Derhām ließ er'sch doch kah Ruh...
................
se guckt in de Heh un admet uf,
e Bauer kimmt uf se zu.
[250]
„Was hott er denn do in de Kist?“ frogt he,
„Uhs Hannjärg,“ sogt se, „e hot“ —
— es Kistche wackelt, so greint se und flennt
„de Pocke hol e gehott.“
De Bauer, de sprung uf de Seit und lief
un kloppt sich mit sei'm Stock,
„des Dunner! de Pocke!“ un kloppt un kloppt
a's säße s'em schon uf sei'm Rock. — —
De Kathrin gung wei'rer, es Kistche drickt,
es werd er fast ze viel;
de Pärrner 13) und Kister stunne schon do,
uhs Hannjärg wor am Ziel.
Uhs Hannjärg krag 14) e Gebet geholle,
und ahch en Seege noch,
Dann dahte se des schie, gäl Kistche
in e gruß 15), schwarz Loch.......
...............
De Wind, de gung mächtig un blus un blus
de Kathrin de Zepp 16) in de Heh,
doch drin in de Brust, uhs Hannjärg,
do daht he weh.

1)Nacken 2)Röcke 3)zeigt einem 4)die Strümpfe 5)ihr 6)Kopftuch 7)sonst 8)um 9)klein 10)Anstrich 11)gelb 12)darum 13)Pfarrer 14)bekam 15)groß 16)Zöpfe

Aus Stecchetti's „Postuma“

[266]
Erbarmen flehte ich zu ihren Füßen
Und Thränen sind geflossen...
„Dies Kleid“ antwortete der Mund der Süßen
„Sitzt mir wie angegossen.“
Nachlief ich flugs in meinem Liebesharme
Der nächsten Dirne, flüchtig...
Da rief sie mich und öffnete die Arme,
Sie wurde eifersüchtig.
***
Als meinem Herzen ich die Frage bot:
„Warum so leblos, wie ins Mark getroffen?“
Da sprach mein Herz: „Die Liebe, ach, ist tot.“
Und als ich weiter mahnte seine Not:
„Wenn deine Liebe tot, warum noch hoffen?“
Da sprach mein Herz: „Wer nicht mehr hofft, ist tot.“
***
Ihr, die ihr sucht der grünen Berge Schweigen,
Euch sanft hinwegzustehlen
Zum reinsten Bach und dichtbelaubten Zweigen,
Hört mich, verliebte Seelen!
Gedenket mein! An meines Lebens Rande
Bin ich zurückgeblieben.
Mitleid, o Liebende, für meine Schande!
Denn ich kann nicht mehr lieben.
***
[267]
Wenn Blätter schwinden unter Herbsteswinden,
Wirst du mein Kreuz im Kirchhof suchen wollen.
In einem Winkel ist es bald zu finden
Und Blumen siehst du sprießen aus den Schollen.
Die Blumen, die entsprossen meiner Bahre,
Sammle du dann für deine blonden Haare!
Die Lieder sinds, gedacht, doch ungeschrieben,
Die Liebesworte, ungesagt geblieben!
***
Ich sterbe, Frau, doch deine tapfre Treue
Tröstet die Scheidequal,
Ich liebe endlich ohne Scham und Reue,
Geliebt ein einzig Mal.
Ich wollte dir von meiner Jugend schenken
Den Rest nur, der noch mein.
Auf deine Schulter laß mein Haupt sich senken,
Und also schlaf ich ein.

Nachtvogel
An Otto Erich Hartleben

[268]
An dem Fuß der Weltenleuchte,
Halb im Lichtkreis, halb im Dunkeln,
Träumt die kleine Dämmerseele
Aus dem Schatten hoch ins Funkeln.
Scheue Sehnsucht regt die Flügel,
Keusche Demut bannt zur Stelle, —
Nur mit sonnendurstigen Augen
Saugt sie ein die Gnadenquelle.
Schwarzes Seelchen, Nachtdurchsegler,
Bangt sich in dem einen Sehnen,
An den müden Augenlidern
Hängen heiße, schwere Thränen.
Tausend Sonnenleichen kreisen
Droben einsam und verloren —
An dem Fuß der Weltenleuchte
Wird ein neuer Stern geboren.

Sommerglücksmusik

[316]
O Mond der Ernte des goldenen Korns!
O Sichelrauschen durch reife Frucht!
O Segensang des Sensenschwungs!
***
Sonne spielt auf schweren, satten
Farben ein Strahlenlied der Macht.
Goldkorngarbenüberdacht
Sitzt der große Pan im Schatten.
***
Gelb ist des Liedes Tiefton; breit
Flutet es unterm Klanggewelle.
Fanfaren in Rot; das Blau schalmeit;
Ein lustiges Grün schwillt flötenhelle.
***
Mit dem Haupt, dem hörnerschweren,
Nickt den Takt der große Pan:
„Langsam kommt die Zeit heran,
Da die Götter wiederkehren.“
***
O Mond der Ernte des goldenen Korns!
O Sichelrauschen durch reife Frucht!
O Segensang des Sensenschwungs!

Lizenzhinweis: Creative Commons 0


Rechtsinhaber*in
The Beginnings of Modern Poetry Project

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Moderner Musen-Almanach, herausgegeben von Otto Julius Bierbaum. Ein Sammelbuch deutscher Kunst. München 1894.. Moderner Musen-Almanach, herausgegeben von Otto Julius Bierbaum. Ein Sammelbuch deutscher Kunst. München 1894.. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43FA-5