Vorwort
[V]Die vorliegende, den Quellen entnommene Sammlung will eine Charakteristik unserer lyrischen und lyrisch-epischen Dichtung seit 1850 versuchen. Eine Charakteristik der einzelnen Dichter betrachtete sie im bewussten Gegensatz zu andern Sammlungen nicht als ihre Aufgabe, da ihr Herausgeber in dem Bestreben, auch „weniger bedeutende“ Lyriker nach ihren verschiedenen Seiten hin zu beleuchten, den Hauptgrund für jenes Überwuchern des Mittelmässigen sah, welches in unsern meisten Anthologien das wenige Gute erstickt. Zudem muss eine derartige „Charakteristik“ bei Dichtern, die nicht ganz ärmlich sind, doch gar zu sehr Stückwerk bleiben. Auf jenen Genuss, welchen das Eindringen in eine dichterische Individualität gewährt, soll eine Anthologie hinweisen, da sie ihn nie und nimmer ersetzen kann. —
Der Herausgeber hielt sich nicht für berechtigt, Gedichte eines noch lebenden Verfassers ohne die Erlaubniss desselben aufzunehmen: er trat deshalb mit denjenigen Dichtern, welche er zu vertreten wünschte, in schriftliche Beziehung. Von einfacher Unterbreitung kurzer Vorschläge und Genehmigung derselben durch den Befragten wechselte der Charakter dieses Verkehrs bis zu so eingehender Besprechung der einzelnen Strophen und Verse, dass selbst Änderungen und Fortlassungen die Folge waren. Wenn aber kein Gedicht ohne die Erlaubniss des Dichters aufgenommen wurde, so fand doch auch keines Aufnahme nur auf dessen Wunsch: dieses Buch ist keine „Selbstanthologie“, es ist eine Auswahl unter solchen Gedichten, welche ihre Verfasser durch die Genehmigung des Abdrucks als vollwerthig anerkannten.
[VI]Für die Bezeichnung der Gesichtspunkte aber, welche diese Auswahl leiteten, für die Bezeichnung dessen, was dem Herausgeber und seinen Freunden als echteste Poesie und somit als das für eine Vertretung unserer Dichtung bedeutungsvollste erschien, mögen mir einige Worte gestattet sein. Höchstens ein Dutzend Gedichte brachte der Wunsch nach möglichst vollständiger Charakteristik unserer lyrischen Literatur zum Abdruck, ohne dass sie nach unserer Überzeugung den folgenden Principien ganz genügten.
Wir fordern von wahrer Poesie, dass sie geworden, nicht gemacht sei. Nicht der ist für uns der echteste Dichter, dessen Reflexion aus Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen ein „Ganzes“ zusammensetzt, sondern jener, der aus der Phantasie auf ihn Eindringendes, der geistig Angeschautes, auch für Anderer Sinne zu bannen weiss. Die Welt wahrer Poesie erscheint unserm geistigen Auge ohne Vermittelung des Denkens wie die Welt der Körper unserm körperlichen. So fordern wir Ursprünglichkeit.
Der echte Dichter erweckt Gefühle — aber er schildert sie nicht, denn Schilderung kann im besten Falle nur ein Nachempfinden in uns erregen. Echte Poesie aber bewirkt im Empfänglichen nicht das Bewusstsein des Nachfühlens, sondern das des Fühlens, wie echter Unterricht im Schüler nicht das des Empfangens, sondern des Findens.
Das Stoffgebiet der Lyrik halten wir für unbegrenzt; nicht das Was, sondern das Wie ist uns entscheidend. Nach unserm Glauben ist dem Lyriker auch das Reich des Gedankens nicht verschlossen. Wenn wir aber als Poesie nur voll Empfundenes anerkennen können, weil nur dieses volles Empfinden weckt, so muss auch der Gedanke den Weg vom Kopf zum Herzen — und zum Herzen eines Dichters — gemacht haben, um uns bei seiner Wiedergeburt nicht nur zu erleuchten, sondern auch zu erwärmen — um Poesie zu werden. Die höchste dichterische Verklärung wird allerdings der Gedanke erst dann gefunden haben, wenn er in den Gluthen der Empfindung verging, um als dichterische Anschauung neu zu erstehen. Dann spricht auch er, ohne eines reflektirenden Wortes zu bedürfen, so unmittelbar und mächtig zu uns, wie die antike Trümmerwelt, wie die Wellen über einer versunkenen Stadt, wie ein Ereigniss der Welt-[VII]geschichte. Eine derartige Verklärung des Gedankens zur Anschauung ist die Sage vom Ahasver und die vom Faust.
In Bezug auf die Form theilen wir nicht jene Ansichten, welche, hauptsächlich durch Platens Einfluss, in vielen Organen der deutschen Kritik die massgebenden geworden sind. Uns ist die Form nicht — um mit dem Ausdruck jener Schule zu sprechen — „ein goldenes Gefäss“, in das „ein edler Wein als Inhalt“ gegossen wird. Echte Form wird mit jener innere Anschauung im ursprünglichen Dichter gleichgeboren: sie ist die nothwendige Erscheinungsweise der Poesie, untrennbar mit ihr verbunden, wie nicht der Becher, sondern wie Gold oder Purpur mit dem Wein. Bei den allermeisten unserer Plateniden erkennt man trotz elegantester Prosodie, trotz glattester Technik der Reime jenes „Hineingiessen des Inhalts in die Form“ auf den ersten Blick. Es ist der beste Beweis für den Mangel der Ursprünglichkeit. —
Wie von selbst ergaben sich aus der Anwendung dieser Grundsätze zwei Nebenresultate. Wenn unsere Anschauungen begründet sind, so erfordert echte Lyrik zur Möglichkeit des Gestaltens eine sehr grosse Stärke des Empfindens: die weitaus meisten ihrer Offenbarungen werden den Geist vertreten, den wir als „männlich“ zu bezeichnen pflegen, obgleich er den Reifen beider Geschlechter gemeinsam ist. So findet sich in diesem Buche, das wahrer Liebespoesie ihren hohen Platz gewiss einräumte, doch hoffentlich keine jener weichlich schmachtenden Reimereien, die ihr Gedeihen in den Blumenlesen wohl weniger dem Urtheil der Urtheilsfähigen, als der Rücksicht aufs Anthologien-konsumirende Geschlecht der Backfische verdanken. Zweitens aber fand die Blüthe kräftigen Fühlens, der Humor — nicht der Witz — reiche Vertretung.
Was die Hilfsmittel meiner Arbeit angeht, so gesteh' ich zunächst mit dem leisen Grauen der Erinnerung, an fünfhundert Gedichtbücher durchsucht zu haben. Anthologien durfte ich meinem Plane gemäss wenig benutzen. Nur einer bekenne ich mich zu wärmstem Danke verpflichtet: Storms „Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius“. Alle, welche die kritikvollste Anwendung ähnlicher Principien, wie der hier vertretenen, auf einen so weiten [VIII]Zeitraum zu kennen wünschen, seien auf dieses Buch verwiesen — hätte der Umfang seines Stoffgebietes, das ja schon jenseits der Klassiker beginnt, mehr Raum für unsere Gegenwart gehabt, so wäre das vorliegende nicht entstanden. — Für die biographischen Notizen benutzte ich neben Brummers „Dichterlexikon“, unseren literaturhistorischen Werken und einigen biographischen Aufsätzen in Zeitschriften vielfach Originalmittheilungen der Dichter oder hinterbliebener Verwandten.
Zum Schlusse sage ich den Vielen, welche mich auf diese oder jene Art unterstützten und insbesondere unsern Dichtern, deren Entgegenkommen mir die Eigenart dieses Buches erst ermöglichte, von ganzem Herzen meinen Dank.
Im November 1881.
F. Avenarius
Auf einem Gipfel
[3]In grauenvoller Unermesslichkeit
Liegt weit die Alpenwelt — ein wildes Meer,
Zu Eis erstarrt, als hab' ein Zauberfluch
Die himmelstürmenden Titanenhäupter,
Die silbernen, der Wogen festgebannt.
Hier oben wächst, hier weilt kein Leben mehr,
Nur Schweigen herrscht, nur Schweigen herrscht und Tod:
Der Geier selbst stürzt pfeifend in die Tiefe,
Um fern vom ewgen, wandellosen Eis
Den sichern Hort für seine Brut zu suchen;
Das Echo selbst entfloh — der Jubelruf,
Der nach des Weges drohenden Gefahren
Sich aus der Brust des Wandrers hier entringt:
Er hallt beängstigend und heiser fort,
Dass fürder scheu, wie in der Gegenwart
Von Leichen, kaum der Mund zu flüstern wagt…
Vom Bahrtuch weissen Schnees geblendet, schaudert
Das Auge jäh zurück — da taucht empor
Bleich aus den Eisesfeldern eine Sage,
Die lange vor des ersten Menschen Fuss
Der Alpen Silberfirnen schon erklomm.
Hier lag einst lebend eine grüne Welt,
Hier sangen Vögel in der Bäume Kronen,
Hier summten Bäche durch der Matten Saat,
Hier reiften Trauben goldnen Rebensaft,
[4]Hier blühten Blumen schöner, denn im Thal,
Hier blühten Menschen glücklicher, denn alle,
In schmerzenfreiem Erdenparadies.
Da trat in ihren Kreis die Schuld. Vernichtet
In Blitz und Donner ward ihr Glück, ihr Lenz
Ward ewger Winter, ihre Welt ein Grab —
Und bei der Winde Schweigen hört noch heut
Sich scheu bekreuzend der verirrte Jäger
Tief unterm Eis ein Winseln halb, halb Kläffen,
Wie's an der Leiche seines Herrn der Hund
Verhungernd heult.
In seltnen Stunden nur, wenn schon die Sonne
Im Westen sank, wenn erstes Dunkel schon
Rings zu den Thälern niedersteigt, erwacht
Zu zaubervoller Geisterherrlichkeit,
Was einst erstarb. Dann wandelt sich zu Purpur
Der Gipfel Schnee, und vor den Dörfern drunten
Versammelt staunend sich der Menschen Schaar
Und spricht vom Alpenglühn. Doch Keiner weiss,
Was hier geschieht; noch keine Kunde drang
Vom kurzen Fest der auferstandnen Schönheit
Den Menschen zu — denn wer in diesen Höhen
Den Abend sieht, sieht keinen Morgen mehr.
Los
[7]Bei Wesselényi, dem Ungarbaron
Lud Kaiser Franz sich zu Gaste;
Die Tage verrauschten, die Nächte flohn
Bei Sang und Klang im Palaste.
„Ich fühle mich tief in deiner Schuld,
O sprich,“ anhebt der Gekrönte,
„Wie kann ich belohnen all die Huld,
So mir das Leben verschönte?“
„Hast du, gesalbeter König mein,
Mich gnädig ins Herz geschlossen,
Dann lass mich lenken den Wagen dein
Mit edeln ungrischen Rossen.“
[8]„Wohlan,“ so lächelt der Greis, „wohlan!“
Da stürmt der Magnat von hinnen,
Anbraust er mit schneeigem Viergespann,
Den feurigen Lauf zu beginnen.
Gewoben hat das Brabanterland
Fürs bauschige Hemd die Spitzen,
Die Schulter umfliegt ein Schnurengewand,
Drauf Gold und Juwelen blitzen.
Am Krämpenhute die Schleifen lang,
Die Feder stolz sich reckend;
Es klirren die Sporen, zu Sturm und Drang
Ein ritterlich Herz erweckend.
Nun hat er die Zügel mit Macht erfasst,
Los, los! Ihm brennen die Wangen;
Doch bleiche Furcht ist dem hohen Gast
Hin über das Antlitz gangen.
„Mein edler Wirth, o dämpfe den Flug,“
So mahnt er, die Lippen zittern —
Vergebens! Beflügelter saust der Zug
Gleich Stürmen und Sommergewittern.
„Getrost, mein Gebieter! Mann und Ross
Sind heiss im Reich der Magyaren:
Wer leise schleicht, ist ein kühler Genoss,
Entreisst dich nie den Gefahren...“
Hinrasen im dumpferdonnernden Lauf
Die Hengste zum tückischen Weiher,
Da fliegen im Schilf gespenstig auf
Die Dommel, der Storch und der Reiher.
„Genug des entsetzlichen Spiels, genug,
Vasall mit der trotzigen Seele,
Genug, und wende sofort den Zug,
Ich will's! Vernimm! Ich befehle!“
Erschüttert des Mannes gestählten Sinn
Des Kaisers Noth und Beschwerde?
Nein! Lächelnd wirft er den Zügel hin,
Entfesselt nun völlig die Pferde.
[9]Sie brausen in Hast dem Weiher zu —
Da stöhnt in bitteren Nöthen
Der greise Monarch: „So trachtest du,
Verräther, den König zu tödten?“
Nun — Jesus Maria — nun droht der Schwall
Den dampfenden Zug zu verschlingen —
Da lässt Wesselényi mit lautem Schall
Beschwörend den Pfiff erklingen.
Aufhorchen die Renner, stehn gebannt
Und scharren zahm mit dem Hufe,
Sie haben des Meisters Gebot erkannt,
Und folgen gewohnt dem Rufe.
Drauf hat sich der Lenker tief verneigt:
„Mein Fürst, und wolle vergeben!
Dir hab' ich im Bilde klar gezeigt
Magyarisches Walten und Weben.
Dir hab' ich gezeigt mit fester Hand,
Mein König, an diesen Vieren,
Wie du das gewaltige Ungarland
Begeistern musst und regieren.
Frei lass es gewähren, wie Gott es schuf,
So gestern, so heut und morgen,
Dann folgt es im Nu des Meisters Ruf,
Und Fürst und Volk sind geborgen!“
Rococo
[11]Fürwahr, ich liebe sie, die stolzen Avenüen,
Die Masken, die ihr Nass in weite Muscheln sprühen,
Indess der Strahl empor aus Tritons Backen steigt; —
Das Buchen-Labyrinth, Alleen ohne Ende,
Geschnitten nach der Kunst, in deren grüne Wände
Der alten Bäume Laub wie ein Gewölk sich neigt.
Die Schlösser lieb' ich auch — die seltsamen Façaden,
Mit Statuen, Festons und Muschelwerk beladen,
Auf die das Schieferdach mit schwerer Masse drückt; —
Die Essen hoch und schlank, die ausgeschweiften Giebel, —
Die Rampen ab und auf — die Reihen mächtger Kübel,
Drin der Orangenbaum mit Blüth und Frucht sich schmückt.
Doch nicht bei Sonnenschein, noch bei des Frühlings Wehen,
Wo Alles sich verjüngt, was kann, mag ich sie sehen:
Dann lächeln sie frivol, verbuhlten Alten gleich,
Die ihrer Runzeln Gelb mit Blüthenfarben decken
Doch kann die Schmink, es kann das Lächeln nicht verstecken,
Was ihnen Zeit gethan mit manchem Sensenstreich!
Nein, nicht bei Frühlingswind und nicht im Sonnenscheine, -
Am späten Nachmittag, im Herbst mag ich alleine
Durch die verfallne Pracht mit meinen Träumen gehn.
Wenn welkes Laub hintanzt in Gängen und auf Treppen,
Und niedrig drüber hin die düstern Wolken schleppen,
Dann träum' ich sie mir jung, dann sind sie wieder schön.
Dann reden sie mit mir von ihren guten Tagen;
Sie beichten manche Schuld, mit Reu — und mit Behagen:
Denn eine sündge Zeit, voll Trug und Schimmer war's!
Ein Märchen nur war Treu, ein Spielzeug war die Ehre;
Doch siegreich lächelte die Göttin von Cythere,
Und manch bepudert Haupt umkränzt' Apoll und Mars.
Dann mein' ich wieder auch die blanken Prachtkarossen,
Die Damen hochfrisirt, die zierlich drin verschlossen,
Wie eine heilige Pupp im gold-krystallnen Schrein, —
Ich meine sie zu sehn! Die Isabellenpferde,
Die Mähne bandgeschmückt — kaum rühren sie die Erde!
Die Pagen auf dem Tritt, bedeckt mit Stickerein!
[12]Der Läufer fliegt voran mit Blumenhut und Schürze,
Als ob von Jovis Thron Merkur sich eilig stürze:
Der Schweizer salutirt mit goldbefranstem Speer.
Es drängen — eine Schaar erwachsner Amoretten —
Die Cavalier in Seid, in Puder und Manschetten
Sich um den Wagenschlag der Huldgöttinnen her.
Nun wandeln seh' ich sie dort zwischen den Orangen:
Der schwere Damast rauscht, es flattern die Fontangen,
Auf hohen Schuhen schwankt's ein wandelnd Malvenbeet.
Ein Neger trägt den Mops, den Schirm nach Japans Mode,
Und lispelnd declamirt die neuste Liebesode
Im schwarzen Mäntelchen ein geistlicher Poet.
Welch blitzende Bonmots! Welch Lachen und welch Kichern!
Welch schmachtend Girren dort, welch Schwören und Versichern! -
Der Herbstwind rauscht um mich und streut das braune Laub.
Verschwunden Lust und Pracht! Der Abend senkt sich dichter:
Kein Leben rings, als meins! Im Schlosse keine Lichter! —
Und Alles, was gelebt und leben wird, ist Staub!
Wie die Kinder lesen
Saht ihr einmal — wie freilich solltet ihr!
Doch Schade drum, denn hold und lustig ist es! -
Wenn meine Kleine, siebzehn Monden alt,
In Vaters Büchern oder Briefen liest?
Wie sie das Ding schon so verständig anfasst,
Den Zeilen emsig mit dem Finger folgt,
Und ihren ganzen winzgen Wörtervorrath:
Papa, Mama, und Baba und Baubau
Mit ungemeiner Wichtigkeit und mit
Nicht mindrer Modulirung an den Mann bringt? -
(Denn, wie natürlich, kennt sie noch kein Jota!)
Und wir, die Eltern — lach' uns aus, wer mag!
Wir horchen, wie aufs Evangelium
Und sagen: „Ei, wie schön kann Eva lesen!“
Dann blickt sie stolz und glücklich zu uns auf.
Mir aber wird oft wunderlich dabei
Zu Muth — und auf dem Bänkchen neben ihr
Mein' ich ein ganzes grosses Publikum
In gleichem Lesewerk vertieft zu sehn;
Gar alt und hochgelahrte Männer drunter
(Auch, dass es Niemand übel nimmt, mich selbst,
[14]Obwohl ich eben Keins von Beiden bin) —
Und halten tausend klein und grosse Bücher,
Nicht etwa Märchen und Romane nur,
Im Gegentheil! recht vollgewichtge Bände:
Der Künste Buch, wie das der Wissenschaft,
Den dicken grauen Tröster: „Weltgeschichte“,
Selbst jenes grösste — schwer nur klappt sich's auf! —
Das alte, das Natur betitelt ist: —
Und lesen ernst und laut einander vor
Und leiten zeilenweis sich mit den Fingern, —
Die Grössern nämlich — Kleinste hören zu, —
Doch Mancher, fürcht' ich, hält das Buch verkehrt.
Und A bis Z steht lustig auf den Köpfen.
Der grosse Vater aber, denk' ich mir,
Sieht lächelnd nieder auf die kleine Welt
Und streichelt manches kluge Lockenköpfchen,
Als spräch' er: „Wie das Kind schon lesen kann!“
Im Stillen aber sagt er: „Warte nur:
Nehm' ich dich einst aufs Knie und lehre dich,
Dann lernst du's anders!“
Vom „guten, alten“ Onkel
[15]Er zählte schon in die vierzig Jahr,
Der Onkel, der „gute, alte“;
Er nahm sie aus der Geschwisterschaar,
Dass sie sein Haus verwalte,
Und Alles pries den edlen Mann,
Wie er sie väterlich halte.
Was Wunder, dass er ihr Herz gewann,
Der Onkel, der „gute, alte“!
Sie war so rosig und kerngesund,
Und konnte so reizend schmeicheln;
Er liess sich küssen von ihrem Mund
Und liess sich geduldig streicheln;
Wie weich sie wischte von seiner Stirn
Die böse, die Sorgenfalte!
Er hatte sie lieb, die „schmucke Dirn“,
Der Onkel, der „gute, alte“.
[16]Sie durfte sich putzen nach Herzenslust
Er schenkte ihr Sammet und Seide;
Er schmückte des „Töchterchens“ junge Brust
Mit funkelndem Geschmeide.
Sie hing am Arm ihm überall;
Und kam der Winter, der kalte,
So ging er getreulich auf jeden Ball,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Nur eines sah er niemals gern,
Es machte ihn still und verdriesslich:
Das Seufzen und Schmachten junger Herrn,
Das fand er unerspriesslich.
Sie selber sprach, dass sie's für Wind
Und eitel Thorheit halte.
Er freute sich über sein „kluges Kind“,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Doch einst — der Mai kam just heran,
Die Luft war lenzestrunken —
Da ist sie mit einem jungen Mann
Vor ihm aufs Knie gesunken.
Sie flehten, dass sein Segenswort
Ihr dauernd Glück gestalte.
Wie stand er so erschrocken dort.
Der Onkel, der „gute, alte“!
Ein schöner Mann! Es sprühte sein Blick,
Es flössen so braun die Locken —
Wie konnte er gegen des „Kindes“ Glück
Sein ehrliches Herz verstocken
Bis in die Nacht beim perlenden Wein
Sein Lachen lustig schallte.
Dann schlugen die Thüren — er blieb allein,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Er setzte sich an das Fenster sacht.
Die Nachtigallen sangen
Am Himmel ist des Mondes Pracht
Wohl auf und ab gegangen.
Er wischte die Augen — vergebne Müh
Das Herz im Leib ihm wallte —
So sass er stumm bis morgens früh.
Der Onkel, der „gute, alte“.
Der Tod
Unter den Freunden der erdumwohnenden
Menschen vor Allen preis' ich den Tod.
Ob Dionysos, ob Eros dem frohnenden
Jammergeschlechte mit köstlich belohnenden
Stunden versüsse die Jahre der Noth,
Ob in dem Boot
Seligen Traums die betrogenen Geister
Schaukeln von Eiland zu Eilanden fort —
Schlaf ist Geselle; — Tod aber, der Meister,
Fährt uns zum Port.
Denn die Erde ward kärglich und enge;
Doch der Gebornen unendliche Zahl
Häuft, überhäuft sich in schrecklicher Menge,
Schwillt, überschwillt sich in wildem Gedränge
Und begehrt von der Mutter das Mahl.
[55]Hungernder Qual
Langsam erliegen, die von den Brüsten,
Von den ernährenden Quellen der Neid
Stärkerer Brüder vertrieb, und in Wüsten
Würgt sie das Leid.
So aus des Eichwalds sumpfiger Lache
Drängt sich das gierige Rudel heran
Schlürfend und schluckend, der säugenden Bache
Borstiger Wurf, - da fährt auf das Schwache
Wüthend das Starke mit hauendem Zahn,
Neidisch die Bahn
Ihm zum ernährendn Euter zu wehren -
Rings um die Mutter Geschrei und Gestampf;
Aber gelassen schaut sie den schweren,
Blutigen Kampf.
Freundlicher Tod, das tobende Streiten
Stillst du, den bruderbekämpfenden Zwist,
Magst auf des Meersturms Schwingen du reiten,
Seuchen und Fieber schleichend begleiten,
Lauern im Netze verderblicher List,
Nächtlicher Frist
Zucken den Dolch — wie Furienbrände
Schreckt dein Namen erschütternden Schalls,
Ich aber seh' deine segnenden Hände,
Ordner des Alls.
Schaudernd verehr' ich dich, menschenverderbende,
Wandernde, bogenbewaffnete Pest,
Wenn über heulende Länder und sterbende
Städte der Scheiterhaufen werbende
Fahne des Rauches du wehen lässt.
Siehe! Schon presst
Sich in den stygischen Kahn das Gedränge,
Schaaren auf Schaaren — er fasset sie kaum,
Und in des Volkes drückender Enge
Schufest du Raum.
Aber auch dich lobpreis' ich vor Allen,
Krieg! Du gewaltiger Schwinger des Schwerts,
Lassest den Donner der Stimme schallen —
Siehe, da liegen die Helden gefallen.
[56]Hingestreckt von dem mordenden Erz.
Gestern von Scherz
Sprühte die Lippe, von festlichen Siegen
Träumte des Auges begeisterte Gluth —
Heut um die Wunde schwirret der Fliegen
Bläuliche Brut.
Freundlicher Tod, du heilsam geschäftiger
Gärtner, beschneidend ums üppige Beet
Wandelst du ewig und tilgst, was in heftiger
Wucherung aufschoss, dass voller und kräftiger
Blühe das Eine, wenn Andres vergeht.
Nimmer gefleht
Hab' ich um Schonung für mich und mit Wonne
Steig' ich hinunter in Aides Nacht,
Wenn meinen Brüdern mein Scheiden die Sonne
Lieblicher macht.
Der 6. November 1632
Schwedische Sage
Schwedische Heide, Novembertag,
Der Nebel grau am Boden lag,
Hin über das Steinfeld von Dalarn
Holpert, stolpert ein Räderkarrn.
Ein Räderkarren beladen mit Korn,
Lorns Atterdag zieht an der Deichsel vorn,
Niels Rudbeck schiebt; sie zwingen's nicht,
Das Gestrüpp wird dichter, Niels Rudbeck spricht:
„Busch-Ginster wächst hier über den Steg,
Wir gehn in die Irr, wir missen den Weg,
Wir haben links und rechts vertauscht, —
Hörst du wie die Dal-Elf rauscht?“
„Das ist nicht die Dal-Elf, die Dal-Elf ist weit,
Es rauscht nicht vor uns und nicht zur Seit,
Es lärmt in Lüften, es klingt wie Trab,
Wie Reiter wogt es auf und ab.
Es ist wie Schlacht, die herwärts dringt.
Wie Kirchenlieder es zwischen klingt.
Ich hör' in der Rosse wieherndem Trott:
Eine feste Burg ist unser Gott!“
Und kaum gesprochen, da Lärmen und Schrein,
In tiefen Geschwadern bricht es herein,
Es brausen und dröhnen Luft und Erd,
Vorauf ein Reiter auf weissem Pferd.
Signale, Schüsse, Rossegestampf,
Der Nebel wird schwarz wie Pulverdampf,
Wie wilde Jagd so fliegt es vorbei; —
Zitternd ducken sich die Zwei.
[60]Nun ist es vorüber ... Da wieder mit Macht
Rückwärts wogt die Reiterschlacht,
Und wieder dröhnt und donnert die Erd,
Und wieder vorauf das weisse Pferd.
Wie ein Lichtstreif durch den Nebel es blitzt,
Kein Reiter mehr im Sattel sitzt,
Das fliehende Thier, es dampft und raucht,
Sein Weiss ist tief in Roth getaucht.
Der Sattel blutig, blutig die Mähn,
Ganz Schweden hat das Ross gesehn; —
Auf dem Felde von Lützen am selben Tag
Gustav Adolf in seinem Blute lag.
Hurrah, Germania!
25. Juli 1870
Hurrah, du stolzes schönes Weib,
Hurrah, Germania!
Wie kühn mit vorgebeugtem Leib
Am Rheine stehst du da!
Im vollen Brand der Juligluth,
Wie ziehst du risch dein Schwert!
Wie trittst du zornig frohgemuth
Zum Schutz vor deinen Heerd!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
[69]Du dachtest nicht an Kampf und Streit:
In Fried und Freud und Ruh
Auf deinen Feldern, weit und breit,
Die Ernte schnittest du.
Bei Sichelklang im Ährenkranz
Die Garben fuhrst du ein:
Da plötzlich, horch, ein andrer Tanz!
Das Kriegshorn überm Rhein l
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Da warfst die Sichel du ins Korn,
Den Ährenkranz dazu;
Da fuhrst du auf in hellem Zorn,
Tief athmend auf im Nu;
Schlugst jauchzend in die Hände dann:
Willst du's, so mag es sein!
Auf, meine Kinder, alle Mann!
Zum Rhein! zum Rhein! zum Rhein!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt,
Da rauscht das deutsche Meer;
Da rückt die Oder dreist ins Feld,
Die Elbe greift zur Wehr.
Neckar und Weser stürmen an,
Sogar die Fluth des Mains!
Vergessen ist der alte Span:
Das deutsche Volk ist Eins!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Schwaben und Preussen Hand in Hand;
Der Nord, der Süd Ein Heer!
Was ist des Deutschen Vaterland, —
Wir fragen's heut nicht mehr!
Ein Geist, Ein Arm, Ein einzger Leib,
Ein Wille sind wir heut!
Hurrah, Germania, stolzes Weib!
Hurrah, du grosse Zeit!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
[70]Mag kommen nun, was kommen mag:
Fest steht Germania!
Dies ist All-Deutschlands Ehrentag:
Nun weh dir, Gallia!
Weh, dass ein Räuber dir das Schwert
Frech in die Hand gedrückt!
Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd
Das deutsche Schwert gezückt!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Für Heim und Herd, für Weib und Kind,
Für jedes theure Gut,
Dem wir bestellt zu Hütern sind
Vor fremdem Frevelmuth,
Für deutsches Recht, für deutsches Wort,
Für deutsche Sitt und Art, —
Für jeden heiligen deutschen Hort,
Hurrah! zur Kriegesfahrt!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Auf, Deutschland, auf, und Gott mit dir!
Ins Feld! der Würfel klirrt!
Wohl schnürt's die Brust uns, denken wir
Des Bluts, das fliessen wird!
Dennoch das Auge kühn empor!
Denn siegen wirst du ja:
Gross, herrlich, frei, wie nie zuvor!
Hurrah, Germania!
Hurrah, Victoria!
Hurrah, Germania!
Der Spielmann
[71]Sie sagen, im Freien einst lag er zu Nacht,
Da haben ihm Feyen die Fiedel gebracht,
Da hat auf den Klippen bei Monduntergang
Der Nix ihm die Lippen gelöst zum Gesang.
Nun geigt er und singt er, nun singt er und geigt,
Die Herzen bezwingt er, sobald er sich zeigt;
Im Dorf an der Linde, im Fürstenpalast
Wie drängt sich geschwinde der Schwarm um den Gast!
[72]Schon hebt er den Bogen, schon weckt er den Schall,
Da strömt es wie Wogen aus klarem Krystall;
Wie schwellen die reinen so stark und so weich!
Wer's hört, der muss weinen und jauchzen zugleich.
Was lächelt vor Wonne der Greis dort und schwärmt?
Er träumt, dass die Sonne der Jugend ihn wärmt.
Was blickt in die Runde der Kriegsmann so kühn ?
Vom Siegsfeld die Wunde beginnt ihm zu glühn.
Was staunen befangen die Knaben im Kreis?
Was brennt auf den Wangen der Mädchen so heiss?
Im bangenden Sinne die Lust und die Qual,
Den Zauber der Minne verstehn sie zumal.
Dem Waidmann erklingt es wie grüssendes Horn,
Den Schnitter umsingt es wie Wachteln im Korn,
Den Schiffer am Lande befällt's wie ein Weh,
Er hört das Gebrande der rollenden See.
Und wo sich im Kreise verblutet ein Herz,
Da kühlt ihm die Weise den brennenden Schmerz;
Aufathmet's betroffen, als träufelte mild
Balsamisches Hoffen vom Sternengefild.
Wie Adlersgefieder jetzt schwingt sich der Schall,
Jetzt säuselt er nieder wie Tropfen im Fall,
So wandeln die Boten des jüngsten Gerichts;
So grüssen die Todten vom Orte des Lichts.
Nun sterben die Klänge, nun schweigen sie ganz —
Da jubelt die Menge, da bringt sie den Kranz;
Doch stolz sich verneigend, als drück' ihn der Lohn,
Ins Dunkel ist schweigend der Spielmann entflohn.
Beim Glanze der Sterne, von Winden umrauscht
Schon wandert er ferne, wo Niemand ihm lauscht;
Da geigt er in Thränen sich selbst noch ein Stück:
Verlorenes Sehnen, begrabenes Glück.
Der Bildhauer des Hadrian
So steht nun schlank emporgehoben
Der Tempelhalle Säulenrund;
Getäfelt prangt die Kuppel droben,
Von buntem Steinwerk glänzt der Grund.
Und hoch aus Marmor hebt sich dorten
Das Bild des Donnrers, das ich schuf;
Du rühmst es, Herr, und deinen Worten
Folgt tausendstimmger Beifallsruf.
Und doch, wie hier vor meinen Blicken
Das eigne Werk sich neu enthüllt,
Mich selber will es nicht erquicken,
Und fast wie Scham ist, was mich füllt.
Ob nichts am hohen Gleichmass fehle,
Ob jedem Sinn genug gethan:
Kein Schauer quillt in meine Seele,
Kein Unnennbares rührt mich an.
O Fluch, dem diese Zeit verfallen,
Dass sie kein grosser Puls durchbebt,
Kein Sehnen, das, getheilt von allen,
Im Künstler nach Gestaltung strebt,
[81]Das ihm nicht Rast gönnt, bis er's endlich
Bewältigt in den Marmor flösst,
Und so in Schönheit allverständlich
Das Räthsel seiner Tage löst!
Wohl bändgen wir den Stein, und küren,
Bewusst berechnend, jede Zier,
Doch, wie wir glatt den Meissel führen,
Nur vom Vergangnen zehren wir.
O trostlos kluges Auserlesen,
Dabei kein Blitz die Brust durchzückt!
Was schön wird, ist schon da gewesen,
Und nachgeahmt ist, was uns glückt.
Der Kreis der Formen liegt beschlossen,
Die einst der Griechen Geist beseelt;
Umsonst durchtasten wir verdrossen
Ein Leben, dem der Inhalt fehlt.
Wo lodert noch ein Opferfunken?
Wo blüht ein Fest noch, das nicht hohl?
Der Glaub ist, ach, dahingesunken,
Und todter Schmuck ward sein Symbol.
Sieh her, noch braun sind diese Haare,
Und nicht das Alter schuf mich blass;
Doch gab' ich alle meine Jahre
Für Einen Tag des Phidias;
Nicht weil des Volks verstummend Gaffen,
Der Welt Bewundrung ihm gelohnt;
Nein, weil der Zeus, den er geschaffen,
Ihm selbst ein Gott im Sinn gethront.
Das war sein Stern, das war sein Segen,
Dass ihn mit ungebrochnem Flug
Der höchsten Urgestalt entgegen
Der Andacht heiliger Fittig trug.
Er dürft' im Reigen der Erkornen
Voll Glanz noch den Olympos sehn,
Indess wir armen Nachgebornen
In götterloser Wüste stehn.
Da uns der Himmel ward entrissen,
Schwand auch des Schaffens himmlisch Glück;
Wohl wissen wir's, doch alles Wissen
Bringt das Verlorne nie zurück.
[82]Und keine neue Kunst mag werden,
Bis über dieser Zeiten Gruft
Ein neuer Gott erscheint auf Erden,
Und seine Priesterin beruft.
Tempora Mutantur
Die Stätten meiner Jugend sah ich wieder,
Doch zeigen sie mir fast ein fremd Gesicht;
Rings wuchsen Giebel, sanken Wipfel nieder,
Und selbst das Flussbett ist das alte nicht;
Ja, Freund, den Hauch, der unterm Schlag der Glocken
Die Welt durchschauert, spür' ich doppelt hier;
Er blies nicht blos das Braun aus unsem Locken,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Wie lag im goldnen Märchenduft die Ferne,
Da uns noch eng der Heimath Bann umgab!
Vom ersten Berg schon sahn wir andre Sterne,
Und Zaubergerte schien der Wanderstab.
Sehnsüchtig wuchs das Herz, wenn seine Weisen
Das Posthorn sang im nächtgen Waldrevier —
Jetzt pfeift der Dampf und lässt im Sturm uns reisen;
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Von Ort zu Ort die traute Liebeskunde,
Die Grüsse, die der Freund dem Freunde rief,
Wie bang erharrten wir sie Stund um Stunde,
Und zum Ereigniss ward der späte Brief.
Verhallend selbst, als Echo nur, empfingen
Der Weltgeschichte Donnerbotschaft wir —
Jetzt trägt der Blitz das Wort auf Feuerschwingen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Vom Zauberduft der blauen Blume trunken,
Des Herzens Räthseln sann der Dichter nach;
Er klagt' um Sonnen, die hinabgesunken,
Und rief der Vorwelt mächtge Schatten wach.
Der Freiheit Muse schlich nur auf den Zehen
Bei Nacht zu ihm, als wär's Verbrechen schier —
Heut lässt sie auf dem Markt ihr Banner wehen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
[85]Gruss euch, ihr Münster mit den hohen Schiffen,
Gebraus der Orgel, dunkles Chorgestühl,
Wo ein Geheimniss, ewig unbegriffen,
Uns Wahrheit ward durch unser wahr Gefühl!
Auf seinen Flügeln jedes Zweifels Schranke
Hoch überfliegend, kampflos glaubten wir —
Jetzt heischt sein Recht am Glauben der Gedanke;
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Wohl trugen wir das Vaterland im Herzen,
Doch liebten wir wie Knaben, stumm und zart;
Zum Freund nur sprach der Freund von seinen Schmerzen
Und von dem Kaiser mit dem Flammenbart.
Das Wort vom Reich, ob niemals ganz verklungen,
Doch scheu nur, ward's geflüstert dort und hier —
Heut rauscht es fort im Volk von tausend Zungen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Ja, vorwärts geht's, des Webstuhls Spulen sausen,
Die Welt ward weiter, freier Blick und Sinn;
Doch wie des Lebens Ströme schwellend brausen,
Wuchs nach Genuss die Gier und nach Gewinn.
Da singt bei Nacht wohl, eh' die Sterne schwinden,
Vom engen Jugendglück die Sehnsucht mir —
Doch komm nur, Tag! Du sollst mich wacker finden!
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Das rechte Wort
Die Auen ein fürstlicher Jagdzug weckt,
Inmitten die kaiserlich Majestät;
Die Bäume sich neigen, doch nicht aus Respekt,
Es beugt sie der Wind, der die Wipfel verdreht;
Der Himmel, unartig, schickt böses Wetter,
Schwer fallen die Tropfen, hinwirbeln die Blätter;
Da ruft der Durchlauchtigst auf seinem Gaul:
„Ah, schaut's, jetzt regnet's mir gar ins Maul!“
Indess die ipsissima verba ein Graun
Verbreiten im Zug, lasst ein Monument
Aus jener Zeit, sein Bild, uns beschaun;
Ich trag's in der Tasche^ Siebzehner man's nennt.
Ein Lorbeerkranz in Perrückenwildniss
Und eine Lippe, sonst nichts! — so sein Bildniss,
Draus männiglich sieht, wie dem frommen Mann
Gar leicht in den Mund das Wasser rann.
Ihr Hoflakaien, nun rennt und sprengt:
Ein Regenschirm ist's, was retten kann!
Hofmarschall beschliesst ganz still: Der Mann,
Der des Kaisers Hut gemacht, der hängt!
Hofmedicus denkt: Nach dem Ebenmasse
Wohnt friedlich der Mund im Schatten der Nase,
Durchlauchtigste Nase verschmäht das System;
Wie stell' ich nun dieses der Nase genehm?
[104]Schon tröstet den Kaiser der Hofjesuit:
„Der Priester dir Weihbronn entgegenhält,
Wenn die Majestät in die Kirche tritt;
Ein Dom des Herrn ist Wald und Feld,
Gott selber hat hier den Weihbrunn ergossen,
Zu grüssen dich, den Frommen, den Grossen!“
Der Kaiser wird grimmig, wie König Saul:
„Zum Teufel! mir regnet's noch immer ins Maul!“
Der Eine erstarrte, der Andere lief,
Der rang die Hände, der stand wie im Bann;
Am Eichbaum lehnt' in Gedanken tief
Der Günstling des Herrn und sann und sann;
Auf springt er jetzt, heiliger Sendung trunken,
Die Stirn ihm umsprühn der Erleuchtung Funken:
„Mein allergrossmächtigster Kaiser geruh
Und schliesse die Lippen huldreichst zu!“
Lobsinge, du heiliges römisches Reich!
Wie leicht du zu schirmen, zu retten bist!
Geschoss der Karthaunen und Schwerterstreich
Trifft nicht wie ein Wörtlein zu rechter Frist;
Send immer dir's Gott zur rechten Stunde,
Und Fürsten, die horchen dem rechten Munde
Und Räthe zu weisem Rathe nicht faul!
Dem Kaiser regnet es nimmer ins Maul.
Die Römerstraße
[110]Die Sonne sinkt; die Gluth des Tages schwand!
Auf denn, Geselle, nimm den Stab zur Hand
Und nach dem Mahl, das labend uns erfrischte,
Folg nun in jenes Waldes Laubgemach
Der Römerstrasse Spuren mit mir nach,
Die längst im Saatgefild der Pflug verwischte!
Wir schreiten, komm nur, erst den Fluss entlang,
Dann rechts hinauf des Weinbergs steilen Hang,
Und wieder links durch den Kartoffelacker!
Da schallt schon, horch, der Wipfel dumpf Gebraus,
Als lachten sie ob unsrer Hast uns aus:
„Ei, alte Knaben, lauft ihr noch so wacker?“
O kühler Hauch, der fächelnd uns berührt!
Der Pfad, der breit hier durch die Büsche führt,
Wie lockt er an, frohplaudernd fortzuschreiten!
Doch Nichtges nur erringt sich mühelos;
Wir müssen durch des Dickichts rauhen Schooss,
Durch Dorn und Disteln uns den Weg erstreiten!
[111]Frisch auf! Hinein ins grüne Blättermeer,
Und setzt es sich mit Stacheln auch zur Wehr,
Wir dringen durch! — Und sieh, in Waldesmitten
Wallähnlich hebt das Erdreich sich empor;
Wir sind zur Stelle! — Hier ward Busch und Moor
Vom Strassenzug der Römer einst durchschnitten!
Nun wächst Gestrüpp, ja, mächtges Bauholz drauf;
Des Giessbachs Wuth zerriss des Dammes Lauf,
Den stahlgepanzert einst Legionen traten;
Ihr Heerweg war es! — Grabe nur hinein;
Rings triffst du festen, wohlgefügten Stein,
Sie bauten für die Dauer, Roms Legaten!
Der hier im Busche lag, der Meilenstein,
Den mauerten beim Friedhofthor sie ein! —
Du sahst ihn wohl! — Und dort bei den drei Buchen,
Dort war ein Brunnen! — Sieh' noch heut den Strahl
Durch Steingeröll und Trümmer dünn und schmal,
Im Sand versickernd, sich den Ausweg suchen!
Vor Jahren fand man eine Inschrift dort —
Sie schleppten ins Museum gleich sie fort —
Die angab, Cajus Flavius Carbo hätte,
Ein alter Kriegsmann, diesen Quell gefasst,
Und Wandrern, müde von des Tages Last,
Ihn fromm geweiht zur kühlen Ruhestätte!
Auch einer Steinbank Reste, Röhrenblei,
Backsteine, Scherben, Münzen allerlei
Grub Forschergier aus diesem Trümmerhaufen;
Die Quelle aber, die mit hellem Klang
Ins Marmorbecken einst hier niedersprang,
Die liessen sie wie vor im Sand verlaufen !
Warum auch sollt' sie nicht? — Kein Fusstritt schallt
Mehr auf der Römerstrasse durch den Wald;
Verkehr und Handel nahmen andre Wege:
Wer suchte Labung noch an ihrem Rand,
Als nur der Vogel, zieht er über Land,
Das scheue Reh dort aus dem Wildgehege!
Es geht auf Erden eben Alles hin! —
Ich aber unweltläufig, wie ich bin,
[112]Und mehr daheim in Büchern als im Leben,
Ich sitz' hier oft und koste gern vom Quell,
Der niederträuft vom Steine klar und hell,
Und lasse wirre Träume mich umweben!
Und weisst du, was ich oft schon hier gedacht
Und was mir immer wiederkehrt mit Macht,
So oft auf diesen Trümmern ich gesessen?
Der Dichter denk' ich, deren Lieder Schall
Erweckt vordem der Herzen Wiederhall,
Und die bis auf den Namen nun vergessen
Nicht jene Grossen, die da Strömen gleich
Fortrauschen ewig durch der Bildung Reich,
Des Ideals unsterbliche Propheten;
Die mein' ich, die da waren, was wir sind,
Die Ruhm erwarben und auch Ruhm verdient,
Doch, Kinder ihrer Zeit, mit ihr verwehten!
Die, wie der Quell hier, Tausenden vielleicht
Von müden Wandrern Labung mild gereicht,
So lange Wandrer noch des Weges kamen,
Und die versiegt, wie hier der Quell, im Sand,
Seit andre Ziele Geist und Bildung fand,
Und Zeit und Leben andre Wege nahmen!
Die, wie der Quell hier, bricht auch dünn und schmal
Aus Schutt und Steingeröll nur mehr sein Strahl,
Erquicken könnten heute noch und laben,
Wär' nur zerstört die Römerstrasse nicht,
Wär' nur des Waldes Dickicht nicht so dicht,
Wär's anderswo nur leichter nicht zu haben!
Das ist es! Wen die Zeit trägt, reisst sie fort!
Heut geht die Strasse hier und morgen dort,
Dort öffnet sie, verschüttet hier die Quellen! —
„Heut grüner Lorbeer, morgen dürres Laub,
Heut frische Rose, morgen welker Staub!“
So rauscht es, Zeitenstrom, aus deinen Wellen!
„Leb heut, streb heut, sieg heute,“ rauschen sie;
„Was du nicht heute hast, das hast du nie!
Gebrechen dir des Genius höchste Gaben,
So brauch', die dir geworden, wie ein Mann,
Geniesse, was dein Streben dir gewann.
Und frage nicht, was wird, wenn du begraben!“ —
[113]Das ist es, was so oft ich hier gedacht
Am Römerbrunnen in des Dickichts Nacht;
Hier lernt' ich still mein Haupt dem Schicksal neigen! -
Doch komm nun — Abend dämmert um uns her,
Und überm Moor wallt Nebel grau und schwer —
Komm, lass ins Thal gemach uns niedersteigen! —
Für die Mouche
Es träumte mir von einer Sommernacht,
Wo bleich, verwittert, in des Mondes Glanze
Bauwerke lagen, Reste alter Pracht,
Ruinen aus der Zeit der Renaissance.
Nur hier und da, mit dorisch ernstem Knauf,
Hebt aus dem Schutt sich einzeln eine Säule,
Und schaut ins hohe Firmament hinauf,
Als ob sie spotte seiner Donnerkeile.
Gebrochen auf dem Boden liegen rings
Portale, Giebeldächer und Skulpturen,
Wo Mensch und Thier vermischt, Centaur und Sphinx,
Satyr, Chimäre — Fabelzeitfiguren.
Es steht ein offner Marmorsarkophag
Ganz unverstümmelt unter den Ruinen,
Und gleichfalls unversehrt im Sarge lag
Ein todter Mann mit leidend sanften Mienen.
Karyatiden mit gerecktem Hals,
Sie scheinen mühsam ihn emporzuhalten.
An beiden Seiten sieht man ebenfalls
Viel basrelief gemeisselte Gestalten.
Hier sieht man des Olympos Herrlichkeit
Mit seinen liederlichen Heidengöttern,
Adam und Eva stehn dabei, sind Beid
Versehn mit keuschem Schurz von Feigenblättern.
[131]Hier sieht man Trojas Untergang und Brand,
Paris und Helena, auch Hector sah man;
Moses und Aaron gleich daneben stand,
Auch Esther, Judith, Holofern und Haman.
Desgleichen war zu sehn der Gott Amur,
Phöbus Apoll, Vulcanus und Frau Venus,
Pluto und Proserpine und Merkur,
Gott Bacchus und Priapus und Silenus.
Daneben stand der Esel Balaams
— Der Esel war zum Sprechen gut getroffen —
Dort sah man auch die Prüfung Abrahams
Und Loth, der mit den Töchtern sich besoffen.
Hier war zu schaun der Tanz Herodias,
Das Haupt des Täufers trägt man auf der Schüssel,
Die Hölle sah man hier und Satanas,
Und Petrus mit dem grossen Himmelsschlüssel.
Abwechselnd wieder sah man hier skulpirt
Des geilen Jovis Brunst und Frevelthaten,
Wie er als Schwan die Leda hat verführt,
Die Danae als Regen von Dukaten.
Hier war zu sehn Dianas wilde Jagd,
Ihr folgen hochgeschürzte Nymphen, Doggen,
Hier sah man Herkules in Frauentracht,
Die Spindel drehend hält sein Arm den Rocken.
Daneben ist der Sinai zu sehn,
Am Berg steht Israel mit seinen Ochsen,
Man schaut den Herrn als Kind im Tempel stehn
Und disputiren mit den Orthodoxen.
Die Gegensätze sind hier grell gepaart,
Des Griechen Lustsinn und der Gottgedanke
Judäas! Und in Arabeskenart
Um beide schlingt der Epheu seine Ranke.
Doch, wunderbar! derweilen solcherlei
Bildwerke träumend ich betrachtet habe,
Wird plötzlich mir zu Sinn, ich selber sei
Der todte Mann im schönen Marmorgrabe.
[132]Zu Häupten aber meiner Ruhestätt
Stand eine Blume, räthselhaft gestaltet,
Die Blätter schwefelgelb und violett.
Doch wilder Liebreiz in der Blume waltet.
Das Volk nennt sie die Blum der Passion
Und sagt, sie sei dem Schädelberg entsprossen,
Als man gekreuzigt hat den Gottessohn,
Und dort sein welterlösend Blut geflossen.
Blutzeugniss, heisst es, gebe diese Blum,
Und alle Marterinstrumente, welche
Dem Henker dienten bei dem Märtyrthum,
Sie trüge sie abkonterfeit im Kelche.
Ja, alle Requisiten der Passion
Sähe man hier, die ganze Folterkammer,
Zum Beispiel: Geissel, Stricke, Dornenkron,
Das Kreuz, den Kelch, die Nägel und den Hammer.
Solch eine Blum an meinem Grabe stand,
Und über meinen Leichnam niederbeugend,
Wie Frauentrauer, küsst sie mir die Hand
Küsst Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.
Doch, Zauberei des Traumes! Seltsamlich,
Die Blum der Passion, die schwefelgelbe,
Verwandelt in ein Frauenbildniss sich,
Und das ist Sie — die Liebste, ja Dieselbe!
Du warst die Blume, du geliebtes Kind,
An deinen Küssen musst' ich dich erkennen.
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig keine Blumenthränen brennen!
Geschlossen war mein Aug, doch angeblickt
Hat meine Seel beständig dein Gesichte,
Du sahst mich an, beseligt und verzückt
Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.
Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
Was du verschwiegen dachtest im Gemüthe —
Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüthe.
[133]Lautloses Zwiegespräch! man glaubt es kaum,
Wie bei dem stummen, zärtlichen Geplauder
So schnell die Zeit verstreicht im schönen Traum
Der Sommernacht, gewebt aus Lust und Schauder.
Was wir gesprochen, frag es niemals, ach!
Den Glühwurm frag, was er dem Grase glimmert,
Die Welle frage, was sie rauscht im Bach,
Den Westwind frage, was er weht und wimmert.
Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,
Frag, was sie duften, Nachtviol und Rosen —
Doch frage nie, wovon im Mondenschein
Die Marterblume und ihr Todter kosen!
Ich weiss es nicht, wie lange ich genoss
In meiner schlummerkühlen Marmortruhe
Den schönen Freudentraum. Ach, es zerfloss
Die Wonne meiner ungestörten Ruhe!
O Tod! mit deiner Grabesstille, du,
Nur du kannst uns die beste Wollust geben;
Den Kampf der Leidenschaft, Lust ohne Ruh,
Giebt uns für Glück das albern rohe Leben!
Doch wehe mir! es schwand die Seligkeit,
Als draussen plötzlich sich ein Lärm erhoben;
Es war ein scheltend, stampfend wüster Streit,
Ach, meine Blum verscheuchte dieses Toben!
Ja, draussen sich erhob mit wildem Grimm
Ein Zanken, ein Gekeife, ein Gekläffe.
Ich glaubte zu erkennen manche Stimm —
Es waren meines Grabmals Basrelieffe.
Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn?
Und disputiren diese Marmorschemen?
Der Schreckensruf des wilden Waldgotts Pan
Wetteifernd wild mit Mosis Anathemen!
O, dieser Streit wird enden nimmermehr,
Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,
Stets wird geschieden sein der Menschheit Heer
In zwei Partein: Barbaren und Hellenen.
[134]Das fluchte, schimpfte! gar kein Ende nahm's
Mit dieser Controverse, der langweilgen,
Da war zumal der Esel Balaams,
Der überschrie die Götter und die Heilgen!
Mit diesem I—a, I—a, dem Gewiehr,
Dem schluchzend ekelhaften Misslaut, brachte
Mich zu Verzweiflung schier das dumme Thier,
Ich selbst zuletzt schrie auf — und ich erwachte.
Mir lodert und wogt im Hirn eine Fluth
Mir lodert und wogt im Hirn eine Fluth
Von Wäldern, Bergen und Fluren;
Aus dem tollen Wust tritt endlich hervor
Ein Bild mit festen Kontouren.
Das Städtchen, das mir im Sinne schwebt,
Ist Godesberg, ich denke.
Dort wieder unter dem Lindenbaum
Sitz' ich vor der alten Schenke.
Der Hals ist mir trocken, als hätt' ich verschluckt
Die untergehende Sonne.
Herr Wirth! Herr Wirth! Eine Flasche Wein
Aus Eurer besten Tonne!
Es fliesst der holde Rebensaft
Hinunter in meine Seele
Und löscht bei dieser Gelegenheit
Den Sonnenbrand der Kehle.
Und noch eine Flasche, Herr Wirth! Ich trank
Die erste in schnöder Zerstreuung,
Ganz ohne Andacht! Mein edler Wein,
Ich bitte dich drob um Verzeihung.
Ich sah hinauf nach dem Drachenfels,
Der, hochromantisch beschienen
Vom Abendroth, sich spiegelt im Rhein
Mit seinen Burgruinen.
Ich horchte dem fernen Winzergesang
Und dem kecken Gezwitscher der Finken —
So trank ich zerstreut, und an den Wein
Dacht' ich nicht während dem Trinken.
[135]Jetzt aber steck' ich die Nase ins Glas,
Und ernsthaft zuvor beguck' ich
Den Wein, den ich schlucke; manchmal auch,
Ganz ohne zu gucken, schluck' ich.
Doch sonderbar! Während dem Schlucken wird mir
Zu Sinne, als ob ich verdoppelt,
Ein andrer armer Schlucker sei
Mit mir zusammen gekoppelt,
Der sieht so krank und elend aus,
So bleich und abgemergelt.
Gar schmerzlich verhöhnend schaut er mich an,
Wodurch er mich seltsam nergelt.
Der Bursche behauptet, er sei ich selbst,
Wir wären nur Eins, wir Beide,
Wir wären ein einzger armer Mensch,
Der jetzt am Fieber leide.
Nicht in der Schenke von Godesberg,
In einer Krankenstube
Des fernen Paris befänden wir uns —
Du lügst, du bleicher Bube!
Du lügst, ich bin so gesund und roth
Wie eine blühende Rose,
Auch bin ich stark, nimm dich in Acht,
Dass ich mich nicht erbose!
Er zuckte die Achseln und seufzte: „O Narr!“
Das hat meinen Zorn entzügelt;
Und mit dem verdammten zweiten Ich
Hab' ich mich endlich geprügelt.
Doch sonderbar! Jedweden Puff,
Den ich dem Burschen ertheile,
Empfinde ich am eignen Leib,
Und ich schlage mir Beule auf Beule.
Bei dieser fatalen Balgerei
Ward wieder der Hals mir trocken,
Und will ich rufen nach Wein den Wirth,
Die Worte im Munde stocken.
[136]Mir schwinden die Sinne, und traumhaft hör'
Ich von Kataplasmen reden,
Auch von der Mixtur — ein Esslöffel voll —
Zwölf Tropfen stündlich in jeden.
Das Thal des Espingo
Sie zogen zu Berg, an den Bächen dahin,
Maurisches Volk, reisig und stolz.
Auf Kampf mit den Franken stand ihr Sinn,
In Fähnlein ging's an den Bächen dahin,
Drin Schnee der Pyrenäen schmolz.
In der feuchten Schlucht ihre Mäntel wehn,
Scharf von den Höhn tönet der Wind.
Ihre Lanzen drohn, ihre Augen spähn —
Kein baskischer Hut in den Klippen zu sehn,
Und die Baskenpfeile sie fliegen geschwind.
Sie reiten über den ganzen Tag,
Traurigen Pfad, hastigen Ritt.
Endlos dünkt sie der Tannenhag,
Und das Maulthier braucht schon der Geissel Schlag,
Und das schnaufende Ross geht müden Schritt.
Da neigt sich der Weg. Aus den Klüften wild,
Plötzlich gesenkt, führt er zu Thal.
Da liegt zu Füssen, ein schimmernd Bild,
An die Berge geschmiegt das weite Gefild,
Falter fliegen im Sonnenstrahl.
Der Abend wie lau, und die Wiesen wie grün;
Ulmengezweig wieget die Luft.
Jasmin und gelbe Narcissen blühn,
Und die Halden entlang die Rosen glühn —
Die Näh und Weite schwimmen in Duft.
Da ward den Mauren das Herz bewegt.
Seliger Zeit gedenken sie,
Wo sie Haurans schlanke Gazellen erlegt,
Wo sie Märchen gelauscht und der Liebe gepflegt
Und die Rosen gepflückt von Engadi.
[148]Und sie steigen hinab, und es löst sich das Heer.
Liebliche Luft säuselt sie an;
Wie in Rosenhainen um Bagdad her,
Wo die Schwüle lindert der Hauch vom Meer,
So haucht aus dem Grunde der See heran.
Ihre klugen Sorgen — wie bald sie vergehn!
Waffen und Wehr werfen sie ab.
Ihre Sinne berauscht wie von Wiedersehn;
Sie schweifen umher, wo die Rosen stehn,
Sie tauchen zum Bad in den See hinab.
O Heimathwonne! die Wachen im Zelt
Lauschen mit Neid dem Jubel umher.
So friedlich dünkt sie die schöne Welt;
Es lockt sie hinaus in das duftige Feld,
Und die wachen sollen — sie wachen nicht mehr.
Sie wachen nicht mehr! Es wacht in der Nacht
Tücke, der Nacht lauerndes Kind.
Sie schleicht sich hervor aus der Waldung sacht,
Sie kriecht zu den Zelten — habt Acht, habt Acht!
Die Baskenpfeile sie fliegen geschwind.
Zu spät! Zu nah die grause Gefahr.
Waffenentblösst, unter Rosen roth
Zu Boden sinken sie Schaar um Schaar.
O seliger Traum, der so tückisch war!
O Heimathwonne, du brachtest den Tod!
Die Schlange
Wenn ich das Tollkraut dir vom Munde pflücke,
Das mir den Sinn verwirrt, und so umgraut
Von Nacht und Glück mich treffen deine Blicke,
Frag' ich mich oft: wo hab' ich doch geschaut
Ein Auge, so wie dies, nicht zu ergründen?
Ein Auge war's, das nie ein Gram bethaut,
Ein Blick, wie aus den tiefsten Todesschlünden,
Der seelenlos die Seele magisch zwang,
Kalt, und doch mächtig, Fieber zu entzünden,
[149]Dass ich hinein mich tauchte stundenlang,
Als leucht' ein \Veltgeheimniss mir entgegen,
Unheimlich, unaussprechlich trüb und bang;
Wie todte Flammen im Smaragd sich regen,
Wie Meeresleuchten aus der Tiefe sprüht,
Goldadern glühn auf unterirdschen Wegen.
Und heute, da ich einsam im Gemüth
Zurückesann, stand mir's auf Einen Schlag
Vor Augen wieder, was mich lang bemüht.
Ich hatt' am heissen Frühlingsnachmittag
In Roms Campagna schweifend mich verirrt,
Da ein Gewitter dumpf in Lüften lag.
Kein Schattendach, nicht Heerde, Hund und Hirt,
Kein Vogelruf, kein Laut, als der Cicade
Eintönig Ritornell, das heiser schwirrt'.
Und ich, erschöpft vom Wandern, wo sich grade
Ein Sitz mir bot, streckt' ich die Glieder hin,
Erwartend, dass die Schwüle sich entlade.
Mir war so weltentrückt, so fremd zu Sinn,
So fern von allem Heimlichen und Schönen,
Vergehn und Nichtsein schien allein Gewinn.
Und plötzlich weckte mich ein heftig Dröhnen;
In Flammen lodernd stand das Firmament,
Und Sturm fuhr übers öde Feld mit Stöhnen.
Und wie ein neuer Blitz die Wolken trennt,
Seh ich, dicht vor mir, eine braune Schlange
Auf dornumranktem Felsen-Postament.
Geringelt lag sie da — wer sagt, wie lange? —
Die grauen Augen traurig und erstaunt
Auf mich geheftet, die geschuppte Wange
Dicht auf den Stein gedrückt, nicht wohlgelaunt,
Doch müde, schien's, und ohne Mordbegier,
Vielleicht vom Donnerton in Schlaf geraunt.
Und ich blieb still. Der Athem stockte mir;
Ich musst' in dies gefeite Auge schauen,
Und so wohl eine Stunde ruhten wir.
[150]Da erst begann die Wolkennacht zu thauen;
Sacht stand ich auf. Sie aber, regungslos,
Blieb wo sie war. Ich wandte mich voll Grauen.
Furchtbar vom Himmel rauschte das Getos
Des Lenzorkans. Doch wie die Blitze flammten,
Ich sah im Geist das Schlangenauge bloss.
So, dacht' ich, glühn die Augen der Verdammten,
Die niederfahren aller Hoffnung bar,
Für immer fern dem Licht, dem sie entstammten;
So blickt, Erlösung hoffend immerdar,
Die niedre Kreatur mit stummem Flehen,
Der eine Seele nicht erschaffen war. — —
Und erst bei milder Herbsteslüfte Wehen,
So oft auch früher ein Gelüst sich regte,
Könnt' ich hinaus, die Stätte wiedersehen.
Ich fand den Ort, wo ich mich niederlegte,
Und — wundersam! da ruhte noch das Thier,
Das Auge offen, das sich nicht bewegte.
Kalt überlief mich's. Hat die Feindin hier
Gelauert sommerlang, mich doch zu fassen?
Und wieder Aug' in Auge staunten wir.
Und feige schien mir's, ihr das Feld zu lassen.
Ich schlug nach ihr; da fielen ihre Ringe
In Staub. Nur aus dem Auge, das gelassen
Ins Leere stierte, war mir's, als entschwinge
Sich ein gefangner Blitz. Da liess ich sie,
Dass sie nicht noch im Tode mich bezwinge;
Doch ihren Scheideblick vergass ich nie.
Ich weiss, ein Wahn ist's und zum Wahnsinn bringt's
Rom
[154]Ich weiss, ein Wahn ist's und zum Wahnsinn bringt's,
Ihm nachzuhängen. Dennoch, jeden Tag,
Sobald versank der Sonnenball, und noch
Der Trost des Sternenschimmers nicht erblüht,
Nur bleiern bleiches Zwielicht auf dem plötzlich
Entseelten Angesicht der Erde ruht,
Tritt vor mich hin dasselbe Graungespenst.
Mir ist, mein Knabe sei in weiter Ferne
Verirrt und finde nicht nach Haus. Ich seh' ihn
Durch graue Gassen einer fremden Stadt
Hineilen, seine kleinen Füsse wanken,
Von kühlem Thau und kaltem Schweisse klebt
Sein braunes Haar, die Augen suchen irr
Umher, ob sie das Haus nicht wiederfinden,
Wohin er soll, wo ihm das Bettchen steht,
Die Mutter tödtlich sich um ihn zerbangt,
Und trostlos sie der Vater trösten will.
Und fremde Leute, ernst und theilnahmlos,
Gehn ihm vorbei — er ruft sie an — er fleht:
Bringt mich nach Hause! — Keiner hört auf ihn;
Nicht Eine Pforte thut sich ladend auf.
Nicht Eine Hand zieht ihn ins Wohnliche.
Und so von Thür zu Thüre, hingejagt
Von Hunger, Angst und Sterbensmüdigkeit,
Sucht er und sucht — und keine Zuflucht winkt,
Und dichter, kühler, schauriger umdunkelt
Die Nacht sein banges Leben — schwer und schwerer
Den Athem ringt er aus beklemmter Brust —
Und jetzt — die Kraft versiegt — mit leisem Ach
Hin sinkt er auf den kalten Stein.
Da sendet
Ein gütger Dämon, der das Herz mir nicht
Will springen lassen im lebendgen Leibe,
Ihm Helfer in der höchsten Noth. Ich seh'
Zwei andre Kinder um die Ecke biegen,
Stillgleitend wie mit Flügeln. An der Hand
Führt ein halbwüchsger Knab ein zierlich Mägdlein,
Das kaum erst trippeln lernte. Stolz und ernst
Glüht unter blasser Stirn das Knabenauge
Und rastet plötzlich auf dem Hingesunknen.
Das Mägdlein aber stutzt und zeigt auf ihn,
Und jetzt mit holdem, unhörbarem Lachen
Läuft's auf ihn zu und tupft ihm auf den Kopf,
Und wie er aufsieht, streichelt sie ihm sanft
[155]Das thaubetriefte Haar. Doch ihr Gefährte
Fasst brüderlich den Kleinen unterm Arm
Und richtet ihn empor. Da sehn die Drei
Sich an mit Kinderneugier, rasch vertraut,
Und flink das Mägdlein in die Mitte nehmend,
Gehn sie dahin; mir ist, ihr Lachen hört' ich,
Ihr kindisch Plaudern, — und wie Flötenhauch
Dringt's an mein Ohr. So blick' ich ihnen nach,
Bis vor dem überthauenden Aug ihr Bild
Zerrinnt, — und dort am Dachesrande glüht
Der goldne Mond empor und übergiesst
Mit Balsam mir die angsterlöste Seele.
Vagabunden
In der Schenke des Morgens fruh
Geht's wahrhaftig schon lehrreich zu.
Drinnen schafft das dralle Gesinde,
Draussen schwankt im Frühlingswinde
[165]Hoch in der Strassen ein Bündel Stroh,
Und die Fuhrleut, Hoiahoh!
Grüssen den Weiser schon aus der Ferne.
Ei, wie trinkt sich so gut und so gerne
Irgend ein Schöpplein in aller Ruh
In der Schenke des Morgens fruh!
In der Schenke des Morgens fruh
Horch' ich dem bunten Gerede zu.
Handwerksburschen mit gähnenden Taschen,
Fahrende Schüler in feinen Gamaschen,
Brauner Zigeuner verschüchterte Brut,
Kecke Rekruten, den Strauss auf dem Hut,
Etliche wandernde Komödianten,
Dann von der Kirchweih die Musikanten —
Also wechselt's in einem Nu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Trank ich mit Manchem auf Du und Du,
Den ich des Nachts, die Faust am Kragen,
Unter den eichenen Tisch geschlagen.
Mancher zog in die Welt hindann,
Den ich hier inniglich lieb gewann.
Manchen liess ich, er konnte nicht zahlen,
Mir in die eigene Rechnung malen —
Täglich nimmt die Erfahrung zu
In der Schenke des Morgens fruh.
In die Schenke des Morgens fruh
Kam ein Paar auf zergangenem Schuh,
Alle beide geflickt und zerrissen.
Sie trug ein Kindlein in ärmlichen Kissen;
Und noch eh ich die Hand ihr bot,
Ward sie schon über und über roth.
Suchten sich Beide vor mir zu verstecken —
Mir, mir wollte kein Tropfen mehr schmecken,
Aber die Fuhrleut sangen dazu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Sangen sie laut und mit Herz-Atout
Stachen sie Gras und Eichel und Schelle.
Und ich stahl mich hinaus vor die Schwelle,
[166]Über die Strasse sah ich ihr nach,
Bis mir ein Thränlein im Auge zerbrach.
Schau, es war dein eigener Wille!
Sprach ich zu ihr in des Herzens Stille,
Dann sah ich wieder dem Karteln zu
In der Schenke des Morgens früh.
Die Noth
Ich sah gar oft im Traum, bevor die Hähne krähen,
Ein hühnenhaftes Weib durch meine Nächte gehen,
Das von dem Schild des Reichs den Dust der Jahre blies
Und mir ein flammend Bild in finsterm Rahmen wies.
Die Wipfel meines Traums verfärbten sich wie Gluthen,
Es scholl von draussen her wie Überschwemmungsfluthen.
Im Rücken dämmerte der Brauch der heutgen Welt;
Was rings um mich erklang, vertraut war's; doch entstellt.
Entwöhnt seit lange schon von Hammer, Pflug und Feder,
Trug blutig Handwerkszeug in seiner Faust ein jeder.
Ich selber war entstellt, ergraut in Bart und Haar,
Mein Denken kurz und karg, mein Herz der Sehnsucht bar;
Verloren war mein Lieb; vergessen war mein König,
Nur ein erstaunlich Lied, schwertscharf und glockentönig,
Zog brausend vor uns her, ein Lied so wundersam,
Zorntriefend, opferfromm, wie ich es nie vernahm.
Millionen sangen es; durch die verhüllte Gegend
In rother Dörfer Qualm sich rüstig fortbewegend.
Am Weg zuweilen fand ein Haus ich, ein Gesicht,
Das däuchte mir bekannt und dennoch kannt' ich's nicht;
Ei was, es ging vorbei, nicht mocht' ich mich besinnen,
Verloren war so viel und Eins nur zu gewinnen.
Und jener grause Sang in heiligem Einerlei
War uns Gebet und Fluch, Grablied und Freudenschrei.
[167]Wenn dann mein Blick voraus ins Weite sich versenkte,
Sah ich das Riesenweib, das die MilUonen lenkte.
In kargen Ringeln fiel ihr Haar ums hohe Haupt,
Von einem stolzen Kranz aus engem Stahl umlaubt;
Die Lippen ernst und schmal, gewöhnt wie ans Versagen,
Lippen, wie ich sie sehr geliebt in schönen Tagen;
Ihr Auge feucht, jedoch der Fuss mit Erz beschuht,
Dess Tritt wie glühnden Stahls in festgefrornem Blut.
Und donnernd ging das Wort der riesigen Walkyre
Die Tausende hinab: „Folgt mir, wie ich euch führe!
Ihr habt das bunte Reich der Möglichkeit durchsucht,
Bis jedes Mittel ihr erkannt als taube Frucht,
Bis ihr in mir erwählt den Spruch des alten Weisen:
Wo keine Kunst mehr heilt, hilft Feuer oder Eisen.
Hie Brand und Stahl! Wohlan, erfüllt des Herrn Gebot;
Sein Zorn fegt durch die Welt. Ich bin die harte Noth.“
— So rauscht das Riesenweib einher in meinen Nächten,
Das Weib mit strengem Mund und erzumschlossnen Flechten.
Ich weiss, manch Eines Traum hat nicht so bösen Schwung,
Ist farblos wie er selbst, wie ewge Dämmerung.
Ich kann euch euren Schlaf nicht von den Wimpern rauben,
Doch wer den Schmerz nicht scheut, darf an die Flamme glauben.
Sei's denn, Walkyre, komm! Wann wird der Tag erstehn,
Da wir bei Sonnenschein uns Aug in Auge sehn ?
Die Sendlinger Bauernschlacht
1705
Nun wollen wir aber heben an,
Von einer Christnacht melden,
Aus den Bergen ziehn gen München heran
Fünftausend mannliche Helden.
Der Gemsbart und der Spielhahnschweif
Sind drohend gerückt nach vorne,
[168]An ihren Bärten klirrt der Reif,
Ihr Auge glüht vor Zorne;
Sie schwenken die Sense, die Keule, das Schwert,
Fünfhundert sind mit Büchsen bewehrt,
Und wie die Schneelahn wächst die Schaar
Von den Bergen rollend im Monde klar.
Ein Fähnlein himmelblau und weiss
Trägt vor dem Zug ein riesiger Greis;
Das ist der stärkste Mann des Lands,
Der Schmied von Kochel, der Meier Hans;
Von seinen Söhnen sieben
Ist keiner zu Haus geblieben.
„O Churfürst Max Emanuel,
Wir müssen's bitter klagen,
Dass du für Habsburg Leib und Seel
So oft zu Markt getragen!
Du Belgradstürmer, du Mohrentod,
Du musstest ins Elend wandern,
Und brichst französisch Gnadenbrot
Zu Brüssel jetzt in Flandern.
Es irrt dein Weib auf der Landesflucht,
Deine Waisen weinen in Feindes Zucht,
Gebrandschatzt darben die reichen Gaun,
Man sengt die Fluren, man schändet die Fraun,
Man rädert die Männer um leisen Verdacht,
Man reisst die Söhne vom Stroh zu Nacht,
Sie nach Ungarn zu trommeln ins heisse Blei —
Das Maass ist voll, es birst entzwei;
Drum lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!
Auch hat die Münchener Bürgerschaft
Uns einen Brief geschrieben,
Dass sie mit ungebrochner Kraft
In Treue fest geblieben.
Wenn wir den rothen Isarthurm
Nach Mitternacht berennten,
Erhöben drinnen sich zum Sturm.
Die Bürger und Studenten.
Denn wie den letzten, theuersten Schatz
Vergruben sie am geheimsten Platz
Was ihnen geblieben an Waffen und Wehr.
Sie sprechen am Tage sich nimmermehr,
[169]Doch tief in den Kellern bei Fackelbrand
Reicht sich die ganze Stadt die Hand;
Allnächtens zieht von Haus zu Haus
Ein unterirdisches Gebraus,
Ein: Lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!
Wir klopfen ans Thor, nun lasst uns ein!“ —
Da geht von den Wällen ein Blitzen,
Und feurigen Tod zum Willkomm spein
Gutkaiserlichc Haubitzen;
Und Strassen auf und Strassen ab
Musketen und Granaten —
Wer hat die Landsleut an das Grab,
An Österreich verrathen?
Der Pfleger von Starnberg war der Wicht!
Mein Lied nenn' seinen Namen nicht,
Verdammniss und Vergessenheit
Begrab' ihn heut und allezeit,
Sein Kleid sei gelb, sein Haar sei roth,
Sein Stammbaum des Ischarioth! —
In Thränen flucht die Bürgerschaft,
Ihr blieb keine Klinge, kein Rohr, kein Schaft;
Sie ward in wenig Stunden
Entwaffnet und gebunden.
„Doch spie die Höll aus dem rothen Thurm:
Der Landsturm von den Bergen,
Er nimmt die Münchner Stadt mit Sturm
Trotz Kaiser Josephi Schergen!“
Die Brücke dröhnt, die Nacht wird hell,
Hie Wirbeln, Schreien, Knallen,
Vom „Hurrah Max Emanuel!“
Die Gassen wiederhallen.
Schon rief der Feldmarschall von Wendt:
„Die Sache nimmt ein schlechtes End;
Wo bleibt des Kriechbäum Reiterei?
Ich rief sie doch im Flug herbei!“
Da rasselten über den Brückenkopf
Mit rothem Mantel und doppeltem Zopf
Die fremden Schwadronen die Kreuz und die Quer,
Von den Wällen schlugen die Bomben schwer,
Die Landsleut in der Mitten
Die haben viel hart gestritten.
[170]Sie flohen über die Haide breit,
Durch tief verschneite Fluren,
Im Rücken und an jeder Seit
Kroaten und Panduren.
Dort sind wohl ihrer tausend und meh
Unter Rosseshufe gesunken
Und haben den blutigen Weihnachtschnee
Als Wegzehrung getrunken.
Ein Friedhof steht am Hügelrand,
Den erklommen die Bauern mit Knie und Hand,
Auf dem Glatteis ringend im Einzelkampf
Unter Kolbenstössen im Pulverdampf,
Bis von dem Rest der treuen Schaar
Der steile Hof erklettert war.
Da stiess in ein verschneites Grab
Der greise Schmied den Fahnenstab:
„Hie lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!“
Heiss kochte der Schnee, die Nacht war lang,
Durchs Knattern der Musketen
Zog sich's wie Orgel und Glockenklang,
Wie fernher wanderndes Beten.
Und ein Bauer ein weisses Tuch aufband,
Er that's an der Sense schwenken,
Er musste des Jammers im bergigen Land,
Der Wittwen und Waisen gedenken.
— „Von der Zugspitz bis zum Wendelstein
Nur Sturmgeläut und Feuerschein,
Derweil zwischen Hufschlag, Schnee und Blei
Wir fruchtlos fallen vor Hahnenschrei.
Wir haben's verspielt ohne Nutz und Lohn,
Drum, feindlicher Obrist, gieb uns Pardon,
Dass die Dreihundert, die wir noch sind,
Heimziehen dürfen zu Weib und Kind —“
Drauf ist unter Blitz und Knallen
Der Sprecher vom Stein gefallen.
Da schlössen ums flammende Gotteshaus
Die Landsleut eine Kette,
Und knallten und schrien in die Nacht hinaus
Ein' furchtbare Weihnachtsmette.
Als der Hahn im Dorfe zu krähen begann,
War all ihr Blei verschossen,
[171]Sie hingen würgend Mann an Mann
Auf den schäumenden Ungarrossen;
Und als an die Glocken der Frühwind fuhr,
Da stand von den Bauern ein einziger nur,
Das war der stärkste Mann des Lands,
Der Schmied von Kochel, der Meier Hans;
Mit einer Keule von Eisenguss
Drasch er sie nieder zu Pferd und Fuss,
Doch als die Sonne zur Erde sah,
Seine sieben Söhne lagen da
Ums Fähnlein, das zerfetzte;
Der Vater war der letzte.
Nun tröst' euch Gott im Himmelreich
Ihr abgeschiednen Seelen!
Es wird von solchem Bauernstreich
Noch Kindes Kind erzählen.
Wohl manch ein Mann, wohl manch ein Held
Geht um in deutschen Weisen,
Wir wollen den, der Treue hält,
Vor allen andern preisen,
Der trotz Verrath und Hochgericht
Von seinem Wort kein Jota bricht.
Jetzt aber sagt, wo kehren wir ein?
Ich denk', heut soll's in Sendung sein.
Vorbei um Friedhof führt die Strass,
Da grüssen wir unters verschneite Gras:
„Hie lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!“
Am ersten Sarge
Es war in schwüler Julizeit; die Gassen
Im Städtchen draussen lagen stumm verlassen,
Und schläfrig klang vom Thurm das Glockenspiel
Ins Schulgemach, wo schmal, wie goldener Duft,
Ein Sonnenstreif ans Wandgetäfel fiel.
Die Fliegen summten müde durch die Luft,
Und müde lag es auf den Knabenlidern,
Die auf des alten Römers Weisheit tief
Herniedernickten, nur ein Flüstern lief
Verstohlen rund, ein Blick, ein kurz Erwiedern,
Und Alles still, und selbst der Lehrer schlief.
Die Blicke alle aber streiften scheu
Den Platz zur Rechten mir, der leer heut war;
Dort sass mein Nachbar sonst; wir hielten treu
Zusammen stets in Noth und in Gefahr,
Wie Kinderspiel und Ernst es mit sich bringen.
Wir hatten's nie gesagt und kaum gedacht,
Dass unsere Herzen aneinander hingen,
Dass unsere Augen nacheinander gingen,
Und wer's gesagt, wir hätten drob gelacht.
Und langsam von der Wand herniedersank
Der Sonnenstreifen auf die leere Bank,
Es war der Zeiger der erharrten Stunde;
Wir liessen Cäsar mitten in der Schlacht,
Der Lehrer schloss, fast eh' wir's noch gedacht,
Das Buch, und blickte flüchtig in die Runde
Und sagte: „Heinrich Wolf ist heute Nacht
Gestorben; wer ihn etwa sehn noch will,
Der muss es heut, die Eltern lassen's sagen.“
Er ging; sonst drängte wohl in wildem Jagen
Jedweder nach der Thür, heut blieb es still;
Der Klang der letzten Worte nur lief schrill
Noch an der Wand entlang, und wie im Traum
Verklangen leise auf dem Flur die Schritte;
Ich selbst gedankenlos in ihrer Mitte —
Todt war er — todt — was war's? Sie wussten's kaum,
Doch lag es seltsam auf den Kinderwangen,
[174]Wie Neugier halb und halb wie heimlich Bangen.
Nur mir war's so, als ob der warme Strahl
Des Sonnenlichts mit kaltem Flor verhangen,
Und drinnen fühlt' ich's, dass zum erstenmal
Ein Schauer durch die warme Welt gegangen.
Am Rand der stillen Gasse lag das Haus,
Ein Garten dran, und in ein dicht Gewirr
Von Blumen sah sein Fenster stumm hinaus.
Ringsum ein sonnenwogendes Geschwirr —
Sie standen lautlos an des Sarges Rand,
Nur weisser war als sonst sein Angesicht,
Nur seine blauen Augen lachten nicht,
Und nach einander seine kalte Hand
Erfassten sie und legten hastig wieder
Sie auf des Bettes weisse Linnen nieder.
Es war der Tod, der keinen wiedergiebt,
Sie sahn's und schauten doch ungläubig drauf;
Nur mir schrie plötzlich es im Herzen auf,
Als hätt' ich nichts sonst auf der Welt geliebt,
An diesen stummen Lippen nur gehangen,
Als müssten sie nach mir zurückverlangen,
Als müsste dieses Aug, eh es gebrochen,
Nur einmal sprechen, was es nie gesprochen,
Nur einmal hören, was es nie vernommen,
Was über meine Lippen nie gekommen.
Und wie die todten Augen auf mich sahn,
Da mit der Jugend wundersamem Wahn
Ergriff es mich, als wär' allein von Allen
Dem Tod ich mächtig in den Arm zu fallen,
Als müsste eines Menschenherzens Sehnen
Allmächtiger sein als Tod und Grabeshallen;
Und mit der Liebe glaubensstarkem Wähnen
Bog ich mich auf das kalte Angesicht
Und schloss die Lippen auf den starren Mund.
Umsonst — die blauen Augen sahn mich nicht,
Und keine Antwort gab die Lippe kund.-
Und wie in jener sagenhaften Stunde,
Da Gott verschied am Kreuz zu Golgatha,
Fühlt' schaudernd ich in ihrem festen Grunde
Die Erd um mich erbeben, und ich sah
Die Sonne stürzen, Nacht umzog die Welt,
Ein Riss zerspaltete des Himmels Zelt,
Auflodernd schlugen um mein Haupt die Flammen,
Und an dem Todtenbett brach ich zusammen.
Ein Schwurgericht
[182]Da liegt ein Blatt von meiner Hand beschrieben
In Tagen, die nun lang dahin geschwunden,
So lang, dass halb vergeblich die flüchtge Schrift.
Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen,
Ein wunderliches, wieder mir lebendig,
Das mich befiel in wunderlicher Zeit,
Als schnöd das Abenteuer mächtig herrschte,
Und frech die Welt zum Abenteuer schuf.
Was während eines Mondes kurzer Dauer
Von tollem Spuk und schrecklichem Geschehen,
Merkwürdigem Wagniss und ruchloser That
Die Zeitung brachte, von versunkenen Schiffen,
Mit schwerem Gold und brüllendem Volk beladen,
Von drehnden Tischen, dran die Thorheit sass,
Von Schlachtenlärm und diebischen Marschällen,
Von falschem Giftdurch weisse Hand gemischt:
Das dacht' ich rhythmisch wogend zu verflechten
Zu einem wildrhapsodischen Gesang,
Gleich einem Wandrer, der bestäubt und keuchend
Dem tobenden Gewühl mit Noth entrann
Und seinen Fiebertraum voll Hast erzählt.
So schrieb ich mir auf Blätter jede Kunde,
Und nicht im Stich fürwahr liess mich die Zeitung,
Jedoch die Lust, die mir gemach verging.
Dies gelbe Blatt nur hat sich noch erhalten.
Ein Lächeln will beim Anblick mich beschleichen,
Das aber wandelt sich sogleich in Ernst.
Es steht ein Richterspruch darauf verzeichnet
Und eine That so dunkel traurger Art,
Dass wie von selbst die Hand zum Stifte greift,
Das blutge Räthsel doch noch festbannen.
In Franken war's, an stillem Sommertage,
Dass eine Frau ihr kleines liebes Bübchen
Mit Korb und Vesperbrot zum Vater sandte,
Der im Gehölze, mässig weit, im Schweisse
Des Angesichts an seiner Arbeit stand.
Sie wusste, dass er heut ein hartes Lohnwerk
Vollbringen wollte bis zur Dunkelzeit.
Ein mütterlicher kleiner Übermuth
[183]Verlockte sie, das Wagniss zu versuchen
Und mit dem Bötlein ihren Ehkumpan
Zu überraschen dieses erste Mal;
Denn Sonntag war es morgen und im Hause
Blieb ihr zu schaffen übrig noch genug.
Das Käblein aber sträubte sich, zu gehen,
Gewohnt, nur an der Mutter stets zu hangen
Und sie um tausend Dinge zu befragen
Mit Schmeichelwörtchen, lind im Sington.
„Geh nur,“ sprach sie, „die Mundharmonika
Geb' ich dir mit, mein Söhnchen! Darauf spielen
Wirst du gar herrlich auf dem ganzen Wege;
Der Vater ruft: Was hör' ich für Musik?
Gewiss marschirt ein Regiment Soldaten!
Wie lacht er aber, wenn sein Hänschen kommt!“
Und da sie aus dem Schrank das Instrumentchen,
Das dort zur Schonung sorglich aufgehoben,
Hervorholt, fasst es gleich der frohe Kleine
Und schreitet wacker, seinen Korb am Arm,
Ins helle Sommerland, die sieben Stimmchen
An seinen Lippen unverweilt erprobend
Und stets aufs Neue reihend Ton an Ton.
Schon weit ist er; doch über Korn und Klee
Tönt weich und sanft, wie all der blaue Himmel,
Sein einfach Lied nun aus dem Feld herüber;
Der Kinderpuls, ein Lufthauch und die Ferne,
Sie schaffen eine rühremnd zarte Weise,
Die, fast verwehend jetzt, dann leise schwillt.
Und weil die Mutter hier noch steht und horcht
Und denkt: nun hat er wohl den Forst betreten,
Vernimmt der Vater drüben schon die Töne
Und kennt sein Vögelchen an dem Gesang.
Er lauscht erfreut - auf einmal bricht es ab,
Und stumm bleibt ewig dieser Kindermund!
Kein Knäblein kommt zum Vater, keines kehrt
Zur Mutter Abends mit dem Müden wieder.
Nach dreien Tagen erst zog man das Kind
Mit eingeschlagenem Haupt aus einem Wasser,
Das tückisch hehlend, dunkel, unbeweglich
Abseits vom Pfad im Waldesschatten lag.
Der Mörder auch ward bald darauf ergriffen;
Es war ein starker Bursch von achtzehn Jahren,
[184]Fast unbekannt, der, lungernd in der Stadt,
Misstrauisch schielend auf dem Örglein blies,
Das ihn verrieth. Dann vor dem Richter stehend,
Von dessen Kunst bedrängt, erzählt er mürrisch,
Wie er das Kind im Holze angetroffen
Und es gebeten, ihm das Ding zu leihen
Nur einen Augenblick, sich daran zu laben.
Kopfschüttelnd habe jenes fortgespielt,
Er aber es mit einem Stein erschlagen.
Und weiter ward die Kunde beigebracht,
Wie dass vor Jahren schon in seiner Heimath
Der Unhold von der zarten Kinderwelt
Als Spielzeugräuber sei gefürchtet worden;
Die trauten Plätze, Fluren, Hofgebreiten,
Wo sich das kleine Volk zur Lust versammelt:
Der grosse Range habe finster lauernd
Beschlichen sie und von dem bunten Werkzeug
Der Jugend sich gewaltsam angeeignet,
Was ihm gefiel, dann in entlegnen Winkeln
Einsam, mit ungeschickter Hand getändelt.
Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen,
Doch aus der Unthat wurde Keiner klug.
Verfängliche Fragen
Gestern kam zu mir ein holdes Mädchen,
Sprach: „Weil du ein Dichter bist, so kündest
Du gewiss mir, Lieber, was vergeblich
Tag um Tag ich zu ergrübeln suche:
[193]Leuchtend über meines Vaters Garten
Steht jedwede Nacht ein Stern jetzt, röthlich
Strahlt sein Schimmer, und die Wölkchen ordnen
Goldgesäumt sich um ihn her im Kreise.
Nie sah so noch einen Stern ich funkeln!
Was er funkelt, möcht' ich gerne wissen.
Und vor unserm Haus im dunklen Taxus
Jeden Abend singt ein kleiner Vogel;
Braun ist sein Gefieder, aber reizend
Fliesst der Ton ihm aus der lieben Kehle.
Niemals sang mir noch so süss ein Vogel!
Was er singt, das möcht' ich gerne wissen.
Doch das Wunderbarste sag' ich billig
Dir zuletzt: in meinem eignen Fenster
Ist seit dreien Tagen eine Blume
Aufgeblüht, die Niemand kennt im Hause.
Herrlich prangen ihre weissen Blätter,
Goldne Fäden hängen aus dem Kelche,
Und des Dufts balsamische Wellen zittern
Wie Gedanken durch mein stilles Zimmer.
Nie noch sah ich eine solche Blume!
Was sie duftet, möcht' ich gerne wissen.“
Und ich sprach zu ihr: „Du liebes Mädchen,
Heute Morgen in der achten Stunde,
Da die Sommersonne dir zu Häupten
Lange zögernd auf dem Kissen spielte —
Doch du schliefst noch fort, bis weiter rückend
Endlich dir der Strahl die Augen küsste —
Was du da geträumt, das singt der Vogel,
Strahlt der rothe Stern am nächtgen Himmel,
Und das Gleiche duftet auch die Blume.
Neige mir dein Köpfchen, dass ich leise
Dir ins Ohr es sage, und es Keiner
Weiter hört.“
Da fuhr sie auf erschrocken
Und umfing mein Haupt mit beiden Armen,
Mit den Händen mir den Mund verschliessend:
„Pfui! Was seid ihr Dichter doch für lose
Leute! rief sie aus. — Um Gottes willen
Schweige still und sag es nicht der Mutter.“
Entsagung
1857
[201]Fast ward mit jedem Tag, den ich erlebte,
Ein Wunsch, ein Hoffen von mir abgetrennt;
Die Seele, die melodisch einst erbebte,
Ward ein verstimmt, entsaitet Instrument.
Doch wie der Gram, mein täglicher Begleiter,
Mir auch die Stirn gefurcht mit seinem Pflug,
Ich schau' zurück, ein Mann, und lächle heiter;
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Zwar ist es nicht das Land der Hottentotten,
Wo einst die Wiege meiner Jugend stand,
Doch theilnahmloser fast, als jene Rotten,
Empfing mich mein gefeiert Vaterland.
Und dennoch hemm' ich nicht das heisse Lodern
Der Brust, die immer für die Heimath schlug,
Gieb ihr, doch lerne, nichts von ihr zu fodern!
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
O Ruhm, wie lange hab' ich ohn Ermatten
All meine Sinne nur auf dich gewandt;
Das volle Leben tauscht' ich an den Schatten,
Den ich als wesenlos zu spät erkannt.
Wen ein Mal nur allmächtgen Flügelschlages
Die Weihe des Gesangs nach oben trug,
Der kann verschmähn die Kränze eines Tages;
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Die Liebe, die mich frühe angezogen,
Mit allem Zauber, diese Schmeichlerin,
Sie hat mich um mein bestes Selbst betrogen
Und meine schönste Jugend nahm sie hin.
Doch Kenntniss auch vom innersten Gemüthe
Verheh mir dieser liebliche Betrug;
Mir blieb die Frucht; fahr hin, du welke Blüthe!
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Wo ist das Glück? mir ward es nie beschieden,
Und nie hab' ich gebuhlt um seinen Kuss,
Und nie gekannt die Weisheit, die zufrieden
Mit träger Ruh und flüchtigem Genuss.
Sie klebt am Stoff, mir aber wurden Schwingen;
Ihr ward die Lust am Dasein, mir ein Zug
Des Geistes, der einst Odem gab den Dingen —
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
[202]Sei mir aufs Neu, o Einsamkeit, willkommen!
Du zogst mich gross; durch dich ward ich gesund.
Der Trieb zum Höchsten blieb mir unbenommen,
In deinen Armen wuchern soll mein Pfund.
Weit werf' ich weg das klagende Erinnern
An eine Welt, die mir nur Wunden schlug:
Trag' ich nicht selber eine Welt im Innern?
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Der Schwarze Tod
Erzittre Welt, ich bin die Pest,
Ich komm' in alle Lande
Und richte mir ein grosses Fest,
Mein Blick ist Fieber, feuerfest
Und schwarz ist mein Gewande.
Ich komme von Ägyptenland
In rothen Nebelschleiern,
Am Nilusstrand im gelben Sand
Entsog ich Gift dem Wüstenbrand
Und Gift aus Dracheneiern.
Thal ein ud aus, bergauf und ab,
Ich mäh' zur öden Haide
Die Welt mit meinem Wanderstab,
Ich setz' vor jedes haus ein Grab
Und eine Trauerweide.
Ich bin der grosse Völkertod,
Ich bin das grosse Sterben,
Es geht vor mir die Wassernoth,
Ich bringe mit das theure Brod,
Den Krieg thu' ich beerben.
Es hilft euch nichts, wie weit ihr floht,
Ich bin ein schneller Schreiter,
Ich bin der schnelle schwarze Tod,
Ich überhol' das schnellste Boot,
Und auch den schnellsten Reiter.
[208]Dem Kaufmann trägt man mich ins Haus
Zugleich mit seiner Waare;
Er freut sich hoch, er lacht beim Schmaus,
Ich steig' aus seinem Schatz heraus
Und streck' ihn auf die Bahre.
Mir ist auf hohem Felsvorsprung
Kein Schloss zu hoch, ich komme;
Mir ist kein junges Blut zu jung,
Kein Leib ist mir gesund genug,
Mir ist kein Herz zu fromme.
Wem ich schau ins Aug hinein,
Der mag kein Licht mehr sehen;
Wem ich gesegnet Brod und Wein,
Dem hungert nur nach Staub allein,
Den durstet's, heimzugehen.
Im Osten starb der grosse Chan,
Auf Indiens Zimmet-Inseln
Starb Negerfürst und Muselmann,
Man hört auch Nachts in Ispahan
Baim Aas die Hunde winseln.
Byzanz war eine schöne Stadt
Und blühend lag Venedig,
Nun liegt das Volk wie welkes Blatt,
Und wer das Laub zu sammeln hat,
Wird auch der Mühe ledig.
An Nordlands letztem Felsenriff
In einen kleinen Hafen
Warf ich ein ausgestorbnes Schiff,
Und alles was mein hauch ergriff,
Das musste schlafen, schlafen.
Sie liegen in der Stadt umher,
Ob Tag und Monde schwinden;
Es zählt kein Mensch die Stunden mehr,
Nach Jahren wird man öd und leer
Die Stadt der Todten finden.
Spartacus
Versammelt hielt sein Sklavenheer
Der Thracier Spartacus am Meer,
Und auf zum rauchenden Vesuv
Erklang der wilde Freiheitsruf:
Von nun an Männer, nicht mehr Sklaven
Erheben wir das Schwert und strafen
Der Unterdrücker Übermuth.
Du Berg dort, blitz in unsre Rache!
Der Menschheit ganzes Herz erwache
In uns um ihr verlornes Gut.
Germanen, Skythen, Perser, Parther,
Ilyrier, Gallier, Dacier, Sparter,
Jetzt treffet, dass die Wunde klafft!
Wir waren lang genug die Schlächter
Für dieses Volkes Blutgelächter,
Genug die Mörder unsrer Kraft.
Ein Tiger lauert in der Schlucht,
Auf, Nubier, jagt ihn in die Flucht!
Ein Wolf ist's, Cimbern, der euch droht,
Schwingt eure Keulen, schlagt ihn todt!
Beweist die Kraft in euren Sehnen,
Die ihr so oft in den Arenen
Beim lauten Beifallruf erprobt!
Doch diesmal, wenn der Sand zerstoben,
Soll euch der todte Römer loben,
Wie lebend er euch nie gelobt.
Erhebt die Schwerter, schwingt die Sensen!
Gebt ihnen Feste, gebt Circensen,
Gebt einen Gladiatorenkampf!
Kämpft! Kämpft, bis über Leichenwogen
Das Ross der Ritter Purpurtogen
In Staub zum Rost der Kette stampf!
[211]Zerfallen muss dies Pantheon,
Dies Rom, wie ein Koloss von Thon;
Sein Ruhm werd' aus der Welt gewischt,
Wie Nachts ein Meteor erlischt.
Herab von ihren Marmortreppen
Wird man der Wölfin Beute schleppen,
Hinab in alle freie Welt;
Bald tönt das Echo freier Lieder
Durch Thraciens Gebirge wieder
Zum nordumstürmten Hirtenzelt;
Erblühn wird wieder Saat den Fluren,
Wo sonst die Siegeswagen fuhren,
Für die der Erdkreis schien zu schmal.
Zum Kampf denn, Römer! Lasst uns streiten!
Es grüssen euch die Todgeweihten,
Und so wie heut zum letztenmal!
Erwartung des Weltgerichtes
Wo bleiben nur die Schnitter, wer keltert all den Wein?
Die Ähren auf den Feldern verglühn im Sonnenschein,
Die Trauben in den Gärten, die Birnen in dem Laub,
Man pflückt sie nicht, sie fallen von selber in den Staub.
[212]Wo sind die Menschen alle? Durch Thal und Wälder irrt
Das Hausthier mit dem Wilde, die Heerde führt kein Hirt,
Der Aar umkreist die Dörfer, an Flucht denkt nicht das Reh,
Das Netz verfault im Weiher, der Nachen fault im See.
Doch überall in Städten, da wogt der Menschenstrom,
Man drängt durch Markt und Gassen zum Friedhof und zum Dom
Mit wundgerungnen Händen, mit Blicken angsterfüllt;
Die Falten aller Herzen sind offen und enthüllt.
Da bringt der Geiz voll Reue des Wuchers Sündensold:
„Ich nahm der Armuth Pfennig, ich wog und zählte Gold.
O hätt' ich doch geborget der Ewigkeit dafür,
Anstatt dass ich den Bettler verstiess von meiner Thür.“
Ihr langes Goldhaar opfert die bleiche Buhlerin:
„Mein Haar in langen Flechten, ich hab' es nicht Gewinn,
Mein Hals war bloss, und prächtig mein Schmuck und mein Geschmeid,
Erhör mein Flehn, o Himmel, gieb mir ein weisses Kleid!“
Zu Boden werfen Räuber die Messer, roth von Blut,
Und geben selbst den Gräbern das einst geraubte Gut.
„Wir trieben Spott mit Heiligem, und mit den Qualen Spott,
Wir hatten Lust am Bösen, jetzt fliehen wir zu Gott.“ —
Verzweifelt stürzen Viele von Thürmen sich herab
Und finden so wahnsinnig aus Seelenpein ihr Grab,
Und wieder Andre stürzen in ihres Herzens Noth
Zum Altar und entreissen von dort das heilge Brod.
Allstündlich rufen Glocken und ruft der Bussgesang:
„Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!
Es sagen alle Bücher und unsre Sünden klar:
Es nahn die letzten Tage, der Erde letztes Jahr.
Die Gluth wird sie zerstören, der Sturm wird sie verwehn,
Ihr Schiffer auf den Meeren, die Zeichen sind geschehn.
Gewaltthat nur noch waltet und übermüthig Erz,
Das Volk ist ohne Richter, und ohne Furcht das Herz.
Saht ihr es, wie der Blitzstrahl die Wolkennacht zerriss?
Der Antichrist ist nahe, sein Reich, die Finsterniss.
Er blendet Aller Augen, er rühret Aller Mund;
Die Hölle wird ihn krönen, und dienen seinem Bund.“
[214]Und stündlich rufen Glocken und ruft der Bussgesang:
„Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!“ —
Der Kaiser und die Fürsten umknien den Altarschrein,
Den Purpur von den Schultern, die Kronen auf dem Stein. —
Durch Nacht und Dunkel reitet gen Ost von Niedergang,
Das Kreuz auf seinem Panzer, ein Ritter ohne Bang.
Er denkt: die Welt wird stehen, bis wir das Grab befreit;
Es leuchtet schon im Osten, bald weicht die Dunkelheit.
Vom hohen Berge blicket ein Weiser himmelan,
Er sinnet vor sich nieder und misst der Sterne Bahn.
„Die ewigen Gesetze, Allmächtiger, leuchten klar
Aus deinem Buch am Himmel, erneuernd Jahr um Jahr.
Und wie sie dort erstrahlen, so leuchten wieder hier
Der Frühling und die Menschen, Erbarmender, vor dir,
Und wieder blühn wird Hoffnung dem menschlichen Geschlecht,
Und grünen wird die Saatflur, und walten im Land das Recht.“ —
Auf Blumen eingeschlafen in eines Thales Hain,
Ruhn engelgleich zwei Kinder, in Gottes Schutz allein,
Auf ihrer Unschuld Wangen blüht zart das Himmelslicht —
Vorüber rollt der Donner, vorüber das Weltgericht.
Im Eisenhammer
[220]Ein Knabe war ich, wild und froh,
Entflohn der dunklen Kammer,
Da ging's im sausenden Halloh
Hinab zum Eisenhammer.
Die Sterne leuchteten zu schön
Noch über Alpenjochen,
Das Thal erfüllte mit Gedröhn
Der Hämmer dumpfes Pochen.
Da stand ich in der Öfen Schein,
Blaugelbe Höllen flammten;
Die Bälge schnaubten, stöhnten drein,
Wie Ächzen der Verdammten.
Gigantisch an der Bretterwand
Der Hütte war, o Grauen,
Im hellen Schein, der kam und schwand,
Ein Schattenbild zu schauen!
Ist's auf dem Thron der Unterwelt
Fürst Pluto, ist's der Böse?
Hu, wie das zischt und pfeift und gellt,
Auf dass ein Fluch sich löse!
O komm, des Wassers Segensmacht,
Wie himmlisches Verzeihen,
[221]Aus dieser Hölle Feuerschacht
Die Geister zu befreien!
Da that sich auf des Ofens Schlund,
Als gält's ein neues Werde,
So schlitterte im tiefen Grund
Das Herz der alten Erde.
Als kam' ein Auferstehungstag
Dem Grossen, Guten, Schönen,
So hub nun mit gewaltgem Schlag
Der Hammer an zu dröhnen.
Und ihr, wie Hünen anzuschaun
Beim Funkentanz, dem hellen,
Im Lederschurz, halbnackt und braun,
Was schmiedet ihr, Gesellen?
Sind's Racheschwerter, blutigroth,
Endlose Sklavenketten,
Ein blankes Beil, von aller Noth
Die Menschheit zu erretten?
Ein Scepter, eine Krone gar,
Den Geist der Zeit zu schmücken,
Dass er sich auf sein goldnes Haar
Die eiserne sollt' drücken?
Hei, wie das flammt und wie das raucht!
Bei jedem Hammerschlage
Mir aus bewegtem Busen taucht
Auf eine dunkle Frage!
Doch schweigend wie des Schicksals Macht
Habt ihr in Müh und Sorgen
Getreulich euer Werk vollbracht,
Und draussen glüht der Morgen!
Aus Kinderaugen grüsst euch hell
Die goldne Feierstunde,
Nun geht, gefüllt am Silberquell,
Das Krüglein in die Runde.
Wohl bist du heisser Arbeit Lohn,
Glückseliges Genügen!
Dir müssen sich, die uns bedrohn,
Die Höllenmächte fügen!
lch trat hinaus, ein liebend Aug
Schien aus dem Morgensterne
Zu grüssen mich, — in goldnem Hauch
Zerrann die blaue Ferne.
Saumrossleute in alter Zeit
„Der Handel mit Veltliner Wein war bis zum Jahre 1848 sehr im Schwunge. Händler mit zahlreichen Saumrossen gingen im Winter über das Schlapinajoch und betraten in Gaschuren das österreichische Gebiet.“
[222]Zum Gaschuren im Montafun,
Sieht man im Wirthshaus hinter dem Schoppen
Farbige Mieder und haarige Joppen;
Sonntag gilt's ein Übriges thun.
Aber der Frohsinn stellt sich nicht ein,
Ernste Gesichter, glimmende Lichter,
Mattes Gespräch und saurer Wein!
Von den holzgetäfelten Wänden
Blicken Heiligenbilder und senden
Schläfrige Schmerzensblicke drein.
Spricht der Wirth, derweil er zum Fass geht:
„Gnade heut dem, der über den Pass geht!
[223]Auf den Firnen wüthet der Föhn,
Thut, als woll' er Thäler und Hütten,
Selbst die Kirchthurmspitzen verschütten;
Horcht nur: das Lawinengedröhn!“
Und es reckt sich Jeder, der weit hat,
Wenn er zumal kein liebes Geleit hat,
Sieht auf die Uhr, um weiter zu gehn.
Da ertönt ein Schellengeläute,
Da erschallt ein Pferdegetrapp.
Erst weiss Keiner, was es bedeute —
Knapp vor dem Hause hält ein Rapp.
Klopft mit den Nüstern an so fein,
Thut, als woir er ins Haus hinein.
Und die Rosi öffnet den Schalter:
„Irr' ich nicht, so kenn' ich dich, Alter,
Sage, kommen noch Andere nach?“
Rösslein versteht wohl, was sie sprach,
Nickt mit dem Kopf und schüttelt die hellen
Um den Halfter hängenden Schellen:
„Ja, es kommen Andere nach!“
Wirklich rasch, vergnüglichen Schrittes,
Naht ein zweites Rösslein, ein drittes,
Jedes wandelt des Weges frei,
Trägt auf dem Rücken der Fässlein zwei,
Fletschet die Zähne, schüttelt die Mähne,
Sagt, wie es die Krippe ersehne,
Wie willkommen die Herberge sei.
Und der Wirthin Stimme verkündet:
„Rasch an den Herd! das Feuer entzündet,
Und das Gemslein gebraten am Rost!
Rüstet die Pfannen, spület die Kannen,
Trollt euch von dannen mit eurem Most!
Täuscht nicht Alles, so kommen heut
Aus dem Veltlin die Saumrossleut.“
Ja, sie kommen, die braunen Genossen,
Schöne Gesichter, Augen voll Gluth,
Dreizehn Treiber bei dreissig Rossen,
Schütteln den Schnee von Mantel und Hut.
[224]Über Poschiavo und Pontresina,
Wo mit Lawinen droht der Bernina,
Aufwärts und abwärts, brusthoch im Schnee,
Quer über den gefrorenen See,
Durch das Fluelathal über Conter,
Übers Schlapinajoch kommen sie her.
Tapfere Pferde und tapfere Leut,
Glücke ihr Wanderzug immer wie heut!
Kaum sind die Rösslein geborgen im Stall,
Sammeln sich in der Stube schon All,
Tafeln beginnt und mächtiges Zechen,
Und der eichnen Tische Rund
Droht von der Last der Schüsseln zu brechen,
Lustig vom Fasse fliegt der Spund.
Bald zur Guitarre ertönet die Zither,
Die geschwiegen das ganze Jahr,
Jede Dirne kriegt ihren Ritter,
Und so reihet Paar sich an Paar.
Da durch die Reihen der Tanzenden naht
Strengen Blickes der bleiche Curat.
„Was, zur Adventzeit wagt ihr zu tanzen?
Unbekümmert ums nahende Fest?
Füllet, statt Fasten zu halten, den Ranzen,
Gebt eurer sündigen Seele den Rest?
Doch nicht umsonst bin ich Wächter der Zinnen,
Und als solcher gebiete ich Ruh.
Wo zwei Paare zu tanzen beginnen.
Streicht der Versucher die Geige dazu ...“
Also ertönet das Wort des Zeloten,
Doch schon entbietet ihm Rosi vom Rothen,
Welcher noch Keinem vergeblich geboten;
Und vor des Glases erfreulichem Schein
Schwindet der Groll seiner borstigen Brauen,
Nur um nicht länger den Gräuel zu schauen,
Schwankt er ins Hinterstüblein ein,
Wo er voll Trauer und ergrimmt
Platz im bequemsten Lehnstuhl nimmt.
Singen die Welschen: „Vieni, o bella,
Komm her und schlürfe den rothen Sassella!“
[225]Rufen die Bursche: „Tapfere Leut,
Glück' Euch der Wanderzug immer wie heut!“
Und immer weiter im wogenden Kranz
Dreht sich der Reigen, dreht sich der Tanz.
Also vergehen die wonnigen Stunden —
Wenn es tagt, ist Alles verschwunden.
Während im Frühroth erglühten die Zinnen,
Zogen die Männer und Rosse von hinnen.
Am offenen Fenster, zerrissen die Saiten,
Hängt die Guitarre und seufzt noch zu Zeiten.
Krüge schwenkend die Dirne denkt
Aller der Küsse, die sie verschenkt.
In der Ecke noch Abends spat
Hinter dem Kruge schnarcht der Curat.
Ruhe
1855
[226]Weit schon schlenderten wir! Unmerklich zog sich die Stadt uns
Hinter die Eichen zurück, als wollte allein sie uns lassen.
Hier an dem buschigen Rande des Abhangs werf ich mich nieder,
Auch diese herbstliche Sonne noch macht willkommen die Kühlung;
Wirf dich neben mich, Freund, und lass uns der Stille geniessen!
So auf dem Rücken gestreckt, die Arme zu Häupten verschlungen,
Tief in die ewige Bläue des Alls die Blicke versenkend,
Träum' ich ein Schwimmer zu sein, auf wallende Fluthen gebettet,
Wie ihn der strömende Zug in wiegendem Wanken dahin trägt.
Glücklich, wem die Götter die feiernde Stunde gesendet,
Welche den tobenden Geist einlullt in wachenden Schlummer
Und auf den heissen Vulkan ausgiesst das sanfte Vergessen!
Siehe! Ein kleinerer Wald, als der uns von oben beschattet,
Steigen die Gräser empor über uns, und es nicken der Blüthen
Bunte Gesichter herab, von fächelnden Lüften geschaukelt;
Lautlos segelt der Falter mit glanzbefiederter Schwinge
Droben im sonnigen Raum, und unten im Dunkel der Kräuter
Schwirrt die Harfe der Triften, die nimmer müde Cikade.
[227]Hörst du die rieselnde Quelle? Dort unter dem Moose des Felsblocks
Tropfen krystallene Thränen herab und feuchten den Boden,
Der mit neidischem Durste die kaum geborenen einsaugt.
Doch versiegen sie nicht; denn immer erneut sie die Nymphe,
Bis der ermüdete Feind sie entrinnen lässt in die Freiheit.
Hier schon eilt sie vorbei, ein Wässerchen; über die Kiesel
Klingt ihr melodischer Fall; bald plaudert die kindische Welle
Mit sich selber und bald mit der niederhängenden Staude,
Welche, den Weg ihr zu wehren, sich beugt und wieder zurück weicht.
Wo das Erlengesträuch die wallenden Wiesen umsäumet,
Bricht sie, gewundenen Laufs, sich Bahn durch tiefere Ufer;
Dort schon hemmet sie spottenden Muths des Wanderers Schritte,
Lieber das breitere Bett dann führen die Stege hinüber.
Sorglos rauscht sie hinaus in die weiten Gebiete des Menschen,
Der sie mit listiger Kunst empfängt zu ewiger Knechtschaft;
Schäumend siehst du sie drüben aufs Rad der Mühle sich stürzen,
Dienstbar bleibt sie nun, bis ihr Loos im Ocean endet.
Denn entronnen einmal dem Schooss der zeugenden Höhe
Muss sie hinab unaufhaltsam entgegenströmen der Tiefe,
Wie ihr Gebieter, der Mensch, von immer schlagenden Stunden
Rastlos weiter gedrängt, auf sinkenden Pfaden ans Grab eilt.
Doch was red' ich von Tod und von Knechtschaft, wo die Natur lacht!
Hier auf blumigem Pfühl vor der weit aufleuchtenden Landschaft
Ziemet ein leichtes Geschwätz, das gleich der beweglichen Welle
Frohe Gedanken erregt und spielenden Wechsels entgleitet.
Krähen hör' ich den Hahn! — Mir weckt die heisere Stimme
Immer die Bilder der Jugend und glücklicher Zeiten Gedächtniss;
Knabe dünk' ich mir noch. Ich sehe die heimischen Berge,
Fichtenbedeckt, durchs Fenster, darum sich Jelängerjelieber
Rankte, — den Garten, darin die schmalen Rabatten der Buxbaum
Sauber umfasste. Wie war es so hold, wenn die wärmere Sonne
Endlich geschmolzen den Schnee, und aus dem gelockerten Boden
Lenzverkündend hervor die goldbraun grünenden Spitzen
Brachen, darin Hyazinthen und Primeln und schlanke Narzissen
Schlummerten. — Dann auf der Höhe, bedächtig die Pflugschaar ziehend,
Schritten die Ochsengespanne entlang die röthlichen Furchen,
Langsam schwankte herein der Wagen voll wallenden Heues,
Zweige schmückten die Last, des Sommers grüne Standarten,
Thürhoch fiel sie umher, und jauchzend gruben die Kinder
— Zuschaun durfte ich nur, denn ich war ein schwächlicher Knabe —
Tief sich hinein mit wonnigem Graun in das duftende Dunkel.
Aber im Garten erspähte geheim das lüsterne Auge,
[228]Was zu pflücken der Hand verboten war: niedergebogen
Hingen am stachlichten Strauch die zierlichen Büschel der Beeren,
Gelblich und purpurn, süsse Verführer zu eiligem Diebstahl;
Sicherer schwollen derweil, getauft mit seltsamen Namen,
Hoch im Wipfelgezweige die saftigen Glocken der Birnen,
Bis mitleidig der Wind eine frühgezeitigte knickte.
Und — willkommene Beute! — die Frucht durchs knisternde Laub schlug
Golden rauschte das Korn, es zogen die Schnitter zu Felde,
Und in der Sensen Getön klang fern das Locken der Wachtel,
Wenn der Vater mit mir die Raine Abends entlang ging,
Prüfend der Ernte Ertrag und die Zeichen des morgenden Wetters.
Dann auf der Wange des Apfels erschien die herbstliche Röthe,
Welche das Sammeln gebot, ehe denn die Reife zu weit stieg;
Stangen reichten hinauf, und geschüttelt warfen die Wipfel
Rings auf Beete und Gänge den hart aufklopfenden Hagel;
Aber, zur feineren Art klomm, sackumgürtet, der Gärtner
— Mir ein beneideter Mann des Glücks! — auf schwankender Leiter
Mitten ins Paradies, die verborgenen Wunder zu pflücken.
Zwischen den Körben, darein die würzigen Ladungen rollten,
Harrte die Mutter geschürzt, und wählte mit kundigem Finger
Mir die bewährteste Frucht, mein stilles Gedulden zu lohnen.
Und wenn Alles gethan, auf schaute mit freundlichem Nicken
Sie zu jeglichem Baume und rief ihm dankenden Gruss zu.
Sonst wohl möchte er schmollen und ferneren Segen verweigern;
Lächelnd hört' es der Vater und lüftete leise das Käppchen.
Düsterer gingen die Tage nunmehr und kürzer zu Rüste;
Hof und Garten und Feld — wie lagen sie einsam und schmucklos,
Nicht mehr der Freude Gebiet, nur noch die Stätte der Arbeit,
Welche dem sterbenden Jahre die Kissen des Sarges zurecht legt!
Dennoch wie pochte das kindische Herz von freudigem Schrecken,
Wenn vor dem pfeifenden Winde das Erstlings-Flockengewimmel
Plötzlich, in wirbelndem Tanze sich tummelnd, am Fenster vorbeistob!
Gastlich prasselte jetzt des Kamins hochzüngelnde Flamme,
Riegel verwahrten das Thor, und Läden deckten die Scheiben;
Stiller Beschäftigung hold, den Kreis der Fleissigen sammelnd,
Warf vom eichenen Tische die spitzaufbrennende Kerze
Rings ihr ruhiges Licht in des Zimmers trauliche Schatten.
Zeitungen las mit Bedacht beim Dufte der Pfeife der Vater,
Aber die Mutter beiseit, mit der Magd das Gemüse für morgen
Fein zu putzen beflissen, bestand ein doppelt Geduldwerk:
Märchen las ich ihr vor, eintönigen Klanges und mühsam,
[229]Wohllaut dünkt' es ihr doch, von ihr ja hatt' ich's erlernet,
Und sie erklärte dazwischen der Bilder tiefe Bedeutung.
Glücklicher eichener Tisch! Du Reich voll Frieden und Freiheit,
Welt der Träume und Wunder! In Trümmer bist du gegangen,
Wie deine selige Zeit! — — Zu frisch stets wallte das Tischtuch
Über die Herrlichkeit hin und all das bunte Vergnügen,
Das bis morgen verschwand, doch bald verschmerzt und vergessen
Über dem tröstenden Dufte der hoch aufdampfenden Schüssel!
Öde war's draussen und still. Aus der Himmel unendlichen Weiten
Schüttete leise die Nacht des Schnees weichschwellende Wogen,
Hohler schlug es vom Thurme, gedämpfter pfiffen die Wächter,
Und mit behaglichem Graun aufhorchte das Ohr in die Ferne,
Wo mit verlornem Gebell ihre Zwiesprach führten die Hunde.
Dann zur traulichen Kammer, von dämmernder Lampe gelichtet,
Trug die Mutter den Knaben; sie drückte ihn sanft in die Kissen,
Theilte sein kurzes Gebet, erwartete still seinen Schlummer
Und, wenn über das Haupt der schweigende Engel sich neigte,
Blickte sie segnend darein und schlich sich leise von hinnen.
Also rollten die Zeiten vorüber, gezählt und gemessen
Nicht nach der Pflichten Gesetz und der Mühsal nüchternem Kreislauf.
Denn aus Jeglichem zieht das Kind mit reicher Erfindung
Sich ein glücklichesLoos und trifft den verborgenen Zauber,
Der das Alltägliche neu und frisch das Gewelkte verwandelt;
Selbst das ernste Geschick und die trauerbringende Stunde —
Ihm begegnen sie nur, gleichwie aus schaurigem Märchen
Wundergestalten, seltsam und fremd; vorüber am Kinde
Schreiten sie stumm und bestellen ans Alter die finstere Botschaft!
Spät erst wird die Erinnerung wach. Eine höhere Sonne
Löst vom Geschehenen dann die Nebel, und klar in der Ferne
Taucht das Vergangene auf, wie wenn beim strahlenden Morgen
Du vom Nachts überstiegnen Gebirg in die Tiefe zurückblickst;
Aber du schauest nur noch eine längst verlassene Heimath,
Ewiges Schweigen umfliesst die fremdgewordnen Gefilde,
Wo die Gewesenen ruhn. Vergebens suchst du das Leben,
Um eine Gräberstadt stehn regungslose Cypressen.
Seufzend wendest du dich. Es führen die stäubenden Strassen
Weit in die Lande hinaus; doch keine führet zum Frieden!
Schön wohl trat sich's hervor aus der Jugend offener Pforte,
Kühn und gerüsteten Sinns, das Herz voll grosser Entwürfe;
Stolz ausspannte der Geist die ungeduldigen Schwingen,
Als er die ragenden Gipfel der Freiheit vor sich erblickte
Und des erschlossenen Weltflugs kranzumflatterte Bahnen.
[230]Nichts gewährte das Glück, als den Muth der frühen Entsagung,
Welche vom weichenden Ziel heimlenkt zu stillen Asylen
Eh an verzehrender Gluth der ikarische Fittig zum Sturz schmilzt.
Viel doch gaben die Götter, dass unter dem Buchengewölbe
Hier sie uns Musse gegönnt, verzeihlichem Wahne zu lächeln
Und in olympischer Ruhe den Wunsch und die Furcht zu vergessen.
Heimzukehren nun däucht's an der Zeit mir! Über dem Plaudern
Neigte der Tag sich gemach; die glühende Scheibe der Sonne
Gleitet am Himmel herab, und dunkel färbt sich der Wald schon! —
Erinnerung
An C. N.
[236]Jenes war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letzte Mal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.
Als wir eines Tages eilig
Durch die breiten, sonnenhellen,
Regnerischen Strassen, unter
Einem Schirm geborgen liefen;
Beide heimlich eingeschlossen
Wie in einem Feeenstübchen,
Endlich einmal Arm in Arme!
Wenig wagten wir zu reden,
Denn das Herz schlug zu gewaltig,
Beide merkten wir es schweigend,
Und ein Jedes schob im Stillen
Des Gesichtes glühnde Röthe
Auf den Widerschein des Schirmes.
Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
Blicktest, und die blonden Locken
Um den hellen Nacken fielen.
„Jetzt ist wohl ein Regenbogen
Hinter uns am Himmel,“ sagt' ich,
„Und die Wachtel dort im Fenster,
Däucht mir, schlägt noch eins so froh!“
Und im Weitergehen dacht' ich
Unsrer ersten Jugendspiele,
Dachte an dein heimathliches
Dorf und seine tausend Freuden.
— „Weisst du auch noch,“ frug ich dich,
„Nachbar Büttnermeisters Höfchen,
Wo die grossen Kufen lagen,
Drin wir Sonntags nach Mittag uns
Immer häuslich niederliessen,
Plauderten, Geschichten lasen,
Während drüben in der Kirche
Kinderlehre war — (ich höre
Heute noch den Ton der Orgel
[237]Durch die Stille rings umher):
Sage, lesen wir nicht einmal
Wieder wie zu jenen Zeiten
— Just nicht in der Kufe, mein' ich —
Den beliebten Robinson?“
Und du lächeltest und bogest
Mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Röschen,
Das du an der Brust getragen,
Und mit scheuen Augen schnelle
Reichtest du mir's hin im Gehen:
Zitternd hob ich's an die Lippen,
Küsst' es brünstig zwei- und dreimal;
Niemand konnte dessen spotten,
Keine Seele hat's gesehen,
Und du selber sahst es nicht.
An dem fremden Haus, wohin
Ich dich zu begleiten hatte,
Standen wir nun, weisst, ich drückte
Dir die Hand und —
Dieses war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letzte Mal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.
Der alte Thurmhahn
Idylle
Zu Kleversulzbach im Unterland
Hundert und dreizehn Jahr ich stand,
Auf dem Kirchenthurm ein guter Hahn,
Als ein Zierrath und Wetterfahn.
In Sturm und Wind und Regennacht
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.
Manch falber Blitz hat mich gestreift,
Der Frost mein rothen Kamm bereift,
Auch manchen lieben Sommertag,
Da man gern Schatten haben mag,
Hat mir die Sonne unverwandt
Auf meinen goldigen Leib gebrannt.
So ward ich schwarz für Alter ganz,
Und weg ist aller Glitz und Glanz.
[238]Da haben sie mich denn zuletzt
Veracht't und schmählich abgesetzt.
Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf,
Jetzt thun sie einen andern 'nauf.
Stolzir, prachtir und dreh dich nur!
Dir macht der Wind noch andre Cour.
Ade, o Thal, du Berg und Thal!
Rebhügel, Wälder allzumal!
Herzlieber Thurn und Kirchendach,
Kirchhof und Steglein übern Bach!
Du Brunnen, dahin spat und früh
Öchslein springen, Schaf und Küh,
Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken,
Und Bastes Evlein auf dem Schecken!
— Ihr Störch und Schwalben, grobe Spatzen,
Euch soll ich nimmer hören schwatzen!
Lieb däucht mir jedes Drecklein itzt,
Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.
Ade, Hochwürden, Ihr Herr Pfarr,
Schulmeister auch, du armer Narr!
Aus ist, was mich gefreut so lang,
Geläut und Orgel, Sang und Klang.
Von meiner Höh so sang ich dort,
Und hätt' noch lang gesungen fort,
Da kam so ein krummer Teufelshöcker,
Ich schätz', es war der Schieferdecker,
Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoss
Mich richtig von der Stange los.
Mein alt presshafter Leib schier brach,
Da er mit mir fuhr ab dem Dach
Und bei den Glocken schnurrt' hinein;
Die glotzten sehr verwundert drein,
Regt' ihnen doch weiter nicht den Muth,
Dachten eben, wir hangen gut.
Jetzt thät man mich mit altem Eisen
Dem Meister Hufschmied überweisen:
Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,
Wie viel es war' für solchen Plunder.
Und also ich selben Mittag
Betrübt vor seiner Hütte lag.
Ein Bäumlein — es war Maienzeit —
Schneeweisse Blüthen auf mich streut,
[239]Hühner gackeln um mich her,
Unachtend, was das für ein Vetter wär'.
Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,
Grüsst den Meister und lächelt: Ei,
Wär's so weit mit uns, armer Hahn?
Andrees, was fangt Ihr mit ihm an?
Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,
Mir aber müsst' es schlimm gerathen,
Einen alten Kirchendiener gut
Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.
Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,
Trinket ein kühl Glas Wein mit aus.
Der russig Lümmel, schnell bedacht,
Nimmt mich vom Boden auf und lacht.
Es fehlt' nicht viel, so that ich frei
Gen Himmel einen Freudenschrei.
Im Pfarrhaus ob dem fremden Gast
War Gross und Klein erschrocken fast;
Bald aber in jedem Angesicht
Ging auf ein rechtes Freudenlicht.
Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben,
Den grossen Gockel in der Stuben
Mit siebenfacher Stimmen Schall
Begrüssen, begucken, betasten all.
Der Gottesmann drauf mildiglich
Mit eignen Händen trägt er mich
Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,
Nachpolteret der ganze Hauf.
Hier wohnt der Frieden auf der Schwell!
In den geweissten Wänden hell
Sogleich empfing mich sondre Luft,
Bücher- und Gelahrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtabak.
(Dies war mir all noch unbekannt.)
Ein alter Ofen aber stand
In der Ecke linker Hand.
Recht als ein Thurn thät er sich strecken
Mit seinem Gipfel bis zur Decken,
Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz —
O anmuthsvoÜr Ruhesitz!
Zu öberst auf dem kleinen Kranz
Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt'.
[240]Betrachtet mir das Werk genau!
Mir däucht's ein ganzer Münsterbau;
Mit Schildereien wohl geziert,
Mit Reimen christlich ausstaffirt.
Davon vernahm ich manches Wort,
Dieweil der Ofen ein guter Hort
Für Kind und Kegel und alte Leut,
Zu plaudern, wenn es wind't und schneit.
Hier seht ihr seitwärts auf der Platten
Eines Bischofs Krieg mit Mäus und Ratten,
Mitten im Rheinstrom sein Kastell.
Das Ziefer kommt geschwommen schnell,
Die Knecht nichts richten mit Waffen und Wehr,
Der Schwänze werden immer mehr.
Viel Tausend gleich in dicken Haufen
Frech an der Mauer auf sie laufen,
Fallen dem Pfaffen in sein Gemach;
Sterben muss er mit Weh und Ach,
Von den Thieren aufgefressen,
Denn er mit Meineid sich vermessen.
— Sodann König Belsazers seinen Schmaus,
Weiber und Spielleut, Saus und Braus;
Zu grossem Schrecken an der Wand
Räthsel schreibt eines Geistes Hand.
— Zuletzt da vorne stellt sich für
Sara lauschend an der Thür,
Als der Herr mit Abraham
Vor seiner Hütte zu reden kam,
Und ihme einen Sohn versprach.
Sara sich Lachens nicht entbrach,
Weil Beide schon sehr hoch betaget.
Der Herr vernimmt es wohl und fraget:
Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,
Was der Herr will, leicht geschieht?
Das Weib hinwieder Flausen machet,
Spricht: Ich habe nicht gelachet.
Das war nun wohl gelogen fast.
Der Herr es doch passiren lasst,
Weil sie nicht leugt aus arger List,
Auch eine Patriarchin ist.
Seit dass ich hier bin, dünket mir
Die Winterzeit die schönste schier.
Wie sanft ist aller Tage Fluss
[241]Bis zum geliebten Wochenschluss!
— Freitag zu Nacht, noch um die Neune,
Bei seiner Lampen Trost alleine,
Mein Herr fangt an sein Predigtlein
Studiren; änderst mag's nicht sein;
Eine Weil am Ofen brütend steht,
Unruhig hin und dannen geht:
Sein Text ihm schon die Adern reget;
Drauf er sein Werk zu Faden schläget.
Inmittelst einmal auch etwan
Hat er ein Fenster aufgethan —
Ah, Sternenlüfteschwall, wie rein
Mit Haufen dringet zu mir ein!
Den Verrenberg ich schimmern seh',
Den Schäferbühel dick mit Schnee!
Zu schreiben endlich er sich setzet,
Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,
Zeichnet sein Alpha und sein O
Über dem Exordio.
Und ich von meinem Postament
Kein Aug ab meinem Herrlein wend';
Seh', wie er, mit Blicken steif ins Licht,
Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,
Einmal sacht eine Prise greifet.
Vom Docht den rothen Putzen streifet;
Auch dann und wann zieht er vor sich
Ein Sprüchlein an vernehmentlich,
So ich mit vorgerecktem Kopf
Begierhch bringe gleich zu Kropf.
Gemachsam kämen wir also
Bis Anfang Applicatio.
Indess der Wächter Elfe schreit.
Mein Herr denkt: es ist Schlafenszeit;
Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht;
Gut Nacht, Herr Pfarr! — Er hört es nicht.
Im Finstern war' ich denn allein.
Das ist mir eben keine Pein.
Ich hör' in der Registratur
Erst eine Weil die Todtenuhr,
Lache den Marder heimlich aus,
Der scharrt sich müd am Hühnerhaus;
[242]Windweben um das Dächlein stieben;
Ich höre, wie im Wald da drüben —
Man heisset es im Vogeltrost —
Der grimmig Winter sich erbost,
Ein Eichlein spalt't jählings mit Knallen,
Eine Buche, dass die Thäler schallen.
— Du meine Güt, da lobt man sich
So frommen Ofen dankbarlich!
Er wärmelt halt die Xacht so hin,
Es ist ein wahrer Segen drin.
— Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort
Spitzbuben aus auf Raub und Mord;
Denk', was eine schöne Sach es ist,
Brave Schloss und Riegel zu jeder Frist!
Was ich wollt' machen herentgegen,
Wenn ich eine Leiter hört' anlegen;
Und sonst was so Gedanken sind;
Ein warmes Schweisslein mir entrinnt.
Um Zwei, Gottlob, und um die Drei
Glänzet empor ein Hahnenschrei,
Um Fünfe, mit der Morgenglocken,
Mein Herz sich hebet unerschrocken,
Ja voller Freuden auf es springt,
Als der Wächter endlich singt:
Wohlauf, im Namen Jesu Christ!
Der helle Tag erschienen ist!
Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen
Bereits ein wenig steif gefroren,
Rasselt die Lies im Ofen, brummt,
Bis's Feuer angeht, saust und summt.
Dann von der Küch rauf, gar nicht übel,
Die Supp ich wittre, Schmalz und Zwiebel.
Endlich, gewaschen und geklärt,
Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.
Am Samstag muss ein Pfarrer fein
Daheim in seiner Klause sein,
Nicht visiteln, herumkutschiren,
Seine Fass einbrennen, sonst hantieren.
Meiner hat selten solch Gelust.
Einmal — Ihr sagt's nicht weiter just —
Zimmert' er den ganzen Nachmittag
Dem Fritz an einem Meisenschlag,
Dort an dem Tisch, und schwatzt' und schmaucht',
Mich alten Tropf kurzweilt' es auch.
[243]Jetzt ist der liebe Sonntag da.
Es läut't zur Kirchen fern und nah.
Man orgelt schon; mir wird dabei,
Als säss' ich in der Sakristei.
Es ist kein Mensch im ganzen Haus;
Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.
Die Sonne sich ins Fenster schleicht,
Zwischen die Kaktusstöck hinstreicht
Zum kleinen Pult von Nussbaumholz,
Eines alten Schreinermeisters Stolz;
Beschaut sich, was da liegt umher,
Konkordanz und Kinderlehr,
Oblatenschachtel, Amtssigill,
Im Dintenfass sich spiegeln will,
Zutheuerst Sand und Grus besicht,
Sich an dem Federmesser sticht
Und gleitet übern Armstuhl frank
Hinüber an den Bücherschrank.
Da stehn in Pergament und Leder
Vornan die frommen Schwabenväter:
Andreä, Bengel, Rieger zween,
Sammt Oetinger sind da zu sehn.
Wie sie die goldnen Namen liest,
Noch goldener ihr Mund sie küsst,
Wie sie rührt an Hillers Harfenspiel —
Horch! klingt es nicht ? so fehlt nicht viel.
Inmittelst läuft ein Spinnlein zart
An mir hinauf nach seiner Art,
Und hängt sein Netz, ohn erst zu fragen,
Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.
Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh,
Schau' ihm eine ganze Weile zu.
Darüber ist es wohl geglückt,
Dass ich ein wenig eingenickt. —
Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt
Ein alter Kirchhahn besser hat?
Ein Wunsch im Stillen dann und wann
Kommt einen freilich wohl noch an.
Im Sommer stünd' ich gern da drauss
Bisweilen auf dem Taubenhaus,
Wo dicht dabei der Garten blüht,
Man auch ein Stück vom Flecken sieht.
Dann in der schönen Winterzeit,
Als zum Exempel eben heut:
[244]Ich sag' es grad — da haben wir
Gar einen wackern Schlitten hier,
Grün, gelb und schwarz; — er ward verwichen
Erst wieder sauber angestrichen:
Vorn auf dem Bogen brüstet sich
Ein fremder Vogel hoffährtig —
Wenn man mich etwas putzen wollt',
Nicht dass es drum viel kosten sollt',
Ich stünd' so gut dort als wie der,
Und machet' Niemand nicht Unehr!
— Narr! denk' ich wieder, du hast dein Theil!
Willst du noch jetzo werden geil?
Mich wundert, ob dir nicht gefiel',
Dass man, der Welt zum Spott und Ziel,
Deinen warmen Ofen gar zuletzt
Mitsammt dir auf die Läufe setzt'
Dass auf dem G'sims da um dich säss'
Mann, Weib und Kind, der ganze Käs!
Du alter Scherb, schämst du dich nicht,
Auf Eitelkeit zu sein erpicht?
Geh in dich, nimm dein Ende wahr!
Wirst nicht noch einmal hundert Jahr.
Erinna an Sappho
Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen Alterthums, um 600 v. Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren. Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, „die Spindel“, von dem man jedoch nichts Näheres weiss. Überhaupt haben sich von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet, und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von verschiedenen Verfassern.
„Vielfach sind zum Hades die Pfade,“ heisst ein
Altes Liedchen — „und einen gehst du selber,
Zweifle nicht!“ Wer, süsseste Sappho, zweifelt?
Sagt es nicht jeglicher Tag?
Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr.
— Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!
Sonniger Morgenglanz im Garten,
Ergossen um der Bäume Wipfel,
Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna !)
[245]Früh vom schwüligen Lager hinweg.
Stille war mein Gemüth; in den Adern aber
Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.
Als ich am Putztisch jetzo die Flechten löste,
Dann mit nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
Schleier theilte, — seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
Augen, sagt' ich, ihr Augen, was wollt ihr?
Du, mein Geist, heute noch sicher behaust dadrinnen,
Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
Nickst du mich an, Tod weissagend!
— Ha, da mit Eins durchzuckt' es mich
Wie Wetterschein! wie wenn schwarzgefiedert ein tödtlicher Pfeil
Streifte die Schläfe hart vorbei,
Dass ich, die Hände gedeckt aufs Anlitz, lange
Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.
Und das eigene Todesgeschick erwog ich;
Trockenen Auges noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte,
Und der Freundinnen all.
Und anmuthiger Musenkunst,
Gleich da quollen die Thränen mir.
Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
Dieses, wenn war demnächst das blumige Fest
Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
Möcht' ich ihr weihn, für meinen Theil und deinen;
Dass sie hold uns bleibe (denn Viel vermag sie),
Dass du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
Für Erinna vom lieben Haupte trennen.
Der Philister
[253]Das Mädchen
Weit auf die Läden! — Mit voller Brust
Athm' ich den Morgen und trink' ich die Lust,
Die mir im Luftstrom entgegenquillt,
Die mir aus Blatt und aus Knospe schwillt.
O nach der langen, der bangen Nacht
Welche Wonne!
Guten Morgen, guten Morgen, du schöner Tag!
Guten Morgen, du schöne Sonne!
Der Philister
So rief ein Mägdlein — halb rief es, halb sang,
Und das Lädlein flog auf, und der Riegel klang.
Und ich derweil unterm Fliedergang
Spazierte, wie jeglichen Morgen,
Die Pfeife im Mund, um das Rosenbeet
Und die Villa, die hinter den Bäumen steht,
Vom hängenden Laube verborgen.
Das Mädchen
O du weite Welt, dort im Sonnenschein!
Wie lockst du herauf und wie lädst du mich ein;
Wie schimmert die Wiese, so perlend von Thau,
Wie locken die Berge so blau, so blau!
Dem Pfad, dort hinauf, o wie folgt ihm mein Aug
So gerne!
Guten Morgen, guten Morgen, du köstlicher Hauch,
Guten Morgen, du duftige Ferne!
Der Philister
Und wie sie stand, mit der rechten Hand
Den Flügel aufwerfend und vorwärts gewandt,
Als wollte sie über den marmornen Rand,
Dass fast mir das Pfeifchen verglimme:
Da rief ich: Holderes hast du doch nicht,
O Frühling, als solch ein liebes Gesicht,
Und solch eine liebliche Stimme.
Das Mädchen
O Frühling und Wonne und Blüthenzeit!
Euch öffn' ich die Thür und die Seele weit!
Ich trinke den Duft und ich athme den Hauch
Und ich denke an einen Entfernten auch ...
Was treu, wie wir, zu einander hält,
Kann warten:
[254]Guten Morgen, mein Lieb in der weiten Welt,
Guten Morgen, ihr Rosen im Garten!
Der Philister
Mein Pfeifchen ist aus. — O fröhlicher Reim,
Erklingst du noch einmal aus fernem Heim,
Erweckst du noch einmal den Liederkeim,
Den fast in der Brust schon erstarrten?
Auch wir einst sangen, von Sehb nnsucht geschwellt —
Nun, Jugend, nimm du die Lieb und die Welt,
Und lass uns die Rosen im Garten!
Der Tod der Nachtigall
Du, die unsterblich, vom Geschlechte
Der Feen und Elfen ich geglaubt,
O holde Freundin meiner Nächte,
So hat der Tod dich mir geraubt!
Im weichen Mondlicht vom Balkone
Wie oft dir lauscht' ich andachtsvoll,
Wenn aus der grünen Blätterkrone
Dein heilges Lied herüberscholl.
Aufhorchte selbst das Seelenlose
Den Tönen deiner Melodie;
Die bleiche Lilie, die Rose
In ihrem Schlummer hörten sie.
Zu Abgrundtiefen bald versunken,
Wo kein Gestirn des Lichtes kreist,
Bald von des Himmels Wonnen trunken
Schien im Gesang dein Sehergeist.
Ein Hoffen quoll aus ihm, ein Ahnen
Von Höherm, als die Erde giebt;
Ein Hauch, so wollte mich's gemahnen,
Der Liebe, die in Allen liebt.
Nicht schwieg dein Schmettern, dein Geflöte,
Seitdem das Abendlicht verglüht;
Erst spät beim Schein der Morgenröthe
Sank dir das Köpfchen schlummermüd.
Im Dunkel gestern auch zum Singen
Auf deinem Zweig warst du erwacht;
Gewölk stieg auf; verloren gingen
Schlaftrunkne Donner durch die Nacht.
Sanft glitt dein Lied, das leis gehauchte,
Auf Rosen- und Jasminenduft,
Der ringsher aus den Kelchen rauchte,
Zu mir durch sommerschwüle Luft.
[262]Doch stärker war der Äste Sausen,
Des Donnerkrachens Wiederhall;
Laut, immer lauter durch das Brausen
Des Sturms quoll deiner Stimme Schall;
Und ob der Blitz mit lohem Strahle
Hernieder auf die Wipfel fuhr,
Hoch jauchztest du in dem Chorale
Der um dich jubelnden Natur.
Mit Geistern war's ein Zwiesprachhalten,
Ein Stürzen in das ewge Licht,
Ein Schauen himmlischer Gestalten,
Wie in Ezechiels Gesicht.
Und, wo selbst der Prophet mit Zagen
Den Blick gesenkt und heiligem Graun,
Wie wolltest du's, o Kleine, tragen,
Die Gottheit unverhüllt zu schaun?
Beim Frühroth rollte durch das Wetter
Ein letzter mächtger Donnerklang,
Durch den dein jubelndes Geschmetter
In hohem, vollem Hymnus drang.
Glorreich durchs Dunkel stieg die Sonne;
Da sankst du zuckend erdenwärts;
Der Donner schwieg; im Sturm der Wonne
Gebrochen war dein kleines Herz.
Das neue Jahrhundert
Noch bevor am Himmel dämmernd deine Morgenröthe steigt,
Hat sich von der Last der Jahre müd ins Grab mein Haupt geneigt;
Doch der Lerche gleich, die, eh sie sich den Osten röthen sieht,
Schon dem Tag entgegenjubelt, flattre dir voran mein Lied,
Glorreich herrliches Jahrhundert, das im königlichen Flug
Reigenführend du dahinschwebst vor der Menschheit Siegeszug!
Ja, Vollender du von Allem, was wir hoffend nur geahnt.
Dem die Weisen und die Helden jeder Zeit den Weg gebahnt,
Vor dem Blick mir weicht der Schleier, der noch vor der Zukunft ruht,
Und wie ferne Alpengipfel in des Frühlichts Purpurgluth
Seh' ich dich und seh' die andern, die dir folgen, hellbesonnt,
Himmelauf die Scheitel heben an der Zeiten Horizont.
Weit vor mir in Segensfülle mit der Ernten wogendem Gold,
Mit den üppgen Rebgeländen, liegt das Erdgefild entrollt,
[263]Und von Überfluss für Alle strotzt der mütterliche Herd.
Längst des blutgen Werkes müde, ward zur Sichel jedes Schwert,
Und mit flatternden Standarten auf der Freiheit Siegesfeld
Wallen rings heran die Völker zu dem Bundesfest der Welt.
Der geweihte Born des Wissens, der für Wenge sonst nur quoll,
Nun in breitem Strom durch alle Länder fliesst er reich und voll,
Und harmonisch alle Herzen stimmt der Dichtung Orpheuslied
Und die Kunst, der ewge Frühling, der in Färb und Marmor blüht.
Durch gesprengte Felsen, über schwindlige Klüfte hingespannt,
Schlingt um alle Erdenzonen sich der ehrnen Gleise Band,
Drauf vom Dampf, dem schnaubenden Renner, den er in sein Joch geschirrt,
Hin von Pol zu Pol mit Sturmes Flug der Mensch getragen wird.
Er, der einst auf Eichenpfählen, in der Seeen Grund gerammt,
Dem Geschick, dem grausen, fluchte, das zum Dasein ihn verdammt;
Nun der Elemente Meister, Herrscher über Zeit und Raum,
Herrlich sich erfüllen sieht er alter Seher Wundertraum,
Segelt durch den höchsten Äther hin auf luftbeschwingtem Kahn,
Taucht durch blauer Wogen Zwielicht in den tiefsten Ocean.
Ihm gehorcht der Blitz als Sklave; in das grenzenlose All
Trägt den Blick ihm Frauenhofer auf den Flügeln von Krystall;
Durch den Sternennebel dringend, der als Lichtstrom niederträuft,
Sieht er neue Firmamente tief im funkelnden Raum gehäuft,
Und hinüber und herüber auf dem strahlenschnellen Weg
Mit Bewohnern fremder Welten führt er Zeichen-Zwiegespräch.
Aber hehrer noch als droben, wo sich Sonn an Sonne reiht,
UnergründUch in der Seele ruht ihm die Unendlichkeit.
Wie aus weitentlegnen Himmeln, nie durchforscht vom Seherohr,
Steigen der Gedanken grosse Sternenbilder ihm empor.
Femhin schweift sein Adlerauge, jenseits dieses engen Jetzt,
Vom Beginn der Erdendinge bis zum dämmernden Zuletzt;
Nicht fortan im Linermessnen steht er rathlos und verwaist,
Über alle Räume breitet herrlich leuchtend sich sein Geist,
Und, im Leben wie im Tod sich seiner Ewigkeit bewusst,
Jeglichem Geschick entgegen trägt er frei und kühn die Brust.
So, wenn welk von vielen Jahren seines Daseins Blüthe sinkt,
Schreckt ihn nicht des letzten Mahners Kommen, der zur Abfahrt winkt.
Gleich dem meervertrauten Schiffer, dem das Herz voll Hoffnung schlägt,
Wenn hinweg zu fernen Inseln seinen Kiel die Woge trägt,
Dieser Erde Küsten lässt er, während sanft in seinem Boot
Ihn dahin zu neuen Ufern führt der freundliche Pilot.
Ausfahrt
[265]Landfahriges Herz, in Stürmen geprüft,
Im Weltkampf erhärtet, und oftmals doch
Zerknittert von schämigem Kleinmuth,
Aufjauchze in Dank
Dem Herrn, der dich sicher geleitet!
Du hast eine Ruhe, ein Obdach gefunden,
Hier magst du gesunden,
Hier magst du die ehrlich empfangenen Wunden
Ausheilen in friedsamer Stille.
Steil, mauergleich, eine senkrechte Wand,
Vor Schneesturz beschirmend und Wildbacherguss,
Umthürmt der Felsgrat die Halde.
Es wölbt sich darin
Manch Höhlengeklüft
Zur Stätte dem einsamen Beter.
[265]Vom See bis zum Scheitel in dunkler Pracht
Steigt tannenumschattete Waldesnacht,
Kein Pfad füliit empor als Verräther.
Schon hebt sich das Blockhaus, des Siedlers Palast
Von riesigen Stämmen gezimmert und rings
Mit Moose verstopft in den Ritzen.
Schon fasst ein Brunnen an lauschiger Stelle
Die silbern helle,
Die langgesucht glücklich gefundene Quelle.
Wie mundet ihr Trank erquicksam und labend
Dem rodenden Manne, der müde am Abend
Sein Beil dort lehnt an die Steinbank.
Auf, Falkenschluchtklausner, und hochgemuth!
Vergiss deinen goldschweren Bischofshut,
Deinen Elfenbeinkrummstab, dein Münster.
Schwing dich mit befreieter Seele Macht
In die Gottespracht,
Die menschengelärmlos entgegen dir lacht:
Rauhzackige Gipfel umsäumen die Höh,
Fern unten erschimmert smaragdgrün der See,
Vom kreisenden Habicht umflogen.
Mit rüstiger Arbeit und rüstigem Beten
Verscheuch die Versuchung und trotze den Nöthen,
Die Weltfernen dröhn in der Wildniss.
Dem Bienengesumme im Wiesengeblüm,
Fromm lausche du ihm
Und trachte nach Honig der Weisheit.
Ein Hauch des Allmächtigen schwebt ob dem Land,
Und greifst du zum Psalter mit schwieliger Hand,
So fliehn die Dämonen und Teufel.
Noch ist's, wie David der König gepsalmt:
Wie dick auch der Nebel der Thorheit erqualmt,
Mit dem Frühroth scheucht ihn die Sonne.
Siegkühn wie ein Bräutigam kommt sie heran
Und freut wie ein Held sich zu laufen die Bahn
Strahlend allum.
Die Himmel verkündigen Gottes Lob,
Seine Hand ist's, die unser Erdlein wob,
Laut sagt ein Tag es dem andern.
Der Musikant von Scheveningen
[281]Wohl ist das Fest verklungen, nun geht der Musikant,
Der Mann mit grauem Haare, nach heim, entlang am Strand;
Nicht achtet er des Sturmes, der in den Lüften saust,
Nicht hört er, wie die Woge zu seinen Füssen braust.
Sein Auge leuchtet helle, versenkt in einen Traum,
Ach! einen schmerzlich fernen, wankt er am Meeressaum.
Wohl hat er gegeiget zum Tanze die herbstlich wilde Nacht,
Wohl hat er manch purpurnes Gläslein an seine Lippen gebracht;
Wohl hat er den Tusch auch geblasen mit schmetternder, geller Trompete,
Wenn wacker den Reigen gestampfet mit ihrem Hänslein die Grete.
— Sein Auge leuchtet helle, versenkt in einen Traum,
Ach! einen schmerzlich fernen, wankt er am Meeressaum.
Denn die Maid mit dem Golddiademe, die heute wurde getraut,
Sie gleichet auf ein Härlein wohl seiner vergessenen Braut.
Und wie er nun hinwandelt auf glattem Ebbe-Sand,
Und wie ein Mondgesichte schaut ob der Wolken Rand,
Und wie nun näher brauset und näher nun die Fluth,
Da wird ihm gar so seltsam, so wunderbar zu Muth.
Ihm ist als ob die Wogen, die an dem Fuss ihm schwelln,
Sich wandeln in viel tausend befremdliche Geselln.
[281]Ihm ist, als ob sie näher und näher ihn umstehn,
Und tief ihm in das Antlitz und in das Aug ihm sehn.
Ihm ist, als ob sie weinen, ihm ist, als ob sie lachen,
Sie blicken so lieb wie die Engel, und schauen so bös wie die Drachen.
„Heida!“ so hört er sie reden, „steh stille, du Musikant,
Wir wissen, du führest den Bogen mit zaubertöniger Hand,
Wir wissen, dir wandeln am Griffbrett die Finger, gelenkige Schlangen,
Es rauschet aus deinem Gesaite ein wunderallmächtig Verlangen;
Was du spielest ist himmlisch süsse verlockende Poesie,
O lass, o lass sie uns hören, die tönende Phantasie;
Wir auch, wir kennen die Sehnsucht, wir auch, wir wissen zu fühlen,
Uns auch, du Grauer, du Alter, uns auch sollst du einmal spielen,
Wir haben Herzen im Busen, in der Seele verlangende Gluth,
Auf, auf, Musikante, nun geige, und zeige dich wacker und gut;
Auf, auf, Musikante, nun geige, und' besser lohnen wir dir,
Als auf der erbärmlichen Hochzeit der Bauer, das geizige Thier.
Auf, auf, Musikante, nun geige, und zeige dich wacker und gut,
Heut tanzen die stürmischen Wogen, die Söhne der springenden Fluth,
Heut reigen die nächtigen Schäume, die Töchter des Vaters Orkan,
Auf, auf, Musikante, nun geige, und halte sobald noch nicht an!“ —
Wohl beginnt er zu geigen, und geigt nun der graue Musikant,
Die Wogen umwallen ihn dichter, hoch hält er die Geig in der Hand,
Die Wogen umringein ihn enger, jetzt steht er schon mitten im Meer,
Und immer neu und gewaltig erbrausen die Fluthen daher!
Er aber geigt ein Lied, wie er's noch nimmer gespielt,
Er hat seine ganze Seele in die triefenden Saiten gewühlt.
Und wie versunken das Mondlicht am dunkeln Wolkenrand,
Da ist er versunken auf ewig, der graue Musikant.
Des Zigeuners seliges Ende
Das Feuer glüht am schwarzen Felsenrand,
In stummer Nacht ist loh der Mond entbrannt;
Kein Nachtzug weht, und alles das Gestirn,
Die Geister in den dürren Fichtenzweigen,
All die Gesichter auf der Felsen Firn,
Sie zeigen sich in athemlosem Schweigen.
— So leis ist dem nun auch der Schlaf genaht,
Der bei der Flamm sich hingebettet hat.
Ein dunkler Mann in einem greisen Bart,
Die Stirn verdüstert, seine Züge hart. —
Hat er zur öden Höhe sich verstiegen,
Dass in dem Thale die ihn sähen liegen,
[283]Im Flammenschein vom Mondlicht überwallt,
Als eine übermenschliche Gestalt?
Dass sie das Kreuz ob Stirn und Busen schlügen,
Als sähen sie den Fürst der Höllen liegen?
Was steckt zum Schlaf er dieses Feuer an?
Auf steht's zum Mond, als flattert es hinan.
Der liegt so still im rothen Mäntelein,
Wie wenn er todt, doch zieht er Athem ein;
Es kleidet ihn das röthliche Gewand,
Als wär' er selbst von Flammen licht umbrannt.
Wer unten dort im dunklen Thale wallt,
Dem scheint's, als sah' er droben zween Feuer,
Das Ein, das brennt, das alte Ungeheuer,
Und eine glühnde menschliche Gestalt. —
Sein Traum ist schwer, doch rühret er sich kaum,
Nicht mehr denn dort der öde Lärchenbaum
Am Felseneck zur dumpfen Rund sich neigt.
— Die Lippe zuckt, der Pulsschlag bebt und — schweigt.
Der dort entschlafen, das ist ein Zigeuner,
So alt und grau, wie seines Stammes Keiner.
Sechs Kaiser sind an ihm vorbeigegangen,
Rudolphe, Karle: er blieb ungehangen.
Sie All und Alle hat er überlebt,
Sie All und Alle hat er überdauert,
So manches Grabmal wurde zugeklebt,
So manche Gruft ward seither zugemauert. —
Doch heute war's, als wenn sein Herz gebebt,
Er schlich sich aus dem lärmend lauten Thal,
Schweigsam und still, ohn Einem was zu sagen:
Gleichwie ein Gast, erkrankt beim Prassermahl,
Aufsteht und weggeht, ohne nur zu klagen.
— Geschmähet ist die Bande der Zigeuner,
Verspottet war' er noch vom Naseweis,
Dass nun auch dem, den überlebte Keiner,
So bange ward ums Herz, dem markgen Greis.
Da schlägt er leis die dunklen Augen auf,
Er sieht den öden Mond, der Felsen Hauf,
Er sieht die Gluth zu Häupten ihm entbrannt,
Und liebreich streckt nach ihr er seine Hand.
So streckt man sie, will seinen Hund man streicheln,
Und will man seinem braven Gaule schmeicheln.
„O süsse Freundin!“ spricht er drauf zu ihr,
„Mir bist und bleibst du treu, ich danke dir!
[284]Selbander han gelebt wir manche Nacht,
Du krochest bald als wie ein Schlänglein sacht,
Und schlau am regenfeuchten Stroh und Werg,
Ein neckischer und demuthsvoller Zwerg,
Wie ein zertretner, kranker, scheuer Wurm,
Dann schlugst du auf, ein Riese und ein Thurm!
Wenn ich dich auf das Kirchdach hab' gepflanzt,
Wie lustsam bist du da umhergetanzt!
So rasch, so flink, als wie der Wetterhahn
Sich rastlos dreht im wirbelnden Orkan.
So lieblich und so niedlich anzusehn,
Mit gelber Schwing und mit dem Kamme roth,
Gleichwie die Hähn, so auf den Höfen gehn,
Und scharrn und krähen bis an ihren Tod.
Dann wurdest du zum mächtgen Vogel Greif,
Der in den Staub das arme Kirchlein trat,
Nie fordertest du von dem güldnen Streif,
Den ich am Altartuch mir schneiden that.
Du bist mein rothes Hähnlein, treu und gut,
Gott segne dich und alle deine Brut!
Und bin ich todt, dann überflieg die Welt,
Ganz tritt in Trümmern und in Asche sie,
Und hast du sie zerworfen und zerschellt,
So lüft die Schwing' und krähe Kikeriki!
Die Welt ist schlecht, erbärmlich und verrucht,
Ich hab' sie oft verwünschet und verflucht.
Was sie an mir elendem Mann gethan,
Das fasst dein Köpflein nicht, du armer Hahn!
Was sie an mir gethan, an meinen Söhnen,
Horch auf! ich hör' sie alle Sieben stöhnen!
So falln vom Baume nicht die braunen Blätter,
Als wie von unserm Stamm die zu Erhenkenden
Hinabgeschüttelt Sturm und Donnerwetter,
All die zu Rädernden, die zu Ertränkenden!
— Doch weil du bist zum Ende treu geblieben,
So will auch ich dir Dank und Wohlthat üben;
Da du gelobt, die Welt mir zu zerwittern,
Will ich noch einmal heute Nacht dich füttern.
Hast hier von meinem alten Dolch den Griff,
Mein Nähzeug hier, und hier das Weberschifif,
Hier auch die Schlang, die Gaukeltänzerin,
Du nimmst die fetten Bissen gierig hin,
Und hast nun Alles, ich, ich hab' Nichts mehr.
Doch halt! trägst du auch nach dem Mäntelein Begehr,
[285]Hier hast du's auch, mein gutes Hähnlein matt,
Dass ich zum letzten Mal dich mache satt!“
— Den rothen Mantel legt er übers Feuer,
Wie man ums Antlitz faltet einen Schleier,
Er lehnt sich an die Felsenwand zurück,
Ins öde Spiel der Flamme stiert sein Blick;
Er sieht, wie sie das Mäntelein durchbricht
Mit glühnden Spitzen: so zuckt durchs Gesicht
Der dunkeln Maske Brand der Eifersucht,
So zuckt der Dolch aus weitem Domino.
Dann sieht er, wie im Feuer licht und loh
Die gelbe Schlang sich krümmt, und Kühlung sucht;
Doch hurtig ist der kluge, rothe Hahn,
Kein Brosam fällt ihm von dem scharfen Zahn. —
Und wie die Flammen sind richtauf gezückt
Zum weissen Mond, der starr herniederblickt,
Da ist dem leis, so leis der Tod genaht,
Der an dem Fels sich hingebettet hat.
— Ein Sturm wird wach; zum öden Tannenwald
Rechts im Gebirg zerrt er das Hähnlein bald;
Die Wolke fliegt, und die Lawine kracht.
Der aber kriecht gleich schlauem Schlänglein sacht
Empor am feuchten Ast auf schneeumwehtem Berg
Ein neckischer und demuthsvoller Zwerg.
Als ein zertretner, kranker, scheuer Wurm,
— Dann schlägt er auf, ein Riese und ein Thurm.
Abschied
1853
Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;
Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,
Es ist die Fahrt der Heimath abgekehrt.
Geht immerhin — denn eure That ist euer —
Und widerruft, was einst das Herz gebot;
Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu theuer,
Dafür euch in der Heimath euer Brod!
Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,
In Schmerz verstummte Klagen missverstehn;
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,
Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn. —
Du, deren zarte Augen mich befragen, —
Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!
Lass nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,
Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.
[302]Es strömt die Luft — die Knaben stehn und lauschen,
Vom Strand herüber dringt ein Mövenschrei;
Das ist die Fluth! Das ist des Meeres Rauschen;
Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.
Von meinem Arm in dieser letzten Stunde
Blickt einmal noch ins weite Land hinaus,
Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,
Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.
Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
Denn Raum ist auf der heimathlichen Erde
Für Fremde nur und, was den Fremden dient.
Doch ist's das flehendste von den Gebeten,
Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
Mit festem Fuss auf diese Scholle treten,
Von der sich jetzt mein heisses Auge trennt! —
Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
Auch noch auf diesem theuren Boden stand,
Hör mich! — denn alles Andere ist Lüge —
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!
Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
So soll es wie ein Schauer dich berühren,
Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!
Ein Sterbender
Am Fenster sitzt er, alt, gebrochnen Leibes,
Und trommelt müssig an die feuchten Scheiben;
Grau ist der Wintertag und grau sein Haar.
Mitunter auch besieht er aufmerksam
Der Adern Hüpfen auf der welken Hand.
Es geht zu Ende; rathlos irrt sein Aug
Von Tisch zu Tisch, drauf Schriftwerk aller Art,
Sein harrend, hoch und höher sich gethürmt.
[305]Vergebens! Was er täglich sonst bezwang,
Es ward ein Berg; er kommt nicht mehr hinüber.
Und dennoch, wenn auch trübe, lächelt er
Und sucht wie sonst noch mit sich selbst zu scherzen;
Ein Aktenstoss in tüchtgen Stein gehauen,
Es dünket ihm kein übel Epitaph.
Doch streng aufs Neue schliesset sich sein Mund;
Er kehrt sich ab, und wieder mit den grellen
Pupillen starrt er in die öde Luft
Und trommelt weiter an die Fensterscheiben.
Da wird es plötzlich hell; ein bleicher Strahl
Der Wintersonne leuchtet ins Gemach
Und auf ein Bild genüber an der Wand.
Und aus dem Rahmen tritt ein Mädchenkopf,
Darauf wie Frühthau, noch die Jugend liegt;
Aus grossen hold erstaunten Augen sprüht
Verheissung aller Erdenseligkeit.
Er kennt das Wort auf diesen rothen Lippen,
Er nur allein. Erinnrung fasst ihn an;
Fata Morgana steigen auf bethörend:
Lau wird die Luft, — wie hold die Düfte wehen!
Mit Rosen ist der Garten überschüttet,
Auf allen Büschen liegt der Sonnenschein,
Die Bienen summen; — und ein Mädchenlachen
Fliegt süss und silbern durch den Sommertag.
Sein Ohr ist trunken. „O nur einmal noch!“
Er lauscht umsonst, und seufzend sinkt sein Haupt.
„Du starbst. — Wo bist du? — Giebt es eine Stelle
Noch irgendwo im Weltraum, wo du bist? —
Denn dass du mein gewesen, dass das Weib
Dem Manne gab der unbekannte Gott, —
Ach, dieser unergründlich süsse Trank,
Und süsser stets, je länger du ihn trinkst,
Er lässt mich zweifeln an Unsterblichkeit;
Denn alle Bitterniss und Noth des Lebens
Vergilt er tausendfach; und drüberhin
Zu hoffen, zu verlangen, weiss ich nichts!“
In leere Luft ausstreckt er seine Arme:
„Hier diese Räume, wo du einst gelebt,
Erfüllt ein Schimmer deiner Schönheit noch;
Nur mir erkennbar, wenn auch meine Augen
Geschlossen sind, von Keinem dann gesehn.“
Vor ihm mit dunklem Weine steht ein Glas,
Und zitternd langet seine Hand danach;
[306]Er schlürft ihn langsam; aber auch der Wein
Erfreut nicht mehr sein Herz. Er stützt das Haupt.
„Einschlafen, fühl' ich, will das Ding, die Seele,
Und näher kommt die räthselhafte Nacht!“ — —
Ihm unbewusst entfliehen die Gedanken
Und jagen sich im unermessnen Raum. —
Da steigt Gesang, als wollt's ihn aufwärts tragen;
Von drüben aus der Kirche schwillt der Chor.
Und mit dem innern Auge sieht er sie,
So Mann als Weib am Stamm des Kreuzes liegen.
Sie blicken in die bodenlose Nacht;
Doch ihre Augen leuchten feucht verklärt,
Als sähen sie im Urquell dort des Lichts
Das Leben jung und rosig auferstehn.
„Sie träumen,“ spricht er — leise spricht er es —
„Und diese bunten Bilder sind ihr Glück.
Ich aber weiss es, dass die Todesangst
Sie im Gehirn der Menschen ausgebrütet.“
Abwehrend streckt er seine Hände aus:
„Was ich gefehlt, des Einen bin ich frei;
Gefangen gab ich niemals die Vernunft,
Auch um die lockendste Verheissung nicht;
Was übrig ist, — ich harre in Geduld.“
Mit klaren Augen schaut der Greis umher;
Und während tiefer schon die Schatten fallen,
Erhebt er sich, und schleicht von Stuhl zu Stuhl,
Und setzt sich noch einmal dort an den Tisch,
Wo ihm so manche Nacht die Lampe schien.
Noch einmal schreibt er; doch die Feder sträubt sich;
Sie, die bisher dem Leben nur gedient,
Sie will nicht gehen in den Dienst des Todes;
Er aber zwingt sie; denn sein Wille soll
So weit noch reichen, als er es vermag.
Die Wanduhr misst mit hartem Pendelschlag,
Als dränge sie, die fliehenden Sekunden;
Sein Auge dunkelt; ungesehen naht,
Was ihm die Feder aus den Fingern nimmt.
Doch schreibt er mühsam noch in grossen Zügen,
Und Dämmrung fällt wie Asche auf die Schrift:
„Auch bleib' der Priester meinem Grabe fern;
Zwar sind es Worte, die der Wind verweht;
Doch will es sich nicht schicken, dass Protest
Gepredigt werde dem, was ich gewesen,
Indess ich ruh' im Bann des ewgen Schweigens.“
Trompeter blas!
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Hört ihr seine Wogen grollen?
Sie schiessen dahin mit Gewitterschein,
Sie zürnen wie Donners Rollen,
Sie bäumen wie knirschende Rosse sich hoch:
„Wollen sehn, wer uns zwingt in das fremde Joch!“
Und das Echo der Felsen schmettert drein:
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
[326]Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Vernahmt ihr der Lorlei Singen?
„Ihr Büblein von drüben, willkommen fein!
Mein Liedlein soll lustig euch klingen!
Mein Brautlied, mein altes, das lautet: Tod!
Mein Brautkleid färb' ich mit Blute roth,
Brautführer sollen die Deutschen sein“ —
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Zu Aachen krachen die Grüfte,
Es schreitet der Kaiser im Mondenschein
Zum Rhein durch die brausenden Lüfte,
Zu Rüdesheim pflanzt er das Banner auf —
Vom Odenwald rasselt in rasendem Lauf
Durch die Nacht hernieder der Rodenstein:
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Und seht ihr die schwarzen Schaaren?
Hoch über die Berge und Wälder herein
Kommen Lützows Jäger gefahren;
Sie jagen rheinauf, sie jagen rheinab,
Und der alte Blücher entsteigt dem Grab:
Nicht länger schlummert der Helden Gebein —
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Ihr Brüder, hört ihr es schmettern?
Die Helden sollen zufrieden sein
Mit uns in des Sturmes Wettern!
Die Fahne hoch und die Schwerter scharf!
O glücklich, glücklich, wer reiten darf,
Wenn es tönt landaus, wenn es tönt landein:
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!