Vorwort

[2]

[...] erotischen Empfindens, berauschender Leidenschaften, der Lebenslust und des Lebensüberdrusses bildet den stärksten Contrast zu Carl M. Klob, bei dem gesteigerte Sensibilität die keuschen, innigen und manchmal träumerischen Töne der classischen Schule modern austönen lässt. Manche seiner Gedichte sind von einer feinen novellistischen Ader durchpulst. Hochgeistig, abstract, philosophisch an Nietzsche und Stirner geschult, äußern sich Karl von Levetzows Sondergefühle und Übergedanken. Hugo von Hofmannsthal, ein Stephan George verwandter Dichtertypus, in allen Zweigen des schönen Wissens und der Classik gebildet, ist ein Culturschilderer, der das Neuerrungene der formenden Künstler in sich aufgenommen und verdichtet hat und es jetzt in raffiniert feine Formen gießt, als Augenweide für seltsame, überfeinerte Culturmenschen, die nicht mehr tief drinnen im Leben stehen, sondern verträumt neben dem Leben einherwandeln. Eine seltsame Erscheinung ist Arnold Hagenauer. Er sucht das Nirwana, die Auflösung in das ewige Nichts. Ein Zug mystischer Erotik und egoistischer Askese liegt in seiner Poesie und lässt seine Lieder oft fremd und dunkel klingen.

Noch manches Talent wäre zu erwähnen. Aber dieses Buch will keine umfassende Übersicht über die lyrische Kunst der zweitgrößten deutschen Stadt geben, es will nur die Führenden in einem kleinen Kreis einen, Proben derjenigen bringen, welche eine solche prägnante Eigenart besitzen, dass sie ihnen in der ganzen neueren Literatur eine vornehme, feste und bleibende Stellung gesichert hat.

Nicht unerwähnt mag ich lassen, dass ich an die Autoren keine Einladungen zur Mitarbeiterschaft ergehen ließ. Diese führen leicht zu Verhandlungen über Mitarbeiter und Beiträge. Und das scheint mir bei einer wissenschaftlichen Arbeit in Übereinstimmung mit dem Geiste des Pressgesetzes nicht anständig, da ein möglichst objectives literarisches Bild geboten werden soll. Die Verantwortlichkeit für dasselbe tragen ja auch nicht die Autoren, sondern allein der Herausgeber.

TRIEST, im Mai 1899.

Dr. AUGUST RENNER.

Die Lyrik

[3]
Ob auch ein überkluges Geschlecht
Dich belächelt als Unverstand;
Ob der banausische Schwarm,
Der in den Tempel der Kunst sich drängt,
Um bei des Altars heiliger Flamme
Mahlzeit zu halten,
Dir, weil du den Mann nicht nährst,
Hochmüthig den Rücken kehrt,
Indes ein Heer frecher Stümper
Dich entweiht zu nichtigem Spiel:
Immer und ewig
Bleibst du, hochaufstrebende Lyrik,
Blüte und Krone der Dichtkunst.
Denn überall sonst befehden sich Stoff und Form,
Und der Meister selbst,
Der den Zwiespalt zu lösen scheint,
In tiefster Brust empfindet er
Vor dem beendeten Werk
Vorwurfsvollen Missklang
Des Unbewältigten.
Du aber, athmend reinster Empfindung Hauch,
Folgst in sanften Rhythmen
Willig dem Geist
Und lenkst ihn zuletzt,
Da du Worte hast für das Unsagbare,
Siegreich hinan zu ahnungsvollster Erkenntnis.
Und wie du der Freude Höhen
Als leuchtendste Rose schmückst,
Blühst du auch, schwermuthsvoll,
Als Passiflore hervor
Aus den Abgründen des Lebens.

Drahtklänge

Ihr dunklen Drähte, hingezogen
So weit mein Augʼ zur Ferne schweift,
Wie tönt ihr, wenn der Lüfte Wogen
In euch so wie in Saiten greift!
[4]
O welch ein seltsam leises Klingen,
Durchzuckt von schrillem Klagelaut,
Als hallte nach, was euʼren Schwingen
Zu raschem Flug ward anvertraut.
Als zitterten in euch die Schmerzen,
Als zitterte in euch die Lust,
Die ihr aus Millionen Herzen
Verkündend, tragt von Brust zu Brust.
Und so, ihr wundersamen Saiten,
Wenn euch des Windes Hauch befällt,
Ertönt ihr in die stillen Weiten
Als Äolsharfe dieser Welt!

Opferstunde

Stumm glühte rings die Flur im Mittagsbrande,
Nur fleißʼge Bienen summten durch die Schwüle,
Als sinnend wir, an stiller Gräber Rande,
Durchschritten eines Friedhofs Schattenkühle.
Die holden Gleichnisse der Erdendinge,
Die Blumen, sahʼn wir auf den Hügeln beben,
Und drüber hin, mit kaum bewegter Schwinge,
Wie traumverloren müde Falter schweben.
Und leichte Schauer rieselten und wehten,
Des großen Räthsels unsichtbare Boten;
Wir falteten die Hände wie zum Beten,
Mit sanfter Wehmuth denkend an die Todten.
Es war, als glitten leise wir hinüber
Zu jenen, die schon längst dahin gegangen;
Der bleiche Engel zog an uns vorüber —
Wir hörten fast, wie seine Flügel klangen.
Doch als wir jetzt, nach ihm empor zu schauen,
Mit sanftem Druck uns aneinander schlossen,
Da fühlten wir, versenkt in Todesgrauen,
Uns plötzlich von dem wärmsten Hauch durchflossen.
Durch unsʼre Liebe, die wir scheu vergessen,
Dem Dasein wieder ganz zurückgegeben,
Erwachten wir im Dunkel der Cypressen
Und hielten uns und küssten uns mit Beben.
[5]
Nun schien ein Opfer uns die stille Stunde,
Dem Tod gebracht, und unsʼre Wangen glühten,
So wie die Rosen, die, mit uns im Bunde,
Auf Gräbern ihren süßen Duft versprühten.

Lydia

Noch ist dein Antlitz hell und mild
Und sanft sind deine Augen;
Du könntest zum Madonnenbild,
Mit himmlischem Genügen
An jungfräulichen Zügen,
Dem frömmsten Maler taugen.
Noch könntʼ ein starkes, schlichtes Herz,
Nicht achtend deines Falles,
Mit stumm zurückgewiesʼnem Schmerz
Bekränzen, früh Verirrte,
Dein Haupt mit weißer Myrte —
Verzeiht doch Liebe alles!
Noch könntest du so treu, so gut —
Wenn du mit reuʼger Thräne
In jenes Herzens milder Hut
Gebüßt die Schuld der Erden —
Zum reinsten Weibe werden,
Wie einstens Magdalene.
Das könntest du! — Doch büßen bleibt
Ja fremd der raschen Jugend;
Das Leben zum Genusse treibt —
Wer möchtʼ es ihr verargen,
Dass sie verlacht den kargen
Und matten Lohn der Tugend?
Wohlan denn — so genieße, Kind!
Lassʼ deine jungen Sinne —
Wie Wölkchen oft vom Frühlingswind
Zu heimlichen Gewittern
Herangefächelt — zittern
Im heißen Strahl der Minne.
Doch wenn die Stunde kommen muss —
O dann beglücke jenen,
Der längst nach deinem Feuerkuss,
Nach deines Gürtels Sinken
Nach deiner Glieder Blinken
Gelechzt mit trunkʼnem Sehnen.
[6]
Der längst erkannt, dass deinem Haupt,
Dem schwer zurückgebogʼnen,
Der Unschuld erster Kranz geraubt —
Dass mit bewusstem Trachten
Schon diese Augen schmachten,
Die bläulich leicht umzogʼnen.
Und was du hast an Glut und Blut,
Das lasse glühʼn und wallen —
Und lassʼ, umwogt von hoher Flut,
Wenn, sich die Lippen pressen
In seligem Vergessen
Den letzten Schleier fallen!
Das könntest du. — Doch matt und schwach
Schlägt in der Brust das Herz dir —
Und sorglos trägst du deine Schmach:
Denn jener Tag vor allen,
An welchem du gefallen,
Brachtʼ weder Lust noch Schmerz dir.
Nicht einmal zürnen kannst du, Weib,
Wie schön es dir auch stünde;
Du schmückst nur lächelnd deinen Leib,
So schwach im Widerstreben
So treulos ohne Beben —
So kühl selbst bei der Sünde.
Ich aber, wie Pygmalion,
Der schönheitstrunkʼne, wilde,
Ich nahe mich zertrümmernd schon,
Weil ich mich mühʼ vergebens
Um einen Strahl des Lebens,
Dem stummen Götterbilde!

Böse Jahre

In meinem Leben gab es böse Jahre —
Wie jene aus der Bibel warenʼs sieben —
Da hat mich ein Verhängnis umgetrieben,
Ich wandelte — und lag doch auf der Bahre.
Nicht ein Erinnern, das ich voll bewahre
Aus jener Zeit, wo, ohne Furcht geblieben,
Mein Geist in ödem Denken sich zerrieben,
Und Gram und Sorge bleichten meine Haare!
[7]
Gleich schwerem Traum zerfloss ihr dunkles Walten,
Und auf vernarbte Wunden kann ich zeigen,
Kaum wissend mehr, von wem ich sie erhalten.
Nur manchmal, einzeln und in wirrem Reigen,
Auftauchen schattenhafte Mahngestalten:
Männer und Frauʼn, die wie aus Gräbern steigen.

Zuletzt

Wehʼ dem, der da sein eigʼnes Thun zu richten
Begonnen hat! Dann zählt er zu den Kranken,
Und schaudernd fühlt er keimen den Gedanken:
Sich selbst erkennen, heißt sich selbst vernichten.
Denn auf sein Wesen muss er stumm verzichten,
Und wie die liebsten Hoffnungen ihm sanken,
Lebt er dahin in haltlos ödem Schwanken
Und wünscht den Tod herbei, die Qual zu schlichten.
Darum frohlockt nicht so beim Weiterschreiten!
Das Dasein ist ein großes Sichbesinnen —
Und ein Erkennen jeder Sieg im Streiten.
Die Menschheit wird sich selber nicht entrinnen;
Denn ob sie scheinbar auch nach außen leiten:
Die Fäden führen doch zuletzt nach innen.

Liebesscene

Der Nachmittag war glühend heiß. Ich saß
In eines Wirtes menschenleerem Garten;
Gedankenvoll, beim kaum berührten Glas,
Wolltʼ ich des Abends Kühlung hier erwarten.
Still durch die Wipfel strich ein schwüler Hauch,
Gedämpft erklang des Straßenlärmes Wogen;
Nach Krume zwitschernd, wie es Sperlingsbrauch,
Kam ab und zu ein kleiner Gast geflogen.
Da hörtʼ ich plötzlich nahen Doppeltritt —
Und zwei Gestalten, hoch und schlank, erschienen:
Ein junges Paar, mit raschem, leichtem Schritt,
Mit hellen Augen und mit klugen Mienen.
[8]
Er fast ein Jüngling noch. Mit breitem Rande
Saß lässig ihm der Hut auf dunklen Locken;
Zartbusig sie; auf lichtere Gewande
Fiel blond ihr Haar, so wie der Flachs vom Rocken.
Sie sahʼn mich nicht und setzten sich zur Rast —
Man merkte wohl, sie seien noch nicht Gatten —
Nach kurzem Wählen mit zufriedʼner Hast
Gleich in des nächsten Baumes breiten Schatten.
Nachdem sie sich mit raschem Trunk erfrischt,
Und auch vom Brot gebrochen einen Bissen,
Lag schon ein Buch vor ihnen aufgetischt —
Ein großes Buch, zerlesen und zersplissen.
Von „Lanzelot“ und von „Ginevra“ war,
Das sah man, nichts in diesem Buch zu lesen;
Dem Kennerblicke ward sofort auch klar,
Dass es ein Werk der Wissenschaft gewesen.
Vielleicht von Darwin oder Stuart Mill —
Wie ändern sich, so dachtʼ ich, doch die Zeiten,
Indessen jene, leidenschaftlich still,
Herniedersehʼn auf eng bedruckte Seiten.
Und er, so wie in unbewusstem Thun,
Die Hand nur legt auf ihre schmale, feine —
Und sie, wie um beim Lesen auszuruhʼn,
Die zarte Wange sanft lehnt an die seine.
Mir aber ward der Anblick zum Gedicht,
Zu einem neuen hohen Lied der Liebe,
Da ich verklärt sah von des Geistes Licht
Auf Erden schon den dunkelsten der Triebe.
Und mich erhebend, tief bewegt und leisʼ,
Gieng ich hinweg mit Schritten, kaum zu hören,
Um solcher Herzen reinen Zauberkreis
Und diese heilʼge Feier nicht zu stören.

Contraste

Über der Stadt blaut sonnig der Himmel,
Brütet des Mittags sengende Glut;
Träger bewegt sich das Menschengewimmel,
Wen nicht die Noth treibt, der feiert und ruht.
[9]
Still, ganz still sind die vornehmen Gassen,
Fast erscheinen sie unbewohnt,
Alle Häuser verödet, verlassen,
Wo im Winter der Reichthum thront.
Dort vor jenem erneut man das Pflaster,
Nützend des Sommers günstige Zeit;
Schweigend schauen die stolzen Pilaster
Auf das Getriebe der Emsigkeit.
Dumpf erklingen die schweren Hauen,
Knirschend gräbt sich die Schaufel ein;
Von den Stirnen der Männer thauen
Tropfen der Arbeit und ihrer Pein.
Jetzt doch aus den schwieligen Händen
Legen das wuchtige Werkzeug sie hin,
Gönnen Rast den erschöpften Lenden,
Rüsten zum Mahl sich mit dumpfem Sinn.
Essen von knorriger Faust den Bissen,
Holen den Trunk sich vom nächsten Ort;
Kauernd auf Steinen, dem Boden entrissen,
Lagert die Gruppe mit spärlichem Wort.
Lehnend die Häupter an kantige Pfühle,
Schlummern endlich die Müden ein;
Tiefer senkt sich die drückende Schwüle,
Nieder glitzert der Sonnenschein. —
Horch! Was hat sich da plötzlich erhoben?
Frauenstimmen mit hellstem Klang!
In der Opernschule da droben
Übt man schwellenden Chorgesang.
Es ist Schillers „Lied an die Freude“,
Wie es Beethoven in Töne gebracht,
Herrlich durchwogt es das hohe Gebäude,
Dringt durch die Fenster mit steigender Macht.
„Seid umschlungen, Millionen!“
Bricht es in feurigem Einklang hervor;
Mögen es hören, die ringsum wohnen,
Nimmer berührt es der Schläfer Ohr.
„Alle Menschen werden Brüder!“
Schmelzend erklingt es jetzt und leisʼ,
Heute ist Probe — und morgen wieder,
Bis der Applaus uns belohnt und der Preis! —
[10]
Oben ein Schwelgen in Hochgefühlen,
Rosigste Träume der Kunst und des Ruhms —
Unten aber auf kantigen Pfühlen,
Schwerstes Athmen des Menschenthums.

Erkenntnis

Seit Ewigkeiten schon
Werden ausgesprochen schon Worte der Wahrheit und Weisheit.
Und seit Ewigkeiten auch
Werden vernommen sie,
Werden aufgeschrieben
Und überliefert der Menschheit
Als heilʼges Vermächtnis.
Aber immer noch
Herrschen und walten
Wahn und Thorheit.
Immer noch
Erklärt ein neues Geschlecht
Den Irrthum der Vorgeborʼnen,
Blind jedoch für den eigenen
Und taub für den Rufenden in der Wüste.
Das bedenke, einsam ringender Geist,
Und nicht vertröste dich,
Kindisch eitel,
Auf das Verständnis der später Urtheilenden.
Erkenne vielmehr
Des Daseins tiefe Sinnlosigkeit,
Und erhabenen Gleichmuths schwebe,
Lächelnd,
Über Vergangenheit, Mitwelt und Nachwelt.

Neue Kunst

In geheimnisvoll
Umzirkten Zaubergärten
Blüht jetzt die Kunst.
Dort, in ewigem Sonnenlicht,
Schattenlos überwipfelt,
Hauchen den schweren Duft,
Leuchten in durchsichtiger Irispracht
Weitkelchige Liliaceen und Tulipanen.
[11]
Falter, breitflüglig,
Stahlblau und flammenroth,
Umschweben sie,
Und auf des Rasens Smaragd,
Schwer lastenden Silbergefieders,
Schreiten weiße Pfauen.
Traumhaft
In zarter, schimmernder Gliederhoheit,
Das Haupt bekränzt mit Blumensternen,
Wandelt ein Menschenpaar.
Sanft an einander geschmiegt,
Wandelt es auf verschlungener Pfade Windungen
Höher, immer höher hinan —
Bis zum porphyrnen Säulenhalbrund,
Das in des Himmels Azur ragt.
Rubine blitzen, Saphire und Opale
An den goldenen Kapitälen
Und an den goldenen Sockeln.
Auf hundertstufiger,
Weit ausgebuchteter Onyxterrasse
Thront eine Sphinx
Mit marmorner Brust,
Doch den geschmeidigen Löwenleib
In jeder Faser glutdurchzittert,
Thront sie,
Großäugig ins Unendliche blickend,
Über dem Räthselabgrund der Schönheit.

Entsühne mich

[12]
Und ist ein Herz vom Wege abgeirrt —
Im Buch der Bücher steht es so geschrieben —
Ein jeder Fehl und jede Sünde wird
Vergeben um ein starkes, volles Lieben.
Und ward ein Mann vom Pfade je gedrängt
Durch Fügung oder eigenes Erkühnen,
Das Weib, das liebend ihn zuerst umfängt,
Im Kusse darfʼs ihn priesterlich entsühnen.
Du bist die Priesterin, das Heil. Wie lang
Ersehntʼ ich dich, die längst mein Herz verkündigt —
Umfasse mich! Ich bin so müd und schwank...
Entsühne mich ! Ich habe viel gesündigt...

Das sind meine Todten...

Das sind meine Todten. Laut pochen sie an,
Kam die Stunde zum Träumen und Sinnen;
Dann seh’ ich den Vater, den zornigen Mann,
Und die Mutter — längst zog sie von hinnen;
Dann ziehen mir auf mit ernsthaften Brauʼn
Die frühe gestorbʼnen Geschwister —
Das sind meine Todten. Es bringt sie das Grauʼn,
Der Nachtwind, der Dielen Geknister.
O lang ist, so lang ist, o lang ist die Schar,
Und jeden weiß ich zu nennen:
Ein fremder scheint dʼrunter; blond weht ihm das Haar,
Und die Blicke verlangen und brennen.
Jach schreckʼ ich zusammen; mit Augen hohl
Starrʼ ich nach dem frischen Gesichte:
Du trutziger Knabe, ich kenne dich wohl —
Doch sage: du weilst noch im Lichte...!
[13]
„Ja hälftig“ ... Zur Hälfte der Finsternis
Und den Todten bist du verbunden;
Die Wunde, die dir ins Leben riss,
Die hast du nimmer verwunden;
Dein gʼrader Fuß geht krumme Bahn,
Und dein wahrhafter Mund spricht Lüge...
Das sind meine Todten; ich sehe sie nahʼn,
So stumm und voll heimlicher Rüge...

Ahnung

Die wilden Wasser hörtʼ ich tosen
Im Lied, das gern mein Ohr vernimmt,
Und sah wie überm Bodenlosen
Das Roth der Abendsonne schwimmt.
Und ober mir und mir zur Seiten
Der fernen Gletscher schweigend Reich —
Da möchtʼ man weiter, weiter schreiten,
Zu welchem Ziele, gilt wohl gleich.
Sonst war ich doch im Hoffen träge,
Und nunmehr will mir immer sein,
Als stündʼ erwartend wo am Wege
Ein einsam Glück und harrte mein...

Am Wege

Ich kannte Eine. Wie sie hieß?
Wer nennt das Wort, das mir verklang?
Vergessen istʼs. Ich weiß nur dies:
Dass ich sie liebte und umschlang.
Das Lied von der, die mir entschwand,
Singt nun der Nachtwind meinen Ohren —
Am Wege habʼ ich sie verloren,
Die sich zu mir am Wege fand.

Die Einsame

[14]

I.

Wenn ihrer Seele das Verstummen,
Und dieser Welt der Abend kam,
Erhub sie gern ein singend Summen,
Das neben ihr kein Ohr vernahm.
„Ich habʼ vergessen nicht, verwunden,
Was also mich vordem bedrängt;
Mich mit mir selber abgefunden,
Nur sei mir Neues nicht verhängt.
Mein Leben selbst will mir entgleiten,
Ich sehʼ es schweigend und allein,
Nur ist es traurig, ziellos schreiten
Und also wegemüde sein.
Vertreten hab ich längst die Schuhe,
Darinʼs zu tanzen mich verlangt,
Gib mir die Ruhe, Herr, die Ruhe,
Darnach allein die Müde bangt!“

II.

Keine Straße sollst du schelten,
Die du jemals hast begangen,
Sei sie steinig gleich und weglos —
Denn du musst sie dennoch wieder
Einst mit wunden Füßen wandern
Bis zu ihrem letzten Ziel...
Keinen Brunnen sollst du schmähen,
Der an deinem Pfade sprudelt,
Ob er bitter gleich und salzig —
Denn verhängt ist dir die Stunde,
Da du also schmachtest, dass dir
Selbst daraus der Trunk erwünscht...
Und du sollst kein Leid verwünschen,
Das dein Herr dir auferlegte,
Scheinʼ es noch so unerträglich —
Denn ein Kreuz kann dir verhängt sein,
Schlimmer, schwerer, denn du ahnest,
Und du trägst es, wenn du musst...

Lethe

[15]
Im Irren war ich überlang gegangen,
Nun senkte heimwärts sich mein müder Pfad;
Ich saß allein; der Himmel war umhangen,
Und schluchzend schlug die Seeflut ans Gestad.
Zum Ufer sah ich starke Wogen rollen,
Stahlgrün geharnischt und die Helme blank;
Ich sah ihr Drängen und vernahm ihr Grollen,
Indes ein Träumen meine Brust bezwang.
Und da ich so, die Augen halb geschlossen,
In wachem Schlummer saß und einsam sann:
Ahntʼ ich, wie alles, das ich kaum genossen,
Wie selbst das helle Bild um mich zerrann.
Das Leid verflog, das ich als mein empfunden,
Die Stürme schwiegen, die in mir gewühlt;
Ich rührte sacht die Narben alter Wunden,
Ich habʼ verwundert keinen Schmerz gefühlt...
Begehrtʼ ich einst, das Glück der Welt zu zwingen?
Und schlug mein Herz verlangend einst und heiß?
Mir schien mein Sein, mein Wollen und mein Ringen
Ein wüster Traum, dess Ende niemand weiß.
Geträumt die Schläge, die zu tiefst mich trafen,
Geträumt auf meinem Pfad das späte Licht...
Als wäre meine Seele längst entschlafen —
Woran und wie? Ich weiß es selber nicht...

Finkenruf

Er sprach ihr zu: Der Herr erschuf
Dich mir zur Augenweide;
Mir ist deine Stimmʼ wie Finkenruf,
Wie Finkenruf in der Heide.
Der Tag steht schwül. Und nun erschallt
Dies Jauchzen, Pinken, Schmettern:
Und in dir rauscht der Maienwald
Mit wehenden Schatten und Blättern.

So kamʼs...

[16]
Und als ich müde ward: Durch stete Noth,
Durch fruchtlos Kämpfen müdʼ und fast verbittert,
Erschienst mir du, du spätes Morgenroth,
Das thauend ein vergletschert Herz umwittert;
Und meiner Tage bester gieng mir auf,
Da sprach ich Dinge, die ich sonst wohl hehle,
Und legte meiner Sorgen wüsten Hauf,
Othello gleich, auf deine Seele...
Denkst du daran? Die Mittagsonne brach
Durch Blattwerk fremder Palmen und Dracänen,
Indes ich müdʼ von Winternächten sprach,
Von Einsamkeit und Noth und wirrem Sehnen.
Ob bei den Bildern, welche ich beschwor,
Nicht fremde Schauer kalt dich überliefen?
Du Sonnenkind! Dir schlug zuerst ans Ohr
Der Angstschrei aus des Lebens Tiefen...
Gewann dich das? Ich fragʼ und sorge nicht,
Wer weiß, wie eines sich zum andern schickte,
Wer forscht, aus welchem Schacht die Quelle bricht,
Die ihn in heißer Wanderzeit erquickte?
Er trinkt und rastet, sieht die klare Flut
Im tiefen Grund auf blanken Kiesen schäumen,
Und möchte ihr zunächst und traumgemuth
Des Lebens armen Rest verträumen...

Theater

[17]
Der Römercircus — bleich und geisterhaft,
Der Zeit Skelet, der Fleisch und Adern schrumpften,
Der starken Zeit, wo sich die Schwerter stumpften
An Todesmuth und Lebensüberkraft.
Der Mond darüber, kalten, fahlen Scheins,
Der ausgestürmte, leergebrannte Krater;
Ein Welttheater überm Welttheater —
Sie grüßen sich und lächeln: alles eins!

Cypresse

Der See von Garda liegt in Glanz und Glut,
Als ob auf ihm die Sonnenfackel schwimme,
Dem Gott entfallen, der im Schlafe ruht,
Umschrillt, umschwirrt von der Cicaden Stimme,
Im kargen Schatten dort des Ölbaumhains,
Zu dem hinan ich schweren Schrittes klimme.
Heiß haucht mich an der Athem des Gesteins,
Wo Eidechsaugen funkeln aus den Ritzen
Und tief sich bückt die Traube schon des Weins.
Im Glanz des Stahls der Aloe Schwerter blitzen
Nach der Olive Silberzweigʼ empor
Wie Heldenwaffen nach des Ruhmes Sitzen.
Doch war es nicht, als sprach hier wer: du Thor?
Ja, ragend du auf silbergrauem Stamme,
Du Baum der Hohheit mit dem Trauerflor,
Hoch lohend still in dunkelgrüner Flamme,
Cypresse, du, des ewʼgen Friedens Baum,
Als ob er nie von dieser Erde stamme.
[18]
Den Horizont, mein Augʼ erreicht ihn kaum,
Schlafmüdigkeit drückt mir die Wimper leise,
Ich schauʼ mich selbst, doch wie aus fernem Raum,
Vom Jugendland herwandern meine Reise —
Und alles taucht in eine Farbʼ und Weise
Ob meiner Stirne dieses Schattens Traum.

Im Himmel

„Dein Himmel ist ein blauer Irrthum bloß,
Ein Ungeheuer, schwarz, erbarmungslos,
Der Welten Raum, wo Urgewalten tollen,
Durch Todesfrost die Feuerkugeln rollen.
Es wird der Stern des Sternes Flammenraub,
Aufsprühend fliegt der Meteore Staub,
In Nebel muss die Sonne dort zerstieben,
Und wo bist du mit deinem Traum geblieben!
Es zwingt Gesetz die Nadeln zum Krystall,
Es zwingt Gesetz die Sonnenheerʼ im All,
Die ewig jung dem Sonnensturz entglühen,
Wie Blumen jung aus Blumenmoder blühen.
Und spielend so in seinem ewʼgen Sein
Mischt diesen Staub zu immer neuem Schein
Ein dunkler Wille, ein verhüllter Sinn —“
So bin ich ja im Himmel mitten drin!

Ein Grab

Nun schläfst du Jahre schon, du Arme,
In diesem Boden feucht und kalt,
Du sonnenmilde, sonnenwarme,
Du lichtgeliebte Lenzgestalt.
So hätte hier der Tod gelogen,
Der an des Bettlers Tisch sich setzt,
Den trockʼnen Bissen, karg gewogen,
Mit seines Trostes Thränen netzt;
Er, der des Leidens tiefe Schale
Zerbricht, bevorʼs bespült den Rand,
Der richtend beim Despotenmahle
Schreibt „Mene tekel“ an die Wand!
[19]
O nein! Er kam auch dir, ein Heiland;
Dir schweigt die Wehflut nun der Welt,
Die schlummerstille dieses Eiland
Der Ruhe dir umschlungen hält.
O nein, er war gerecht und milde:
Dir wird nicht Heutʼ, nicht Morgen schwer,
Nicht späten Schicksals Furchtgebilde
Von tiefverhüllter Zukunft her.
Aus deinem Leibe blühʼn die Rosen,
Dir liebe Kinder, immerzu,
Doch du bist schon im Namenlosen,
Bist langʼ schon weder „ich“ noch „du“.

Sonntagsstille

Die Sonntagsstille weilt im Zimmer
Und wehrt von draußen jeden Ton,
Aus Wand und Decke quillt ein Schimmer,
Und jeder Schatten ist davon.
Es träumt der Vogel im Gesange
So wundersam, so leise nur,
Als müsste stehn die Zeit im Gange,
Einhaltʼ im Gange ich die Uhr.
Einklang durchwoget mich gelinde,
Und rein, gesänftigt wallt mein Blut,
Dass ich den Sonntag vorempfinde,
An dem mein Leben einmal ruht.

Trost

Wenn Menschen fliehʼn, so bleibt dein Herz dir noch,
Wenn Lust dich höhnt, so bleibt dein Schmerz dir noch,
Er war dir Freund, er war dir Lehrer schon.
Er hebt den Sinn schon himmelwärts dir noch,
Er ist der Sturmwind von der Götter Thron.
Und siehʼ! Das Veilchen bringt der März dir noch,
Der Juni schon mit seinen Rosen winkt,
Ein bunter Falter, fliegt der Scherz dir noch
Hin übern Abgrund, drin dein Muth versinkt.
Und schließt dein Glück das Thor, so sperrtʼs dir noch —
Gib Acht! — ein Thürlein auf, das näher bringt!

An den Zorn

[20]
Du, dem in Flammen entloht der Blick,
Du, dem die Locke fliegt ins Genick,
Dem die Faust sich ballt, dem die Sehne sich streckt,
Der zur Höhe wachsend die Glieder reckt,
Schlafender Kraft entfesselter Born,
Rächender, siegender, heiliger Zorn!
Träge, leere Stunden gähnen,
An der Seele nagt das Sehnen,
Grau Gewölke ob dem Tage,
Müde Ebbʼ im Herzensschlage:
Du stürmst nieder wie Wetterwind,
Und die Thräne, die Thräne erlösend rinnt!
Langmuth ward Frevel, Geduld: Verbrechen —
Du magst das Urtheil, das tödtende, sprechen;
Lösche sie aus, die schmeichelnde Lüge,
Trüge sie auch die geliebtesten Züge;
Herkules du im Schlangenkampf,
Nieder zum sumpfigen Grund sie stampfʼ!
An des Rechtʼs vermischte Marken
Trittst du, eine Heeresmacht,
Wirfst den Arm, den riesenstarken,
Jauchzend, tobend durch die Schlacht;
Und vor deinem Blicke sinkt
Kraftlos deines Feindes Schwert,
Und des Friedens Ruhsitz winkt
Am befreiten Heimatherd.
Du hast Brutusʼ Dolch gezückt,
Du der Guillotine Beil,
Von der Armbrust abgedrückt
Jenes Schweizers sichʼren Pfeil;
Ein Erwecker und Entketter,
Strahlst du auf wie Morgenlicht,
Und ein Heiland und ein Retter,
Trittst du in das Weltgericht.
Starker Sohn der ewʼgen Liebe,
Birgst du ihren heilʼgen Brand,
Trägst du ihrem reinen Triebe
Deine Fackel durch das Land;
Aus erglühter Kämpfer Busen
Bricht hervor ihr reiner Strahl,
Schimmert durch das Werk der Musen
Als der Zukunft Ideal.
[21]
O sei nahe du mir in der Wolke,
Die mir drückend am Herzen hängt,
O sei nahe du meinem Volke,
Das der lauernde Wahn umdrängt;
Du der Ideale Künder,
Du der Zukunft Sterne Zünder,
Schlafender Kräfte tiefer Born,
Rächender, siegender, heiliger Zorn! —

Bekenntnis

[22]
Als Knabe lag ich manche Stunde
An eines tiefen Brunnens Schlunde;
Mein Glaube war, zu sehʼn
Im tiefen Flutendunkel
Geläutert auferstehʼn
Der Mitternacht Gefunkel.
Und immer reich noch an Vertrauen,
Liebʼ in den Abgrund ich zu schauen,
In dem das Licht vergeht,
Geheimnisvoll verloren,
Und wieder aufersteht,
Zu neuem Sieg erkoren.
Glücklos, geschaffen um zu trauern,
Dem Tod geweiht und seinen Schauern,
An seines Reiches Saum,
Im Eishauch seines Schwebens
So träumʼ ich meinen Traum:
Vom ewʼgen Sieg des Lebens!

Erreichung

So schwer ichʼs auch errungen,
Jetzt istʼs mein höchstes Gut,
Dass ich mein Herz bezwungen,
Dass all mein Wünschen ruht!
Dass über meinem Scheitel
Die Mailuft friedsam weht,
Kein Sehnen, wirr und eitel,
Durch meine Seele geht;
In grauen Herbstestagen
Kein Gram mich mehr befällt,
Kein Zürnen und kein Klagen
Die Stunden mir vergällt!
[23]
Dass über diese Fernen
Mein Augʼ so ruhig schweift,
Gehoben zu den Sternen,
Die Seele denkend reift;
Dass ich so klein mich fühle
Im Treiben meiner Zeit
Und doch die Stirne kühle
Am Hauch der Ewigkeit —
Der in des Mittags Prächten
Goldschimmernd stille steht,
Hochathmend in den Nächten
Von Welt zu Welten weht.

Die Stadt im Schnee

Die Straßen schmutzig, grell besäumt
Von Jungschnee; feucht die Luft;
Die alten Thürme wie verträumt,
Umflort von Nebelduft.
Almosen sucht von Haus zu Haus
Ein müder Sperlingsflug,
Zuweilen klingt der Stadtlärm aus
Und bläst ein Leichenzug.

So möchtʼ ich ruhʼn

So möchtʼ ich ruhʼn... Mein Grab allein
Auf einem Cap ins Meer hinein,
Und über mir des Schiffers Mal,
Ein hoher Baum im Sonnenstrahl.
Und modern nicht, wo Grab an Grab
Endlose Reihen liegt hinab,
Wo alles ruht, was lebenslang
Geflohen ich, um Höhʼres bang.
Und schlafen nicht in Mauern still,
Wo kaum ein Vogel flattern will,
Doch ruhen, wo mir ins Gebein
Noch bebt der Lebenspuls hinein.
Das Meer noch schüttert meinen Staub,
Bis Grab und Fels der Wellen Raub
Und aufgellt einer Möve Schrei,
Als ob es meine Seele sei.

Ahasver (spricht:)

[24]
Ich blicke von meiner Zeitenhöhe
Hinab in ein Thal voll Unmuth und Wehe,
Ich sehe verzweifelnde, grübelnde Knaben,
Die einen Funken Wissens haben;
Doch statt ihn bescheiden zu fachen und nähren,
Mit ihm ihr Lebensgebäude verzehren,
Und trotzig-drohend die Brände
Erheben wider des Weltalls Wände.
Sie stürzen es nicht, die Erdenthoren,
Die kleinen, vom thönernen Weibe geboren!
Und wenn sie das Nichts auch zum Herren erheben,
Sie dienen dem Alle doch mit dem Leben!
Sie werden nicht schlafen, sie werden nicht ruhen
Wie ihre modernden Leiber in Truhen —
Auch wenn sie mit Ziffern sich heute beweisen,
Dass die leuchtenden Welten, die oben kreisen,
Dereinst in unendlichem Sturze und Schwalle
Die ewigen Bahnen zerreißen und alle
Einander zerschmettern, die Sonnen und Erden.
Es wird nicht das Leben verschüttet werden —
Der Halm wird geschnitten, die Ähre gedroschen;
Doch ist nicht die himmlische Keimkraft erloschen:
Der Pflüger wird wieder die Scholle wenden,
Und der Sämann säen mit vollen Händen!

Mit deinem Namen

Mit deinem Namen rief am Rain
Ein kleiner Knabʼ sein Schwesterlein,
Als ich in tiefen Träumen stand
Im sonnighellen Frühlingsland.
Wie hat das Kind mit einemmal
Mir ausgelöscht den Sonnenstrahl,
Gescheucht den Frühling von der Flur,
Den Schimmerduft, die Blumenspur!
Gegangen bin ich trüb davon,
Und wieder lag als Leidenston,
Statt all der Vöglein süßem Chor
Dein Name nur in meinem Ohr.

Letzte Gunst

[25]
Ich will vom Schicksal nicht verlangen,
Es komme nochmals eine Stundʼ
Für mich, im Wonnekuss zu hangen
Wie einst, wie einst an deinem Mund.
Erreichen möchtʼ ich nur die Stunde,
Und wärʼs an meines Lebens Rand,
In der ich, kniend auf dem Grunde,
Noch einmal fasse deine Hand;
Und leise bittend zu dir sage:
„Bevor auch du in Erdenruhʼ,
O denkʼ noch einmal jener Tage,
Um die nur wissen ich und du!“

Dein Gruß

Es sank beim ersten Tagen
Nach einer Wetternacht
Auf meinen Weg geschlagen
Ein Zweig in blanker Pracht.
Die Blume warʼs, die gleiche,
Jasmin, den deine Hand,
Die schlanke, lilienbleiche,
So oft mir zugesandt.
Als ich den Zweig, den reinen,
Wie deinen Gruß empfieng —
Noch einmal musstʼ ich weinen,
Dass alles so vergieng.

Aus „Visionen“

Durch mein sterbend-letztes Leben,
Meine einsam-tiefe Qual
Spürʼ ich manch einmal dich schweben,
Spürʼ ich mitleidsvoll dich schauen,
So wie ein verlorʼner Strahl
Zittert durch das Nebelbrauen
In ein abgeschiedʼnes Thal.

Die Thürglocke

[26]
An meiner Thür die Glocke klingt,
bald laut und grell, bald zag im Ton,
Zumeist, von wem sie Kunde bringt,
Verräth ihr Hall mir schon.
Und dich erkanntʼ ich gleich am Klang,
Denn niemals bebte noch in ihr
So ungestüm ein Herzensdrang
Wie einst, bewegt von dir.
Wohl horchʼ ich heut noch oftmals hin,
Als müsstʼ sie klingen, seltsam, schrill,
Da pocht mein Herz, da bebt mein Sinn,
Die Glocke nur bleibt still.
Sie ruft mich wohl zu mancher Zeit,
Trägt der, und die nach mir Begehr —
Doch so in lauter Liebe schreit
Nach mir sie längst nicht mehr.

Zwei Bäume

Vom Lärm der Stadt zum Wald gezogen
Habʼ ich zwei Bäume heut gesehʼn,
Die Äste Arm in Arm gebogen
Wie Liebende beisammen stehʼn.
O, wie ein Wehen oft, ein lindes
Die B1ätter aneinander biegt,
Wenn ihr, im leichten Spiel des Windes,
Wie träumend eure Zweige wiegt.
Und wirdʼs Jahrtausende auch dauern,
Einst werdet ihr auch Menschen sein,
Bedrängt von gleichen Freudenschauern
Wie wir, und von derselben Pein.
[27]
Wenn dann Natur auf Wunderbahnen
Vereinigt wieder, was getrennt,
Dann spürt ihr wohl ein jähes Ahnen,
Dass ihr euch schon so lange kennt.
Und ob bestimmt zu einem düsterʼn,
Ob euch ein golden Ziel gesetzt,
Ihr werdet Liebesworte flüstern
Einst zu einander so wie jetzt.

Die Staubspur

Noch gestern Abend warst du hier,
Und da ist noch die Spur von dir —
Wie du gebracht ihn mit dem Fuß
Ein Wisch von Straßenstaub und Ruß.
Und doch ist mir, wie drüberfährt
Das Weib und mir die Stube kehrt,
Als wieder kam der alte Glanz,
Nun hättʼ ich dich verloren ganz.
Wohl sah ich lange noch dahin
Und seltsam trüb ward mir zu Sinn,
Denn warʼs ein Streif von Staub auch nur,
So warʼs von dir doch eine Spur.

Die Mütze

Wie hast du plötzlich aufgehellt
Dereinst mein Leben durch dein Lieben,
Doch ist aus all der goldnen Welt
Mir deine Mütze nur geblieben.
Wir lebten, hausten ja beinandʼ
Und so geschahʼs in jenen Tagen,
Dass oft in unserm bunten Tand
Die Dinge durcheinander lagen.
Und ob auch du mir längst geraubt,
Die Mütze möchtʼ ich, dass mir bliebe —
Hat einst doch unter ihr dein Haupt
Geglüht für mich in reinster Liebe!

Die Lieblingsspeise

[28]
Noch heute glaubʼ ich dich zu sehʼn
Voll Hast herauf die Straße gehʼn,
Was aber hältst du in der Hand,
Doch für papierumschlossʼnen Tand?
Da hast du, sorglich mein bedacht,
Mir Lieblingsspeisen mitgebracht,
Du hast sie lächelnd mir gereicht,
Mir aber ward das Auge feucht.
Nicht stets in der Verklärung Hauch,
Oft schau ich so dein Bildnis auch,
Und schaue nicht im großen nur,
Im kleinsten noch die Liebesspur.

Das Tuch

Ich gieng mit dir zum Eisenzug,
Er fuhr, ich folgte seinem Flug;
Bis fern er sich am Bug verlor,
Hieltst winkend du dein Tuch empor.
Seither mahnt jäh und unverhofft
Manch kleines Ding mich deiner oft,
Jede Bewegung auch von dir
Tritt reizend noch vors Auge mir.
Schon in des Morgens falbem Schein
Verträumter Stirne denkʼ ich dein,
Bis in den Abendschleiern spät
Ein weißes Tuch noch vor mir weht.

Zaudernde Liebe

Nicht wie jugendliche Herzen
Feuer sprühen und sich lieben,
Dass die Wonnen und die Schmerzen
Flattern und in Luft zerstieben;
Nein, im Misstrauʼn alle beide,
Das der Zweifel emsig schürte —
Eine Liebe warʼs im Leide,
Welche uns zusammenführte.
[29]
Und schon mondenlange ziehen
Wir im Zaudern hin und Bangen,
Dieses Auseinanderfliehen!
Dieses Aneinanderhangen!
Da sich Mund schon neigt zu Munde,
Muss der schöne Traum entschwinden,
Bis wir in der nächsten Stunde
Neu ihn suchen und ihn finden.
So in währender Erregung
Sind wir bald beengt und trüber,
Bald in wogender Bewegung
Geht das Herz uns schäumend über;
Aber diese schwer enthüllte
Liebe, früh geprüft von Pein,
Wird uns einst der vollerefüllte
Hochgewinn des Lebens sein!

Straßenbild

Das ist mir stets das liebste Straßenbild,
Wenn zwei ich sehʼ, heiß Arm in Arm gehängt,
Wenn schmiegsam Körper sich an Körper drängt
Und sichtbar fast die Glut der Liebe schwillt.
Mein Bangen schmilzt vor ihrem Feuerblick,
Die Unrast weicht, des Zweifels Hämmern schweigt,
Indes ein volles, kaum geahntes Glück
Wie neue Kraft in allen Pulsen steigt.
Versinkʼ vor solchem Bild, du Dämmerleid
Der Gegenwart, aus müden Zügen lugend, —
Schon gehʼn die Boten einer neuen Zeit,
Die lenzgewaltig naht voll Kraft und Jugend!

Spätfrühling

Heut lebt ein Frühlingszauber in der Luft,
Wie kühl der Wind auch weht so spät im Jahr,
Und mangelt auch der Blumen Glanz und Duft,
Heut leuchtet alles doch so wunderbar,
Heut lebt ein Frühlingszauber in der Luft.
[30]
Heut liebt mein Herz, wie es noch nie geliebt,
Wieʼs oft im Sturm gebebt auch und im Hauch,
Heut fühlʼ die Zeit ich, da mein Leid zerstiebt,
Und fehlt zur Liebe jedes Wesen auch,
Heut liebt mein Herz, wie es noch nie geliebt!

Haltʼ Rast

Heut wehtʼs so mild und frühlingswarm,
Doch horch, die Trauerglocken klingen!
Wir wandeln lässig Arm in Arm,
Da will es sanft auch mich bezwingen.
Mir ist, sie singen mich zur Ruhʼ,
Und bringen mir das Grabgeleitʼ.
Haltʼ Rast! — Mir fallen die Augen zu
Vor Müdigkeit.

Ins Schweigen

Heut will ich eine tiefe Rast
Und nichts von Menschenweise,
Selbst dein Geleit wird mir zur Last,
Wie sanft du sprichst und leise.
Du bringst mir dennoch manche Spur
Vom lauten Erdenreigen,
Ich aber will heut wandern nur
Ins unbedingte Schweigen.

Das stille Zimmer

Oft träumʼ ich mich recht fern der lauten Welt
In ein verstummtes, erdentrücktes Zimmer,
Wo Einsamkeit die Heimatsstätte hält
Und dämmernd nur im ungewissen Schimmer
Gedämpftes Licht durch matte Scheiben fällt.
Dort will ich über meinem Leben sinnen
Und so wie außer mir mich selber schauʼn.
Und siehʼ, des Schicksals leis verhülltes Spinnen,
Schon schauʼ ichʼs halb entzückt und halb mit Grauʼn
Und sehʼ, wie Unglück, das ich nimmer ahnte,
Herniederbricht auf ein verträumtes Haupt,
[31]
Wie manches Glück, von dem ich sann und plante,
Von frevler Hand mir ward im Keim geraubt,
Doch auch ein Glück goldleuchtend niederthauen
Sehʼ ich, kaum fassbar für ein menschlich Herz, —
So lässt mich der Erinnerung Spiegel schauen,
Wie treu die Lust die Wage hält dem Schmerz.
Drum will getrost zur Welt ich wieder schreiten
Und wieder eingehʼn manchʼ gemiedʼne Thür,
Doch eure Weihe, hohe Einsamkeiten,
Soll mich umfangen halten für und für!

Zwischen zwei Zeiten

Mit unserʼn Seelen, zart geschwellt,
Mit Herzen, überreichen, vollen,
Sind wir in eine Zeit gestellt,
In die noch nicht wir taugen wollen.
Wir tasten eine hohe Spur,
Die wir als Pfad des Heiles wähnen,
Doch bringt sie noch uns Thränen nur
Und nur ein namenloses Sehnen.
Wir leben wie zu müd zum Flug,
Sind wirr, als ob wir lang nicht schliefen,
Wir folgen einem Höhenzug
Und fallen in des Lebens Tiefen.
Wir ahnen wohl: was uns gefällt,
Den Künftigen istʼs voll gegeben,
Indes wir angstvoll in der Welt
Mit einem fremden Herzen leben.
Ein Hauch will uns herüberwehn,
Getrennt sind wir nur schmalen Randes,
Wir dürfen nur wie Moses stehn
Am Grenzpfahl des gelobten Landes.
Ein Morgenstrahl der Zukunft weiht
Die Seelen uns, die nachtverletzten,
So an der Wende einer Zeit
Sind wir die Ersten und die Letzten.

Die neuen Hellenen

[32]
Wie noch spät im Herbstesweben
Falter durch die Lüfte schweben
Aus des Frühlings Seligkeit,
Kreuzen Menschen meine Bahnen,
Die mich wunderbar gemahnen
An der Menschheit Knospenzeit.
Schön gepaart dem männlich-frischen
Ahnʼ ich einen träumerischen,
Weiblich sanftgestimmten Sinn,
Doppelseelen, reiche, volle,
Zwischen der Geschlechter Pole
Wandelt schwankend ihr dahin.
Froh an kleinsten Liebesspenden
Brecht ihr nicht mit kühnen Händen
Früchte euch vom Lebensbaum,
Euer Lieben ein verhüllter,
Namenloser, unerfüllter,
Niemals ausgeträumter Traum!
Aber wie auf hohen Firnen
Liegtʼs auf euren Götterstirnen
Wie ein Sonnenblick des Ruhms,
Wie ein Zug, ein alltagsscheuer,
Wie ein heiliger, ein neuer,
Hoher Strahl des Griechenthums!

Leid der Größe

Weil alle Geister groß und auserlesen
Auf hohen Bahnen einsam müssen wandern,
Drum sehnen mehr sie sich als alle andern
Nach einem schlichten, menschlich-trauten Wesen.
Die aber staunen, sehʼn sie sich erlesen,
Von Misstrauʼn halb und halb von Stolz befangen,
Und wähnen: Dass der Große sie umfangen,
Sei einer Laune Blendwerk nur gewesen.
Scheu-zitternd ruhen sie an seinem Herzen,
Ihm aber stillen sie der Größe Schmerzen,
Er braucht sie mehr, als seiner sie bedürfen.
Er lässt sie seine Flammenküsse schlürfen
Und hält gleich wie in liebendem Erbarmen
Ein Menschenkind in seinen Götterarmen.

Was ich liebe

[33]
Ich liebe die hektischen, schlanken
Narcissen mit blutrothem Mund,
Ich liebe die Qualengedanken,
Die Herzen zerstochen und wund;
Ich liebe die Fahlen und Bleichen,
Die Frauen mit müdem Gesicht,
Aus welchen in flammenden Zeichen,
Verzehrende Sinnenglut spricht;
Ich liebe die schillernden Schlangen,
So schmiegsam und biegsam und kühl;
Ich liebe die klagenden, bangen,
Die Lieder von Todesgefühl;
Ich liebe die herzlosen, grünen
Smaragde vor jedem Gestein;
Ich liebe die gelblichen Dünen
Im bläulichen Mondenschein;
Ich liebe die glutendurchtränkten,
Die Düfte, berauschend und schwer;
Die Wolken, die blitzedurchsengten,
Das graue wuthschäumende Meer;
Ich liebe was niemand erlesen,
Was keinem zu lieben gelang:
Mein eigenes, urinnerstes Wesen
Und alles, was seltsam und krank.

Intérieur

Verdunkelt war dein weites Schlafgemach
So ganz wie damals, und ein schwerer Hauch
Von welkem Lorbeer, Veilchen und Lavendel,
Erstickend, süß-betäubend, koste ganz
Wie damals um die wonnig müden Nerven.
[34]
Mit schwanken Schritten trat ich ein bei dir.
Ein schlankes Wachslicht schüttet fahlen Schein
Aus bronze-geschnittnem Riesengirandol
Und spielt und huscht und tänzelt launentoll
Um deines breiten Lagers üppig-weiße
Geraffte Schillerseide — um dich selbst,
Die nackt und reglos ruht wie ein Gebilde
Von Künstlerhand, aus dunklem Erz getrieben.
Aus deinem Augʼ, dem weiterschlossʼnen, starrt
Erstickter Hass und höhnende Verzweiflung.
Und aus zernagten, breitgewölbten Lippen
In schwarzen Perlen rieselt langsam Blut
Auf deines breiten Lagers üppig-weiße
Geraffte Schillerseide................
Eintönig hackt dein Rosenpapagei
An seines Käfigs gelbe Messingstäbe — —
Er weiß ja nicht. — — —

Einsam

Abgeschüttelt
Habʼ ich meiner Freunde Scharen,
Einsam bin ich geworden
Köstlich einsam...
Wie ferner Brandung
Schütterndes Tosen verklang
Der Lärm des Lebens,
Einsam bin ich geworden,
Köstlich einsam...
Aus tödtlichem Schlummer
Erstand meine Seele,
Und mit leiser, leiser,
Ängstlich-wagender Stimme singt sie
Alte, süße,
Thörichte Kinderweisen!
Einsam bin ich geworden,
Köstlich einsam. —

Verlorene Sehnsucht

[35]
Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden,
Der starken Anmuth lebensfrohes Bild,
Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden
Mit einer Seele sonnenklar und mild.
An eines stillen Stromes grünen Borden
Hättʼ ich das Leben gerne süß verträumt,
An eines stillen Stromes grünen Borden
Die wilde Lust, die wilde Qual versäumt. —
Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden...

Müde Liebe

Wir liebten uns mit jener müden Liebe,
Die weich und zart die kranken Seelen eint,
Wir liebten uns mit jener müden Liebe,
Der jeder Kuss schon als brutal erscheint.
Die Hände kaum in leisem Druck sich fanden
Und bebten scheu vor ihrer Glut zurück;
Die Hände kaum in leisem Druck sich fanden,
Ein Blick, ein Wort war unser letztes Glück.
Wir liebten uns mit jener müden Liebe....

Mattgelbe Flore deine Nacktheit hüten

Mattgelbe Flore deine Nacktheit hüten —
Ein blasses Kerzenlicht im letzten Raum
Und früh erschlossene Kastanienblüten
Achtlos verstreut an unsʼres Lagers Saum.
Wie rosenrotes, zartes Erz erschimmert
Dein junger Leib — wie süß ist seine Last!
Und wie dein großes Auge feucht erflimmert!
Und wie du drängst — o jugendliche Hast!
Wie deine Brüste auf und nieder wiegen...
Noch säumt der Sturm, der in den Nerven wühlt.
Ach, es ist süß, so regungslos zu liegen,
Von deiner Küsse lauer Flut bespült.

„Mon âme est née avec une plaie“ (Lamenais)

[36]
Ich bin nicht eine von den Machtgestalten,
Die sich im Leben ihren Platz erringen,
Die sich mit starker Hand ihr Schicksal zwingen
Und ihres Daseins feindliche Gewalten.
Mir graut vor dieser Welt, der fühllos kalten,
Ich kann es, kann es nicht zustande bringen,
Ihr meines Willens Stempel aufzudringen,
Mir graut es vor brutalem Kraftentfalten.
Zum Leidertragen bin auch ich erkoren,
Weil mir zu wenig Roheit mitgegeben;
Ich weiß es längst, dass alle Mühʼ verloren,
Jedwedes starkseinwollende Bestreben.
Auch meine Seele wurde krank geboren:
Ihr fehlt die Lust, die Kraft, der Muth zum Leben.

Lebensanker

Nur eines kann mich halten noch im Leben
Und kann die dunkle Stunde weiter schieben:
Ein schrankenloses, weltvergessenes Lieben
Und Gegenliebe heischendes Bestreben.
Denn jeder, der das Dasein will ertragen,
Muss sich auf irgend eine Art berauschen,
Um nicht verzweifelnd und entsetzt zu lauschen
Der armen Erde wehevollem Klagen.
Dem einen wird im scharfen reinsten Denken
Des Sonderdaseins seliges Vergessen,
Ein andrer muss den Schmerz im Wein ertränken,
Ich aber muss ein trautes Weib umpressen,
In heißer Liebe ihm die Seele schenken,
Wenn nicht, — so eines Abgrunds Tiefe messen.

Zu Ende

[37]
Mein Herz ist viel zu müde, um zu toben
In Hass und Groll, weil du von mir geschieden
Und mit dir nahmst das Bisschen Glück und Frieden,
Ins trübe Dasein mühsam nur gewogen.
Noch kann zu lächeln ich die Lippen zwingen
Und kann auch noch für andre warm empfinden,
Und sie ermuthigen zu überwinden,
Nur willʼs mir selber nicht mehr gut gelingen.
Denn insgeheim die Ketten niederklirren,
Die mich ans Dasein bisher festgebunden,
Nur Tropfen sickern noch aus meinen Wunden,
Und halb erlöst schon hörʼ ich Psyche schwirren.

Liebe!

Du hast deinen brünstigen Leib mir geschenkt,
Mit rasender Wollust das Hirn mir durchtränkt —
Ich aber, ich dürste nach Liebe.
Der Wollust berauschender Opiumwein,
Er lullt ja die brennende Sehnsucht nur ein,
Die brennende Sehnsucht nach Liebe.
Im Wahnwitzgejauchzʼ dionysischer Gier
Aufzittert noch immer, noch immer in mir —
Die schreiende Sehnsucht nach Liebe.

Das Höhenlied

[38]
Hochweit herab
Tönen meine Gesänge,
Von der Stätte des Schweigens,
Von dem Felsen der Einsamkeiten.
Feindlich, in die Tiefen der Nachtschlünde
Bohrte ich mich, abwärtsfliehend,
In leidvollstem Hassen;
Brüderlich zum Tagessterne
Habe ich mich gesellt,
In gewaltigem, lichtvollem Lieben: —
Zwischen Sonne und Abgrund
Schaffe ich mir meine Straße;
Wegeweit, raumvergessen
Treibe ich meine Fernsicht.
Von dem Felsen der Einsamkeiten,
Von der Stätte des Schweigens,
Tönet, meine Gesänge,
Hochweit herab!

Psalm

Wie schön du bist, o Leben,
Wie liebe ich deinen Reichthum!
Denn herrlich und erhaben
Sind die Blüten deines Frühlings;
Die Balsamdüfte deiner Kraft
Sind Fülle und Wonne.
Überschwänglich liebe ich dich,
Du prachtvolle Erde,
Ausfließen wollte ich,
Umarmungsfreudig,
In alle Wellen des weiten Äthers.
[39]
Wie schön du bist, o Leben,
Wie liebe ich deinen Reichthum!
Auch ich bin reich wie du,
Trägerin Sonne;
Sei mir gegrüßt,
Heißglühende Schwester!
Wir Schenkende wollen tanzen
Von Aufgang zu Niedergang;
Hochauflachen wollen Wir,
Die Überströmenden!
Aber dort — die hämische Bosheit,
Trotzende Tücke,
Grundlos grämlich
Unserer Welt-Freudigkeit:
Töte sie Schwester Sonne
Mit deinem stechendsten Wonne-Feuer
Töte! Töte!! Töte!!!
Hochauflachend weiter tanzen Wir
Von Aufgang zu Niedergang — — !
Wie herrlich schön du bist,
Sonniges Leben;
Wie überschwänglich liebe ich
Deinen goldigen Reichthum!
Leben!
Ewig sonniges Leben!!

Auf den Knien

Damals lag ich vor dir,
Als der Riss in mein Leben kam
— Dein Muthwille hat es zerrissen,
Da ich es dir schenkte —
Damals lag ich vor dir und flehte,
Du aber —: hast gelacht.
Auf den Knien lag ich. —
Kniend schenken die Großen.
Zum Staube gebeugt
Erhöhen sich die Gewaltigen.
Begreife sie Stumpfsinn! —
Auf den Knien lag ich, ein Gebender,
Du aber —: hast gelacht.
[40]
Was willst du nun wieder?
Ob ich zürne?
Wem sollte ich zürnen? — dir??
Ob ich lache?
Wes sollte ich lachen — an dir?
Was willst du nun Schwachheit?
Mein Leben nahm ich auf,
Das du zerrissen hinwarfst;
Neuzusammen
Befahl es mein Machtwort;
Ich zürne nicht — dir nicht!
Ich lache nicht — niemals!
Doch mein ist das Leben, das du zerrissen.
Neuzusammen befahl ich es? — Ja!
Doch es war in Stücken —:
Nur Ganzes schenken — gleich mir — die Gewaltigen.
Lache nicht Stumpfsinn — lache niemehr!
Lerne begreifen: Die größten Gebenden
Schenken — auf den Knien!

Nebeltage

Die graue Luft — wie Rückflut von Gedanken —
Bedrängt die Brust mit schwerem Wolkenschwehlen.
Wie Odem der, die frühverstorben sanken;
Die niemehr ihren großen Schmerz erzählen.
Und zitternd flehʼn aus dunklem Niederschweben
Des Geistes Hände — der vergaß zu leben.
Vergessʼne bringen unsʼre Nebeltage
Mit den gedankenvollen Bettlerhänden:
„Gib einen Blick nur! Eines Hauches Klage!
Nur dein Zuviel magst du an mich verschwenden.“
Was trennungsflüchtig webt, erträumt sich Einung;
Das Ungeborʼne harrt auf Neuerscheinung.
Nach Lauten ringt, was ungesagt entglitten;
Das Nie-vollbrachte drängt nach Werdethat.
Und alle Schmerzen ungefühlt durchlitten
Und jede ungekrönte Welle naht.
So dringt auf uns aus Nebel-wall-Bewegung
Von „einst“ und „nie“ die alte Wechselregung.
[41]
Wie Augen starren graue Nebeltage.
Abgründig tief, wie starke Wirbelkreise,
Die alles in sich ziehʼn. — Die große Frage
Entschleiert Wahnsinnsblicke, todtenleise, — —
Und langsam schlingen ihren schweren Reigen
Die große Frage — — mit dem bösen Schweigen.

Begegnung

Mir gegenüber saß ein Knabe
Mit dem dreifärbigen Bande,
Er sah zu mir
Und wollte meinem Blicke begegnen.
Ich dachte zu ihm hinüber:
Vor meinen Augen, Knabe,
Kannst du nicht bestehʼn.
Sie haben zu oft mit dem Tode gerungen.
Er dachte ein Lächeln:
„Auch ich habe dem Tode getrotzt.“
Du hast ihm getrotzt —,
Weil du noch niemals ihn erkannt hast;
Du hast noch kein Ding geschaut gleich mir:
Nackt und schleierlos.
Aber diese Augen haben stand gehalten
Weit mehr als dem Tode.
Das Schicksal
Haben sie gebannt.
Das Ungenannte
Haben sie gezwungen.
Die Schrecken der Einsamkeit
Haben sie ertragen.
Verstummt sind vor ihnen
Die grausamsten Fragen
Unserer bösesten Nächte — :
Kannst du das begreifen?
Und der Knabe ahnte das Furchtbare
In meinen Gedanken;
Die bösen Fragen,
Die grausame Nächte stellen.
[42]
Und er senkte den Blick.
Da liebte ich den Knaben
Und seine fallenden Augen,
Die das Erhabene ahnen.

Abschied

Aus den Trümmern einer hohen Schönheit
Lass mich bauen einen tiefen Schmerz.
Weinen lass mich aus den tiefsten Schmerzen
Eine Thräne, — wie nur Männer weinen.
Und dann geh! — Und nimm noch ein Gedenken
Heißer Liebe, freudig dir geschenkt; —
Ewig mein bleibt, was du mir gelassen:
Meiner Wehmuth sternenloses Dunkel.
Und dann geh! — Und lass mich stumm erstarren;
Du zieh fürder deine helle Bahn,
Stern der Sterne! — —: frage nicht nach Leichen!
Siehʼ, mir naht der hehrste Göttertröster,
Meine selbstgeborʼne Urgewalt.
Tief in mir die alte Nacht der Nächte
Weitet sich zur großen Weltumnachtung;
Der Alleinheit schwere Trümmer-Schmerzen
Wachsen — wachsen: zur Unendlichkeit.
Siehʼ! ich selber werde Nacht und Schönheit
Allumfassend unbegrenztes Weh. — —
Ziehe weiter, heller Stern der Sterne.
Unerkannt, wie meine große Liebe;
Dunkel schweigend, wie die großen Schmerzen —
Wo du wendest, wo du siegend leuchtest —:
Stets umwogt dich meine große Nacht!

Die Wege trennen sich

Die Wege trennen sich
Und finden sich nicht wieder:
Außer wo sie ins Hohe führen
Und das Ahnen sie trägt.
Deshalb steigen solche ins Hohe
Denen das Ungenannte
Einen großen Einungswunsch zerrissen hat.
[43]
Gütig ist das Ungenannte,
Das die Menschen auseinanderreißt
Auf dem Gipfel ihrer Liebe.
So schenkt es ihnen
Den Absturz-Jammer.
Viele leiden;
Aber wenige haben die Wunderkraft,
Das Wunder des großen Umsatzes — ,
Um darüber Propheten zu werden.
[44]

Nach Ruhe

[44]
Nein, unsʼre Liebe war kein heißes Werben,
Sie war ein stummes, willenloses Finden,
Doch todestraurig war ihr bitter Sterben.
Die Reste taumeln jetzt in allen Winden.
Mich sieht auch Keiner nach Verlorʼnem schmachten,
Noch werdʼ ich mich an Unbekanntes binden,
Nur nach der großen Ruhe geht mein Trachten.

Atlas

Ich lasse meine Blicke schweifen,
Die rings den Raum in sich begreifen,
Sehʼ fremd in eine Welt mich ragen,
Die keuchend wir — wie Atlas tragen.
Mich macht so müd dies tolle Hasten,
Ich will am Weg tief athmend rasten,
Beobachtend am Raine stehen
Wenn Tausende vorübergehen.
Ihr lasst mich kalt mit euren Blicken,
Mit eurem Händedrücken, Nicken,
Ich will nicht lieben, will nicht hassen,
Will mich langsam sterben lassen.

Liebesopfer

Stellʼ dich hinter jenes Tempels Säulen,
Zieh den Schleier dicht vor dein Gesicht,
Hier will ich an diesen Stufen weilen,
Bis der Morgen anbricht und das Licht.
Wenn dann seine Strahlen niederthauen
Und die Sonne zitternd aufwärts steigt,
Will ich in das Flammenräthsel schauen,
Bis der Tag sich ’gen Abidos neigt.
Also wollʼn wir unsʼre Liebe tragen
Wie ein Todtesopfer in der Nacht,
Wie ein großes heiliges Entsagen
Stumm der Lebensfreude dargebracht.

Traurige Tage

[45]
Traurige Tage heben den Vorhang
Vor meinem Bette
Mit bleichen Armen
Langsam empor.
Mit dürftigen Lampen leuchten sie
Dem Schläfer ins Antlitz.
Horchen mit gierigen Ohren,
Lauschen mit bebenden Lippen,
Zählen mit funkelnden Augen
Alle Tropfen auf der heißen Stirn.
Traurige Tage schalten und walten,
Gehen mit leisen Spähertritten
Schlürfend durch Flur und Haus.
Und sie locken die Sonne
Hinter dem Flusse empor,
Öffnen die Laden,
Weiten die Fugen und Ritzen,
Bahnen die Wege dem Licht,
Scheuchend die Nacht
Und den tröstlichen Traum.
Endlos ketten sie die Augenblicke,
Füllen mit wirren Tönen die Gänge,
In Hof und Garten schallen weithin
Die herzbeklemmenden, dumpfen Gesänge.
Fesseln am Fuß, mit wunden Zehen
Schreiten die todmüden Stunden.
Traurige Tage walten im Haus.

Dämmerung

Du Winterabend, nebeltoll,
Du tiefe Stille, andachtsvoll,
Du halbersterbendes Verlangen
Wie hältst du kosend mich umfangen.
Vom ganzen Leben einen Tag,
Von allen Stunden einen Schlag,
Ein Ton von allen Gesängen,
Die sich zu einem Liede drängen.
Ich sehʼ im Dunkel fern ein Licht,
Wie ein erbleichendes Gesicht,
Im Dorfe noch die Schmiede hämmern,
Ich liebʼ dich, mystisch-weiches Dämmern.
[46]
Du bist so ungeboren-jung
Wie sterbende Erinnerung,
Du trübes Licht, du müdes Zagen,
Du Abschiedsgruß von todten Tagen.

Das war der Tag der weißen Callablüten

Das war der Tag der weißen Callablüten,
Die um dein Lager üppig ausgestreut,
Als draußen Sonnenlicht und Farben glühten,
Der Tag im Recht war und die Nacht so weit.
Ich sah dich an, du bliebst in all der Fülle
Mir wie ein Marmorbild von todtem Stein,
Wie eines Gottgedankens Künstlerhülle,
Ich sah dich so, mein Auge warʼs allein.
Du warst dem hellen Licht zurückgegeben,
Der Krankheit Macht gebrochen und zerstört,
Und du wirst nun für alle, alle leben
Und hättest todt — nur mir allein gehört.

Im Regen

Komm zu mir. Dein Herz, dein Herz wieʼs klopft,
An deinem grauen Mantel das Wasser niedertropft,
Und nirgends ein Haus, ein Baum.
Du glühst als wie im Fiebertraum.
Du schüttelst dich wie eine kranke Schlange.
Ich zittʼre auch, auch mir ist bange,
Und durch mein Innʼres schleicht ein Ahnen,
An was wird uns der Abend mahnen,
Den wir herbeigesehnt so lange,
Zu diesem stillen, kalten Gange.
Komm. Mir die Hand! Wie Fieber heiß,
Und deine sonst so rothen Lippen wie Marmor weiß.
Was quälʼ ich dich! Welch dummes Spiel!
Du littst zu viel, schon allzuviel
In diesem furchtbar-nassen, kühlen Regen.

Ungleiche Liebe

[47]
Du siehst dich gerne in duftʼgen Pelzcapoten,
In seidenausgeschlagʼnem Phaëton,
Um deine Lippen zuckt ein lächelnd Spotten,
Grüßt elegant vom Pferd dein Seladon.
Du siehst dich gern an hellbestrahlten Schwellen,
Im Schlitten auch, auf weichen Schnees Sammt,
Wenn am Geschirre hell die Glöckchen schellen,
Und Winterluft die Wangen hat entflammt.
Ich aber sähʼ dich lieber arm gekleidet,
In einem augensanften, reinen Weiß,
Und sähʼ dich lieber weniger beneidet
In einem still-bescheidʼnen Lebenskreis.
Du solltest bei der Lampe sitzen müssen,
Bis dass der graue Tag von dannen schlich,
Wie wollte ich dann deine Hände küssen,
Und an den Fingern jeden Nadelstich!

Weiße Engel weinen...

Über unsere Stirnen
Weinen weiße Engel.
Marmorengel.
Und aus unsʼren Herzenswunden
Sprießen Rosen,
Sprießen Nelken,
Sprießen Lilien und Levkojen,
Sprießt auch dunkle Belladonna.

Gebet

[48]
Gib mir, o Herr, zur Sünde Muth
Und gib mir Kraft, die Schuld zu tragen.
Ich will nicht schlecht sein, auch nicht gut,
Gib mir, o Herr, nur Kraft und Muth,
Ein Fels in meine Welt zu ragen!

Mein Leid

Nicht mit stummem Dämmergrau
Kam das Leid mich zu erdrücken,
Aus des Himmels heiterm Blau
Sah ichʼs flammend niederzücken!
Als mein junges Glück geraubt,
Warʼs zu lichter Sommerwende,
Und die Dornen um mein Haupt
Schlangen liebe, liebe Hände...

O Mutter! ...

O Mutter!
Einst hattʼ ich einen bösen Traum.
Mir träumte, du wärest gestorben,
Und ich hätte so vieles noch,
Mutter, dir abzubitten!
Aber du lagst auf der Bahre
Und sprachst kein Wort,
Kein verzeihendes Wort —
Und glühend vom Augʼ mir
Stürzten die Thränen
Bis ich erwachte,
Krampfhaft gepresst
Das Haupt in die Kissen!
Und es war Morgen,
Du tratest ans Bett mir,
Und glühender, länger als je
Auf deinen Lippen ruhte
Mein Morgenkuss! ...
[49]
Und heute — seltsam — heute
Träumtʼ ich denselben Traum,
Aber er ist Wahrheit!
Du liegst auf der Bahre,
Und meine Thränen
Netzen die duftenden Blumen,
Die deine bleichen Hände
Sanft umklammern —
Aber dein Mund,
Dein süßer Mund
Bleibt stumm und kalt.
Du sprichst kein Wort,
Kein verzeihendes Wort,
Und ich habe so vieles noch,
Mutter, dir abzubitten! ...
— — — — — — — — —

Leben...

Ja, ich kenne sie, die Stolzen, Harten,
Die am Herrscherstuhl des Lebens thronen,
Die mit tiefgezogʼnen Brauʼn
Und mit ungebeugtem Rücken
Zur Arena niederblicken
Und den Kampf des Daseins schauʼn.
Die nicht träumen, die nur wachen,
Niemals lachen,
Und mit großen, grauen Augen
Sich ins Mark des Lebens saugen...
Und ich kenne sie, die Bleichen, Schwachen,
Die mit müden Schritten wanken
Und die Herdenstraße ziehʼn,
Die des Lebens Lasten tragen,
Ohne Klagen,
Um mit gläubʼgem Kindersinn
Himmelslohn sich zu erwerben —
Und am Wege sterben...
Doch ich liebe sie, die Heitern, Wahren,
Die mit ungebrochʼnen, klaren
Augen die Gestirne sehʼn,
Die mit ihrer Blicke Schweifen
Sonnen greifen — —
Und befreit und unbeladen
Wandeln auf beglückten Pfaden,
Bis sie jauchzend untergehʼn!

Ohnmacht

[50]
Den Bergstrom sehʼ ich toben
Hervor aus wildem Schacht.
Ich will einmal erproben
An ihm der Stimme Macht.
Ein Schrei aus voller Lunge.
Ich hörʼ ihn selber nicht!
Zum Hohn bestäubt im Sprunge
Strom mein Angesicht.

Mein Lieben

Sie liebt mich nicht! Sie hat es selbst gestanden.
Ich will mich finden in die herbe Noth,
Doch fesselt sie mit ewʼgen Liebesbanden
Dereinst ein anderer, so istʼs der Tod!
Ich hasse keinen Menschen hier auf Erden
Und hoffe selbst auch nie gehasst zu werden,
Doch jenen, der uns Alles, Alles raubt,
Ich glaube, den zu hassen, ist erlaubt.
Wie sollte ich das Dasein noch ertragen,
Wenn Hass und Groll mein Innerstes zerstört?
Wenn giftʼge Molche mir am Herzen nagen,
Und sich mein Wesen gegen den empört,
Den sie ja liebt, dem sie sich voll ergeben,
Mit Freude und mit Schmerz, fürs ganze Leben.
Gott helfe mir, wenn einst der Tag erscheint,
Da sie mit einem andern sich vereint.
Ich denke ihrer jetzt zu jeder Stunde.
Ich kann nicht anders, bin es so gewöhnt.
Wenn auch das böse „Nein“ aus ihrem Munde
Mir oft im Ohre klingt und mich verhöhnt,
So kann ich ihr trotz alledem nicht grollen.
Im Gegentheil, ich muss ihr Achtung zollen
Und denke ihrer nur in Dankbarkeit,
Wie an ein Traumgesicht voll Seligkeit.
[51]
Doch furchtbar würde sich der Traum gestalten,
Wenn sie einst einem Manne angehört,
Der sie nicht edel liebt; der mit Gewalten
Ihr keusches Wesen frevelhaft zerstört!
Wenn ich an eines andern Busen wüsste
Die Knospe, ach, vielleicht nur zum Gelüste;
Wenn er, ruchlos, mit Schurkenhand entweiht
Den Tempel reiner, holder Sittsamkeit.
O möge niemals dann der Tag erscheinen,
Wo sie in bittʼrer Reue meiner denkt.
Wo sie in schmerzensvollem, trübem Weinen
Mir eine Thräne der Erinnʼrung schenkt.
Doch wenn sie sich dereinstens so verbindet,
Dass sich ihr reines Herz zu gleichem findet:
Dann, Gott des Himmels, sprich ein Machtgebot
Und sende mir, statt Groll und Hass, den Tod.

Gottesdienst

Ich schritt an einem hellen Sonntagsmorgen
Allein dahin durch Wiese, Wald und Flur.
Verschwunden waren alle meine Sorgen,
Hinweggeküsst vom Hauche der Natur.
Es herrschte ringsum feierliche Stille,
Auch nicht den kleinsten Laut vernahm mein Ohr,
Als jählings sich mit ihrer Liederfülle
Die Lerche schwang zum Himmelszelt empor.
Ich sah ihr nach, doch höher, immer höher
Drang sie hinein ins blaue Ätherlicht.
Mir war es, als verlache sie den Späher,
Dem es ihr gleich zu thun an Kraft gebricht.
Da fühlte ich mit hehrem Wonnebeben
Mein Denken frei von jedem Spott und Hohn,
Als würde ich entrückt dem Erdenleben,
Und stünde ich vor Gottes hohem Thron.
Ich fühlte tiefbewegt die Brust sich weiten,
Als würde ich vom Andachtshauch umweht,
Und that etwas, was ich seit Jugendzeiten
Nicht mehr gethan: ich kniete im Gebet. —
Ich harrte lange so im Andachtsschweigen,
Doch plötzlich störte mich ein Jammerton.
Ich blickte auf und sah von fern sich zeigen
Die rothen Fahnen einer Procession.
[52]
Ich sah sie nahʼn mit nicht geringem Grimme.
Wie war es doch so kirchenstill zuvor:
Und jetzt? Ein Mann singt laut mit heisʼrer Stimme,
Falsch kreischend wiederholt der Weiber Chor.
Nein! Jetzt nur keinen Menschen sehen müssen.
Mit seinem Angesicht, so dumm und kalt,
Da ich mich ließ vom Schöpfungshauche küssen!
Und eilig schritt ich abseits in den Wald.

„Rautendelein“

Die alte Waldfrau spinnt und sinnt
Und kann es nicht begreifen,
Wo heutʼ ihr blondes Elfenkind
So lange möge schweifen.
Sie spricht zu ihrem Raben: „Fort!
Flugs hebe deine Schwingen,
Durchspähʼ im Walde jeden Ort,
Du musst sie wiederbringen.“
Der Rabe flog wohl Tag und Nacht
Im Walde auf und nieder,
Hat schließlich nur zurückgebracht
Der Elfe Kleid und Mieder.

Schlossroman

Die Zofe sitzt im Thurmgemach
Und trommelt an die Scheiben.
„Warum die junge Herrin wohl
Allein will heute bleiben?
Der Page lässt mich auch im Stich?
Was hat das zu bedeuten?
Und wo der Schlossherr schweifen mag
In fernen, fernen Weiten?“

Meiner Mutter

[53]
Weiß wohl, ich sollte anders mich gebärden,
Tretʼ ich nach langer Trennung vor dich hin.
Ich sollte wohl, mit kindlich frommem Sinn,
In deiner Nähe wieder Knabe werden.
Denn was der guten Hirtin ihre Herden,
Was ihre Alpe ist der Sennerin:
Das bin ich dir! Du gäbest gerne hin
Für mich dein allerletztes Gut auf Erden.
Doch ich bin trocken, kalt, zuweilen hässlich.
O wüsstʼ ich mich von diesen Fehlern rein!
Ach! das Gefühl bewusster Schuld ist grässlich!
Unendlich quält mich oft die Seelenpein,
Denn deine Liebe, sie ist unermesslich,
Und ich muss ewiglich dein Schuldner sein!

Nothschrei

Wenn ich des Nachts auf meinem Lager liege,
Erfasst mich oft der Selbstverzweiflung Macht.
Da packt sie mich und höhnt und grinst und lacht,
Schreit mir ins Ohr: Wo sind sie, deine Siege?
Wo sind sie? Menschenkind! Noch in der Wiege
Liegt ja dein Geist; er ist noch nicht erwacht.
Nein, nur in Finsternis und trüber Nacht
Wallst du dahin. Dein Können — es ist Lüge.
O Folterqual! Wann wirst du endlich enden?
Wann wird mir einmal reines Glück erblühʼn?
Wann wird sich meines Lebens Schicksal wenden?
Herr! Lasse die Begeistʼrung in mir glühʼn!
Berührʼ mein Haupt mit deinen Schöpferhänden,
Und Flammen lass aus meinem Geiste sprühʼn!

Den Erben lass verschwenden

[54]
Den Erben lass verschwenden
An Adler, Lamm und Pfau
Das Salböl aus den Händen
Der todten alten Frau!
Die Todten, die entgleiten,
Die Wipfel in dem Weiten,
Ihm sind sie wie das Schreiten
Der Tänzerinnen wert!
Er geht, wie den kein Walten
Vom Rücken her bedroht.
Er lächelt, wenn die Falten
Des Lebens flüstern: Tod!
Ihm bietet jede Stelle
Geheimnisvoll die Schwelle,
Es gibt sich jeder Welle
Der Heimatlose hin!
Der Schwarm von wilden Bienen
Nimmt seine Seele mit,
Das Singen von Delphinen
Beflügelt seinen Schritt:
Ihn tragen alle Erden
Mit mächtigen Gebärden,
Der Flüsse Dunkelwerden
Begrenzt den Hirtentag!
Das Salböl aus den Händen
Der todten alten Frau
Lass lächelnd ihn verschwenden
An Adler, Lamm und Pfau:
Er lächelt der Gefährten, —
Die schwebend unbeschwerten
Abgründe und die Gärten
Des Lebens tragen ihn!

Gute Stunde

[55]
Hier liegʼ ich, mich dünkt es der Gipfel der Welt,
Hier habʼ ich kein Haus, und hier habʼ ich kein Zelt!
Die Wege der Menschen sind um mich her,
Hinauf zu den Bergen und nieder zum Meer:
Sie tragen die Ware, die ihnen gefällt,
Unwissend, dass jede mein Leben enthält.
Sie bringen in Schwingen aus Binsen und Gras
Die Früchte, von denen ich lange nicht aß:
Die Feige erkennʼ ich, nun spürʼ ich den Ort,
Doch lebte der lange Vergessene fort!
Und war mir das Leben, das schöne, entwandt,
Es hielt sich im Meer und es hielt sich im Land!

Vom Schiff aus

Ihr Morgen, da an meines Bettes Rand
Das Licht aus hellen Muschelwolken flog
Und leuchtend, den ich später niemals fand,
Der Felsenpfad schön in die Weite bog,
Ihr Mittagstunden! großer dunkler Baum,
Wo seichtes Wachen und ein seichter Schlaf
Mich von mir selber stahl, dass an mein Ohr
Nie der versteckten Götter Anhauch traf!
Ihr Abende, wo ich geneigt vom Strand
Gespräche suchte, und sich Schultern, nicht
Aus Feuchten triefend hoben, und mein Hauch
Verklang im Streit der Schatten mit dem Licht:
Der geht jetzt fort, der aus des Lebens Hand
Hier keinen Schmerz empfangen und kein Glück:
Und lässt auch hier, weil er nicht anders kann,
Von seiner Seele einen Theil zurück.

Reiselied

[56]
Wasser stürzt uns zu verschlingen,
Rollt der Fels uns zu erschlagen,
Kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her uns fortzutragen!
Aber unten liegt ein Land,
Spiegelnd Früchte ohne Ende
In den alterslosen Seen,
Marmorstirn und Brunnenrand
Steigt aus blumigem Gelände,
Und die leichten Winde wehʼn!

Verse zum Gedächtnis eines Schauspielers

Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.
Wir trugen alle wie von einem Blitz
Den Wiederschein als Blässe im Gesicht.
Er fiel: da fielen alle Puppen hin,
In deren Adern er sein Lebensblut
Gegossen hatte, lautlos starben sie,
Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen,
Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer
In eines Königs Augʼ gedrückt, Don Philipp
Mit Caliban als Alp um seinen Hals,
Und jeder todt, o todt wie eine Ratte!
Da wussten wir, wer uns gestorben war:
Der Zauberer, der große, große Gaukler!
Und aus den Häusern traten wir heraus
Und fiengen an zu reden, wer er war.
Wer aber war er und wer war er nicht?
Er kroch von einer Larve in die andre,
Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib
Und tauschte wie Gewänder die Gestalten.
Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell,
Dass niemand ihre Klinge funkeln sah,
Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war
Vielleicht das eine, und die andre Hälfte
Gab einen süßen Narren oder Träumer.
Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier
In dessen Falten alle Dinge wohnen:
Er holte Thiere aus sich selbst hervor:
[57]
Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel
Und einen schrecklichen, und den, und jenen,
Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend
Von innerlichem Schicksal durch und durch
Wie Kohle glühend, und er lebte drin
Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen,
Mit jenem undurchdringlich fremdem Blick
Des Salamanders, der im Feuer wohnt.
Er war ein wilder König. Um die Hüften
Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht
Die Wahrheit und die Lüge von uns allen.
In seinen Augen flogen unsre Träume
Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel
Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser.
Hier trat er her, auf eben diesen Fleck,
Wo ich jetzt stehʼ, und wie im Tritonshorn
Der Lärm des Meeres eingefangen ist,
So war in ihm die Stimme alles Lebens:
Er wurde groß. Er war der ganze Wald,
Er war das Land, durch das die Straßen laufen.
Mit Augen wie die Kinder saßen wir
Und sahʼn an ihm hinauf wie an den Hängen
Von einem großen Berg: in seinem Mund
War eine Bucht, drin brandete das Meer.
Denn in ihm war etwas, das viele Thüren
Aufschloss und viele Räume überflog:
Gewalt des Lebens, diese war in ihm.
Und über ihn bekam der Tod Gewalt!
Blies aus die Augen, deren innʼrer Kern
Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen,
Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen
Und tödtete den Leib, der Glied für Glied
Beladen war mit ungebornem Leben.
Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht?
Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust
Bevölkert mit verständlichen Gestalten,
Erschließt aufs neuʼ zu schauerlicher Lust?
Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten,
Und starren nun bei seines Namens Klang
Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.

Die Beiden

[58]
Sie trug den Becher in der Hand,
Ihr Kinn und Mund glich einem Rand.
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er saß auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, dass es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Dass keine Hand die andʼre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

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TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Das lyrische Wien. Eine moderne Lese. Mit Dichtungen von Ferdinand von Saar, J. J. David, Franz Herold, Hermann Hango, Josef Kitir, Felix Dörmann, Freiherr Carl von Levetzow, Arnold Hagenauer, Paul Wilhelm, Carl Maria Klob, Hugo von Hofmannsthal. Wien/Berlin/Leipzig 1899.. Das lyrische Wien. Eine moderne Lese. Mit Dichtungen von Ferdinand von Saar, J. J. David, Franz Herold, Hermann Hango, Josef Kitir, Felix Dörmann, Freiherr Carl von Levetzow, Arnold Hagenauer, Paul Wilhelm, Carl Maria Klob, Hugo von Hofmannsthal. Wien/Berlin/Leipzig 1899.. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43CA-B