Vorwort

[V]

Die vorliegende, den Quellen entnommene Sammlung will eine Charakteristik unserer lyrischen und lyrisch-epischen Dichtung seit 1850 versuchen. Eine Charakteristik der einzelnen Dichter betrachtete sie im bewussten Gegensatz zu andern Sammlungen nicht als ihre Aufgabe, da ihr Herausgeber in dem Bestreben, auch „weniger bedeutende“ Lyriker nach ihren verschiedenen Seiten hin zu beleuchten, den Hauptgrund für jenes Überwuchern des Mittelmässigen sah, welches in unsern meisten Anthologien das wenige Gute erstickt. Zudem muss eine derartige „Charakteristik“ bei Dichtern, die nicht ganz ärmlich sind, doch gar zu sehr Stückwerk bleiben. Auf jenen Genuss, welchen das Eindringen in eine dichterische Individualität gewährt, soll eine Anthologie hinweisen, da sie ihn nie und nimmer ersetzen kann. —

Der Herausgeber hielt sich nicht für berechtigt, Gedichte eines noch lebenden Verfassers ohne die Erlaubniss desselben aufzunehmen: er trat deshalb mit denjenigen Dichtern, welche er zu vertreten wünschte, in schriftliche Beziehung. Von einfacher Unterbreitung kurzer Vorschläge und Genehmigung derselben durch den Befragten wechselte der Charakter dieses Verkehrs bis zu so eingehender Besprechung der einzelnen Strophen und Verse, dass selbst Änderungen und Fortlassungen die Folge waren. Wenn aber kein Gedicht ohne die Erlaubniss des Dichters aufgenommen wurde, so fand doch auch keines Aufnahme nur auf dessen Wunsch: dieses Buch ist keine „Selbstanthologie“, es ist eine Auswahl unter solchen Gedichten, welche ihre Verfasser durch die Genehmigung des Abdrucks als vollwerthig anerkannten.

[VI]

Für die Bezeichnung der Gesichtspunkte aber, welche diese Auswahl leiteten, für die Bezeichnung dessen, was dem Herausgeber und seinen Freunden als echteste Poesie und somit als das für eine Vertretung unserer Dichtung bedeutungsvollste erschien, mögen mir einige Worte gestattet sein. Höchstens ein Dutzend Gedichte brachte der Wunsch nach möglichst vollständiger Charakteristik unserer lyrischen Literatur zum Abdruck, ohne dass sie nach unserer Überzeugung den folgenden Principien ganz genügten.

Wir fordern von wahrer Poesie, dass sie geworden, nicht gemacht sei. Nicht der ist für uns der echteste Dichter, dessen Reflexion aus Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen ein „Ganzes“ zusammensetzt, sondern jener, der aus der Phantasie auf ihn Eindringendes, der geistig Angeschautes, auch für Anderer Sinne zu bannen weiss. Die Welt wahrer Poesie erscheint unserm geistigen Auge ohne Vermittelung des Denkens wie die Welt der Körper unserm körperlichen. So fordern wir Ursprünglichkeit.

Der echte Dichter erweckt Gefühle — aber er schildert sie nicht, denn Schilderung kann im besten Falle nur ein Nachempfinden in uns erregen. Echte Poesie aber bewirkt im Empfänglichen nicht das Bewusstsein des Nachfühlens, sondern das des Fühlens, wie echter Unterricht im Schüler nicht das des Empfangens, sondern des Findens.

Das Stoffgebiet der Lyrik halten wir für unbegrenzt; nicht das Was, sondern das Wie ist uns entscheidend. Nach unserm Glauben ist dem Lyriker auch das Reich des Gedankens nicht verschlossen. Wenn wir aber als Poesie nur voll Empfundenes anerkennen können, weil nur dieses volles Empfinden weckt, so muss auch der Gedanke den Weg vom Kopf zum Herzen — und zum Herzen eines Dichters — gemacht haben, um uns bei seiner Wiedergeburt nicht nur zu erleuchten, sondern auch zu erwärmen — um Poesie zu werden. Die höchste dichterische Verklärung wird allerdings der Gedanke erst dann gefunden haben, wenn er in den Gluthen der Empfindung verging, um als dichterische Anschauung neu zu erstehen. Dann spricht auch er, ohne eines reflektirenden Wortes zu bedürfen, so unmittelbar und mächtig zu uns, wie die antike Trümmerwelt, wie die Wellen über einer versunkenen Stadt, wie ein Ereigniss der Welt-[VII]geschichte. Eine derartige Verklärung des Gedankens zur Anschauung ist die Sage vom Ahasver und die vom Faust.

In Bezug auf die Form theilen wir nicht jene Ansichten, welche, hauptsächlich durch Platens Einfluss, in vielen Organen der deutschen Kritik die massgebenden geworden sind. Uns ist die Form nicht — um mit dem Ausdruck jener Schule zu sprechen — „ein goldenes Gefäss“, in das „ein edler Wein als Inhalt“ gegossen wird. Echte Form wird mit jener innere Anschauung im ursprünglichen Dichter gleichgeboren: sie ist die nothwendige Erscheinungsweise der Poesie, untrennbar mit ihr verbunden, wie nicht der Becher, sondern wie Gold oder Purpur mit dem Wein. Bei den allermeisten unserer Plateniden erkennt man trotz elegantester Prosodie, trotz glattester Technik der Reime jenes „Hineingiessen des Inhalts in die Form“ auf den ersten Blick. Es ist der beste Beweis für den Mangel der Ursprünglichkeit. —

Wie von selbst ergaben sich aus der Anwendung dieser Grundsätze zwei Nebenresultate. Wenn unsere Anschauungen begründet sind, so erfordert echte Lyrik zur Möglichkeit des Gestaltens eine sehr grosse Stärke des Empfindens: die weitaus meisten ihrer Offenbarungen werden den Geist vertreten, den wir als „männlich“ zu bezeichnen pflegen, obgleich er den Reifen beider Geschlechter gemeinsam ist. So findet sich in diesem Buche, das wahrer Liebespoesie ihren hohen Platz gewiss einräumte, doch hoffentlich keine jener weichlich schmachtenden Reimereien, die ihr Gedeihen in den Blumenlesen wohl weniger dem Urtheil der Urtheilsfähigen, als der Rücksicht aufs Anthologien-konsumirende Geschlecht der Backfische verdanken. Zweitens aber fand die Blüthe kräftigen Fühlens, der Humor — nicht der Witz — reiche Vertretung.

Was die Hilfsmittel meiner Arbeit angeht, so gesteh' ich zunächst mit dem leisen Grauen der Erinnerung, an fünfhundert Gedichtbücher durchsucht zu haben. Anthologien durfte ich meinem Plane gemäss wenig benutzen. Nur einer bekenne ich mich zu wärmstem Danke verpflichtet: Storms „Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius“. Alle, welche die kritikvollste Anwendung ähnlicher Principien, wie der hier vertretenen, auf einen so weiten [VIII]Zeitraum zu kennen wünschen, seien auf dieses Buch verwiesen — hätte der Umfang seines Stoffgebietes, das ja schon jenseits der Klassiker beginnt, mehr Raum für unsere Gegenwart gehabt, so wäre das vorliegende nicht entstanden. — Für die biographischen Notizen benutzte ich neben Brummers „Dichterlexikon“, unseren literaturhistorischen Werken und einigen biographischen Aufsätzen in Zeitschriften vielfach Originalmittheilungen der Dichter oder hinterbliebener Verwandten.

Zum Schlusse sage ich den Vielen, welche mich auf diese oder jene Art unterstützten und insbesondere unsern Dichtern, deren Entgegenkommen mir die Eigenart dieses Buches erst ermöglichte, von ganzem Herzen meinen Dank.

Im November 1881.

F. Avenarius

Nebelkampf

[1]
Morgen wird's. — Ringsum beginnt
Unheimliches Wogen und Wallen.
Die Sonne naht. — Die Nebel der Nacht,
Zürnend ob des Lichtes Macht,
Sie beginnen die wilde Geisterschlacht;
Ha, wie sie sich bäumen und ballen!
Nun zuckt es hier, nun zuckt es dort
Vom jungen, freudigen Strahle;
Doch der Nebel bleich und kalt
Will nicht weichen des Lichtes Gewalt,
Wälzet und wühlet, aber bald
Zerreisst er mit einem Male.
Und herrlich und voll Majestät
Steigt auf die schöne Sonne,
Und der kalte Nebel der Nacht erliegt,
Und in den blauen Himmel fliegt
Die Lerche und jubelt: Sie siegt, sie siegt!
Da weint der Wald vor Wonne.

Ostern in Rom

[2]
Weich und wonnig weht die Luft,
Wenn's Ostern wird, am Tiberstrom,
Glanzvoll ragt aus goldnem Duft
Die Kuppel von Sanct Peters Dom,
Kirche reiht an Kirche sich,
Palast steigt an Palast empor,
Und drüber hin tönt feierlich
In blauer Luft der Glocken Chor.
Das hallt und klinget fort und fort
Bis draussen, wo's so still und grün,
Wo Trümmer hier und Trümmer dort
Im Frühlingssonnenglanze glühn,
Wo über Mauern, alt und braun,
Cypressen schaun und Pinien,
Und fern in Zauberschönheit blaun
Der Berge feine Linien,
Wo sich in ernster Einsamkeit
Die mächtige Campagna dehnt,
Drin man sich tausend Meilen weit
Von andrer Menschen Treiben wähnt.
O glücklich, wer im Frühling war,
Wenn's Ostern wird, am Tiberstrom,
Dem singt und klingt es immerdar
Im Glockenklang: O Rom, O Rom! —

Feldeinsamkeit

Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
Und sende lange meinen Blick nach oben,
Von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlass,
Von Himmelsbläue wundersam umwoben.
Und schöne weisse Wolken ziehn dahin
Durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; —
Mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
Und ziehe selig mit durch ewge Räume.

Auf einem Gipfel

[3]
In grauenvoller Unermesslichkeit
Liegt weit die Alpenwelt — ein wildes Meer,
Zu Eis erstarrt, als hab' ein Zauberfluch
Die himmelstürmenden Titanenhäupter,
Die silbernen, der Wogen festgebannt.
Hier oben wächst, hier weilt kein Leben mehr,
Nur Schweigen herrscht, nur Schweigen herrscht und Tod:
Der Geier selbst stürzt pfeifend in die Tiefe,
Um fern vom ewgen, wandellosen Eis
Den sichern Hort für seine Brut zu suchen;
Das Echo selbst entfloh — der Jubelruf,
Der nach des Weges drohenden Gefahren
Sich aus der Brust des Wandrers hier entringt:
Er hallt beängstigend und heiser fort,
Dass fürder scheu, wie in der Gegenwart
Von Leichen, kaum der Mund zu flüstern wagt…
Vom Bahrtuch weissen Schnees geblendet, schaudert
Das Auge jäh zurück — da taucht empor
Bleich aus den Eisesfeldern eine Sage,
Die lange vor des ersten Menschen Fuss
Der Alpen Silberfirnen schon erklomm.
Hier lag einst lebend eine grüne Welt,
Hier sangen Vögel in der Bäume Kronen,
Hier summten Bäche durch der Matten Saat,
Hier reiften Trauben goldnen Rebensaft,
[4]
Hier blühten Blumen schöner, denn im Thal,
Hier blühten Menschen glücklicher, denn alle,
In schmerzenfreiem Erdenparadies.
Da trat in ihren Kreis die Schuld. Vernichtet
In Blitz und Donner ward ihr Glück, ihr Lenz
Ward ewger Winter, ihre Welt ein Grab —
Und bei der Winde Schweigen hört noch heut
Sich scheu bekreuzend der verirrte Jäger
Tief unterm Eis ein Winseln halb, halb Kläffen,
Wie's an der Leiche seines Herrn der Hund
Verhungernd heult.
In seltnen Stunden nur, wenn schon die Sonne
Im Westen sank, wenn erstes Dunkel schon
Rings zu den Thälern niedersteigt, erwacht
Zu zaubervoller Geisterherrlichkeit,
Was einst erstarb. Dann wandelt sich zu Purpur
Der Gipfel Schnee, und vor den Dörfern drunten
Versammelt staunend sich der Menschen Schaar
Und spricht vom Alpenglühn. Doch Keiner weiss,
Was hier geschieht; noch keine Kunde drang
Vom kurzen Fest der auferstandnen Schönheit
Den Menschen zu — denn wer in diesen Höhen
Den Abend sieht, sieht keinen Morgen mehr.

Die blaue Blume

[5]
Es pflagen einst drei Knaben
Der Ruh im Waldesraum.
Die Wipfel rauschten droben,
Da hat sie sacht umwoben
Der Schlaf mit einem Traum.
Im Traume sahn sie blühen
Die Blume himmelblau,
Von der die alten Geschichten
Der Wunder viel berichten;
Sie glänzte im Morgenthau.
Da fuhren aus dem Schlummer
Die Knaben allzumal.
Sie thäten sich trennen und suchen
Im Schatten der Tannen und Buchen,
Auf Bergen und im Thal.
[6]
Der Erste von den Dreien
War wohl ein Sonntagskind.
Er fand in hohler Weide
Ein Kästlein mit Geschmeide;
Das trug er heim geschwind.
Und liess ein Schloss sich bauen,
Und alles Land umher
Erscholl von seinem Ruhme. —
Der blauen Wunderblume
Gedacht' er nimmermehr.
Der Zweite statt der Blüthe
Ein nussbraun Mädel fand.
Umrauscht von grünen Zweigen
Ward sie im Wald sein eigen
Und gab ihm Herz und Hand.
Er führte seine Traute
Zum frohen Hochzeitsreihn
Und zeugte Mädel und Buben
Und baute Kohl und Ruben,
Liess Blume Blume sein.
Der Dritte, ach der Dritte
Kam nimmermehr nach Haus.
Er sucht die Blume noch heute,
Und sehen ihn die Leute,
So lachen sie ihn aus.

Los

[7]
Bei Wesselényi, dem Ungarbaron
Lud Kaiser Franz sich zu Gaste;
Die Tage verrauschten, die Nächte flohn
Bei Sang und Klang im Palaste.
„Ich fühle mich tief in deiner Schuld,
O sprich,“ anhebt der Gekrönte,
„Wie kann ich belohnen all die Huld,
So mir das Leben verschönte?“
„Hast du, gesalbeter König mein,
Mich gnädig ins Herz geschlossen,
Dann lass mich lenken den Wagen dein
Mit edeln ungrischen Rossen.“
[8]
„Wohlan,“ so lächelt der Greis, „wohlan!“
Da stürmt der Magnat von hinnen,
Anbraust er mit schneeigem Viergespann,
Den feurigen Lauf zu beginnen.
Gewoben hat das Brabanterland
Fürs bauschige Hemd die Spitzen,
Die Schulter umfliegt ein Schnurengewand,
Drauf Gold und Juwelen blitzen.
Am Krämpenhute die Schleifen lang,
Die Feder stolz sich reckend;
Es klirren die Sporen, zu Sturm und Drang
Ein ritterlich Herz erweckend.
Nun hat er die Zügel mit Macht erfasst,
Los, los! Ihm brennen die Wangen;
Doch bleiche Furcht ist dem hohen Gast
Hin über das Antlitz gangen.
„Mein edler Wirth, o dämpfe den Flug,“
So mahnt er, die Lippen zittern —
Vergebens! Beflügelter saust der Zug
Gleich Stürmen und Sommergewittern.
„Getrost, mein Gebieter! Mann und Ross
Sind heiss im Reich der Magyaren:
Wer leise schleicht, ist ein kühler Genoss,
Entreisst dich nie den Gefahren...“
Hinrasen im dumpferdonnernden Lauf
Die Hengste zum tückischen Weiher,
Da fliegen im Schilf gespenstig auf
Die Dommel, der Storch und der Reiher.
„Genug des entsetzlichen Spiels, genug,
Vasall mit der trotzigen Seele,
Genug, und wende sofort den Zug,
Ich will's! Vernimm! Ich befehle!“
Erschüttert des Mannes gestählten Sinn
Des Kaisers Noth und Beschwerde?
Nein! Lächelnd wirft er den Zügel hin,
Entfesselt nun völlig die Pferde.
[9]
Sie brausen in Hast dem Weiher zu —
Da stöhnt in bitteren Nöthen
Der greise Monarch: „So trachtest du,
Verräther, den König zu tödten?“
Nun — Jesus Maria — nun droht der Schwall
Den dampfenden Zug zu verschlingen —
Da lässt Wesselényi mit lautem Schall
Beschwörend den Pfiff erklingen.
Aufhorchen die Renner, stehn gebannt
Und scharren zahm mit dem Hufe,
Sie haben des Meisters Gebot erkannt,
Und folgen gewohnt dem Rufe.
Drauf hat sich der Lenker tief verneigt:
„Mein Fürst, und wolle vergeben!
Dir hab' ich im Bilde klar gezeigt
Magyarisches Walten und Weben.
Dir hab' ich gezeigt mit fester Hand,
Mein König, an diesen Vieren,
Wie du das gewaltige Ungarland
Begeistern musst und regieren.
Frei lass es gewähren, wie Gott es schuf,
So gestern, so heut und morgen,
Dann folgt es im Nu des Meisters Ruf,
Und Fürst und Volk sind geborgen!“

Ruhiges Herz

[10]
So silbergrau der Wolkenflor,
So silberweiss der See;
Hell wie ein Demant blitzt am Rohr
Ein Fischlein in die Höh.
Durch feuchte Wiesenblumen spinnt
Sich hügelan mein Pfad:
Kühl geht durchs junge Laub der Wind,
Kühl über See und Saat.
Kein Schatten und kein Sonnenblick
Auf Wald und Hügelkreis —
Es ist so recht, wie stilles Glück,
Davon man selbst nicht weiss.

Rococo

[11]
Fürwahr, ich liebe sie, die stolzen Avenüen,
Die Masken, die ihr Nass in weite Muscheln sprühen,
Indess der Strahl empor aus Tritons Backen steigt; —
Das Buchen-Labyrinth, Alleen ohne Ende,
Geschnitten nach der Kunst, in deren grüne Wände
Der alten Bäume Laub wie ein Gewölk sich neigt.
Die Schlösser lieb' ich auch — die seltsamen Façaden,
Mit Statuen, Festons und Muschelwerk beladen,
Auf die das Schieferdach mit schwerer Masse drückt; —
Die Essen hoch und schlank, die ausgeschweiften Giebel, —
Die Rampen ab und auf — die Reihen mächtger Kübel,
Drin der Orangenbaum mit Blüth und Frucht sich schmückt.
Doch nicht bei Sonnenschein, noch bei des Frühlings Wehen,
Wo Alles sich verjüngt, was kann, mag ich sie sehen:
Dann lächeln sie frivol, verbuhlten Alten gleich,
Die ihrer Runzeln Gelb mit Blüthenfarben decken
Doch kann die Schmink, es kann das Lächeln nicht verstecken,
Was ihnen Zeit gethan mit manchem Sensenstreich!
Nein, nicht bei Frühlingswind und nicht im Sonnenscheine, -
Am späten Nachmittag, im Herbst mag ich alleine
Durch die verfallne Pracht mit meinen Träumen gehn.
Wenn welkes Laub hintanzt in Gängen und auf Treppen,
Und niedrig drüber hin die düstern Wolken schleppen,
Dann träum' ich sie mir jung, dann sind sie wieder schön.
Dann reden sie mit mir von ihren guten Tagen;
Sie beichten manche Schuld, mit Reu — und mit Behagen:
Denn eine sündge Zeit, voll Trug und Schimmer war's!
Ein Märchen nur war Treu, ein Spielzeug war die Ehre;
Doch siegreich lächelte die Göttin von Cythere,
Und manch bepudert Haupt umkränzt' Apoll und Mars.
Dann mein' ich wieder auch die blanken Prachtkarossen,
Die Damen hochfrisirt, die zierlich drin verschlossen,
Wie eine heilige Pupp im gold-krystallnen Schrein, —
Ich meine sie zu sehn! Die Isabellenpferde,
Die Mähne bandgeschmückt — kaum rühren sie die Erde!
Die Pagen auf dem Tritt, bedeckt mit Stickerein!
[12]
Der Läufer fliegt voran mit Blumenhut und Schürze,
Als ob von Jovis Thron Merkur sich eilig stürze:
Der Schweizer salutirt mit goldbefranstem Speer.
Es drängen — eine Schaar erwachsner Amoretten —
Die Cavalier in Seid, in Puder und Manschetten
Sich um den Wagenschlag der Huldgöttinnen her.
Nun wandeln seh' ich sie dort zwischen den Orangen:
Der schwere Damast rauscht, es flattern die Fontangen,
Auf hohen Schuhen schwankt's ein wandelnd Malvenbeet.
Ein Neger trägt den Mops, den Schirm nach Japans Mode,
Und lispelnd declamirt die neuste Liebesode
Im schwarzen Mäntelchen ein geistlicher Poet.
Welch blitzende Bonmots! Welch Lachen und welch Kichern!
Welch schmachtend Girren dort, welch Schwören und Versichern! -
Der Herbstwind rauscht um mich und streut das braune Laub.
Verschwunden Lust und Pracht! Der Abend senkt sich dichter:
Kein Leben rings, als meins! Im Schlosse keine Lichter! —
Und Alles, was gelebt und leben wird, ist Staub!

Nächtliche Wanderung

Der Mond kommt spät. Er glotzt mir tief
Durchs Unterholz entgegen;
Sein Antlitz roth, verstört und schief,
Als kam' er von Trunk und Schlägen.
Ich weiss, es wird durch diesen Grund
Bei Nacht nicht gern gegangen,
Seit sich der alte Vagabund
An jener Kiefer gehangen.
Dort steht sie zackig im fahlen Licht:
Ich meint', ich war' schon weiter!
Sie sagen, man hätte den todten Wicht
Waldauswärts zum Begleiter,
Er ginge zur Seite, schlotternd und blau,
Just wie er sich gehangen;
Der Förster sagt's und die Wurzelfrau: —
Ich wollt', er kam' gegangen!
[13]
Ich weiss nicht, ob er Rede steht
Auf eines Lebendigen Fragen:
Er sollte, so lang er mit mir geht,
Von seinen Fahrten mir sagen!
Was ihn für ein Paar in die Welt gesetzt,
Was er versucht' und verübte,
Wer ihn verlockt, wer ihn gehetzt,
Und ob ihn je Was liebte
Von seinem guten und bösen Glück,
Von seinem Schweifen und Wandern
In diesem Leben, und nach dem Strick —
Gott gnad' ihm! — noch im andern!
— Die Hunde bellen im Dorf fernab,
Die Nacht ist still und öde;
Die Todten schlafen ruhig im Grab,
Die Todten stehn nicht Rede.

Wie die Kinder lesen

Saht ihr einmal — wie freilich solltet ihr!
Doch Schade drum, denn hold und lustig ist es! -
Wenn meine Kleine, siebzehn Monden alt,
In Vaters Büchern oder Briefen liest?
Wie sie das Ding schon so verständig anfasst,
Den Zeilen emsig mit dem Finger folgt,
Und ihren ganzen winzgen Wörtervorrath:
Papa, Mama, und Baba und Baubau
Mit ungemeiner Wichtigkeit und mit
Nicht mindrer Modulirung an den Mann bringt? -
(Denn, wie natürlich, kennt sie noch kein Jota!)
Und wir, die Eltern — lach' uns aus, wer mag!
Wir horchen, wie aufs Evangelium
Und sagen: „Ei, wie schön kann Eva lesen!“
Dann blickt sie stolz und glücklich zu uns auf.
Mir aber wird oft wunderlich dabei
Zu Muth — und auf dem Bänkchen neben ihr
Mein' ich ein ganzes grosses Publikum
In gleichem Lesewerk vertieft zu sehn;
Gar alt und hochgelahrte Männer drunter
(Auch, dass es Niemand übel nimmt, mich selbst,
[14]
Obwohl ich eben Keins von Beiden bin) —
Und halten tausend klein und grosse Bücher,
Nicht etwa Märchen und Romane nur,
Im Gegentheil! recht vollgewichtge Bände:
Der Künste Buch, wie das der Wissenschaft,
Den dicken grauen Tröster: „Weltgeschichte“,
Selbst jenes grösste — schwer nur klappt sich's auf! —
Das alte, das Natur betitelt ist: —
Und lesen ernst und laut einander vor
Und leiten zeilenweis sich mit den Fingern, —
Die Grössern nämlich — Kleinste hören zu, —
Doch Mancher, fürcht' ich, hält das Buch verkehrt.
Und A bis Z steht lustig auf den Köpfen.
Der grosse Vater aber, denk' ich mir,
Sieht lächelnd nieder auf die kleine Welt
Und streichelt manches kluge Lockenköpfchen,
Als spräch' er: „Wie das Kind schon lesen kann!“
Im Stillen aber sagt er: „Warte nur:
Nehm' ich dich einst aufs Knie und lehre dich,
Dann lernst du's anders!“

Vom „guten, alten“ Onkel

[15]
Er zählte schon in die vierzig Jahr,
Der Onkel, der „gute, alte“;
Er nahm sie aus der Geschwisterschaar,
Dass sie sein Haus verwalte,
Und Alles pries den edlen Mann,
Wie er sie väterlich halte.
Was Wunder, dass er ihr Herz gewann,
Der Onkel, der „gute, alte“!
Sie war so rosig und kerngesund,
Und konnte so reizend schmeicheln;
Er liess sich küssen von ihrem Mund
Und liess sich geduldig streicheln;
Wie weich sie wischte von seiner Stirn
Die böse, die Sorgenfalte!
Er hatte sie lieb, die „schmucke Dirn“,
Der Onkel, der „gute, alte“.
[16]
Sie durfte sich putzen nach Herzenslust
Er schenkte ihr Sammet und Seide;
Er schmückte des „Töchterchens“ junge Brust
Mit funkelndem Geschmeide.
Sie hing am Arm ihm überall;
Und kam der Winter, der kalte,
So ging er getreulich auf jeden Ball,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Nur eines sah er niemals gern,
Es machte ihn still und verdriesslich:
Das Seufzen und Schmachten junger Herrn,
Das fand er unerspriesslich.
Sie selber sprach, dass sie's für Wind
Und eitel Thorheit halte.
Er freute sich über sein „kluges Kind“,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Doch einst — der Mai kam just heran,
Die Luft war lenzestrunken —
Da ist sie mit einem jungen Mann
Vor ihm aufs Knie gesunken.
Sie flehten, dass sein Segenswort
Ihr dauernd Glück gestalte.
Wie stand er so erschrocken dort.
Der Onkel, der „gute, alte“!
Ein schöner Mann! Es sprühte sein Blick,
Es flössen so braun die Locken —
Wie konnte er gegen des „Kindes“ Glück
Sein ehrliches Herz verstocken
Bis in die Nacht beim perlenden Wein
Sein Lachen lustig schallte.
Dann schlugen die Thüren — er blieb allein,
Der Onkel, der „gute, alte“.
Er setzte sich an das Fenster sacht.
Die Nachtigallen sangen
Am Himmel ist des Mondes Pracht
Wohl auf und ab gegangen.
Er wischte die Augen — vergebne Müh
Das Herz im Leib ihm wallte —
So sass er stumm bis morgens früh.
Der Onkel, der „gute, alte“.

Im Kinderparadies

[17]

Schlechtes Wetter

Liese, es regnet Seile;
Ich sterbe vor Langerweile.
Ich glaube, die Blasen schwimmen dort —
Jetzt regnet's vier Wochen immer so fort.
Ich sollte der liebe Gott mal sein!
Da gäb' es Regen bloss bei Nacht,
Und immer wär' es Sonnenschein,
Wann ich im Bett wär' aufgewacht.

Der Traum

Es war ein niedlich Zeiselein,
Das träumte Nachts im Mondenschein:
Es sah' am Himmel Stern bei Stern,
Davon wär' jeder ein Hirsekern,
Und als es geflogen himmelauf,
Da pickte das Zeislein die Sterne auf.
Piep —
Wie war das im Traume so lieb!
Und als die Sonne beschien den Baum,
Erwachte das Zeislein von seinem Traum.
Es wetzte das Schnäbelchen her und hin,
Und sprach verwundert in seinem Sinn:
„Nun hab' ich gepickt die ganze Nacht,
Und bin doch so hungrig aufgewacht!
Ping -
Das ist mir ein närrisches Ding!“

Mirza Schaffy

[18]

1.

Ich liebe, die mich lieben
Und hasse, die mich hassen —
So hab ich's stets getrieben
Und will davon nicht lassen.
Dem Mann von Kraft und Muthe
Gilt dieses als das Rechte:
Das Gute für das Gute,
Das Schlechte für das Schlechte!
[19]
Man liebt was gut und wacker,
Man kost der Schönheit Wange,
Man pflegt die Saat im Acker —
Doch man zertritt die Schlange.
Unbill an Ehr und Leibe
Verzeihet nur der Schwache —
Die Milde ziemt dem Weibe,
Dem Manne ziemt die Rache!

2.

Höre, was der Volksmund spricht:
Wer die Wahrheit liebt, der muss
Schon sein Pferd am Zügel haben -
Wer die Wahrheit denkt, der muss
Schon den Fuss im Bügel haben -
Wer die Wahrheit spricht, der muss
Statt der Arme Flügel haben -
Und doch singt Mirza-Schaffy:
Wer da lügt, muss Prügel haben!

3.

Aus dem Feuerquell des Weines,
Aus dem Zaubergrund des Bechers
Sprudelt Gift und süsse Labung,
Sprudelt Schönes und — Gemeines:
Nach dem eignen Werth des Zechers,
Nach des Trinkenden Begabung!
In Gemeinheit tief versunken,
Liegt der Thor vom Rausch bemeistert;
Wenn er trinkt — wird er betrunken,
Trinken wir — sind wir begeistert!
Sprühen hohe Witzesfunken,
Reden wie mit Engelzungen,
Und von Gluth sind wir durchdrungen.
Und von Schönheit sind wir trunken!
Denn es gleicht der Wein dem Regen,
Der im Schmutze selbst zu Schmutz wird -
Doch auf gutem Acker Segen
Bringt und Jedermann zu Nutz wird!

4.

[20]
Die Rose auch, die farbenprächtge,
Kann nicht der Erde Schmutz entbehren, —
Die Nachtigall, die liedesmächtge,
Muss sich von schlechten Würmern nähren!
Und steigen auch in der Jahre Lauf,
Wenn der Tag des Lebens vollbracht ist,
Erinnerungen gleich Sternen auf:
Sie zeigen nur, dass es Nacht ist! ...
Ganz freudlos geht kein Mensch durch diese Welt,
Wie Wenige dauernd glücklich auch zu preisen:
Selbst wer kein Erdenglück für möglich hält,
Hat seine Freude dran, dies zu beweisen.

Nach dem Gewitter

Erst eben Donnergerolle
In flammender Wolkenschlacht,
Und nun die zaubervolle
Selige Stille der Nacht!
Es flohen die Ruhestörer
Des Tages vor ihr hin,
Wie die besiegten Empörer
Vor ihrer Königin.
Hell schwimmt im Wasserspiegel
Der ganze Himmelsdom —
Es drückt sein Sternensiegel
Der Himmel auf den Strom.
Nur matt am Himmelssaume
Leuchtet's noch ab und zu,
Wie sich der Geist im Traume
Noch regt in Schlafesruh.

De krank saen

[21]
Hir, More! hir is goa ken Tog;
Hir achte schint de Sünn
Grar as in Mai so wanning noch,
Dat's noch nich lat, — du west dat noch,
Wu girn ick buten bün.
Grar hir bi lins oll Immenschur,
Wenn'k doa so sitt un denk,
Un't summst so dichting voer min Ur
Dat stimmt so recht to min Natur, —
Doa stell man hen de Bänk
De Kirch voerbi un Kirchhoff kann'k
Mi doa so wit ümsen,
De grote Wisch un Schapdrift lank,
De hei dep Grund noch aw un mank
De Hellbarg beir de Se'n.
[22]
Denn wad mi goa to schoen to Mod,
As wir ken Hoar mi krümmt, —
Ick denk denn goa nich an den Dot,
Ick men denn, all wad werre got,
Noch ir de Winte kümmt.
Un wenn de Sünn denn depe stiggt
Un geit to Rüst doa still,
Denn wad mi as sonn Vagel licht,
De grar sin irst Swunkferrern kriggt,
Un se vesoeken will. —

Nun nimm mich hin zu eigen ganz und gar

„Nun nimm mich hin zu eigen ganz und gar,
Nun werd' ich bis ins Grab dir folgen müssen!“
Der Ton der Stimme klang so hoffnungsleer,
Als ob ihr junges Herz gesprungen wär';
Sie wehrte heftig seinen wilden Küssen.
In seine Locken barg sie ihr Gesicht,
Und eine Thräne fiel auf seine Schläfe,
Ihm war's, sie brenne das Gehirn ihm wund,
Als ob aus ihres Herzens tiefstem Grund
Ein Tropfen Blutes seine Seele träfe.

Noth

[23]
All euer girrendes Herzeleid
Thut lange nicht so weh,
Wie Winterkälte im dünnen Kleid,
Die blossen Füsse im Schnee.
All eure romantische Seelennoth
Schafft nicht so herbe Pein,
Wie ohne Dach und ohne Brod
Sich betten auf einen Stein.

Im Concert

Die traurige Kindheit,
Des Vaters Tod,
Der Jugend Blindheit,
Die herbe Noth,
Die Wintertage,
Das dünne Kleid,
Die Sorg und Plage,
Das Seelenleid ...
[24]
Die Gleichgültigkeit,
Die schwer wie Erz,
Die schmerzlose Zeit —
Die mehr als Schmerz ...
Das Alles wogte
Wieder vorbei,
Mit leisem Schluchzen
Und dumpfem Schrei,
Als deine Hand
Durch die Saiten glitt —
— — — — — —
Oh wie ich litt! —

Auf dem Krankenbett

Es pfeift der Wind sein frostig Lied,
Und eiserstarrte Tropfen
Wirft klirrend an die Scheiben er,
Die Kranken wach zu klopfen.
Die alte Frau an meinem Bett
Nickt müd, in Schlaf versunken,
Die Kohlen im Kamine sprühn
Bei jedem Windstoss Funken.
Aufhorchend knurrt der kleine Hund,
Um ächzend fortzuträumen,
Das Lampenlicht spielt flackernd roth
Mit der Tapete Bäumen.
Der nackten Göttin weisses Bild
Lacht höhnisch auf mich nieder.
Es pfeift der Wind — Gedanken ziehn. —
Ich find' den Schlaf nicht wieder.

Am Teich

Ich kenne dich, du schwarzer Teich,
Genau weiss ich den Tag,
Als eine Todte still und bleich
An deinem Rande lag;
Und als der Pöbel scheu und stumm
Sich langsam nahte dir
Und abergläubig, feig und dumm
Bekreuzte sich vor ihr;
[25]
Als eine Hand den schönen Leib
Mit Haken an sich riss —
Der rohe Hauf das todte Weib
Ein gottverdammtes hiess. —
Das starre Antlitz, hold und bleich,
Schaut' ich so manche Nacht,
In schwarzen Stunden, schwarzer Teich,
Hab' oft ich dein gedacht.

Haltlos

Moderne Zigeuner,
Wüste Gesellen,
Vagabunden des Lebens.
Die ringen
Und suchen —
Doch immer vergebens!
Einsame grosse Kinder
Mit halbem Wissen,
Todtkrankem Herzen —
Und immer hinaus, immer weiter!
Nach aussen keck,
Nach innen verjammert.
Den Rücken zerschlagen von der Hand,
An die sie vertrauend sich geklammert!

Vagabundenbilder

1.

Was fragst du den Mann
Nach Heimath und Haus?
Er hat sie nicht —
Du horchest nach Vater
Und Mutter ihn aus,
Er kennt sie nicht.
Was fragst du den Mann
Nach Kind und nach Weib?
Er klagt doch nicht,
Dass sie ihn verliess
Mit Seele und Leib
Um einen Wicht ...
[26]
Was fragst du den Mann
Nach seinem Gott?
Er suchte Licht! —
Warum blieb es dunkel
In Elend und Spott?
Er weiss es nicht. — —

2.

Es zittert schon die Bretterwand,
Trompetenlärm erschallt,
Ein Bube glättet rasch den Sand,
He hopp! — die Peitsche knallt.
Da jagt herein auf schwarzem Ross
Ein Weib mit keckem Gruss,
Den braunen Arm und Nacken bloss,
Entblösst den braunen Fuss.
Die Castagnetten klappern wild,
Es dröhnt das Tamburin,
Wie ein belebtes Broncebild
Tanzt die Zigeunerin.
He hopp! — der heisse Tanz ist aus,
Sie gleitet rasch zur Erd,
Mit wildem Sprung ins dünne Haus
Eilt hastig Weib und Pferd.
Im Zelt hockt sie auf Sammt und Stroh,
Legt Karten in die Rund,
Sie ist nicht traurig — ist nicht froh,
Peitscht gähnend Ross und Hund ...

3.

Gleich einem Feeenkind ist sie gehüllt
In weisser Spitzen kostbar-leichte Flocken,
Von Diamanten strahlen Arm und Locken,
Ihr Wesen ist von banger Scheu erfüllt. —
Sie schaut so ängstlich, zerrt an ihrem Kleid
Und singt das Herz dir krank im jungen Leibe,
Ein Dämon, wähnst du, singt aus diesem Weibe,
Ein Dämon oder wahres Seelenleid — — —
— — — — — — — — — — —
[27]
Wenn sie die grossen, dunklen Augen schliesst,
Von ihren Lippen matt die Töne beben,
Allmählich schwellend ihrer Brust entschweben,
Wenn sie das grelle Lampenlicht vergisst,
Wenn sie aufjubelt wie die Nachtigall,
Wenn Harfenklänge wehen durch ihr Singen,
Wenn schmerzdurchglüht sich aus der Seele ringen
Die scharfen Laute einer wilden Qual —
Und wenn sie dann, wie aus dem Traum erwacht,
Erstaunt und langsam aufschlägt ihre Augen,
Die Blicke sich an eine Stelle saugen,
Wenn sie aufathmet, wenn sie kindlich lacht,
Wenn ihre Hände, zagend und verwirrt,
Von einem Kranze zu dem andern langen.
Und wenn sie endlich zitternd und befangen
Mit einer Rose schlicht ihr Mieder ziert.
Wenn sie sich neigt gleich einem Heiligenbild,
Gesenkten Hauptes, mit demüthgem Lauschen,
Die Beifallsfluthen lässt vorüberrauschen,
Dann kannst du glauben, dass sie — gut gespielt. — —

Ein Balg

Die alte Frau hat ein hartes Gesicht,
Doch kluge sanfte Augen,
Die wenig mehr beim Pfenniglicht
Und nicht zum Weinen taugen.
Sie war ein Balg ... Als Findelkind
Verlassner als die Armen,
Bat weder Herren noch Gesind
Um Futter und Erbarmen.
Sie griff fest zu und schaffte stramm
Wie ehrbar-ernste Leute,
Dass nie sie Unverdientes nahm,
Erfreut das Weib noch heute.
Sie zeigt auch jetzt mit Bauernstolz
Erdarbte Thalerscheine
„Die sind mein unverbranntesHolz,
Meine ungetrunknenWeine ...
[28]
Die sind mein ungegessenesBrod,
Auf jedem steht geschrieben:
Ein Alter ohne Schand und Noth ...
Und was mir Gott schuldig geblieben.“

Aus dem Cyclus: Fünf Treppen hoch

1.

Mir wird zu Muth, als sässen plötzlich wir
In jenem Hause bei den guten Menschen,
Als wären wieder Beide wir daheim
Und hätten niemals, niemals uns verlassen. ...
Siehst du, da steht das Haus, und auf dem Sims
Da schnäbeln, drehen, zieren sich die Tauben;
Die Schwalben schiessen zwitschernd hin und her,
Und auf dem Schornstein zanken sich die Spatzen.
Die kleinen Zicklein machen tolle Sprünge
Rund um den Haushund mit dem Zottelpelz,
Der vor der Thür liegt und sich heiser bellt,
Wenn Vagabundenvolk des Weges kommt.
Die schwarze Henne trippelt rufend, glucksend,
Von einer flaumgen Küchleinschaar umgeben.
Vorsichtig durch den Hof.
Und erst die Bäume! ... Die breite alte Linde,
Der Fliederstrauch, der seine vollen Zweige
Bis an das Dach des niedern Hauses streckt
Und mit den blauen Blüthenbüscheln leise
Im Winde an die schmalen Scheiben pocht.
Die Schlehenhecken, die den Garten säumen,
Vermengt mit manchem wilden Rosenstrauch.
Die rothen Hagebutten und die blauen Schlehen,
Die gaben, aufgereiht an alte Wollenfäden,
Gar kösthches Geschmeide für dich einst. —
Und draussen vor dem Zaune rechts und links,
Da stehen bei dem morschen Gitterthor
Die beiden steifen, schattenlosen Pappeln,
Die immer staubbedeckt und ängstlich scheinen,
Weil niemals frisches Grün die Blätter schmückt,
Und stets ein Zittern durch die Zweige irrt.
Doch nun hinein in unser altes Häuschen ...
Statt einer Flur hat es die grosse Küche,
An beiden Seiten sind zwei Stuben nur,
[29]
Die geben Raum für karges Hausgeräthe,
Der grüne Ofen mit der plumpen Bank,
Der schwere Tisch mit festgefügten Bänken,
Darüber dann in einer Fensterecke
Mit Tannenreis umkränzte Heiligenbilder,
Das Messingherz mit blanken Flügeln dran
Und mitten drin das rothe Seelenlämpchen,
Das grobgeschnitzte Bettgestell voll hoher Kissen,
Die buntbemalte Truhe mit dem Sonntagsstaat . .
Das Alles steht vor mir bekannt und lieb.
Als war' ich dort gewesen all die Tage. ...
Ganz unterm Dache aber steckt ein Stübchen,
In dem Nichts steht als nur ein Kinderbett.
Ein schläferiges Mägdlein knieet dort,
Das folgsam seine schmalen Hände faltet
Und mühsam nachlallt, was die alte Frau
— Mit ihrem Wackelkinn und tausend Runzeln —
Ihm vorspricht, jedes lange Wort betonend,
Als müsse Gott das ganz besonders hören.
Am Fenster lehnt ein Mann mit weissem Haar
Und ernsten, starken, aber gütigen Zügen.
Er regt die Lippen nicht, er betet leise,
Und seine rauhe schwielenvolle Hand
Legt federleicht er auf des Kindes Köpfchen,
Als übermannt vom Schlaf es flüsternd umsinkt.
Und tiefe Athemzüge durch das Stübchen wehn...

2.

Ganz eingerahmt in weichem Flaum
Sind heute unsre Scheiben,
Ich sehe durch die Lücken kaum
Das wirre Flockentreiben.
Der Thurm hat eine Mütze auf,
Schneeweiss, und Edelsteine
Umglitzern ihn bis an den Knauf
Im Wintersonnenscheine.
So guckt er freundlich aus der Fern
In unser Nest, das warme.
Als freute auch den alten Herrn
Das Kind in deinem Arme.

Schlichte Weisen

[30]

1.

Wer da sieht die Augen dein, wird gut werden müssen,
Fleisch und Blut fällt ihm nicht ein, denket nicht ans Küssen,
Aber an den Himmel gern mahnt's ihn mit Verlangen,
Oder an den Abendstern, wie er kommt gegangen,
Oder an den Morgenthau, oder eine alte Weise,
Die seine Mutter, die gute Frau, sang in der Dämmrung leise.

2.

Ach Gott, wie soll ich singen, wie lieb mein Schatz mir war,
Ich hab sie sehen bringen auf einer Todtenbahr.
Und will ich nun gedenken ihrer Finger weiss und fein,
Fällt mir mit vielem Kränken ihr weisses Bahrtuch ein.
Will durch den Sinn mir gehen ihrer Wangen rother Duft,
Muss ich die Rosen sehen, die stehn auf ihrer Gruft! —

Brigitte

[31]
Im alten, braunen Giebelhaus,
Da sind viel stille Gänge,
Da weicht man schwer einander aus,
Denn sie sind allzu enge:
An Einen Gang, den Speichergang,
Gedenk' ich all mein Leben lang.
Da riecht es süss von Obst und fein,
's ist ein verschwiegen Plätzlein,
Am Simse liegt im Sonnenschein
Und schnurrt das weisse Kätzlein,
Und an der Wand ist blank und braun
Viel Holzgetäfelwerk zu schaun.
Ich kam hinauf von ungefähr:
Da hört' ich leichte Tritte,
Vom Speicher kommt es klirrend her:
„Seid Ihr's, Jungfrau Brigitte?
Wie tragt Ihr schwer in jeder Hand?
Dazu solch grosses Schlüsselband?“
„Ei, lasst mich nur geschwind vorbei,
Der Vater hat's befohlen,
Obst soll ich aus der Kämmerei
Und Wein vom Keller holen.
Ein Herr vom Rath hält unten Rast,
Und der ist unser Vespergast.“
„Ach, viel zu voll ist Euer Krug,
Lasst trinken mich ein Schlücklein,
Des Obstes habt Ihr schwer genug,
O schenkt mir auch ein Stücklein,
Und bis das nicht nach Wunsch geschehn,
Lass' ich Euch nicht vorübergehn.“
Da hielt die kleine Blonde still
Und seufzte loser Weise
„So nehm' Er sich denn, was Er will,
Doch nehm' Er's rasch und leise! —
Das hat der Maurer schlecht bedacht,
Der diesen Gang so eng gemacht.“
[32]
Der Vater rief — die Kleine lief,
Die blonden Zöpfe wehen,
Das weisse Kätzlein aber schlief
Und hatte nichts gesehen.
Ich ging auf meine Kammer sacht,
Und habe dieses Lied gemacht.

Der Tod

Einst sass ich, ein Kind mit der alten Amme,
Allein in dem öden, geräumigen Haus, —
Es brannte spärlich am Herde die Flamme, —
Um die Mauern heulte Novemberbraus.
Durch den Nussbaum fuhr's wie tausend Gespenster,
Der Sturm bog seufzend die Äste schwank, —
Den kalten Regen schlug er ans Fenster
Und der entblätterten Rebe Gerank.
Ängstlich im Käfig flattert' der Zeisig, —
Die Wanduhr stand, — schwer hing das Gewicht,
Die Ampel erlosch, — am Herde der Reisig
Warf ins Gemach ein flackerndes Licht, —
Ich lauschte stille — mit banger Geberde —
Hielt enge mich fest an der Alten Gewand,
Sie betete leis — da war am Herde
Die Flamme mählich herabgebrannt —
Nun räumte sie weg die verkohlten Brände —
Nur an einem glomm noch ein Funke roth, —
Und knisterte noch — und erlosch am Ende —
Da sagte sie: Kind, sieh, so ist der Tod. —
Sie ist selber lang gestorben indessen,
Längst zog von dem alten Haus ich fort:
Doch werd' ich mein Lebtag nimmer vergessen
Die schaurige Stunde, das schaurige Wort.

Die Mette von Marienburg

1.

„Nachtlockiges Weib, jagellonisches Blut,
So siegte doch endlich die süsse Gluth!
Lang blieb ihr verhasst der Deutsche, der Fremde,
Mit dem weissen Mantel auf schuppigem Hemde:
Doch endlich ward sie inne
Der siegenden Frau Minne,
[33]
Dass sie mir freudge Botschaft schrieb
„„0, komme, so wahr dir dein Leben lieb,
In der Christnacht auf Podol, mein Schloss.““
Nun, Greif, mein Rappe, mein wackres Ross,
Die schöne Feindin soll nicht warten!“
Und er zieht geheim in den Burgwallgarten
Am Zügel das leise wiehernde Thier:
„Schweig, trauter Greif, das rath ich dir!
Wenn uns die Gebietger erlauschten, die frommen,
Wir würden in sichern Verwahr genommen
Und wir flögen wohl niemals wieder, wir beide.
Auf Minnefahrt durch Wald und Heide.“
Und sacht und rasch auf beschneitem Rasen
Führt er das Ross an die Ausfall-Pforte:
„Still, alter Hans, keine Predigt-Worte
Willst du vielleicht das Lärmhorn blasen
Und den Priestern deinen jungen Herrn
Verrathen, dass sie ihn fahn und sperrn
Sein Leben lang zu Brod und Wasser,
Die gottseligen Burgunder-Prasser“!
Da lachte Hans, dann sprach er ernst:
„Dass du doch niemals Sitte lernst!
O lieber Falk, mein Junker werth,
Weit ist gerühmt dein rasches Schwert:
Jedoch du lässt nicht von der Minne!
Die frommt dem Deutschherrn-Ritter nicht!
Wohin stehn dir heut Nacht die Sinne,
Heut Nacht, da heilige Christenpflicht
Uns alle ruft zur Mittnacht-Mette?“
„Auf, Hans, rasch fort die Riegelkette!
Vielschönes Weib berief mich heiss!“
„Die Nogath geht in Trümmereis!“ —
„Greif schwimmt gleich einem Neckarhecht!“
„Im Weichsel-Walde fährt sich's schlecht:
Dort rennen rudelweis die Wölfe.“
[34]
„Nicht fürcht' ich ihrer zehn und zwölfe!“
„Im Tanne von Podol verhohlen
Masuren bergen sich und Polen.“
„Gleich ihren Wölfen acht' ich sie:
Zwölf gegen einen fürcht' ich nie!
Rasch auf das Thürlein! Greif, nun lauf:
Frau Aventiure, nimm mich auf!“ —

2.

„Gesteh, du wilder, geliebter Mann,
Ob Zauber dir mein Herz gewann?
Du bist wie Sturm und Glut und Gewitter,
Bist heisser, als all die blonden Ritter,
Bist markger, als die Polenknaben:
Aus deinen dunklen Augen und Locken
Sprüht's und knistert's wie Feuerflocken,
Du bist wie Gold und Stahl und Flamme“ —
„Schön Lieb, das rührt von meinem Stamme!
Ich bin vom freudgen Volk der Schwaben,
Ich bin aus Deutschlands wonngem Süd,
Wo heisser Blut und Minne glüht!
Wer suchte wohl den Falk von Stauf
Heut Nacht bei schön Lodoiska auf!“
„Wie kamst du in den frommen Orden?“
„Der Heimath war ich urdrüss worden:
Mein Schwert schlief ein auf leichten Siegen:
Da drang der Ruf ins Neckarland:
— „„Die deutschen Herrn erliegen!
Marienburg wird heiss berannt,
Sie schüttelt kaum vom Nacken
Die Wölfe, die Polacken,
Und Tag um Tag tobt grimmes Morden.““
Da dacht ich: „Falk, flieg aus nach Norden.“
So trat ich in den frommen Orden:
Traun, nicht fürs Werk der Pfaffen,
Fürs freudge Werk der Waffen.“
[35]
„So magst du leichtern Herzens hören,
Was ich erst jetzt enthüllen kann:
Du wirst den Plan nicht mehr zerstören,
Der meinem Volk den Sieg gewann:
Als ich dich sterben sollte wissen,
Da ward mein Lieben grell mir klar:
Geliebter Mann, dich hat entrissen
Lodoiska sichrer Todgefahr:
Weisst du, weshalb ich dich beschworen
Heut aus Marienburg hieher?
All deine Brüder sind verloren,
Sie schaun den nächsten Tag nicht mehr!
Verrath erschliesst das Nogath-Thor
Beim letzten Schlag der Mitternacht:
Sechstausend Polen stehn davor:
Was drinnen lebt wird umgebracht.
So siegt mein Volk — die Deutschen fallen:-
Doch du, der Einzge, sollst von Allen,
Du wilder Edelfalke mein,
Durch mich, für mich gerettet sein:
Ich liebe dich! Komm an mein Herz“ —
Auf fuhr der Stauf in Schreck und Schmerz:
„Marienburg! der Brüder Leben!
Gott, Flügel musst du jetzt mir geben!“
Und eh die Polin sich's versehn,
War schon der kühne Sprung geschehn
Vom Erkerfenster in den Schnee:
„Jetzt renne, Greif! sonst, ewig: Weh!“

3.

Den Nacken gesenkt, die Zügel verhängt,
Durch die Nacht kommt der rasende Reiter gesprengt.
Längst liess er die Strasse, verlor er den Pfad,
Nach Süden, nach Süden nur pfeilgerad!
Über der Heiden endlos Weiss,
Über der Bäche krachendes Eis,
[36]
Über die Schluchten von mürbem Schnee,
Über den spiegelglatten See,
Hinab die Halden, hinan die Hügel
Trägt ihn das Ross wie Adlerflügel:
Die Dornen reissen im heissen Hetzen
Vom flatternden, weissen Mantel Fetzen!
Schon gewann er den dichten Wald von Podol:
Zu seinen Häupten lacht es hohl:—
Das sind in den Föhrenwipfeln die Eulen.
Doch näher und immer näher heulen
Die Wölfe zur Rechten, die Wölfe zur Linken:
Dem Rappen wollen die Kniee sinken,
Es schnaubt, es zittert das edle Thier:
„Greif, Freund Greif, nicht bange dir:
Halt aus, halt aus! es gilt viel mehr,
Als unser Leben: es gilt die Ehr!
Lass sie nur kommen, die Hunde, die feigen:
Ich will ihnen schwäbisches Eisen zeigen.“
Und er klopft ihm den Hals — ausgreift das Ross —:
Doch nah schon rennt der heulende Tross:
Zur Linken, zur Rechten sieht er sie jagen,
Doch den Ansprung will keiner wagen:
Herr Stauf zieht jetzt sein breites Messer:
Er schwingt's im MondHcht — das scheucht sie besser:
Aber die Eine, die Wölfin, die magre,
Die graue, die grosse, die hungrige, hagre,
Reisst endlich hin die lechzende Gier:
Sie springt auf den Bug dem schnaubenden Thier: —
Da fährt durch die Gurgel ihr scharfer Stahl,
Und die Sterbende schleudert Herr Falk zur Erde —
Und sofort sie zerfleischen die andern zumal
Und lassen vom Reiter und seinem Pferde. —
Der weisse Mantel ward blutig roth:
„Vorüber, Freund Greif, die Wolfes-Noth!“
Aus dem Tann in das Freie jagt der Stauf: —
Was stutzt der Rappe? was hält ihn auf?
Vor ihnen welch Gurgeln! der Mond tritt grell
Aus dunklem Gewölk: er leuchtet hell!
Und ringsum kracht's und knistert und dröhnt:
Die Nogath ist's, die im Eisgang stöhnt!
[37]
Im Strahl des Monds, weiss, grün und grau,
Wogt Wasser und Eis — welch grimme Schau!
Bald Fluthen schwarz wie Todesnacht,
Bald Eisgezack kristallner Pracht:
Es rauscht, es knirscht, es zieht, es kracht: — —
Falk spornt das Ross: doch der treue Greif,
Er sperrt sich todesbang und steif:
Die Vorderfüsse vorgestemmt,
Den Hinterbug zurückgehemmt.
Die Mähne weht kopfüber wirr, —
So starrt er in das Eisgeklirr;
In die dunkle Fluth, in den kalten Wind: — —
„Greif aus, mein Greif, geschwind, geschwind!
Schwimm durch! schwimm durch: es gilt viel mehr.
Als unser Leben! es gilt die Ehr!
Nun spring und schwimm! es muss, es muss!“
Und in den eisigen, grollenden Fluss
Setzt der Rappe mit edlem Schwung:
Er springt und watet und schreitet und klimmt
Ans Ufer, ans steile, mit sichrem Sprung!
Da grüsset schon — das ist kein Stern!-
Das Licht Marienburgs von fern,
Das rothe Licht vom Remterthurm!—
Doch vor der Burg, wie ein ringelnder Wurm,
Was kauert und schleichet und lauert dort?
„Halt, Reiter, gieb das Losungswort!“
So ruft's in zischelndem Slaventon!—
„Der Teufel ist's, du Wolfessohn,
Der Teufel kömmt euch holen,
Ihr gottverfluchten Polen!“
So ruft Herr Falk und jagt vorbei:
Da hallt ein halb verhaltner Schrei
„Nach, nach! mit allen Rossen!
Mit sausenden Geschossen,
Doch leis, dass von der Zinne
Man unser wird nicht inne.“
Und hinter dem keuchenden, schäumenden Rappen
Die kleinen polnischen Hufe klappen:
[38]
Und verräth der Mond den weissmantligen Reiter,
Dann schwirren die Pfeile: weit und weiter
Schon jagt er voraus: — noch einmal ein Schwarm
Von Geschossen auf Schulter und Rücken und Arm: —
Da hält er auch schon vor dem Nogath-Thor:
Todt stürzt das Ross: — aus dem Sattel empor
Der Reiter springt und mit letzter Kraft
Schlägt er ans Thor das Schwert mit Macht,
Ein-, zweimal, drei: — und geisterhaft
Anschlägt die Glocke Mitternacht.
Er ruft: „Verrath! auf! auf!
Euch Brüder warnt der Stauf,
Lasst jetzt Gebet und Metten,
Das Leben gilt's zu retten!
Verrath! erschhesst das Nogath-Thor —
Beim letzten Schlag der Mitternacht —
Sechstausend Polen stehn davor —
Ich kann nicht mehr — es ist — vollbracht!“
Ein lauter Hornruf scholl vom Wall,
Rings Fackeln, Waffen überall:
Bald brachen wie Gewitter
Hervor die deutschen Ritter,
Die Polen flohn mit Eilen: —
Doch todt, mit sieben Pfeilen,
Hob man den Warner auf,
Den Schwaben Falk von Stauf!

Du verwaistes Haus erfüllst mich mit Graus

[39]
Du verwaistes Haus erfüllst mich mit Graus,
Seit die Liebste mir entfloh;
Ich blicke hinaus in der Wogen Gebraus,
Und mein Herz wird nimmer froh,
Mein treues Herz, dem es nicht gelingt
Zu denken an neues Glück —
Und die Brandung bringt, und die Brandung bringt
Mir keine Hoffnung zurück.
Nur an dich gedacht, nur für dich gewacht.
Und allein nun in Finsterniss!
O tiefe Nacht, seit der Hölle Macht
Dich meinen Armen entriss!
Ich rufe, seit zwischen uns rauscht das Meer,
Ich rufe dich überall,
Doch mein Haus ist leer, doch mein Haus ist leer,
Und trostlos der Wiederhall.
Ob die Sonne scheint, ob der Himmel weint,
Mich verfolgt dein bleiches Gesicht;
Dass wir innig vereint, du hast es verneint,
Und meine Folter sahst du nicht.
Doch mir, der ich deine Folter sah,
Du verirrtes, verscheuchtes Kind,
Geht nur Eines nah, geht nur Eines nah:
Dass wir Beide verloren sind.—

Das Märchen vom Glück

[41]
Sie sind allein, denn die Mutter kehrt
Zu Nacht erst vom Felde zurück....
Durchs Fenster rauschet die Linde, -
Und die Alte erzählt dem Kinde
Das sonnige Märchen vom Glück.
Sie erzählt vom verwunschenen Königssohn
Und von der boshaft grollenden Fee;
Vom Schloss am Felsenstrande,
Vom wilden Wogenbrande,
Und der Fischerhütte am See.
Und der Prinz vertrauerte Jahr um Jahr
Als Schlange im dumpfen Grund...
Er wand sich in güldenen Ketten, -
Ein Kuss nur konnte ihn retten,
Ein Kuss von rosigem Mund.
[41]
Des Fischers liebliches Töchterlein
Trug hohen, herrlichen Sinn.
Sie sprengte die Ketten von Golde:
Er aber machte die Holde
Zu seiner Königin!
Grossmutter schweigt, und das Spinnrad schnurrt,
Und das Mägdlein sitzt wie gebannt;
Und es faltet die Hände im Schoosse,
Und heftet das Auge, das grosse,
Starr träumend an die Wand.
Grossmutter, wie schön, o wie einzig schön!
Grossmutter, o wäre das wahr!
Grossmutter, mir würde nicht bange -
Wie gerne umarmt' ich die Schlange,
Trotz Schauer und Todesgefahr!...
Warum hat man das Alles erdacht,
Wenn's nie sich auf Erden begab?...
Mir wird in der Seele so wehe,
Wie in des Kirchhofs Nähe,
Wie vor des Vaters Grab!...
Sei stark, du zittriges Kinderherz,
Und dränge die Thränen zurück!
Uns Alle hat es belogen,
Uns Alle hat es betrogen,
Das sonnige Märchen vom Glück.

Mittag

[42]
Ich komme des Wegs um die Mittagszeit,
Es schlafen die Geister im grünen Kleid,
Es schlafen die Blumen, es schläft die Luft,
Sanft geht der Bach, der Vogel ruft.
Der Himmel so blau, die Ferne so weiss,
Und die Sonne so heiss.
Mit Beute beladen zieh' ich her,
Die Augen zu schläft mein Gewehr,
Ich selber träume und frage mich:
Bist du's, bist du's? Sprich, o sprich!
Ich kann nicht sprechen, der Laut versagt,
Hab's nicht gewagt.
Wer geht mit mir, wer flüstert mir zu?
Wer stört die Stille, bricht die Ruh?
Mein Freund ja liegt im stummen Grab,
Seine Stimme ich gehöret hab' —
Hab' mich verirret um Mittagszeit
In der Einsamkeit.

Lied

[43]
Getaucht in tiefe Purpurgluth
Der Himmel, das Land, der See —
Nun flimmert Mondlicht, Sternenschein,
Seit ich am Ufer steh'.
Ihr, Menschen, glückliche genannt,
Sinkt solchem Abend gleich,
Der sanft in silberne Nacht zerrinnt,
Zur Ruh ins Schattenreich!

Der Winter

Es stürzt der Bach, es starrt der Fels,
Am hohen Zweige schwankt der Rab -
In schweren, weissen Flocken
Sinkt still der Himmel herab.
So feeenhaft, so heimlich fremd,
So sonderbar ist's rings umher,
Ich komme von den Bergen,
Die Kugel im Gewehr.
Ich weiss nicht, wie zu Muth mir wird,
So kindlich und so feierlich,
So festlich stehn die Tannen,
Kein Lüftchen reget sich.
Ich frage, wird es schöner sein,
Wenn laut im Wald der Lenz erwacht,
Wenn duftge Kräuter spriessen,
Und blau der Himmel lacht?
Wenn Wanderlust das Thal durchrauscht,
Die Axt erklingt, das Tagwerk schallt,
Und dieser weisse Frieden
Verschwunden aus dem Wald?

Menschenleben

[44]
Die Wellen eilen wohl zum Meer
Und keine kehret wieder her;
Doch auf den Fluthen immer jung
Verklärend schwebt Erinnerung.
Was je dein Herz in Lieb gehegt,
Und was die Fluth von dannen trägt,
Verjüngt im Regenbogenglanz
Erblüht es aus der Wellen Tanz.
Und endlich spielt, ein bunter Traum,
Das ganze Leben ob dem Schaum,
Bis in das Meer die Sonne taucht,
Der Abendwind das Bild zerhaucht.

Lenznacht

Die Sterne glänzen aus tiefem Blau
Und ihre Strahlen zittern im Thau.
Still athmend duften Blumen umher
Und neigen die Köpfchen schlummerschwer.
Die Bäume starren regungslos,
Die Espen schüchtern lispeln blos.
Manch Nebelbild als Truggestalt
In zweifelhaftem Lichte wallt.
[45]
So Still ist alles, so feierlich:
Das Leben begab zur Ruhe sich.
Nichts regt und bewegt sich, so weit man lauscht;
Der Fluss nur zuweilen stärker rauscht,
Der leis und langsam seine Bahn
Dahinzieht durch den Wiesenplan.
Die Winde flüstern wie im Traum,
Die Wellen wiegen sich hörbar kaum;
Und, wo das Wasser sich kreiselnd bricht,
Erzittert darauf das Mondenlicht.
Man fühlt es, dass zu dieser Stund
Ein Engel besucht das Erdenrund;
Er schliesst viel müde Augen zu,
Er giesst in kranke Herzen Ruh.
Wenn er die Wunden auch nicht heilt,
Sie schmerzen nicht, so lang er weilt.
O Engel Schlaf, du Himmelsgast!
Schenk uns auch heut ersehnte Rast;
In lichten Träumen führ uns vor,
Was Jeder Liebstes je verlor! —

Elysium

[46]
Und ist's mit dieser Welt herum,
Und komm' ich ins Elysium,
Meiner Ahne Haus muss mit hinein,
Sonst mag ich nicht darinnen sein.
Hinter dem Hause muss am Hag
Die Sonne lagern den langen Tag,
Dass golden durch der Blätter Lucken
Wie Engelsbacken die Kürbiss gucken,
Dass die Nachbarn wieder herüberschaun,
Die Arme aufgestemmt am Zaun,
Wie sie am Sonntag aus den Pfeifen
Lassen die blauen Wolken schweifen;
Lustige Mägde ziehn am Haus
In weisser Schürze den Weg hinaus;
Und draussen schütteln am Gartensaum
Wir Buben den frühsten Birnenbaum.
So sei es im Elysium,
Sonst scheer ich mich den Teufel drum.

Um die dritte Stunde

[47]
Die dritte Stunde Nachmittags,
Das ist die müde Stunde,
Es geht das Zittern ihres Schlags
Wie Lähmung in die Runde.
Da liegt sie stumm, die heisse Welt,
Verschmachtet und begraben,
Der Gluthengott alleine hält
Die Fackel noch erhaben.
Wie Wüstenodem tödtlich drückt
Sein schwüles Reich die Matten,
Und von des Thurmes Kuppel bückt
Sich welk der müde Schatten.
Verlechzend ist auf dürrem Moos
Das Flurgeräusch entschlafen,
Die Welle schlürft gedankenlos
Ums träge Schiff im Hafen.
Wie ein erschlagner Riese schweigt
Die glühe Felsenflanke,
Im Menschenhaupt hat sich geneigt
Zum Schlummer der Gedanke.
Kein Laut ergeht, kein Hauch, kein Lied
Giebt noch von Leben Kunde,
Als ob der Erdengeist verschied'
Um diese dürre Stunde.

Unergründlich

Ich küsste sie auf die Stirne kaum,
Und war erschrocken fast.
Wie sie, ein Kind, so fiebernd heiss
Und zitternd mich umfasst,
Wie liebeschauernd mir am Hals
Ihr schluchzender Odem schwoll,
Wie gleich einem Retter ihr Herz mir schlug,
Sprachloser Entzückung voll.
[48]
Da ahnt' ich an dir, du kleines Herz,
Das solche Flammen kennt,
Die ganze ungelöschte Gluth,
Die heimlich auf Erden brennt.

Balder Frühling

Springt der Bube das Dorf hinaus:
„Vater, es ist schon Frühling drauss,
Zum Schmetterlingsfang die beste Zeit.“
Ist zwar kein Frühling noch weit und breit,
Fing kaum der Staub des Märzen an;
Doch die Jugend will ihren Willen han. —
Wie, wenn ich nach dem Jungen ging',
Zu schauen, was er im Garne fing?
Freute mich ja so ein Falter selber,
So ein rother oder citronengelber!
Richtig! da flattert's schon; — doch wie! —
Sah ich doch all mein Leben nie
Einen so arthchen Schmetterling:
Ein milchjung, geschlacht und huschig Ding,
So scheu halb und so flüchtig noch,
So dreist halb und fürwitzig doch,
Minder im Fluge, mehr im Lauf,
Ein herziger Kindskopf obenauf,
Schwarzaugen, so funkend und feuernd schon,
Zöpfe, so lang als die ganze Person,
Eine rothe Masche das Halsgeschmeid,
Statt der Flügel ein fliegend Kleid,
Und ein lustiges Kreuzband zum Beschluss
Kurzweilig zeichnet den muntern Fuss.
Ein Extra-Märzenvogel der!
Mein luftiger Ärgster hinterher,
Das Schmetterlingsgarn verächtlich weggeschmissen.
Ja nun, nun freilich muss Frühling sein,
Er blüht mir ja selber zum Haus herein; —
Was doch die Jungen Alles besser wissen!

Ans Ziel

[49]
Gestern ein Rieseln
Im weichen Eise,
Heute ein Bach
Auf der Frühlingsreise,
Gestern ein Kind
Mit Schleif und Band,
Heute Jungfrau
Im Festgewand; —
Wohin? Wer weiss?
Und wem der Preis?
Frage die Biene,
Wohin sie fliegt,
Frage die Hoffnung,
Wo Eden liegt.

Eure Weisheit

Ich sah am liebsten hoch im Thurm
Weit nach den blauen Landen,
Bin jauchzend bei dem lauten Sturm
Des Glockenschwungs gestanden;
Ich kam hernieder, doch empor
Schlägt noch mein Herz nach Jahren.
So blieb ich immer euch ein Thor,
Die niemals droben waren.

Gesang der Werkleute
Nehemia, Capitel IV

[50]
Als aber die Heiden vernahmen von fern,
Dass neu wir erbauten den Tempel des Herrn,
Da drängten sie an mit verderblicher Macht,
Und die Stätte des Baus ward zur Stätte der Schlacht;
Links schleppten wir Balken, links wälzten wir Last,
Die Linke hielt Hammer und Kelle gefasst;
Doch hoch in der Rechten erblitzte die Wehr,
Das geschliffene Schwert und der eschene Speer.
Und wir fügten die Steine, wir mauerten gtit.
Und wir mischten den Mörtel mit purpurnem Blut.
Wir erhüben der Säule gemeisselten Knauf
Mit Sterbegeröchel statt frohem „Glück auf!“
Und wir wölbten der Kuppel gewaltiges Rund
Ins innerste Leben getroffen und wund.
Umschwirrt uns, ihr Heiden, umdräng uns, Gezücht,
Du tödtest uns, doch überwältigst uns nicht.
[51]
So sangen in Zion mit trotzigem Laut
Die Männer, derweil sie den Tempel gebaut,
Den Tempel des Höchsten, das heilige Haus. -
Wann endet das Lied, wann kUnget es aus?
Jahrhunderte kamen, Jahrhunderte flohn.
Wie die Väter gefallen, fällt heute der Sohn;
Wir bauen, wir fechten von Feinden umdräut,
Und mischen mit Blute den Mörtel noch heut.

Daheim
Aus den „Liedern vom Maurergesellen“

Dem Kaiser hab' ich sein Losier
Gebaut, Gemach und Säle;
Die Säulen waren von Porphyr,
Von Gold die Capitäle.
Und als vollbracht
Des Werkes Pracht,
Man wies mich auf die Gassen;
O weh mir, hätt'
Ich bei Bankett
Und Tanz mich blicken lassen!
Am Dom hab' ich dem Erzbischof
Den hohen Chor erhoben,
Des harten Quaders rohen Stoff
Zum Sterngewölb verwoben.
Nun ragt der Bau
Ins Himmelsblau,
Nun klingeln hundert Pfaffen,
Indess hab' ich
Gar ketzerlich
In Kirchen Nichts zu schaffen.
Nun bau' ich mir mein eigen Dach,
Das letzte hinterm Thore;
Da prangt nicht Saal noch Goldgemach,
Nicht Wölbung noch Empore.
Doch bricht mein Weib
Des Brotes Laib,
Und lallt mein erster Bube,
Nicht Prunkpalast
Noch Tempel fasst
Das Glück der engen Stube.

Lied

[52]
Singend über die Heide
Steigen Lerchen empor,
Goldige Knospen der Weide
Dringen am Ufer hervor,
Und der Himmel so wunderblau!
Allüberall hellsonnige Schau!
Ich und mein Lieb, wir beide
Wandeln durch spriessendes Rohr.
Kargen Worts ist der Kummer,
Zehrend in tiefer Brust;
Aber noch tausend Mal stummer
Ist unsägliche Lust:
„Ich bin ja dein, und du bist ja mein!“
Das mag ihr einziges Wörtlein sein;
Hat doch kein Weiser, kein Dummer
Jemals ein Bessres gewusst.
Wolken über uns schwellen,
Kaum dass ein Windzug sie blies;
Traumhaft schwatzen die Wellen
Über dem farbigen Kies,
Feme nur, ferne noch Lerchenlied —
Seliges Schweigen die Seele durchzieht,
Engel erschliessen die hellen
Pforten zum Paradies.

Unfreiheit

Ach lieber Herr Amtmann, habet Geduld!
Ich gesteh's, ich habe gestohlen;
Doch das hat der Kosmos selber Schuld,
Das sag' ich Euch unverhohlen.
Die Neigung zum Stehlen war in mir schon
Von Anbeginn entzündet;
Sie lag schon in der Constitution
Meiner Urgrossmutter begründet.
Rings drängten auf mich der ganzen Natur
Vieltausendfältige Triebe;
Ich ward nach höhren Gesetzen nur
Unwiderstehlich zum Diebe.
[53]
Wie könnt Ihr mich strafen, der ich doch nicht
Aus freiem Willen gesündigt?
„Jetzt schweige, du naseweiser Wicht,
Und höre, was man verkündigt.
Die hochwohllöbliche Polizei
Steht auch unter kosmischem Zwange,
Sie fängt die Diebe und hängt sie dabei
Aus unwiderstehlichem Drange.“

Distichen

„Götter! Wie treu der Natur der Schmutz selbst, lauterste Wahrheit!“
Wahr ist er freilich, mein Freund; sage mir, ist er auch schön?
„Schönheit? läppische Frage, die Schönheit ist just die Wahrheit.“
— Zwei mal zweie macht vier — welch ein entzückend Gedicht!

Lätizia

1.

Gern vor allem gedenk' ich des Tags, da dich, o Geliebte,
Ich gefunden; du gingst, harzige Scheiter und Rohr
Über die Gasse zu holen; denn winterlich strömte der Regen,
Und im Scaldino verlosch jeglche Kohle dem Ohm.
Zierlich suchten die Füsse die trockneren Steine des Pflasters,
Während die glänzende Hand sorgsam das Röckchen geschürzt.
Und ich kam, ein Modell für Nausikaas züchtige Formen
Suchend; ein neuer Ulyss hatt' ich die Gassen durchschweift.
Freundlich zur Werkstatt folgtest du mir; dich drückte die Armuth,
Und der klingende Lohn lockte das dürftige Kind.
Tieferglühend in Scham enthülltest den blendenden Nacken,
Hobst du des Busens Gewand zögernd, das letzte, hinweg.
Und du standest geduldig, indess in begeistertem Eifer
Ich mit dem Malergeräth bannte das flüchtige Bild.
Tage kamen und gingen; vollendet beinah war die Arbeit,
Und du horchtest gespannt auf das homerische Lied,
Das ich erzählte zur Stunde der Rast, wie der Dulder Odysseus
Weit durch Länder und Meer bis in die Hölle geirrt,
Wie dem Stürmeverfolgten das liebliche Wäsche-Prinzesslein
Auf der Madonna Geheiss rettend am Ufer genaht,
Wie in heimlicher Liebe das zagende Herz ihr entbrannte,
Wie sie in heimlichem Leid scheiden den Göttlichen sah;
[54]
Und just wollt' ich das Wesen unglücklicher Liebe ihr darthun,
Breit, theoretisch, wie sich's gründlichem Deutschen geziemt,
Da — noch ist mir's ein Traum — dein Arm umschlang mich, dein Haupt sank
Mir an den Busen, dein Mund suchte den meinen im Kuss,
Dein vielfaltig Gewand entglitt den Hüften; Mänade
Schien das schüchterne Kind plötzlich in bacchischer Wuth;
Und dein wallend Gelock um Nacken und Arme mir ringelnd,
Zogst in berauschende Nacht ganz meine Seele du hin.
„Scheiden, Odysseus, wirst du, und wieder bringt dich kein Gott mir;
Doch, was die Stunde geschenkt, raubt mir die Ewigkeit nicht.“

2.

Vollaufblühender Mond erleuchtet den winkligen Pfad mir
Über die Gässchen, den Hof zu der geliebtesten Thür.
Hier an die Schwelle der Frühgeschäftigen bring' ich den Epheu,
Der mir Zecher das Haupt schmückte, zum Weihegeschenk.
Schwebe hinauf, mein Gesang, hinauf, melodischer Zither
Flüsternde Stimmen, der tief Träumenden schmeichelt euch an.
Schlafe, Geliebte! Und fragt die Mutter dem nächtlichen Klang nach,
Der ihr den Schlummer gestört, sage: der Brunnen im Hof.
Ach, du täuschest sie nicht; mein Herz ist ein Brunnen der Liebe,
Ewig strömend, und nie ebbet die Fülle hinweg.
Mag im Lärmen des Tags oft ungehört sie verrauschen
Aber im Schweigen der Nacht fluthet sie tönend empor.

Der Tod

Unter den Freunden der erdumwohnenden
Menschen vor Allen preis' ich den Tod.
Ob Dionysos, ob Eros dem frohnenden
Jammergeschlechte mit köstlich belohnenden
Stunden versüsse die Jahre der Noth,
Ob in dem Boot
Seligen Traums die betrogenen Geister
Schaukeln von Eiland zu Eilanden fort —
Schlaf ist Geselle; — Tod aber, der Meister,
Fährt uns zum Port.
Denn die Erde ward kärglich und enge;
Doch der Gebornen unendliche Zahl
Häuft, überhäuft sich in schrecklicher Menge,
Schwillt, überschwillt sich in wildem Gedränge
Und begehrt von der Mutter das Mahl.
[55]
Hungernder Qual
Langsam erliegen, die von den Brüsten,
Von den ernährenden Quellen der Neid
Stärkerer Brüder vertrieb, und in Wüsten
Würgt sie das Leid.
So aus des Eichwalds sumpfiger Lache
Drängt sich das gierige Rudel heran
Schlürfend und schluckend, der säugenden Bache
Borstiger Wurf, - da fährt auf das Schwache
Wüthend das Starke mit hauendem Zahn,
Neidisch die Bahn
Ihm zum ernährendn Euter zu wehren -
Rings um die Mutter Geschrei und Gestampf;
Aber gelassen schaut sie den schweren,
Blutigen Kampf.
Freundlicher Tod, das tobende Streiten
Stillst du, den bruderbekämpfenden Zwist,
Magst auf des Meersturms Schwingen du reiten,
Seuchen und Fieber schleichend begleiten,
Lauern im Netze verderblicher List,
Nächtlicher Frist
Zucken den Dolch — wie Furienbrände
Schreckt dein Namen erschütternden Schalls,
Ich aber seh' deine segnenden Hände,
Ordner des Alls.
Schaudernd verehr' ich dich, menschenverderbende,
Wandernde, bogenbewaffnete Pest,
Wenn über heulende Länder und sterbende
Städte der Scheiterhaufen werbende
Fahne des Rauches du wehen lässt.
Siehe! Schon presst
Sich in den stygischen Kahn das Gedränge,
Schaaren auf Schaaren — er fasset sie kaum,
Und in des Volkes drückender Enge
Schufest du Raum.
Aber auch dich lobpreis' ich vor Allen,
Krieg! Du gewaltiger Schwinger des Schwerts,
Lassest den Donner der Stimme schallen —
Siehe, da liegen die Helden gefallen.
[56]
Hingestreckt von dem mordenden Erz.
Gestern von Scherz
Sprühte die Lippe, von festlichen Siegen
Träumte des Auges begeisterte Gluth —
Heut um die Wunde schwirret der Fliegen
Bläuliche Brut.
Freundlicher Tod, du heilsam geschäftiger
Gärtner, beschneidend ums üppige Beet
Wandelst du ewig und tilgst, was in heftiger
Wucherung aufschoss, dass voller und kräftiger
Blühe das Eine, wenn Andres vergeht.
Nimmer gefleht
Hab' ich um Schonung für mich und mit Wonne
Steig' ich hinunter in Aides Nacht,
Wenn meinen Brüdern mein Scheiden die Sonne
Lieblicher macht.

Trotz

Als stolz in Blatt und Blüthen ich gebrangt,
Wie hat vor dir, o Sturm, mein Herz gebangt!
Dir beugte sich mein stöhnendes Gezweig,
Und mein Geäst erbebte deinem Streich.
Nun steh' ich kahl und winterlich entlaubt,
Ein dürrer Stamm, ein graubereiftes Haupt;
Wie zornig auch dein Flügel mich umfleucht,
Da ist kein Ast, kein Zweig, der dir sich beugt.
In Staub und Moder längst hinunterschlug
Dein Grimm, was Liebes ich und Schönes trug,
Nichts zu verlieren hat dies hagere Holz,
Lass ab; du beugst nicht den verarmten Stolz.

Auf der Straße

Jüngst zwei Weiber erblickt' ich, die Hefe des Pöbels, ein altes,
Graues Megärengesicht, eines noch jugendlich frech.
Knochen und Lumpen zu sammeln durchzog mit der Hundekarrete
Jeglichen Rinnstein scharf prüfend die Gassen das Paar.
Und nun standen sie still; die Alte verzierte, drapirte
Mit einem lappigen Rest Spitzengarnirung die Dirn.
Eifrig fingert' die knochige Hand, die Falten zu glätten,
Doch der Geputzten erschwoll freudigen Stolzes die Brust.
Wahrlich! Noch nie sah ich solch offnes, naives Behagen,
Wenn man mit Schätzen sich schmückt, die aus dem Schmutz man gescharrt.

Sturmlied

[57]
O begeisterungsselges Grausen,
Das des Knaben Busen hob,
Wenn des Frühlings Siegesbrausen
Jauchzend durch die Wälder schnob!
Kühn zu thronen
In den Kronen
Schwanker Pappeln, Lust! o Lust!
Und ein Sturm des Thatendranges
Brach auf Wogen des Gesanges
Sehnsuchtswild aus meiner Brust:
„Beugt sich, Sturm, vor deinem Grimme
Ast zu Ast mit Angstgestöhn,
Eines Welterobrers Stimme
Hör' ich in den Wolkenhöhn.
Mit zu fliegen.
Mit zu siegen,
Dunkler Heros, starker Nord,
Zu unsterblichen Gefechten
Mit Tyrannen und mit Knechten
Reiss mich auf und trag mich fort!“
Und du hast mich fortgetragen,
Und vollendet ist mein Lauf,
Bin zerschmettert und zerschlagen; —
Aber dich — was hält dich auf!
Früh gefallen
Hör' ich schallen
Über meiner Gruft dein Wehn:
„Der Gedanke, dem dein Leben
Opfernd du dahin gegeben,
Siegend wird er weiter gehn.“

James Monmouth

[58]
Es zieht sich eine blutige Spur
Durch unser Haus von Alters,
Meine Mutter war seine Buhle nur,
Die schöne Lucy Walters.
Am Abend war's, leis wogte das Korn,
Sie küssten sich unter der Linde,
Eine Lerche klang und ein Jägerhorn, —
Ich bin ein Kind der Sünde.
Meine Mutter hat mir oft erzählt
Von jenes Abends Sonne,
Ihre Lippen sprachen: ich habe gefehlt!
Ihre Augen lachten vor Wonne.
Ein Kind der Sünde, ein Stuartkind,
Es blitzt wie ein Beil von weiten,
Den Weg, den alle geschritten sind,
Ich werd' ihn auch beschreiten.
[59]
Das Leben geliebt und die Krone geküsst
Und den Frauen das Herz gegeben,
Und den letzten Kuss auf das schwarze Gerüst, -
Das ist ein Stuart-Leben.

Der 6. November 1632
Schwedische Sage

Schwedische Heide, Novembertag,
Der Nebel grau am Boden lag,
Hin über das Steinfeld von Dalarn
Holpert, stolpert ein Räderkarrn.
Ein Räderkarren beladen mit Korn,
Lorns Atterdag zieht an der Deichsel vorn,
Niels Rudbeck schiebt; sie zwingen's nicht,
Das Gestrüpp wird dichter, Niels Rudbeck spricht:
„Busch-Ginster wächst hier über den Steg,
Wir gehn in die Irr, wir missen den Weg,
Wir haben links und rechts vertauscht, —
Hörst du wie die Dal-Elf rauscht?“
„Das ist nicht die Dal-Elf, die Dal-Elf ist weit,
Es rauscht nicht vor uns und nicht zur Seit,
Es lärmt in Lüften, es klingt wie Trab,
Wie Reiter wogt es auf und ab.
Es ist wie Schlacht, die herwärts dringt.
Wie Kirchenlieder es zwischen klingt.
Ich hör' in der Rosse wieherndem Trott:
Eine feste Burg ist unser Gott!
Und kaum gesprochen, da Lärmen und Schrein,
In tiefen Geschwadern bricht es herein,
Es brausen und dröhnen Luft und Erd,
Vorauf ein Reiter auf weissem Pferd.
Signale, Schüsse, Rossegestampf,
Der Nebel wird schwarz wie Pulverdampf,
Wie wilde Jagd so fliegt es vorbei; —
Zitternd ducken sich die Zwei.
[60]
Nun ist es vorüber ... Da wieder mit Macht
Rückwärts wogt die Reiterschlacht,
Und wieder dröhnt und donnert die Erd,
Und wieder vorauf das weisse Pferd.
Wie ein Lichtstreif durch den Nebel es blitzt,
Kein Reiter mehr im Sattel sitzt,
Das fliehende Thier, es dampft und raucht,
Sein Weiss ist tief in Roth getaucht.
Der Sattel blutig, blutig die Mähn,
Ganz Schweden hat das Ross gesehn; —
Auf dem Felde von Lützen am selben Tag
Gustav Adolf in seinem Blute lag.

Der Alte Dessauer

Ich will ein Lied euch singen!
Mein Held ist eigner Art:
Ein Zopf vor allen Dingen,
Dreimaster, Knebelbart,
Blitzblank der Rock vom Bürsten,
Und jeder Knopf wie Gold, -
Ihr merkt, es gilt dem Fürsten,
Dem alten Leopold.
All Wissenschaft und Dichtung
Sein Lebtag er vermied
Und sprach er je von „Richtung“,
Meint' er in Reih und Glied;
Statt Opern aller Arten
Hatt' er nur einen Marsch,
Und selbst mit Schriftgelahrten
Verfuhr er etwas barsch.
Nicht mocht' er Phrasen thürmen
Von Fortschritt, glatt und schön,
Er wusste nur zu stürmen
Die Kesseldorfer Höhn;
Er hielt nicht viel vom Zweifel,
Und wenger noch vom Spott,
Er war ein dummer Teufel
Und glaubte noch an Gott.
[61]
Ja, ja, er war im Leben
Beschränkt nur, wie es heisst,
Und soll ich Antwort geben,
Warum mein Lied ihn preist?
Nun denn, weil nie mit Worten
Er seine Feinde frass,
Und weil ihm rechter Orten
So Herz wie Galle sass.
Wir haben viel von Nöthen,
Trotz allem guten Rath,
Und sollten schier erröthen
Vor solchem Mann der That;
Verschnittnes Haar im Schopfe
Macht nicht allein den Mann, -
Ich halt' es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.

Nachtbild
1879

[62]
Auf des Teiches leisen Wellen
Spielt des Mondes milder Schein,
Senken an den Uferstellen
Weiden ihre Schatten ein.
Sanft gezogne Silbergleise
Durch die Fläche führt ein Schwan,
Und der Ölbaum wehet leise,
Süss betäubend, Duft heran.
Tiefe Stille, schwüles Wetter
Leuchtet durch der Nacht Azur,
Einer Nachtigall Geschmetter
Ist des Raumes Seele nur.
[63]
An des Teiches fernstem Rande
Steht ein holdes Mädchenpaar,
Zögernd löst es die Gewände,
Nieder wallt sein blondes Haar,
Bis zum Fuss den Schleierlosen
Sinkt es, sie verhüllend ganz,
Einen Kranz von weissen Rosen
Schlingt hinein des Mondes Glanz.
Und mit leisem Schauer nieder
Tauchen sie ins kühle Bad —
Und gesträubt das Schneegefieder
Stolz der Schwan den Mädchen naht.
Ob nicht Eine im Gemüthe,
Von dem kecken Schwan umlenkt,
Der antiken, schönen Mythe
Träumerisch verschämt gedenkt?

Bald sind die Tage um
1880

Einsamer immer mehr,
Wo ich auch bin,
Trag' ich des Alters schwer
Lastenden Sinn.
Freuden sind all entflohn,
Lieb und Gesang,
Jugendgenossen schon
Ruhen, wie lang!
Aber die Lust, das Leid,
Die mich verzehrt,
Durch die Vergangenheit
Sind sie verklärt.
Doch auf der Zukunft Spur
Traurige Fracht:
Welkende Blätter nur,
Sternlos die Nacht.
[64]
Klage nicht, trage stumm,
Du hast gestrebt;
Bald sind die Tage um,
Die du gelebt.
Sieh, wie der Vogel thut:
Schwärmet und singt,
Doch, wenn es dämmert, ruht,
Schattenumringt.
Schlummert im grünen Wald,
Rühret sich kaum,
Einzelne Laute lallt
Er noch im Traum.
Einmal bei Morgenschein
Liegt er im Moos
Und ist die Lust und Pein
Immerdar los.
Weiter im schönen Wald
Singet der Chor,
Schweigen wird der auch bald —
Grämst du dich, Thor?

Camilla

[65]
Nun hab' ich endlich dir ins Herz geschaut,
Ins arme dunkle Herz... Als gestern wieder
Des Mondes liebes Licht herabgethaut,
Trieb's mich zu dir... Am Gitter sank ich nieder
Und spähte stumm... Der Springquell rauschte laut,
Eintönig sang der Nachtwind seine Lieder,
Und durch die Lorbeerbüsche grüssten traut
In mattem Glanz der Musen Mamorglieder.
Da sah ich, wie sich Eine jäh bewegte...
Schier brach mir aus der Brust ein angstvoll Rufen,
Ich sah, wie's schmerzlich sich im Antlitz regte,
Im stolzen, marmorschönen, marmorreinen...
Du warst's — und niedersankst du auf die Stufen,
Und durch die Nacht erklang dein leises Weinen...

Warum?

[66]
Wir liebten uns einst, zur Frühlingszeit —
Wie liegt das weit!
Doch kurz und flüchtig war der Traum,
Wie Wind und Schaum —
Nur einmal ruhten wir süss und bang
Am Bergeshang,
Und einmal hab' ich im Buchengrund
Geküsst deinen Mund ...
Das ist wohl an die fünfzehn Jahr
Oder länger gar —
Hab' dich — ich musst' in die Ferne gehn —
Nicht wiedergesehn,
Dann hört' ich, ruhig und ungequält,
Du seist vermählt,
Doch jetzt urplötzlich fasst es mich
Und ich denk' an dich ...
Warum?! ... Ich sitze, vom Weine heiss,
Im lauten Kreis.
Was hat mir wohl in die Winternacht
Dein Bild gebracht?!
Sehnst du vielleicht zur Stund unser Glück
So wild zurück —
Oder bist du — ich ahn's entsetzt —
Gestorben jetzt? ...

Die Trompete von Gravelotte

[67]
Sie haben Tod und Verderben gespiehn:
Wir haben es nicht gelitten.
Zwei Colonnen Fussvolk, zwei Batterien,
Wir haben sie niedergeritten.
Die Säbel geschwungen, die Zäume verhängt,
Tief die Lanzen und hoch die Fahnen,
So haben wir sie zusammengesprengt, —
Cürassiere wir und Ulanen.
[68]
Doch ein Blutritt war es, ein Todesritt;
Wohl wichen sie unscrn Hieben,
Doch von zwei Regimentern, was ritt und stritt,
Unser zweiter Mann ist geblieben.
Die Brust durchschossen, die Stirn zerklafft,
So lagen sie bleich auf dem Rasen,
In der Kraft, in der Jugend dahingerafft, —
Nun, Trompeter, zum Sammeln geblasen!
Und er nahm die Trompet, und er hauchte hinein;
Da — die muthig mit schmetterndem Grimme
Uns geführt in den herrlichen Kampf hinein,
Der Trompete versagte die Stimme!
Nur ein klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz,
Entquoll dem metallenen Munde;
Eine Kugel hatte durchlöchert ihr Erz, —
Um die Todten klagte die wunde!
Um die Tapfern, die Treuen, die Wacht am Rhein,
Um die Brüder, die heut gefallen, —
Um sie alle, es ging uns durch Mark und Bein,
Erhub sie gebrochenes Lallen.
Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann,
Rundum die Wachtfeuer lohten;
Die Rosse schnoben, der Regen rann —
Und wir dachten der Todten, der Todten!

Hurrah, Germania!
25. Juli 1870

Hurrah, du stolzes schönes Weib,
Hurrah, Germania!
Wie kühn mit vorgebeugtem Leib
Am Rheine stehst du da!
Im vollen Brand der Juligluth,
Wie ziehst du risch dein Schwert!
Wie trittst du zornig frohgemuth
Zum Schutz vor deinen Heerd!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
[69]
Du dachtest nicht an Kampf und Streit:
In Fried und Freud und Ruh
Auf deinen Feldern, weit und breit,
Die Ernte schnittest du.
Bei Sichelklang im Ährenkranz
Die Garben fuhrst du ein:
Da plötzlich, horch, ein andrer Tanz!
Das Kriegshorn überm Rhein l
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Da warfst die Sichel du ins Korn,
Den Ährenkranz dazu;
Da fuhrst du auf in hellem Zorn,
Tief athmend auf im Nu;
Schlugst jauchzend in die Hände dann:
Willst du's, so mag es sein!
Auf, meine Kinder, alle Mann!
Zum Rhein! zum Rhein! zum Rhein!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt,
Da rauscht das deutsche Meer;
Da rückt die Oder dreist ins Feld,
Die Elbe greift zur Wehr.
Neckar und Weser stürmen an,
Sogar die Fluth des Mains!
Vergessen ist der alte Span:
Das deutsche Volk ist Eins!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Schwaben und Preussen Hand in Hand;
Der Nord, der Süd Ein Heer!
Was ist des Deutschen Vaterland, —
Wir fragen's heut nicht mehr!
Ein Geist, Ein Arm, Ein einzger Leib,
Ein Wille sind wir heut!
Hurrah, Germania, stolzes Weib!
Hurrah, du grosse Zeit!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
[70]
Mag kommen nun, was kommen mag:
Fest steht Germania!
Dies ist All-Deutschlands Ehrentag:
Nun weh dir, Gallia!
Weh, dass ein Räuber dir das Schwert
Frech in die Hand gedrückt!
Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd
Das deutsche Schwert gezückt!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Für Heim und Herd, für Weib und Kind,
Für jedes theure Gut,
Dem wir bestellt zu Hütern sind
Vor fremdem Frevelmuth,
Für deutsches Recht, für deutsches Wort,
Für deutsche Sitt und Art, —
Für jeden heiligen deutschen Hort,
Hurrah! zur Kriegesfahrt!
Hurrah, hurrah, hurrah!
Hurrah, Germania!
Auf, Deutschland, auf, und Gott mit dir!
Ins Feld! der Würfel klirrt!
Wohl schnürt's die Brust uns, denken wir
Des Bluts, das fliessen wird!
Dennoch das Auge kühn empor!
Denn siegen wirst du ja:
Gross, herrlich, frei, wie nie zuvor!
Hurrah, Germania!
Hurrah, Victoria!
Hurrah, Germania!

Der Spielmann

[71]
Sie sagen, im Freien einst lag er zu Nacht,
Da haben ihm Feyen die Fiedel gebracht,
Da hat auf den Klippen bei Monduntergang
Der Nix ihm die Lippen gelöst zum Gesang.
Nun geigt er und singt er, nun singt er und geigt,
Die Herzen bezwingt er, sobald er sich zeigt;
Im Dorf an der Linde, im Fürstenpalast
Wie drängt sich geschwinde der Schwarm um den Gast!
[72]
Schon hebt er den Bogen, schon weckt er den Schall,
Da strömt es wie Wogen aus klarem Krystall;
Wie schwellen die reinen so stark und so weich!
Wer's hört, der muss weinen und jauchzen zugleich.
Was lächelt vor Wonne der Greis dort und schwärmt?
Er träumt, dass die Sonne der Jugend ihn wärmt.
Was blickt in die Runde der Kriegsmann so kühn ?
Vom Siegsfeld die Wunde beginnt ihm zu glühn.
Was staunen befangen die Knaben im Kreis?
Was brennt auf den Wangen der Mädchen so heiss?
Im bangenden Sinne die Lust und die Qual,
Den Zauber der Minne verstehn sie zumal.
Dem Waidmann erklingt es wie grüssendes Horn,
Den Schnitter umsingt es wie Wachteln im Korn,
Den Schiffer am Lande befällt's wie ein Weh,
Er hört das Gebrande der rollenden See.
Und wo sich im Kreise verblutet ein Herz,
Da kühlt ihm die Weise den brennenden Schmerz;
Aufathmet's betroffen, als träufelte mild
Balsamisches Hoffen vom Sternengefild.
Wie Adlersgefieder jetzt schwingt sich der Schall,
Jetzt säuselt er nieder wie Tropfen im Fall,
So wandeln die Boten des jüngsten Gerichts;
So grüssen die Todten vom Orte des Lichts.
Nun sterben die Klänge, nun schweigen sie ganz —
Da jubelt die Menge, da bringt sie den Kranz;
Doch stolz sich verneigend, als drück' ihn der Lohn,
Ins Dunkel ist schweigend der Spielmann entflohn.
Beim Glanze der Sterne, von Winden umrauscht
Schon wandert er ferne, wo Niemand ihm lauscht;
Da geigt er in Thränen sich selbst noch ein Stück:
Verlorenes Sehnen, begrabenes Glück.

Lieder

1.

Du willst in meiner Seele lesen
Und still mein bestes Theil empfahn;
So schau mein unvergänglich Wesen
Im Spiegel meiner Lieder an.
[73]
Ich bin die Weise, die dich rühret,
Ich bin das Wort, das zu dir spricht,
Der Hauch, den deine Seele spüret,
Ich bin's - und dennoch bin ich's nicht.
Denn sieh, noch oft mit heissem Ringen
Durch Schuls und Trübsal irrt mein Gang,
Doch drüber zieht auf reinen Schwingen
Die ewge Sehnsucht als Gesang.
So stürmt der Bach in dunklen Wogen
Zum Abgrund, drein er sich begräbt,
Indess der siebenfarbge Bogen
Verklärend überm Sturze schwebt.

2.

Fern in leisen dumpfen Schlägen
Ist das Wetter ausgehallt,
Und ein goldner Strahlenregen
Fluthet durch den feuchten Wald.
Wie am Grund die Blumen funkeln!
Wie die Quelle singt im Fall!
Silbern aus den tiefsten Dunkeln
B1itzt das Lied der Nachtigall.
Ach, und in dem süssen Schallen,
In dem Glanz durchs lichte Grün,
Herz, erkennst du in dem allen
Nicht dein eigen selig Blühn?
Lass dein Singen denn und Preisen
Und in Andacht lausche zu,
Wie der Frühling deine Weisen
Doch noch schöner spielt, als du.

3.

Im Wind verhallt Trompetenton
Und ferner Paukenschlag;
Es zieht durchs Feld die Procession
Am schönsten Frühlingstag.
Die Fahnen wehn im Sonnenschein,
Die Kreuze blinken vorn;
Von tausend Stimmen murmelt's drein,
Sie flehn um Wein und Korn.
[74]
Weit hinterm Zug, verspätet, geht
Durchs blühnde Saatgewind,
Versunken in ihr still Gebet,
Ein hold blauäugig Kind.
Ihr rosig Antlitz ist so klar,
Ihr weiss Gewand so rein,
Um ihre Stirn das goldne Haar
Fliesst wie ein Glorienschein.
So wallt sie hin, das süsse Bild,
Den Palmzweig in der Hand,
Als zög' ein Engel durchs Gefild,
Und segnete das Land.

4.
Aus Griechenland

Hoch mit Orangen beladen
Wiegt sich das schaukelnde Boot
Von Poros Felsgestaden
Hinaus ins Abendroth.
Die Jungfrau sitzt am Steuer
Und nimmt des Segels wahr;
Des Tages letztes Feuer
Umsäumt mit Gold ihr Haar.
Berauscht von Glanz und Düften,
Das Herz in tiefer Ruh,
Bedünkt mich fast, wir schifften
Den selgen Inseln zu.

5.
Ostseelieder

Wenn überm Meer das Frühroth brennt
Und alle Küsten rauchen,
Wie lieb' ich dann ins Element
Befreit hinabzutauchen!
Tiefpurpurn schwillt um mich die Fluth
Und zittert, Well an Welle;
Mir däucht, ich bad' in Drachenblut
Wie Siegfried einst, der Schnelle.
[75]
Mein Herz wird fest und wie es lauscht
Von junger Kraft durchdrungen,
Versteht's, was Wind und Woge rauscht,
Und aller Vögel Zungen.

Nun kommt der Sturm geflogen

Nun kommt der Sturm geflogen,
Der heulende Nordost,
Dass hoch in Riesenwogen
Die See ans Ufer tost.
Das ist ein rasend Gischen,
Ein Donnern und ein Schwall,
Gewölk und Abgrund mischen
All ihrer Stimmen Schall.
Und in der Winde Sausen
Und in der Möve Schrein,
In Schaum und Wellenbrausen
Jauchz' ich berauscht hinein.
Schon mein' ich, dass der Reigen
Des Meergotts mich umhallt,
Die Wogen seh' ich steigen
In grüner Rossgestalt.
Und drüber hoch im Wagen,
Vom Nixenschwarm umringt,
Ihn selbst, den Alten, ragen,
Wie er den Dreizack schwingt.

Genesung

Nach dumpfer Schwüle
Was mir so frisch
Mit unsichtbarem Fittich
Die Stirne rührt,
Bist du's endlich,
Himmelstochter Genesung?
Leise sinkt's wie Gewölk
Zerrinnender Nebel
[76]
Mir von den Sinnen;
Klarer, tiefer
Dünkt mir der Himmel,
Der Quellen Wogen
Rührt wie ferne Musik
Mein erwachend Ohr,
Und von den Wipfeln
Der schwarzen Tannen
Auf mich hernieder
Dämmern Gedanken.
Ach, noch kann ich dich nicht
Fassen, o Muse,
Noch versagst du
Dem irrenden Finger
Dein Saitenspiel;
Aber schon spür' ich
In ahnender Seele
Dein tröstlich Nahen,
Im Windesodem
Flattert dein Hauch schon,
Und seh' ich fern durch die Stämme
Auf Waldeswiesen
Des Sonnenstrahls
Bewegtes Spielen,
So ist mir's oft:
Es sei das Wallen
Deines weissen Gewandes.

Mittagszauber

Im Garten wandelt hohe Mittagszeit,
Der Rasen glänzt, die Wipfel schatten breit;
Von oben sieht, getaucht in Sonnenschein
Und leuchtet Blau, der alte Dom herein.
Am Birnbaum sitzt mein Töchterchen im Gras;
Die Märchen liest sie, die als Kind ich las;
Ihr Antlitz glüht, es ziehn durch ihren Sinn
Schneewittchen, Däumling, Schlangenkönigin.
Kein Laut von aussen stört; 's ist Feiertag —
Nur dann und wann vom Thurm ein Glockenschlag!
Nur dann und wann der mattgedämpfte Schall
Im hohen Gras von eines Apfels Fall!
[77]
Da kommt auf mich ein Dämmern wunderbar;
Gleichwie im Traum verschmilzt, was ist und war;
Die Seele löst sich und verliert sich weit
Ins Märchenreich der eignen Kinderzeit.

Auf glatten Fluthen schwamm der Abendstern

Auf glatten Fluthen schwamm der Abendstern,
Ein grünlich Gold umdämmerte die Fluren;
Die Thürme Lübecks spiegelten sich fern,
Und leise zog der Nachen, drin wir fuhren.
Die Luft ward kühl, Gesang und Scherz zerrann
Gemach in traulich flüsterndes Gekose,
Ein weisser Mädchenarm griff dann und wann
Ins feuchte Blau nach einer Wasserrose.
Nachdenklich sass die Lieblichste der Schaar,
Ein sechzehnjährig blühend Kind am Steuer;
Den wilden Epheukranz im lockgen Haar,
Fast glich sie jener, die mir einst so theuer.
Und plötzlich stand es vor der Seele mir,
Mein ganzes Glück, mein ganzes Leid von weiland,
Und tiefe Sehnsucht fiel mich an nach dir,
Du meiner Jugend fernverschollnes Eiland! — —

Seefahrt

Willkommen am Strand, fluthbäumender Hauch, Nordost!
Wie schwillt mit Gebraus dein Flügel und lockt zur Fahrt!
Denn überm Sturz schaumweisser Hügel
Pocht kühneren Schlag das Menschenherz.
Durch spritzenden Gischt schon tanzet der Kiel, schon jagt
Hochflatternd Gewölk gleich Schwänen dahin. Schenkt Wein!
Wir leben heut! Stimmt an den Preischor
Und goldene Tropfen sprengt ins Meer!
Unendliches Leid wohl hab' ich erprobt. Doch gab
Ausgleichend ein Gott mir köstlichen Trost. Mir blieb
Erinnrung, Freundschaft und im Liede
Für jedes Geschick ein Widerhall.
[78]
Mag immer im Wind hinsterbenden Tons dies Lied
Mit andern verwehn! Doch schwichtet es mir im Gram,
Im Jubel mir, gleich Öl, die hohe
Sturmwoge der Brust, und das genügt.

Bothwell

Wie bebte Königin Marie,
Als durchs geheime Pförtlein spat
Mit ungebognem Haupt und Knie
In ihr Gemach Graf Bothwell trat!
Ihr schön Gesicht ward leichenweiss;
Sie zuckt' und sah ihn fragend an:
Er wischte von der Stirn den Schweiss
Und sagte dumpf: „Es ist gethan.
Es ist gethan, dein süsser Mund
War nicht für Buben solcher Art,
Heut Abend um die achte Stund
Hielt Heinrich Darnley Himmelfahrt.“ —
Sie schrie empor: „Verzeih dir Gott!
Nimm all mein Gold, nimm hin und flieh!“
Da lacht' er laut in grimmem Spott:
„Was soll mir Gold für Blut, Marie?
Ich liebe dich, und wenn ich mich
Der Höll ergab zu dieser Frist:
So war's um dich, allein um dich.
Weil du der schönste Teufel bist.
Die Hand, die einen König schlug,
Greift auch nach einer Königin.“
Er rief's, und Graun in jedem Zug,
Starr wie ein Wachsbild sank sie hin.
Er hub sie auf; sie fühlt' es nicht,
Dass ihr ins Fleisch sein Stahlhemd schnitt;
Ihr lockig Haupthaar wallte dicht
Um seine Schulter, wie er schritt.
Er stiess den Ring an ihre Hand,
Er schwang sie vor sich fest aufs Ross,
Und jagt' ins wetterschwüle Land
Hinaus mit ihr gen Dunbar-Schloss.
[79]
Schwarz war die Nacht, als wäre rings
Erloschen jeder Stern des Heils;
Nur manchmal in den Wolken ging's,
Gleichwie das Blitzen eines Beils.

Volkers Nachtgesang

Die lichten Sterne funkeln
Hernieder kalt und stumm;
Von Waffen klirrt's im Dunkeln,
Der Tod schleicht draussen um.
Schweb hoch hinauf, mein Geigenklang!
Durchbrich die Nacht mit klarem Sang!
Du weisst den Spuk von dannen
Zu bannen.
Wohl finster ist die Stunde,
Doch hell sind Muth und Schwert;
In meines Herzens Grunde
Steht aller Freuden Herd.
O Lebenslust, wie reich du blühst!
O Heldenblut, wie kühn du glühst!
Wie gleicht der Sonn im Scheiden
Ihr beiden!
Ich denke hoher Ehren,
Sturmlustger Jugendzeit,
Da wir mit scharfen Speeren
Hinjauchzten in den Streit.
Hei Schildgekrach im Sachsenkrieg!
Auf unsern Bannern sass der Sieg,
Als wir die ersten Narben
Erwarben.
Mein grünes Heimathleben,
Wie tauchst du mir empor!
Des Schwarzwalds Wipfel weben
Herüber an mein Ohr;
So säuselt's in der Rebenflur,
So braust der Rhein, darauf ich fuhr
Mit meinem Lieb zu zweien
Im Maien.
[80]
O Minne! wundersüsse,
Du Rosenhag in Blust,
Ich grüsse dich, ich grüsse
Dich heut aus tiefster Brust!
Du rother Mund, gedenk' ich dein,
Es macht mich stark wie firner Wein,
Das sollen Heunenwunden
Bekunden.
Ihr Könge, sonder Zagen,
Schlaft sanft, ich halte Wacht;
Ein Glanz aus alten Tagen
Erleuchtet mir die Nacht.
Und kommt die Früh im blutgen Kleid:
Gott grüss dich, grimmer Schwerterstreit!
Dann magst du, Tod, zum Reigen
Uns geigen!

Der Bildhauer des Hadrian

So steht nun schlank emporgehoben
Der Tempelhalle Säulenrund;
Getäfelt prangt die Kuppel droben,
Von buntem Steinwerk glänzt der Grund.
Und hoch aus Marmor hebt sich dorten
Das Bild des Donnrers, das ich schuf;
Du rühmst es, Herr, und deinen Worten
Folgt tausendstimmger Beifallsruf.
Und doch, wie hier vor meinen Blicken
Das eigne Werk sich neu enthüllt,
Mich selber will es nicht erquicken,
Und fast wie Scham ist, was mich füllt.
Ob nichts am hohen Gleichmass fehle,
Ob jedem Sinn genug gethan:
Kein Schauer quillt in meine Seele,
Kein Unnennbares rührt mich an.
O Fluch, dem diese Zeit verfallen,
Dass sie kein grosser Puls durchbebt,
Kein Sehnen, das, getheilt von allen,
Im Künstler nach Gestaltung strebt,
[81]
Das ihm nicht Rast gönnt, bis er's endlich
Bewältigt in den Marmor flösst,
Und so in Schönheit allverständlich
Das Räthsel seiner Tage löst!
Wohl bändgen wir den Stein, und küren,
Bewusst berechnend, jede Zier,
Doch, wie wir glatt den Meissel führen,
Nur vom Vergangnen zehren wir.
O trostlos kluges Auserlesen,
Dabei kein Blitz die Brust durchzückt!
Was schön wird, ist schon da gewesen,
Und nachgeahmt ist, was uns glückt.
Der Kreis der Formen liegt beschlossen,
Die einst der Griechen Geist beseelt;
Umsonst durchtasten wir verdrossen
Ein Leben, dem der Inhalt fehlt.
Wo lodert noch ein Opferfunken?
Wo blüht ein Fest noch, das nicht hohl?
Der Glaub ist, ach, dahingesunken,
Und todter Schmuck ward sein Symbol.
Sieh her, noch braun sind diese Haare,
Und nicht das Alter schuf mich blass;
Doch gab' ich alle meine Jahre
Für Einen Tag des Phidias;
Nicht weil des Volks verstummend Gaffen,
Der Welt Bewundrung ihm gelohnt;
Nein, weil der Zeus, den er geschaffen,
Ihm selbst ein Gott im Sinn gethront.
Das war sein Stern, das war sein Segen,
Dass ihn mit ungebrochnem Flug
Der höchsten Urgestalt entgegen
Der Andacht heiliger Fittig trug.
Er dürft' im Reigen der Erkornen
Voll Glanz noch den Olympos sehn,
Indess wir armen Nachgebornen
In götterloser Wüste stehn.
Da uns der Himmel ward entrissen,
Schwand auch des Schaffens himmlisch Glück;
Wohl wissen wir's, doch alles Wissen
Bringt das Verlorne nie zurück.
[82]
Und keine neue Kunst mag werden,
Bis über dieser Zeiten Gruft
Ein neuer Gott erscheint auf Erden,
Und seine Priesterin beruft.

Tageszeiten der Kunst

Dreifach sind in der Kunst wie im Leben die Stufen der Schönheit;
Geh zum Garten, im Bild zeigt sie die Rose dir an.
Keusch in sich selber vertieft, wie ein halb noch zu rathendes Räthsel,
Birgt sie am Morgen im Kelch streng den geschlossenen Reiz;
Doch nun schwellt sie der Tag, da beginnt sie zu lächeln, geöffnet,
Kaum wie zum Grusse geneigt schwebt sie in ruhiger Pracht;
Aber entgegengebeugt dem Bewunderer hängt sie am Abend,
Und — weit offen den Schooss — strömt sie berauschenden Duft,
Stets noch schön und reicher als je; doch du ahnst in der Fülle,
Welche den Gürtel gelöst, schon den Beginn des Verfalls.

Sprüche

Freude schweift in die Welt hinaus

Freude schweift in die Welt hinaus,
Bricht jede Frucht und kostet jeden Wein;
Riefe dich nicht das Leid nach Haus,
Du kehrtest nimmer bei dir selber ein.

Nicht ein Sinn, erkühlt zu Eis

Nicht ein Sinn, erkühlt zu Eis,
Über Sünden wilder Jugend
Richte nur, wer stark in Tugend
Selbst doch von Versuchung weiss.

Lass mir die Knaben vom Feste

Lass mir die Knaben vom Feste,
Denn sie haben noch nichts erlebt!
Das ist am Weine das Beste,
Dass die Erinnrung drüber schwebt.

Nimmer wirst du Unsterbliches schaffen

Nimmer wirst du Unsterbliches schaffen,
Nun vom Kampfe die Welt erbraust,
Wenn du nicht über dem Lärm der Waffen
Schon den Bogen des Friedens schaust.

Es ist der Glaub ein schöner Regenbogen

[83]
Es ist der Glaub ein schöner Regenbogen,
Der zwischen Erd und Himmel aufgezogen,
Ein Trost für Alle, doch für jeden Wandrer
Je nach der Stelle, da er steht, ein andrer.

Sprich nicht, wie jeder seichte Wicht

Sprich nicht, wie jeder seichte Wicht,
Von Heuchelei mir stets und Lüge.
Wo ist ein reich Gemüth, das nicht
Den Widerspruch noch in sich trüge?

Distichen

1.

Tadle mir nicht das Geschlecht, das im Stoff wühlt! Rüstig die Quadern
Haut es, aus denen der Geist einst sich den Tempel erbaut.

2.

Wär' es das Trefflichste gleich, kalt lässt uns, was du gelernt hast;
Gieb dich selber, Poet, und du bezwingst uns das Herz.

3.

Wann der Verfall anhebt? Wenn die Zeit die geschwollene Phrase
Von des empfundenen Worts Fülle zu scheiden verlernt.

Krokodilromanze

Ich bin ein altes Krokodil
Und sah schon die Osirisfeier;
Bei Tage sonn' ich mich im Nil,
Bei Nacht am Strande leg' ich Eier.
Ich weiss mit listgem Wehgekreisch
Mir stets die Mahlzeit zu erwürken;
Gewöhnlich fress' ich Mohrenfleisch
Und Sonntags manchmal einen Türken.
Und wenn im gelben Mondlicht rings
Der Strand liegt und die Felsenbrüche,
Tanz' ich vor einer alten Sphinx,
Und lausch' auf ihrer Weisheit Sprüche.
[84]
Die Klauen in den Sand gepflanzt,
Tiefsinnig spricht sie: Tochter Thebens,
Friss nur was du verdauen kannst!
Das ist das Räthsel deines Lebens.

Tempora Mutantur

Die Stätten meiner Jugend sah ich wieder,
Doch zeigen sie mir fast ein fremd Gesicht;
Rings wuchsen Giebel, sanken Wipfel nieder,
Und selbst das Flussbett ist das alte nicht;
Ja, Freund, den Hauch, der unterm Schlag der Glocken
Die Welt durchschauert, spür' ich doppelt hier;
Er blies nicht blos das Braun aus unsem Locken,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Wie lag im goldnen Märchenduft die Ferne,
Da uns noch eng der Heimath Bann umgab!
Vom ersten Berg schon sahn wir andre Sterne,
Und Zaubergerte schien der Wanderstab.
Sehnsüchtig wuchs das Herz, wenn seine Weisen
Das Posthorn sang im nächtgen Waldrevier —
Jetzt pfeift der Dampf und lässt im Sturm uns reisen;
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Von Ort zu Ort die traute Liebeskunde,
Die Grüsse, die der Freund dem Freunde rief,
Wie bang erharrten wir sie Stund um Stunde,
Und zum Ereigniss ward der späte Brief.
Verhallend selbst, als Echo nur, empfingen
Der Weltgeschichte Donnerbotschaft wir —
Jetzt trägt der Blitz das Wort auf Feuerschwingen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Vom Zauberduft der blauen Blume trunken,
Des Herzens Räthseln sann der Dichter nach;
Er klagt' um Sonnen, die hinabgesunken,
Und rief der Vorwelt mächtge Schatten wach.
Der Freiheit Muse schlich nur auf den Zehen
Bei Nacht zu ihm, als wär's Verbrechen schier —
Heut lässt sie auf dem Markt ihr Banner wehen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
[85]
Gruss euch, ihr Münster mit den hohen Schiffen,
Gebraus der Orgel, dunkles Chorgestühl,
Wo ein Geheimniss, ewig unbegriffen,
Uns Wahrheit ward durch unser wahr Gefühl!
Auf seinen Flügeln jedes Zweifels Schranke
Hoch überfliegend, kampflos glaubten wir —
Jetzt heischt sein Recht am Glauben der Gedanke;
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Wohl trugen wir das Vaterland im Herzen,
Doch liebten wir wie Knaben, stumm und zart;
Zum Freund nur sprach der Freund von seinen Schmerzen
Und von dem Kaiser mit dem Flammenbart.
Das Wort vom Reich, ob niemals ganz verklungen,
Doch scheu nur, ward's geflüstert dort und hier —
Heut rauscht es fort im Volk von tausend Zungen,
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.
Ja, vorwärts geht's, des Webstuhls Spulen sausen,
Die Welt ward weiter, freier Blick und Sinn;
Doch wie des Lebens Ströme schwellend brausen,
Wuchs nach Genuss die Gier und nach Gewinn.
Da singt bei Nacht wohl, eh' die Sterne schwinden,
Vom engen Jugendglück die Sehnsucht mir —
Doch komm nur, Tag! Du sollst mich wacker finden!
Verwandelt ward die Zeit und wir mit ihr.

Herbstgefühl

[86]
Müder Glanz der Sonne!
Blasses Himmelblau!
Von verklungner Wonne
Träumet still die Au.
An der letzten Rose
Löset lebenssatt
Sich das letzte, lose,
Bleiche Blumenblatt.
Goldenes Entfärben
Schleicht sich durch den Hain;
Auch Vergehn und Sterben
Däucht mir süss zu sein.

An die Deutsche Bühne

[87]
Du, deutsche Bühne, spiegle die Geschichte!
Denn nur ein gross Geschick bewegt die Herzen,
Dass sie das kleine gern und leicht verschmerzen —
Trost weht aus dem begeisterten Gedichte.
O leuchte mit des Geistes ewgem Lichte,
Und nicht mit schnellerloschnen Alltagskerzen!
Wohlfeile Rührung, possenhaftes Scherzen,
Der Tag erschufs, es wird mit ihm zu nichte!
Den Spiegel halte nicht dem Tand der Zeiten,
Des flachen Lebens kleinen Nichtigkeiten!
Hier winkt der Dichtung nie die Lorbeerkrone!
Zeig uns, wie Cäsar zagt am Rubikone,
Und nicht, wie Herzen innerhch erkranken,
Die zwischen Gurlis und Eulalien schwanken!

Auch lass die Klytemnestren und Medeen

[88]
Auch lass die Klytemnestren und Medeen
In ihren Gräbern ruhn, die mörderischen!
Sie können nimmer diese Zeit erfrischen
Mit ihres Schicksals moderduftgem Wehn!
Die Sonn ist müd, die Gräuel anzusehn!
Uns soll nicht mehr die Schlangenbrut umzischen!
Zertrümmert ruhn die Bilder in den Nischen —
Lasst auch die Götter stumm zum Orkus gehn!
Ihr tischt ein Mahl auf aus zerstückten Gliedern!
Wie anders jene hochgepriesnen Alten
Auf ihrer Bühne und in ihren Liedern!
Sie liessen frei den Geist des Volkes walten,
Sie liessen sich von ihrer Zeit begeistern —
Das lernt, ihr Dichter, von den grossen Meistern!

Ein freies, grosses Volk, das sah vor Zeiten

Ein freies, grosses Volk, das sah vor Zeiten
Des Aeschylos und Sophokles Gestalten
Mit wilder Kraft, mit menschlich edlem Walten
Voll Jubel über seine Bühne schreiten.
O Dichterloos voll seltner Seligkeiten!
Ein einig Volk, von keinem Wahn gespalten,
Es bot die Kränze jenen grossen Alten,
Und eilte, im Triumph sie zu geleiten!
Ihr neuen Dichter, hört's mit dumpfem Grollen!
O, was euch hemmt in Thaten und Gedanken,
Wohl Schranken sind's, doch nicht olympsche Schranken!
Zerfahrner Sinn, zersplittert Glauben, Wollen —
Doch wartet nicht auf freier Sonne Tagen:
Der Dichter soll voraus die Fahne tragen!

Geistesflug

[89]
Gebirg und Wolkenzug
Erhaben glühn,
War' dort des Adlers Flug
Auch mir verliehn!
Wär' ich ins Element
Der Luft gebannt,
Dass ich mich heben könnt'
Über Meer und Land!
Schwebt' ich im Abendroth
Der Bande frei!
Noch fänd' ich, wie dem Tod
Zu trotzen sei.
Thät' nicht der Sonne gleich,
Die dort noch blinkt
Und trüb ins Nebelreich
Hinuntersinkt.

Die Schnitterin

[90]
Vor einem grünen Walde
Da liegt ein sanfter Rain,
Da sah ich auf der Halde
Ein rosig Mägdelein.
Das fährt mit ihrer blanken
Geschliffnen Sichel 'rum,
Und mähet in Gedanken
Die schönsten Blümlein um.
Kukuk ruft immer weiter
Ins Holz den ganzen Tag,
Und alles prophezeit er,
Was ihr gefallen mag.

Die Verlassene

Denk' ich nach, was ich nun bin,
Seit er mich verlassen,
Tauscht mit mir kein' Bettlerin
Wahrlich auf der Strassen.
Tret' ich in die Kirchen ein.
Geht es ans Gedeute;
Donnert recht der Pfarrer drein,
Blinzeln alle Leute.
Geh' ich auf dem Bittgang mit,
Weichen sie zur Seiten;
Tanzen! Gott, mein Lebtag nit —
Das Gesichterschneiden.
Mach' ich, was ich machen will,
Niemand thu' ich's rechte:
Trutzig heiss' ich, wenn ich still,
Red' ich, heiss' ich schlechte.
Abends kann ich vor der Thür
Keine Stunde bleiben.
Noch am liebsten ist es mir,
Meine Gänse treiben.
Komm' ich an der Godel Haus,
Muss ich mich verfärben —
Wollt', ich war' zum Dorf hinaus
Oder könnte sterben.

Liebesnacht

[91]
„O weile, süsser Geliebter!
Es trügt dich nur,
Noch hellt, nur wolkengetrübter,
Der Mond die Flur.“
„Doch nimmer weilen und halten
Die Wolken dort,
Es führen sie wilde Gewalten
Von Ort zu Ort.“
„Ein Traum ist alle das Treiben
In dunkler Höh,
Doch uns muss ewig verbleiben
Der Sehnsucht Weh.“
„Ich seh' nur Kommen und Scheiden
Am Himmelszelt,
Es zieht die Seele der Leiden
Durch alle Welt.“
„Die Wolken wandern so nächtig
Ohn Schmerz und Lust,
Ich aber ziehe dich mächtig
An meine Brust.“

Hymnus an den Mond

Auch du bist wirkendes Licht,
Prangender Mond,
Und deinen Nächten gebietest du
Froh als unbestrittener Herrscher.
Wann du voll heraufsteigst
Über die Kuppen des Gebirgs
Hoch in den kühlenden Äther,
Schwindet die Nacht vor dir
Und deine Strahlen reichen
Mächtigen Umfangs hinaus
Über alles Gefilde.
Fühlsames Leben durchschauerst du;
Trunken schwärmet die Seele
Einsam dem Wandrer.
Vögel erweckst du aus wiegendem Schlaf,
Freudenreich singt die Nachtigall
Aus den silbernen Zweigen.
[92]
Pflanzen hauchen stärker in dir,
Ja selbst Felsen und todte Steine
Fühlen dein athmendes Weben.
Leise zu schwingen dann
Scheint ihr starres Innre
Und wir erkennen erstaunt,
Dass edlerer Abkunft
Ihrer Ordnungen Sinn.
Tempel erbaust du aus ihnen,
Welche machtvoll bestehen,
Während du das Scepter führst,
Herrlicher nächtlicher Gott,
Bis sie des Morgens
Grössere Helle
Wieder entführet.

Fremd in der Fremde

Nirgend kann ich lange bleiben,
Ruhelos ist mir der Sinn,
Wolken, Wind und Wellen treiben
Ohne viel Erinnrung hin.
Wenn im Herbst die letzten Schwalben
Fliehen, wird das Herz mir schwer,
Stimmen rufen allenthalben,
Allenthalben um mich her.
Ordnen sich die Wanderzüge,
Folgt mein Auge sehnsuchtsvoll,
Wenn ich mich an Menschen schmiege,
Fühl' ich, dass ich weiter soll —
Wieder weiter von der Stätte,
Die ich wandermüd ersehnt,
An der Liebe goldne Kette
Hat sich nie mein Herz gewöhnt.
Was mich fesselnd möcht' umschlingen,
Bebt mit mir in gleicher Pein,
Mag ich bangen, mag ich ringen.
Immer muss geschieden sein.

Im Walde

[93]
So einsam ist es um mich her,
So friedUch und so still,
Wenn nicht das Leid im Herzen wär',
Das nimmer schweigen will.
Die Vöglein singen dort und hier,
Im Wipfel lind es bebt,
Es steht ein fernes Grab vor mir —
Ist's wahr, dass ich's erlebt?
Zwei Falter fliegen ab und zu,
Wo eine Knospe sprang:
So schwärmten wir einst, ich und du,
Den grünen Wald entlang.

Abend

Goldgewölk und Nachtgewölke
Regenmüde still vereint!
Also lächelt eine welke
Seele, die sich satt geweint.
Doch die Sonne sinkt und ziehet
Nieder alle eitle Pracht,
Und das Goldgewölk verglühet
Und verbrüdert sich der Nacht.

Herbstgefühl

Wie ferne Tritte hörst du's schallen,
Doch weit umher ist nichts zu sehn,
Als wie die Blätter träumend fallen
Und rauschend mit dem Wind verwehn.
Es dringt hervor wie leise Klagen,
Die immer neuem Schmerz entstehn,
Wie Wehruf aus entschwundnen Tagen,
Wie stetes Kommen und Vergehn.
Du hörst, wie durch der Bäume Gipfel
Die Stunden unaufhaltsam gehn,
Der Nebel regnet in die Wipfel,
Du weinst und kannst es nicht verstehn.

Sehnsucht, auf den Knieen

[94]
Sehnsucht, auf den Knieen
Schauest du himmelwärts —
Einzelne Wolken ziehen,
Kommen und entfliehen,
Ewig hofft das Herz.
Liebe, himmlisch Wallen
Goldener Jugendzeit —
Einzelne Strahlen fallen
Wie durch Pfeilerhallen
In das Leben weit.
Einsam in alten Tagen
Lächelt Erinnerung;
Einzelne Wellen schlagen,
Rauschen herauf wie Sagen:
Herz, auch du warst jung!

Verschollenes Glück

[95]
Ich weiss ein Märchen, dass ein Wandrer kam
Zum Waldesgrund, da läutet' es wie Glocken,
Und eine Blume fand er wundersam
Und schmückte traumvoll seine braunen Locken.
Als er zurück zu Menschen kam voll Gram,
Bestaunten ihn die Leute tief erschrocken.
Die Welt war älter schon viel hundert Jahre,
Und keiner kannt' ihn mit dem Kranz im Haare.
So bist du meine Zauberblume auch,
Und von des Traumes Bann bin ich umfangen,
Ich weiss nicht mehr, was bei den Menschen Brauch,
Mir ist, als wären hundert Jahr vergangen.
Ein Fremdling bin ich worden, denn ein Hauch
Des Alters weht in dieser Welt, der bangen.
Nur ich bin jung und fremd im blüthenvollen
Lenzschmuck des Glücks wie vor der Welt verschollen.
Drum kehr' ich nun auf immer heim zu dir,
Ein Einsiedler des Glücks im Waldesgrunde.
Vergessen will ich sein. Mir sprudelt hier
Des Lebens Quell und Heil für jede Wunde.
Dein Auge feuchten Strahles über mir,
Ein Flüstern, weggeküsst von deinem Munde.
So mögen mir Jahrtausende verschwinden,
Zur Welt den Rückweg will ich nimmer finden.

Ein altes Pärchen

Allsommerlich kommt der alte Professor zur Jachenau,
Im Einspänner sitzt sein Hündchen und seine verwitterte Frau. -
Sie wohnen beim Klosterbauer hinten am Bienenhaus,
Sie schlafen zum lichten Mittag, und Abends gehn sie aus.
Die Frau hat ihren Strickstrumpf, er trägt das Parapluie,
Auch Thermometer und Fernrohr im ledernen Etui.
Damit erspäht er die Gemsen auf steilen Felsenhöhn,
Und an dem Barometer voraus sieht er den Föhn.
Auch manchmal sucht er Schwämme im tiefsten Walddickicht,
Die kocht ihm seine Frau dann Sonntags als Leibgericht.
Sie haben keine Kinder — einsam schon fünfzig Jahr
Blieb dies Professorpärchen, gleichwie ein bräutlich Paar.
Schon als des Klosterbauers Vater Hochzeit gemacht,
[96]
Da haben sie um die Linde mitgetanzt bei Nacht.
Drum küssen die Enkel die Hand ihm und ziehen die Kappe ab,
Und wenn der Bauer sie heimfährt, kutschirt er stets im Trab.
Das Paraphluie und das Fernrohr, der Barometer zugleich
Die geben ihm hohes Ansehn im ganzen Thalbereich.
Wer je ihn steigen gesehn hat auf Schmugglerpfaden kühn,
Auf Felsenkogeln schwindelnd im rothen Abendglühn,
Der sollte wirklich glauben, und solches glaub' auch ich,
Er sei Astrolog und Geheimrath des Königs Alberich.

Bruder Steffen

Weiter hinauf, nur weiter hinauf. Willkommen du Wildniss —
Wildzerklüftet die Schlucht und ausgewaschen die Wände.
Fernes Brausen ertönt wie tief vom Schoosse der Felsen,
Aber schaust du zurück, in dem Abgrund leuchtet der Bergsee
Gleichwie ein anderer Himmel herauf; hier hauset zu Zeiten
Bruder Steffen im Fels, Einsiedel und würdiger Klausner,
Gleichwie ein freundlicher Geist des Gebirgs, halb Felsen und Erde,
Halb ein strauchig Gebüsch, so grau und zerzaust und verwildert
Schleicht er zuweilen heraus. Doch scheu vor den Menschen der Thäler
Birgt er sich Monden hindurch in dem Schooss der rauschenden Wildniss,
Gleichwie ein Bär des Gebirgs, ein Mankei oder ein Steinbock.
Kommt sein Stündlein dereinst, einsam in der Klause zu sterben,
Singt Lebwohl ihm ein Vöglein vielleicht auf schwankem Gezweige,
Wolken, sie leuchten herab, und Blätter, sie decken ihn warm zu;
Aber es stirbt hier nichts; noch tausendjährige Stämme
Leuchten aus funkelndem Wasser empor und Formen der Urwelt
Lauschen versteinert im Fels. So wird auch Steffen dereinstmals
Mählich verwachsen mit Felsen und Stein. Das verwitterte Antlitz
Grau wie Granit und von Moose der Bart und die Augen von Glimmer,
Also wird er herniederschaun auf die ziehenden Wolken
Und auf die rollende Zeit. Jahrhunderte rauschen vorüber,
Menschengeschlechter, sie tauchen herauf, sie sinken hinunter,
Er doch blicket als heiliger Stein in die dämmernde Zukunft,
Gleichwie Ägyptens Sphinx und tönende Säule des Memnon.

Schon jenseits

Sieh, die Jugend stirbt und welkt und schwindet.
Schon ein Jenseits sind die Tage, da wir
Wandern auf den Gräbern unsrer Träume
Gleichwie Schatten, die nun übrig blieben,
Schatten jener lebensvollen Jugend,
Da wir göttlich fühlten, dachten, liebten. -
[97]
Ach, die Sage ist's der alten Griechen,
Die im Nebelland, am Strom der Lethe
Ihres Lebens Scheinbild wiederholten.
Sieh, dies Nebelland, es ist das Alter,
Und die Schatten sind wir selbst im Leben,
Wenn die rosige Jugendzeit verblutet.
Ach, wir wissen kaum, wie glücklich einst wir
Waren in dem Sonnentraum der Liebe,
Wissen kaum die Flammen jener Tage -
Hier umwogt uns des Vergessens Strom schon,
Und des Lebens Farben sind erloschen. -
Zwar wir kennen uns noch gleichwie Schatten,
Die sich treffen an dem schwarzen Strome.
Nur ein blasses Leuchten ward die Flamme,
Nur ein leises Flüstern und ein Seufzen
Ward die Sprache im Vorüberschweben.
Also leben wir in grauen Tagen
Nun fortan vereint und doch geschieden.
Oben fern im goldnen Rosenlichte
Wogt die neue Welt im Sonnentraume,
Wo nun andre Paare sich bekränzen,
Weinen, lieben und an Götter glauben.

Regenlied

[98]
Walle, Regen, walle nieder,
Wecke mir die Träume wieder,
Die ich in der Kindheit träumte,
Wenn das Nass im Sande schäumte!
Wenn die matte Sommerschwüle
Lässig stritt mit frischer Kühle,
Und die blanken Blätter thauten,
Und die Saaten dunkler blauten.
Welche Wonne, in dem Fliessen
Dann zu stehn mit nackten Füssen!
An dem Grase hinzustreifen
Und den Schaum mit Händen greifen,
[99]
Oder mit den heissen Wangen
Kalte Tropfen aufzufangen,
Und den neu erwachten Düften
Seine Kinderbrust zu lüften!
Wie die Kelche, die da troffen,
Stand die Seele athmend offen,
Wie die Blumen, düftetrunken
In den llimmelsthau versunken.
Schauernd kühlte jeder Tropfen
Tief bis an des Herzens Klopfen,
Und der Schöpfung heilig Weben
Drang bis ins verborgne Leben. —
Walle Regen, walle nieder,
Wecke meine alten Lieder,
Die wir in der Thüre sangen,
Wenn die Tropfen draussen klangen!
Möchte ihnen wieder lauschen,
Ihrem süssen feuchten Rauschen,
Meine Seele sanft bethauen
Mit dem frommen Kindertgrauen.

Dat Moor

De Borrn bewȩgt sik op un dal,
As gingst du längs en böken Bahl,
Dat Water schülpert inne Graff
De Grasnarv bȩwert op un af;
Dat geit hendal, dat geit tohöch
So lisen as en Kinnerweeg.
Dat Moor is brun, de Heid is brun,
Dat Wullgras schint so witt as Dun,
So week as Sid, so rein as Snee:
Den Hadbar reckt dat bet ant Knee.
Hier hüppt de Pock int Reth hentlank,
Un singt uns Abends sin Gesank;
De Voss de brut, de Wachtel röppt,
De ganze Welt is still und slöppt.
[100]
Du hörst din Schritt ni, wenn du geist,
Du hörst de Rüschen, wenn du steist,
Dat lȩvt un wevt int ganze Feld,
As weert bi Nacht en anner Welt.
Denn ward dat Moor so wit un grot,
Denn ward de Minsch so lütt to Moth:
Wull weet, wa lang he daer de Heid
Noch frisch un kräfti geit!

He sä mi so vel

He sä mi so vȩl, un ik sä em keen Wort,
Un all, wat ik sä, weer: Jehann, ik mutt fort!
He sä mi vun Lev un vun Himmel un Eer,
He sä mi vun allens — ik weet ni mal mehr!
He sä mi so vȩl, un ik sä em keen Wort,
Un all, wat ik sä, weer: Jehann, ik mutt fort!
He heel mi de Hann, un he bȩ mi so dull,
Ik schull em doch gut wȩn, un ob ik ni wull?
Ik weer je ni bös, awer sä doch keen Wort,
Un all, wat ik sä, weer: Jehann, ik mutt fort!
Nu sitt ik un denk, un denk jümmer deran,
Mi düch, ik muss seggt hebbn: Wa geern, min Jehann!
Un doch, kumt dat wedder, so segg ik keen Wort,
Un hollt he mi, segg ik: Jehann, ik mutt fort!

Vaer Daer

Lat mi gan, min Moder slöppt!
Lat mi gan, de Wächter röppt!
Hör! wa schallt dat still un schön!
Ga un lat mi smuck alleen!
Sieh! dar liggt de Kark so grot!
An de Mür dar slöppt de Dod.
Slap du sund un denk an mi!
Ik dröm de ganze Nacht vun di.
[101]
Moder lurt! se hört't gewis!
Nu's genog! — adüs! adüs!
Morgen Abend, wenn se slöppt,
Bliv ik, bet de Wächter röppt.

Ol Büsum

Ol Büsen liggt int wille Haff,
De Floth de keem un wöhl en Graff.
De Floth de keem un spöl un spöl,
Bet se de Insel ünner wöhl.
Dar blev keen Steen, dar blev keen Pahl,
Dat Water schael 2) dat all hendal.
Dar weer keen Beest, dar weer keen Hund,
De liggt nu all in depen Grund.
Un Allens, wat der lȩv un lach,
Dat deckt de See mit depe Nach.
Mitünner in de holle Ebb
So süht man vunne Hüs' de Köpp.
Denn dukt de Thorn herut ut Sand,
As weert en Finger vun en Hand.
Denn hört man sach de Klocken klingn,
Denn hört man sach de Kanter singn,
Denn geit dat lisen daer de Luft:
„Begrabt den Leib in seine Gruft!“

Läuterung

[102]
Wo war, wo ist, wo wird sie sein,
Die Stunde, wahrem Glück erlesen?
Sie ist nicht und sie wird nicht sein,
Denn sie ist immer nur gewesen!
Wir mäkeln viel, bis sie entrinnt,
Sie däucht uns schön, wenn wir sie missen,
Und dass wir glücklich waren, wissen
Wir erst, wenn wir es nimmer sind.
Wo ist der Mann, wann wird er kommen,
Den alle Tugendzierden adeln?
Steht er dir nah, noch so vollkommen,
Doch weisst du dies und das zu tadeln;
Erst wenn er schied und nimmer kehrt,
Erglänzen hell dir seine Gaben,
Und eines Menschen ganzen Werth
Zu kennen, müsst ihr ihn begraben.
[103]
Was lieb dir, wird dir lieber sein,
Noch schmerzlich lieber durch die Ferne;
Blick auf! wie schlingt sie glänzend rein
Den goldnen Zauber um die Sterne!
Sie webt die blaue Schleierluft
Um des Gebirges schroffe Zinnen,
Dass eingehüllt in weichen Duft
Die Härten des Gesteins zerrinnen.
Blick nieder, wo von ihrem Gruss
Die Friedhofhügel wogend schwellen,
Des dunkeln Stromes grüne Wellen,
Der so viel Liebes scheiden muss!
Sie spülen Makel weg und Fehle, —
Und wie ein Schwan beim Wellenschein,
Im Drüberflug ahnt deine Seele;
Hier bad' ich einst den Fittig rein.

Das rechte Wort

Die Auen ein fürstlicher Jagdzug weckt,
Inmitten die kaiserlich Majestät;
Die Bäume sich neigen, doch nicht aus Respekt,
Es beugt sie der Wind, der die Wipfel verdreht;
Der Himmel, unartig, schickt böses Wetter,
Schwer fallen die Tropfen, hinwirbeln die Blätter;
Da ruft der Durchlauchtigst auf seinem Gaul:
„Ah, schaut's, jetzt regnet's mir gar ins Maul!“
Indess die ipsissima verba ein Graun
Verbreiten im Zug, lasst ein Monument
Aus jener Zeit, sein Bild, uns beschaun;
Ich trag's in der Tasche^ Siebzehner man's nennt.
Ein Lorbeerkranz in Perrückenwildniss
Und eine Lippe, sonst nichts! — so sein Bildniss,
Draus männiglich sieht, wie dem frommen Mann
Gar leicht in den Mund das Wasser rann.
Ihr Hoflakaien, nun rennt und sprengt:
Ein Regenschirm ist's, was retten kann!
Hofmarschall beschliesst ganz still: Der Mann,
Der des Kaisers Hut gemacht, der hängt!
Hofmedicus denkt: Nach dem Ebenmasse
Wohnt friedlich der Mund im Schatten der Nase,
Durchlauchtigste Nase verschmäht das System;
Wie stell' ich nun dieses der Nase genehm?
[104]
Schon tröstet den Kaiser der Hofjesuit:
„Der Priester dir Weihbronn entgegenhält,
Wenn die Majestät in die Kirche tritt;
Ein Dom des Herrn ist Wald und Feld,
Gott selber hat hier den Weihbrunn ergossen,
Zu grüssen dich, den Frommen, den Grossen!“
Der Kaiser wird grimmig, wie König Saul:
„Zum Teufel! mir regnet's noch immer ins Maul!“
Der Eine erstarrte, der Andere lief,
Der rang die Hände, der stand wie im Bann;
Am Eichbaum lehnt' in Gedanken tief
Der Günstling des Herrn und sann und sann;
Auf springt er jetzt, heiliger Sendung trunken,
Die Stirn ihm umsprühn der Erleuchtung Funken:
„Mein allergrossmächtigster Kaiser geruh
Und schliesse die Lippen huldreichst zu!“
Lobsinge, du heiliges römisches Reich!
Wie leicht du zu schirmen, zu retten bist!
Geschoss der Karthaunen und Schwerterstreich
Trifft nicht wie ein Wörtlein zu rechter Frist;
Send immer dir's Gott zur rechten Stunde,
Und Fürsten, die horchen dem rechten Munde
Und Räthe zu weisem Rathe nicht faul!
Dem Kaiser regnet es nimmer ins Maul.

Gneisenau in Erfurt

Die Trommel will dröhnen und flattern die Fahn

Die Trommel will dröhnen und flattern die Fahn,
Der Mörser will donnern vom Wall,
Denn Erfurt, die Veste, soll heut empfahn
Den greisigen Feldmarschall.
Wie glänzen in Waffen Mann und Pferd!
Wie sprengt ihm entgegen der Stab!
Denn grün ist sein Lorbeer und scharf sein Schwert
Und mächtig sein Marschallstab.
Die Priester, die Bürger in festlicher Tracht,
Sie huldigen all ihm gern,
Der weise im Rath, ein Tapfrer der Schlacht,
Und gut im innersten Kern.
[105]
Da lächelt gar fein Held Gneisenau,
Winkt freundlich die Herrn zurück:
„Erlasst mir Fanfaren und Truppenschau,
Vergönnt mir ein stilleres Glück!
Ein Glück, wie da ich hier wandeln ging
Als Bürschlein gering und klein,
Und nannte im weiten Weltenring
Ein Buch und ein Herz nur mein.
Will's halten wie einst als armer Student,
Da die Kneipe dort mein Palast,
Will laden zu fröhlichem Burschenkonvent
Nur Kommilitonen zu Gast.
Lasst Fahnenschwung und Trommeln sein,
Und Mörsergruss vom Wall;
Den alten Studenten läute nur ein
Verbrüderter Becherschall!“ — —

Im Schenkhaus sitzt er, zur selben Stell

Im Schenkhaus sitzt er, zur selben Stell,
An demselben langen Tisch,
Wo einst mit ihm manch flotter Gesell
Gezecht und gesungen frisch.
Jetzt sind's der Häupter nur drei bis vier!
Der Tisch, wohin er auch blickt,
So leer und lang, dass sein Ende schier
Hinaus bis zum Kirchhof rückt.
Und diese Genossen, wie andrer Stoff!
Der Eine, dem Lust und Gesang
Sonst wie dem Zeisig vom Schnäblein troff,
Schweigt wie ein Karthäuser bang.
Der Andre, der sonst den Humpen nicht fand,
Der bauchig genug ihm sei,
Er nippt nur scheu von des Glases Rand,
Wie ein Kind die bittre Arznei.
Und blickt er zum Dritten, dem Bruder der Braut,
Die er im Tode verlor,
Umflattern sein Aug, zu Nebeln ergraut,
Brautschleier und Trauerflor.
[106]
Da rief der Mund, dem die Heere im Streit
Gehorcht und die Donner der Schlacht:
„Herauf, o du goldene Jugendzeit,
Und übe die Wundermacht!“
Und wie er sein „Feuer!“ einst kommandirt,
Jetzt klang es fast ebenso:
„Ihr alten Bursche, stosst an und schmollirt!
Singt ein Gaudeamus froh!“
Gehorsam beugen sich auf sein Geheiss
Die Stirnen gefurcht und fahl,
Es schliessen um ihn den Bundeskreis
Die Häupter ergraut und kahl.
Doch als das Gaudeamus begann,
Es klang wie ein Requiem heut;
Und als sie die Becher stiessen an,
Da scholl es wie Grabgeläut.
Das Wort, das gesiegt im Zauberschwung
Bei Kolberg und Waterloo,
Ach, diese Juvenes macht es nicht jung
Und ihr Gaudeamus nicht froh!
Sein Schwert ist scharf, und sein Lorbeer ist grün,
Sein Marschallstab herrscht weit,
Doch weckt er nicht die Verblühte zum Blühn,
Die Rose der Jugendzeit.

Da senkt er das Haupt, sein Blick voll Leid

Da senkt er das Haupt, sein Blick voll Leid
Ruht auf dem Glaspokal;
Er hat in dem Bild der Vergänglichkeit
Erkannt die sinnige Wahl.
Denn unverletzt steht vor dem Greis
Das nämliche Römerglas,
Aus dem er einst trank im Jugendkreis
Und Welt und Sorge vergass.
Der Thron und das Schwert des Gewaltigen brach,
Und Jugend und Kraft, ihr fielt,
Derweil dies Gefäss so gebrechlich und schwach
Viel treuer und fester hielt.
[107]
Vom Staub des Alters bewahrt sich's rein,
Die Quelle scheuert es blank;
O spülte so weg der quellende Wein
Was trüb auf die Seelen uns sank!
In Flammen ward es geklärt und hart
Wie Heldenherzen wohl auch;
Ward wie der Ruhm so spröd und so zart,
Zu trüben von einem Hauch;
In Splitter zerbräch's ein leiser Ruck;
Doch dauert's euch zum Neid,
O Myrthenkranz, o Lorbeerschmuck,
O Rose der Jugendzeit!
In Wehmuth das unbestechliche
Verhängniss der Greis ermass,
In zitternder Hand das gebrechliche
Und doch so feste Glas.
Wie Glockenton, wie Rosenduft
Verweht es leis und fern;
Zu seinen Füssen dämmert die Gruft,
Zu Häupten ihm funkelt ein Stern.

An Nicolaus Lenau

O hört' ein Lied ich deinem Mund entklingen!
Genesung ist's, blühst du in Sängen wieder;
Des Dichterbaumes Blüthen sind die Lieder,
Kein kranker Baum wird solche Blüthen bringen.
Sei's auch ein düstres Lied, wenn nur dein Singen!
Die dunkle Tanne blüht nicht hell wie Flieder,
Selbst deine Lerchen tragen schwarz Gefieder,
Nur Morgenroth vergoldet ihre Schwingen.
Es ist dein Lied der räthselvolle Falter,
Der einen Todtenschädel trägt zum Schilde;
Doch nur durch schöne Frühlingsnächte wallt er!
Der Passiflore gleicht's, ein Kreuz umschwankend,
Ein göttlich Leiden formt ihr Blühn zum Bilde;
Doch nur in Frühlingssonnen blüht sie rankend.

Knospen

[108]
Sonnenglanz und Rosenduft,
Nachtigallgeschmetter!
Doch verirrt in Frühlingsluft
Flattern dürre Blätter.
Haben an den Zweigen lieb
Noch vom Herbst gehalten,
Doch der jungen Knospen Trieb
Drängt vom Platz die alten.
Junges Volk bei Tanz und Spiel
Jauchzt in grünen Hagen,
Doch ich seh' auch ihrer viel
Trauerflöre tragen.
Denn wie hier in Frühlingsluft
Welke Blätter stieben,
Sah ihr eigner Lenz zur Gruft
Welken theure Lieben.
Knospen sind sie selber auch!
Ohn es selbst zu ahnen,
Drängen sie nach Knospenbrauch
Welkes aus den Bahnen.
Dass ihr eigner Lebensmai
Oben sich entfalte,
Dass er blüh' und klinge frei,
Muss hinab das Alte.
Und wie dürren Laubes dringt
Mir durchs Mark ein Knistern,
Zu der Seele Tiefen ringt
Sein unheimlich Flüstern;
Rings von Knospen weich und sacht
Fühl' ich leises Drängen;
„Lebewohl!“ und „Raum gemacht!“
Tönt's aus Lenzgesängen.
Sonnenglanz und Rosenduft!
Nachtigallgeschmetter!
Und in solcher Frühlingsluft
Irre dürre Blätter!
[109]
Ja, mein Loos ist ihrem gleich,
Da wir erdwärts sinken,
Während ringsum freudenreich
Neue Lenze winken.
Sei ihr Trost der meine auch:
Dass im Niederwallen
Wir gewiegt vom Frühlingshauch
Nur in Blüthen fallen!

Sprüche

Ein Pfennig, in den Opferstock gerückt,

Ein Pfennig, in den Opferstock gerückt,
Wird lauten Klangs dein Loblied singen;
Ein Goldstück, in die Bettlerhand gedrückt.
Wird nur beglücken, doch nicht klingen.

Man schreibt auf manchen Stein

Man schreibt auf manchen Stein:
„Er hatte keinen Feind!“
Als Lobspruch ist's gemeint,
Doch schliesst's viel Schlimmes ein:
Es klänge just so gut:
Ihm fehlte Herz und Blut,
Er liess wie Kies sich treten,
Er liess wie Thon sich kneten,
Sein Aug' war blind dem Lichte,
Sein Mund war stumm für Wichte.
O raubt mir nicht am Grabe
Noch meine beste Habe:
Die Feinde, deren Zorn
Mein Schmuck, mein Stolz, mein Sporn;
Von jenem Worte rein
Lasst meinen Stein.

Die Römerstraße

[110]
Die Sonne sinkt; die Gluth des Tages schwand!
Auf denn, Geselle, nimm den Stab zur Hand
Und nach dem Mahl, das labend uns erfrischte,
Folg nun in jenes Waldes Laubgemach
Der Römerstrasse Spuren mit mir nach,
Die längst im Saatgefild der Pflug verwischte!
Wir schreiten, komm nur, erst den Fluss entlang,
Dann rechts hinauf des Weinbergs steilen Hang,
Und wieder links durch den Kartoffelacker!
Da schallt schon, horch, der Wipfel dumpf Gebraus,
Als lachten sie ob unsrer Hast uns aus:
„Ei, alte Knaben, lauft ihr noch so wacker?“
O kühler Hauch, der fächelnd uns berührt!
Der Pfad, der breit hier durch die Büsche führt,
Wie lockt er an, frohplaudernd fortzuschreiten!
Doch Nichtges nur erringt sich mühelos;
Wir müssen durch des Dickichts rauhen Schooss,
Durch Dorn und Disteln uns den Weg erstreiten!
[111]
Frisch auf! Hinein ins grüne Blättermeer,
Und setzt es sich mit Stacheln auch zur Wehr,
Wir dringen durch! — Und sieh, in Waldesmitten
Wallähnlich hebt das Erdreich sich empor;
Wir sind zur Stelle! — Hier ward Busch und Moor
Vom Strassenzug der Römer einst durchschnitten!
Nun wächst Gestrüpp, ja, mächtges Bauholz drauf;
Des Giessbachs Wuth zerriss des Dammes Lauf,
Den stahlgepanzert einst Legionen traten;
Ihr Heerweg war es! — Grabe nur hinein;
Rings triffst du festen, wohlgefügten Stein,
Sie bauten für die Dauer, Roms Legaten!
Der hier im Busche lag, der Meilenstein,
Den mauerten beim Friedhofthor sie ein! —
Du sahst ihn wohl! — Und dort bei den drei Buchen,
Dort war ein Brunnen! — Sieh' noch heut den Strahl
Durch Steingeröll und Trümmer dünn und schmal,
Im Sand versickernd, sich den Ausweg suchen!
Vor Jahren fand man eine Inschrift dort —
Sie schleppten ins Museum gleich sie fort —
Die angab, Cajus Flavius Carbo hätte,
Ein alter Kriegsmann, diesen Quell gefasst,
Und Wandrern, müde von des Tages Last,
Ihn fromm geweiht zur kühlen Ruhestätte!
Auch einer Steinbank Reste, Röhrenblei,
Backsteine, Scherben, Münzen allerlei
Grub Forschergier aus diesem Trümmerhaufen;
Die Quelle aber, die mit hellem Klang
Ins Marmorbecken einst hier niedersprang,
Die liessen sie wie vor im Sand verlaufen !
Warum auch sollt' sie nicht? — Kein Fusstritt schallt
Mehr auf der Römerstrasse durch den Wald;
Verkehr und Handel nahmen andre Wege:
Wer suchte Labung noch an ihrem Rand,
Als nur der Vogel, zieht er über Land,
Das scheue Reh dort aus dem Wildgehege!
Es geht auf Erden eben Alles hin! —
Ich aber unweltläufig, wie ich bin,
[112]
Und mehr daheim in Büchern als im Leben,
Ich sitz' hier oft und koste gern vom Quell,
Der niederträuft vom Steine klar und hell,
Und lasse wirre Träume mich umweben!
Und weisst du, was ich oft schon hier gedacht
Und was mir immer wiederkehrt mit Macht,
So oft auf diesen Trümmern ich gesessen?
Der Dichter denk' ich, deren Lieder Schall
Erweckt vordem der Herzen Wiederhall,
Und die bis auf den Namen nun vergessen
Nicht jene Grossen, die da Strömen gleich
Fortrauschen ewig durch der Bildung Reich,
Des Ideals unsterbliche Propheten;
Die mein' ich, die da waren, was wir sind,
Die Ruhm erwarben und auch Ruhm verdient,
Doch, Kinder ihrer Zeit, mit ihr verwehten!
Die, wie der Quell hier, Tausenden vielleicht
Von müden Wandrern Labung mild gereicht,
So lange Wandrer noch des Weges kamen,
Und die versiegt, wie hier der Quell, im Sand,
Seit andre Ziele Geist und Bildung fand,
Und Zeit und Leben andre Wege nahmen!
Die, wie der Quell hier, bricht auch dünn und schmal
Aus Schutt und Steingeröll nur mehr sein Strahl,
Erquicken könnten heute noch und laben,
Wär' nur zerstört die Römerstrasse nicht,
Wär' nur des Waldes Dickicht nicht so dicht,
Wär's anderswo nur leichter nicht zu haben!
Das ist es! Wen die Zeit trägt, reisst sie fort!
Heut geht die Strasse hier und morgen dort,
Dort öffnet sie, verschüttet hier die Quellen! —
„Heut grüner Lorbeer, morgen dürres Laub,
Heut frische Rose, morgen welker Staub!“
So rauscht es, Zeitenstrom, aus deinen Wellen!
„Leb heut, streb heut, sieg heute,“ rauschen sie;
„Was du nicht heute hast, das hast du nie!
Gebrechen dir des Genius höchste Gaben,
So brauch', die dir geworden, wie ein Mann,
Geniesse, was dein Streben dir gewann.
Und frage nicht, was wird, wenn du begraben!“ —
[113]
Das ist es, was so oft ich hier gedacht
Am Römerbrunnen in des Dickichts Nacht;
Hier lernt' ich still mein Haupt dem Schicksal neigen! -
Doch komm nun — Abend dämmert um uns her,
Und überm Moor wallt Nebel grau und schwer —
Komm, lass ins Thal gemach uns niedersteigen! —

Meinungen und Stimmungen

Als Glück der Armuth pries man jüngst mir sehr

Als Glück der Armuth pries man jüngst mir sehr,
Wer nichts besitze, könn' auch nichts verlieren! —
O welches Glück erfroren sein! Denn wer
Bereits erfror, der kann nicht mehr erfrieren!

Zu kämpfen gilt es, soll die Wahrheit siegen

Zu kämpfen gilt es, soll die Wahrheit siegen,
Da braucht's der Mühen, braucht's der Opfer viel
Die Lüge lass wie eine Feder fliegen,
Der Hauch der Lüfte trägt sie an ihr Ziel!

Der Lebenslauf der Menschen gleicht

Der Lebenslauf der Menschen gleicht
Meist mittelmässigen Gedichten;
Genügt dir auch die Form vielleicht,
Auf Poesie musst du verzichten.

Was grün ich sehe, siehst du eben roth

Was grün ich sehe, siehst du eben roth,
Und wüssten wir's, wer wollte Streit beginnen
Wir wissen' s aber nicht, das ist die Noth,
Und Jeder meint, der Andre sei von Sinnen!

Längst hat Geschmack Wortspiele sich verbeten

Längst hat Geschmack Wortspiele sich verbeten,
Nur mit Gedanken spielt der Witz;
Das Kind erfreu' sich platzender Raketen,
Der Mann bewundert, zuckt der Blitz!

In Sternloser Nacht

[114]
Todesreigen im Lebensglanz, ich seh' deine Kränze flattern!
Ein Glockenschlag, ein Windeshauch, rasch werden sie dir zu Bestattern!
Mich täuschet es nicht, das grosse Gespenst, die Welt in unendlicher Öde:
Ich nah' ihr, ein Hamlet, ich rufe sie an: Nachtwandelnde, steh mir Rede!
Fragwürdge Gestalt, wer bist du wohl? von wannen kommst du? o sag' es!
Wie stiegst du herauf aus den Grüften des Nichts in die Dämmrung des irdischen Tages?
Was willst du mir im Reiche des Tods, hellgleissende Lebenslüge?
Was wollt ihr, Himmel und Erde, mir, Lenzblüthen und Sternenzüge?
Es spielt das Licht um die Weltengruft, wie der Mond um Kreuzgangfenster:
Von welchem vermoderten Gottesreich sind wir die bleichen Gespenster?

Nächtliches Ungewitter

[115]
Horch, Donner rollen durch die finstre Nacht,
Und vom Himmel stürzt das rauschende Wasser
Und schlägt in grossen klatschenden Tropfen
Ans hohe Fenster,
Und grelle Blitze beleuchten
Mit unerfreulicher Helle
Das einsame Gemach mir,
Und ich wälze mich schlaflos auf dem Lager.
Wie unerquicklich, mitternächtiger Weile
So preisgegeben zu sein hinter den hohen, hellen Fenstern
Dem Donnergeroll, dem Regengeprassel, dem grellen Lichtschein!
Glücklicher preis' ich jetzo die Thiere des Walds,
Die draussen unter den breiten Eichbäumen,
Vergraben ins weiche Moos,
In Klüften schlummern oder in Erdhöhlen,
In hohlen Baumstämmen und unter dichtesten Laubdächern,
Von Blitzen ungeblendet und nichts hörend!
O diese schlummern friedlich und unbekümmert!
Heissa, der Sturmwind, der erst wie ein Wolf nur
Heulte draussen im Feld, nun kommt er
Hyänengleich und reisst die Entschlummerten
Empor aus der heiligen Gräberstille des Traums.
Hu, hu, wie brüllt's
Und heult und winselt und pfeift! Gespenster flüchten
Vom Friedhof sich in die Schornsteine,
Und wimmern
Und schlagen die dürren Klapperbeine zusammen;
Denn toll geworden finden sie
Die sonst so friedUche Mitternacht,
Und werden selber toll,
Und hinter ihnen herjagend keucht's
Und bellt
Wie eine höllische Meute. Vergebens brummt
Zwölf salbungsvolle Schläge die Thurmuhr drein;
Was will das metallne Gebimmel
Im Brausen der Urgewalten? Lass ab,
Kirchenglocke, fromme Gevatterin!
Es will ja doch
Zu Zeiten sich auch austoben die Hölle.

Ganymed

[115]
Auf schweigendem Bergesgipfel
Der Knabe des Thales ruht
Und blickt in die ziehenden Wolken,
In die sterbende Sonnengluth:
„O schwebt' ich wie Götter im Bronnen
Des Äthers, im Sternenraum!“ —
Er entschlummert — olympische Wonnen
Umfangen ihn hold im Traum.
Es steigt sein Busen voll Sehnen
Nach der Uranionen Glück,
Und es öffnet sich, trüb vor Thränen,
Noch halb im Traume sein Blick:
„Was hör ich so lockend klingen?
Was rauscht mir so wunderbar
Ums Haupt mit goldenen Schwingen?
Was willst du, kreisender Aar?“
Und er fühlt sich auf Fitt'gen gehoben:
„Ach, träum' ich noch immer? o Glück!“
Es trägt ihn, es reisst ihn nach oben,
Tief weichen die Berge zurück.
„O süsses Sehnen und Hoffen!
Fahr wohl, du nächtliches Thal:
In ewigem Blau steht offen
Der strahlende Göttersaal!“

Aus dem Schwanenlied der Romantik

1.

Sternengluth, du hehre, goldnes Zauberreich,
Seh' ich dich erschlossen, wird das Herz mir weich.
Tröstung winkt mir ewig deine lichte Zier,
Ewig jauchzt entgegen meine ganze Seele dir!
Während mitternächtlich Mond- und Sternenlauf
Der Erde Rund umwandelt, geht eine Welt mir auf
Versunkner Herrlichkeiten; verschollner Klang erwacht.
Vereint vor meinem Auge blüht alter Zeiten Wunderpracht.
[116]
Und wie der Pilger, flüchtend vor Welt und Schicksalswucht,
Heilige Wanderstätten wallfahrend fromm besucht,
So Nachts in alle Weiten zieht meines Sehnens Traum:
Zeiten- und Völkerfernen sind meiner Andacht Tempelraum!

2.

Hohe Herzenseinfalt, heilge Seelengluth,
Die, alles Starre schmelzend in ihrer selgen Fluth,
Für Himmelsblumensaaten befeuchtet den Erdenstaub,
Allmählich, ach, allmählich wirst du des grinsenden Dämons Raub!
Göttersohn Gedanke! wo ist dein Sonnenflug,
Der wie mit Adlerschwingen aufwärts dich trug?
Gottestrunken schwebtest du im Schooss des Lichts:
Nun ist der Stoff dein Götze, dein Pfad der Schlamm, dein Ziel das Nichts!
Wo ist dein göttlich Siegel, o Kunst, das Ideal?
Ich sehe Gestalten und Farben schimmern im Marmorsaal,
Doch es fehlt der beseelende Funke von oben, das zündende Licht:
Ich sehe Gesichter und Larven, ein Menschenantlitz seh' ich nicht!
Wo blieb dein Himmelszauber, stolzer Liedesklang,
Der Löwen und Delphine gelockt und Steine zwang?
„Mein Lied ist ausgesungen!“ seufzt die Poesie,
Und drückt ins eigne Herz sich den Stachelzahn der Ironie! —

3.

„Hör an, du sinnender Träumer, merk auf das junge Licht,
Vor dessen Dämmergrauen schnöde zusammenbricht
Das Wolkenschloss der Dichtung. Einsam hinzuknien
Lass ab vor wüsten Altären, wo längst verstummt die Psalmodien!
Hinfahre des Schönen Zauber, uns bleibt des Wissens Macht!
Weiche der Fackel des Tages, traumberauschte Nacht!
Nicht länger wird genügen der Künste Gaukelspiel:
Es locken neue Bahnen, es winkt ein frischgestecktes Ziel!
Was soll uns noch des Orpheus thierzähmende Melodie?
Wir zähmen der Erde Kräfte mit stärkerer Magie;
Alle Schleier lüftend, auf kühn entdeckter Spur
Dringen wir erobernd bis in dein tiefstes Herz, Natur!
[118]
Wir thürmen keine Dome mehr ins Himmelsblau,
Doch der Gesittung wölben wir einen Wunderbau,
Riesenhaft und prächtig; in tausendjährgem Frohn
Mühn sich der Erde Geschlechter um dieses junge Babylon.
Wegspotte des Sinnes Orakel, der Herzen Urweltstraum,
Vom Weine des Gedankens schwinde der Fabel Schaum;
Die Dämmerung verzehrend, hoch auf die Zinne gestellt,
Enthülle des Geistes Leuchte mit tageshellem Schein die Welt!“

4.

Singt ihr das Lied des Wachens — ich preise mir den Traum;
Mag euch die Hefe locken, ich nippe den zarten Schaum,
Den Schaum vom Lebensweine, der goldne Blasen wirft,
Und dessen Fluth die Lippe zu wonniger Narkose schlürft!
Mühselge Hast des Strebens, ach, was errängest du,
Was in den Schooss nicht fiele der traumestrunknen Ruh,
Der Stirne, die der heilge Taumelmohn umlaubt,
Wie mag sich ihr vergleichen ein brütendes Gelehrtenhaupt?
Was soll dies Rennen und Jagen um all den bunten Tand?
In ewiger Siesta, wie das Morgenland,
Möcht' ich ruhn und feiern: in goldnen Traum gewiegt,
Und in die Blumenarme der ewigen Natur geschmiegt!
Sinke, du Sonnenleuchte, schwinde, du lauter Tag,
Dass himmlischer Traumesfriede mich überkommen mag;
Mitleidig in die Mühsal des irdischen Lebensfrohns
Träufle dein himmlisch Manna, du heiliger Taumelkelch des Mohns!

5.

Folgt ihr dem Götzen des Mammons in eurer Seele Drang:
Ich singe der ewgen Schönheit meinen Hochgesang;
Das ist das Licht, das süsse, das in der Wüste glimmt,
Das ist die Himmelsrose, die hell auf grauen Wassern schwimmt.
Ihr sing' ich den feurigsten Hymnus: mag sie hold empor
Schweben als Silberwolke, mag im Rosenflor
Sie blühen, oder schweben in Klängen, oder mild
Sich auf sich selbst besinnen in einem süssen Frauenbild!
[119]
Es wendet wie meine Seele sich das ganze All
Nach ihr; im dunkelsten Abgrund horcht noch der Krystall
Auf ihr Gesetz und fügt sich freudig ihrer Norm:
In allen Lebenstiefen, ein heilig Wunder, blüht die Form!
Und wer sie schaut, ihn fesselt ihr unerklärter Bann:
Tiger und wilde Löwen ziehen ihr Gespann;
Meeresungeheuer folgen ihr, berückt
Sänke vor ihr der Mordstahl, auch von der Hölle selbst gezückt.
Sie trifft mit ihrem Zauber manches Herz allein
Aus schönen Frauenaugen; mich trifft ihr goldner Schein
Mit tausend Liebespfeilen aus Berg, Flur, Wald und Fluth:
Mit tausend süssen Flammen schürt sie meines Herzens Gluth.
So ward ich denn ihr Sklave: seit mein Sinn erwacht,
Träumt und siehet ewig mein Aug nur ihre Pracht;
Herz und Seele gab ich freudig ihr dahin:
Ohne das Schöne wäre mein Leben ohne Werth und Sinn!

6.

Kommen wird der Tag einst, kommen wird die Stund,
Wo, wie des Mondes Scheibe, der Erde wüstes Rund
Als ausgebrannte Schlacke dahin im Äther rollt,
Wenn des Gerichtes Donner verzehrend drüber ausgegrollt.
Doch nicht mit Einem Male breitet der Todesflor,
Der gelbe, sich über den Erdkreis. Wegschwindet zuvor
Der Schmelz von den Blumen, vom Meere Sonnenduft
Und Ätherblau, der heitre Goldschimmer aus der Sommerluft.
Und aus dem Menschenauge der mildfeuchte Glanz,
Der aus der Seele quillet, der Silberperlenkranz
Heilger Herzempfindung, welcher lind und lau
Den dürren Staub der Erde befeuchtet sonst mit Himmelsthau.
Kein Engelsfittig rauscht dann mehr im Hain, empor
Ragen stumm die Wipfel, ihrer Lispel Chor
Weiss nichts mehr zu sagen, der Waldbach sucht
Klanglos und grollend den öden Weg zur finstern Schlucht.
Es sehnt nach Mond und Sternen sich nimmermehr die See;
Trag in ihren Tiefen Hegt sie, von der Höh
Küsst den versumpften Spiegel die goldne Sternengluth
Nie wieder; Pesthauch brütet und Schwüle stumm auf ihrer Fluth.
[120]
Öde liegt die Erde, öde liegt das Meer,
Öde liegt der ehrne Himmel drüber her;
Des Mondes Auge sieht man strafend niederschaun,
Dass durch das Herz der Erde geht ahnungsschwer ein banges Graun.
Und von den kreisenden Sternen tönt ein Chor herab,
Wie ein Todtenhymnus um ein offnes Grab;
Der erbebenden Erde ist ein grauser Fluch
Die Harmonie der Sphären, ein mahnend ernster Richterspruch.
Stumm sonst brütet Alles, und klänge wo ein Ton
Noch von verlorner Schöne, begleitete der Hohn
Der Hölle sein Verzittern, und wie ein schneidend Erz
Durchführ' er qualerregend des Lauschers gottverlassnes Herz.
Denn nur des Lichtes Söhnen klingt Schönes ewig hold,
Des Dunkels Brut vernimmt es zitternd und grollt,
Geheim im Busen schaudernd, weil schamroth vor dem Strahl
Des Schönen sich Unschönes verzehren muss in herber Qual!
So, immerdar unselig, aller Schöne fern,
Hinrollt die bange Erde, ein ausgelöschter Stern,
Bald im ewgen Geiste vergessen, ungewusst,
Und hinweggestossen, Natur, von deiner Mutterbrust!
Wie Geier oder Rabe in Öden, unbelebt,
Hoch über einem schwarzen, verschlammten Waldsee schwebt,
So, nachdem versieget ist der Liebe Born,
Kreiset ob den Sümpfen auf dunklen Fittigen der Zorn;
Und wie auf Bergesgipfeln grollende Wetter stehn:
Stumm ist der Wald und reglos, und nur die Wolken gehn
Am finsteren Nachthimmel dahin: so, des Gerichts
Gewärtig, hängt die Erde, vor Schauder stumm, am Rand des Nichts. - -

Stört nicht den Traum der Kinder

[121]
Stör nicht den Traum der Kinder,
Wenn eine Lust sie herzt;
Ihr Weh schmerzt sie nicht minder,
Als dich das deine schmerzt!
Es trägt wohl mancher Alte,
Dess Herz längst nicht mehr flammt,
Im Antlitz eine Falte,
Die aus der Kindheit stammt.
Leicht welkt die Blum, eh's Abend,
Weil achtlos du verwischt
Den Tropfen Thau, der labend
Am Morgen sie erfrischt.

Schweigen

[122]
Kein Wort und keinen Hauch -
Wir wollen schweigen.
Die Trauerweiden, die sich neigen
Auf Leichensteine, schweigen auch.
Sie neigen sich und lesen,
Wie ich auf deinen Wangen:
Es ist ein Glück gewesen
Und ist vorbeigegangen.

Nebel

Der graue Nebel zieht vorbei
Im Morgenwind an meinem Fenster;
Er flüchtet, wie bei Hahnenschrei
Und Dämmerlicht die Nachtgespenster.
[123]
Der Nebel jagt, als wär' die Welt
Auf stiller Flucht mit Berg und Thale,
Als bebte sie, dass sie erhellt
Die Sonne mit dem Frühlingsstrahle.
Mir ist's, als ob mein ganzes Sein
Zerfliessend mir vorüberfliehe,
Als ob mein Glück und meine Pein
Mit diesen Nebeln weiterziehe.

Ich hörte oder las in einem Buche

Ich hörte oder las in einem Buche,
Dass, wer einmal das Wandern auserkoren,
Wenn er vom Schuh ein Näglein nur verloren,
Es ewig dann und ohne Ruhe suche.
So irrt er fort und fort im dunklen Fluche,
Und weil er suchet, geht dem armen Thoren
Ein zweites, drittes Näglein noch verloren.
Ein tiefer Sinn verbirgt sich in dem Spruche.
So geht es dir und mir, und geht es Allen:
Verscherztes und Verspieltes neu erschwingen,
Das füllet unser ganzes Erdenwallen.
Du eilst, Verprasstes dir zurückzukaufen,
Aus tiefem Fall dich wieder aufzuringen,
Und läufst, bis du die Schuhe durchgelaufen.

Spruch

Wer nicht das Leben trinkt in vollen Zügen,
Dem wäre wohl, er hätt' es nie geleert;
Zersplittert in vereinzelte Vergnügen
Ist's ein zerstossner Demant ohne Werth.

Fliege hin!

[124]
Fliege hin im Abendlicht,
Welkes Blatt vom Baum des Lebens!
Ringe nicht, es ist vergebens,
Um dein Dasein ringe nicht!
Fliege hin! Es geht im Kreise
Über dir der Sterne Heer; —
Abendwinde tragen leise
Dich hinaus ins ewge Meer!

Ein stiller Ort

Fern in der Welt, hoch über dem Meer,
Von gewaltigem Fels getragen,
Da schimmert ein Friedhof weit und hehr,
Um den die Wolken jagen.
[125]
Da liegt im Rasen Stein an Stein
Still unter uralten Bäumen,
Darauf in lindem Sonnenschein
Vergessene Märchen träumen.
Es harren die todten Engel der Welt
In diesem stillen Gefilde
Der Auferstehung, und Wache hält
Ein Wächter mit goldnem Schilde.
Die Lieb und die Treue schlafen da gern;
Sonst haben sie keine Stätte;
Seinen Lichtstrahl sendet der Abendstern
Auf ihr bemoostes Bette.
Fern braust durch die Welt jahraus, jahrein
Die Zeit, die gewitterschwere: -
Still liegt im ewigen Sonnenschein
Der Friedhof am öden Meere.

Demuth

Wer lässt die Wimper sinken,
Als wär' zu hell das Licht?
Die Sonnenstrahlen blinken
Ins Auge der Demuth nicht!
'S ist, wie sie kam, verschwunden
Ein streitbar stolz Geschlecht,
Und der sie hat erfunden,
Der war der erste Knecht.
Und haben eine Tugend
Die Pfaffen sie genannt:
Beim Gott der deutschen Jugend —
Ich hab' sie nie gekannt!

Lass die heilige Parabolen

[126]
Lass die heiligen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen —
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.
Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?
Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.
Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler —
Aber ist Das eine Antwort?

Karl I.

[127]
Im Wald, in der Köhlerhütte sitzt
Trübsinnig allein der König;
Er sitzt an der Wiege des Köhlerkinds
Und wiegt und singt eintönig:
„Eiapopeia, was raschelt im Stroh?
Es blöken im Stalle die Schafe —
Du trägst das Zeichen an der Stirn
Und lächelst so furchtbar im Schlafe.
Eiapopeia, das Kätzchen ist todt —
Du trägst auf der Stime das Zeichen —
Du wirst ein Mann und schwingst das Beil,
Schon zittern im Walde die Eichen.
Der alte Köhlerglaube verschwand,
Es glauben die Köhlerkinder —
Eiapopeia — nicht mehr an Gott,
Und an den König noch minder.
Das Kätzchen ist todt, die Mäuschen sind froh -
Wir müssen zu Schanden werden —
Eiapopeia — im Himmel der Gott,
Und ich, der König, auf Erden.
Mein Muth erlischt, mein Herz ist krank,
Und täglich wird es kränker —
Eiapopeia, du Köhlerkind,
Ich weiss es, du bist mein Henker.
Mein Todesgesang ist dein Wiegenlied —
Eiapopeia — die greisen
Haarlocken schneidest du ab zuvor —
Im Nacken klirrt mir das Eisen.
Eiapopeia, was raschelt im Stroh —
Du hast das Reich erworben,
Und schlägst mir das Haupt vom Rumpf herab —
Das Kätzchen ist gestorben.
Eiapopeia, was raschelt im Stroh?
Es blöken im Stalle die Schafe.
Das Kätzchen ist todt, die Mäuschen sind froh —
Schlafe, mein Henkerchen, schlafe!“

Der Asra

[128]
Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weissen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weissen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
„Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimath, deine Sippschaft!“
Und der Sklave sprach:„Ich heisse
Mohamed, ich bin aus Yemen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.“

Altes Lied

Du bist gestorben und weisst es nicht,
Erloschen ist dein Augenlicht,
Erbhchen ist dein rothes Mündchen,
Und du bist todt, mein todtes Kindchen.
In einer schaurigen Sommernacht
Hab' ich dich selber zu Grabe gebracht;
Klaglieder die Nachtigallen sangen,
Die Sterne sind mit zur Leiche gegangen.
Der Zug, der zog den Wald vorbei,
Dort wiederhallte die Litanei;
Die Tannen, in Trauermäntel vermummet,
Sie haben Todtengebete gebrummet.
Am Weidensee vorüber ging's,
Die Elfen tanzten inmitten des Rings \
Sie blieben plötzlich stehn und schienen
Uns anzuschaun mit Beileidsmienen.
[129]
Und als wir kamen zu deinem Grab,
Da stieg der Mond vom Himmel herab.
Er hielt eine Rede. Ein Schluchzen und Stöhnen,
Und in der Ferne die Glocken tönen.

Auto-Da-Fé

Welke Veilchen, stäubge Locken,
Ein verblichen blaues Band,
Halb zerrissene Billete,
Längst vergessner Herzenstand —
In die Flammen des Kamines
Werf ich sie verdrossnen Blicks;
Ängstlich knistern diese Trümmer
Meines Glücks und Missgeschicks.
Liebeschwüre, flatterhafte
Falsche Eide, in den Schlot
Fliegen sie hinauf — es kichert
Unsichtbar der kleine Gott.
Bei den Flammen des Kamines
Sitz' ich träumend, und ich seh',
Wie die Fünkchen in der Asche
Still verglühn — Gut Nacht — Ade!

Frau Sorge

In meines Glückes Sonnenglanz,
Da gaukelte fröhlich der Mückentanz.
Die lieben Freunde liebten mich
Und theilten mit mir brüderlich
Wohl meinen besten Braten
Und meinen letzten Dukaten.
Das Glück ist fort, der Beutel leer,
Und hab' auch keine Freunde mehr;
Erloschen ist der Sonnenglanz,
Zerstoben ist der Mückentanz,
Die Freunde, sowie die Mücke,
Verschwinden mit dem Glücke.
[130]
An meinem Bett in der Winternacht
Als Wärterin die Sorge wacht.
Sie trägt eine weisse Unterjack,
Ein schwarzes Mützchen, und schnupft Tabak.
Die Dose knarrt so grässlich,
Die Alte nickt so hässlich.
Mir träumt manchmal, gekommen sei
Zurück das Glück und der junge Mai
Und die Freundschaft und der Mückenschwarm -
Da knarrt die Dose — dass Gott erbarm'!
Es platzt die Seifenblase —
Die Alte schneuzt die Nase.

Für die Mouche

Es träumte mir von einer Sommernacht,
Wo bleich, verwittert, in des Mondes Glanze
Bauwerke lagen, Reste alter Pracht,
Ruinen aus der Zeit der Renaissance.
Nur hier und da, mit dorisch ernstem Knauf,
Hebt aus dem Schutt sich einzeln eine Säule,
Und schaut ins hohe Firmament hinauf,
Als ob sie spotte seiner Donnerkeile.
Gebrochen auf dem Boden liegen rings
Portale, Giebeldächer und Skulpturen,
Wo Mensch und Thier vermischt, Centaur und Sphinx,
Satyr, Chimäre — Fabelzeitfiguren.
Es steht ein offner Marmorsarkophag
Ganz unverstümmelt unter den Ruinen,
Und gleichfalls unversehrt im Sarge lag
Ein todter Mann mit leidend sanften Mienen.
Karyatiden mit gerecktem Hals,
Sie scheinen mühsam ihn emporzuhalten.
An beiden Seiten sieht man ebenfalls
Viel basrelief gemeisselte Gestalten.
Hier sieht man des Olympos Herrlichkeit
Mit seinen liederlichen Heidengöttern,
Adam und Eva stehn dabei, sind Beid
Versehn mit keuschem Schurz von Feigenblättern.
[131]
Hier sieht man Trojas Untergang und Brand,
Paris und Helena, auch Hector sah man;
Moses und Aaron gleich daneben stand,
Auch Esther, Judith, Holofern und Haman.
Desgleichen war zu sehn der Gott Amur,
Phöbus Apoll, Vulcanus und Frau Venus,
Pluto und Proserpine und Merkur,
Gott Bacchus und Priapus und Silenus.
Daneben stand der Esel Balaams
— Der Esel war zum Sprechen gut getroffen —
Dort sah man auch die Prüfung Abrahams
Und Loth, der mit den Töchtern sich besoffen.
Hier war zu schaun der Tanz Herodias,
Das Haupt des Täufers trägt man auf der Schüssel,
Die Hölle sah man hier und Satanas,
Und Petrus mit dem grossen Himmelsschlüssel.
Abwechselnd wieder sah man hier skulpirt
Des geilen Jovis Brunst und Frevelthaten,
Wie er als Schwan die Leda hat verführt,
Die Danae als Regen von Dukaten.
Hier war zu sehn Dianas wilde Jagd,
Ihr folgen hochgeschürzte Nymphen, Doggen,
Hier sah man Herkules in Frauentracht,
Die Spindel drehend hält sein Arm den Rocken.
Daneben ist der Sinai zu sehn,
Am Berg steht Israel mit seinen Ochsen,
Man schaut den Herrn als Kind im Tempel stehn
Und disputiren mit den Orthodoxen.
Die Gegensätze sind hier grell gepaart,
Des Griechen Lustsinn und der Gottgedanke
Judäas! Und in Arabeskenart
Um beide schlingt der Epheu seine Ranke.
Doch, wunderbar! derweilen solcherlei
Bildwerke träumend ich betrachtet habe,
Wird plötzlich mir zu Sinn, ich selber sei
Der todte Mann im schönen Marmorgrabe.
[132]
Zu Häupten aber meiner Ruhestätt
Stand eine Blume, räthselhaft gestaltet,
Die Blätter schwefelgelb und violett.
Doch wilder Liebreiz in der Blume waltet.
Das Volk nennt sie die Blum der Passion
Und sagt, sie sei dem Schädelberg entsprossen,
Als man gekreuzigt hat den Gottessohn,
Und dort sein welterlösend Blut geflossen.
Blutzeugniss, heisst es, gebe diese Blum,
Und alle Marterinstrumente, welche
Dem Henker dienten bei dem Märtyrthum,
Sie trüge sie abkonterfeit im Kelche.
Ja, alle Requisiten der Passion
Sähe man hier, die ganze Folterkammer,
Zum Beispiel: Geissel, Stricke, Dornenkron,
Das Kreuz, den Kelch, die Nägel und den Hammer.
Solch eine Blum an meinem Grabe stand,
Und über meinen Leichnam niederbeugend,
Wie Frauentrauer, küsst sie mir die Hand
Küsst Stirne mir und Augen, trostlos schweigend.
Doch, Zauberei des Traumes! Seltsamlich,
Die Blum der Passion, die schwefelgelbe,
Verwandelt in ein Frauenbildniss sich,
Und das ist Sie — die Liebste, ja Dieselbe!
Du warst die Blume, du geliebtes Kind,
An deinen Küssen musst' ich dich erkennen.
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig keine Blumenthränen brennen!
Geschlossen war mein Aug, doch angeblickt
Hat meine Seel beständig dein Gesichte,
Du sahst mich an, beseligt und verzückt
Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.
Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm,
Was du verschwiegen dachtest im Gemüthe —
Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüthe.
[133]
Lautloses Zwiegespräch! man glaubt es kaum,
Wie bei dem stummen, zärtlichen Geplauder
So schnell die Zeit verstreicht im schönen Traum
Der Sommernacht, gewebt aus Lust und Schauder.
Was wir gesprochen, frag es niemals, ach!
Den Glühwurm frag, was er dem Grase glimmert,
Die Welle frage, was sie rauscht im Bach,
Den Westwind frage, was er weht und wimmert.
Frag, was er strahlet, den Karfunkelstein,
Frag, was sie duften, Nachtviol und Rosen —
Doch frage nie, wovon im Mondenschein
Die Marterblume und ihr Todter kosen!
Ich weiss es nicht, wie lange ich genoss
In meiner schlummerkühlen Marmortruhe
Den schönen Freudentraum. Ach, es zerfloss
Die Wonne meiner ungestörten Ruhe!
O Tod! mit deiner Grabesstille, du,
Nur du kannst uns die beste Wollust geben;
Den Kampf der Leidenschaft, Lust ohne Ruh,
Giebt uns für Glück das albern rohe Leben!
Doch wehe mir! es schwand die Seligkeit,
Als draussen plötzlich sich ein Lärm erhoben;
Es war ein scheltend, stampfend wüster Streit,
Ach, meine Blum verscheuchte dieses Toben!
Ja, draussen sich erhob mit wildem Grimm
Ein Zanken, ein Gekeife, ein Gekläffe.
Ich glaubte zu erkennen manche Stimm —
Es waren meines Grabmals Basrelieffe.
Spukt in dem Stein der alte Glaubenswahn?
Und disputiren diese Marmorschemen?
Der Schreckensruf des wilden Waldgotts Pan
Wetteifernd wild mit Mosis Anathemen!
O, dieser Streit wird enden nimmermehr,
Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,
Stets wird geschieden sein der Menschheit Heer
In zwei Partein: Barbaren und Hellenen.
[134]
Das fluchte, schimpfte! gar kein Ende nahm's
Mit dieser Controverse, der langweilgen,
Da war zumal der Esel Balaams,
Der überschrie die Götter und die Heilgen!
Mit diesem I—a, I—a, dem Gewiehr,
Dem schluchzend ekelhaften Misslaut, brachte
Mich zu Verzweiflung schier das dumme Thier,
Ich selbst zuletzt schrie auf — und ich erwachte.

Mir lodert und wogt im Hirn eine Fluth

Mir lodert und wogt im Hirn eine Fluth
Von Wäldern, Bergen und Fluren;
Aus dem tollen Wust tritt endlich hervor
Ein Bild mit festen Kontouren.
Das Städtchen, das mir im Sinne schwebt,
Ist Godesberg, ich denke.
Dort wieder unter dem Lindenbaum
Sitz' ich vor der alten Schenke.
Der Hals ist mir trocken, als hätt' ich verschluckt
Die untergehende Sonne.
Herr Wirth! Herr Wirth! Eine Flasche Wein
Aus Eurer besten Tonne!
Es fliesst der holde Rebensaft
Hinunter in meine Seele
Und löscht bei dieser Gelegenheit
Den Sonnenbrand der Kehle.
Und noch eine Flasche, Herr Wirth! Ich trank
Die erste in schnöder Zerstreuung,
Ganz ohne Andacht! Mein edler Wein,
Ich bitte dich drob um Verzeihung.
Ich sah hinauf nach dem Drachenfels,
Der, hochromantisch beschienen
Vom Abendroth, sich spiegelt im Rhein
Mit seinen Burgruinen.
Ich horchte dem fernen Winzergesang
Und dem kecken Gezwitscher der Finken —
So trank ich zerstreut, und an den Wein
Dacht' ich nicht während dem Trinken.
[135]
Jetzt aber steck' ich die Nase ins Glas,
Und ernsthaft zuvor beguck' ich
Den Wein, den ich schlucke; manchmal auch,
Ganz ohne zu gucken, schluck' ich.
Doch sonderbar! Während dem Schlucken wird mir
Zu Sinne, als ob ich verdoppelt,
Ein andrer armer Schlucker sei
Mit mir zusammen gekoppelt,
Der sieht so krank und elend aus,
So bleich und abgemergelt.
Gar schmerzlich verhöhnend schaut er mich an,
Wodurch er mich seltsam nergelt.
Der Bursche behauptet, er sei ich selbst,
Wir wären nur Eins, wir Beide,
Wir wären ein einzger armer Mensch,
Der jetzt am Fieber leide.
Nicht in der Schenke von Godesberg,
In einer Krankenstube
Des fernen Paris befänden wir uns —
Du lügst, du bleicher Bube!
Du lügst, ich bin so gesund und roth
Wie eine blühende Rose,
Auch bin ich stark, nimm dich in Acht,
Dass ich mich nicht erbose!
Er zuckte die Achseln und seufzte: „O Narr!“
Das hat meinen Zorn entzügelt;
Und mit dem verdammten zweiten Ich
Hab' ich mich endlich geprügelt.
Doch sonderbar! Jedweden Puff,
Den ich dem Burschen ertheile,
Empfinde ich am eignen Leib,
Und ich schlage mir Beule auf Beule.
Bei dieser fatalen Balgerei
Ward wieder der Hals mir trocken,
Und will ich rufen nach Wein den Wirth,
Die Worte im Munde stocken.
[136]
Mir schwinden die Sinne, und traumhaft hör'
Ich von Kataplasmen reden,
Auch von der Mixtur — ein Esslöffel voll —
Zwölf Tropfen stündlich in jeden.

Ein Wetterstrahl, beleuchtend plötzlich

Ein Wetterstrahl, beleuchtend plötzlich
Des Abgrunds Nacht, war mir dein Brief:
Er zeigte blendend hell, wie tief
Mein Unglück ist, wie tief entsetzlich.
Selbst dich ergreift ein Mitgefühl!
Dich, die in meines Lebens Wildniss
So schweigsam standest wie ein Bildniss,
Das marmorschön und marmorkühl.
O Gott, wie muss ich elend sein!
Denn sie sogar beginnt zu sprechen,
Aus ihrem Auge Thränen brechen,
Der Stein sogar erbarmt sich mein!
Erschüttert hat mich, was ich sah!
Auch du erbarm dich mein und spende
Die Ruhe mir, o Gott, und ende
Die schreckliche Tragödia.

An die Engel

Das ist der böse Thanatos,
Er kommt auf einem fahlen Ross;
Ich hör' den Hufschlag, hör' den Trab,
Der dunkle Reiter holt mich ab —
Er reisst mich fort, Mathilden soll ich lassen,
O, den Gedanken kann mein Herz nicht fassen!
Sie war mir Weib und Kind zugleich,
Und geh' ich in das Schattenreich,
Wird Wittwe sie und Waise sein!
Ich lass in dieser Welt allein
Das Weib, das Kind, das, trauend meinem Muthe,
Sorglos und treu an meinem Herzen ruhte.
[137]
Ihr Engel in den Himmelshöhn,
Vernehmt mein Schluchzen und mein Flehn;
Beschützt, wenn ich im öden Grab,
Das Weib, das ich geliebet hab';
Seid Schild und Vögte eurem Ebenbilde,
Beschützt, beschirmt mein armes Kind, Mathilde.
Bei allen Thränen, die ihr je
Geweint um unser Menschenweh,
Beim Wort, das nur der Priester kennt
Und niemals ohne Schauer nennt,
Bei eurer eignen Schönheit, Huld und Milde,
Beschwör' ich euch, ihr Engel, schützt Mathilde.

Der Scheidende

Erstorben ist in meiner Brust
Jedwede weltlich eitle Lust,
Schier ist mir auch erstorben drin
Der Hass des Schlechten, sogar der Sinn
Für eigne und für fremde Noth —
Und in mir lebt nur noch der Tod!
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und gähnend wandelt jetzt nach Haus
Mein liebes deutsches Publikum.
Die guten Leutchen sind nicht dumm;
Das speist jetzt ganz vergnügt zu Nacht,
Und trinkt sein Schöppchen, singt und lacht —
Er hatte Recht, der edle Heros,
Der weiland sprach im Buch Homeros:
Der kleinste lebendige Philister
Zu Stukkert am Neckar, viel glücklicher ist er,
Als ich, der Pelide, der todte Held,
Der Schattenfürst in der Unterwelt.

Durchtobt in wildem Flusse

[138]
Durchtobt in wildem Flusse
Das heisse Blut dein Herz,
Dann ist das Gold zum Gusse,
Zum Liede reif der Schmerz.
Und was du dann empfunden,
Verbirg es länger nicht!
Verbinde deine Wunden
Und schaff uns ein Gedicht!
Wirft dir auch keins von allen
Das Leichentuch einst ab:
Die Bessern, die gefallen,
Trug man schon nackt ins Grab.
Der Spinne gleich entrolle
Nur sorglich dein Gespinnst,
Ob du auch keine Wolle
Zum Mantel dir gewinnst.
[139]
Lass steigen Schmerz und Wonne,
Lass steigen Leid und Lust,
Wie aus dem Meer die Sonne,
Kmpor aus deiner Brust!

Lied

Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein,
Und kann sich nicht verzehren;
Sie brennt, so lang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug sich bricht,
Um drin sich zu verklären.
Und Liebe hat der Sterne Macht,
Kreist siegend über Tod und Nacht,
Kein Sturm, der sie vertriebe!
Und blitzt der Hass die Welt entlang,
Sie wandelt sicher den alten Gang,
Hoch über den Wolken, die Liebe!

An C. ins Album

Auf jedes Menschen Angesicht
Liegt leise dämmernd ausgebreitet
Ein sanfter Abglanz von dem Licht
Des Sternes, der sein Schicksal leitet.
Der Genius der Harmonie
Wird dich mit seinen Wundertönen
Umrauschen, und du wirst dich nie
Mit der verstimmten Welt versöhnen.

Mit Sausen und Brausen

[140]
Mit Sausen und Brausen
Der Bach kommt geschossen,
In Sprüngen und Possen
Vollbringt er den Lauf.
Die Welle wie helle!
Er träumt nur vom Meere,
Und Schleusen und Wehre
Nicht lialten ihn auf.
Doch drunten im Grunde
Er stutzt an der Mühle;
Nun enden die Spiele,
Er strudelt und kocht.
Trotz Schämen und Grämen
In saurem Geschäfte
Verbrausen die Kräfte,
Vom Rad unterjocht.
[141]
Vorüber das Fieber!
Die Frohne geendigt!
Nun dehnt er gebändigt
Zum Weiher sich aus.
Die Welle wie helle!
Nicht lockt ihn die Ferne;
Er spiegelt die Sterne
Und Garten und Haus.

Zuflucht

Und so hebst du meiner Seele
Schleier mit der weichen Hand,
Dass sie nichts mehr dir verhehle,
Die erröthend vor dir stand.
Ach, was ihr im Übermuthe
Lieblich an ihr selber däucht',
Seit darauf dein Auge ruhte,
Ist der eitle Wahn verscheucht.
Nun entkleidet ihrer Flittern,
Nun so scheu in sich geschmiegt,
Überrieselt sie ein Zittern,
Zwischen Glück und Scham gewiegt.
Bis sie sich mit heftgem Triebe
Dicht an deine Seele schliesst,
Und die Fülle deiner Liebe
Wie ein Schleier sie umfliesst.

Über ein Stündlein

Dulde, gedulde dich fein!
Über ein Stündlein
Ist deine Kammer voll Sonne.
Über den First, wo die Glocken hangen,
Ist schon lange der Schein gegangen,
Ging in Thürmers Fenster ein.
Wer am nächsten dem Sturm der Glocken,
Einsam wohnt er, oft erschrocken,
Doch am frühsten tröstet ihn Sonnenschein.
[142]
Wer in tiefen Gassen gebaut,
Hütt an Hüttlein lehnt sich traut,
Glocken haben ihn nie erschüttert,
Wetlerstrahl ihn nie umzittert,
Aber spät sein Morgen graut.
Höh und Tiefe hat Lust und Leid.
Sag' ihm ab, dem thürigen Neid:
Andrer Gram birgt andre Wonne.
Dulde, gedulde dich fein!
Über ein Stündlein
Ist deine Kammer voll Sonne.

Mädchenlieder

1.

Der Himmel hat keine Sterne so klar,
Das Meer so keine Korallen,
Wie mir ein Menschenaugenpaar
Und Menschenlippen gefallen.
Er wandert unter den Sternen dahin,
Er wandert über die Meere,
Er geht mir immer durch den Sinn,
Dem ich zu eigen gehöre!

2.
Trutzliedchen

Und bild dir nur im Traum nichts ein.
Du bist mir viel zu jung.
Ums Kinn noch kaum dir sprosst der Flaum,
Das ist mir nicht genung.
Und wenn ich einen heirathen thu',
Muss sein ein Reiter zu Ross,
Noch eins so lang und breit wie du.
Sein Bart zweier Ellen gross.
Sein Rappe saust im Windeslauf,
Sein Bart der deckt mich zu,
Ich sitz' vor ihm am Sattelknauf
Und hinterm Ofen du!

3.

[143]
Drunten auf der Gassen
Stand ich, sein zu passen;
Schlugen Nachtigallen
An den Fenstern allen,
Und ich blieb alleine
Bei der Blitze Scheine,
Bis die Nacht gewichen,
Und da bin ich frierend heimgeschlichen.
Über meine Wangen
Ist der Thau gegangen,
Und nun lös' ich stille
Meiner Locken Fülle.
Dass ein Sturm erginge,
Sich darin verfinge,
Mich zum Himmel trüge —
Weit hinweg aus dieser Welt der Lüge!

Reiseblätter
Von Lacerten

1.

In Gedanken an die Ferne
Und der Nähe wenig froh,
Senkt das Herz die Augen gerne,
Und auch heut geschah mir so.
Da in weichen Lüften schwanken
Sah ich einen Schmetterling,
Dass sein Schatten auf dem blanken
Gartenweg spazieren ging.
Hell in Sonne lag das Gärtchen,
Die durch zarte Zweige brach,
Und ein thörichtes Lacertchen
Lief dem Falterschatten nach.
Dacht' ihn jetzt der Wicht zu haschen,
War er wieder weit voraus,
Und fast ging ihm bei der raschen
Jagd Geduld und Athem aus.
[144]
Zwischen Lachen und Erbauung
Sah ich zu dem holden Trug
Idealer Weltanschauung,
Doch — wer wird durch Schaden klug!

2.

Eine fand ich, eine fette,
Die vor ihrem Schlupfloch sass,
Ehrbar, sauber und behaglich
Und die Augen hell wie Glas.
An dem warmbesonnten Steine
Putzte sie das Näschen blank,
Fing sich dann und wann ein Mückchen,
Das sich ihr zu nahe schwang.
Rechts und links durch alle Ritzen
Raschelte die junge Brut.
Sie allein blieb stattlich sitzen,
Wie gereifte Weisheit thut.
Nur zuweilen mit dem Schwänzchen
Zuckte sie bedeutungsvoll,
Trieben es die jungen Leute
In den Kammern gar zu toll.
So in innres Schaun versunken
Und Genuss des Sonnenlichts,
Nicht erschrak sie, da ich nahte,
Denn der Weise fürchtet nichts.
Wie der Philosoph der Tonne
Sah sie nur mich bittend an:
Geh mir etwas aus der Sonne,
Unbekannter junger Mann!

Vogelscheuche

Es steht ein Mönch im Felde,
Ist nur ein Mönchshabit.
Die Stange schwankt im Winde,
Die Kutte dreht sich mit.
[145]
Wart! denkt der fromme Bauer,
So schützen wir die Saat;
Die Spatzen respectiren
Den geistlichen Ornat.
Die Spatzen denken: Mönchlein,
Dein Beispiel fehlte noch;
Ei, säst denn du und erntest,
Und Gott ernährt dich doch?

Laurella

Du bist noch wild, du bist noch scheu,
Nur von der Mutter gezähmt,
Du weisst noch nichts von Lieb und Treu,
Was Menschen entzückt und grämt.
Du lässest dein Haar in die Stirne wehn
Und tief deine Wimper sich senken.
Kein Mann, kein Mädchen soll erspähn,
Was deine Augen sich denken.
Was beissest du in die Orangenfrucht
Mit weissen Zähnen so heftig?
Was wirfst du den Arm in des Tanzes Flucht
Um des Schwesterchens Leib so kräftig?
Was wirst du nur so zornig roth,
Lachen die Bursche, die frechen?
Warum erschrickst du bis in den Tod,
Hörst du von Liebe sprechen?

In Rom

Viel hier lehren die Trümmer, doch Eins, was nirgend gelehrt wird,
Selten im Leben und nie spricht man in Schulen davon:
Ganz sein! Wenn du es einmal warst, so mögen Barbaren
Trümmern und bröckeln an dir, deine Gestalt — sie besteht.

Venedig

Nun ist entthront die stolze Wellenbraut,
Die einst den trotzgen Nacken bog dem Meere.
Nicht wird sie mehr auf goldner Prachtgaleere
Dem ungestümen Freier angetraut.
[146]
Doch in der Lenznacht, wenn mit Donnerlaut
Die Springfluth steigt, dann ist's, als ob die Hehre
Wehrlos dem Element zu eigen wäre,
Auf das sie Tags so kühl herniederschaut.
Hoch über die Piazzetta schwillt die Fluth
Und braust herein, ersäufend alle Gassen,
Und um San Marco plätschert Ruderschlag.
Das Meer umwirbt die Braut mit Liebeswuth,
Doch nur die Füsse darf es ihr umfassen
Und schleicht beschämt von dannen lang vor Tag.

Sprüche

Ein scheues Wild die Gedanken sind

Ein scheues Wild die Gedanken sind.
Jag ihnen nach, sie fliehn geschwind.
Siehst du sie hellen Auges an,
Zutraulich wagen sie sich heran.
Ein stiller Wanderer kann sie zähmen,
Das Futter ihm aus der Hand zu nehmen.

Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen

Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen,
Was soll es frommen?
Wer nicht wagen darf, sich gehn zu lassen,
Wird nicht weit kommen.

Bist du schon gut, weil du gläubig bist?

Bist du schon gut, weil du gläubig bist?
Der Teufel ist sicher kein Atheist.

Die Weisheit wärmt zu jeder Frist

Die Weisheit wärmt zu jeder Frist,
Deren Unterfutter die Thorheit ist.

Verstand wie ein Pudel die Ohren spitzt

Verstand wie ein Pudel die Ohren spitzt,
Wenn's Herz an festlicher Tafel sitzt.
Gieb ihm nur ein Knöchlein zu benagen,
So wird er höflich sich betragen.
Doch willst du auch das Knöchlein sparen,
Wird er dir in die Waden fahren.

An die Kritiker

[147]
Nur nicht gleich das Schwert gewetzt
Und das Beil geschliffen!
Was ihr niemals überschätzt,
Habt ihr nie begriffen.

Das Thal des Espingo

Sie zogen zu Berg, an den Bächen dahin,
Maurisches Volk, reisig und stolz.
Auf Kampf mit den Franken stand ihr Sinn,
In Fähnlein ging's an den Bächen dahin,
Drin Schnee der Pyrenäen schmolz.
In der feuchten Schlucht ihre Mäntel wehn,
Scharf von den Höhn tönet der Wind.
Ihre Lanzen drohn, ihre Augen spähn —
Kein baskischer Hut in den Klippen zu sehn,
Und die Baskenpfeile sie fliegen geschwind.
Sie reiten über den ganzen Tag,
Traurigen Pfad, hastigen Ritt.
Endlos dünkt sie der Tannenhag,
Und das Maulthier braucht schon der Geissel Schlag,
Und das schnaufende Ross geht müden Schritt.
Da neigt sich der Weg. Aus den Klüften wild,
Plötzlich gesenkt, führt er zu Thal.
Da liegt zu Füssen, ein schimmernd Bild,
An die Berge geschmiegt das weite Gefild,
Falter fliegen im Sonnenstrahl.
Der Abend wie lau, und die Wiesen wie grün;
Ulmengezweig wieget die Luft.
Jasmin und gelbe Narcissen blühn,
Und die Halden entlang die Rosen glühn —
Die Näh und Weite schwimmen in Duft.
Da ward den Mauren das Herz bewegt.
Seliger Zeit gedenken sie,
Wo sie Haurans schlanke Gazellen erlegt,
Wo sie Märchen gelauscht und der Liebe gepflegt
Und die Rosen gepflückt von Engadi.
[148]
Und sie steigen hinab, und es löst sich das Heer.
Liebliche Luft säuselt sie an;
Wie in Rosenhainen um Bagdad her,
Wo die Schwüle lindert der Hauch vom Meer,
So haucht aus dem Grunde der See heran.
Ihre klugen Sorgen — wie bald sie vergehn!
Waffen und Wehr werfen sie ab.
Ihre Sinne berauscht wie von Wiedersehn;
Sie schweifen umher, wo die Rosen stehn,
Sie tauchen zum Bad in den See hinab.
O Heimathwonne! die Wachen im Zelt
Lauschen mit Neid dem Jubel umher.
So friedlich dünkt sie die schöne Welt;
Es lockt sie hinaus in das duftige Feld,
Und die wachen sollen — sie wachen nicht mehr.
Sie wachen nicht mehr! Es wacht in der Nacht
Tücke, der Nacht lauerndes Kind.
Sie schleicht sich hervor aus der Waldung sacht,
Sie kriecht zu den Zelten — habt Acht, habt Acht!
Die Baskenpfeile sie fliegen geschwind.
Zu spät! Zu nah die grause Gefahr.
Waffenentblösst, unter Rosen roth
Zu Boden sinken sie Schaar um Schaar.
O seliger Traum, der so tückisch war!
O Heimathwonne, du brachtest den Tod!

Die Schlange

Wenn ich das Tollkraut dir vom Munde pflücke,
Das mir den Sinn verwirrt, und so umgraut
Von Nacht und Glück mich treffen deine Blicke,
Frag' ich mich oft: wo hab' ich doch geschaut
Ein Auge, so wie dies, nicht zu ergründen?
Ein Auge war's, das nie ein Gram bethaut,
Ein Blick, wie aus den tiefsten Todesschlünden,
Der seelenlos die Seele magisch zwang,
Kalt, und doch mächtig, Fieber zu entzünden,
[149]
Dass ich hinein mich tauchte stundenlang,
Als leucht' ein \Veltgeheimniss mir entgegen,
Unheimlich, unaussprechlich trüb und bang;
Wie todte Flammen im Smaragd sich regen,
Wie Meeresleuchten aus der Tiefe sprüht,
Goldadern glühn auf unterirdschen Wegen.
Und heute, da ich einsam im Gemüth
Zurückesann, stand mir's auf Einen Schlag
Vor Augen wieder, was mich lang bemüht.
Ich hatt' am heissen Frühlingsnachmittag
In Roms Campagna schweifend mich verirrt,
Da ein Gewitter dumpf in Lüften lag.
Kein Schattendach, nicht Heerde, Hund und Hirt,
Kein Vogelruf, kein Laut, als der Cicade
Eintönig Ritornell, das heiser schwirrt'.
Und ich, erschöpft vom Wandern, wo sich grade
Ein Sitz mir bot, streckt' ich die Glieder hin,
Erwartend, dass die Schwüle sich entlade.
Mir war so weltentrückt, so fremd zu Sinn,
So fern von allem Heimlichen und Schönen,
Vergehn und Nichtsein schien allein Gewinn.
Und plötzlich weckte mich ein heftig Dröhnen;
In Flammen lodernd stand das Firmament,
Und Sturm fuhr übers öde Feld mit Stöhnen.
Und wie ein neuer Blitz die Wolken trennt,
Seh ich, dicht vor mir, eine braune Schlange
Auf dornumranktem Felsen-Postament.
Geringelt lag sie da — wer sagt, wie lange? —
Die grauen Augen traurig und erstaunt
Auf mich geheftet, die geschuppte Wange
Dicht auf den Stein gedrückt, nicht wohlgelaunt,
Doch müde, schien's, und ohne Mordbegier,
Vielleicht vom Donnerton in Schlaf geraunt.
Und ich blieb still. Der Athem stockte mir;
Ich musst' in dies gefeite Auge schauen,
Und so wohl eine Stunde ruhten wir.
[150]
Da erst begann die Wolkennacht zu thauen;
Sacht stand ich auf. Sie aber, regungslos,
Blieb wo sie war. Ich wandte mich voll Grauen.
Furchtbar vom Himmel rauschte das Getos
Des Lenzorkans. Doch wie die Blitze flammten,
Ich sah im Geist das Schlangenauge bloss.
So, dacht' ich, glühn die Augen der Verdammten,
Die niederfahren aller Hoffnung bar,
Für immer fern dem Licht, dem sie entstammten;
So blickt, Erlösung hoffend immerdar,
Die niedre Kreatur mit stummem Flehen,
Der eine Seele nicht erschaffen war. — —
Und erst bei milder Herbsteslüfte Wehen,
So oft auch früher ein Gelüst sich regte,
Könnt' ich hinaus, die Stätte wiedersehen.
Ich fand den Ort, wo ich mich niederlegte,
Und — wundersam! da ruhte noch das Thier,
Das Auge offen, das sich nicht bewegte.
Kalt überlief mich's. Hat die Feindin hier
Gelauert sommerlang, mich doch zu fassen?
Und wieder Aug' in Auge staunten wir.
Und feige schien mir's, ihr das Feld zu lassen.
Ich schlug nach ihr; da fielen ihre Ringe
In Staub. Nur aus dem Auge, das gelassen
Ins Leere stierte, war mir's, als entschwinge
Sich ein gefangner Blitz. Da liess ich sie,
Dass sie nicht noch im Tode mich bezwinge;
Doch ihren Scheideblick vergass ich nie.

Welträthsel

Manchmal, wenn jäh dein eigen Angesicht
Aus klarer Spiegelfläche zu dir spricht,
Dünkt dir's, du sähst, was dir so wohlbekannt,
In dunkle Hieroglyphen umgewandt.
[151]
Du fragst dich, wem dies fremde Bildniss gleicht,
Bis vor dir selbst ein Graun dich überschleicht
Und das Geheimniss deiner Einzigkeit
Mit deinem dumpfen Frieden dich entzweit.
Und wieder: siehst du einen Baum, ein Laub,
Ein Sandkorn, einen luftgen Sonnenstaub,
Ergreift dich's plötzlich wie ein brennend Weh,
Dass rings das All dich ewig fremd umsteh',
Dass niemals du der Lösung näher bist
Der alten Frage: was das ist, was ist,
Und vor des Daseins räth sei vollem Schmerz
Krampft sich zusammen dein verschüchtert Herz.

Balder

1.

Seele, wie schweifst du
Ätherbeschwingt
Das All entlang
Durch Tiefen und Höhn!
In deiner Armuth
Welche Fülle!
In ewger Unrast
Wie heilge Stille!
Frei über Alles
Und stets gebunden,
Seele, wo hast du
Dein Ziel gefunden?
Gestirn und Sonnen
Umkreist dein Flügel
Und weilt mit Wonnen
Am Veilchenhügel.
Die Wiege der Blitze
Heimelt dich an;
Zum Wolkensitze
Stürmst du hinan.
[152]
Und wieder innig
Im engsten Kreise,
Zärtlich und sinnig,
Schüchtern und leise,
Rankst du mit tausend
Fasern und Klammern,
Dem Epheu gleich
Um niedre Kammern,
Wo nur ein Strahl des Erinnerns
Durch Trümmerspalten
Herniederglänzend
Dich traulich wärmt!

2.

Wer das genossen.
Wem das beschieden,
Kann Der hienieden
Unselig sein?
Sich selbst zu fühlen
In allen Brüdern,
Nur im Erwiedern
Sein Herz zu kühlen;
Gewiss des Guten,
Vom Schönen erbaut,
In Lebensgluthen
Dem Tod vertraut;
An das Geheime
Ahnend zu rühren,
Der Wahrheit Keime
Im Geist zu spüren,
Die sich erschliessen
Dem Licht entgegen,
Still zu geniessen
Ihr heilig Regen,
Vom Hauch der Musen
Das Herz geschwellt,
Mit reinem Busen
Ein Kind der Welt —
[153]
Wer das genossen,
Wem das beschieden,
Muss Der hienieden
Nicht sehlig sein?

Heimkehr

Blühendes Haidekraut,
Dein Duft ist wie der Hauch von Kinderlippen;
Dich trag' ich heim im Busen, frischbethaut.
Rauschende Buchenkronen,
Ihr kühltet über Tag mein heisses Haupt;
Mög' euch dafür der Wetterstrahl verschonen!
O trauter Lichtschein in der stillen Klause!
Ich höre Stimmchen hinterm Fenster lachen,
Gar wohlbekannt; Gottlob, bin ich zu Hause!

Rispetti

1.

Es war im Himmel und auf Erden Nichts,
Was uns nicht höher Sinn und Herz entzückte,
Wenn aus dem Spiegel deines Angesichts,
Geliebtes Kind, es uns entgegenblickte.
Der klare Spiegel ward so jäh zerschlagen,
Nun hat die Welt uns weiter nichts zu sagen.
Nicht lockt uns mehr der Dinge Wiederschein;
Wir starren freudenblind in uns hinein.

2.

Mir war's, ich hört' es an der Thüre pochen,
Und fuhr empor, als wärst du wieder da
Und sprächest wieder, wie du einst gesprochen,
Mit Schmeichelton; Darf ich hinein, Papa?
Und da ich Abends ging am steilen Strand,
Fühlt' ich dein Händchen warm in meiner Hand.
Und wo die Fluth Gestein herangewälzt,
Sagt' ich ganz laut: Gieb Acht, dass du nicht fällst!

Ich weiss, ein Wahn ist's und zum Wahnsinn bringt's
Rom

[154]
Ich weiss, ein Wahn ist's und zum Wahnsinn bringt's,
Ihm nachzuhängen. Dennoch, jeden Tag,
Sobald versank der Sonnenball, und noch
Der Trost des Sternenschimmers nicht erblüht,
Nur bleiern bleiches Zwielicht auf dem plötzlich
Entseelten Angesicht der Erde ruht,
Tritt vor mich hin dasselbe Graungespenst.
Mir ist, mein Knabe sei in weiter Ferne
Verirrt und finde nicht nach Haus. Ich seh' ihn
Durch graue Gassen einer fremden Stadt
Hineilen, seine kleinen Füsse wanken,
Von kühlem Thau und kaltem Schweisse klebt
Sein braunes Haar, die Augen suchen irr
Umher, ob sie das Haus nicht wiederfinden,
Wohin er soll, wo ihm das Bettchen steht,
Die Mutter tödtlich sich um ihn zerbangt,
Und trostlos sie der Vater trösten will.
Und fremde Leute, ernst und theilnahmlos,
Gehn ihm vorbei — er ruft sie an — er fleht:
Bringt mich nach Hause! — Keiner hört auf ihn;
Nicht Eine Pforte thut sich ladend auf.
Nicht Eine Hand zieht ihn ins Wohnliche.
Und so von Thür zu Thüre, hingejagt
Von Hunger, Angst und Sterbensmüdigkeit,
Sucht er und sucht — und keine Zuflucht winkt,
Und dichter, kühler, schauriger umdunkelt
Die Nacht sein banges Leben — schwer und schwerer
Den Athem ringt er aus beklemmter Brust —
Und jetzt — die Kraft versiegt — mit leisem Ach
Hin sinkt er auf den kalten Stein.
Da sendet
Ein gütger Dämon, der das Herz mir nicht
Will springen lassen im lebendgen Leibe,
Ihm Helfer in der höchsten Noth. Ich seh'
Zwei andre Kinder um die Ecke biegen,
Stillgleitend wie mit Flügeln. An der Hand
Führt ein halbwüchsger Knab ein zierlich Mägdlein,
Das kaum erst trippeln lernte. Stolz und ernst
Glüht unter blasser Stirn das Knabenauge
Und rastet plötzlich auf dem Hingesunknen.
Das Mägdlein aber stutzt und zeigt auf ihn,
Und jetzt mit holdem, unhörbarem Lachen
Läuft's auf ihn zu und tupft ihm auf den Kopf,
Und wie er aufsieht, streichelt sie ihm sanft
[155]
Das thaubetriefte Haar. Doch ihr Gefährte
Fasst brüderlich den Kleinen unterm Arm
Und richtet ihn empor. Da sehn die Drei
Sich an mit Kinderneugier, rasch vertraut,
Und flink das Mägdlein in die Mitte nehmend,
Gehn sie dahin; mir ist, ihr Lachen hört' ich,
Ihr kindisch Plaudern, — und wie Flötenhauch
Dringt's an mein Ohr. So blick' ich ihnen nach,
Bis vor dem überthauenden Aug ihr Bild
Zerrinnt, — und dort am Dachesrande glüht
Der goldne Mond empor und übergiesst
Mit Balsam mir die angsterlöste Seele.

Verzogen
Sorrent

Verzogen,
Verflogen,
Alle Vögel aus dem Nest!
Nur die Mauern
Sie dauern,
Überdauern die Gäst
Junge Zeiten
Sie schreiten
Wie Geister vorbei.
Wo ist nun geblieben
Das Lachen, das Lieben?
Blieb Keines dir treu?
Von weiten
Da läuten
Die Glocken wie einst.
Alter Träumer, entrinne,
Dass am Fenster die Spinne
Nicht sieht, wie du weinst.

Und doch, das ist der Dinge Lauf; auch du

Und doch, das ist der Dinge Lauf; auch du
Erlebst es noch: ein jedes Leid am Ende,
So furchtbar es gewüthet, kommt zur Ruh.
[156]
Dem Schmerz, so lang er jung ist, sind die Wände
Des Leibes viel zu eng, ihn einzuschliessen.
Er tobt umher, dass er den Ausweg fände.
In Strömen muss er aus den Augen fliessen,
Dir von den Lippen ächzen, auf die Stirn
In kalten Tropfen perlend sich ergiessen.
Am liebsten möcht' er seiner Haft entschwirrn
Zusammt der Seele, und dem Geier gleich
Mit freiem Flügelschlag das All durchirrn.
Ermattet herrscht er dann in seinem Reich
Gelassner, steigt nur selten zu den Augen
Und hüllt sich in Erinnern dumpf und weich.
Nun mag ihm nur die tiefste Stille taugen;
Er haust im dunkelsten Verliess der Brust,
Begnügt, dein Herzblut tropfenweis zu saugen.
Die Mond und Jahre fliehn ihm unbewusst;
Er ist gealtert, regt sich wie ein Greis
Nur wenig mehr, fühllos für jede Lust.
Doch wenn die Seele kaum noch von ihm weiss,
Kaum des verschollnen Gastes Näh empfindet,
Tritt plötzlich er aus dem verborgnen Kreis,
Erschrickt, dass er die Welt verwandelt findet,
Und schilt die Seele, dass sie ihn verachtet,
Und schilt sich selbst, dass er verwelkt und schwindet.
Dann in die Kammer, drin er lang geschmachtet,
Schleicht er zurück und sargt sich selber ein
Und stirbt, von tiefster Einsamkeit unnachtet.
Du aber, kannst du auch noch fröhlich sein
Und wieder ausgefüllt von neuem Glücke:
In jene Kammer dringt kein Sonnenschein,
Und Moderduft bleibt stets darin zurücke.

Wie schon Jahrlang abgeschieden
Sorrent

[157]
Wie schon jahrlang abgeschieden,
Wandelnd allvergessne Pfade,
Athm' ich reinen Jenseitsfrieden
Am geliebtesten Gestade.
Nächstens seh' ich Barken fahren
Weit ins Meer bei Fackelscheine,
Dass ich stiller Geisterschaaren
Hadesfahrt zu schauen meine.
Tags, wie haben Luft und Welle
Alle Zauber ausgegossen!
Von des Empyreums Helle
Fühl' ich selig mich umflossen.
Kaum ein Gruss wird mir geboten,
Höchstens winkt ein Kinderhändchen,
Und so leb' ich meinen Todten
Und verschalle den Lebendgen.

Wiegenlied

[158]
Die Ähren nur noch nicken,
Das Haupt ist ihnen schwer,
Die müden Blumen blicken
Nun schüchtern noch umher.
Da kommen Abendwinde
Still wie die Engelein,
Und wiegen sanft und linde
Die Halm und Blumen ein.
Und wie die Blumen blicken,
So schüchtern blickst du nun,
Und wie die Ähren nicken,
Will auch dein Häuptlein ruhn.
Und Abendklänge schwingen
Still wie die Engelein
Sich um die Wieg und singen
Mein Kind in Schlummer ein.

Der lustige Spielmann

[159]
Mein Höslein sind zerrissen,
Durchs Wämslein pfeift der Wind,
Die Taschen sind zerschlissen,
Wer weiss, wo die Batzen sind?
Mein Hut hab' ich verloren,
Weiss nicht mehr, wo es war —
Hab' Gottes Hut erkoren,
Drin bleib' ich immerdar.
Die Batzen sind lustige Vögel,
Sie bleiben nicht gern zu Haus,
Kaum hab' ich das Wirthshaus betreten,
Husch! fliegen sie hinaus!
Hei! lässt sich's leicht marschiren,
So unbeschwert von Geld,
Es ist, als führ' man mit Vieren
Hinaus in die schöne Welt.
[160]
Und bin ich einst wandermüde,
Legt mich in den Rasen hinein,
Dann will ich mich schlafen und träumen
Ins Paradies hinein.
Dort gehet das lustige Leben
Erst recht von vornan an,
Man sagt ja, es sei unser Herrgott
Ein gar so lieber Mann.
Er wird so arg nicht quälen
Ein arm Musikantenseel,
Die all ihr Schad und Fehlen
Gebeichtet sonder Hehl.
Dann sing' ich die schönsten Lieder
Den lieben Engelein,
Die putzen die blanken Flügel
Und schauen verwundert drein.
Heiho! das giebt ein Singen
Und fröhliches Musizirn —
Es wird ihnen schon gelingen,
Von mir zu profitirn.
Und der hebe Herrgott lächelt
In den langen Bart hinein:
„So lustig war es ja nimmer
In dem schönen Himmel mein.“

Lieder eines Sterbenden

1. Scheidende Hoffnung

Und wiederum leuchtet die Sonne,
Und wiederum blühet die Au,
Weissflockige Sommerwolken
Durchsegeln das Himmelsblau.
Ich liege draussen im Grünen
Und schau' in die Wipfel empor,
Von allen Zweigen ertönet
Der Vögel schmetternder Chor.
Doch klingt mir ihr Zwitschern und Singen
So anders als voriges Jahr.
„Willst du mir ein Abschiedslied singen,
Gefiederte Sängerschaar?“
[161]
Wer den Schaum vom Becher getrunken,
Trinke muthig die Neige nach,
Nicht klage, wer meerwärts gefahren,
Wenn Wetter den Mast ihm zerbrach.
So will ich denn klaglos bezahlen
Dem Leben den kargen Rest —
Doch wer kann von Hoffnung wohl lassen,
Eh ihn nicht die Hoffnung verlässt?
Zur Seite steht mir die Holde,
Die tröstend mich aufrecht hält —
Da wendet sie sich und weinet — —
Fahr wohl denn, du schöne Welt!

2. Wünsche
Den 18. Mai

Durchs offne Fenster die Sommerluft
Streicht über mein Lager so weich und lind,
Gleich einer liebenden Mutter Hand,
Die streichelt ihr schlafend Kind.
Die Vöglein, welche der Winterfrost
Die Reise zum fernen Süd gelehrt,
Sie bauen ihr Nestlein an unserm Dach,
Sind alle zurückgekehrt.
Die Freunde aber, von Reiselust
Verlockt, sie wandern nach Ost und West.
Ach, wer doch mit ihnen ziehen könnt' —
Ja, ja, das wäre ein Fest!
Ich hab' es genossen so oft und so reich
Und nimmer doch recht erkannt.
Jetzt tragen die Wünsche mich nicht so weit
Hinaus ins heimische Land.
Könnt' auf der Geliebten Arm gelehnt
Ich einmal im Gartenschatten nur gehn,
An den Blumen mich freuend und ihrem Duft
Und die neuen Triebe sehn.
Ach, und einen Hauch noch von Waldesluft! -
Gemach, das wäre zu viel! —
Welch wilde Wünsche weckt in der Brust
Mir der Sommerlüfte Spiel!

3.
Den 19. Mai

[162]
Schon glaubt' ich, meiner gewiss zu sein,
Schon glaubt' ich, ich hätt' überwunden,
Da hat der leiseste Hoffnungsschein
So schwach meine Kraft gefunden.
Wie das Würmchen sich an den Grashalm krallt,
Vom fluthenden Strome getrieben,
Hängt Lebensdrang sich mit wilder Gewalt
An die Hoffnung, die ihm geblieben.
Mein klarer Geist, nun kräftig bleib,
Dann besiegst du den König der Schrecken —
Oft ist mir, als könntest den schwachen Leib
Zu neuer Kraft du erwecken!

4. Hoffnungsstern
Den 19. Mai 1878

Ringsumher war wolkenverhangene Nacht,
Doch ahnt' ich schon trotz Zagen und Trauern
Unter heiligen Schauern
Hinter dem Dunkel des ewigen Morgens Pracht.
Da hellet das Dunkel ein silberner Schein —
Sternelein, Sternelein,
Willst du mir zeigen die hohe Bahn
Himmelan ?
Oder geleitest noch zur Qual
Du mich heim ins enge, traute,
Und ach! so geliebte Erdenthal?
Das sagt mir dein Schein:
Wie es komme, mein Hoffnungsstern
Musst du sein!

Hörbar und faulen Ganges schleicht die Zeit

[163]
Hörbar und faulen Ganges schleicht die Zeit
Dahin in meinem stillen Krankenzimmer;
Wie sehn' ich mich aus dieser Einsamkeit
Nach deiner Augen zauberischem Schimmer!
Als ich zuletzt dich sah — s'ist lange her —
Bin trotzigen Sinnes ich hinweggegangen;
Seitdem lag ich darnieder lang und schwer,
Sehnsucht nach dir nahm all mein Sein gefangen.
Und weil ich nun nach mancher Leidensnacht
Genesung fühle durch die Adern rinnen,
So wähnt mein Herz, du habest mein gedacht,
Aus Zufall nur, doch in geneigtem Sinnen.
Denn alles Erdenglück und jede Lust
Scheint mir von dir ein lächelnder Gedanke,
So dass ich alle Freuden meiner Brust
Nur deiner freundlichen Erinnrung danke.
[164]
Ja, tritt dereinst der Tod an mich heran,
Fürwahr, ich werd' es anders nicht ermessen,
Als dass ich nun nicht länger leben kann,
Dieweil du meiner ganz und gar vergessen.

Zuweilen dünkt es mich, als hört'

Zuweilen dünkt es mich, als hört'
Ich eures Hofhunds heiseres Gebelle,
Den ich so oft des Nachts aus seinem Schlaf gestört,
Wenn ich durchs thauige Gras zur wohlbekannten Stelle
Mich schlich, vom süssen Wahn bethört.
Wie trieb im Pappelbaum der Wind sein Spiel,
Dass Blatt um Blatt gespenstisch rauschte,
Wenn ich empor zu deinem Fenster lauschte,
Aus dem das Lispelwort der Liebe fiel!
Wir lachten, seufzten, lachten wieder;
Ein Blumenstrauss, den du am Tag gepflückt,
Ein Handschuh, drauf du einen Kuss gedrückt,
Flog unversehens in den Kies hernieder.
Nach Oben schaut' ich unverrückt,
Und doch, ich sah dich nicht, undeutlich nur
Hob sich das weisse Nachtkleid aus dem Dunkeln,
Derweil hoch überm Dach durch der Augustnacht Funkeln
Ein Wetterleuchten um das andre fuhr —
Just wie geheimstes Sehnen sich verräth,
Aufblitzt und schweigt und wiederkommt und geht.
Wer bringt uns nun in ferner Einsamkeit
Ein Stündlein nur zurück aus jener schönen Zeit?
Mir ist es just, als seist auch du erwacht
Und sähst hinab zum Garten in die Nacht.
Der Hofhund bellt; warum? Es regt sich Nichts —
Nur übers lange Gras im Glanz des Mondenlichts
Schwebt elfenhaft vom Säuselwind getragen
Ein Traum von Lieb und Glück aus halbverschollnen Tagen.

Vagabunden

In der Schenke des Morgens fruh
Geht's wahrhaftig schon lehrreich zu.
Drinnen schafft das dralle Gesinde,
Draussen schwankt im Frühlingswinde
[165]
Hoch in der Strassen ein Bündel Stroh,
Und die Fuhrleut, Hoiahoh!
Grüssen den Weiser schon aus der Ferne.
Ei, wie trinkt sich so gut und so gerne
Irgend ein Schöpplein in aller Ruh
In der Schenke des Morgens fruh!
In der Schenke des Morgens fruh
Horch' ich dem bunten Gerede zu.
Handwerksburschen mit gähnenden Taschen,
Fahrende Schüler in feinen Gamaschen,
Brauner Zigeuner verschüchterte Brut,
Kecke Rekruten, den Strauss auf dem Hut,
Etliche wandernde Komödianten,
Dann von der Kirchweih die Musikanten —
Also wechselt's in einem Nu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Trank ich mit Manchem auf Du und Du,
Den ich des Nachts, die Faust am Kragen,
Unter den eichenen Tisch geschlagen.
Mancher zog in die Welt hindann,
Den ich hier inniglich lieb gewann.
Manchen liess ich, er konnte nicht zahlen,
Mir in die eigene Rechnung malen —
Täglich nimmt die Erfahrung zu
In der Schenke des Morgens fruh.
In die Schenke des Morgens fruh
Kam ein Paar auf zergangenem Schuh,
Alle beide geflickt und zerrissen.
Sie trug ein Kindlein in ärmlichen Kissen;
Und noch eh ich die Hand ihr bot,
Ward sie schon über und über roth.
Suchten sich Beide vor mir zu verstecken —
Mir, mir wollte kein Tropfen mehr schmecken,
Aber die Fuhrleut sangen dazu
In der Schenke des Morgens fruh.
In der Schenke des Morgens fruh
Sangen sie laut und mit Herz-Atout
Stachen sie Gras und Eichel und Schelle.
Und ich stahl mich hinaus vor die Schwelle,
[166]
Über die Strasse sah ich ihr nach,
Bis mir ein Thränlein im Auge zerbrach.
Schau, es war dein eigener Wille!
Sprach ich zu ihr in des Herzens Stille,
Dann sah ich wieder dem Karteln zu
In der Schenke des Morgens früh.

Die Noth

Ich sah gar oft im Traum, bevor die Hähne krähen,
Ein hühnenhaftes Weib durch meine Nächte gehen,
Das von dem Schild des Reichs den Dust der Jahre blies
Und mir ein flammend Bild in finsterm Rahmen wies.
Die Wipfel meines Traums verfärbten sich wie Gluthen,
Es scholl von draussen her wie Überschwemmungsfluthen.
Im Rücken dämmerte der Brauch der heutgen Welt;
Was rings um mich erklang, vertraut war's; doch entstellt.
Entwöhnt seit lange schon von Hammer, Pflug und Feder,
Trug blutig Handwerkszeug in seiner Faust ein jeder.
Ich selber war entstellt, ergraut in Bart und Haar,
Mein Denken kurz und karg, mein Herz der Sehnsucht bar;
Verloren war mein Lieb; vergessen war mein König,
Nur ein erstaunlich Lied, schwertscharf und glockentönig,
Zog brausend vor uns her, ein Lied so wundersam,
Zorntriefend, opferfromm, wie ich es nie vernahm.
Millionen sangen es; durch die verhüllte Gegend
In rother Dörfer Qualm sich rüstig fortbewegend.
Am Weg zuweilen fand ein Haus ich, ein Gesicht,
Das däuchte mir bekannt und dennoch kannt' ich's nicht;
Ei was, es ging vorbei, nicht mocht' ich mich besinnen,
Verloren war so viel und Eins nur zu gewinnen.
Und jener grause Sang in heiligem Einerlei
War uns Gebet und Fluch, Grablied und Freudenschrei.
[167]
Wenn dann mein Blick voraus ins Weite sich versenkte,
Sah ich das Riesenweib, das die MilUonen lenkte.
In kargen Ringeln fiel ihr Haar ums hohe Haupt,
Von einem stolzen Kranz aus engem Stahl umlaubt;
Die Lippen ernst und schmal, gewöhnt wie ans Versagen,
Lippen, wie ich sie sehr geliebt in schönen Tagen;
Ihr Auge feucht, jedoch der Fuss mit Erz beschuht,
Dess Tritt wie glühnden Stahls in festgefrornem Blut.
Und donnernd ging das Wort der riesigen Walkyre
Die Tausende hinab: „Folgt mir, wie ich euch führe!
Ihr habt das bunte Reich der Möglichkeit durchsucht,
Bis jedes Mittel ihr erkannt als taube Frucht,
Bis ihr in mir erwählt den Spruch des alten Weisen:
Wo keine Kunst mehr heilt, hilft Feuer oder Eisen.
Hie Brand und Stahl! Wohlan, erfüllt des Herrn Gebot;
Sein Zorn fegt durch die Welt. Ich bin die harte Noth.“
— So rauscht das Riesenweib einher in meinen Nächten,
Das Weib mit strengem Mund und erzumschlossnen Flechten.
Ich weiss, manch Eines Traum hat nicht so bösen Schwung,
Ist farblos wie er selbst, wie ewge Dämmerung.
Ich kann euch euren Schlaf nicht von den Wimpern rauben,
Doch wer den Schmerz nicht scheut, darf an die Flamme glauben.
Sei's denn, Walkyre, komm! Wann wird der Tag erstehn,
Da wir bei Sonnenschein uns Aug in Auge sehn ?

Die Sendlinger Bauernschlacht
1705

Nun wollen wir aber heben an,
Von einer Christnacht melden,
Aus den Bergen ziehn gen München heran
Fünftausend mannliche Helden.
Der Gemsbart und der Spielhahnschweif
Sind drohend gerückt nach vorne,
[168]
An ihren Bärten klirrt der Reif,
Ihr Auge glüht vor Zorne;
Sie schwenken die Sense, die Keule, das Schwert,
Fünfhundert sind mit Büchsen bewehrt,
Und wie die Schneelahn wächst die Schaar
Von den Bergen rollend im Monde klar.
Ein Fähnlein himmelblau und weiss
Trägt vor dem Zug ein riesiger Greis;
Das ist der stärkste Mann des Lands,
Der Schmied von Kochel, der Meier Hans;
Von seinen Söhnen sieben
Ist keiner zu Haus geblieben.
„O Churfürst Max Emanuel,
Wir müssen's bitter klagen,
Dass du für Habsburg Leib und Seel
So oft zu Markt getragen!
Du Belgradstürmer, du Mohrentod,
Du musstest ins Elend wandern,
Und brichst französisch Gnadenbrot
Zu Brüssel jetzt in Flandern.
Es irrt dein Weib auf der Landesflucht,
Deine Waisen weinen in Feindes Zucht,
Gebrandschatzt darben die reichen Gaun,
Man sengt die Fluren, man schändet die Fraun,
Man rädert die Männer um leisen Verdacht,
Man reisst die Söhne vom Stroh zu Nacht,
Sie nach Ungarn zu trommeln ins heisse Blei —
Das Maass ist voll, es birst entzwei;
Drum lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!
Auch hat die Münchener Bürgerschaft
Uns einen Brief geschrieben,
Dass sie mit ungebrochner Kraft
In Treue fest geblieben.
Wenn wir den rothen Isarthurm
Nach Mitternacht berennten,
Erhöben drinnen sich zum Sturm.
Die Bürger und Studenten.
Denn wie den letzten, theuersten Schatz
Vergruben sie am geheimsten Platz
Was ihnen geblieben an Waffen und Wehr.
Sie sprechen am Tage sich nimmermehr,
[169]
Doch tief in den Kellern bei Fackelbrand
Reicht sich die ganze Stadt die Hand;
Allnächtens zieht von Haus zu Haus
Ein unterirdisches Gebraus,
Ein: Lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!
Wir klopfen ans Thor, nun lasst uns ein!“ —
Da geht von den Wällen ein Blitzen,
Und feurigen Tod zum Willkomm spein
Gutkaiserlichc Haubitzen;
Und Strassen auf und Strassen ab
Musketen und Granaten —
Wer hat die Landsleut an das Grab,
An Österreich verrathen?
Der Pfleger von Starnberg war der Wicht!
Mein Lied nenn' seinen Namen nicht,
Verdammniss und Vergessenheit
Begrab' ihn heut und allezeit,
Sein Kleid sei gelb, sein Haar sei roth,
Sein Stammbaum des Ischarioth! —
In Thränen flucht die Bürgerschaft,
Ihr blieb keine Klinge, kein Rohr, kein Schaft;
Sie ward in wenig Stunden
Entwaffnet und gebunden.
„Doch spie die Höll aus dem rothen Thurm:
Der Landsturm von den Bergen,
Er nimmt die Münchner Stadt mit Sturm
Trotz Kaiser Josephi Schergen!“
Die Brücke dröhnt, die Nacht wird hell,
Hie Wirbeln, Schreien, Knallen,
Vom „Hurrah Max Emanuel!“
Die Gassen wiederhallen.
Schon rief der Feldmarschall von Wendt:
„Die Sache nimmt ein schlechtes End;
Wo bleibt des Kriechbäum Reiterei?
Ich rief sie doch im Flug herbei!“
Da rasselten über den Brückenkopf
Mit rothem Mantel und doppeltem Zopf
Die fremden Schwadronen die Kreuz und die Quer,
Von den Wällen schlugen die Bomben schwer,
Die Landsleut in der Mitten
Die haben viel hart gestritten.
[170]
Sie flohen über die Haide breit,
Durch tief verschneite Fluren,
Im Rücken und an jeder Seit
Kroaten und Panduren.
Dort sind wohl ihrer tausend und meh
Unter Rosseshufe gesunken
Und haben den blutigen Weihnachtschnee
Als Wegzehrung getrunken.
Ein Friedhof steht am Hügelrand,
Den erklommen die Bauern mit Knie und Hand,
Auf dem Glatteis ringend im Einzelkampf
Unter Kolbenstössen im Pulverdampf,
Bis von dem Rest der treuen Schaar
Der steile Hof erklettert war.
Da stiess in ein verschneites Grab
Der greise Schmied den Fahnenstab:
„Hie lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!“
Heiss kochte der Schnee, die Nacht war lang,
Durchs Knattern der Musketen
Zog sich's wie Orgel und Glockenklang,
Wie fernher wanderndes Beten.
Und ein Bauer ein weisses Tuch aufband,
Er that's an der Sense schwenken,
Er musste des Jammers im bergigen Land,
Der Wittwen und Waisen gedenken.
— „Von der Zugspitz bis zum Wendelstein
Nur Sturmgeläut und Feuerschein,
Derweil zwischen Hufschlag, Schnee und Blei
Wir fruchtlos fallen vor Hahnenschrei.
Wir haben's verspielt ohne Nutz und Lohn,
Drum, feindlicher Obrist, gieb uns Pardon,
Dass die Dreihundert, die wir noch sind,
Heimziehen dürfen zu Weib und Kind —“
Drauf ist unter Blitz und Knallen
Der Sprecher vom Stein gefallen.
Da schlössen ums flammende Gotteshaus
Die Landsleut eine Kette,
Und knallten und schrien in die Nacht hinaus
Ein' furchtbare Weihnachtsmette.
Als der Hahn im Dorfe zu krähen begann,
War all ihr Blei verschossen,
[171]
Sie hingen würgend Mann an Mann
Auf den schäumenden Ungarrossen;
Und als an die Glocken der Frühwind fuhr,
Da stand von den Bauern ein einziger nur,
Das war der stärkste Mann des Lands,
Der Schmied von Kochel, der Meier Hans;
Mit einer Keule von Eisenguss
Drasch er sie nieder zu Pferd und Fuss,
Doch als die Sonne zur Erde sah,
Seine sieben Söhne lagen da
Ums Fähnlein, das zerfetzte;
Der Vater war der letzte.
Nun tröst' euch Gott im Himmelreich
Ihr abgeschiednen Seelen!
Es wird von solchem Bauernstreich
Noch Kindes Kind erzählen.
Wohl manch ein Mann, wohl manch ein Held
Geht um in deutschen Weisen,
Wir wollen den, der Treue hält,
Vor allen andern preisen,
Der trotz Verrath und Hochgericht
Von seinem Wort kein Jota bricht.
Jetzt aber sagt, wo kehren wir ein?
Ich denk', heut soll's in Sendung sein.
Vorbei um Friedhof führt die Strass,
Da grüssen wir unters verschneite Gras:
„Hie lieber bayrisch sterben,
Als kaiserlich verderben!“

Die Hauptpostill

[172]
Die Sonne scheint nicht jeden Tag,
Man hat nicht immer, was man mag,
Man kann nicht immer, was man will —
Das ist die alte Hauspostill!
Wir lernen sie von Vätern her,
Das Leben lehrt sie uns noch mehr;
Wir meinen wohl, so lang wir jung,
Ihr zu entgehn mit keckem Sprung,
Und lachen in die Maienwelt,
Bis um uns her die Blüthe fällt,
Bis um uns her der Nebel streift
Und uns den eignen Kopf bereift.
[173]
Doch wartet unsrer stumm und still
Daheim die alte Hauspostill;
Wir kehren zu ihr still und stumm
Und blättern nickend drin herum.

Am ersten Sarge

Es war in schwüler Julizeit; die Gassen
Im Städtchen draussen lagen stumm verlassen,
Und schläfrig klang vom Thurm das Glockenspiel
Ins Schulgemach, wo schmal, wie goldener Duft,
Ein Sonnenstreif ans Wandgetäfel fiel.
Die Fliegen summten müde durch die Luft,
Und müde lag es auf den Knabenlidern,
Die auf des alten Römers Weisheit tief
Herniedernickten, nur ein Flüstern lief
Verstohlen rund, ein Blick, ein kurz Erwiedern,
Und Alles still, und selbst der Lehrer schlief.
Die Blicke alle aber streiften scheu
Den Platz zur Rechten mir, der leer heut war;
Dort sass mein Nachbar sonst; wir hielten treu
Zusammen stets in Noth und in Gefahr,
Wie Kinderspiel und Ernst es mit sich bringen.
Wir hatten's nie gesagt und kaum gedacht,
Dass unsere Herzen aneinander hingen,
Dass unsere Augen nacheinander gingen,
Und wer's gesagt, wir hätten drob gelacht.
Und langsam von der Wand herniedersank
Der Sonnenstreifen auf die leere Bank,
Es war der Zeiger der erharrten Stunde;
Wir liessen Cäsar mitten in der Schlacht,
Der Lehrer schloss, fast eh' wir's noch gedacht,
Das Buch, und blickte flüchtig in die Runde
Und sagte: „Heinrich Wolf ist heute Nacht
Gestorben; wer ihn etwa sehn noch will,
Der muss es heut, die Eltern lassen's sagen.“
Er ging; sonst drängte wohl in wildem Jagen
Jedweder nach der Thür, heut blieb es still;
Der Klang der letzten Worte nur lief schrill
Noch an der Wand entlang, und wie im Traum
Verklangen leise auf dem Flur die Schritte;
Ich selbst gedankenlos in ihrer Mitte —
Todt war er — todt — was war's? Sie wussten's kaum,
Doch lag es seltsam auf den Kinderwangen,
[174]
Wie Neugier halb und halb wie heimlich Bangen.
Nur mir war's so, als ob der warme Strahl
Des Sonnenlichts mit kaltem Flor verhangen,
Und drinnen fühlt' ich's, dass zum erstenmal
Ein Schauer durch die warme Welt gegangen.
Am Rand der stillen Gasse lag das Haus,
Ein Garten dran, und in ein dicht Gewirr
Von Blumen sah sein Fenster stumm hinaus.
Ringsum ein sonnenwogendes Geschwirr —
Sie standen lautlos an des Sarges Rand,
Nur weisser war als sonst sein Angesicht,
Nur seine blauen Augen lachten nicht,
Und nach einander seine kalte Hand
Erfassten sie und legten hastig wieder
Sie auf des Bettes weisse Linnen nieder.
Es war der Tod, der keinen wiedergiebt,
Sie sahn's und schauten doch ungläubig drauf;
Nur mir schrie plötzlich es im Herzen auf,
Als hätt' ich nichts sonst auf der Welt geliebt,
An diesen stummen Lippen nur gehangen,
Als müssten sie nach mir zurückverlangen,
Als müsste dieses Aug, eh es gebrochen,
Nur einmal sprechen, was es nie gesprochen,
Nur einmal hören, was es nie vernommen,
Was über meine Lippen nie gekommen.
Und wie die todten Augen auf mich sahn,
Da mit der Jugend wundersamem Wahn
Ergriff es mich, als wär' allein von Allen
Dem Tod ich mächtig in den Arm zu fallen,
Als müsste eines Menschenherzens Sehnen
Allmächtiger sein als Tod und Grabeshallen;
Und mit der Liebe glaubensstarkem Wähnen
Bog ich mich auf das kalte Angesicht
Und schloss die Lippen auf den starren Mund.
Umsonst — die blauen Augen sahn mich nicht,
Und keine Antwort gab die Lippe kund.-
Und wie in jener sagenhaften Stunde,
Da Gott verschied am Kreuz zu Golgatha,
Fühlt' schaudernd ich in ihrem festen Grunde
Die Erd um mich erbeben, und ich sah
Die Sonne stürzen, Nacht umzog die Welt,
Ein Riss zerspaltete des Himmels Zelt,
Auflodernd schlugen um mein Haupt die Flammen,
Und an dem Todtenbett brach ich zusammen.

Lieder aus Frankreich

[175]

1.

Dass die nächste Stunde nicht mehr dein,
Dass jeder Gedanke dein letzter kann sein —
Dass die Kugel pfeift, dass der Schlachtruf gellt,
Dass der liebste Freund an der Seite dir fällt —
Dass weiter du musst und ihn jammernd verliesst,
Dass den Feind du aufs Korn nimmst und stürzen ihn siehst —
Gefahr und Entsetzen, Gestöhn und Geschrei - -
Das geht wie im Rausch an dir vorbei.
Nur wenn es vorbei, und den Sieg du gewannst,
Und schlafen du möchtest und schlafen du kannst —
Da plötzlich wohl kommt's dir ins Auge so dumm,
Dass die Nacht du durchschluchzst, und du weisst nicht warum.

2.

Doch giebt es nichts, das so den Sinn beirrt
Und traumhaft Täuschung durch die Seele dämmert,
Als wenn im tiefen Wald die Taube girrt,
Und echoweckend fern der Schwarzspecht hämmert.
Die glatten Stämme, schlank wie Säulenschaft,
Umfangen dich wie graue Zauberwildniss,
Und vorwärtsschreitend kommt's dir märchenhaft,
Als suchtest du Domröschens Wunderbildniss.
Nun kreist der Kukuk unsichtbar vorbei,
Hoch droben. Unbewusst nach Kinderweise
Zählst du die Rufe — mit dem ferneren Schrei
Verschwimmen die Gedanken, leise — leise. —
Da plötzlich durch die Luft kommt andrer Gruss:
Ein Prasseln durchs Geäst, ein dumpfes Heulen!
Kartätschen sind's! und hart vor deinem Fuss
Zerschmettern sie die schlanken Zaubersäulen.

3.

Ich weiss, das Alles, du hast's, wie ich,
Und ich weiss es, ebenso
Werden strömen die Thränen um dich wie um mich
Auf Erden, irgendwo.
[176]
Ein Glück, das Keinem Unrecht schuf,
Fällt starr mit dir ins Grab,
Es beschwört ein imhemmbarer Jammerruf
Einen Fluch vom Himmel herab.
Und nun liegen in stummer Nacht wir hier
Uns gegenüber, zu Boden gestreckt,
Aufhorchenden Ohrs, wie ein lauerndes Thier
Zu tödtlichem Sprunge gereckt.
Der Vorsichtslosere, wer von uns ist's?
Vielleicht weil die Sehnsucht die Klugheit ihm raubt -
Ein Rascheln — gezielt! und ein Ruck! — du bist's - -
Und die Flüche, sie falln auf mein Haupt. -

4.

Doch, ob auch immer neu der Schmerz,
Hat auch sein Recht das Leben,
Und scheint die Sonne Trost ins Herz,
Muss man sein Recht ihm geben.
Es nimmt's sich doch — und Brust an Brust
Dem Manne mit der Hippe,
Pfeift es in ungebundener Lust
Ein Lied dir von der Lippe.
Es nimmt's sich doch — und ob auch rund
Um dich der Tod mag krachen,
Urplötzlich grüsst's aus deinem Mund
Den Tod mit lustigem Lachen.

Zum 24. December 1870

Ich trag's nicht länger. Ich that als Soldat
Meine Pflicht, Kamerad; ich sag's ohn Geprahl.
Heut Abend — verrath mich nicht, Kamerad!
Werd' ich fahnenflüchtig zum ersten Mal.
Kamerad, nur eine Minute bleib
Für mich auf Wacht! Wenn der Feind dir naht,
Da deck dich nur hinter meinem Leib!
Der bleibt, derweil ich fort, Kamerad.
Nur eine Minute, ich trüg's sonst nicht,
Gewähr, Kamerad, mir, was ich bat;
Und pfeift mir die Kugel dafür ins Gesicht,
So trifft sie mich doch daheim, Kamerad!

Da bin ich wieder, mein Kamerad

[177]
Da bin ich wieder, mein Kamerad,
Sei schönster Dank dir geboten!
Die Geister, sie reiten auf luftigem Pfad
Fast schneller noch als die Todten.
Mein Kamerad, ich hab' doch noch nicht Lust,
Mich ihnen zu gesellen!
Ich fühle noch freudig das Herz in der Brust
Gar süsse Gedanken mir schwellen!
Und fragst du, was plötzlich so lustig mich macht,
Kamerad, ich will's dir nicht hehlen:
Ich fühl's, von dieser Weihnachtsnacht
Werd' ich einst meinen Kindern erzählen.

Und sieh, da hat der Weltenraum

Und sieh, da hat der Weltenraum
Sich auch mit uns verbündet
Und unermesslichen Weihnachtsbaum
Uns über den Raupten entzündet!
Wie strahlen sie in festlichem Kleid,
Die funkelnden, zitternden Kerzen!
Die alten Vertrauten aus Kinderzeit,
Die Tröster in allen Schmerzen.
Lasst einen Weihnachtswunsch empor
Mich senden, wie einst als Knabe;
O schliesst der Bitte nicht das Ohr
Um eine einzige Gabe!
Nur eine Gabe sei Freund und Feind
Aus eurem Glänze beschieden,
Nach der wie ein Kind die Erde heut weint:
Den Frieden schenkt uns — den Frieden!

Aus: Schwarzwaldtage

Unermessne Wolkenmassen,
Wochenlang vom Süd getrieben,
Regenströme, nicht zu fassen,
Welchem Weltmeer sie entstieben.
Trüb ins Fenster schleicht der Morgen,
An den Wänden kriecht die Spinne,
Webt aus Missmuth und aus Sorgen
Graues Netz um Herz und Sinne.
[178]
Aber draussen in den Schlünden
Sammeln sich die Himmelswogen,
Rauschen aus den Waldesgründen,
Brausen aus den Felsenbogen.
Rings in tosenden Kaskaden
Donnern Bach und Quell hernieder,
Tausend weisse Nixen baden
Drin die schaumumblitzten Glieder.
Und im Schäumen und im Brausen
Webt ein Lied von wilder Minne
Athemlos, mit süssem Grausen,
Dir der Wald um Herz und Sinne.

Seltsame Genossen

Ist das ein seltsamliches Gewander:
Ihr schrittet noch eben vergnügt miteinander
Durch Wälder und Wiesen und Sonnenschein;
Du siehst dich um — da gehst du allein.
Er blieb zurück am Weggelände,
Das Wort auf den Lippen, er sprach's nicht zu Ende;
Ein wunderbarlich Gebahren, und doch
Scheint deins verwunderlicher noch.
Ganz ruhig gehst des Weges du weiter,
Hast schnell einen andern vergnügten Begleiter,
Und fröhlich wieder zieht ihr drein
Durch Wälder und Wiesen und Sonnenschein.
So geht's eine Weile, das seltsame Wandern:
Dann kommt es an dich, dann hörst du die Andern
Noch weiter lachen ins sonnige Land,
Und du bleibst einsam am Wegesrand.

Ganz still; es liegt der Mittagsschein
Aus: Frau Venus

Ganz still; es liegt der Mittagsschein
Wie Flammen auf den fernen Bergesmatten;
Ein Hauch wacht auf und schlummert ein,
Und lautlos kürzen sich die Giebelschatten.
[179]
Vom Garten leisen Athems weht
Ein heisser Duft von Thymian und Lavendel,
Und leise hin und wieder geht
Der alten Wanduhr Amourettenpendel.
So ging in meiner Kindheit schon
Er tickend auf und ab die gleichen Wege,
Und durch die Stille klingt sein Ton
Gleichwie verschoUner Zeiten Herzensschläge.
Was will ihr Raunen heut — was rinnt
Durchs eigne Herz mir heut aus ihrem Klange,
Dass es zu pochen auch beginnt,
So lebenssüss und doch so todesbange?
Umfängt in dieser Stille mich
Ein schauernd unsichtbares Geisterweben,
Und ringt begrabne Liebe sich
In meinem Herzen auf nach neuem Leben?

Der hat wohl reich erfahren
Aus: Frau Venus

Der hat wohl reich erfahren,
Wie voll das Leben blüht,
Der mit erbleichten Haaren
In Liebe noch erglüht.
Dem mag wohl offenbaren
Sich aller Wunder Buch,
Dem noch in grauen Haaren
Ein Herz entgegenschlug.
Der Sommer geht zur Wende,
In Garben steht das Feld,
O Frühling sonder Ende,
O süsse Blüthenwelt!
Der Sommer geht zur Wende,
Die Bäume stehn entlaubt,
Doch in die weissen Hände
Leg' ich mein graues Haupt.

Ein krankes Glied, das gesunden will
Aus: Frau Venus

[180]
Ein krankes Glied, das gesunden will
Muss Rast und Ruhe haben,
Und hält ein krankes Herz nicht still,
Da muss man es begraben.
Zu ruhlos schlägt's bei Nacht und Tag,
Als dass ihm besser werde,
Den neuen Schmerz bei jedem Schlag,
Den heilt allein die Erde.
Die deckt es kühl und freundlich zu,
Umwölbt von grünen Zweigen;
Da mag es liegen in ewiger Ruh
Und heilen, schlafen, schweigen.

Zuletzt

Was hohen Trachtens den Verstand
Und heissen Schlags das Herz bewegt,
Das Alles wird zum Possentand,
Wenn sich der Mensch zum Sterben legt.
Zu schnödem Unrath schmilzt das Gold,
Der Würfel bricht, das Glas zerschellt,
Es stockt die Zeit, die Sonne rollt
Als kalte Schlacke durch die Welt.
Verdienst und Ehre, Stolz und Kraft
Zerstieben wie vergilbtes Laub,
Die Schönheit und die Wissenschaft,
Vermodert liegen sie im Staub.
Die Liebe nur, das arme Ding,
Hält bis zuletzt am Bett noch aus
Und schleicht erst, wenn der Athem ging
Verwaist sich aus dem Sterbehaus.

Spruch

Immer das Kommende sinnet der Mensch: in die herbstliche Stoppel,
Kaum von den Ähren noch leer, senkt er den Pflug für die Saat.
Dass er geerntet und dass er zu ernten erhofft, es verknüpft ihm
Morgen und Abend, und so schwindet der Mittag ihm hin.

Abendlied

[181]
Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild auf Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
Tastend streift sie ab die Wanderschuh,
Legt sich auch in ihre finstre Truh.
Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn,
Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn,
Bis sie schwanken und dann auch vergehn,
Wie von eines Falters Flügelwehn.
Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluss der Welt!

Ein Schwurgericht

[182]
Da liegt ein Blatt von meiner Hand beschrieben
In Tagen, die nun lang dahin geschwunden,
So lang, dass halb vergeblich die flüchtge Schrift.
Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen,
Ein wunderliches, wieder mir lebendig,
Das mich befiel in wunderlicher Zeit,
Als schnöd das Abenteuer mächtig herrschte,
Und frech die Welt zum Abenteuer schuf.
Was während eines Mondes kurzer Dauer
Von tollem Spuk und schrecklichem Geschehen,
Merkwürdigem Wagniss und ruchloser That
Die Zeitung brachte, von versunkenen Schiffen,
Mit schwerem Gold und brüllendem Volk beladen,
Von drehnden Tischen, dran die Thorheit sass,
Von Schlachtenlärm und diebischen Marschällen,
Von falschem Giftdurch weisse Hand gemischt:
Das dacht' ich rhythmisch wogend zu verflechten
Zu einem wildrhapsodischen Gesang,
Gleich einem Wandrer, der bestäubt und keuchend
Dem tobenden Gewühl mit Noth entrann
Und seinen Fiebertraum voll Hast erzählt.
So schrieb ich mir auf Blätter jede Kunde,
Und nicht im Stich fürwahr liess mich die Zeitung,
Jedoch die Lust, die mir gemach verging.
Dies gelbe Blatt nur hat sich noch erhalten.
Ein Lächeln will beim Anblick mich beschleichen,
Das aber wandelt sich sogleich in Ernst.
Es steht ein Richterspruch darauf verzeichnet
Und eine That so dunkel traurger Art,
Dass wie von selbst die Hand zum Stifte greift,
Das blutge Räthsel doch noch festbannen.
In Franken war's, an stillem Sommertage,
Dass eine Frau ihr kleines liebes Bübchen
Mit Korb und Vesperbrot zum Vater sandte,
Der im Gehölze, mässig weit, im Schweisse
Des Angesichts an seiner Arbeit stand.
Sie wusste, dass er heut ein hartes Lohnwerk
Vollbringen wollte bis zur Dunkelzeit.
Ein mütterlicher kleiner Übermuth
[183]
Verlockte sie, das Wagniss zu versuchen
Und mit dem Bötlein ihren Ehkumpan
Zu überraschen dieses erste Mal;
Denn Sonntag war es morgen und im Hause
Blieb ihr zu schaffen übrig noch genug.
Das Käblein aber sträubte sich, zu gehen,
Gewohnt, nur an der Mutter stets zu hangen
Und sie um tausend Dinge zu befragen
Mit Schmeichelwörtchen, lind im Sington.
„Geh nur,“ sprach sie, „die Mundharmonika
Geb' ich dir mit, mein Söhnchen! Darauf spielen
Wirst du gar herrlich auf dem ganzen Wege;
Der Vater ruft: Was hör' ich für Musik?
Gewiss marschirt ein Regiment Soldaten!
Wie lacht er aber, wenn sein Hänschen kommt!“
Und da sie aus dem Schrank das Instrumentchen,
Das dort zur Schonung sorglich aufgehoben,
Hervorholt, fasst es gleich der frohe Kleine
Und schreitet wacker, seinen Korb am Arm,
Ins helle Sommerland, die sieben Stimmchen
An seinen Lippen unverweilt erprobend
Und stets aufs Neue reihend Ton an Ton.
Schon weit ist er; doch über Korn und Klee
Tönt weich und sanft, wie all der blaue Himmel,
Sein einfach Lied nun aus dem Feld herüber;
Der Kinderpuls, ein Lufthauch und die Ferne,
Sie schaffen eine rühremnd zarte Weise,
Die, fast verwehend jetzt, dann leise schwillt.
Und weil die Mutter hier noch steht und horcht
Und denkt: nun hat er wohl den Forst betreten,
Vernimmt der Vater drüben schon die Töne
Und kennt sein Vögelchen an dem Gesang.
Er lauscht erfreut - auf einmal bricht es ab,
Und stumm bleibt ewig dieser Kindermund!
Kein Knäblein kommt zum Vater, keines kehrt
Zur Mutter Abends mit dem Müden wieder.
Nach dreien Tagen erst zog man das Kind
Mit eingeschlagenem Haupt aus einem Wasser,
Das tückisch hehlend, dunkel, unbeweglich
Abseits vom Pfad im Waldesschatten lag.
Der Mörder auch ward bald darauf ergriffen;
Es war ein starker Bursch von achtzehn Jahren,
[184]
Fast unbekannt, der, lungernd in der Stadt,
Misstrauisch schielend auf dem Örglein blies,
Das ihn verrieth. Dann vor dem Richter stehend,
Von dessen Kunst bedrängt, erzählt er mürrisch,
Wie er das Kind im Holze angetroffen
Und es gebeten, ihm das Ding zu leihen
Nur einen Augenblick, sich daran zu laben.
Kopfschüttelnd habe jenes fortgespielt,
Er aber es mit einem Stein erschlagen.
Und weiter ward die Kunde beigebracht,
Wie dass vor Jahren schon in seiner Heimath
Der Unhold von der zarten Kinderwelt
Als Spielzeugräuber sei gefürchtet worden;
Die trauten Plätze, Fluren, Hofgebreiten,
Wo sich das kleine Volk zur Lust versammelt:
Der grosse Range habe finster lauernd
Beschlichen sie und von dem bunten Werkzeug
Der Jugend sich gewaltsam angeeignet,
Was ihm gefiel, dann in entlegnen Winkeln
Einsam, mit ungeschickter Hand getändelt.
Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen,
Doch aus der Unthat wurde Keiner klug.

Ein Blatt aus der Kirchengeschichte
In den Ruinen des Bischofspalastes zu Lamphey in Wales

[185]
Das Salz ward dumm, die Zucht ward schlaff —
In diesem Fensterchen sass
Vor Alters manch ein fröhlicher Pfaff,
Auf dem Tischchen daneben das volle Glas,
Das fleissig zu leeren er auch nicht vergass.
Der Sitz ist doppelt; genüber, sieh,
Ein hübsches Äbtisschen im Fensterchen sass;
Sie rührten beinah zusammen die Knie,
Und eng im Fensterchen sassen sie.
[186]
So nach dem Essen, beim Vesperklang
Im engen Fensterchen sassen sie,
Und lauschten der Amsel Abendgesang
Und des Bächleins Flüstern die Wiesen entlang.
Heim kamen zum Stall in der Dämmerung
Die Böckchen und Lämmchen die Wiesen entlang;
Die Rehe schlüpften vom Wald im Sprung
Und schäkerten lustig, alt und jung.
Und die Beiden sahen die Thierchen gehn,
Sie dachten, so machen's Alt und Jung;
Der Mond ging auf — und was da geschehn,
Das haben die Rehchen allein gesehn.
Derweil die Beiden sich so gefreut,
Eine Zeit kam, wie man noch keine gesehn;
Es war eine Zeit voll Sturmgeläut,
Und der Same ging auf, den der Luther gestreut.
Bei uns die Pfaffen kamen zu Fall,
Doch in England trifft man gescheidtere Leut,
Die Bischöf schlugen gewandt den Ball
Und thaten dem König den Willen all.
So behielten sie Land und Kirch und Palast
Und thaten dem König den Willen all;
Die Äbtissin warf ab der Gelübde Last
Und empfing nun als Hausfrau selber den Gast.
Und sitzen sie Abends im Fensterlein
Mit manchem frohen Confrater als Gast,
Kein Rehchen springt mehr in die Wies hinein,
Denn da tanzen und halten die Kinderchen klein
Sich bei den Händchen gefasst.

Der Liebe Obdach

[187]
Die Liebe baut, ein thöricht Kind,
Ihr Haus aus Blum- und Blattgewinden,
Hier hofft sie gegen Frost und Wind
Ein freundlich Obdach einst zu finden.
Doch eine Herbstnacht war genug,
Ihr Hoffen ganz in Leid zu kehren,
Das leichte Haus im wilden Flug
Mit Dach und Pfosten zu zerstören.
Nun irrt sie, mit verzagtem Blick,
Zum Tod erschöpft, im wüsten Wetter,
Und sammelt aus verlornem Glück
Sich weinend noch die welken Blätter.

Aus der Nordsee

Schon rissen Stück um Stück vom Lande
Vereint die Wellen mit dem Sturm,
Nun blickt vom öden Inselstrande
Vereinsamt noch der alte Thurm.
[188]
Schon haben rings um ihn die Wogen
Die Gräber ruhlos nachgezogen,
Friedhof und Kirche sank hinab,
Und in der Tiefe rauscht das Grab.
Oft hört' ich Nachts ein klagend Stöhnen,
Wenn ich am Thurm vorüber fuhr;
So sprach in unruhbangen Tönen
Die windbewegte Glocke nur!
Mir schien, als wär's in letzter Stunde
Ein Wehlaut tief vom Glockenmunde,
Ein Wehlaut, der um Hilfe rief,
Wenn Herz und Hand der Menschen schlief.
Es wühlt die See, die Winde grollen,
Und fahr' ich wieder einst vorbei,
Wohl Thurm wie Glocke sind verschollen,
Die Woge rollt, der Strand ist frei.
Mir ist, den Kampf der letzten Stunden
Hätt' ich vorahnend selbst empfunden —
Mir ist, als liess' ich Lieb und Glück
Der dunklen Tiefe hier zurück.

Der Lump
Pfälzisch

[189]
'Sis wohr, was der un' der so sächt,
Ja ja, ich bin e' Lump,
Ich mag nix thu' un' thu' aach nix
Un sauf un' spiel' un pump!
Als kleener Bu' war 's Werthshaus schun
Mei' liebschter Aufenthalt
Un' wann ich een' beschumle' kann,
No'! so beschuml' ich halt.
Un' Händl habe' un' Krawall
Dess geht mer Allem vor,
Drum wann mich eener heest 'n Lump,
Recht hot er, es is wohr.
Jetz' aber kummt e' annri Froch,
Die hab' ich mer oft g' stellt,
Wann's gar ke' Männer gäb' wie ich,
Wie wär's dann uff der Welt?!
[190]
Wann die Moral e' Uneform
For alle Mensche' wär',
Wo käm' denn e' Begeischlerung
For Tugendhelde' her?
Die wäre' ganz zu Grund' gericht'
Mit all' dem Eenerlei,
Un Strebe', Ringe', Nocheifrung,
Dess Alles wär' vorbei.
E' Kerchethorn zeigt a' die Kerch,
Un so 'was kann er bloss
Sich! weil die Häuser kleener sin
Mit dem nor is er gross,
Un' wo Licht is, muss Schatte' sey'
Un' 's is gewiss ke' Lug',
Der wo dem Schatte' weiht sei' Kraft
Hot dra' zu thu' genug.
Drum will ich bleibe' aach e' Lump,
Bis ich im Loch drinn liech',
Dann 's gschicht der Tugend nor zur Ehr'
Un' for die opfr' ich mich.

Nix für unguat
Oberbairisch

Nix für unguat, liebi Lene,
Aber dass D' hoffärthi' bist
Und an Stolz hast, dass D' kaam geh' ko'st
Dees hon i' nie anders gwisst.
Nix für unguat! schaugst in' Spiegl,
Moa'st, Du kunntst an Engl sei',
Dass dees is an Aberglaabn,
Gel, dees fallt Dir nie nit ei'.
Nix für unguat! ja in' Raatsch'n
Ko' Dir weitum Koani o',
Und in' G'schnippisei, verstand'n,
Bist aar Alli Du voro'.
Nix für unguat! liebi Lene,
Aber oft hon i' dra denkt,
Zu mein' Wei', schau, nix für unguat,
Na', da möcht' i' Di' nit g'schenkt.

In Ewigkeit

[191]
Sie hatt' ihn lieb, wie Keinen sonst im Leben,
Sie hatt' ihm Alles, was er bat, gegeben.
Sie fühlte froh sich nur und reich im Schenken,
Sie kam zur Erde nur, um ihn zu denken.
Doch hatte kaum ein Mond ihr Glück gesehen,
Da fasste sie der Tod, mit ihm zu gehen.
Vorm Scheiden wollte sie nur Eins noch sagen,
Schon aber war das Pförtlein zugeschlagen.
Er lebte lang noch trüb und froh hienieden,
Es ward ihm lang noch Lust und Gram beschieden.
Der Todten Bild erschien ihm noch zu Zeiten,
Der Blick, in dem sie bat: sollst mich begleiten!
Und als er starb und eintrat in den Himmel,
Durchschritt er bang der Selgen bunt Gewimmel.
Und als sich endlich trafen sein und ihr Gesicht,
Da sprach sie nur das irdsche Wort: „Vergiss mein nicht!“
Dies wollte sie vorm Scheiden noch ihm sagen:
Sie hatt' es durch die Ewigkeit getragen.

Stilles Wasser

[192]
Wellen des Stroms im Fluge
Wollt' ich zu schöpfen wagen;
Stilles Wasser im Kruge
Hab' ich nach Haus getragen.
Lieder fand ich im Herzen,
Duftend wie Blumen, spriessen:
Worte sah ich mit Schmerzen
Über die Lippen fliessen.

Verfängliche Fragen

Gestern kam zu mir ein holdes Mädchen,
Sprach: „Weil du ein Dichter bist, so kündest
Du gewiss mir, Lieber, was vergeblich
Tag um Tag ich zu ergrübeln suche:
[193]
Leuchtend über meines Vaters Garten
Steht jedwede Nacht ein Stern jetzt, röthlich
Strahlt sein Schimmer, und die Wölkchen ordnen
Goldgesäumt sich um ihn her im Kreise.
Nie sah so noch einen Stern ich funkeln!
Was er funkelt, möcht' ich gerne wissen.
Und vor unserm Haus im dunklen Taxus
Jeden Abend singt ein kleiner Vogel;
Braun ist sein Gefieder, aber reizend
Fliesst der Ton ihm aus der lieben Kehle.
Niemals sang mir noch so süss ein Vogel!
Was er singt, das möcht' ich gerne wissen.
Doch das Wunderbarste sag' ich billig
Dir zuletzt: in meinem eignen Fenster
Ist seit dreien Tagen eine Blume
Aufgeblüht, die Niemand kennt im Hause.
Herrlich prangen ihre weissen Blätter,
Goldne Fäden hängen aus dem Kelche,
Und des Dufts balsamische Wellen zittern
Wie Gedanken durch mein stilles Zimmer.
Nie noch sah ich eine solche Blume!
Was sie duftet, möcht' ich gerne wissen.“
Und ich sprach zu ihr: „Du liebes Mädchen,
Heute Morgen in der achten Stunde,
Da die Sommersonne dir zu Häupten
Lange zögernd auf dem Kissen spielte —
Doch du schliefst noch fort, bis weiter rückend
Endlich dir der Strahl die Augen küsste —
Was du da geträumt, das singt der Vogel,
Strahlt der rothe Stern am nächtgen Himmel,
Und das Gleiche duftet auch die Blume.
Neige mir dein Köpfchen, dass ich leise
Dir ins Ohr es sage, und es Keiner
Weiter hört.“
Da fuhr sie auf erschrocken
Und umfing mein Haupt mit beiden Armen,
Mit den Händen mir den Mund verschliessend:
„Pfui! Was seid ihr Dichter doch für lose
Leute! rief sie aus. — Um Gottes willen
Schweige still und sag es nicht der Mutter.“

Schlummerliedchen

[194]
Schlaft mir allzusammen ein,
Meine sieben Kinderlein
In euren weichen Betten.
Schlummert süss und schlafet aus,
Steckt mir keins die Beinchen raus
Unter eurer Decke!
Seid ihr dann geschlafen ein,
Fliegt ein Engel ins Zimmer rein,
Besieht sich alle sieben:
Deine Kinder sind alle weiss und roth,
Ein schönen Gruss vom lieben Gott,
Ob sie auch fromm geblieben?
Meine sieben Kinder sind alle fromm,
Sie wolln gern in den Himmel komm'n,
Schön Dank für Milch und Wecken.
Bring wieder einen Gruss nach Haus:
Es stecke auch keins die Beinchen raus
Mehr unter seiner Decke.

Recensenten

Bläulich breitet sich der See bis zum Firmamente;
Meine Seele dehnt sich weit mit dem Elemente.
Alten Zeiten sinn' ich nach, längst verrauschter Fabel —
Eine Ente schwimmt herbei mit profanem Schnabel.
Fängt das Thier zu schnattern an: „Zwar der See ist bläulich,
Aber in der Tiefe haust Wurm und Schnecke gräulich.
Ist es nicht ein gross Verdienst, so den Teich zu säubern?
Und es lohnt die Arbeit sich gleich an unsern Leibern.“
Ja, du bist ein kluges Thier, Muhme Schnatter-Ente,
Wirst von fremden Fehlern dick, bist ein Recensente.
Könnte diese man, wie dich, rupfen, braten, fressen,
Was die Kerle fett gemacht, wollt' ich gern vergessen!

Die schöne Brigitte

[195]
Die schöne Brigitte, die Füsse bar,
Schweift irr durch die Nacht mit losem Haar.
Sie schweift durch die Nacht voll Jammer, und lauscht,
Was nahe hier wispert, was fern dort rauscht.
Die blitzenden Sterne bedrohen sie: „Du!
Wir standen hier Wache und sahen dir zu.“
Der Mond lacht hämisch: „Der See ist nass.
Drin seh' ich es liegen; du weisst schon, was.“
Sie schleicht durch die Au, und das Blümchen weint:
„Ich habe mit ihm zu spielen gemeint.“
Sie klimmt auf den Felsen, da mahnt das Moos:
„Ich hätt' es so weich gebettet im Schooss.“
Sie läuft in den Wald; der flüstert: „Gescheit!
Nun brauchst du kein Bäumchen zur Weihnachtszeit.“
Sie springt davon, da krächzet ein Rab,
Ein schwarzer, ihr nach: „Kopf ab! Kopf ab!“
Sie rennt, und rennt durch Busch und Strauch,
Bis rauschet der See: „Nun hab' ich dich auch!“

Nachts

[196]
Vereinzelt Sterngeflimmer
Durchblickt die Wolken schwach,
Und ich im dunklen Zimmer
Bin einsam hier noch wach.
Ich sitze stumm und brüte
Dahin im finstern Raum,
Mir schwebt vor dem Gemüthe
Vergangnes wie im Traum.
Ich denke, wie gefunden
Wir einst uns, ich und du;
Und wie dann hingeschwunden
Mein stilles Glück im Nu.
Der Priester sprach: — „bis scheiden
Der Tod wird den Verein.“
Ich aber will's nicht leiden,
Will nicht geschieden sein.
Ach! spannt denn keine Brücke
Herüber sich von dort?
Führt denn kein Pfad zurücke
Mehr die, die einmal fort?
Mich dünkt, ich müsse lauschen,
Ob nichts sich regen will,
Kein Flüstern und kein Rauschen;
Bleibt aber Alles still.
Ich spähe rings im Kreise,
Mir ist, als müsse mild
Aufdämmern leise, leise
Aus Nacht dein liebes Bild.
Wohl kommt in hehrem Schweigen
Der Mond heraufgewallt;
Doch du willst nicht dich zeigen
In deiner Lichtgestalt.

Blätterfall

[197]
Leise, windverwehte Lieder,
Mögt ihr fallen in den Sand!
Blätter seid ihr eines Baumes,
Welcher nie in Blüthe stand.
Welke, windverwehte Blätter,
Boten naher Winterruh,
Fallet sacht! ... ihr deckt die Gräber
Mancher todten Hoffnung zu.

Eglantine

Wie der Sturmwind, der über die Haide pfeift
Ohne Rast, ohne Ruh, ohne sichere Statt,
So mein heisser Sinn über die Erde schweift,
So mein Herz, das keinen Freund, keine Heimath hat;
[198]
Die sanfte blaue Blume im wogenden Korn,
Die zahme Blume ist nicht für mich —
Eine wilde Rose lieb' ich
Mit scharfem Dorn.
Ich grüss' dich, du trotzig, schwarzäugig Kind!
Du liebst die Liebe, ich liebe den Schmerz;
Mein Sinn ist wie der brausende Wind,
Eine wilde Rose sei dein Herz. —
Drin lodre die Liebe, drin laure der Zorn,
Einen Kuss, einen Kuss mir gieb!
Eine wilde Rose sei unsere Lieb
Mit scharfem Dorn!
Mein Sinn ist wie der brausende Wind;
Was soll dein Zürnen, was soll dein Harm?
Wo ist dein Trotz? lass los, mein Kind,
Lass los den weissen, den schwellenden Arm!
Frische Morgenluft meine glühende Stirne küsst;
Dem schäumenden Renner den hetzenden Sporn!
Ein wilde Rose mein Leben ist
Mit scharfem Dorn.

Die zerfallene Vigne

1.

Du grüne, blühende Wildniss
Voll Nachtigallenruf,
Die einst ein Frauenbildniss
Zum Wohnsitz für Götter schuf,
Du altes Landhaus, in Reben
Und Feigenbäumen versteckt ...
Als damals zu neuem Leben
Das schönste Weib dich erweckt:
Wie plätscherten rings die Bronnen,
Wie goss auf dieses Haus
Eine Fülle verschwiegener Wonnen
Liebe und Jugend aus!
Ihr, zum Asyl der Tauben
Kytherens auserwählt,
Ihr schattigen, heimlichen Lauben,
Wie seid ihr nun entseelt!
[199]
Umsonst ist all mein Lauschen
Nach Herrin und Gesind ...
Verschlafene Wipfel rauschen
Leise im Morgenwind.
Umsonst ist all mein Rufen ...
Das Echo höhnt mich rings ...
Auf den zerbröckelnden Stufen
Schläft eine verwitterte Sphinx.

2.

Als ob es heute wäre,
So denk' ich noch daran ...
Über dem purpurnen Meere
Schaukelte mein Kahn.
Ich kämpfte mit Wind und Welle
Und spähte nach dem Strand,
Bis ich die umbuschte Kapelle
Und das einsame Kloster fand.
Verstohlen anzulegen,
Sucht' ich die stille Bucht;
Mein Herz schlug dir entgegen
In Liebe und Eifersucht.
Die Nacht war weich und lüstern,
Und vom Limonenhang
Scholl süsses Mädchenflüstern
Und rauschender Gesang.
Ich hörte die eigenen Lieder ...
Umdämmert vom Mondenschein
Glänzten die weissen Glieder
Der Götterbilder im Hain.
Und als nach kecker Landung
Ich heimlich dann erschien:
In griechischer Gewandung
Wie einst die Lesbierin,
Die Priesterin der Musen,
Sangst du: „Die Nacht bricht ein,
Vor Sehnsucht wogt mein Busen.
Doch weh! ich bin allein!“
[200]
Die Laute war dir entfallen,
Als du mich gesehen kaum ...
Es schlugen die Nachtigallen,
Sie schlugen wie im Traum.

3.
1870

Wo blühender Gärten Teppich
Umsäumte des Rasens Sammt,
Da üben jetzt Schlingkraut und Eppich
Ihr Todtengräberamt.
Ihr Marmorleiber, ihr schlanken,
Nun liegt ihr im Gras und Gesträuch;
Es klammern die Brombeerranken
Die blühenden Arme um euch!
Hier Trümmer von Götterbildern,
Dort sinkendes Gebälk,
Die Lorbeergruppen verwildern,
Die Rosenhaine sind welk.
Der Satyr, der einst mit Grinsen
Die sträubende Nymphe liebkost,
Hier liegt er, umwuchert von Binsen,
Verstümmelt und übermoost.
Aus Muschelkiefern gähnen
Die Grotten ... versiegt im Gestein,
Versandet sind die Fontänen,
Die Tritonen nickten ein.
Nur eine Quelle mit Zaudern
Rieselt noch durchs Gebüsch ...
Die Wellen plätschern und plaudern,
Sie plaudern so träumerisch.
Die eine erzählt der andern
Von einem entschwundenen Glück ...
Die Wellen wandern und wandern
Und keine kehrt zurück.

Entsagung
1857

[201]
Fast ward mit jedem Tag, den ich erlebte,
Ein Wunsch, ein Hoffen von mir abgetrennt;
Die Seele, die melodisch einst erbebte,
Ward ein verstimmt, entsaitet Instrument.
Doch wie der Gram, mein täglicher Begleiter,
Mir auch die Stirn gefurcht mit seinem Pflug,
Ich schau' zurück, ein Mann, und lächle heiter;
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Zwar ist es nicht das Land der Hottentotten,
Wo einst die Wiege meiner Jugend stand,
Doch theilnahmloser fast, als jene Rotten,
Empfing mich mein gefeiert Vaterland.
Und dennoch hemm' ich nicht das heisse Lodern
Der Brust, die immer für die Heimath schlug,
Gieb ihr, doch lerne, nichts von ihr zu fodern!
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
O Ruhm, wie lange hab' ich ohn Ermatten
All meine Sinne nur auf dich gewandt;
Das volle Leben tauscht' ich an den Schatten,
Den ich als wesenlos zu spät erkannt.
Wen ein Mal nur allmächtgen Flügelschlages
Die Weihe des Gesangs nach oben trug,
Der kann verschmähn die Kränze eines Tages;
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Die Liebe, die mich frühe angezogen,
Mit allem Zauber, diese Schmeichlerin,
Sie hat mich um mein bestes Selbst betrogen
Und meine schönste Jugend nahm sie hin.
Doch Kenntniss auch vom innersten Gemüthe
Verheh mir dieser liebliche Betrug;
Mir blieb die Frucht; fahr hin, du welke Blüthe!
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
Wo ist das Glück? mir ward es nie beschieden,
Und nie hab' ich gebuhlt um seinen Kuss,
Und nie gekannt die Weisheit, die zufrieden
Mit träger Ruh und flüchtigem Genuss.
Sie klebt am Stoff, mir aber wurden Schwingen;
Ihr ward die Lust am Dasein, mir ein Zug
Des Geistes, der einst Odem gab den Dingen —
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!
[202]
Sei mir aufs Neu, o Einsamkeit, willkommen!
Du zogst mich gross; durch dich ward ich gesund.
Der Trieb zum Höchsten blieb mir unbenommen,
In deinen Armen wuchern soll mein Pfund.
Weit werf' ich weg das klagende Erinnern
An eine Welt, die mir nur Wunden schlug:
Trag' ich nicht selber eine Welt im Innern?
Verlangend Herz, sei du dir selbst genug!

Spruch

Was Optimist und Pessimist?
Ich kann weder den noch jenen fassen,
Da die Welt zu alltäglich zum Lieben ist,
Und allzuklein zum Hassen.

Auf Gegenseitigkeit
1872

Wir leben in einer praktischen Zeit
Und Alles treibt sich gewerblich,
Vermittelst Gegenseitigkeit
Wird jeder Lump unsterblich.
Drum, wenn du meinem Stern vertraust,
So wollen wir uns vereinen,
Und wenn du meinen Juden haust,
So hau' ich dir den deinen.
Wofern du recht emsig darüber streichst,
So ähnelt dem Golde das Messing;
Und wenn du mich mit Goethe vergleichst,
Vergleich' ich dich mit Lessing.

Trinklied
1871

Greift zum Becher und lasst das Schelten!
Die Welt ist blind ...
Sie fragt, was die Menschen gelten,
Nicht, was sie sind.
Uns aber lasst zechen ... und krönen
Mit Laubgewind
Die Stirnen, die noch dem Schönen
Ergeben sind!
[203]
Und bei den Posaunenstössen,
Die eitel Wind,
Lasst uns lachen über Grössen,
Die keine sind!

Ghasel

Wenn Meister auch der Kunst zu sein, vielleicht nicht meine Sendung ist,
Der Kunst, wo Maass ein jeder Ton und Anmuth jede Wendung ist,
Wo, wie ein Purpurmantel stets sich eine stolze, edle Form
Um Hohes oder Schönes schmiegt, und Harmonie die Endung ist:
Doch lieb' ich sie. — O wüssten die, die mich ob dieser Neigung oft
Getadelt, wie ihr Tadel falsch, ihr Urtheil voll Verblendung ist!
O, wüssten sie, wie der Genuss, der Seele Wohllaut hinzustreun
Im Liede eine göttliche, erhabene Verschwendung ist!
Doch weitab liegt das Ziel des Ruhms: — schon muss auf hoher Stufe stehn
Der Dichter, um erst einzusehn, wie fern er der Vollendung ist.

Die Muse

Ström, ambrosische Nacht, ströme dein Silberlicht
Weich und träumerisch aus über das ewge Meer!
Wieg in seligen Frieden
Dieses müdegehetzte Herz!
Spinnst du wieder, wie einst, lieblicher Gott des Traums,
Goldne Fäden um mich? rührt die Erinnerung
Sanft die Saiten der Seele,
Oder kommst du, Erhabne, selbst?

Der Tod
1872

Während Böse den Tod fürchten und Frohe scheun,
Rufen Arme ihn an, Tapfere trotzen ihm;
Doch Geprüfte und Weise
Sehn ihn nahen wie einen Freund.
Denn den Frieden der Brust, welchen die Welt entweiht
Und die Sorge geraubt, bringt uns der Tod zurück,
Und der kettenbeschwerten
Seele löst er den Sklavenring.

Lieder

[204]

1 Einsamkeit

Stern und Sternbild funkeln,
Schwarze Wolken ziehn,
Tief vereinsamt dunkeln
Mir die Stunden hin.
Fernher schallt ein frohes
Fremdes Glücklichsein;
Mich beseelt ein hohes
Schwesterpaar allein.
Weisheit, du, voll Goldes
In dem ernsten Blick,
Und du, himmlisch holdes
Feenkind, Musik!

2

[205]
Aus Tagen, die verschollen sind,
Winkt's mir mit Geisterhand,
Wie grüssend regen sich im Wind
Verwelkte Blumen an der Wand
Und längst vergilbtes Band.
Wo sie das Lied gesungen hat,
Das mir so reizend schien,
Da rührt sich's noch im Notenblatt,
Und heimlich durch die Saiten ziehn
Zerrissene Melodien.

3 Mädchenlied

Immer leiser wird mein Schlummer,
Nur wie Schleier liegt mein Kummer
Zitternd über mir.
Oft im Traume hör' ich dich
Rufen drauss vor meiner Thür,
Niemand wacht und öffnet dir.
Ich erwach' und weine bitterlich.
Ja, ich werde sterben müssen,
Eine andre wirst du küssen,
Wenn ich bleich und kalt.
Eh die Maienlüfte wehen,
Eh die Drossel singt im Wald;
Willst du mich noch einmal sehen,
Komm, o komme bald!

4.

Weil du mir zu früh entschwunden,
Blieb ein unerfülltes Glück
Ungenossner schöner Stunden
Ruhelos in mir zurück.
Ungeküsste Küsse leben
In getrennten Herzen fort,
Und die Lippe fühlt noch beben
Das zu früh verstummte Wort.

Kürzeste Nacht

[206]
Noch sprüht des längsten Tages warme Quelle
Lebendig fort, es wagen sich verstohlen
Die Träume nur, und nur mit scheuen Sohlen
Die Stern auf dieser Nacht saphirne Schwelle.
Kaum sank der Abend in die Dämmerwelle,
Da sucht ihn schon der Morgen einzuholen,
Kaum öffnen ihren Kelch die Nachtviolen,
Da hebt die Sonnenblume sich zur Helle.
In Furcht, dass sich schon hell die Berge schmücken,
Singt schöner jetzt aus thaugenetzter Kehle
Die Nachtigall ihr klagendes Entzücken;
In Furcht, dass bald das süsse Dunkel fehle,
Eilt Liebe, heisser Brust an Brust zu drücken,
Und tauscht im Kusse lechzend Seel um Seele.

Mondaufgang

Ferne blasse Blitze sprühen
Leuchtend durch die schwüle Luft,
Und der Blumen erstes Blühen
Haucht im allerstärksten Duft;
Nachtigallen in trunkener Lust,
Fluthen im Springquell heben die Brust,
Östlich am Äther entdämmert ein Glühen.
Dunkler wird's im Schattenreiche,
Hoher Bäume Wipfelgold,
Bergesklüfte, tiefe Teiche
Zittern lichter. Blond und hold
Neigt sich herüber das Mondgesicht,
Lieblich, ein schlafendes Sonnenlicht,
Glänzend in ruhiger Bleiche.
Und wie einst in Delphis Hainen,
Wie an Isis Tempelthor,
Tönend noch in Baum und Steinen,
Flüsternd noch in Laub und Rohr,
Ringt die Natur nach lebendigem Wort,
Möchte mit uns auch wieder wie dort
Leben und reden und jauchzen und weinen.
[207]
Ach, verstummt ist ihre Lippe,
Fern am tauben Himmel ziehn
Die entseelten Thiergerippe
Leerer Sternenbilder hin.
Welch ein Geheimniss umschleiert den Pol?
Was uns zu klagen verworren und hohl,
Murmelt der Sturm und die Fluth an der Klippe?
Nicht mehr weckt aus Felsenschranken
Nymphenchor und Elfentanz
Über Fluth und Epheuranken,
Bleiches Licht, dein Mythenglanz;
Wandle dahin in erloschener Pracht,
Klagende Seele der einsamen Nacht,
Deine Geschlechter versanken!

Der Schwarze Tod

Erzittre Welt, ich bin die Pest,
Ich komm' in alle Lande
Und richte mir ein grosses Fest,
Mein Blick ist Fieber, feuerfest
Und schwarz ist mein Gewande.
Ich komme von Ägyptenland
In rothen Nebelschleiern,
Am Nilusstrand im gelben Sand
Entsog ich Gift dem Wüstenbrand
Und Gift aus Dracheneiern.
Thal ein ud aus, bergauf und ab,
Ich mäh' zur öden Haide
Die Welt mit meinem Wanderstab,
Ich setz' vor jedes haus ein Grab
Und eine Trauerweide.
Ich bin der grosse Völkertod,
Ich bin das grosse Sterben,
Es geht vor mir die Wassernoth,
Ich bringe mit das theure Brod,
Den Krieg thu' ich beerben.
Es hilft euch nichts, wie weit ihr floht,
Ich bin ein schneller Schreiter,
Ich bin der schnelle schwarze Tod,
Ich überhol' das schnellste Boot,
Und auch den schnellsten Reiter.
[208]
Dem Kaufmann trägt man mich ins Haus
Zugleich mit seiner Waare;
Er freut sich hoch, er lacht beim Schmaus,
Ich steig' aus seinem Schatz heraus
Und streck' ihn auf die Bahre.
Mir ist auf hohem Felsvorsprung
Kein Schloss zu hoch, ich komme;
Mir ist kein junges Blut zu jung,
Kein Leib ist mir gesund genug,
Mir ist kein Herz zu fromme.
Wem ich schau ins Aug hinein,
Der mag kein Licht mehr sehen;
Wem ich gesegnet Brod und Wein,
Dem hungert nur nach Staub allein,
Den durstet's, heimzugehen.
Im Osten starb der grosse Chan,
Auf Indiens Zimmet-Inseln
Starb Negerfürst und Muselmann,
Man hört auch Nachts in Ispahan
Baim Aas die Hunde winseln.
Byzanz war eine schöne Stadt
Und blühend lag Venedig,
Nun liegt das Volk wie welkes Blatt,
Und wer das Laub zu sammeln hat,
Wird auch der Mühe ledig.
An Nordlands letztem Felsenriff
In einen kleinen Hafen
Warf ich ein ausgestorbnes Schiff,
Und alles was mein hauch ergriff,
Das musste schlafen, schlafen.
Sie liegen in der Stadt umher,
Ob Tag und Monde schwinden;
Es zählt kein Mensch die Stunden mehr,
Nach Jahren wird man öd und leer
Die Stadt der Todten finden.

Römischer Triumpfgesang

[209]
Io Triumphe!
Heil dir Cäsar:
Imperator,
Triumphator!
Zwölf schneeweisse
Rosse Neptuns
Führen dich hoch
Unter dem Schatten
Deiner Trophäe!
Einst, wie deinen Siegeswagen
Heut begrüsst das Capitol,
Grüsst der fernsten Sonne Tagen
Deinen Ruhm von Pol zu Pol.
O Triumph! o Triumph! Wir geleiten im Chor,
In bacchantischen, dich zu dem Tempel empor,
Wo das Opfer dich sühnt, wo du Sklaven und Zelt
Mit barbarischem Schmuck, wo die Beute der Welt
An die Söhne des Volkes du austheilst!
Wir werfen den Kranz und wir jauchzen dir zu,
Wir umjauchzen dich laut, der die Könige du,
Die gefangenen, bringst; sie folgen dir schon
An den Wagen geschirrt, Diademe zum Hohn
Um den Stolz der geknechteten Häupter.
Sie schreiten einher nach zertrümmerter Macht,
Noch vom blutigen Staub der verlorenen Schlacht
Die Gewänder bespritzt, die Sandalen bestäubt,
Und die Locken zerrauft, und von Schmerzen betäubt,
Wie Schatten zum stygischen Eingang.
Heil Cäsar und Herr! Wenn das Volk du erhörst,
O so gieb in den Kampf, gieb die Parther zuerst
In den Kampf mit den Leun, denn es dürstet nach Blut
Die Arena schon lang in des Mittags Gluth,
Und der Löwe gedenkt, von Erinnrung erfüllt,
Manch lybischer Jagd, er erhebt sich und brüllt
Sein blutdurstlechzendes Heimweh.
Io Triumphe!
Heil Legionen!
Über den Erdkreis
Zogt ihr im Siegsschritt,
[210]
Lorbeern euch und Bürgerkronen!
Ihr bringt uns die Spolien
Wilder Britanner
Und von Ätolien
Fliegende Banner;
Unter eurer Adler Flügeln
Kommen auf den sieben Hügeln
Strömen gleich im Ocean
Aller Länder Götter an!

Spartacus

Versammelt hielt sein Sklavenheer
Der Thracier Spartacus am Meer,
Und auf zum rauchenden Vesuv
Erklang der wilde Freiheitsruf:
Von nun an Männer, nicht mehr Sklaven
Erheben wir das Schwert und strafen
Der Unterdrücker Übermuth.
Du Berg dort, blitz in unsre Rache!
Der Menschheit ganzes Herz erwache
In uns um ihr verlornes Gut.
Germanen, Skythen, Perser, Parther,
Ilyrier, Gallier, Dacier, Sparter,
Jetzt treffet, dass die Wunde klafft!
Wir waren lang genug die Schlächter
Für dieses Volkes Blutgelächter,
Genug die Mörder unsrer Kraft.
Ein Tiger lauert in der Schlucht,
Auf, Nubier, jagt ihn in die Flucht!
Ein Wolf ist's, Cimbern, der euch droht,
Schwingt eure Keulen, schlagt ihn todt!
Beweist die Kraft in euren Sehnen,
Die ihr so oft in den Arenen
Beim lauten Beifallruf erprobt!
Doch diesmal, wenn der Sand zerstoben,
Soll euch der todte Römer loben,
Wie lebend er euch nie gelobt.
Erhebt die Schwerter, schwingt die Sensen!
Gebt ihnen Feste, gebt Circensen,
Gebt einen Gladiatorenkampf!
Kämpft! Kämpft, bis über Leichenwogen
Das Ross der Ritter Purpurtogen
In Staub zum Rost der Kette stampf!
[211]
Zerfallen muss dies Pantheon,
Dies Rom, wie ein Koloss von Thon;
Sein Ruhm werd' aus der Welt gewischt,
Wie Nachts ein Meteor erlischt.
Herab von ihren Marmortreppen
Wird man der Wölfin Beute schleppen,
Hinab in alle freie Welt;
Bald tönt das Echo freier Lieder
Durch Thraciens Gebirge wieder
Zum nordumstürmten Hirtenzelt;
Erblühn wird wieder Saat den Fluren,
Wo sonst die Siegeswagen fuhren,
Für die der Erdkreis schien zu schmal.
Zum Kampf denn, Römer! Lasst uns streiten!
Es grüssen euch die Todgeweihten,
Und so wie heut zum letztenmal!

Der Gedanke der Zeit

Welchen Gedanken die Zeit
Einmal erkoren,
Der ist gefeit und beschworen,
Und wird ewig wiedergeboren,
Trotz allem Widerstreit.
Seine Feinde mühen sich ab!
Mit Schlingen und Banden,
Sie machten ihn gerne zu Schanden;
Und wenn er schon längst erstanden,
Hüten sie noch sein Grab!

Der Friede

Festtäglich scholl von den Thürmen das Erz,
Der Donner von den Wällen;
Wer's hörte, fühlte von Freud und Schmerz
Den Blick in Thränen quellen.
Tedeum bei der Orgeln Klang
Rief am Altar die eine,
Nun danket Alle Gott, lobsang
Die neue Kirchengemeine.
[211]
Nach dreissigjährigem Krieg war ja
Der Friede, der Friede geschlossen!
Zu Münster aber, wie rollten da
Die goldenen Staatskarossen!
Zu Münster, in der uralten Stadt,
Da ward der Friede beschworen,
Der Deutschlands Grösse gekostet hat.
Das Volk stund vor den Thoren.
Das Volk stund vor dem goldenen Saal,
Und sah die Gesandten von Schweden,
Sie sassen und tranken beim üppigen Mahl
Und hielten französische Reden.
Sie schnitten in Stücke den Apfel des Reichs,
Sie nahmen sich prächtige Bissen
Und speisten vergnüglich die Hechte des Teichs -
Vom Volke wollt' Niemand was wissen.
Das Volk der dreissigjährigen Noth
Sah durch die Fensterscheiben
Als Friedensquittung und Drangebot
Den Grossen sich verschreiben.
Da schlug es wild die Thore zu,
Und ward sodann vergessen,
Und alsbald ward die Todtentruh
Dem Riesen angemessen.
Das Volk, von Krieg und Jammer müd,
Sang nimmer zur Krönung in Aachen
Das alte, gewaltige Heldenlied,
Man sprach jetzt andre Sprachen.
Vorüber schlich sich Tag um Tag,
Provinzen gingen verloren,
Im Sterbebett der Kaiser lag,
Das Volk stund vor den Thoren.

Erwartung des Weltgerichtes

Wo bleiben nur die Schnitter, wer keltert all den Wein?
Die Ähren auf den Feldern verglühn im Sonnenschein,
Die Trauben in den Gärten, die Birnen in dem Laub,
Man pflückt sie nicht, sie fallen von selber in den Staub.
[212]
Wo sind die Menschen alle? Durch Thal und Wälder irrt
Das Hausthier mit dem Wilde, die Heerde führt kein Hirt,
Der Aar umkreist die Dörfer, an Flucht denkt nicht das Reh,
Das Netz verfault im Weiher, der Nachen fault im See.
Doch überall in Städten, da wogt der Menschenstrom,
Man drängt durch Markt und Gassen zum Friedhof und zum Dom
Mit wundgerungnen Händen, mit Blicken angsterfüllt;
Die Falten aller Herzen sind offen und enthüllt.
Da bringt der Geiz voll Reue des Wuchers Sündensold:
„Ich nahm der Armuth Pfennig, ich wog und zählte Gold.
O hätt' ich doch geborget der Ewigkeit dafür,
Anstatt dass ich den Bettler verstiess von meiner Thür.“
Ihr langes Goldhaar opfert die bleiche Buhlerin:
„Mein Haar in langen Flechten, ich hab' es nicht Gewinn,
Mein Hals war bloss, und prächtig mein Schmuck und mein Geschmeid,
Erhör mein Flehn, o Himmel, gieb mir ein weisses Kleid!“
Zu Boden werfen Räuber die Messer, roth von Blut,
Und geben selbst den Gräbern das einst geraubte Gut.
„Wir trieben Spott mit Heiligem, und mit den Qualen Spott,
Wir hatten Lust am Bösen, jetzt fliehen wir zu Gott.“ —
Verzweifelt stürzen Viele von Thürmen sich herab
Und finden so wahnsinnig aus Seelenpein ihr Grab,
Und wieder Andre stürzen in ihres Herzens Noth
Zum Altar und entreissen von dort das heilge Brod.
Allstündlich rufen Glocken und ruft der Bussgesang:
„Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!
Es sagen alle Bücher und unsre Sünden klar:
Es nahn die letzten Tage, der Erde letztes Jahr.
Die Gluth wird sie zerstören, der Sturm wird sie verwehn,
Ihr Schiffer auf den Meeren, die Zeichen sind geschehn.
Gewaltthat nur noch waltet und übermüthig Erz,
Das Volk ist ohne Richter, und ohne Furcht das Herz.
Saht ihr es, wie der Blitzstrahl die Wolkennacht zerriss?
Der Antichrist ist nahe, sein Reich, die Finsterniss.
Er blendet Aller Augen, er rühret Aller Mund;
Die Hölle wird ihn krönen, und dienen seinem Bund.“
[214]
Und stündlich rufen Glocken und ruft der Bussgesang:
„Bereite dich zum Ende, o Welt, zum Untergang!“ —
Der Kaiser und die Fürsten umknien den Altarschrein,
Den Purpur von den Schultern, die Kronen auf dem Stein. —
Durch Nacht und Dunkel reitet gen Ost von Niedergang,
Das Kreuz auf seinem Panzer, ein Ritter ohne Bang.
Er denkt: die Welt wird stehen, bis wir das Grab befreit;
Es leuchtet schon im Osten, bald weicht die Dunkelheit.
Vom hohen Berge blicket ein Weiser himmelan,
Er sinnet vor sich nieder und misst der Sterne Bahn.
„Die ewigen Gesetze, Allmächtiger, leuchten klar
Aus deinem Buch am Himmel, erneuernd Jahr um Jahr.
Und wie sie dort erstrahlen, so leuchten wieder hier
Der Frühling und die Menschen, Erbarmender, vor dir,
Und wieder blühn wird Hoffnung dem menschlichen Geschlecht,
Und grünen wird die Saatflur, und walten im Land das Recht.“ —
Auf Blumen eingeschlafen in eines Thales Hain,
Ruhn engelgleich zwei Kinder, in Gottes Schutz allein,
Auf ihrer Unschuld Wangen blüht zart das Himmelslicht —
Vorüber rollt der Donner, vorüber das Weltgericht.

Mein Lied

[215]
Ich klage nicht, dass mir kein Ruhm erblüht,
Die Welt belohnt nur, was von Weltlust glüht.
Ich singe nicht als Wachtel im Getreid,
Ich singe, wie der Hirsch nach Wasser schreit.
Wer mich vernimmt, dem ist das Auge nass,
Er holt tief Athem, vor Erregung blass.
Die Welt vernimmt mich nicht — ihr Ohr ist stumpf
Dem wilden Schrei — schon Quell ist ihr der Sumpf.
Wär's anders — ich verstummte! Denn mein Lied
Ist nur der Geist, vor dem die Welt entflieht,
Der, wenn sie schläft im Dunkeln, still erwacht —
Der Mutterschooss des Sternes ist die Nacht.

Mensch und Schicksal

Das Schicksal ist ein Wirbelwind,
Ein armes Blatt das Menschenkind.
Er treibt's zu Thal, er hebt's zum Hügel —
Das Blättchen rühmt sich seiner Flügel.

Bewusstsein

[216]
Nur aus der Ferne darf ich dein gedenken
Und muss die Gluthen still in mich versenken.
Das Leben riss die Kluft auf, uns zu trennen,
Ob wir gleich seelentief vereint uns nennen.
Kein Hoffnungsstrahl darf meinem Herzen leuchten,
Und selbst die Thräne kaum mein Auge feuchten.
Doch mag der wilde Schmerz im Busen brennen,
Mich trägt mit Macht ein himmlischfroh Erkennen:
Dass kein Geschick, kein Trennungsweh zerrissen
Die Seligkeit, von deinem Sein zu wissen,
Dass keine Qual vermochte zu gefährden
Mein tiefes Glück, — dass du nur lebst auf Erden.

Und droht auch Nacht der Schmerzen ganz

Und droht auch Nacht der Schmerzen ganz
Mein Leben zu umfassen —
Ein unvernünftger Sonnenglanz
Will nicht mein Herz verlassen.

Zu Spät

Was soll dem Hoffnungslosen
Der Zauber im Gemüth?
Ach! meines Lebens Rosen
Sind alle schon verblüht.
Mir wend nicht zu dein bleiches,
Dein holdes Angesicht,
Das Glück ist ein zu reiches,
Von dem dein Anblick spricht.
Mir war's, als süsse Treue
Dein feuchtes Aug verhiess,
Ich säh' des Gottes Reue,
Der mich ins Elend stiess.

Weltlauf

Wohin das Auge dringt,
Ist Schuld und Leiden,
Und was der Zeitlauf bringt,
Ist Fliehn und Scheiden.
[217]
Dazwischen hat der Traum
Von Glück und Liebe
Nur noch so viel an Raum,
Dass er zerstiebe.

Fromme Bücher

Aus Gottes Herzen ist die Welt entsprungen,
Als seiner Liebe, seiner Huld Erscheinung!
So spricht die Katze, wenn ihr Fang gelungen —
Die Maus doch ist nicht ganz der gleichen Meinung.
Zwar täglich kommt ein frommes Buch heraus,
Doch nirgends fand ich widerlegt die Maus.

Nachtwache

Das Buch, wo Hass und Lieben
Ihr Tiefstes eingeschrieben —
Nicht schuf der Menschenwille
Dies Buch voll Graun und Pracht, —
Die Hölle wob's, das Eden
Aus fremden Zauberfäden:
Es ist die dunkle, stille,
Die schlafberaubte Nacht.
Sie lässt den Wachen lesen
Als That, was nie gewesen,
Ob's auch als ahnend Rauschen
Der Seele schon sich bot.
Die Glocken sind verklungen,
Die Gräber aufgesprungen;
Es ist ein selig Tauschen
Des Lebens mit dem Tod.
Verschollen und verloren,
Gestorben — nie geboren
Ist, was im Lebensglanze
Verlässt sein Schattenreich.
Was niemals eingetroffen
Von Sehnsucht, Wahn und Hoffen,
Erscheint zu buntem Tanze
Wie Irrwisch auf dem Teich.
[218]
Durch Worte, nie gesprochen,
Die nur als Pulse pochen;
Durch ihre Zauberbrille,
Durch wachen Traumes Macht —
Vom Leben uns, vom bösen,
Schon lebend zu erlösen,
Versucht die dunkle, stille,
Die schlafberaubte Nacht.

Sphärengesang

So lang die Sterne kreisen
Am Himmelszelt,
Vernimmt manch Ohr den leisen
Gesang der Welt:
„Dem selgen Nichts entstiegen,
Der ewgen Ruh,
Um ruhelos zu fliegen —
Wozu? Wozu?“

Einsamkeit

Einsamkeit! In deiner Blüthe
Duftet nicht der Erde Glück,
Nimmer giebst du dem Gemüthe,
Was verloren ist, zurück.
Aber unbekannte Schauer
Lockst du aus verborgner Trauer
Durch des Geistes Macht hervor,
Und sie ziehn nach fremden Sternen,
Nach dem Licht der erdenfernen
Ewigkeit das Herz empor.
Einsam spricht des Herzens Pochen,
Was die Lippe nie gesprochen.

Weltschweigen

Unhörbar wandeln Tag und Nacht,
Unhörbar wächst die Pflanze;
Wenn einzeln wo ein Laut erwacht —
Geheimniss ist das Ganze!
[219]
Wie sinnlos schallt dem Ohr vorbei,
Dem aufmerksamsten Lauschen,
Des Vogels Lied, des Schakals Schrei,
Des Meers, des Waldes Rauschen!
Und selbst dem tiefsten Menschenwort
Will nicht der Geist entsteigen,
Der brütend deckt der Schöpfung Hort
Mit ewig finsterm Schweigen.
Kaum dass der Liebe seiger Schmerz
Es beicht' mit goldnen Glocken —
Das Schicksal hebt die Faust — das Herz
Verstummt, zu Tod erschrocken.

Denkers Tod

Des Abends graue Schatten schwanken
Um jene schneebedeckte Firn,
Wie schauerliche Grabgedanken
Um eines greisen Zweiflers Stirn.
Bang athmet auf mit düstrem Rauschen
Der tief vom Sturm zerwühlte See,
Die stolzen Eichen nickend lauschen,
Wenn wild er spricht von seinem Weh.
Und Nacht wird's, ferne Donner grollen,
Die rothe Fahne schwenkt der Blitz;
Der Elemente Geister wollen
Sich streiten um den Königssitz.
Ich wandle furchtlos durch das Grauen,
Ob Schrecken gegen Schrecken ficht,
Denn freudgen Herzens darf ich schauen
Dem Tod ins Friedensangesicht.
Vom Glück der Erde losgeschnitten
Schon siegreich meine Seele drang
Zum Himmel, den mein Geist erstritten,
Eh noch mein Sterben ihn errang.

Im Eisenhammer

[220]
Ein Knabe war ich, wild und froh,
Entflohn der dunklen Kammer,
Da ging's im sausenden Halloh
Hinab zum Eisenhammer.
Die Sterne leuchteten zu schön
Noch über Alpenjochen,
Das Thal erfüllte mit Gedröhn
Der Hämmer dumpfes Pochen.
Da stand ich in der Öfen Schein,
Blaugelbe Höllen flammten;
Die Bälge schnaubten, stöhnten drein,
Wie Ächzen der Verdammten.
Gigantisch an der Bretterwand
Der Hütte war, o Grauen,
Im hellen Schein, der kam und schwand,
Ein Schattenbild zu schauen!
Ist's auf dem Thron der Unterwelt
Fürst Pluto, ist's der Böse?
Hu, wie das zischt und pfeift und gellt,
Auf dass ein Fluch sich löse!
O komm, des Wassers Segensmacht,
Wie himmlisches Verzeihen,
[221]
Aus dieser Hölle Feuerschacht
Die Geister zu befreien!
Da that sich auf des Ofens Schlund,
Als gält's ein neues Werde,
So schlitterte im tiefen Grund
Das Herz der alten Erde.
Als kam' ein Auferstehungstag
Dem Grossen, Guten, Schönen,
So hub nun mit gewaltgem Schlag
Der Hammer an zu dröhnen.
Und ihr, wie Hünen anzuschaun
Beim Funkentanz, dem hellen,
Im Lederschurz, halbnackt und braun,
Was schmiedet ihr, Gesellen?
Sind's Racheschwerter, blutigroth,
Endlose Sklavenketten,
Ein blankes Beil, von aller Noth
Die Menschheit zu erretten?
Ein Scepter, eine Krone gar,
Den Geist der Zeit zu schmücken,
Dass er sich auf sein goldnes Haar
Die eiserne sollt' drücken?
Hei, wie das flammt und wie das raucht!
Bei jedem Hammerschlage
Mir aus bewegtem Busen taucht
Auf eine dunkle Frage!
Doch schweigend wie des Schicksals Macht
Habt ihr in Müh und Sorgen
Getreulich euer Werk vollbracht,
Und draussen glüht der Morgen!
Aus Kinderaugen grüsst euch hell
Die goldne Feierstunde,
Nun geht, gefüllt am Silberquell,
Das Krüglein in die Runde.
Wohl bist du heisser Arbeit Lohn,
Glückseliges Genügen!
Dir müssen sich, die uns bedrohn,
Die Höllenmächte fügen!
lch trat hinaus, ein liebend Aug
Schien aus dem Morgensterne
Zu grüssen mich, — in goldnem Hauch
Zerrann die blaue Ferne.

Saumrossleute in alter Zeit
„Der Handel mit Veltliner Wein war bis zum Jahre 1848 sehr im Schwunge. Händler mit zahlreichen Saumrossen gingen im Winter über das Schlapinajoch und betraten in Gaschuren das österreichische Gebiet.“

[222]
Zum Gaschuren im Montafun,
Sieht man im Wirthshaus hinter dem Schoppen
Farbige Mieder und haarige Joppen;
Sonntag gilt's ein Übriges thun.
Aber der Frohsinn stellt sich nicht ein,
Ernste Gesichter, glimmende Lichter,
Mattes Gespräch und saurer Wein!
Von den holzgetäfelten Wänden
Blicken Heiligenbilder und senden
Schläfrige Schmerzensblicke drein.
Spricht der Wirth, derweil er zum Fass geht:
„Gnade heut dem, der über den Pass geht!
[223]
Auf den Firnen wüthet der Föhn,
Thut, als woll' er Thäler und Hütten,
Selbst die Kirchthurmspitzen verschütten;
Horcht nur: das Lawinengedröhn!“
Und es reckt sich Jeder, der weit hat,
Wenn er zumal kein liebes Geleit hat,
Sieht auf die Uhr, um weiter zu gehn.
Da ertönt ein Schellengeläute,
Da erschallt ein Pferdegetrapp.
Erst weiss Keiner, was es bedeute —
Knapp vor dem Hause hält ein Rapp.
Klopft mit den Nüstern an so fein,
Thut, als woir er ins Haus hinein.
Und die Rosi öffnet den Schalter:
„Irr' ich nicht, so kenn' ich dich, Alter,
Sage, kommen noch Andere nach?“
Rösslein versteht wohl, was sie sprach,
Nickt mit dem Kopf und schüttelt die hellen
Um den Halfter hängenden Schellen:
„Ja, es kommen Andere nach!“
Wirklich rasch, vergnüglichen Schrittes,
Naht ein zweites Rösslein, ein drittes,
Jedes wandelt des Weges frei,
Trägt auf dem Rücken der Fässlein zwei,
Fletschet die Zähne, schüttelt die Mähne,
Sagt, wie es die Krippe ersehne,
Wie willkommen die Herberge sei.
Und der Wirthin Stimme verkündet:
„Rasch an den Herd! das Feuer entzündet,
Und das Gemslein gebraten am Rost!
Rüstet die Pfannen, spület die Kannen,
Trollt euch von dannen mit eurem Most!
Täuscht nicht Alles, so kommen heut
Aus dem Veltlin die Saumrossleut.“
Ja, sie kommen, die braunen Genossen,
Schöne Gesichter, Augen voll Gluth,
Dreizehn Treiber bei dreissig Rossen,
Schütteln den Schnee von Mantel und Hut.
[224]
Über Poschiavo und Pontresina,
Wo mit Lawinen droht der Bernina,
Aufwärts und abwärts, brusthoch im Schnee,
Quer über den gefrorenen See,
Durch das Fluelathal über Conter,
Übers Schlapinajoch kommen sie her.
Tapfere Pferde und tapfere Leut,
Glücke ihr Wanderzug immer wie heut!
Kaum sind die Rösslein geborgen im Stall,
Sammeln sich in der Stube schon All,
Tafeln beginnt und mächtiges Zechen,
Und der eichnen Tische Rund
Droht von der Last der Schüsseln zu brechen,
Lustig vom Fasse fliegt der Spund.
Bald zur Guitarre ertönet die Zither,
Die geschwiegen das ganze Jahr,
Jede Dirne kriegt ihren Ritter,
Und so reihet Paar sich an Paar.
Da durch die Reihen der Tanzenden naht
Strengen Blickes der bleiche Curat.
„Was, zur Adventzeit wagt ihr zu tanzen?
Unbekümmert ums nahende Fest?
Füllet, statt Fasten zu halten, den Ranzen,
Gebt eurer sündigen Seele den Rest?
Doch nicht umsonst bin ich Wächter der Zinnen,
Und als solcher gebiete ich Ruh.
Wo zwei Paare zu tanzen beginnen.
Streicht der Versucher die Geige dazu ...“
Also ertönet das Wort des Zeloten,
Doch schon entbietet ihm Rosi vom Rothen,
Welcher noch Keinem vergeblich geboten;
Und vor des Glases erfreulichem Schein
Schwindet der Groll seiner borstigen Brauen,
Nur um nicht länger den Gräuel zu schauen,
Schwankt er ins Hinterstüblein ein,
Wo er voll Trauer und ergrimmt
Platz im bequemsten Lehnstuhl nimmt.
Singen die Welschen: „Vieni, o bella,
Komm her und schlürfe den rothen Sassella!“
[225]
Rufen die Bursche: „Tapfere Leut,
Glück' Euch der Wanderzug immer wie heut!“
Und immer weiter im wogenden Kranz
Dreht sich der Reigen, dreht sich der Tanz.
Also vergehen die wonnigen Stunden —
Wenn es tagt, ist Alles verschwunden.
Während im Frühroth erglühten die Zinnen,
Zogen die Männer und Rosse von hinnen.
Am offenen Fenster, zerrissen die Saiten,
Hängt die Guitarre und seufzt noch zu Zeiten.
Krüge schwenkend die Dirne denkt
Aller der Küsse, die sie verschenkt.
In der Ecke noch Abends spat
Hinter dem Kruge schnarcht der Curat.

Ruhe
1855

[226]
Weit schon schlenderten wir! Unmerklich zog sich die Stadt uns
Hinter die Eichen zurück, als wollte allein sie uns lassen.
Hier an dem buschigen Rande des Abhangs werf ich mich nieder,
Auch diese herbstliche Sonne noch macht willkommen die Kühlung;
Wirf dich neben mich, Freund, und lass uns der Stille geniessen!
So auf dem Rücken gestreckt, die Arme zu Häupten verschlungen,
Tief in die ewige Bläue des Alls die Blicke versenkend,
Träum' ich ein Schwimmer zu sein, auf wallende Fluthen gebettet,
Wie ihn der strömende Zug in wiegendem Wanken dahin trägt.
Glücklich, wem die Götter die feiernde Stunde gesendet,
Welche den tobenden Geist einlullt in wachenden Schlummer
Und auf den heissen Vulkan ausgiesst das sanfte Vergessen!
Siehe! Ein kleinerer Wald, als der uns von oben beschattet,
Steigen die Gräser empor über uns, und es nicken der Blüthen
Bunte Gesichter herab, von fächelnden Lüften geschaukelt;
Lautlos segelt der Falter mit glanzbefiederter Schwinge
Droben im sonnigen Raum, und unten im Dunkel der Kräuter
Schwirrt die Harfe der Triften, die nimmer müde Cikade.
[227]
Hörst du die rieselnde Quelle? Dort unter dem Moose des Felsblocks
Tropfen krystallene Thränen herab und feuchten den Boden,
Der mit neidischem Durste die kaum geborenen einsaugt.
Doch versiegen sie nicht; denn immer erneut sie die Nymphe,
Bis der ermüdete Feind sie entrinnen lässt in die Freiheit.
Hier schon eilt sie vorbei, ein Wässerchen; über die Kiesel
Klingt ihr melodischer Fall; bald plaudert die kindische Welle
Mit sich selber und bald mit der niederhängenden Staude,
Welche, den Weg ihr zu wehren, sich beugt und wieder zurück weicht.
Wo das Erlengesträuch die wallenden Wiesen umsäumet,
Bricht sie, gewundenen Laufs, sich Bahn durch tiefere Ufer;
Dort schon hemmet sie spottenden Muths des Wanderers Schritte,
Lieber das breitere Bett dann führen die Stege hinüber.
Sorglos rauscht sie hinaus in die weiten Gebiete des Menschen,
Der sie mit listiger Kunst empfängt zu ewiger Knechtschaft;
Schäumend siehst du sie drüben aufs Rad der Mühle sich stürzen,
Dienstbar bleibt sie nun, bis ihr Loos im Ocean endet.
Denn entronnen einmal dem Schooss der zeugenden Höhe
Muss sie hinab unaufhaltsam entgegenströmen der Tiefe,
Wie ihr Gebieter, der Mensch, von immer schlagenden Stunden
Rastlos weiter gedrängt, auf sinkenden Pfaden ans Grab eilt.
Doch was red' ich von Tod und von Knechtschaft, wo die Natur lacht!
Hier auf blumigem Pfühl vor der weit aufleuchtenden Landschaft
Ziemet ein leichtes Geschwätz, das gleich der beweglichen Welle
Frohe Gedanken erregt und spielenden Wechsels entgleitet.
Krähen hör' ich den Hahn! — Mir weckt die heisere Stimme
Immer die Bilder der Jugend und glücklicher Zeiten Gedächtniss;
Knabe dünk' ich mir noch. Ich sehe die heimischen Berge,
Fichtenbedeckt, durchs Fenster, darum sich Jelängerjelieber
Rankte, — den Garten, darin die schmalen Rabatten der Buxbaum
Sauber umfasste. Wie war es so hold, wenn die wärmere Sonne
Endlich geschmolzen den Schnee, und aus dem gelockerten Boden
Lenzverkündend hervor die goldbraun grünenden Spitzen
Brachen, darin Hyazinthen und Primeln und schlanke Narzissen
Schlummerten. — Dann auf der Höhe, bedächtig die Pflugschaar ziehend,
Schritten die Ochsengespanne entlang die röthlichen Furchen,
Langsam schwankte herein der Wagen voll wallenden Heues,
Zweige schmückten die Last, des Sommers grüne Standarten,
Thürhoch fiel sie umher, und jauchzend gruben die Kinder
— Zuschaun durfte ich nur, denn ich war ein schwächlicher Knabe —
Tief sich hinein mit wonnigem Graun in das duftende Dunkel.
Aber im Garten erspähte geheim das lüsterne Auge,
[228]
Was zu pflücken der Hand verboten war: niedergebogen
Hingen am stachlichten Strauch die zierlichen Büschel der Beeren,
Gelblich und purpurn, süsse Verführer zu eiligem Diebstahl;
Sicherer schwollen derweil, getauft mit seltsamen Namen,
Hoch im Wipfelgezweige die saftigen Glocken der Birnen,
Bis mitleidig der Wind eine frühgezeitigte knickte.
Und — willkommene Beute! — die Frucht durchs knisternde Laub schlug
Golden rauschte das Korn, es zogen die Schnitter zu Felde,
Und in der Sensen Getön klang fern das Locken der Wachtel,
Wenn der Vater mit mir die Raine Abends entlang ging,
Prüfend der Ernte Ertrag und die Zeichen des morgenden Wetters.
Dann auf der Wange des Apfels erschien die herbstliche Röthe,
Welche das Sammeln gebot, ehe denn die Reife zu weit stieg;
Stangen reichten hinauf, und geschüttelt warfen die Wipfel
Rings auf Beete und Gänge den hart aufklopfenden Hagel;
Aber, zur feineren Art klomm, sackumgürtet, der Gärtner
— Mir ein beneideter Mann des Glücks! — auf schwankender Leiter
Mitten ins Paradies, die verborgenen Wunder zu pflücken.
Zwischen den Körben, darein die würzigen Ladungen rollten,
Harrte die Mutter geschürzt, und wählte mit kundigem Finger
Mir die bewährteste Frucht, mein stilles Gedulden zu lohnen.
Und wenn Alles gethan, auf schaute mit freundlichem Nicken
Sie zu jeglichem Baume und rief ihm dankenden Gruss zu.
Sonst wohl möchte er schmollen und ferneren Segen verweigern;
Lächelnd hört' es der Vater und lüftete leise das Käppchen.
Düsterer gingen die Tage nunmehr und kürzer zu Rüste;
Hof und Garten und Feld — wie lagen sie einsam und schmucklos,
Nicht mehr der Freude Gebiet, nur noch die Stätte der Arbeit,
Welche dem sterbenden Jahre die Kissen des Sarges zurecht legt!
Dennoch wie pochte das kindische Herz von freudigem Schrecken,
Wenn vor dem pfeifenden Winde das Erstlings-Flockengewimmel
Plötzlich, in wirbelndem Tanze sich tummelnd, am Fenster vorbeistob!
Gastlich prasselte jetzt des Kamins hochzüngelnde Flamme,
Riegel verwahrten das Thor, und Läden deckten die Scheiben;
Stiller Beschäftigung hold, den Kreis der Fleissigen sammelnd,
Warf vom eichenen Tische die spitzaufbrennende Kerze
Rings ihr ruhiges Licht in des Zimmers trauliche Schatten.
Zeitungen las mit Bedacht beim Dufte der Pfeife der Vater,
Aber die Mutter beiseit, mit der Magd das Gemüse für morgen
Fein zu putzen beflissen, bestand ein doppelt Geduldwerk:
Märchen las ich ihr vor, eintönigen Klanges und mühsam,
[229]
Wohllaut dünkt' es ihr doch, von ihr ja hatt' ich's erlernet,
Und sie erklärte dazwischen der Bilder tiefe Bedeutung.
Glücklicher eichener Tisch! Du Reich voll Frieden und Freiheit,
Welt der Träume und Wunder! In Trümmer bist du gegangen,
Wie deine selige Zeit! — — Zu frisch stets wallte das Tischtuch
Über die Herrlichkeit hin und all das bunte Vergnügen,
Das bis morgen verschwand, doch bald verschmerzt und vergessen
Über dem tröstenden Dufte der hoch aufdampfenden Schüssel!
Öde war's draussen und still. Aus der Himmel unendlichen Weiten
Schüttete leise die Nacht des Schnees weichschwellende Wogen,
Hohler schlug es vom Thurme, gedämpfter pfiffen die Wächter,
Und mit behaglichem Graun aufhorchte das Ohr in die Ferne,
Wo mit verlornem Gebell ihre Zwiesprach führten die Hunde.
Dann zur traulichen Kammer, von dämmernder Lampe gelichtet,
Trug die Mutter den Knaben; sie drückte ihn sanft in die Kissen,
Theilte sein kurzes Gebet, erwartete still seinen Schlummer
Und, wenn über das Haupt der schweigende Engel sich neigte,
Blickte sie segnend darein und schlich sich leise von hinnen.
Also rollten die Zeiten vorüber, gezählt und gemessen
Nicht nach der Pflichten Gesetz und der Mühsal nüchternem Kreislauf.
Denn aus Jeglichem zieht das Kind mit reicher Erfindung
Sich ein glücklichesLoos und trifft den verborgenen Zauber,
Der das Alltägliche neu und frisch das Gewelkte verwandelt;
Selbst das ernste Geschick und die trauerbringende Stunde —
Ihm begegnen sie nur, gleichwie aus schaurigem Märchen
Wundergestalten, seltsam und fremd; vorüber am Kinde
Schreiten sie stumm und bestellen ans Alter die finstere Botschaft!
Spät erst wird die Erinnerung wach. Eine höhere Sonne
Löst vom Geschehenen dann die Nebel, und klar in der Ferne
Taucht das Vergangene auf, wie wenn beim strahlenden Morgen
Du vom Nachts überstiegnen Gebirg in die Tiefe zurückblickst;
Aber du schauest nur noch eine längst verlassene Heimath,
Ewiges Schweigen umfliesst die fremdgewordnen Gefilde,
Wo die Gewesenen ruhn. Vergebens suchst du das Leben,
Um eine Gräberstadt stehn regungslose Cypressen.
Seufzend wendest du dich. Es führen die stäubenden Strassen
Weit in die Lande hinaus; doch keine führet zum Frieden!
Schön wohl trat sich's hervor aus der Jugend offener Pforte,
Kühn und gerüsteten Sinns, das Herz voll grosser Entwürfe;
Stolz ausspannte der Geist die ungeduldigen Schwingen,
Als er die ragenden Gipfel der Freiheit vor sich erblickte
Und des erschlossenen Weltflugs kranzumflatterte Bahnen.
[230]
Nichts gewährte das Glück, als den Muth der frühen Entsagung,
Welche vom weichenden Ziel heimlenkt zu stillen Asylen
Eh an verzehrender Gluth der ikarische Fittig zum Sturz schmilzt.
Viel doch gaben die Götter, dass unter dem Buchengewölbe
Hier sie uns Musse gegönnt, verzeihlichem Wahne zu lächeln
Und in olympischer Ruhe den Wunsch und die Furcht zu vergessen.
Heimzukehren nun däucht's an der Zeit mir! Über dem Plaudern
Neigte der Tag sich gemach; die glühende Scheibe der Sonne
Gleitet am Himmel herab, und dunkel färbt sich der Wald schon! —

Einer Todten

[231]
Wie fühl' ich heute deine Macht,
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
Dein Auge sieht
Begierig mein entstehend Lied.
Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bist's! Doch deine Lippen schweigen,
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
Bist's wieder du,
Dein Herzensblut,
Indess dein Staub im Grabe ruht.
Mir ist, wann mich dein Athem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
[232]
Als seist in deinen stillen Grabesstunden
Auch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.
Die Marmorurne setzten dir
Die Deinen — um dich zu vergessen,
Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint!

Frühlingsgesang

[233]
Ich wandle sinnend, lenzumfangen,
Und schaue in die Weiten aus,
Entflohn dem Treiben, Drängen, Bangen,
Entflohn des lauten Tags Gebraus.
O herrlich Bild im linden Wehen!
Mir wird zum Traum die Flucht der Zeit;
Du bist's ja noch, das ich gesehen
In dämmernder Vergangenheit.
Das ist der Hauch noch, den ich fühlte,
Da ich als Kind die Flur durchlärmt,
Der Hauch, der mir die Stirne kühlte,
Da ich als Jüngling heiss geschwärmt.
Natur, du Wunderbare, Hehre!
Ich weiss, dich rührt kein Menschenwort;
Ob Lust mich schwelle, Leid verzehre,
Unnahbar bleibst du fort und fort.
[234]
Mir ist, du sprichst: „Ich stürme, kose,
Nacht bring' ich und den Strahl des Lichts,
Die Nessel treib' ich wie die Rose;
Was lobst du mich? du bist mir nichts!“
Und doch — ich fühl's mit trunknen Blicken —
Mir wird die Brust so frei, so weit;
Natur, wie kannst du süss erquicken
In deiner Antheillosigkeit!

Motto

Dichter, du darfst dein Selbst hinstellen dem Blicke der Andern,
Sing nur hinaus in die Welt Trauer und Freude der Brust;
Aber vergiss auch nie: dir fehlen die rührendsten Töne,
Ist's nicht eben die Welt, was in dir jubelt und klagt.

Denke es, o Seele!

[235]
Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiss, im Walde,
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Sie sind erlesen schon,
Denk es, o Seele,
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.
Zwei schwarze Rösslein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche;
Vielleicht, vielleicht noch eh
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe!

Erinnerung
An C. N.

[236]
Jenes war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letzte Mal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.
Als wir eines Tages eilig
Durch die breiten, sonnenhellen,
Regnerischen Strassen, unter
Einem Schirm geborgen liefen;
Beide heimlich eingeschlossen
Wie in einem Feeenstübchen,
Endlich einmal Arm in Arme!
Wenig wagten wir zu reden,
Denn das Herz schlug zu gewaltig,
Beide merkten wir es schweigend,
Und ein Jedes schob im Stillen
Des Gesichtes glühnde Röthe
Auf den Widerschein des Schirmes.
Ach, ein Engel warst du da!
Wie du auf den Boden immer
Blicktest, und die blonden Locken
Um den hellen Nacken fielen.
„Jetzt ist wohl ein Regenbogen
Hinter uns am Himmel,“ sagt' ich,
„Und die Wachtel dort im Fenster,
Däucht mir, schlägt noch eins so froh!“
Und im Weitergehen dacht' ich
Unsrer ersten Jugendspiele,
Dachte an dein heimathliches
Dorf und seine tausend Freuden.
— „Weisst du auch noch,“ frug ich dich,
„Nachbar Büttnermeisters Höfchen,
Wo die grossen Kufen lagen,
Drin wir Sonntags nach Mittag uns
Immer häuslich niederliessen,
Plauderten, Geschichten lasen,
Während drüben in der Kirche
Kinderlehre war — (ich höre
Heute noch den Ton der Orgel
[237]
Durch die Stille rings umher):
Sage, lesen wir nicht einmal
Wieder wie zu jenen Zeiten
— Just nicht in der Kufe, mein' ich —
Den beliebten Robinson?“
Und du lächeltest und bogest
Mit mir um die letzte Ecke.
Und ich bat dich um ein Röschen,
Das du an der Brust getragen,
Und mit scheuen Augen schnelle
Reichtest du mir's hin im Gehen:
Zitternd hob ich's an die Lippen,
Küsst' es brünstig zwei- und dreimal;
Niemand konnte dessen spotten,
Keine Seele hat's gesehen,
Und du selber sahst es nicht.
An dem fremden Haus, wohin
Ich dich zu begleiten hatte,
Standen wir nun, weisst, ich drückte
Dir die Hand und —
Dieses war zum letzten Male,
Dass ich mit dir ging, o Clärchen!
Ja, das war das letzte Mal,
Dass wir uns wie Kinder freuten.

Der alte Thurmhahn
Idylle

Zu Kleversulzbach im Unterland
Hundert und dreizehn Jahr ich stand,
Auf dem Kirchenthurm ein guter Hahn,
Als ein Zierrath und Wetterfahn.
In Sturm und Wind und Regennacht
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht.
Manch falber Blitz hat mich gestreift,
Der Frost mein rothen Kamm bereift,
Auch manchen lieben Sommertag,
Da man gern Schatten haben mag,
Hat mir die Sonne unverwandt
Auf meinen goldigen Leib gebrannt.
So ward ich schwarz für Alter ganz,
Und weg ist aller Glitz und Glanz.
[238]
Da haben sie mich denn zuletzt
Veracht't und schmählich abgesetzt.
Meinthalb! so ist der Welt ihr Lauf,
Jetzt thun sie einen andern 'nauf.
Stolzir, prachtir und dreh dich nur!
Dir macht der Wind noch andre Cour.
Ade, o Thal, du Berg und Thal!
Rebhügel, Wälder allzumal!
Herzlieber Thurn und Kirchendach,
Kirchhof und Steglein übern Bach!
Du Brunnen, dahin spat und früh
Öchslein springen, Schaf und Küh,
Hans hinterdrein kommt mit dem Stecken,
Und Bastes Evlein auf dem Schecken!
— Ihr Störch und Schwalben, grobe Spatzen,
Euch soll ich nimmer hören schwatzen!
Lieb däucht mir jedes Drecklein itzt,
Damit ihr ehrlich mich beschmitzt.
Ade, Hochwürden, Ihr Herr Pfarr,
Schulmeister auch, du armer Narr!
Aus ist, was mich gefreut so lang,
Geläut und Orgel, Sang und Klang.
Von meiner Höh so sang ich dort,
Und hätt' noch lang gesungen fort,
Da kam so ein krummer Teufelshöcker,
Ich schätz', es war der Schieferdecker,
Packt mich, kriegt nach manch hartem Stoss
Mich richtig von der Stange los.
Mein alt presshafter Leib schier brach,
Da er mit mir fuhr ab dem Dach
Und bei den Glocken schnurrt' hinein;
Die glotzten sehr verwundert drein,
Regt' ihnen doch weiter nicht den Muth,
Dachten eben, wir hangen gut.
Jetzt thät man mich mit altem Eisen
Dem Meister Hufschmied überweisen:
Der zahlt zween Batzen und meint Wunder,
Wie viel es war' für solchen Plunder.
Und also ich selben Mittag
Betrübt vor seiner Hütte lag.
Ein Bäumlein — es war Maienzeit —
Schneeweisse Blüthen auf mich streut,
[239]
Hühner gackeln um mich her,
Unachtend, was das für ein Vetter wär'.
Da geht mein Pfarrherr nun vorbei,
Grüsst den Meister und lächelt: Ei,
Wär's so weit mit uns, armer Hahn?
Andrees, was fangt Ihr mit ihm an?
Ihr könnt ihn weder sieden noch braten,
Mir aber müsst' es schlimm gerathen,
Einen alten Kirchendiener gut
Nicht zu nehmen in Schutz und Hut.
Kommt! tragt ihn mir gleich vor ins Haus,
Trinket ein kühl Glas Wein mit aus.
Der russig Lümmel, schnell bedacht,
Nimmt mich vom Boden auf und lacht.
Es fehlt' nicht viel, so that ich frei
Gen Himmel einen Freudenschrei.
Im Pfarrhaus ob dem fremden Gast
War Gross und Klein erschrocken fast;
Bald aber in jedem Angesicht
Ging auf ein rechtes Freudenlicht.
Frau, Magd und Knecht, Mägdlein und Buben,
Den grossen Gockel in der Stuben
Mit siebenfacher Stimmen Schall
Begrüssen, begucken, betasten all.
Der Gottesmann drauf mildiglich
Mit eignen Händen trägt er mich
Nach seinem Zimmer, Stiegen auf,
Nachpolteret der ganze Hauf.
Hier wohnt der Frieden auf der Schwell!
In den geweissten Wänden hell
Sogleich empfing mich sondre Luft,
Bücher- und Gelahrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtabak.
(Dies war mir all noch unbekannt.)
Ein alter Ofen aber stand
In der Ecke linker Hand.
Recht als ein Thurn thät er sich strecken
Mit seinem Gipfel bis zur Decken,
Mit Säulwerk, Blumwerk, kraus und spitz —
O anmuthsvoÜr Ruhesitz!
Zu öberst auf dem kleinen Kranz
Der Schmied mich auf ein Stänglein pflanzt'.
[240]
Betrachtet mir das Werk genau!
Mir däucht's ein ganzer Münsterbau;
Mit Schildereien wohl geziert,
Mit Reimen christlich ausstaffirt.
Davon vernahm ich manches Wort,
Dieweil der Ofen ein guter Hort
Für Kind und Kegel und alte Leut,
Zu plaudern, wenn es wind't und schneit.
Hier seht ihr seitwärts auf der Platten
Eines Bischofs Krieg mit Mäus und Ratten,
Mitten im Rheinstrom sein Kastell.
Das Ziefer kommt geschwommen schnell,
Die Knecht nichts richten mit Waffen und Wehr,
Der Schwänze werden immer mehr.
Viel Tausend gleich in dicken Haufen
Frech an der Mauer auf sie laufen,
Fallen dem Pfaffen in sein Gemach;
Sterben muss er mit Weh und Ach,
Von den Thieren aufgefressen,
Denn er mit Meineid sich vermessen.
— Sodann König Belsazers seinen Schmaus,
Weiber und Spielleut, Saus und Braus;
Zu grossem Schrecken an der Wand
Räthsel schreibt eines Geistes Hand.
— Zuletzt da vorne stellt sich für
Sara lauschend an der Thür,
Als der Herr mit Abraham
Vor seiner Hütte zu reden kam,
Und ihme einen Sohn versprach.
Sara sich Lachens nicht entbrach,
Weil Beide schon sehr hoch betaget.
Der Herr vernimmt es wohl und fraget:
Wie, lachet Sara? glaubt sie nicht,
Was der Herr will, leicht geschieht?
Das Weib hinwieder Flausen machet,
Spricht: Ich habe nicht gelachet.
Das war nun wohl gelogen fast.
Der Herr es doch passiren lasst,
Weil sie nicht leugt aus arger List,
Auch eine Patriarchin ist.
Seit dass ich hier bin, dünket mir
Die Winterzeit die schönste schier.
Wie sanft ist aller Tage Fluss
[241]
Bis zum geliebten Wochenschluss!
— Freitag zu Nacht, noch um die Neune,
Bei seiner Lampen Trost alleine,
Mein Herr fangt an sein Predigtlein
Studiren; änderst mag's nicht sein;
Eine Weil am Ofen brütend steht,
Unruhig hin und dannen geht:
Sein Text ihm schon die Adern reget;
Drauf er sein Werk zu Faden schläget.
Inmittelst einmal auch etwan
Hat er ein Fenster aufgethan —
Ah, Sternenlüfteschwall, wie rein
Mit Haufen dringet zu mir ein!
Den Verrenberg ich schimmern seh',
Den Schäferbühel dick mit Schnee!
Zu schreiben endlich er sich setzet,
Ein Blättlein nimmt, die Feder netzet,
Zeichnet sein Alpha und sein O
Über dem Exordio.
Und ich von meinem Postament
Kein Aug ab meinem Herrlein wend';
Seh', wie er, mit Blicken steif ins Licht,
Sinnt, prüfet jedes Worts Gewicht,
Einmal sacht eine Prise greifet.
Vom Docht den rothen Putzen streifet;
Auch dann und wann zieht er vor sich
Ein Sprüchlein an vernehmentlich,
So ich mit vorgerecktem Kopf
Begierhch bringe gleich zu Kropf.
Gemachsam kämen wir also
Bis Anfang Applicatio.
Indess der Wächter Elfe schreit.
Mein Herr denkt: es ist Schlafenszeit;
Ruckt seinen Stuhl und nimmt das Licht;
Gut Nacht, Herr Pfarr! — Er hört es nicht.
Im Finstern war' ich denn allein.
Das ist mir eben keine Pein.
Ich hör' in der Registratur
Erst eine Weil die Todtenuhr,
Lache den Marder heimlich aus,
Der scharrt sich müd am Hühnerhaus;
[242]
Windweben um das Dächlein stieben;
Ich höre, wie im Wald da drüben —
Man heisset es im Vogeltrost —
Der grimmig Winter sich erbost,
Ein Eichlein spalt't jählings mit Knallen,
Eine Buche, dass die Thäler schallen.
— Du meine Güt, da lobt man sich
So frommen Ofen dankbarlich!
Er wärmelt halt die Xacht so hin,
Es ist ein wahrer Segen drin.
— Jetzt, denk' ich, sind wohl hie und dort
Spitzbuben aus auf Raub und Mord;
Denk', was eine schöne Sach es ist,
Brave Schloss und Riegel zu jeder Frist!
Was ich wollt' machen herentgegen,
Wenn ich eine Leiter hört' anlegen;
Und sonst was so Gedanken sind;
Ein warmes Schweisslein mir entrinnt.
Um Zwei, Gottlob, und um die Drei
Glänzet empor ein Hahnenschrei,
Um Fünfe, mit der Morgenglocken,
Mein Herz sich hebet unerschrocken,
Ja voller Freuden auf es springt,
Als der Wächter endlich singt:
Wohlauf, im Namen Jesu Christ!
Der helle Tag erschienen ist!
Ein Stündlein drauf, wenn mir die Sporen
Bereits ein wenig steif gefroren,
Rasselt die Lies im Ofen, brummt,
Bis's Feuer angeht, saust und summt.
Dann von der Küch rauf, gar nicht übel,
Die Supp ich wittre, Schmalz und Zwiebel.
Endlich, gewaschen und geklärt,
Mein Herr sich frisch zur Arbeit kehrt.
Am Samstag muss ein Pfarrer fein
Daheim in seiner Klause sein,
Nicht visiteln, herumkutschiren,
Seine Fass einbrennen, sonst hantieren.
Meiner hat selten solch Gelust.
Einmal — Ihr sagt's nicht weiter just —
Zimmert' er den ganzen Nachmittag
Dem Fritz an einem Meisenschlag,
Dort an dem Tisch, und schwatzt' und schmaucht',
Mich alten Tropf kurzweilt' es auch.
[243]
Jetzt ist der liebe Sonntag da.
Es läut't zur Kirchen fern und nah.
Man orgelt schon; mir wird dabei,
Als säss' ich in der Sakristei.
Es ist kein Mensch im ganzen Haus;
Ein Mücklein hör' ich, eine Maus.
Die Sonne sich ins Fenster schleicht,
Zwischen die Kaktusstöck hinstreicht
Zum kleinen Pult von Nussbaumholz,
Eines alten Schreinermeisters Stolz;
Beschaut sich, was da liegt umher,
Konkordanz und Kinderlehr,
Oblatenschachtel, Amtssigill,
Im Dintenfass sich spiegeln will,
Zutheuerst Sand und Grus besicht,
Sich an dem Federmesser sticht
Und gleitet übern Armstuhl frank
Hinüber an den Bücherschrank.
Da stehn in Pergament und Leder
Vornan die frommen Schwabenväter:
Andreä, Bengel, Rieger zween,
Sammt Oetinger sind da zu sehn.
Wie sie die goldnen Namen liest,
Noch goldener ihr Mund sie küsst,
Wie sie rührt an Hillers Harfenspiel —
Horch! klingt es nicht ? so fehlt nicht viel.
Inmittelst läuft ein Spinnlein zart
An mir hinauf nach seiner Art,
Und hängt sein Netz, ohn erst zu fragen,
Mir zwischen Schnabel auf und Kragen.
Ich rühr' mich nicht aus meiner Ruh,
Schau' ihm eine ganze Weile zu.
Darüber ist es wohl geglückt,
Dass ich ein wenig eingenickt. —
Nun sagt, ob es in Dorf und Stadt
Ein alter Kirchhahn besser hat?
Ein Wunsch im Stillen dann und wann
Kommt einen freilich wohl noch an.
Im Sommer stünd' ich gern da drauss
Bisweilen auf dem Taubenhaus,
Wo dicht dabei der Garten blüht,
Man auch ein Stück vom Flecken sieht.
Dann in der schönen Winterzeit,
Als zum Exempel eben heut:
[244]
Ich sag' es grad — da haben wir
Gar einen wackern Schlitten hier,
Grün, gelb und schwarz; — er ward verwichen
Erst wieder sauber angestrichen:
Vorn auf dem Bogen brüstet sich
Ein fremder Vogel hoffährtig —
Wenn man mich etwas putzen wollt',
Nicht dass es drum viel kosten sollt',
Ich stünd' so gut dort als wie der,
Und machet' Niemand nicht Unehr!
— Narr! denk' ich wieder, du hast dein Theil!
Willst du noch jetzo werden geil?
Mich wundert, ob dir nicht gefiel',
Dass man, der Welt zum Spott und Ziel,
Deinen warmen Ofen gar zuletzt
Mitsammt dir auf die Läufe setzt'
Dass auf dem G'sims da um dich säss'
Mann, Weib und Kind, der ganze Käs!
Du alter Scherb, schämst du dich nicht,
Auf Eitelkeit zu sein erpicht?
Geh in dich, nimm dein Ende wahr!
Wirst nicht noch einmal hundert Jahr.

Erinna an Sappho
Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen Alterthums, um 600 v. Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren. Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, „die Spindel“, von dem man jedoch nichts Näheres weiss. Überhaupt haben sich von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet, und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von verschiedenen Verfassern.

„Vielfach sind zum Hades die Pfade,“ heisst ein
Altes Liedchen — „und einen gehst du selber,
Zweifle nicht!“ Wer, süsseste Sappho, zweifelt?
Sagt es nicht jeglicher Tag?
Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr.
— Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!
Sonniger Morgenglanz im Garten,
Ergossen um der Bäume Wipfel,
Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna !)
[245]
Früh vom schwüligen Lager hinweg.
Stille war mein Gemüth; in den Adern aber
Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.
Als ich am Putztisch jetzo die Flechten löste,
Dann mit nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
Schleier theilte, — seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
Augen, sagt' ich, ihr Augen, was wollt ihr?
Du, mein Geist, heute noch sicher behaust dadrinnen,
Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
Nickst du mich an, Tod weissagend!
— Ha, da mit Eins durchzuckt' es mich
Wie Wetterschein! wie wenn schwarzgefiedert ein tödtlicher Pfeil
Streifte die Schläfe hart vorbei,
Dass ich, die Hände gedeckt aufs Anlitz, lange
Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.
Und das eigene Todesgeschick erwog ich;
Trockenen Auges noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte,
Und der Freundinnen all.
Und anmuthiger Musenkunst,
Gleich da quollen die Thränen mir.
Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
Dieses, wenn war demnächst das blumige Fest
Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
Möcht' ich ihr weihn, für meinen Theil und deinen;
Dass sie hold uns bleibe (denn Viel vermag sie),
Dass du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
Für Erinna vom lieben Haupte trennen.

O hör! als mählich sterbend sieh dich an

[246]
O hör! als mählich sterbend sieh dich an:
Ein Todeswaller bist du, sonder Frage,
Im Strom der Zeit ist jeder deiner Tage
Ein Tropfen, der für immerdar verrann.
Das merk! Dann streifst du ab der Erde Bann:
Wie auch die Welt nach nichtgen Zielen jage,
Der Lärm verklingt, dir fremd, gleich einer Sage,
Du gehst geruhgen Pfad, ein stiller Mann.
Dann hebst du dich, befreit vom Sklavenringe
Der Erdennoth, ins Reich der ewgen Dinge,
Und all dein Thun ist würdig und geweiht:
Und hold ins stete Welken und Verschwinden
Webt sich der Liebe köstliches Empfinden
Als lichter Sonnenblick der Ewigkeit.

Siegespreis

[247]
Als mich des Kampfes Wetterschein umsprühte,
Da war ich stark!
Gerechten Zornes Flammenhauch durchglühte
Mein innerst Mark,
Entrüstung lieh mir ihre scharfe Wehre,
Mich zu befrein;
Das Glück war hin, so sollte doch die Ehre
Gerettet sein.
Jetzt, da der Kampf vorbei und ausgerungen,
Getilgt die Schmach,
Jetzt fühl' ich, dass die Kraft, die es durchdrungen,
Das Herz mir brach.
Aufschreit in meiner Brust die Qual, die herbe,
Die vordem schwieg;
Den heissen Kampf bestand ich, ach! und sterbe
An meinem Sieg!

Trost in Schmerzen

[248]
Es soll der Mensch nicht um Verlornes klagen,
Noch soll er leimen wollen, was zerbrochen;
So hab' mit lächelndem Behagen
Ich oft mir selber zugesprochen.
Doch als an einem gramumflorten Tage,
Den keine Sonne jemals wieder lichtet,
Der grimme Tod mit Einem Schlage
Mein Glück, mein blühendes, vernichtet:
Da, bei dem düstern Glanz der Trauerkerzen,
Hab' ich zuerst begriffen und empfunden,
Dass es ein Glück auch giebt der Schmerzen
Und dass auch Rosen blühn aus Wunden.
[249]
Als hätt' erst jetzt die Welt sich mir erschlossen,
Seitdem mein Auge überquillt von Zähren,
So seh' ich tausend Leidgenossen,
Die meine Trauer mir verklären.
Wie anders jetzt nach frühverblühtem Lenze
Berührt die welke Blume mich am Wege,
Seit ich die winterlichen Kränze
Auf einen theuern Hügel lege!
Wie anders hör' die Nachtigall ich schlagen,
Wie anders hallt mir's aus der Lerche Chören,
Seitdem man ihn dahingetragen,
Der keine Lerche mehr wird hören!
Ja selbst am Himmel dort die ewgen Sterne,
Sie scheinen inniger mir zuzuwinken,
Seit ich in grenzenlose Ferne
Ein leuchtend Antlitz sah versinken.
Und alles Weh, das seit der ersten Stunde
Der Menschheit Brust durchwühlt mit bangem Sehnen,
Es brennt in meiner Seele Grunde
Und lindert sich in milden Thränen.
Nicht müssgem Schmerze will ich mich ergeben,
Dem Tage leist' ich unverkürzt das Seine:
Doch wurde heiliger mir das Leben,
Seit einen Todten ich beweine.

Zuleika

[250]
Die Wellen murmeln leis im Flusse,
Durch Wolken bricht der Sterne Pracht
Und, trunken von dem Sonnenkusse,
Träumt die Natur im Arm der Nacht.
Von ihren Schleiern lind umfangen
Ist rings das Thal, der Hügel Knauf. —
Mein süsses Kind, was willst du bangen?
Die wilden Rosen blühen auf!
Du wendest seitwärts Mund und Wange?
Horch, was im Wogenlispeln spricht!
Es küssen sacht am Uferhange
Die Wellen die Vergissmeinnicht.
Und lausche, wie es rauscht verstohlen
Dort in des Waldes laubgem Dach —
Das ist des Zephyrs Athemholen!
Er küsst die wilden Rosen wach!
[251]
Still! Hörst du's nicht vom Busche schallen?
Die Brust durchzuckt's wie Flammenguss,
Das sind des Frühlings Nachtigallen,
Das ist des Mais gesungner Kuss!
Fühlst du nicht Wonnen unermessen
Aus dieses Liedes Klängen sprühn?
Komm! Lass uns Lipp auf Lippe pressen,
Mein Lieb! Die wilden Rosen blühn!
Sie blühn! Versteckt im Kelche kosen
Die Falter und die Käferlein.
Komm, holdes Kind! Bei wilden Rosen,
Da lass uns liebend selig sein!
O, rede nicht! Ich will sie schliessen,
Die Lippen mit dem Kusse zu!
Lass uns die Rosenzeit gemessen,
Du, meine wilde Rose du! —

Um Mitternacht

[252]
Nun ruht und schlummert Alles,
Die Menschen, der Wald und Wind;
Das AVasser leisen Falles
Nur durch die Blumen rinnt.
Der Mond mit vollem Scheine
Ruht breit auf jedem Dach;
In weiter Welt alleine
Bin ich zur Stund noch wach.
Und Alles, Lust und Schmerzen,
Bracht' ich in mir zur Ruh;
Nur Eins noch wacht im Herzen,
Nur Eins: und das bist du!
Und deines Bildes Friede
Folgt mir in Zeit und Raum:
Bei Tag wird er zum Liede,
Und Nachts wird er zum Traum.

Der Philister

[253]
Das Mädchen
Weit auf die Läden! — Mit voller Brust
Athm' ich den Morgen und trink' ich die Lust,
Die mir im Luftstrom entgegenquillt,
Die mir aus Blatt und aus Knospe schwillt.
O nach der langen, der bangen Nacht
Welche Wonne!
Guten Morgen, guten Morgen, du schöner Tag!
Guten Morgen, du schöne Sonne!
Der Philister
So rief ein Mägdlein — halb rief es, halb sang,
Und das Lädlein flog auf, und der Riegel klang.
Und ich derweil unterm Fliedergang
Spazierte, wie jeglichen Morgen,
Die Pfeife im Mund, um das Rosenbeet
Und die Villa, die hinter den Bäumen steht,
Vom hängenden Laube verborgen.
Das Mädchen
O du weite Welt, dort im Sonnenschein!
Wie lockst du herauf und wie lädst du mich ein;
Wie schimmert die Wiese, so perlend von Thau,
Wie locken die Berge so blau, so blau!
Dem Pfad, dort hinauf, o wie folgt ihm mein Aug
So gerne!
Guten Morgen, guten Morgen, du köstlicher Hauch,
Guten Morgen, du duftige Ferne!
Der Philister
Und wie sie stand, mit der rechten Hand
Den Flügel aufwerfend und vorwärts gewandt,
Als wollte sie über den marmornen Rand,
Dass fast mir das Pfeifchen verglimme:
Da rief ich: Holderes hast du doch nicht,
O Frühling, als solch ein liebes Gesicht,
Und solch eine liebliche Stimme.
Das Mädchen
O Frühling und Wonne und Blüthenzeit!
Euch öffn' ich die Thür und die Seele weit!
Ich trinke den Duft und ich athme den Hauch
Und ich denke an einen Entfernten auch ...
Was treu, wie wir, zu einander hält,
Kann warten:
[254]
Guten Morgen, mein Lieb in der weiten Welt,
Guten Morgen, ihr Rosen im Garten!
Der Philister
Mein Pfeifchen ist aus. — O fröhlicher Reim,
Erklingst du noch einmal aus fernem Heim,
Erweckst du noch einmal den Liederkeim,
Den fast in der Brust schon erstarrten?
Auch wir einst sangen, von Sehb nnsucht geschwellt —
Nun, Jugend, nimm du die Lieb und die Welt,
Und lass uns die Rosen im Garten!

Bergab

Nun weckt der Frühling mit Sonnenschein
Am Zweiglein die knospenden Triebe,
Die blauen Veilchen am Wiesenrain,
Und im Herzen, im Herzen die Liebe.
O seliger Traum der Erinnerung,
Willst du zur Wahrheit heut werden?
Es wird die Seele noch einmal jung,
Und grün wird es wieder auf Erden.
Die Vögel singen wie dazumal,
Und die silbernen Bächlein rinnen,
Als wollte, dem Lenz gleich in Berg und Thal,
Die Jugend noch einmal beginnen.
Ein Bangen und Sehnen zieht durch die Brust,
Und ich weiss nicht, vom Zweifel beklommen,
Hab' ich ein Echo verrauschter Lust
Aus weiter Ferne vernommen?
Wie drängte sich einst der bunte Hauf
Mit Sang und mit Klang auf den Wegen;
Wie zogen wir munter den Berg hinauf,
Dem Frühling, dem Frühling entgegen!
Doch still ist es hier und einsam heut,
Verstummt sind die frohen Gesänge;
Mir ist, als ob nur noch Abendgeläut
Aus der Heimath herüber mir klänge.
Wo die Wandrung am Morgen begonnen ich hab',
Sinkt die Nacht auf Wiesen und Matten;
Und langsam steig' ich bergab, bergab,
In den länger werdenden Schatten.

Berg um Berg, und Thal inmitten

[255]
Berg um Berg, und Thal inmitten,
Lied der Lust gesellt,
So mit rüstgen Wanderschritten
Schau' ich mir die Welt.
Abgeschafft sind alle Sorgen,
Sollen's ewig sein,
Morgen kommt ja erst das Morgen,
Doch das Heut ist mein!
Klarer Tag aus goldner Truhe
Giebt mir heitren Sold,
Und umbuscht von Schattenruhe
Bleibt die Nacht mir hold.
Wanderschaft, du ewge Quelle
Reinster Lebenslust,
Lautre mir mit klarer Welle
Lange noch die Brust!
Dampf der Städte lass' ich liegen,
Strassen dumpf und toll,
In den blauen Himmel fliegen
Möcht' ich jubelvoll!
[256]
Alles winkt willkommnem Gaste,
Quell und Felsenwand,
Wo ich wandre, wo ich raste
Bin ich gleich bekannt.
Und so lang noch Lebenstriebe
Froh sich mir gesellt,
Will ich lieben diese liebe
Wunderschöne Welt!
Wollt ihr goldne Schätze heben,
Zeig' ich sie euch echt,
Denn die Jugend und das Leben
Und der Tag hat Recht!

Wandergut

Wer ein Herz treueigen hält,
Fest und mit Vertrauen,
Darf getrost die weite Welt
Wandernd sich beschauen.
Wär' die Ferne noch so weit,
Wär' der Tag voll Widerstreit,
In ihm lebt, was allbereit
Glättet Stirn und Brauen.
Lass die Andern nicht so bald
Was du liebst, erkennen,
Die sich flüchtig, leer und kalt
Einen oder trennen!
Bös ergreift ein höhnisch Wort;
Eigne Brust nur ist der Ort,
Wo du deiner Seele Hort
Darfst bei Namen nennen.
So, Herzliebste, schafft das Glück
Trennung nicht zum Leide,
Bleib' ich ganz dir doch zurück,
Wenn ich von dir scheide.
Ich, in deines Herzens Hut,
Du, mein bestes Wandergut,
Und so sind wir frohgemuth
Gottgesegnet beide!

Häst sulln a Glöckerl wern!

[257]
Häst sulln a Glöckerl wern,
Konst so schön klinga;
Hast sulln a Vögerl wern,
Konst so schön singa;
Hast sulln a Gimpl wern,
Konst so schön fliagn;
Hast sulln a Wochtl wern,
Konst so guat lüagn!
War i a Glöckerl worn,
That i da klinga;
War i a Vögerl worn,
That i da singa;
War i a Wochtl worn,
Lüagad dih on:
Dirndl, i liab dih!
— Und fliagad davon.

Just und expressi nit!

[258]
Do kaprizirt sih ums Geld
Da Wirt auf da Gstät,
Hiazt zohl ih expressi
Und justament nöt!
Mei Weib is von Schnaunzboit drahn
Neama ka Freund;
Hiazt loss ih'n expressi stean,
Grod weil sie greint.
Won ih a por Flügerl hät,
Kunt fliagn wir a Taub;
Zan Dirndl expressi nöt,
Grod weil d' Leut glaubn!
Ih kriagad mei Nochbars Dirn
Leicht olle Tog;
Ih nim ma s' expressi nit,
Weil ih nit mog.
Won ih nur d' Miazl hät;
De war nit schiah;
Ih heirat s' expressi nöt —
Weil ih s' nit kriag.

A Mensch, der auf d'Welt taugt

Vormittag suach ih
Mei Dirndl in da Ghoam,
Nochmittog bin ih
Aufn Tonzbodn dahoam;
Auf d' Nocht, won mi da Voder
In d' Schupfn einspirt,
Do flick ih ma d' Hosn,
Dass ma die Zeit nit long wird!

Aus den Liedern der Trauer

[259]
Von dunklem Schleier umsponnen
Ist mir das Tageslicht;
Wohl steigen neue Sonnen —
Ich seh' sie nicht.
Mir schweift der Blick hinüber
In Weiten, dämmerfern;
Vom Himmel blinkt ein trüber
Einsamer Stern.
Ein Mädchen bleich von Wangen
Winkt mir von drüben zu:
Ich bin vorangegangen,
Was zögerst du?

Drei Dichter

[260]
Nächtlich aus ihrer Ruhestatt
Steigen drei deutsche Dichter,
Klagend schaun sie mich an und matt,
Blasse Todtengesichter.
Deutsche Mutter, wie warst du so karg
Deinen Söhnen im Leben;
Nichts als die Wiege, den Gram und den Sarg
Hast du den Edlen gegeben.
Dort den trauerverhüllten Geist,
Kennst du ihn? gieb mir Kunde!
Über der mächtigen Stirne weist
Er die klaffende Wunde.
Kummer um dich, der sein Leben geknickt,
Trieb ihn hinab zu den Todten;
Stärker, wie er dich wieder erblickt,
Rieseln die Tropfen, die rothen.
Und der Zweite, die Locken zerrauft,
Weiss die Mähr zu erzählen,
Wie du die eigenen Söhne verkauft
An die Mäkler der Seelen.
In den Wäldern des Westens voll Gram
Irrte der Fremdling verloren;
Selbst den Wilden verschwieg er vor Scham,
Welches Land ihn geboren.
Und der Dritte mit starrem Blick,
Aber den Zügen der Griechen,
Stammelt verstört: warum, Geschick,
Musst' ich in Deutschland siechen?
Schon in der Wiege traf ihn der Fluch,
Der sich am Jüngling erfüllte,
Bis mit des Wahnsinns Schleiertuch
Mild ihn der Himmel umhüllte.
Das sind die Drei, die im Trauerchor
Nächtlich den Reigen schlingen;
Sage, wie tönt dir das Lied ins Ohr,
Mutter, das sie dir singen?
[261]
Deutsche Mutter, verbirg dein Gesicht!
Nicht mit marmornen Platten,
Und mit dem Lorbeer auf Gräbern nicht
Sühnst du die zürnenden Schatten.

Der Tod der Nachtigall

Du, die unsterblich, vom Geschlechte
Der Feen und Elfen ich geglaubt,
O holde Freundin meiner Nächte,
So hat der Tod dich mir geraubt!
Im weichen Mondlicht vom Balkone
Wie oft dir lauscht' ich andachtsvoll,
Wenn aus der grünen Blätterkrone
Dein heilges Lied herüberscholl.
Aufhorchte selbst das Seelenlose
Den Tönen deiner Melodie;
Die bleiche Lilie, die Rose
In ihrem Schlummer hörten sie.
Zu Abgrundtiefen bald versunken,
Wo kein Gestirn des Lichtes kreist,
Bald von des Himmels Wonnen trunken
Schien im Gesang dein Sehergeist.
Ein Hoffen quoll aus ihm, ein Ahnen
Von Höherm, als die Erde giebt;
Ein Hauch, so wollte mich's gemahnen,
Der Liebe, die in Allen liebt.
Nicht schwieg dein Schmettern, dein Geflöte,
Seitdem das Abendlicht verglüht;
Erst spät beim Schein der Morgenröthe
Sank dir das Köpfchen schlummermüd.
Im Dunkel gestern auch zum Singen
Auf deinem Zweig warst du erwacht;
Gewölk stieg auf; verloren gingen
Schlaftrunkne Donner durch die Nacht.
Sanft glitt dein Lied, das leis gehauchte,
Auf Rosen- und Jasminenduft,
Der ringsher aus den Kelchen rauchte,
Zu mir durch sommerschwüle Luft.
[262]
Doch stärker war der Äste Sausen,
Des Donnerkrachens Wiederhall;
Laut, immer lauter durch das Brausen
Des Sturms quoll deiner Stimme Schall;
Und ob der Blitz mit lohem Strahle
Hernieder auf die Wipfel fuhr,
Hoch jauchztest du in dem Chorale
Der um dich jubelnden Natur.
Mit Geistern war's ein Zwiesprachhalten,
Ein Stürzen in das ewge Licht,
Ein Schauen himmlischer Gestalten,
Wie in Ezechiels Gesicht.
Und, wo selbst der Prophet mit Zagen
Den Blick gesenkt und heiligem Graun,
Wie wolltest du's, o Kleine, tragen,
Die Gottheit unverhüllt zu schaun?
Beim Frühroth rollte durch das Wetter
Ein letzter mächtger Donnerklang,
Durch den dein jubelndes Geschmetter
In hohem, vollem Hymnus drang.
Glorreich durchs Dunkel stieg die Sonne;
Da sankst du zuckend erdenwärts;
Der Donner schwieg; im Sturm der Wonne
Gebrochen war dein kleines Herz.

Das neue Jahrhundert

Noch bevor am Himmel dämmernd deine Morgenröthe steigt,
Hat sich von der Last der Jahre müd ins Grab mein Haupt geneigt;
Doch der Lerche gleich, die, eh sie sich den Osten röthen sieht,
Schon dem Tag entgegenjubelt, flattre dir voran mein Lied,
Glorreich herrliches Jahrhundert, das im königlichen Flug
Reigenführend du dahinschwebst vor der Menschheit Siegeszug!
Ja, Vollender du von Allem, was wir hoffend nur geahnt.
Dem die Weisen und die Helden jeder Zeit den Weg gebahnt,
Vor dem Blick mir weicht der Schleier, der noch vor der Zukunft ruht,
Und wie ferne Alpengipfel in des Frühlichts Purpurgluth
Seh' ich dich und seh' die andern, die dir folgen, hellbesonnt,
Himmelauf die Scheitel heben an der Zeiten Horizont.
Weit vor mir in Segensfülle mit der Ernten wogendem Gold,
Mit den üppgen Rebgeländen, liegt das Erdgefild entrollt,
[263]
Und von Überfluss für Alle strotzt der mütterliche Herd.
Längst des blutgen Werkes müde, ward zur Sichel jedes Schwert,
Und mit flatternden Standarten auf der Freiheit Siegesfeld
Wallen rings heran die Völker zu dem Bundesfest der Welt.
Der geweihte Born des Wissens, der für Wenge sonst nur quoll,
Nun in breitem Strom durch alle Länder fliesst er reich und voll,
Und harmonisch alle Herzen stimmt der Dichtung Orpheuslied
Und die Kunst, der ewge Frühling, der in Färb und Marmor blüht.
Durch gesprengte Felsen, über schwindlige Klüfte hingespannt,
Schlingt um alle Erdenzonen sich der ehrnen Gleise Band,
Drauf vom Dampf, dem schnaubenden Renner, den er in sein Joch geschirrt,
Hin von Pol zu Pol mit Sturmes Flug der Mensch getragen wird.
Er, der einst auf Eichenpfählen, in der Seeen Grund gerammt,
Dem Geschick, dem grausen, fluchte, das zum Dasein ihn verdammt;
Nun der Elemente Meister, Herrscher über Zeit und Raum,
Herrlich sich erfüllen sieht er alter Seher Wundertraum,
Segelt durch den höchsten Äther hin auf luftbeschwingtem Kahn,
Taucht durch blauer Wogen Zwielicht in den tiefsten Ocean.
Ihm gehorcht der Blitz als Sklave; in das grenzenlose All
Trägt den Blick ihm Frauenhofer auf den Flügeln von Krystall;
Durch den Sternennebel dringend, der als Lichtstrom niederträuft,
Sieht er neue Firmamente tief im funkelnden Raum gehäuft,
Und hinüber und herüber auf dem strahlenschnellen Weg
Mit Bewohnern fremder Welten führt er Zeichen-Zwiegespräch.
Aber hehrer noch als droben, wo sich Sonn an Sonne reiht,
UnergründUch in der Seele ruht ihm die Unendlichkeit.
Wie aus weitentlegnen Himmeln, nie durchforscht vom Seherohr,
Steigen der Gedanken grosse Sternenbilder ihm empor.
Femhin schweift sein Adlerauge, jenseits dieses engen Jetzt,
Vom Beginn der Erdendinge bis zum dämmernden Zuletzt;
Nicht fortan im Linermessnen steht er rathlos und verwaist,
Über alle Räume breitet herrlich leuchtend sich sein Geist,
Und, im Leben wie im Tod sich seiner Ewigkeit bewusst,
Jeglichem Geschick entgegen trägt er frei und kühn die Brust.
So, wenn welk von vielen Jahren seines Daseins Blüthe sinkt,
Schreckt ihn nicht des letzten Mahners Kommen, der zur Abfahrt winkt.
Gleich dem meervertrauten Schiffer, dem das Herz voll Hoffnung schlägt,
Wenn hinweg zu fernen Inseln seinen Kiel die Woge trägt,
Dieser Erde Küsten lässt er, während sanft in seinem Boot
Ihn dahin zu neuen Ufern führt der freundliche Pilot.

Die drei Weltwunder

[264]
Da, wo die Erde noch ist, wie seit Ursprung,
In Mitten Afrikas, da soll auch noch
Der schaudervollste Ort der ganzen Welt sein,
Wo man das Unglückseligste noch schaut,
Die gleichsam Tiefst-Betrognen aller Dinge,
Die ärmsten drei Weltwunder für die Alle,
Die kommen, leben, wieder weiter wandeln.
Die Dinge sollen sein: Ein kleines Kind,
Das seit der Urwelt um kein Haar gewachsen;
Dann eine unaufhörlich-blühnde Rose;
Zuletzt ein muntrer Greis, der niemals stirbt.
Sie werden vorgezeigt und ernst erklärt
Von Priestern, Jegliches in seinem Tempel;
Und alle Mütter, welche je den Tod,
Auch noch so frühen Tod von ihren Kindern
Beklagt; und alle Menschen, die Bestand
Für ihrer Werke Pracht auf ewig wünschen;
Und alle, die da nicht begreifen konnten,
Dass alles sich beschliessen müsse, was
Vollkommen sein, ein Ganzeswerden soll,
Die ziehn belehrt, entsetzt, verstummt und heilig-
Zufrieden weg aus diesem Heiligthum.

Ausfahrt

[265]
Landfahriges Herz, in Stürmen geprüft,
Im Weltkampf erhärtet, und oftmals doch
Zerknittert von schämigem Kleinmuth,
Aufjauchze in Dank
Dem Herrn, der dich sicher geleitet!
Du hast eine Ruhe, ein Obdach gefunden,
Hier magst du gesunden,
Hier magst du die ehrlich empfangenen Wunden
Ausheilen in friedsamer Stille.
Steil, mauergleich, eine senkrechte Wand,
Vor Schneesturz beschirmend und Wildbacherguss,
Umthürmt der Felsgrat die Halde.
Es wölbt sich darin
Manch Höhlengeklüft
Zur Stätte dem einsamen Beter.
[265]
Vom See bis zum Scheitel in dunkler Pracht
Steigt tannenumschattete Waldesnacht,
Kein Pfad füliit empor als Verräther.
Schon hebt sich das Blockhaus, des Siedlers Palast
Von riesigen Stämmen gezimmert und rings
Mit Moose verstopft in den Ritzen.
Schon fasst ein Brunnen an lauschiger Stelle
Die silbern helle,
Die langgesucht glücklich gefundene Quelle.
Wie mundet ihr Trank erquicksam und labend
Dem rodenden Manne, der müde am Abend
Sein Beil dort lehnt an die Steinbank.
Auf, Falkenschluchtklausner, und hochgemuth!
Vergiss deinen goldschweren Bischofshut,
Deinen Elfenbeinkrummstab, dein Münster.
Schwing dich mit befreieter Seele Macht
In die Gottespracht,
Die menschengelärmlos entgegen dir lacht:
Rauhzackige Gipfel umsäumen die Höh,
Fern unten erschimmert smaragdgrün der See,
Vom kreisenden Habicht umflogen.
Mit rüstiger Arbeit und rüstigem Beten
Verscheuch die Versuchung und trotze den Nöthen,
Die Weltfernen dröhn in der Wildniss.
Dem Bienengesumme im Wiesengeblüm,
Fromm lausche du ihm
Und trachte nach Honig der Weisheit.
Ein Hauch des Allmächtigen schwebt ob dem Land,
Und greifst du zum Psalter mit schwieliger Hand,
So fliehn die Dämonen und Teufel.
Noch ist's, wie David der König gepsalmt:
Wie dick auch der Nebel der Thorheit erqualmt,
Mit dem Frühroth scheucht ihn die Sonne.
Siegkühn wie ein Bräutigam kommt sie heran
Und freut wie ein Held sich zu laufen die Bahn
Strahlend allum.
Die Himmel verkündigen Gottes Lob,
Seine Hand ist's, die unser Erdlein wob,
Laut sagt ein Tag es dem andern.

Nordmännerlied

[267]
Der Abend kommt und die Herbstluft weht,
Reifkälte spinnt um die Tannen,
O Kreuz und Buch und Mönchsgebet —
Wir müssen alle von dannen.
Die Heimath wird dämmernd und dunkel und alt,
Trüb rinnen die heiligen Quellen:
Du gütterumschwebter, du grünender Wald,
Schon bhtzt die Axt, dich zu fällen!
Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer,
Erloschen sind unsere Sterne —
O Island, du eisiger Fels im Meer,
Steig auf aus nächtiger Ferne.
Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht —
Auf geschnäbelten Schüfen kommen
Die alten Götter, das alte Recht,
Die alten Nordmänner geschwommen.
Wo der Feuerberg loht, Gluthasche fällt,
Sturmwogen die Ufer umschäumen,
Auf dir, du trotziges Ende der Welt,
Die Winternacht wolfti wir verträumen!

Christnacht
Aus: Heinrich von Ofterdingen

Dass ich nach langer Trennung Leid
Die Gute durfte schauen,
Das war in weinachtheilger Zeit
Vor Tagesgrauen.
Da rief der erste Hahnenkrȃt
Die Schläfer aus den Betten,
Mit Lichtlein schlichen aus der Stadt
Die Fraun zur Metten.
Als wie Knechts Ruprechts Mummgestalt
Kam sie vom Berg zum Dom gewallt,
In Pelzwerk Stirn und Ohren
Verloren.
Die Pfaffheit sung mit Orgelschall:
„Dem Herrn sei Preis und Minne,
Und Fried im Thal den Menschen all
Von gutem Sinne.“
[267]
Da hat ihr freies Haupt der Wucht
der Hüllen sich entwunden,
Da hat ihr Auge meins gesucht
Und auch gefunden.
Ein langer vielberedter Blick
Erzählte stumm ein ganz Geschick
Von freudlos öden Tagen
Und Plagen.
Da ward mir Vieles offenbar,
Als ob's gepredigt wäre,
Da wich vom Herzen ganz und gar
Missmuth und Schwere.
Da war ich wie ein selig Kind,
Das sich der Weihnacht freuet,
Die goldner Nüsse Angebind
Und Äpfel streuet.
Knecht Ruprecht hat sich wohl bewährt,
Er hat mir einen Blick bescheert
Aus weiblichem Gemüthe
Voll Güte.
Als man den Benedîz gethan
Da tönten alle Glocken,
Da hub ein Winden und Schneien an
Mit dichten Flocken;
Sie ging im Nebel wie sie kam,
Noch war der Nacht kein Ende,
Der Schneesturm schier den Mantel nahm
Und das Gebände.
Pfadleuchtend schritt die Dienerin
Voraus. Wie Schattenspiel erschien
Der Burglaterne Funkeln
Im Dunkeln.
Und als ein schweres Morgenroth
Die Wolken glühend säumte,
Noch stund ich, wie von Freuden todt,
Und fror und träumte.
Von hundert Tritten war die Spur
Im Weg zu Eis verdichtet,
Ich hielt auf einen, einen nur
Das Aug gerichtet.
[269]
Fahr hin zu Berg, nachtwandelnd Glück,
Im Schnee blieb fest dein Kuss zurück,
Wohl mir, ich weiss die Fährten
Der Werthen!

Dörpertanzweise
Zu Ehren Heinrichs von Ofterdingen gedichtet
„Ich versihe mich niuwer maere, Uns komt der Stiuraere!“ Kunceh Luarin. V. 80

Den Finken des Waldes die Nachtigall ruft:
„Von Geigenstrich schallt es goldrein durch die Luft,
Ihr Zwitschrer, ihr Schreier, nun spart den Diskant,
Der Heini von Steier ist wieder im Land!“
Flickschuster im Gaden schwingt's Käpplein und spricht:
„Der Himmel in Gnaden vergisst Unser nicht,
Sohlleder wird theuer, Bundschuh platzt am Rand,
Der Heini von Steier ist wieder im Land.“
Schon schwirren zur Linde, berückt und entzückt
Die lieblichen Kinde mit Kränzen geschmückt:
„Wo säumen die Freier? Manch Herz steht in Brand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land.“
Und Wer schürzt mit Schmunzeln den Rock sich zum Sprung?
Grossmutter in Runzeln, auch sie wird heut jung ...
Sie stelzt wie ein Reiher dürrbeinig im Sand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land!
Der Hirt lässt die Herde, der Wirth lässt den Krug,
Der Knecht lässt die Pferde, der Bauer den Pflug,
Der Vogt und der Maier kommt scheltend gerannt:
„Der Heini von Steier ist wieder im Land!“
Der aber hebt schweigend die Fiedel zur Brust ...
Halb brütend, halb geigend — des Volks unbewusst.
Leis knisternd strömt Feuer um Saiten und Hand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land!
... Im Gärtlein der Nonnen auf blumiger Höh
Lehnt Eine am Bronnen und weint in den Klee:
„O Gürtel und Schleier ... o schwarzes Gewand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land!“

Guano

[270]
Ich weiss eine friedliche Stelle
Im schweigenden Ocean,
Krystallhell schäumet die Welle
Zum Felsengestade hinan.
Im Hafen erblickst du kein Segel,
Keines Menschen Fusstritt am Strand;
Viel tausend reinliche Vögel
Hüten das einsame Land.
Sie sitzen in frommer Beschauung,
Kein Einzger versäumt seine Pflicht,
Gesegnet ist ihre Verdauung
Und flüssig als wie ein Gedicht.
Die Vögel sind all Philosophen,
Ihr oberster Grundsatz gebeut:
Den Leib halt allezeit offen
Und alles Andre gedeiht.
Was die Väter geräuschlos begonnen,
Die Enkel vollenden das Werk;
Geläutert von tropischen Sonnen
Schon thürmt es empor sich zum Berg.
Sie sehen im rosigsten Lichte
Die Zukunft und sprechen in Ruh:
„Wir bauen im Lauf der Geschichte
Noch den ganzen Ocean zu.“
Und die Anerkennung der Besten
Fehlt ihren Bestrebungen nicht,
Denn fern im schwäbischen Westen
Der Böblinger Repsbauer spricht:
„Gott segn' euch, ihr trefftlichen Vögel,
An der fernen Guanoküst, —
Trotz meinem Landsmann, dem Hegel,
Schafft ihr den gediegensten Mist!“

Stilles Heim

Hell blinkt die Zinnengiebelwand,
Bestreift von den Hecken der Eiben,
Und die Dreizahl der Erker schimmert ins Land
Mit den runden Bleiglasscheiben.
[271]
Hell blinkt Thorgitter und Pfeilerportal,
Drei Stufen führen herunter
Zum Hüflein, und am verschilften Kanal
Nährt sich der Entenschwarm munter.
Epheu und wilde Rebe schwankt
Ob der Hofmauer rinnenden Bronnen,
Hält Hag und Laubgang kraus umrankt
Und die Erker mit Dickicht umsponnen.
Gott grüss dich, Schlösslein, Waldidyll,
Das stets nach Nöthen und Fehden
Rast bietet friedsam, flott und still,
Ein buschverborgen Eden.
Dem Rauchwölklein ob dem Kamin
Sei fröhlich zugejodelt,
Es kündet: in der Küche drin
Die Mittagsuppe brodelt.
Die Suppe kocht lieb Mütterlein;
Schau, schau, schon naht sie in Eile,
Mit der ich mutterseelenallein
Die stille Heimath theile.
Schon perlt im Krug ihr Willkommgruss,
Drum soll mein Lied hier enden . .
Ruh aus, müd Herz! Mein Schicksal muss
Zu Schick und Glück sich wenden.

Aus dem Trompeter von Säkkingen

Wo an der Brück die Woge schäumt,
Da schwamm die Frau Forelle,
Sie schwamm zum Vetter Lachs hinab:
„Wie geht's euch, Stromgeselle?“
„'S geht gut,“ sprach der, „doch denk' ich grad:
Wenn nur das Donnerwetter
Erschlüg' den Musikanten, den
Gelbschnäbligen Trompeter!
Den ganzen Tag am Ufer geht
Der junge Herr spazieren;
Rheinab, Rheinauf hört nimmer auf
Sein leidig Musiciren.“
[272]
Lächelnd die Frau Forelle sagt:
„Herr Vetter, Ihr seid grobe!
Erlaubt, dass ich im Gegentheil
Den Herrn Trompeter lobe:
Wär' Euch, wie dem, in Lieb geneigt
Die schöne Margaretha,
Ihr lerntet in alten Tagen noch
Höchstselber die Trompeta!“

O wolle nicht den Rosenstrauss

O wolle nicht den Rosenstrauss
Huldvoll als Gruss mir reichen,
Ein immergrünes Stechpalmreis
Sei unsrer liieb das Zeichen.
Der Blätter Kranz in stillem Glanz
Die reifende Frucht beschützet,
Und fremde Hand, die ohn Verstand
Dran tastet, wird geritzet.
Die Rose prangt, doch kommt der Herbst,
Steht sie verwelkt und trauert,
Des Stechpalmblatts bescheiden Grün
Den Winter überdauert.

Das ist im Leben hässlich eingerichtet

Das ist im Leben hässlich eingerichtet,
Dass bei den Rosen gleich die Dornen stehn,
Und was das arme Herz auch sehnt und dichtet,
Zum Schlüsse kommt das Voneinandergehn.
In deinen Augen hab' ich einst gelesen,
Es blitzte drin von Lieb und Glück ein Schein:
Behüet dich Gott! es war' zu schön gewesen,
Behüet dich Gott, es hat nicht sollen sein! —
Leid, Neid und Hass, auch ich hab' sie empfunden,
Ein sturmgeprüfter, müder Wandersmann.
Ich träumt' von Frieden dann und stillen Stunden;
Da führte mich der Weg zu dir hinan.
In deinen Armen wollt' ich ganz genesen,
Zum Danke dir mein junges Leben weihn:
Behüet dich Gott! es wär' zu schön gewesen,
Behüet dich Gott, es hat nicht sollen sein! —
[273]
Die Wolken fliehn, der Wind saust durch die Blätter,
Ein Regenschauer zieht durch Wald und Feld,
Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter,
Grau wie der Himmel steht vor mir die Welt.
Doch wend' es sich zum Guten oder Bösen,
Du schlanke Maid, in Treuen denk ich dein!
Behüet dich Gott! es wär' zu schön gewesen,
Behüet dich Gott, es hat nicht sollen sein!

Die Sommernacht hat mir's angethan

Die Sommernacht hat mir's angethan,
Das ist ein schweigsames Reiten,
Leuchtkäfer durchschwirren den dunkeln Grund
Wie Träume, die einst zu guter Stund
Das sehnende Herz mir erfreuten.
Die Sommernacht hat mir's angethan,
Das ist ein schweigsames Reiten,
Die Sterne funkeln so fern und gross,
Sie spiegeln so hell sich im Meeresschooss,
Wie die Lieb in der Tiefe der Zeiten.
Die Sommernacht hat mir's angethan,
Das ist ein schweigsames Reiten,
Die Nachtigall schlägt aus dem Myrtengesträuch,
Sie schlägt so schmelzend, sie schlägt so weich.
Als sang' sie verklungene Leiden.
Die Sommernacht hat mir's angethan,
Das ist ein schweigsames Reiten,
Das Meer geht wild, das Meer geht hoch;
Was braucht's der verlorenen Thränen noch,
Die dem stillen Reiter entgleiten?

Die Blicke scharf wie der junge Aar

Die Blicke scharf wie der junge Aar,
Das Herz von Hoffnung umflogen,
So bin ich dereinst mit reisiger Schaar
In den Kampf der Geister gezogen.
Die Fahne hoch, gradaus den Speer -
Da wichen der Feinde Reihen;
O Reiterspass, dem fliehenden Heer
Die breiten Rücken zu bläuen!
[274]
Doch kamen auch wir an jenes End,
Zu wissen, dass Nichts wir wissen!
— Da hab' ich langsam mein Ross gewend't
Und mich des Schweigens beflissen.
Zu stolz zum Glauben — bin ich gemach
In die Felskluft niedergestiegen;
Die Welt da draussen ist oberflach,
Der Kern muss tiefer liegen.
Nun freut mich mein alt Gewaffen nicht mehr,
Verspinnwebt liegt's in der Ecken;
Doch soll drum kein hochweiser Herr
Als wehrlosen Mann mich necken:
Noch reicht ein Blick, das Eulenpack
Und die Fledermaus zu verjagen,
Noch reicht ein alter Eselskinnback,
Den Philisterschwarm zu erschlagen!

Aus deinem Auge wisch die Thrän

Aus deinem Auge wisch die Thrän,
Sei stolz und lass die Klage;
Wie dir wird's Manchem noch ergehn
Bis an das End der Tage.
Noch manch ein Räthsel ungelöst
Ragt in die Welt von heute,
Doch ist dein sterblich Theil verwest,
So kommen andre Leute.
Die Falten um die Stirne dein
Lass sie nur heiter ranken;
Das sind die Narben, die darein
Geschlagen die Gedanken.
Und wird dir auch kein Lorbeerreis
Als Schmuck darum geflochten:
Auch der sei stolz, der sonder Preis
Des Denkens Kampf gefochten!

Gleich dem Aar

[275]
Gleich dem Aar, der aus dem Horste
Wirft die Brut, wenn er nicht tüchtig
Sie erfand zum Sonnenfluge —
So des eigenen Gedankens
Mitleidloser Richter sei!
Wenn er in dem Licht der Wahrheit
Sich nicht rein und stark bewährte —
Sei ein Mann, und wirf ihn schweigend
Aus der Seele, ohne dich nur
Einmal nach ihm umzusehn!

Hedwig

Hoch droben überm Walde
Da steht auf sonnger Halde
Einsam das Försterhaus;
Dort ging sie unter Bäumen
Und sah in stillen Träumen
Weit, weit ins duftge Land hinaus.
[276]
Dann wie in tiefem Leide
Schritt sie hinab zur Haide,
Ihr zahmes Reh voran;
Oft stund sie still, zu lauschen
Der Wipfel dunklem Rauschen
Und fernem Kukuksruf im Tann.
Auch hab' ich sie gesehen
Allein am Fenster stehen,
Von wildem Wein umlaubt;
Und kluge Tauben kamen,
Die sich das Futter nahmen,
Doch sie stund mit gesenktem Haupt.
Es schwand auf ihren Wangen
Das letzte Rosenprangen
Dahin von Tag zu Tag,
Bis dass sie auf der Bahre,
Den Myrtenkranz im Haare,
Fast schöner als im Leben, lag.
Beim Kirchlein nun im Thale
Ruht tief sie unterm Male,
Darauf ihr Name steht.
Dort mag ihn der einst lesen,
Dem sie so treu gewesen,
Und niederknieen zum Gebet.

Liebe

[277]
Die Erde schlief und dünkte sich
Der Hoffnung und der Wonne leer;
Und fühlte doch von Traum und Sehnen
Das Herz so voll, das Haupt so schwer.
Die Erde schlief und dünkte sich
Der Hoffnung und der Wonne leer; —
Da stieg mit ihrer Strahlenkrone
Die Sonne aus dem stillen Meer.
Die Erde wachte bebend auf,
Von Licht umflossen lag sie da.
Die Knospen keimten, die Lerchen sangen.
Wie sie ins Sonnenauge sah.

Sonntagskinder

Es war ein Kind aus Avelun,
Das konnte, was es wollte, thun;
Und, was es that, ihm ganz gerieth,
So wie der Nachtigall das Lied.
[278]
Wenn es am blanken Herde stand,
Wenn es im Garten Kränze wand,
So machten' s andre Kinder nicht,
So wunderhold und doch so schlicht.
Wohl Mancher blieb verstohlen stehn,
Dem schmucken Mägdlein zuzusehn,
Und sprach: Wer einst die Maid gewinnt,
O, der gewinnt ein Sonntagskind! —
Nun sing nicht weiter, Sängersmann!
Es kommt die Dämmerung heran.
Wer Liebe singt, der singet Leid!
O Sonntagskind! O Jugendzeit!
Wie hat ein Sängerherz so oft
Auf solcher Blüthen Frucht gehofft.
Leid kam durch Lieb, drob klagt man nun:
„Wo blieb das Kind aus Avelun?“

Mama bleibt immer schön!

Durchs grünumrankte Fenster blickt
Die Sonne ins Gemach.
Grossmutter sitzt und nickt und strickt,
Sie nickt den ganzen Tag.
Ihr Haar ward weiss; es grub die Zeit
Viel tiefe Furchen ein.
Zu ihren Füssen tändelnd kniet
Ihr jüngstes Enkelein.
„Was nickst du denn so immerzu?“
Die kleine Unschuld spricht:
„Grossmutter! gar nicht schön bist du!
Dein Haar gefällt mir nicht —
Und überm Auge auf der Stirn
Die grosse Falte da!
Es ist Mama viel schöner doch!
Wie schön ist doch Mama!“
Grossmutter sieht den Liebling an:
„Schönheit vergehet bald!
Das Alter hat's mir angethan,
Und auch Mama wird alt!“
[279]
„Mama!?“ — Des Kindes Aug umzieht
Ein Hauch von Kümmerniss —
„O nein! Mama bleibt immer schön!
Das weiss ich ganz gewiss!“

Enttäuschung

Hätt' es nimmer gedacht,
Dass ein Strom, so heiss,
Im Winter würd'
Zu starrem Eis!
Dass ein Ringlein von Gold,
So den Finger schmückt,
Wie'n Mühlstein schwer
Auf die Seele drück!
Dass nach prangendem Tag
So stürmisch die Nacht,
So krank das Herz!
— Hätt's nie gedacht!

Vorübergehn

Ich sah die Leiden am Thore stehn —
Ich grüsste und liess sie vorübergehn.
Ich sah die Freuden ins Fenster sehn —
Ich grüsste und liess sie vorübergehn.
Was soll ich hoffen und was erflehn? —
Vorübergehn! Vorübergehn!

Wenn das Vergessen so schwer nicht wär!

Wenn Eines doch nur nicht so schwer,
Wenn das Vergessen so schwer nicht wär!
Ich hab' mich gerissen vom Mutterschooss,
Ich hab' mich gewunden von Freunden los,
[280]
Ich habe der Untreu Teufel gesehn,
Und die Liebe musste zu Grabe gehn.
Ich habe geweinet in stiller Nacht.
„Nun sei es vorüber!“ hab' ich gedacht! -
Wenn Eines doch nur nicht so schwer,
Wenn das Vergessen so schwer nicht wär'!

Entgegnung

Dass krank ich geworden! Ich trag's, wie ich soll!
Was klagt ihr so mitleids-, so vorwurfsvoll:
„O, hättest du nicht! O, hättest du nicht,
Es wäre so bleich nicht dein Angesicht!
O, hättest du nicht!“ —
Nun, wohl denn, ich sag' euch: mein Lenz hat geblüht!
Der Wein hat geschäumet! Das Herz hat geglüht!
So habe ich doch! So habe ich doch!
Dess freut sich die Seele und jubelt noch:
So habe ich doch!

Der Musikant von Scheveningen

[281]
Wohl ist das Fest verklungen, nun geht der Musikant,
Der Mann mit grauem Haare, nach heim, entlang am Strand;
Nicht achtet er des Sturmes, der in den Lüften saust,
Nicht hört er, wie die Woge zu seinen Füssen braust.
Sein Auge leuchtet helle, versenkt in einen Traum,
Ach! einen schmerzlich fernen, wankt er am Meeressaum.
Wohl hat er gegeiget zum Tanze die herbstlich wilde Nacht,
Wohl hat er manch purpurnes Gläslein an seine Lippen gebracht;
Wohl hat er den Tusch auch geblasen mit schmetternder, geller Trompete,
Wenn wacker den Reigen gestampfet mit ihrem Hänslein die Grete.
— Sein Auge leuchtet helle, versenkt in einen Traum,
Ach! einen schmerzlich fernen, wankt er am Meeressaum.
Denn die Maid mit dem Golddiademe, die heute wurde getraut,
Sie gleichet auf ein Härlein wohl seiner vergessenen Braut.
Und wie er nun hinwandelt auf glattem Ebbe-Sand,
Und wie ein Mondgesichte schaut ob der Wolken Rand,
Und wie nun näher brauset und näher nun die Fluth,
Da wird ihm gar so seltsam, so wunderbar zu Muth.
Ihm ist als ob die Wogen, die an dem Fuss ihm schwelln,
Sich wandeln in viel tausend befremdliche Geselln.
[281]
Ihm ist, als ob sie näher und näher ihn umstehn,
Und tief ihm in das Antlitz und in das Aug ihm sehn.
Ihm ist, als ob sie weinen, ihm ist, als ob sie lachen,
Sie blicken so lieb wie die Engel, und schauen so bös wie die Drachen.
„Heida!“ so hört er sie reden, „steh stille, du Musikant,
Wir wissen, du führest den Bogen mit zaubertöniger Hand,
Wir wissen, dir wandeln am Griffbrett die Finger, gelenkige Schlangen,
Es rauschet aus deinem Gesaite ein wunderallmächtig Verlangen;
Was du spielest ist himmlisch süsse verlockende Poesie,
O lass, o lass sie uns hören, die tönende Phantasie;
Wir auch, wir kennen die Sehnsucht, wir auch, wir wissen zu fühlen,
Uns auch, du Grauer, du Alter, uns auch sollst du einmal spielen,
Wir haben Herzen im Busen, in der Seele verlangende Gluth,
Auf, auf, Musikante, nun geige, und zeige dich wacker und gut;
Auf, auf, Musikante, nun geige, und' besser lohnen wir dir,
Als auf der erbärmlichen Hochzeit der Bauer, das geizige Thier.
Auf, auf, Musikante, nun geige, und zeige dich wacker und gut,
Heut tanzen die stürmischen Wogen, die Söhne der springenden Fluth,
Heut reigen die nächtigen Schäume, die Töchter des Vaters Orkan,
Auf, auf, Musikante, nun geige, und halte sobald noch nicht an!“ —
Wohl beginnt er zu geigen, und geigt nun der graue Musikant,
Die Wogen umwallen ihn dichter, hoch hält er die Geig in der Hand,
Die Wogen umringein ihn enger, jetzt steht er schon mitten im Meer,
Und immer neu und gewaltig erbrausen die Fluthen daher!
Er aber geigt ein Lied, wie er's noch nimmer gespielt,
Er hat seine ganze Seele in die triefenden Saiten gewühlt.
Und wie versunken das Mondlicht am dunkeln Wolkenrand,
Da ist er versunken auf ewig, der graue Musikant.

Des Zigeuners seliges Ende

Das Feuer glüht am schwarzen Felsenrand,
In stummer Nacht ist loh der Mond entbrannt;
Kein Nachtzug weht, und alles das Gestirn,
Die Geister in den dürren Fichtenzweigen,
All die Gesichter auf der Felsen Firn,
Sie zeigen sich in athemlosem Schweigen.
— So leis ist dem nun auch der Schlaf genaht,
Der bei der Flamm sich hingebettet hat.
Ein dunkler Mann in einem greisen Bart,
Die Stirn verdüstert, seine Züge hart. —
Hat er zur öden Höhe sich verstiegen,
Dass in dem Thale die ihn sähen liegen,
[283]
Im Flammenschein vom Mondlicht überwallt,
Als eine übermenschliche Gestalt?
Dass sie das Kreuz ob Stirn und Busen schlügen,
Als sähen sie den Fürst der Höllen liegen?
Was steckt zum Schlaf er dieses Feuer an?
Auf steht's zum Mond, als flattert es hinan.
Der liegt so still im rothen Mäntelein,
Wie wenn er todt, doch zieht er Athem ein;
Es kleidet ihn das röthliche Gewand,
Als wär' er selbst von Flammen licht umbrannt.
Wer unten dort im dunklen Thale wallt,
Dem scheint's, als sah' er droben zween Feuer,
Das Ein, das brennt, das alte Ungeheuer,
Und eine glühnde menschliche Gestalt. —
Sein Traum ist schwer, doch rühret er sich kaum,
Nicht mehr denn dort der öde Lärchenbaum
Am Felseneck zur dumpfen Rund sich neigt.
— Die Lippe zuckt, der Pulsschlag bebt und — schweigt.
Der dort entschlafen, das ist ein Zigeuner,
So alt und grau, wie seines Stammes Keiner.
Sechs Kaiser sind an ihm vorbeigegangen,
Rudolphe, Karle: er blieb ungehangen.
Sie All und Alle hat er überlebt,
Sie All und Alle hat er überdauert,
So manches Grabmal wurde zugeklebt,
So manche Gruft ward seither zugemauert. —
Doch heute war's, als wenn sein Herz gebebt,
Er schlich sich aus dem lärmend lauten Thal,
Schweigsam und still, ohn Einem was zu sagen:
Gleichwie ein Gast, erkrankt beim Prassermahl,
Aufsteht und weggeht, ohne nur zu klagen.
— Geschmähet ist die Bande der Zigeuner,
Verspottet war' er noch vom Naseweis,
Dass nun auch dem, den überlebte Keiner,
So bange ward ums Herz, dem markgen Greis.
Da schlägt er leis die dunklen Augen auf,
Er sieht den öden Mond, der Felsen Hauf,
Er sieht die Gluth zu Häupten ihm entbrannt,
Und liebreich streckt nach ihr er seine Hand.
So streckt man sie, will seinen Hund man streicheln,
Und will man seinem braven Gaule schmeicheln.
„O süsse Freundin!“ spricht er drauf zu ihr,
„Mir bist und bleibst du treu, ich danke dir!
[284]
Selbander han gelebt wir manche Nacht,
Du krochest bald als wie ein Schlänglein sacht,
Und schlau am regenfeuchten Stroh und Werg,
Ein neckischer und demuthsvoller Zwerg,
Wie ein zertretner, kranker, scheuer Wurm,
Dann schlugst du auf, ein Riese und ein Thurm!
Wenn ich dich auf das Kirchdach hab' gepflanzt,
Wie lustsam bist du da umhergetanzt!
So rasch, so flink, als wie der Wetterhahn
Sich rastlos dreht im wirbelnden Orkan.
So lieblich und so niedlich anzusehn,
Mit gelber Schwing und mit dem Kamme roth,
Gleichwie die Hähn, so auf den Höfen gehn,
Und scharrn und krähen bis an ihren Tod.
Dann wurdest du zum mächtgen Vogel Greif,
Der in den Staub das arme Kirchlein trat,
Nie fordertest du von dem güldnen Streif,
Den ich am Altartuch mir schneiden that.
Du bist mein rothes Hähnlein, treu und gut,
Gott segne dich und alle deine Brut!
Und bin ich todt, dann überflieg die Welt,
Ganz tritt in Trümmern und in Asche sie,
Und hast du sie zerworfen und zerschellt,
So lüft die Schwing' und krähe Kikeriki!
Die Welt ist schlecht, erbärmlich und verrucht,
Ich hab' sie oft verwünschet und verflucht.
Was sie an mir elendem Mann gethan,
Das fasst dein Köpflein nicht, du armer Hahn!
Was sie an mir gethan, an meinen Söhnen,
Horch auf! ich hör' sie alle Sieben stöhnen!
So falln vom Baume nicht die braunen Blätter,
Als wie von unserm Stamm die zu Erhenkenden
Hinabgeschüttelt Sturm und Donnerwetter,
All die zu Rädernden, die zu Ertränkenden!
— Doch weil du bist zum Ende treu geblieben,
So will auch ich dir Dank und Wohlthat üben;
Da du gelobt, die Welt mir zu zerwittern,
Will ich noch einmal heute Nacht dich füttern.
Hast hier von meinem alten Dolch den Griff,
Mein Nähzeug hier, und hier das Weberschifif,
Hier auch die Schlang, die Gaukeltänzerin,
Du nimmst die fetten Bissen gierig hin,
Und hast nun Alles, ich, ich hab' Nichts mehr.
Doch halt! trägst du auch nach dem Mäntelein Begehr,
[285]
Hier hast du's auch, mein gutes Hähnlein matt,
Dass ich zum letzten Mal dich mache satt!“
— Den rothen Mantel legt er übers Feuer,
Wie man ums Antlitz faltet einen Schleier,
Er lehnt sich an die Felsenwand zurück,
Ins öde Spiel der Flamme stiert sein Blick;
Er sieht, wie sie das Mäntelein durchbricht
Mit glühnden Spitzen: so zuckt durchs Gesicht
Der dunkeln Maske Brand der Eifersucht,
So zuckt der Dolch aus weitem Domino.
Dann sieht er, wie im Feuer licht und loh
Die gelbe Schlang sich krümmt, und Kühlung sucht;
Doch hurtig ist der kluge, rothe Hahn,
Kein Brosam fällt ihm von dem scharfen Zahn. —
Und wie die Flammen sind richtauf gezückt
Zum weissen Mond, der starr herniederblickt,
Da ist dem leis, so leis der Tod genaht,
Der an dem Fels sich hingebettet hat.
— Ein Sturm wird wach; zum öden Tannenwald
Rechts im Gebirg zerrt er das Hähnlein bald;
Die Wolke fliegt, und die Lawine kracht.
Der aber kriecht gleich schlauem Schlänglein sacht
Empor am feuchten Ast auf schneeumwehtem Berg
Ein neckischer und demuthsvoller Zwerg.
Als ein zertretner, kranker, scheuer Wurm,
Dann schlägt er auf, ein Riese und ein Thurm.

Zwischen Himmel und Erde
Vom Krankenbett

Die Lampe stirbt, schwer auf mich sinkt die Nacht,
Mein Aug ohn Schlaf, mein Busen ohne Rast,
Doch heisst's: der Herr hat Alles wohl gemacht,
Und wohl verdien' ich's, dass er so mich hasst.
Die Lampe starb, ihr selgen Himmelssterne,
Mit euerm holden, milden Niederglühn,
Ich fleh zu euch: o zeigt mir eine Ferne,
Nach der vergönnt mir Ärmstem zu entfliehn.
Nur fort, nur fort von diesem dumpfen Bette,
Nur fort, nur fort an eine sonnge Stätte.
Zu Menschen lasst mich aus dem stummen Grunde,
Zum Klopfen einer Brust, zum Wort aus einem Munde,
Zu einer Hand, die meine Hand berührt,
Und mir den Trank zur heissen Lippe führt.

Wie rast' ich doch in den gesunden Tagen

[286]
Wie rast' ich doch in den gesunden Tagen,
Wie kecklich war mein Wünschen und mein Wagen,
Wie ekel war und spröde meine Wahl!
Da sollten Freunde sein, so treu wie Stahl,
So treu wie Gold, voll Kraft, voll geistger Gluth,
Voll Sinn fürs Schön, voll reinstem Freundschaftsmuth.
Und wie's nicht hiess, was ich von dem verlangte,
Der mit dem Namen meines Freundes prangte:
Und Mädchen, hold wie Engel, lieb und traut,
Gar einen Seraph wünscht' ich mir zur Braut.
Und jetzt? ach! Etwas nur, das Menschenantlitz trägt,
Das menschenähnlich sich um mich bewegt,
Den kalten Schweiss von glühnder Stirn mir wische,
Und dort die Lamp entzünde auf dem Tische.

Mann! beten soll ich? und du gabst mir Wein!

Mann! beten soll ich? und du gabst mir Wein!
Was könnt' ich wohl vom Herren noch erflehn,
Als diesen Trank, den hier am Busen mein,
So will ich gern wohin du forderst gehn!
Lass mich nicht beten, lass den letzten Hauch
Des armen Daseins, das sich mir geboten,
Vergehen in dem Zaubertrank, dem rothen,
Du schwarzer Mann! Und trinkest du nicht auch?
Zwar dir zählt nicht wie mir sich die Minute,
Dir wird des Weins noch mancher Trunk zu Gute.
Mir aber botest du im Abendmahl
Den purpurschäumenden Goldpokal
In dieser Stund zum allerletzten Male,
Und dann hinaus aus diesem Erdenthale.

Nun geh, mein Freund, wir sehn uns nicht mehr wieder

Nun geh, mein Freund, wir sehn uns nicht mehr wieder,
Geh du nach Hause nur, an deine Lieder,
Geh du zu deinem hehren Gottessohn,
Ich geh zu meinem Gott am Himmelsthron.
Leb wohl, und habe freundlich besten Dank
Für deines Goldkelchs süssen Zaubertrank.
Und magst also du jeglichen erquicken
Der Sterbenden, zu denen sie dich schicken.
Und magst mit solchen holden Himmelsgaben
Du jeden Todesmatten so erlaben.
[287]
Allein vergieb! du kannst mir's nicht verdenken,
Dies Brötlein, Lieber, nimm mir's wieder ab,
Ich mag nicht Speise mehr von hier zum Grab,
Behalt's, bitt' ich, von mir zum Angedenken.

Er ging! Und nun zu dir, mein einzger Gott

Er ging! Und nun zu dir, mein einzger Gott,
Jetzt bin ich frei, zertrümmert ist der Spiegel,
In dem des Menschengeistes schnöder Spott
Dein Antlitz zeigt! Auf goldenem Cherubflügel
Empor zu dir! Ich fühl's, du nimmst mich an,
Zu jeder Freude, die ich tragen kann.
O dieser Wonne unbegrenzte Schranken!
Den letzten Tropfen irdischer Gedanken
Wirft himmlisch schaudernd von sich mein Gefieder.
Ich fluch' dir nicht, du kreisgewundene Hyder,
Die man den Erdball nennt, ach! Fluch
Bist du dir selbst auf ewge Zeit genug.
Ich segne dich aus dieser Himmelsferne,
Wie ich als Mensch gesegnet oft die Sterne.

Entsagung

[288]
Nein, keinen Kuss! kein freundlich Liebeszeichen!
Wir müssen scheiden! sei's denn ohne Wanken,
Wie, der in Charons Nachen steigt, den schwanken,
Der bleiche Schemen zu den andern bleichen.
Wir aber wollen nicht den Schatten gleichen,
Wir, die statt Erdenweines Nektar tranken,
Wir, die durchglüht vom göttlichsten Gedanken:
Besiegt von uns, nicht von des Schicksals Streichen!
Wir selbst das Schicksal! In dem eignen Herzen
Steht's mit der eignen stolzen Hand geschrieben;
Und so, in Demuth, können wir es tragen.
Und Jeder kann's, der in den tiefsten Schmerzen
Der höchsten Weisheit eingedenk geblieben:
Dass wir geboren wurden zum Entsagen.

Aus dem Cyclus: Werinhers Bergfahrt

[289]

1 Lenz im Walde

Es sprach der Abt von Tegrinsee:
„Schon nisten unsere Schwalben,
Herr Wernher, macht Euch auf den Weg,
Schaut aus nach unsren Alben.“
Da ging der Mönch den Pfad dahin,
Ihm ward so seltsam zu Sinnen,
Es wob durchs tiefe Tannengrün
Ein Singen und ein Minnen.
Wie ist der Morgen wundersüss
In solchen Maientagen —
Er sah die wilden Veilchen blühn,
Er hörte die Drossel schlagen.
Und immer lauter schlug sein Herz,
Mög' mich der Himmel strafen!! — —
Herr Wernher, Euer Herz wacht auf
Und Euer Herz muss schlafen!

2 Diemudis

[290]
Diemudis war die Maid genannt,
Die rothen Locken quollen:
„Herr, seht Ihr die Gemsen dort an der Wand,
Hört Ihr die Felsen rollen?“
Da fuhr er empor im langen Kleid,
Als griff er nach Pfeil und Bogen:
„Wie tausendmal bin zum Gejaid
Ich selber hinausgezogen!
Wie hundertmal bin ich ins Feld
Auf wildem Hengst geritten,
Diemudis! wie viel hab' ich gethan.
Wie mehr hab' ich gelitten!“
Wie seine Stirne bebt und schwillt!
Er hat die Faust erhoben —
„Nun bin ich selber ein armes Wild,
Doch wohlig ist es hier oben!“
Er fasst das Mägdlein bei der Hand,
Die rothen Locken quollen:
„Siehst du die Gemsen dort an der Wand?
Hörst du die Felsen rollen!!“

3 Frau Minne

Es blitzt sein Aug, es bebt sein Mund,
Ihm ward so süss zu Sinne,
Sie sassen nieder im grünen Grund —
Frau Minne kommt, Frau Minne.
Er sprach: Es keimt in Wald und Feld,
Die Blumen grüssen und winken,
Nur einmal noch lass mich die Wonne der Welt
Von rothen Lippen trinken.
Von deinen Lippen roth und weich —
Da hat er sie umfangen ...
Der arme Herr Wernher, er war so reich
Mit seinen glühenden Wangen.
[291]
Die bunten Blümlein, sie nickten scheu,
Die Vöglein lockten und riefen —
Und über ihnen stieg ein Weih
In fluthende Himmelstiefen.

4 Im Chore

Im nächtgen Chor zu Tegrinsee,
Da sitzen die Mönche, die frommen,
Herr Wernher war zu rechter Zeit
Zur Mette noch gekommen.
Herr Wernher sass in seinem Stuhl
Und sang die Weise, die alte,
Doch durch sein Beten klang es hin
Wie Vogelsang im Walde.
Und durch sein Beten zieht es hin
Wie lauter Blumen und Sonne ...
Du bist mîn, ich bin dìn,
Er schloss die Augen vor Wonne.
Dann ward es stille in seiner Brust.
Mög' mich der Himmel strafen! —
Herr Wernher, Euer Herz war wach,
Und Euer Herz muss schlafen!

Aus dem Cyclus: Unter der Linde

1 Waldeinsamkeit

Dann aber gingen Jahre ins Land
Dahin über Wald und Fluren;
Eh ich wiedersah eines Menschen Hand
Und eines Fusses Spuren.
[292]
Wie wunderstille war's da im Wald,
Es klangen nur Vogelstimmen;
An meinen schwellenden Blüthen hing
Der Falten und die Immen.
Das Sonnenlicht, es fiel durchs Grün
Und glitzert' im dunklen Moose,
Hoch wuchs empor an meinem Stamm
Die wilde Heckenrose,
Und durch die leuchtende Vollmondnacht
Kam schweigend der Hirsch gegangen,
Von einer stummen verzückten Pracht
War alles Leben gefangen,
Und wenn es dann rauschte im langen Flug
Durch all die Wälder, die weiten —
Das war wie ein letzter Athemzug
Aus Wodans gewaltigen Zeiten!

2 Kaiser Ludwig der Baier

Zwei Mönche hielten im Schatten Rast,
Zum Jagen beide bewehret,
Da sprach der eine: „Herr Arbogast,
Habt Ihr die Kunde gehörtet:
Von Kaiser Ludwig, die schlimme Mähr?
Es sind noch keine zwei Wochen,
Da ist er gezogen hinaus zum Gejaid
Und sterbend niedergebrochen.
Sein Herz, das war ihm gebrochen längst -
Der hatte viel Leid getragen;
Der ging wohl wund zum letzten Gang
Hinaus in den Wald zum Jagen!“
So ward sein Sehnen nimmer gestillt,
Vom Bannfluch sich zu lösen?
Fluch über die Wälschen, die ihn gebannt,
Weil er zu deutsch gewesen!
[293]
Im Kloster drinnen, da tragen sie Scheu
Vor Rom und den purpurnen Stühlen,
Hier aber ist's einsam - hier sind wir frei,
Hier sagen wir's, wie wir's fühlen!“
Und zürnend stiess er in meinen Stamm
Mit seinem gewaltigen Speere -
So hab' auch ich um den Kaiser geweint
Gar manche goldene Zähre!

3 Lindenblüthen

Es zog dens Wegs ein junger Mönch,
Der hat ein Buch getragen,
Und soll dem Abt von Tegrinsee
Den Gruss von Chiemsee sagen,
Und dass das würdige Gotteshaus
Ihm sende köstliche Gabe,
Es sei das allerholdste Buch,
Das es im Schreine habe.
Und weil der frühe Tag noch blaut',
So liess der Mönch sich nieder,
Er öffnet' das Buch und er las es laut,
Er las es immer wieder.
Er las von Kämpfen stolz und hehr,
Davon die Lieder melden,
Von Felsgezack und blauem Meer,
Und wundersamen Helden,
O holdes Weib, das einst bethört
Den Helden alle Sinne!-
Da gehrt sein Ar, nach solchem Schwert,
Sein Herz nach solcher Minne!
Ihm ward so wonnig und so weh,
Und seine Wangen erglühten -
Es fielen herab in die Odyssee
Die deutschen Lindenblüthen!

4 Auferstehung

[294]
Der Sonntagmorgen war blau und klar,
Welch wundersames Geläute!
Es wogt das Volk in jauchzender Schaar,
Ein freudiger Tag tag heute.
Und jeder trägt sein Feierkleid,
Die wallenden Fahnen wehen,
Sie kommen von nah, sie kommen von weit,
Sag an, was ist geschehen?
Der Sonntagmorgen ist blau und klar,
Es rauschen die Wälder im Winde,
Und aufgerichtet ist ein Altar
Unter der grünenden Linde.
Und dort wird heute im freien Feld
Das Siegesfest gehalten,
Hoch lebe der Kaiser uznd hoch das Reich!!
So rufen die Jungen und Alten.
Und Glockenschall und Trompetenklang,
Das ist hier jubelnd erklungen,
Und die hier stehen - sie haben im Blut
Das Vaterland wieder errungen.
Die alte Linde - sie schauert leis
Und all ihre Wipfel beben: -
Gern hab' ich gelebt um diesen Tag
Mein tausendjähriges Leben!

Oberbairische Gedichte
Die schöne Predi'

Der alte Pfarrer von Waxelmoos
Der hat neuli' predigt. Ah, der schiesst los!
Kreuzhimmelsakra — der hats ihna g'sagt,
All' Leut hab'n g'woant und an Jeden hat's packt,
Nur oaner lahnt so an der Kirchthür dran.
„No“, sag i, „kann Dir denn jetzt gar nix an?“
„Ja,“ sagt er und rührt si' gar nit dabei,
„Ja, wissen's, i bin nit aus dera Pfarrei!“

Bei der Nacht

[295]
Beim Göllbachbauer auf'n Hof,
Da hab'ns a ledigs Kind,
Dös mauass wohl nix wie Hungerleid'n;
Sie san ihm nit guat g'sinnt.
Und bei der Nacht muass's bei der Dirn
Drin schlafen allemal,
Und alle Nacht, da schleicht die Dirn
Si(ch) mäuslstaad in Stall.
Und melkt a Kuah und bringt dem Kloan'
A warme Milli 'nauf.
Und d'Kuah schaugt drei', als möcht's gern sag'n:
Mir bringent'n scho auf!

Der Fischer

Im Schilf steht an Einbaum,
Und a Fischer dabei;
I frag: „Wie hat's ganga
Den Winter allwei'?“
„O mei — wie hat's ganga,
Mei Bübli is g'storb'n,
Und seitdem is mein Wei(b)
Ganz zerrütt und verdorb'n.
Sie sagt nix, so oft i's
Bein Händen aa nimm,
Koa Pfüttgott, wenn i geh,
Nit Grüssgott, wenn i kimm.
Sie strickt ma koa Netz,
Nimmt koa Sichel in d'Händ',
Sie is nur grad allweil
Am Gottsacker drent.
Und i kann's do(ch) nit schelten,
Sie is so trauri gnua. — —
A jed's Haus hat sein Engel
Und der mei' war der Bua!“

Oktoberlied

[296]
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draussen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt
So gänzlich unverwüstlich!
Und wimmert auch einmal das Herz, -
Stoss an, und lass es klingen!
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
[297]
Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.
Die blauen Tage brechen an;
Und ehe sie verfliessen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Geniessen, ja geniessen!

Abeits

Es ist so still; die Haide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenrother Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Haideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelhaide Glöckchen;
Die Vögel schwirren aus dem Kraut —
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
Ein halbverfallen niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Käthner lehnt zur Thür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigerndten.
— Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möve,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
[298]
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gährenden Schlammes
Geheimnissvollen Ton,
Einsames Vogelrufen —
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Trost

So komme, was da kommen mag!
So lang du lebest, ist es Tag.
Und geht es in die Welt hinaus,
Wo du mir bist, bin ich zu Haus.
Ich seh' dein liebes Angesicht,
Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht.

Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süssen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Kind;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Gluth,
Und weiss nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süssen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.

Von Katzen

[299]
Vergangenen Maitag brachte meine Katze
Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiss mit schwarzen Schwänzchen.
Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen!
Die Köchin aber — Köchinnen sind grausam,
Und Menschlichkeit wächst nicht in einer Küche —
Die wollte von den Sechsen fünf ertränken,
Fünf weisse, schwarzgeschwänzte Maienkätzchen
Ermorden wollte dies verruchte Weib.
Ich half ihr heim! — der Himmel segne
Mir meine Menschlichkeit! Die lieben Kätzchen,
Sie wuchsen auf und schritten binnen Kurzem
Erhobnen Schwanzes über Hof und Heerd;
Ja, wie die Köchin auch ingrimmig drein sah,
Sie wuchsen auf und Nachts vor ihrem Fenster
Probirten sie die allerliebsten Stimmchen.
Ich aber, wie ich sie so wachsen sahe,
Ich pries mich selbst und meine Menschlichkeit. —
Ein Jahr ist um, und Katzen sind die Kätzchen,
Und Maitag ist's! — Wie soll ich es beschreiben,
Das Schauspiel, das sich jetzt vor mir entfaltet!
Mein ganzes Haus, vom Keller bis zum Giebel,
Ein jeder Winkel ist ein Wochenbettchen!
Hier liegt das eine, dort das andre Kätzchen,
In Schränken, Körben, unter Tisch und Treppen,
Die Alte gar — nein, es ist unaussprechlich,
Liegt in der Köchin jungfräulichem Bette!
Und jede, jede von den sieben Katzen
Hat sieben, denkt euch! sieben junge Kätzchen,
Maikätzchen, alle weiss mit schwarzen Schwänzchen.
Die Köchin rast, ich kann der blinden Wuth
Nicht Schranken setzen dieses Frauenzimmers;
Ersäufen will sie alle neun und vierzig!
Mir selber, ach, mir läuft der Kopf davon —
O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren!
Was fang' ich an mit sechs und fünfzig Katzen! —

Juli

Klingt im Wind ein Wiegenlied,
Sonne warm herniedersieht,
Seine Ähren senkt das Korn,
Rothe Beere schwillt am Dorn,
[300]
Schwer von Segen ist die Flur -
Junge Frau, was sinnst du nur?

Lied des Harfenmädchens

Heute, nur heute
Bin ich so schön;
Morgen, ach, morgen
Muss Alles vergehn!
Nur diese Stunde
Bist du noch mein;
Sterben, ach, sterben
Soll ich allein.

Ritornelle

Schnell welkende Winden —
Die Spur von meinen Kinderfüssen sucht' ich
An eurem Zaun; doch konnt' ich sie nicht finden.
Muskathyazinthen —
Ihr blühtet einst in Urgrossmutters Garten;
Das war ein Platz; weltfern, weit, weit dahinten.
Dunkle Cypressen —
Die Welt ist gar zu lustig;
Es wird doch Alles vergessen.

Einer Todten

Das aber kann ich nicht ertragen,
Dass so wie sonst die Sonne lacht;
Dass wie in deinen Lebenstagen
Die Uhren gehn, die Glocken schlagen,
Einförmig wechseln Tag und Nacht;
Dass, wenn des Tages Lichter schwanden,
Wie sonst der Abend uns vereint;
Und dass, wo sonst dein Stuhl gestanden,
Schon Andre ihre Plätze fanden,
Und nichts dich zu vermissen scheint;
[301]
Indessen von den Gitterstäben
Die Mondesstreifen schmal und karg
In deine Gruft hinunterweben,
Und mit gespenstig trübem Leben
Hinwandeln über deinen Sarg.

Begrabe nur dein Liebstes

Begrabe nur dein Liebstes! Dennoch gilt's
Nun weiter leben; — und im Drang des Tages,
Dein Ich behauptend, stehst bald wieder du.
— So jüngst im Kreis der Freunde war es, wo
Hinreissend Wort zu lauter Rede schwoll;
Und nicht der stillsten einer war ich selbst.
Der Wein schoss Perlen im krystallnen Glas,
Und in den Schläfen hämmerte das Blut; —
Da plötzlich in dem hellen Tosen hört' ich
— Nicht Täuschung war's, doch wunderbar zu sagen —
Aus weiter Ferne hört' ich eine Stille;
Und einer Stimme Laut, wie mühsam zu mir ringend,
Sprach todesmüd, doch süss, dass ich erbebte:
„Was lärmst du so, und weisst doch, dass ich schlafe!“

Abschied
1853

Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen,
Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt;
Die Stunde drängt, gerüstet steht der Wagen,
Es ist die Fahrt der Heimath abgekehrt.
Geht immerhin — denn eure That ist euer —
Und widerruft, was einst das Herz gebot;
Und kauft, wenn dieser Preis euch nicht zu theuer,
Dafür euch in der Heimath euer Brod!
Ich aber kann des Landes nicht, des eignen,
In Schmerz verstummte Klagen missverstehn;
Ich kann die stillen Gräber nicht verleugnen,
Wie tief sie jetzt in Unkraut auch vergehn. —
Du, deren zarte Augen mich befragen, —
Der dich mir gab, gesegnet sei der Tag!
Lass nur dein Herz an meinem Herzen schlagen,
Und zage nicht! Es ist derselbe Schlag.
[302]
Es strömt die Luft — die Knaben stehn und lauschen,
Vom Strand herüber dringt ein Mövenschrei;
Das ist die Fluth! Das ist des Meeres Rauschen;
Ihr kennt es wohl; wir waren oft dabei.
Von meinem Arm in dieser letzten Stunde
Blickt einmal noch ins weite Land hinaus,
Und merkt es wohl, es steht auf diesem Grunde,
Wo wir auch weilen, unser Vaterhaus.
Wir scheiden jetzt, bis dieser Zeit Beschwerde
Ein andrer Tag, ein besserer, gesühnt;
Denn Raum ist auf der heimathlichen Erde
Für Fremde nur und, was den Fremden dient.
Doch ist's das flehendste von den Gebeten,
Ihr mögt dereinst, wenn mir es nicht vergönnt,
Mit festem Fuss auf diese Scholle treten,
Von der sich jetzt mein heisses Auge trennt! —
Und du, mein Kind, mein jüngstes, dessen Wiege
Auch noch auf diesem theuren Boden stand,
Hör mich! — denn alles Andere ist Lüge —
Kein Mann gedeihet ohne Vaterland!
Kannst du den Sinn, den diese Worte führen,
Mit deiner Kinderseele nicht verstehn,
So soll es wie ein Schauer dich berühren,
Und wie ein Pulsschlag in dein Leben gehn!

Der Zweifel

Der Glaube ist zum Ruhen gut;
Doch bringt er nicht von der Stelle;
Der Zweifel in tüchtiger Männerfaust,
Der sprengt die Pforten der Hölle.

Gesegnete Mahlzeit

Sie haben wundervoll dinirt;
Warm und behaglich rollt ihr Blut,
Voll Menschenliebe ist ihr Herz,
Sie sind der ganzen Welt so gut.
[303]
Sie schütteln zärtlich sich die Hand,
Umwandelnd den geleerten Tisch,
Und wünschen, dass gesegnet sei
Der Wein, der Braten und der Fisch.
Die Geistlichkeit, die Weltlichkeit,
Wie sie so ganz verstehen sich!
Ich glaube, Gott verzeihe mir,
Sie lieben sich herzinniglich.

Crucifixus

Am Kreuz hing sein gequält Gebeine,
Mit Blut besudelt und geschmäht;
Dann hat die stets jungfräulich reine
Natur das Schreckensbild verweht.
Doch, die sich seine Jünger nannten,
Die formten es in Erz und Stein,
Und stellten's in des Tempels Düster
Und in die lichte Flur hinein.
So, jedem reinen Aug ein Schauder,
Ragt es herein in unsre Zeit;
Verewigend den alten Frevel,
Ein Bild der Unversöhnlichkeit.

Für meine Söhne

Hehle nimmer mit der Wahrheit!
Bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue;
Doch weil Wahrheit eine Perle,
Wirf sie auch nicht vor die Säue.
Blüthe edelsten Gemüthes
Ist die Rücksicht; doch zu Zeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Goldne Rücksichtslosigkeiten.
Wackrer heimathlicher Grobheit
Setze deine Stirn entgegen;
Artigen Leutseligkeiten
Gehe schweigend aus den Wegen.
[304]
Wo zum Weib du nicht die Tochter
Wagen würdest zu begehren,
Halte dich zu werth, um gastlich
In dem Hause zu verkehren.
Was du immer kannst, zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte deine Seele
Vor dem Carriere-Machen.
Wenn der Pöbel aller Sorte
Tanzet um die goldnen Kälber,
Halte fest: du hast vom Leben
Doch am Ende nur dich selber.

Beginn des Endes

Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
Nur ein Gefühl, empfunden eben;
Und dennoch spricht es stets darein
Und dennoch stört es dich, zu leben.
Wenn du es Andern klagen willst
So kannst du's nicht in Worte fassen;
Du sagst dir selber: „Es ist nichts!“
Und dennoch will es dich nicht lassen.
So seltsam fremd wird dir die Welt,
Und leis verlässt dich alles Hoffen,
Bis du es endlich, endlich weisst,
Dass dich des Todes Pfeil getroffen.

Ein Sterbender

Am Fenster sitzt er, alt, gebrochnen Leibes,
Und trommelt müssig an die feuchten Scheiben;
Grau ist der Wintertag und grau sein Haar.
Mitunter auch besieht er aufmerksam
Der Adern Hüpfen auf der welken Hand.
Es geht zu Ende; rathlos irrt sein Aug
Von Tisch zu Tisch, drauf Schriftwerk aller Art,
Sein harrend, hoch und höher sich gethürmt.
[305]
Vergebens! Was er täglich sonst bezwang,
Es ward ein Berg; er kommt nicht mehr hinüber.
Und dennoch, wenn auch trübe, lächelt er
Und sucht wie sonst noch mit sich selbst zu scherzen;
Ein Aktenstoss in tüchtgen Stein gehauen,
Es dünket ihm kein übel Epitaph.
Doch streng aufs Neue schliesset sich sein Mund;
Er kehrt sich ab, und wieder mit den grellen
Pupillen starrt er in die öde Luft
Und trommelt weiter an die Fensterscheiben.
Da wird es plötzlich hell; ein bleicher Strahl
Der Wintersonne leuchtet ins Gemach
Und auf ein Bild genüber an der Wand.
Und aus dem Rahmen tritt ein Mädchenkopf,
Darauf wie Frühthau, noch die Jugend liegt;
Aus grossen hold erstaunten Augen sprüht
Verheissung aller Erdenseligkeit.
Er kennt das Wort auf diesen rothen Lippen,
Er nur allein. Erinnrung fasst ihn an;
Fata Morgana steigen auf bethörend:
Lau wird die Luft, — wie hold die Düfte wehen!
Mit Rosen ist der Garten überschüttet,
Auf allen Büschen liegt der Sonnenschein,
Die Bienen summen; — und ein Mädchenlachen
Fliegt süss und silbern durch den Sommertag.
Sein Ohr ist trunken. „O nur einmal noch!“
Er lauscht umsonst, und seufzend sinkt sein Haupt.
„Du starbst. — Wo bist du? — Giebt es eine Stelle
Noch irgendwo im Weltraum, wo du bist? —
Denn dass du mein gewesen, dass das Weib
Dem Manne gab der unbekannte Gott, —
Ach, dieser unergründlich süsse Trank,
Und süsser stets, je länger du ihn trinkst,
Er lässt mich zweifeln an Unsterblichkeit;
Denn alle Bitterniss und Noth des Lebens
Vergilt er tausendfach; und drüberhin
Zu hoffen, zu verlangen, weiss ich nichts!“
In leere Luft ausstreckt er seine Arme:
„Hier diese Räume, wo du einst gelebt,
Erfüllt ein Schimmer deiner Schönheit noch;
Nur mir erkennbar, wenn auch meine Augen
Geschlossen sind, von Keinem dann gesehn.“
Vor ihm mit dunklem Weine steht ein Glas,
Und zitternd langet seine Hand danach;
[306]
Er schlürft ihn langsam; aber auch der Wein
Erfreut nicht mehr sein Herz. Er stützt das Haupt.
„Einschlafen, fühl' ich, will das Ding, die Seele,
Und näher kommt die räthselhafte Nacht!“ — —
Ihm unbewusst entfliehen die Gedanken
Und jagen sich im unermessnen Raum. —
Da steigt Gesang, als wollt's ihn aufwärts tragen;
Von drüben aus der Kirche schwillt der Chor.
Und mit dem innern Auge sieht er sie,
So Mann als Weib am Stamm des Kreuzes liegen.
Sie blicken in die bodenlose Nacht;
Doch ihre Augen leuchten feucht verklärt,
Als sähen sie im Urquell dort des Lichts
Das Leben jung und rosig auferstehn.
„Sie träumen,“ spricht er — leise spricht er es —
„Und diese bunten Bilder sind ihr Glück.
Ich aber weiss es, dass die Todesangst
Sie im Gehirn der Menschen ausgebrütet.“
Abwehrend streckt er seine Hände aus:
„Was ich gefehlt, des Einen bin ich frei;
Gefangen gab ich niemals die Vernunft,
Auch um die lockendste Verheissung nicht;
Was übrig ist, — ich harre in Geduld.“
Mit klaren Augen schaut der Greis umher;
Und während tiefer schon die Schatten fallen,
Erhebt er sich, und schleicht von Stuhl zu Stuhl,
Und setzt sich noch einmal dort an den Tisch,
Wo ihm so manche Nacht die Lampe schien.
Noch einmal schreibt er; doch die Feder sträubt sich;
Sie, die bisher dem Leben nur gedient,
Sie will nicht gehen in den Dienst des Todes;
Er aber zwingt sie; denn sein Wille soll
So weit noch reichen, als er es vermag.
Die Wanduhr misst mit hartem Pendelschlag,
Als dränge sie, die fliehenden Sekunden;
Sein Auge dunkelt; ungesehen naht,
Was ihm die Feder aus den Fingern nimmt.
Doch schreibt er mühsam noch in grossen Zügen,
Und Dämmrung fällt wie Asche auf die Schrift:
„Auch bleib' der Priester meinem Grabe fern;
Zwar sind es Worte, die der Wind verweht;
Doch will es sich nicht schicken, dass Protest
Gepredigt werde dem, was ich gewesen,
Indess ich ruh' im Bann des ewgen Schweigens.“

Ghasel

[307]
Vor Fürsten wie im Volksgedräng hab' ich mich immer strack gehalten;
Nie hab' ich von der Joppe viel, nie mehr vom Ordensfrack gehalten.
Stets war des weisen Meisters Spruch für mich von zwingendem Gewicht;
Doch gar nichts hab' ich immer auf des Publikums Geschmack gehalten.
Ein Gläschen Wein, ein traulich Wort mit einem Freunde tauscht' ich gern;
Den grossen Cirkeln hat mich fern der Lärm und der Tabak gehalten.
Die Menschheit hielt ich immer hoch, und manchen Menschen hebt' ich auch,
Die Mehrzahl aber hab' ich stets, verzeih' mir's Gott, für Pack gehalten.
Noch blinkt des Mondes Silberkahn, der Sonne goldnes Schiff wie neu
Doch diesen Erdball hab' ich oft schon für ein altes Wrack gehalten.

Ermunterung

Fort mit deinem alten Laster!
Allen Missmuth ausgefegt!
Für die Wunden, die es schlägt,
Reicht das Leben auch das Pflaster.
[308]
Riss der Strom hinweg die Brücke,
Muthig in den Kahn hinein!
Nahm die Kugel dir ein Bein,
Greife rüstig nach der Krücke!

Glosse

„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang.“
Gut.
Doch wer es thut?
Wer Weiber liebt, der wird zum Narren;
Die Sänger haben ihren Sparren;
Und gar der Wein, wie allbekannt,
Bringt seine Leute vom Verstand.
Drum, du guter
Doktor Luther,
Es treib' es einer, wie er woll',
Wir bleiben sammt und sonders toll.

Mit Unterschied

A. Wenn Einer mit der Feder Wucht
Den Andern abzuschlachten sucht,
Das hab' ich immer wüst gefunden.
B. Nur Schuld des Schlächters wäre das:
Apollo hat den Marsyas
Gewiss mit Grazie geschunden.

Das lesende Publikum

Das Publikum ist eine Kuh,
Die grast und grast nur immer zu;
Kommt eine Blum ihr vor die Nas,
Die nimmt sie mit und fragt nicht: was?
Ist ihr wie andres Futter auch,
Beschäftigt das Maul und füllt den Bauch.

Ausgleichung

Wenn du um eine Geistesthat
So von der Mitwelt wirst geschmäht,
Dass selbst der Freund, der Kamerad
Dir schaudernd aus dem Wege geht:
[309]
Dann hoch das Haupt und hoch den Sinn!
Dann lache der gelehrten Herrn!
Denn über alle hoch dahin
Geht leuchtend deines Geistes Stern.
Doch wenn sich's wendet, wenn's nun heisst:
Man that dem Mann zu viel der Schmach!
Dann eingezogen! es beweist:
Nun kommen dir auch Andre nach.
Und wenn man endlich Ruh dir gönnt,
Und noch ein Stückchen Ruhm dazu:
Dann, Alter, hat's mit dir ein End,
Dann ist die Welt so klug wie du.

Aus dem Grabe
Märklin

Indessen du voll Kummer
In deinem Bett gewacht,
Lag ich in sanftem Schlummer
Im Grab die erste Nacht.
Um mich, du mein Gefährte,
Gräme dich nicht zu sehr;
O glaube mir: die Erde
Ist keinem Guten schwer.
Des Tages banger Schwüle,
Des Streites Lärm entrückt,
Ach, wie mich hier die Kühle,
Die Stille mich beglückt.
Es steigt fortan mein Wollen
In Bäumen schlank empor;
In Blumen, düftevollen,
Bricht mein Gefühl hervor;
Und sprosst vom Grabesboden
Ein Lilienstengel auf,
Den reich' ich von den Todten
Dir, lieber Freund, hinauf.

Im Concert

[310]
Da sitz' auf der Gallerie,
Wie es dem Grame ziemt, im Dunkeln;
Im Saale drunten sitzet sie,
Wo viele hundert Kerzen funkeln.
Die Töne flattern durch den Saal,
Wie Vögelchen in Lust und Scherzen:
Ich denk' an dich, du meine Qual,
Du denkst an mich, ich spür's im Herzen.
Wir lauschen gleicher Harmonie
Mil gleichgestimmten, reinen Sinnen:
Ach, konnten denn die Herzen nie
Den gleichen Schlag und Ton gewinnen?
Doch tief und tiefer sinket schon
Der Geist in träumendes Erinnern,
Vernimmt statt Horn- und Flötenton
Nur noch das Schmerzenslied im Innern.
Die Töne schweigen, und zu Zwein
Verlassen Glückliche die Schwelle:
Ich geh' allein, sie geht allein,
Ein jedes nach der öden Zelle.

Aus dem Krankenzimmer

1. An Rapp

Du nimmst als Strebenden
Den kranken Mann,
Siehst als noch Lebenden
Den Todten an.
O rufe nicht zur Wehr,
Mich nicht zum Thun;
Mir ziemt kein Kämpfen mehr,
Mir ziemt nur Ruhn.
Lieg' ich im Bette hier
Wie in der Gruft,
Steigt der Gedanke mir
Hoch in die Luft;
Ich überschau' als Schwan
Mit Vogelblick
Des Lebens wirre Bahn
Und mein Geschick.
[311]
Nicht war, was ich geschafft,
Allwege gut.
Ach, bald gebrach's an Kraft
Und bald an Muth.
Hier von des Glückes Huld
Ward ich begrüsst;
Dort hab' ich eigne Schuld
Wie schwer gebüsst.
Das, halb im Traume, geht
An mir vorbei,
Mein Leben ist verweht,
Und ich bin frei.
Was blieb dir, Seele, nun,
Als dass mit Ernst
Du in dir selber ruhn,
Du sterben lernst?

2.

Wem ich dieses klage,
Weiss, ich klage nicht;
Der ich dieses sage,
Fühlt, ich zage nicht.
Heute heisst's: verglimmen,
Wie ein Licht verglimmt,
In die Luft verschwimmen,
Wie ein Ton verschwimmt.
Möge schwach wie immer,
Aber hell und rein,
Dieser letzte Schimmer,
Dieser Ton nur sein.

Mutter und Kind

[312]
Lieb Mutter, was leuchtet so golden und klar
Des Schwesterchens dunkles Augenpaar?
So leuchten die goldnen Kugeln kaum
In heiliger Christnacht am Tannenbaum.
„Dass Schwesterchens Augen so leuchtend sind,
Das macht die Liebe, mein liebes Kind!
Sie blickt heraus, sie blickt hinein
Und giebt dem Auge den goldnen Schein.“
Ich liebe dich, Mutter! O sieh doch schnell,
Sind meine Augen jetzt auch so hell?
„Ja, hell wie Gold!“ Und die deinen gar,
Liebe Mutter, die sind wie die Sonne so klar.

Leuchtend aus dem Lindengrün,

[313]
Leuchtend aus dem Lindengrün,
Wo die Nachtigallen schlagen,
Wiederseh' ich nun das Kreuz
Meiner alten Kirche ragen,
Und gedenke feuchten Blicks:
Ach, es ist schon lange Jahre,
Dass auch ich, ein gläubig Kind,
Dort gebetet am Altare.
Jeden Sonntag bin ich dort
Meinem Jugendlieb begegnet,
Und der gute Priester hat
Uns zusammen eingesegnet.
Lang ist's her! Ich hab' seitdem
Weisheit dieser Welt erworben,
Längst in meinem klugen Kopf
Ist der liebe Gott gestorben.
[314]
Wir sind selbst uns Gott genug,
Lassen keinen andern gelten,
Denn wir sind der Geist des Alls,
Denn wir sind das Herz der Welten.
In das enge Haus von Stein
Wird uns keine Predigt locken,
Aber deiner, frommes Lieb,
Denk' ich doch beim Klang der Glocken;
Und mein Blick umfloret sich,
Seh' ich, wie in Jugendtagen,
Friedlich aus dem Lindengrün
Unsre alte Kirche ragen.

Einst wirst du schlummern

[315]
Ab Nachts auch thränenfeucht dein Pfühl,
Und heiss die ruhelosen Lider,
Einst wirst du schlummern sanft und kühl,
Und keine Sorge weckt dich wieder.
Vergehe nicht in Angst und Qual,
Es eilt die Stunde, dich zu retten;
Vier Bretter nur braucht's dünn und schmal
Ein müdes Menschenherz zu betten.
Und du auch findest eine Hand,
Die Augen sanft dir zuzudrücken,
Mit einer Blume, einem Band
Dir deinen Sarg noch auszuschmücken.
Der Tod bringt Ruhe deinem Harm,
Die dir das Leben nie vergönnte,
Halt aus: es ist kein Mensch so arm,
Dass er nicht endlich sterben könnte.

Die Nagelschmiedin

[316]
Was klopfet, was schmiedet das reizende Weib?
Zum Ambos gebeuget den schlanken Leib
Einen zierlichen Hammer sie schwinget;
Dunkle und helle,
Süsse und grelle
Lieder zum Takt sie singet.
Das Feuer, es sprühet in blutrothem Schein,
Mitunter wohl spritzet sie Wasser hinein,
Doch schnelle zum Blasebalg wieder
Hebt sie das linke
Füsschen und flinke
Tritt sie ihn auf und nieder.
[317]
Wie strahlet, wie blitzet ihr Auge dazu!
Es stähl' einem Engel im Himmel die Ruh.
Auf der lächelnden Lippen Grunde
Glänzen und gleissen
Schneehell die weissen
Zähnchen ihr aus dem Munde.
Es rollen die Locken ihr übers Gesicht,
Wie blinket und züngelt ihr goldenes Licht!
Das sind ja die funkelnden Schlangen,
Die mit den Ringen,
Die mit den Schlingen
Zauberisch mich gefangen.
Was beugt sich, was lächelt, was strahlet und blitzt,
Was klopfet, was hämmert, was glühet und spitzt
Die Geheimnissvolle, die Arge?
Grosse und kleine,
Grobe und feine
Nägel zu meinem Sarge.

Das ersehnte Gewitter

Es glüht das Land, es lechzet
Die ausgebrannte Au,
Jedwedes Wesen ächzet
Nach einem Tropfen Thau.
O Himmel, brich! Entschliesse
Dies Blau aus sprödem Stahl,
Nur Regen, Regen giesse
Herab ins schwüle Thal!
Er hört. Im Westen webet
Und spinnt ein grauer Flor;
Er ballt sich, schwillt und schwebet
Als Wolkenberg empor.
Jetzt mit den Feuerzügeln
Fährt auf der jähe Blitz
Und auf den luftgen Hügeln
Löst er sein Feldgeschütz.
[318]
Heut hat man bass geladen,
Es zuckt wie gestern nicht
In fahlem Schwefelschwaden
Ein stumm verglühend Licht.
Es kracht. In Ketten wandern
Die dumpfen Donner fort,
Von einer Wacht zur andern
Rollt hin das Schlachtenwort.
Was athmet, rauscht und sauset?
Frisch auf! Der Sturmwind naht,
Der Wald erbebt und brauset,
In Wogen geht die Saat.
Schon dampft ein Meer von Würzen
Aus der behauchten Welt,
Und satte Wetter stürzen
Auf das geborstne Feld.

Vor der Trauung

1.

Hast dir die Augen roth geweint, als sei dir Leids geschehn —
Geh, wasche sie am Brunnen aus, der Vater mag's nicht sehn.
So recht! nur tüchtig eingetaucht, nur ganz hinab gebückt,
Und nimm den Myrthenkranz in Acht, er ist schon halb zerdrückt.
Ei Kind, mir ging's einst auch wie dir — 's ist so der Welten Lauf.
Die Sonne scheint nicht jeder Braut — geh, schürz den Rocksaum auf.
'S wird noch ein Viertelstündchen sein, bevor's zur Kirche geht,
Komm, setzen wir uns auf die Bank, dort, hinterm Nelkenbeet.
Schau, schau! Der Nachbar, seh' ich recht, spannt heut die Schimmel ein.
Das thut er dir zu Ehren, Kind — er grüsst — so dank doch fein!
Noch einmal, nochmals! So ist's gut. Streich von der Stirn das Haar!
Ja, ja — was sagt' ich noch ? Schon recht! Es schneit auf manches Paar!
Hab' damals auch wie du geschluchzt, geweint, dass Gott erbarm'!
Ich glaubt', ich hielt es gar nicht aus, ich stürbe schier vor Harm.
Dein Vater war mir viel zu barsch, zu handfest und zu rauh —
Was so ein Mann im Hause gilt, das merkt man erst als Frau.
Nun freilich ein solch armer Narr, der eben achtzehn zählt,
Der glaubt das nicht! Komm, sag nun selbst, was deiner Mutter fehlt?

2.

[320]
Drückst mir die Hand? Nun? hab' ich Recht? — Ei sicher! Gott sei Dank!
Feg aber mit dem weissen Kleid den Staub nicht von der Bank!
Sieh, als dein Vater dazumal zu meinem kommen ist,
Da war ich auch solch Mutterkind, wie du es jetzt noch bist.
Am Besten, dacht' ich, gar nicht frein. Müsst's aber dennoch sein,
Gut! Mindestens ein Blauaug dann mit Rosenwängelein!
Du liebe Zeit! Wer fragte mich? Hier, hiess es, ist dein Mann!
Geschwind dein Hochzeitshemd gewebt! Mach's sauber, streng dich an!
Da zog ich wohl die Lippe breit und weinte manchen Tag —
Das Hemd ward aber doch gewebt, und kam ins Brautgemach;
Und kam mit mir ins Hochzeitsbett und endlich in den Schrank,
Wo's heute noch in Ehren liegt — in Ehren, Gott sei Dank!
Und nach und nach, was sollt' ich thun! wischt' ich die Thränen ab,
Schloss Frieden mit dem seltnen Kuss, den mir dein Vater gab,
Fand seine Hand nicht mehr zu derb, wenn er die meine nahm,
Fand Lust an seinem Ebenbild, als wirklich eines kam —
Ja, ja, und nun das Dutzend voll, was freut mich's früh und spät,
Wie ihr der ganzen Reihe nach dem Vater ähnlich seht!

3.

Reck doch einmal den Kopf und schau ob sich der Weg belebt,
Und ob denn immer noch im Feld des Kantors Ursel gräbt.
Noch immer? — 's ist ums liebe Brod, dass sie sich plagt und müht,
Da sieht sich's freilich bitter an, wenn Andrer Weizen blüht!
Nun, einen Bauern wollt' sie nicht. Was Gut, was Haus und Geld?
Ja Gut und Haus! Jetzt plagt sie sich für Geld auf fremdem Feld.
Geh, ruf ihr durch die hohle Hand, es sei für heut genug!
Wenn sie sich etwas sputet, kommt sie noch zum Hochzeitszug.
Hat sie's gehört? Sie nickt. Schon gut! hier, steck den Gulden bei,
'S ist just ein blanker! Gieb ihn ihr, wenn Alles erst vorbei.
Doch — gieb ihn mit der linken Hand! Denn wer da gern bescheert,
Dem thut die Rechte doppelt noth, die neu erwirbt und mehrt.
Und eins noch! Gieb ein andermal nicht Geld, gieb Trank und Speis,
Gieb Kleidung, gieb, was Arbeit macht, was neu dich spornt zum Fleiss.
Halt deine Hand, wenn's geht, vom Geld, du gäbst, du nehmest nun.
Der Thalersack gehört dem Mann — verstehst? — lass du ihn ruhn.
Lach immerhin mit Aug und Mund, wenn da ein neues Feld,
Ein neues Vieh erworben wird, doch lache nie dem Geld.

4.

[321]
Ei sieh, wie drall der Kati doch ihr Barchentmieder steht,
Und wie so blankgewaschen ihr der Veit zur Seite geht!
Der war ein ungekämmter Strolch, als ihn die Kati nahm,
Kein heiles Wamms, kein heiler Strumpf, zerlumpt sein ganzer Kram.
Ein Stiefel an dem rechten Fuss, am linken Fuss ein Schuh;
Und was der Knopf nicht schliessen wollt', das hielt der Finger zu.
Jetzt trägt er, was nicht Jeder kann, die Joppe überm Arm,
Nur dass sein Hemd zu Ehren komm', denn's ist just nicht zu warm.
Und aus dem blanken Stiefel guckt der weisse Strumpf heraus;
Das sieht man da nur, wo ein Weib auf Ordnung hält im Haus.
Der Brustlatz ist geflickt — je nun! du weisst ja wie es heisst:
Bei Seif und Nadel ist's, wo sich der Hausfrau Fleiss erweist.
Ja Bäbi, ob's der Toni mög', ob nicht, 's ist einerlei,
Putz du an ihm und seinem Staat, als ob's dein Püppchen sei.
Du selber guck mir nur ins Glas, wenn's eben nöthig ist,
Damit, wenn er nach Hause kommt, du glatt und sauber bist.
Und achte drauf, was ihm gefällt, sei's nun ein Tuch, ein Band —
Schmückst du für ihn dich, da ist's Schmuck, für Andre — da ist's Tand!

5.

Was nun ? — Tritt nur den Saum nicht ab! Bist doch ein närrisch Ding!
Fährst du um eine Spinne auf, als ob's ans Leben ging!
Gut, dass der Toni noch nicht da! Wenn der das hätt' gesehn.
Da konnte dir es just so schlimm, wie einmal mir ergehn.
Ein halbes Schock in Strumpf und Schuh — ja! so durch Schabernack
Kurirt gar mancher Mann die Frau, ob's auch nicht ihr Geschmack.
Nun, nun! Zerpflück nur nicht das Band und häng nicht so den Kopf —
Wer nicht gleich Fersengeld bezahlt, den fasst man nicht beim Schopf.
'S ist ja nicht um das winzge Thier, 's ist nur um den Respekt.
Was geht den Mann der Hase an, der uns im Zeuge steckt?
Was geht es Grossknecht an und Knecht? Die merken's nur zu bald.
Ob immer noch der Herr zu Haus, wenn er schon längst im Wald.
Und Eins noch. Wer die Uhren stellt, das, präg dir's ein, bist du!
'S ist auch nur ein ganz winzig Ding, doch kommt's der Hausfrau zu.
'S ist eben auch um den Respekt, und dass die Leute sehn,
Es muss im Hause nach der Schnur, und zwar nach deiner, gehn.
Und dann — die frühste aus dem Bett, die späteste darein —
Wenn ihren Vortheil sie versteht, wird's auch die Bäbi sein.

6.

[322]
Still, läutet's nicht? — Ei freilich, ja! Da ist es hohe Zeit!
Komm, tummle dich, der Toni ist gewiss schon längst bereit.
Streif nur nicht mit der Schürze an, und hier — hab Acht aufs Kleid!
Es macht sich rechts und links am Weg der Flieder gar so breit.
Hast doch das Buch? Schon recht, ich seh's — Und das gestickte Tuch?
Nun hebe nur die Füsse auf! 's ist so schon Staub genug.
Ei Kind, das Augenwasser tropft aufs nagelneue Band,
Da, sei verständig! Kommst ja nicht in fremder Herren Land,
Wirst nicht als Magd verdingt — hier nimm, und stäube ab die Schuh —
Freist einen braven, wackern Mann, und Haus und Hof dazu.
Hast Leinenzeug — o Töchterli, das Schwatzen thut's nicht mehr!
Da kommt der Regen auch bei mir — du machst mir's gar zu schwer.
Noch einen letzten, letzten Kuss, hier unterm Apfelbaum —
'S ist mir, dass ich dich von mir geb', ja selber wie ein Traum.
Das Alter kommt, jetzt merk ich's wohl, die Jungen fliegen aus;
Noch ein paar Jahr, wenn ich's erleb, und es wird still im Haus.
Nun, Gottes Segen — He, wer ruft? Ei Sapperment! da sieh
Den Toni selbst auf seinem Fuchs! Ist das ein saubres Vieh!

In dunkler Stunde

[323]
Nimm mir dies Heimweh auch, dies grenzenlose,
Dies Himmelsheimweh nimm mir fort, Gedanke,
Das mir die Seele wund und müde quält!
Du nahmst mir alles, alles, was ich hatte,
Des Glaubens süssen Wahn, der Liebe Wärme,
Die Gottesfülle in der eignen Brust —
Du nahmst mir alles, eines um das andre.
Mit kalter Hand, mit ruhig sichrem Lächeln:
Nur jenes Heimweh hast du mir gelassen,
Unendlichkeitverlangend schreit es auf
Im tiefsten Herzensgrunde immer wieder,
Es ruft, es klagt, es fragt — doch ohne Antwort
Starrst du mich an in kalter, kahler Ruhe —
Du hast sie nicht, die Antwort; nur der Glaube,
Er hätte sie — den hast du mir verscheucht —
Die Liebe auch — die hast du mir genommen
Und meinen Gott dazu — so nimm denn auch
Dies grenzenlose Heimweh weg, Gedanke!

Eduard Mörike

[324]
Der du, schon Greis, mit jugendfrischem Wort
Einst den verzagten Jüngling aufgerichtet,
Was du mir sprachst, lebt mir im Herzen fort,
In allem lebt's, was seitdem ich gedichtet.
Du sprachst: „Lass immer stauen sich den Bach
An schattenloser Blosse eine Weile!
Es ist nicht noth, dass allezeit er jach
Stürmt durch Gestein und Wald in toller Eile.
Lass ihn nur stehn, hinträumend schwermuthvoll,
Von Algen und von Linsen übersponnen,
Und träumend zweifeln, was er will und soll —
Ihn speist ganz stille doch der ewige Bronnen.
Und plötzlich schiesst er jubelnd wieder fort,
Springt über Felsen wie im Kinderspiele,
Tauscht mit dem Walde manch bedeutsam Wort
Und kommt zur rechten Zeit zum rechten Ziele.“
So sprachst du, wiegtest lächelnd leis das Haupt,
Das edle Haupt mit seinen Silberlocken;
Getröstet hab' ich deinem Wort geglaubt
Und glaub' ihm noch, so oft mein Lauf will stocken.
Der deine kam schon lang zur selgen Rast,
Ich ziehe weiter auf bestaubten Wegen —
Doch wohl mir, dass du mir gegeben hast
Auf alle Wege deinen milden Segen!

In der Ernte

In der Scheune ist der Erntewagen,
Aus dem Fenster schaut der reiche Bauer,
Draussen über dürre Stoppeln tragen
Abendwinde noch ein Lied der Trauer,
Wehen um die Stirn des armen Kindes,
Das dort sammelt die vergessnen Ähren —
Wenig Ähren zwischen Stoppeln sind es,
Und das Sammeln kann nicht lang mehr währen.
Hungrig kehrt das arme Kind nach Haus,
Was es bringt, mag keinen Kummer wenden:
Wenig Ähren und in müden Händen
Einen sonnversengten Blumenstrauss.

Am Gartenthor

[325]
Das ist das alte Gartenthor,
Durch das ich oft allein
Bei Mondenschein und Sommerpracht,
In kalter, klarer Winternacht
Ging sehnend aus und ein.
Hier an der Mauer noch der Stein,
Wo ich den Schlüssel fand —
Doch höher sich der Epheu reckt.
Hat schweigend auf den Stein gedeckt
Die grüne Blätterhand.
Kaum mag ich rühren an den Stein —
Mir ist, ich fände doch
Zu Freud und Leid der alten Zeit,
Die eingesargt und weit, so weit.
Den alten Schlüssel noch!

Es war einmal -

Ich stand einmal an des Waldes Saum
Und schnitt deinen Namen in einen Baum.
'S war thöricht und kindisch — ich that es doch -
Dort steht dein Name bis heute noch.
'S war kindisch und thöricht — doch thörichter ist,
Dass mein Herz diesen Namen nimmer vergisst;
Und kindischer, dass ich tagaus, tagein
Mich sehne, mit dir wieder Kind zu sein.

Trompeter blas!

Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Hört ihr seine Wogen grollen?
Sie schiessen dahin mit Gewitterschein,
Sie zürnen wie Donners Rollen,
Sie bäumen wie knirschende Rosse sich hoch:
„Wollen sehn, wer uns zwingt in das fremde Joch!“
Und das Echo der Felsen schmettert drein:
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
[326]
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Vernahmt ihr der Lorlei Singen?
„Ihr Büblein von drüben, willkommen fein!
Mein Liedlein soll lustig euch klingen!
Mein Brautlied, mein altes, das lautet: Tod!
Mein Brautkleid färb' ich mit Blute roth,
Brautführer sollen die Deutschen sein“ —
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Zu Aachen krachen die Grüfte,
Es schreitet der Kaiser im Mondenschein
Zum Rhein durch die brausenden Lüfte,
Zu Rüdesheim pflanzt er das Banner auf —
Vom Odenwald rasselt in rasendem Lauf
Durch die Nacht hernieder der Rodenstein:
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!
Und seht ihr die schwarzen Schaaren?
Hoch über die Berge und Wälder herein
Kommen Lützows Jäger gefahren;
Sie jagen rheinauf, sie jagen rheinab,
Und der alte Blücher entsteigt dem Grab:
Nicht länger schlummert der Helden Gebein —
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Blas, blas Trompeter! Zum Rhein, zum Rhein!
Ihr Brüder, hört ihr es schmettern?
Die Helden sollen zufrieden sein
Mit uns in des Sturmes Wettern!
Die Fahne hoch und die Schwerter scharf!
O glücklich, glücklich, wer reiten darf,
Wenn es tönt landaus, wenn es tönt landein:
Trompeter blas! An den Rhein, an den Rhein!

Einsam verglüth jedwede Sonne ihr reiches Leben

[327]
Einsam verglüht jedwede Sonne ihr reiches Leben;
Alles, was ist, ist einmal nur, Kleines und Grosses,
Und es ruht sein Dasein
Tief in der Einsamkeit eigensten Wesens.
Und wenn du weinst, so rinnt deine Thräne
Aus einem Herzen, das einsam ist,
Und deine Freuden sind eigne Freuden,
Allein verstanden und nur empfunden
Von dir allein.

O, bist du, wie ich dich träume

O, bist du, wie ich dich träume,
Und lügt dein Auge nicht,
Und hält die Seele Alles,
Was deine Schönheit verspricht:
Dann bist du die Erfüllung
Des Wunsches, welcher tief
In meiner tiefsten Seele
Träumend und dämmernd schlief.
[328]
Dann bis du des Herzens Heimath,
Nach der es sich immer gebangt,
Dann bist du, was ich nicht kannte,
Und was ich immer verlangt.
Dann ist zu meinem Fühlen,
Zum Streben hier und dort,
Zu allen meinen Gedanken
Dein Bild das richtige Wort.
Dann bist du schon lange mein Himmel
Und lange mein grösster Schmerz,
Bist meiner Liebe Lieben
Und meines Herzens Herz.

In der Nacht

Die Sterne schimmern durch die Nacht
Auf meine einsam traurige Wacht;
Ich denk' an die fernen Lieben;
Ich denk' an die lang entschwundne Zeit;
Wie ist so Vieles doch so weit,
Wie Weniges ist geblieben!
Wie oft schon hab' ich in der Nacht
Gestanden so, und so gedacht,
Wenn dunkel lagen die Gassen,
Wenn fern ein einsamer Tritt verhallt,
Und Stund auf Stunde vom Thurm geschallt,
Gleichgültig und gelassen.
Was hab' ich nicht schon Alles gefühlt,
Wenn Nachtluft mir in den Haaren gespielt —
Was soll unser Fühlen und Denken!
Ein ewiges Wandeln, ein stetes Vergehn;
Wir können's nicht ändern und lassen's geschehn
Was soll unser Fühlen und Denken!
In solcher einsamen, stillen Nacht
Ist eine Frage im Herzen erwacht,
Die will ihre Antwort hören;
Die stürmt zum hohen Himmel hinauf,
Die möchte die Sterne in ihrem Lauf
Mit ihrem Verlangen stören.
[329]
Ich kenne sie, ich schau' ihr zu;
Sie stürmt sich müde, und kehrt zur Ruh,
Und geht wie Alles schlafen;
Uns unter dem sternigen Himmelsraum,
Uns Schläfern bleibt ja noch der Traum,
Wenn wir es glücklich trafen!

Du musst nicht fragen, was das Leben will

Du musst nicht fragen, was das Leben will,
Es quellt und blüht; die Wolke jagt im Winde;
Es stürzt der Strom hinab zum starken Meer;
Es zuckt der Blitz und fragt nicht, wo er zünde.
Und du mit deines Herzens voller Welt,
Du hängst dich an die schwankenden Gestalten,
Du nimmst sie auf, du giebst dich hin, du liebst,
Du willst die flüchtgen, wechselnden erhalten!
Die aber fliehn in regellosem Spiel,
Das Liebste siehst du endlich dir entschwinden;
Ohnmächtig blickst du nach und blickst umher,
Wo in der Welt ein Ewges dir zu finden!
Dann plötzlich wirst du tief betroffen still,
Wenn lang vergeblich suchten die Gedanken,
Auf schwankem Grund fühlst du dich selber schwanken -
Du musst nicht fragen, was das Leben will!

Fragment

Lass ab, mein Herz, es ist Nothwendigkeit,
Lass ab, du siehst, es ist ein Gotteswille;
Dein kalter Gott, er kennt nicht Lust und Leid,
Und fragt nicht, ob sich eine Sehnsucht stille.
So geh durchs Leben gross und kalt wie er,
Verlerne du, zu wünschen und zu klagen,
Vom Leben hier erwartest du nichts mehr,
Vielleicht kann dir der Tod die Antwort sagen.
Du stirbst dann ohne Beten, ohne Bitten;
Und kann er's nicht, so war die Fabel Spott,
Dass einst ein Gott für uns gelitten,
Dann leidet nur der Mensch für Gott. —

Die Märchen

[330]
Dies Eine möcht' ich gerne wissen,
Woher die Menschen die Märchen haben,
Die Märchen von den Paradiesen
Und von den schönen Zaubergaben;
Und von den Alles liebenden Göttern,
Die alles Weh am Ende lindern,
Den heilgen Weltfamilienvätern,
Und von den Geschöpfen, ihren Kindern.
Das winkt so vertraut, so heimathferne,
Mit solchen altbekannten Zügen:
Die Märchen, die Märchen! Ich wüsste zu gerne,
Wie sie entstanden, die süssen Lügen. —

Was ist das Glück?

Du fragst:
Was ist das Glück? ein wunderlicher Name;
Fast nichts, als Fähigkeit, glücklich zu sein:
Wir suchen's früh als Kleinod ausser uns,
Und finden's spät in uns als den Entschluss,
Uns zu begnügen.

Wie alt ich bin, — ich sag' es euch nicht

[331]
Wie alt ich bin, — ich sag' es euch nicht,
Es steht mir auch im Angesicht
Der Taufschein nicht geschrieben;
Zum Weisen bin ich noch zu jung,
Zum Thoren hab' ich lang genung
Mich durch die Welt getrieben.
Ich küsste manchen rothen Mund,
Ich sass an manches Tisches Rund
Und manchem Ross im Bügel;
Doch hab' ich auch grob Holz gehackt
Und manche harte Nuss geknackt,
Geweint auf manchem Hügel.
Doch lässt sie nimmer noch mich los,
Hält immer noch mich auf dem Schooss,
Die blondgelockte Jugend;
Ob ich in Falten zieh' die Stirn,
Kommst doch mir nicht in Herz und Hirn,
Gebenedeite Tugend!
[332]
Muss immer noch den schönen Fraun
In die Verräther-Augen schaun,
Ihr mögt mich drum beneiden,
Mach' gar zu gern die Lippen nass,
Kann immer noch kein volles Glas
Und auch kein leeres leiden.
Bei Blumenduft und Vogelsang
Wird mir nicht Zeit und Weile lang
Im tiefen Waldesschweigen;
Zum Singen und zum Wandern drängt
Mein Sehnen, und der Himmel hängt
Mir immer noch voll Geigen.
Ich sag' es euch nicht, wie alt ich bin
Und wie jung, wie jung noch Herz und Sinn,
So soll's auch bleiben künftig,
Die fröhliche Kraft, der wagende Muth
Und ach! das liebe, sündige Blut
Wird auch wohl nie vernünftig.
Liebfrauenmilch, Liebfrauenmund,
Kommt her, ich bin der Dritte im Bund,
Den sollt ihr nicht verschmähen;
Und trink' ich die Eine bis auf den Grund,
Und küss' ich den Andern noch so wund,
Kein Hahn hat danach zu krähen.

Rothhaarig ist mein Schätzelein

Rothhaarig ist mein Schätzelein,
Rothhaarig wie ein Fuchs,
Und Zähne hat's wie Helfenbein
Und Augen wie ein Luchs.
Und Wangen wie ein Rosenblatt
Und Lippen wie ein Kirsch,
Und wenn es ausgeschlafen hat,
So schreitet's wie ein Hirsch.
Im Köpfchen sitzt ihm ein Kobold,
Ein Grübchen in dem Kinn,
Ein Herzchen hat es klar wie Gold
Und kreuzfidelen Sinn.
[333]
Wie ein Silberglücklein spricht's und lacht's,
Wie eine Lerche singt's,
Und tanzen kann's und Knixe macht's,
Und wie ein Heuschreck springt's.
Und lieben thut's mich, Zapperlot!
Das weiss, was Lieben heisst,
Und küsst es mich — Schockschwerenoth!
Ich denk' manchmal, es beisst.
Doch weiter kriegt ihr nichts heraus,
Und fragt ihr früh und spat,
Es kratzt mir sonst die Augen aus.
Wenn ich noch mehr verrath.

Blaublümlein spiegelten sich im Bach

Blaublümlein spiegelten sich im Bach
Und riefen den eilenden Wellen nach:
Vergissmeinnicht!
Die lachten: Wir müssen zum Meere hin,
Und aus den Augen ist aus dem Sinn.
Vergissmeinnicht!
Blauäuglein hatte ein Mägdelein,
Die strahlten dem Knaben ins Herz hinein:
Vergissmeinnicht!
Der Knabe zog in die Welt hinaus,
Da blühte und welkte manch Blumenstrauss.
Vergissmeinnicht!
Und als er allein auf unendlicher See,
Da grüssten ihn Sterne, da fasst' ihn ein Weh,
Vergissmeinnicht!
Aus rauschenden Wogen sangen herauf
Die Tropfen im Meere aus Bächleins Lauf:
Vergissmeinnicht!

Zagen ud Klagen

Zagen und Klagen
Mag ich nicht leiden,
Soll es entscheiden.
Sieh mir ins Auge, sag ob du mein,
Kurz wie ein Herzschlag: ja oder nein!
[334]
Dich zu besiegen
Ist mein Verlangen,
Wiegen und Schmiegen
In heissem Umfangen.
Flieg an die Brust mir mit jauchzendem Muth,
Zehrend wie Feuer ist sehnende Gluth.
Bist du zu geben
Alles gesonnen,
Schweben und beben
Sollst du in Wonnen.
Zaudre nicht, wäge nicht, rufe nicht Halt!
Stark wie der Sturm ist der Liebe Gewalt!

Tief im Schoosse der Gewässer ruhet das versunkne Bild

[335]
Tief im Schoosse der Gewässer ruhet das versunkne Bild,
Dehnt die weissen Marmorglieder durch das grüne Meergefild.
Ehemals auf hohem Sockel ragte es am sonngen Strand,
Doch die Zeit ergriff es neidisch, warf es in des Meeres Sand.
Und der Fischer, sein nicht achtend, lenkt den Kahn darüber hin,
Blickt nur in die schwarzen Augen seiner schmucken Fischerin.
Und die Sterne schauen leuchtend von der lichten Wolkenbahn
Auf das Bild in blauen Wellen, auf die Liebenden im Kahn.
Wenig Jahre — und verschwunden sind der Fischer und sein Lieb,
Und vom Kahn, der sie geschaukelt, weder Brett noch Balken blieb.
Andres Volk in andern Kähnen wiegt sich nun an gleichem Ort,
Kommt und schwindet mit den Zeiten, zieht mit Well und Wolke fort.
Nur das Bild aus klaren Tiefen schauet unverwandt herauf,
Und die Sterne in den Höhen gehn den alten stillen Lauf.
Zwiesprach webt in Sommernächten, erdenfremd und gross und mild,
Von dem Bild wohl zu den Sternen, von den Sternen zu dem Bild.

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TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Deutsche Lyrik der Gegenwart seit 1850. Eine Anthologie mit biographischen und bibliographischen Notizen, hrsg. von Ferdinand Avenarius. Aus den Quellen. Dresden 1882.. Deutsche Lyrik der Gegenwart seit 1850. Eine Anthologie mit biographischen und bibliographischen Notizen, hrsg. von Ferdinand Avenarius. Aus den Quellen. Dresden 1882.. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43CD-8