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An John Murray d. J.

[Concept.]

[29. März 1831.]

Es ist nun überjährig, mein theuerster Herr, daß ich Ihren schätzbaren Brief mit einer angenehmen Sendung erhielt, worauf ich denn, obgleich spät, versichern darf, wie das eigenhändige wunderbare Schreiben des hochverehrten Lord Byrons mir von dem höchsten Werthe gewesen und geblieben. Denn jede Äußerung eines solchen Mannes ist wichtig, besonders wenn er sich muthwillige Invectiven, polemisch-satirische Lebhaftigkeiten erlaubt.

Jenes Blatt enthält nun aber eine noch größere Bedeutung, da es neuerlich abgedruckt ist und zwar mit Auslassung einiger Stellen, die ich, der ich das Ganze besitze, suppliren kann, wobey ich erfahre, wie er gegen Personen gesinnt ist, deren Productionen er nun einmal nicht estimable finden konnte, wenn auch ein großer Publicum daran Genüge findet.

[164] Nun haben Sie auch die Gefälligkeit gehabt, mir den 1. Band jenes wichtigen Werkes freundlichst mitzutheilen, und ich darf hoffen, Sie werden fortfahren, mich mit den folgenden zu erfreuen. An diesem höchst bedeutenden Werke habe ich meine Theilnahme zu bewähren gesucht, daß ich eine Abschrift jenes schätzbaren Schreibens, womit Lord Byron von Livorno aus mich erfreut, durch Herrn Robinson dem Herausgeber abgedruckt worden.

Mir aber bleibt es traurig, daß Lord Byron, der sich gegen das wechselsinnige Publicum gar ungeduldig beweist, nicht erlebt hat, wie wohl ihn die Deutschen zu verstehen und wie hoch sie ihn zu schätzen wissen.

Bey uns fällt aller sittlicher und politischer Weltklatsch des Tages in diesem Falle hinweg, der Mensch und das Talent allein bleiben in ihrer Würde glänzend stehen. Hiebey getrau ich mir zu sagen: wer jetzt sich einen annähernden Begriff machen kann, sie ohne Lob und Tadel in ihre Eigenthümlichkeit anzuerkennen weiß, der darf sich eines großen Gewinnes rühmen. Mir wenigstens an meinem Theil gereicht ein solches Bestreben zu großem Genuß.

Sodann daß Sie mir den Verfasser des didaktischen Gedichtes: King Coal's Levee, dem Namen und seinen Zuständen nach, genauer kennen lehrten, ist mir höchst angenehm. Die Production eines wissensreichen, [165] heiteren, geistvollen Mannes gewahr zu werden, die noch überdieß einen entschiedenen didaktischen Nutzen gewährt, wird so selten geschehen, daß man gern von der Persönlichkeit des Autors näher unterrichtet zu seyn wünscht.

Können Sie Herrn Scafe, in seinem nordenglischen Aufenthalt, von mir ein freundliches Wort zubringen und ihn meiner Theilnahme an seiner geistreichen Arbeit versichern lassen, so werden Sie ihm eine gute Stunde machen. Denn der Autor sey auch noch so resignirt, vielleicht im Allgemeinen beynahe vergessen zu seyn, so wird es ihm immer ein angenehmes Gefühl erregen, eine Stimme zu vernehmen, die ihm etwas zu Liebe spricht.

Nun will ich Sie aber noch auf einen Mann aufmerksam machen, der in der Tageswelt wohl schwerlich zum Vorschein kommen kann; es ist: der Mahler D.C. Read in Salisbury, der mir durch landschaftliche Radirungen bekannt geworden.

Dieser wackere Künstler darf sich, wie schon gesagt, gegenwärtig keiner vorzüglichen Aufmerksamkeit getrösten, weil sein Talent im Widerspruche mit dem Tage steht. Alles, was der fashinablen Stahlstiche und folglich eine mit dem natürlichen Auge kaum erkennbare Kunstfertigkeit zu empfehlen wissen. Der genannte Künstler aber hat in seinen Radirungen etwas Rauhes, welches besonders in den Wolken anstößig ist, [166] die er nicht genug nach Howard studirt haben mag. In gewissen Nacht- und Dämmerungseffecten jedoch, so wie in ländlich geschmackvollen Compositionen hat er schätzbare Blätter geliefert, und es sollte mich wundern, wenn [es] nicht unter den mannichfaltigen englischen Kunstfreunden auch welche gäbe, die dem geistigen frey natürlichen Vortrag einen billigen Werth beylegten. in London hat er gewiß einen Commissionär, der wohl zu erfragen wäre.

Vielleicht unterhält es Sie, sich nach ihm zu erkundigen. Ich wenigstens ergreife gern die Gelegenheit mich um problematische Talente zu bekümmern, welche wegen der augenblicklichen Tagesrichtung nicht zur Evidenz kommen.

Mögen Sie in diesem umständlichen Brief die Ursache meines langen Zögerns finden; da ich so viel zu sagen dachte und noch mehr zu sagen hätte, so konnt ich kaum versuchen, anzufangen, bis sich genugsam ein Raum fände, der nun gerade in dem Augenblick eröffnet, da mich verschiedene Anregungen von und nach England berühren.

Herr Robinson, der uns manches angenehm Unterichtende zugebracht hat, ist gegenwärtig in Italien; kehrt er vielleicht bey jetzigen Unruhen zurück, so bitte ihn schönstens zu grüßen, da Sie ihm doch wahrscheinlich manchmal begegnen.

In vorzüglichster Hochachtung.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An John Murray d. J.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9689-4