106. Auf Clemens Thiemen Superintendenten in Colditz, da er entschlafen war
Mein Clemens! kan das seyn;
Das theu'r erworbne Gut,
Das Fünklein Abend-Schein,
[296]Das mit dir von Gott entglommen,
Hat dich nicht zu sehn bekommen?
Und also hat der Herr
Nur mich so hoch erfreut,
Zu sehn euch Wanderer
Zur grossen Ewigkeit:
Denn die Donner unsers Franken
Hörte ich in ihren Schranken.
Als ich nach Halle kam,
Itzt zwey und zwanzig Jahr,
Und meinem Bräutigam
Schon anvertrauet war;
Hab ich Elers tiefes Wesen
Mir zum Muster auserlesen.
Da sah ich gleicher Weis
Den Paul Antonius,
Weil seiner Brüder Fleiß
Viel Menschen fangen muß,
[297]Sich zu ihrem Netze flikken
Ohne langes Winken schikken.
Und, o wie freut ich mich!
Als ich dich auch erblikt.
Dich, theurer Thieme, dich,
Den Lieb und Ernst geschmükt;
Colditz, Leipzig, Dresden sahen
Unser inniges Umfahen.
Mein Trieb verschonet gern
So manchen in der Welt
Verborgnen Knecht des Herrn,
Der unsern Bund noch hält,
Und ders mit bezeugen könte,
Was uns da die Liebe gönnte.
In Colditz hast du mir
Den Kleinods-Lauf erzehlt
Der sonderbaren Vier,
Die sich der Herr erwehlt:
Meine Seele mußte sagen:
Das ist Amminadibs Wagen.
Den Leipziger Besuch
(Nach unsers Meisters Lehr
Vergeß ich nimmermehr;
Den Vergleich der Seligkeiten
Matth. 5.
Und der Ueberwindungs-Zeiten.
Offenb. 2, s.
In Dresden ward ein Plan
Gemeinschaftlich besehn,
Wie man die Lebens-Bahn
Mit Freuden solle geh'n,
[298]Daß man auch unsträflich wandle,
Und noch andre mit behandle.
Wir haben seit der Zeit
Einander lieb gehabt,
Und uns in Freud und Leid
Auf manche Art gelabt:
Bald ist unser Frank entwichen,
Paul und Elers sind erblichen.
Ich habe jenem Knecht
In Demuth nachgeruft:
Den andern auch mit Recht
Geehret in der Gruft;
Paulo hab ich stille Triebe
Nachgeschikt aus Drang der Liebe.
Nun kommt die Reih an dich,
Verklärter Zeuge du;
Du eiltest ritterlich
Dem schönen Siege zu.
Leib! dich heiß ich stille liegen,
Seele! dich, zur Arche fliegen.
Weil aber, selge Vier!
Ihr mich so hoch geliebt,
Und zu des Bräutgams Zier
Beredet und geübt:
Will ich euch zum letzten Segen
Meinen Sinn vor Augen legen.
Ich liebt euch über mich:
Ihr war't der Liebe werth,
Ihr kämpftet ritterlich,
Ihr habt des Herrn begehrt;
Euch wars Ernst um Christi Heerde,
Daß sie rein und heilig werde.
[299]Mir, so gering ich bin,
Ists auch darum zu thun,
Daß Jesu Christi Sinn
Mög' in den Seelen ruh'n,
Und, ob alles Fleisch betröge,
Gott für wahrhaft gelten möge.
Ich wende keine Müh'
Auf falsch berühmte Kunst:
Die Blut-Theologie
1 Pet. 1, 13-23.
Hat meine ganze Gunst,
Die vom Creutze hergekommen,
Und am Creutz wird eingenommen.
Gott ist kein harter Mann,
Der nimt, was Er nicht giebt,
Und welcher hassen kan,
Was Er zuvor geliebt:
Ihm gehören alle Seelen
In und ausser ihren Höhlen.
Doch leget Gottes Wort
Handgreiflich an den Tag,
Daß Gott der Sünde Tort
Unmöglich leiden mag,
Und daß, für die Sünden-Bisse,
Gottes Sohn sich opfern müsse.
Jes. 53. Joh. 3.
Der Fall ist offenbar
Es stehet in der Schrift,
Und ist uns selber klar,
Auf die er täglich trift:
Denn was haben wir für Gaben
Die nicht auch die Thiere haben?
Die Menschen sehen das:
Den einen greifft es an;
[300]Der andre weiß nicht, was
Und wo er helfen kan;
Und der dritte Theil der Thoren
Geht mit gutem Muth verloren.
Ein unansehnlich Volk
Von ganz geringer Zahl
Genant die Zeugen-Wolk,
Zerstreut durchs Jammerthal,
Führt von einem höhern Bilde
Etwas sichtbarlichs im Schilde.
Es bildet sich nichts ein,
Verachtet das Gefühl,
Begehret arm zu seyn,
Und müht sich dennoch viel;
Und da möcht ein Kluger denken:
Wer wird solche Leute kränken?
Allein sobald ein Haus
Dergleichen sehen läßt,
So rufet alles aus:
Hierinnen ist die Pest,
Und der Mensch von Gottes Gnaden
Wird mit Schmach und Druk beladen:
Fragt einen Meister nur,
Der alles rathen kan,
Der selbsten der Natur
Die Quellen aufgethan:
Warum ist den Tygern Frieden,
Und den Schafen Krieg beschieden?
Ich sage ohne Scheu:
Man weiß die Ursach nicht;
Hört aber nur, wie frey
Der Hirt der Schafe spricht:
Daß die Völker auf der Erden
Ihn und sie nicht leiden werden.
[301]Gelobt sey euer Fleiß,
Ihr Creutz-Theologi,
Die ihr, mit Angst und Schweiß
Und unabläß'ger Müh',
Durch die unwegsamen Höhlen
Brecht bis zu der Menschen Seelen.
Vor funfzig Jahren wars
Noch keine Ketzerey
Daß des Erlösungs-Jahrs
Kein Sclave würdig sey,
Der sein Elend nicht beklaget
Und sich Christo zugesaget.
Weil aber euer Mund,
Bey einer grossen Schaar,
Mit Gottes Gnaden-Bund
Wohl angekommen war,
Blieb nichts übrig denen Schwätzern,
Als die Wahrheit zu verketzern.
Ihr, die ihr unverwandt
Der Lehre Reinigkeit
Und dem Verleugnungs-Stand
Bedient gewesen seyd,
Geht und erndtet eure Saaten,
Die zur Ewigkeit gerathen.
Ich bleibe noch zurük,
Ich, euer Mitgenoß,
Den Christi Gnaden-Blik
Wie euch ins Joch verschloß;
Ich will unter denen Fetten
Meines Rufers Tugend retten.
Mein Name gehe hin,
Und meine Ehre mit:
Mein zeitlicher Gewinn.
Gott thu nur meine Bitt':
[302]Ueber dem Geschäft zu sterben,
Seelen für das Lamm zu werben.
Mein Zeugnis in der Welt
Bleibt bey der Gottes-Kraft,
Beym Blut, beym Lösegeld
Von der Gefangenschaft,
Und wie man schon auf der Erden
Reichlich solle dankbar werden!
Dabey behaupt ich biß,
Und wage alles dran,
Die Kirche ist gewiß
Verstreut im Elends-Plan.
Und die Glieder, die sich finden,
Sollen sich genau verbinden.
Die Welt soll Feuge seyn,
Daß sich diß Häuflein liebt,
Und jedem das, was sein,
Voraus dem Kaiser giebt,
Aber auch bey Druk und Spotte
Das, was Gottes ist, nur Gotte.
Und hiemit segn' ich dir,
Mein Bruder, deine Ruh.
Die Liebe gebe mir,
Daß ich die Wahrheit thu.
Alle, die wir erben sollen,
Lehr die Liebe: Sterben wollen!