Su mille ignote sofferenze piango
Ada Negri
Su mille ignote sofferenze piango
Ada Negri
[6] Maikäfer –? – Kein Verständ'ger kann sie lieben,
Und hassen muß sie, wen das Grün entzückt,
Das nach des Winters letztem Flockenstieben
Mit zartem Anhauch Wald und Garten schmückt.
Dennoch mit Recht wird einmal aufgeschrieben
Die närrische Komödie, der es glückt,
Weit mehr als jedes andre Stück auf Erden –
– Trotz aller Welt Protest – gespielt zu werden.
Hierin zeigt sich ein richt'ges Hoftheater,
Daß nach dem Publikum man wenig fragt.
Aufführen läßt für sich der Landesvater
Im Schauspielhaus der Welt, was ihm behagt.
Mag pfeifen, toben rings der Menschenkrater, –
Das hilft zu nichts. »Flugjahr« ist angesagt,
Und die Akteure, die Aktricen schnurren
Aufs Podium trotz allgemeinem Murren.
Es fügt sich alle drei vier Jahre zwar
Nur immer dieses Spiels Olympiade.
Doch lang, eh' einen Aeschylos gebar
Und einen Sophokles des Himmels Gnade,
[7] Ward aufgeführt das Stück unwandelbar,
Und bleiben wird's, so lange die Estrade,
Auf der es spielt, noch fest zusammenhält.
Unsterblich ist dies Drama wie die Welt.
Was ihr nun ungezählte Male schon
Auf grüner Maienbühne sahet spielen,
Doch leicht vergaßt, sobald dem Blick entflohn
Die kleinen, dicken Mimen, die skurrilen, –
Hier nehmt es hin um mäß'gen Schreiberlohn.
Es ward gekritzt mit manchen Federkielen
Und, – weil der Lenz in Wechsellaunen strahlt, –
In Tinten jeder Farbe hingemalt.
[8][1] [3]Auf Höhn und Tälern eine Frühlingsnacht!
Die erste nach den frosterstarrten Zeiten.
Der weiche Wind des Südens ist erwacht
Und seines Atems sanfte Wellen gleiten
Bis in der Erde dunkle Tiefen sacht
Zu dort verborgnen stillen Heimlichkeiten,
Die jener blaue Lichtstrom nicht erschließt,
Der von der Mondesinsel niederfließt.
Nicht ist die Tiefe nur des Todes Reich.
Auch Lebenskeime ruhn zu Millionen
In ihr. Aus Larven, blutlos, schwach und bleich,
Erstehen bald, gepanzert, Legionen,
Die jetzt noch, einem Volk von Schatten gleich,
In Höhlen dort, in finstern Kammern wohnen.
Schon ist Erlösungs-Ahnung zugesellt
Der unruhvoll bewegten kleinen Welt.
[3] Laßt uns belauschen, was sie tun und sagen,
Jetzt, da des Maienmundes Gruß sie trifft.
Ein Auferstehungssarg mit Flügelschlagen
Ist jede Scholle nun der stillen Trift.
Die Erdgebornen faßt ein himmlisch Wagen;
In ihnen gärt das süße Lebensgift,
Das mit dem Rausch sehnsüchtiger Gedanken
Ins Weite sie verlockt aus engen Schranken.
[4]Merkt ihr's? Spürt ihr's? Hört ihr's? – In allen Nachbarhäusern sind sie am Aufbruch oder schon fort.
Auch wir müssen uns fertig machen. Schaut euch's noch einmal recht an, das alte Haus, in dem wir die Jahre her gesessen und den Tag erwartet haben, da es heißen sollte: »Das Volk, das im Dunkeln wandelt, sieht ein großes Licht.« Der Tag ist da. Das große Licht – bald, heute noch werden wir's erfahren.
[7]Ja! und als ob wir den Unterricht nicht alle empfangen hätten, die heiligen Sprüche, die unser Labsal waren in der Finsternis und bei so mancher Anfechtung. Wenn es da hieß: »Ich sage euch ein großes Geheimnis; wir werden nicht alle sterben, aber wir werden alle verwandelt werden«, – da konnten wir uns anfangs zwar nichts Rechtes dabei denken. Bald aber spürten wir inwendig, daß es etwas damit sein müsse; wir spürten die kommende Verwandlung in allen Gliedern, je länger es dauerte, desto deutlicher. Und eines Tages waren uns »die Fittige des neuen Lebens« – wie der Prediger neulich so schön sagte – an die Schulter geflogen, wir wußten nicht wie. Jetzt dürfen wir uns freuen, daß wir glaubten, auch als wir noch nicht begriffen.
[8]Nein! erst zur Landsgemeinde, die unser König einberufen hat. Das ganze Volk versammelt sich – wie's in einem alten Liede heißt.
Du meinst, weil er doch nichts begreifen wird? Wir werden freilich unsere liebe Müh' und Not mit dem kleinen Vieh haben; aber allein zurücklassen können wir ihn nicht.
Komm' mal hervor, Dummerchen.
War auch schrecklich genug. Wir duselten an jenem Abend so hin, dachten nichts, sagten nichts, wie Übrigens gewöhnlich ...
Da plötzlich – in der Wand – dem Dummerchen gerade gegenüber – mein Tag des Lebens vergeß ich's nicht: zwei Hände, die durch die Mauer brechen ...
Mein Gott! ja! der ver ... hätt' ich bald was gesagt – der schwarze, pelzige Werwolf! Warum die alte Geschichte aufwärmen?
Der Rüssel den Händen gleich nach, packt unsern Bruder Gottlieb, frißt ihn vor unsern Augen an und – fort mit ihm! Haben ihn nie wieder gesehen. Das Anfressen war scheußlich. Aber am scheußlichsten doch diese Hände plötzlich durch die Mauer.
[10]Nein! Beruhige dich nur. Hier unten gab's Nacht und Mühsal und Angst und Traurigkeit. Aber diese jenseitige Welt, in die wir nun eingehen sollen, hat gewiß keine Hände. Wie könnte sie sonst die heilige Welt sein, die uns verheißen ward?
Versuch' mal, Dummerchen, ob du mir den Reisespruch nachbeten kannst: »Ich sage euch ein großes Geheimnis ...«
Es ist ihm zu schwer; ich muß es aufgeben. Vielleicht kommt ihm die innere Erleuchtung, wenn erst das neue Leben begonnen hat.
Wenn ihr bereit seid, so laßt uns gehn. Führt das Dummerchen. Gott segne unsern Ausgang.
Man sollt's nicht denken, Herr Grünschneider, aber es gibt kleingläubige Gesellen, die noch jetzt zweifeln, wo die Offenbarung doch so zu sagen bereits ihren Anfang genommen hat.
Das sind eben Kummerkraxen, wehleidige, so lang an Verdruß und Jammer gewöhnt, daß ihnen was fehlen würd', wenn's nichts mehr zu ängstigen gäb'!
[12]Ist auch böser Wille dabei. Hab' mir von einem erzählen lassen, der rote Sepp heißt er, der soll ganz offen gesagt haben, der G'schicht trau' er noch lange nicht.
So einem sollt' man aber doch das Maul so stopfen, daß er auf ewige Zeiten vergäß', wie man's aufmacht.
Er soll auch nicht unsres Volkes sein, sich listig ins Bürgerrecht eingeschlichen haben, als man seine schlechte Art noch nicht erkannt hatte.
Ja! dort soll's mehr solche fatale Bursche haben, denen alles nichts ist. Aber reden wir nicht davon. Man ärgert sich unnötig und schadet sich an der Gesundheit.
Eben dahin. Wohin auch sonst? Aus allen Gehöften strömt das Volk. »Es ist eine Freude zu leben!« sagte heute einer, der an uns vorbeikam.
Den schaut mit Respekt an! Das ist der alte Hubeland. Der war früher schon einmal auf der Erde und ist wie durch ein Wunder zu uns zurückgekehrt.
Was! was! – Habt ihr's gehört, Brüder? Einer, der schon oben war! Das ist ja – ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Also ein lebendiger, greifbarer Beweis, daß alles wahr ist, was man uns gelehrt hat. Herrgott! wie mir das ans Herz greift. Das ist mehr als zehn Betstunden.
Er hört euch nicht. Er ist arg schwerhörig. Man muß sehr laut mit ihm reden. Aber er ist ein gemütlicher Mann.
Das gibt sich vielleicht später. Jetzt müssen wir uns tummeln, wenn wir einen guten Platz erobern wollen.
Das ist wahr. Vorwärts also! ... Aber – wie wunderbar! wie wunderbar! Ich hab' nie gezweifelt und jetzt muß ich doch staunen, daß einer schon oben gewesen ist. – Wenn ihr's erlaubt, bleiben wir beisammen.
Wirklich seltsame Einrichtung dieses vorerst singuläre Ausschwärmen der Männlichkeit, die Damen erst später.
[16]Müssen uns eben erst umsehen, Terrain rekognoszieren, uns auch ein bissel 'rausfüttern. Vive l'amour après le souper!
Kommen Sie, Herr Bruder. Treten wir abseits. Können ungenierter sprechen. Pöbelvolk ist natürlich ganz gerührt und verliert Haltung.
Von der Kron, den Kerl langen sie mir heraus!
FLÜGEL-ADJUTANT VON DER KRON geht nach dem Hintergrund und kehrt alsbald zurück. Melde gehorsamst, Majestät, daß Individuum schon gefaßt ist. Bauernfäuste, Majestät. Ja, unser wackeres Volk, das wacht noch über seine höchsten Güter.
Wir werden glücklich, alle glücklich sein!
FLÜGEL-ADJUTANT VON DER KRON. Ein donnerndes dreimaliges Hoch seiner Majestät, unserm allergnädigsten und allerweisesten König!
Ja schon. Eigentlich müßt' es zwar der Hinterstoißer tun. Das ist nämlich, wenn Majestät zu erlauben geruhen, ein Bauer, mit dem ich auf dem Wege zur Landsgemeinde zusammengetroffen bin.
Der Hinterstoißer sagt's. Und ich hab' ihn selber gesehn. Hubeland heißt er. Dort hinten steht er neben meinen Brüdern.
Es soll doch schon ähnliches vorgekommen sein, Majestät! Speziell bei Individuen, welche droben in der Lichtwelt ehelos geblieben sind, was unter Umständen eine Art Palingenesie zur Folge hatte.
[39] [41]Aus Nacht und Morgen ward der erste Tag,
Das Volk der Dunkelheit freut sich im Lichte.
In Eichwaldkronen und im Buchenhag
Verbreitet sich's, hat seltsame Gesichte,
Die dumpfer Sinn zu deuten nicht vermag.
Die ersten Stunden seiner Weltgeschichte
Sind ausgefüllt mit wonnigem Erfassen
Des neuen Rechts, im Maiengrün zu prassen.
Als seiner Höhlenstadt es froh entstieg,
War westwärts tief der stille Mond geschwommen.
Noch schlief die Welt und alles Leben schwieg.
Dann aber war das Frührot zart entglommen,
[41] Und endlich blitzten goldne Strahlen: Sieg!
Der Augenblick, der hehre, war gekommen,
Wo Purpur färbt das Angesicht, das bleiche,
Der schlaferstarrten schönen Erdenleiche.
Als Braut, als glühende, erwacht die Tote.
Das Blut des Tages wallt in ihren Wangen.
Denn jenes Feuer, das im Osten lohte,
Hat plötzlich rings den Himmelsrand umfangen.
Ein Alpengipfel war der erste Bote
Des Flammenmeers. Bald alle Höhen prangen
Und Wald und Flur und Strom im ros'gen Schein,
Der prunkvoll will des Lebens Festsaal weihn.
Stolz auf des Schreckhorns eisgekronter Spitze
Ein goldner Ritter steht, die Ferne blendend
Mit diamantnem Schild, und Strahlenblitze
Des blanken Riesenschwertes weit versendend.
Doch zum Triumph nur, nicht in Kampfeshitze
Schwingt er die Waffen, lichte Freude spendend.
Der Lebensquell der Wärme strömt ins All
Und segnend höher schwebt der Sonnenball.
Dies alles schaut die grabentstiegne Schar.
Und mit dem Tag wächst Leben, Schall, Bewegung:
Ein Jubilieren in den Lüften klar,
Im Blättermeer des Morgenwindes Regung.
[42] Jetzt summend Glockenläuten wunderbar
Vom nächsten Dorf, und hinter der Umhegung
Des Waldes eines Bahnzugs Donnerrollen,
Und Wolken, die dem Ungetüm entquollen.
Die Aecker dampfen auch, wo vor dem Pflug
Die schwarzen schweren Rosse paarweis schreiten.
Die Egge schleppt langsamer Rinder Zug.
So weit die Wiesen sich, die grünen, breiten,
Beginnt des Menschen Arbeit, früh genug.
Und dieses Bild – in ungemeßnen Weiten
Zeigt's als dasselbe sich, doch mannigfach. –
Die Welt, die wunderbare Welt ist wach!
Sie, die zum erstenmal dies alles schauen,
Wie werden sie, die kleinen, es verstehn?
Hervorgelockt von gläubigem Vertrauen,
Umspielt von sanfter Maienlüfte Wehn,
Zu Füßen die beblümten grünen Auen,
Die sie vorahnend, wie im Traum gesehn,
Jetzt wirklich schaun, – wie werden sie's ertragen?
Folgt mir. So werden sie es selbst euch sagen.
Sag's ja. Ein Kerf, wenn Ihr wollt wie wir, aber von einer andern Rasse, schlank, schnell, läuft wie ein Luder.
Na, kurzum. Der rennt mich an, wie ich da unten ruhig im Moos spazieren geh, rennt mich an, sag' ich ...
Da zerrt der Vagabund an mir herum, will mich zwischenhinein würgen, zerrt dann wieder, versucht mich wegzuschleppen –
Das ist unser Glück. Wir sind schwere Leute, wir bähen ein Beharrungsvermögen. Essen gut, schlafen gut, machen uns keine unnützen Gedanken. Dabei setzt man was an. Das gibt Statur. Na – da ließ also der Kerl von Euch ab?
Zwei! – Merkte zum Glück, was er im Sinne hatte. Krabbelte und rackelte mich also furchtbar ab, um auf die Beine zu kommen. Mit Ach und Krach gelang's. [56] War auch die höchste Zeit. Denn wie ich eben aufflieg', kommen die zwei grüngoldenen Laufpeter daher gerannt; sah noch, wie sie mich überall suchten, die lausigen Patrone. Machte natürlich, daß ich fortkam.
Denkt nicht darüber nach. Denken macht Kopfweh. Wenn man eine gute Verdauung hat, ist alles andere Larifari.
Sagt nichts. Ihr seid gut weggekommen. Damit basta! – Schaut lieber, was da für eine gemütliche Sippschaft beisammen sitzt.
Hatte heute schon Besuch von Medizinalrat v. Zangen, auf Allerhöchsten Befehl; wurde untersucht und über alles ausgefragt. Und er will wiederkommen und vielleicht sogar der König mit ihm.
[58]Ist eine wichtige Person geworden. Und es ist merkwürdig, wie ihm mit dem ersten Mund voll Grün die Erinnerungen gekommen sind und wie er alles erklären kann. – Gelt, Vater Hubeland?
Nein! Gäule sind's, sagt der Alte. Aber die dahinter und nebenher gehen, aufrecht auf den Hinterbeinen, diese häßlichsten Tiere, die mir je vorgekommen –
Nun, da sagt der Alte, diese bleichen Lümmel seien die Herren und Meister der großen, edleren, deren Fell glänzt als ein schwarzer Spiegel und die mit jedem Tritt einen solchen Menschkerl zerstampfen könnten.
Das könnt Ihr selber nicht verantworten, was Ihr da sagt. Der Hubeland hört nicht gut, das ist wahr. Aber was er gesagt hat, das ist bisher auch alles wahr gewesen.
Hat er nicht gesagt, die Menschen seien überhaupt die Herren und Meister in dieser unsrer Himmelswelt? Hat er das gesagt oder nicht?
Ja! gesagt hat er's. Und so viel sehen wir jedenfalls, daß sie die Herren von die Gäule sind. Schaut doch selbst, wie die folgen müssen und wie der kleine Menschkerl da nebenher den Riesentieren mit dem langen Ding um die Ohren knallt. Meint ihr, die würden sich's gefallen lassen, wenn sie nicht müßten?
Aber der Hubeland sagt noch mehr. Er sagt, daß diese Bleichgesichter auch über uns Gewalt haben und daß sie uns aufsässig sind, uns hassen und vertilgen, wo sie uns finden. Nun frag' ich: ist das möglich?
Warum sollt's nicht möglich sein? Was meint ihr, wenn der mit dem langen, sausenden und klatschenden Ding da einmal mitten unter uns hineinschlüg, – wie würd's uns ergehen?
Was? Ihr redet ja wie der rote Sepp?! Sich aufrichtend. Kommt, Brüder! Hier ist unseres Bleibens nicht. Ein Augenblick auf der Bank der Gottlosen ist eine sträfliche Ewigkeit.
Seid doch gemütlich, Leutchen. Wie mögt ihr zanken, [62] wo die Sonn' so schön scheint und das junge Grün von allen Zweigen uns zuruft: »Friß mich! Friß mich!«?
Nein! Hier ist keine Gesellschaft für Leute, die ihren Katechismus im Leib haben. »Wohl dem, der Lasterhafte flieht!« »Kommt, Brüder!«
Aber man kann doch über seine Erfahrungen ein ruhiges Wort reden. Ich hab' auch etwas erlebt. Zwei Grüngoldne –
Der König? – Dann bleiben wir, dann harr' ich aus. Aber macht euch auf alles gefaßt. Es ist nicht umsonst gesagt: »Das Gemurmel der Lästerer soll nicht verborgen bleiben.«
[75] [77]Am ersten Maienmorgen wandelt »'Bin«,
Der Pfarrerssohn, – Sabinus ist sein Name –
Auf sanftem Wiesenpfad zum Walde hin
Und denkt an seine neuste Herzensdame.
Er liebt sie schon seit Anbeginn April,
Als just die Weidenkätzchen ausgebrochen,
Und wartet auf den Augenblick seit Wochen,
Da seine Lieb' er ihr gestehen will.
Sie ist ein blondes, süßes, junges Ding,
Geschmeidig wie ein sammetfellnes Frettchen.
In Gang und Haltung wohl zu sehr Soubrettchen,
Nur daß aus saphirblauer Augen Ring
[77] Der sanften Sterne Schein bescheiden flimmert,
Ein Seelchen kündend, das verborgen blüht,
Das, während Lachen auf den Lippen schimmert,
Doch auch für ernste Dinge schön erglüht.
Als Töchterlein des nahen Gutsverwalters
Und jüngst aus der Pension zurückgekehrt,
Hat sie dem Pfarrerssohne gleichen Alters
Der Augen spielend Werben nicht gewehrt.
Zwar seine Siebzehn sind nicht wert die Sechzehn,
Die ihren zarten Busen sanft geschwellt,
Doch würd' es einem jungen Mädchen schlecht stehn,
Nähm' es so kritisch wahr den Lauf der Welt.
So spann bereits denn zwischen diesen Beiden
Die Liebe, die aus scheuen Blicken spricht,
Die ersten Fäden elfenhaft und seiden.
Verräterisch war auch das Purpurlicht,
Das sich bei unvermutetem Begegnen
In ihre jungen Wangen plötzlich goß,
Und den Beglückten, doch auch schwer Verlegnen
Ein köstliches Geheimnis jäh erschloß.
Zu Worten war es endlich auch gekommen.
Doch dessen nicht, wovon die Herzen voll,
Floß dann ihr Mund; sie atmeten beklommen
Und gönnten sich nur karger Rede Zoll:
[78] Vom Wetter, – daß es endlich Frühling werde, –
Daß nächstens auch im Städtchen Jahrmarkt sei
Mit einem Karussell, und nicht bloß Pferde
Auch Hirsche seien, Schwäne mit dabei ...
Wohl war für Ohren, die vom Klang sich nähren
Der andern Stimme, nicht allein vom Sinn,
Auch solcher Redetand Musik der Sphären;
Nur schwanden ungenutzt Minuten hin,
Die leider doch zu häufig sich nicht fanden
Und denen bessere Verwendung ward,
Wenn erst einmal die Lippen sich gestanden,
Was in den Herzen keimte kühn und zart.
Drum wandelt heute 'Bin so in Gedanken
Auf seinem Pfad; die Seel' ist ihm umflort.
Und leise fängt er an mit sich zu zanken:
»Warum nur bin ich immer so verbohrt,
Das dümmste Zeug zu sprechen, statt das Eine,
Wenn mir der Himmel Trudchens Nähe schenkt?
O! käme jetzt sie um den Hag geschwenkt,
Heut' endlich sagt' ich ihr, wie ich es meine.«
Und sieh – da nimmt das Schicksal ihn beim Wort.
Ein lichtes Frühlingskleid am Waldsaum flattert,
Sie ist's! Sie ist's! – Erst steht er ganz vertattert,
Dann eilt in großen Sätzen er dem Ort
[79] Entgegen, wo sich kreuzen ihre Pfade,
Was Trudchen alles weder sieht noch ahnt.
So viel scheint sicher, daß des Himmels Gnade
Die beiden Wege weislich hat gebahnt.
Im neuen Strohhut und in einem Röckchen,
Das vorne tief en coeur geschnitten war,
Um Hals und Schläfe leicht gelöste Löckchen,
Der Mund tief rot, die Augen frisch und klar –
So kam das wohlgeschaffene Persönchen
Mit einem Buschen Flieder in der Hand
Im Wiegegang daher am Waldesrand
Und summte vor sich hin halblaute Tönchen.
's war Mozarts »Veilchen«, was sie leise sang.
Da fiel auf ihren Weg des Jünglings Schatten.
Zugleich zu ihren Muschelöhrchen klang,
Was diese – scheinbar – nicht erwartet hatten:
»Ei! guten Morgen, Fräulein Gertrud!« – –›Ah!‹
Entfuhr es ihr. Dann trafen sich die Blicke.
Und jedes wurde rot bis ins Genicke.
Ach! die Verlegenheit war wieder da.
Trotz allem Vorsatz weiß 'Bin nichts zu sprechen,
Doch hält er ihr zur Seite gehend sich.
Und eben will sie selbst das Schweigen brechen;
Da hört sie: »Lila lieb' ich fürchterlich.«
[80] ›Ach! meinen Flieder!‹ spricht sie. Er: »Syringen
Auch nennt man ihn.« Dann wird es wieder still.
Kein weiteres Gespräch will ihm gelingen.
Ach Gott! Geht's denn im Mai wie im April?
Doch nein! – In seiner Angst die Blicke hebend,
(Sie schritten immer noch am Waldessaum,)
Sieht er an jungen Buchenzweigen klebend
Das Käfervolk; es füllt den ganzen Baum.
Und froh, auf einmal ungesucht zu finden,
Was Anknüpfung zu Weiterem verheißt,
Spricht er: »Der Mai mit seinen Angebinden
Ist da!« – indem er auf die Käfer weist.
»O! weh!« ruft Trudchen. »Diese garst'gen Tiere
Verleiden mir seit Jahren schon den Mai.
Oft fragt' ich mich, warum nur existiere
Solch Ungeziefer. Gehn wir schnell vorbei.
Denn, wenn im Haar sich einer mir verfinge –
Es macht mir übel, nur zu denken dies –
Ich glaube, daß vor Grausen ich verginge.
Ist's wohl ein Flugjahr? Ach! gewiß! gewiß!«
Da regt in 'Bin sich etwas vom Schulmeister,
Der leider in den meisten Männern steckt.
Zu zeigen uns als überlegne Geister,
Zu deuten alles, was Natur bezweckt,
[81] Das scheint uns wohlgetan vor unsern Frauen.
Doch stiege mancher vom Piedestal,
Könnt' er ins Herz des kleinen Weibchens schauen,
Das lächelnd lauscht dem weisen Herrn Gemahl.
So hob denn 'Bin dozierend an! »Im Haushalt«.
Doch weiter kam er nicht. Es gellt ein Schrei,
Aus dem die höchste Seelenangst herausschallt;
Und ohne, daß er ahnt noch, was es sei,
Sieht Trudchen wie verrückt im Kreis er tanzen,
Dazu kreischt sie, greift nach dem Busen hin,
Stampft achtlos auf die weggeworfnen Pflanzen, –
– Die Lila, – Worte schreiend ohne Sinn.
Er steht betäubt. Sie aber an den Armen
Ergreift ihn jetzt und stöhnt: »Das Tier! das Tier!
O! helfen Siel O! haben Sie Erbarmen!
Ich kann's, ich darf's nicht fassen ... hier, hier, hier!«
Und da sie stets auf den Encoeur-Schnitt deutet,
Kommt endlich diesem guten, jungen Mann
Verständnis dessen, was die Glocke läutet.
Er merkt: ein Käfer Einschlupf dort gewann.
Und kühn entschlossen senkt er seine Hand
In eine weiche Doppelwallung nieder,
In ein ihm wunderbares neues Land.
Ein Schauer fährt ihm rieselnd durch die Glieder.
[82] Halb ist ihm nur bewußt, was er verspürt;
Doch dünkt ihn, daß von allem, was auf Erden
Es gibt, er jetzt das Feinste hat berührt,
Daß ihm ein höh'res Glück nicht konnte werden.
Zwar einen Augenblick nur darf er weilen,
Bis er gepackt den ungebetnen Gast.
Doch tausend Meilen glaubt er zu durcheilen,
Ein Reich, das jede Herrlichkeit umfaßt.
Und daß es wogt in schauerndem Erbeben
So weich, so warm, so zart, so wonnevoll,
Gießt in die Adern ihm ein stolzes Leben,
Wie's niemals ihn so glühend noch durchquoll.
Der Käfer lag im engen Hügeltal,
Mit seinen Tarsen links und rechts sich klammernd;
Der zarten Haut schuf dies vornehmlich Qual.
Doch stille hielt das Mädchen, nicht mehr jammernd,
Nur harrend, atemlos, daß dem Versteck
Das Untier in des Retters Hand entsteige;
Es galt, daß sie sich rühre nicht vom Fleck,
Der Hand gefällig sich vornüber neige.
Nach einer Ewigkeit von zwei Sekunden
Zieht, halbgeschlossen, sich die Faust zurück.
Das Schreckens-Tier ist fort! Dies wird empfunden
Von Trudchen als ein großes, volles Glück.
[83] Doch in dem Glücksgefühl wird ihr bewußt
Auf einmal auch, – und Glut flammt auf den Wangen –
Daß nicht der Käfer nur auf ihrer Brust
Zu einem Gastbesuch sich unterfangen.
Da schießen Tränen in die Augen ihr,
Die blauen Sterne schwimmen und ertrinken.
Nach einer Stütze greift, ohnmächtig schier,
Das arme Kind; sie wird zu Boden sinken.
Doch plötzlich fühlt sie stürmisch sich umschlungen,
Auf ihre Lippen preßt sich fest ein Mund.
Dann jubelt's: »Gertrud! hab' ich dich errungen?
Ja! du bist mein! Geschlossen ist der Bund!«
Sie duldet zitternd, schweigend die Liebkosung
Und ihre Lebensgeister sammeln sich.
Wenn künftig »Liebe« lauten soll die Losung,
Dann ist – so scheint ihr – nicht so fürchterlich,
Was hier geschah; zwar immer noch zum Schämen
Und jedenfalls zum Wiederholen nicht.
Je nun! sie würde nöt'gen Falles zähmen
Den Wilden und ihn zwingen zum Verzicht.
So ließ sie denn ihr Mäulchen lieblich schwellen
Auf seinen Lippen mit beherztem Druck,
Und Beider Herzschlag ging in hohen Wellen.
Dann, frei sich machend mit entschiednem Ruck,
[84] Sprach sie: »Ach Gott! wie ist es nur gekommen?
Ich war recht dumm! Nun schäm' ich mich zu Tod.
Der Käfer ... ach! ... wie hab' ich mich benommen!
Doch so ein Tier! ... und Not kennt kein Gebot.«
»O! göttliches geliebtes Mädchen, sage
Dergleichen nicht!« rief 'Bin ekstatisch aus.
»Noch immer in der hohlen Faust hier trage
Den Käfer ich und nehm' ihn mit nach Haus,
Weil er der Gründer unsres Glücks geworden.
Dies Tier – nein! fürchte nichts, ich halt' es fest –
Ist nicht ein Sproß gemeiner Käferhorden,
Stammt nicht aus schlechter Engerlinge Nest.
Gott Eros selbst steckt in dem kleinen Wesen,
Der Gott der künftig unsre Liebe schützt.
Drum hatt' er jenes Nestchen sich erlesen –
O! nein! erröte nicht, was gar nichts nützt, –
Ich sag', er hat uns Beide so geleitet,
Wie's unserm wahren Glücke dienlich war.
Ein niedlich Heiligtum sei ihm bereitet,
Dem Käfergott, ein kleiner Hausaltar.«
Doch Fräulein Gertrud, mit erneuten Flammen
Im Angesicht, sprach fest und würdevoll:
»Nein! keinen Schritt gehn weiter wir zusammen,
Wenn dieses Scheusal uns begleiten soll,
[85] Das indiskrete Tier bleibt mir ein Grausen.
Es hat den Tod verdient, – und würd's gespießt!
Der Ekel mag bei seinesgleichen hausen.
Mein Hals ist nicht gepflastert noch bekiest.«
»Hals!« dachte 'Bin. »Hals! das ist wirklich gut!«
Laut aber sprach er: »Sei's, ich will verzichten,
Will keinen Hausaltar dem Schelm errichten,
Der auf dem allerschönsten schon geruht.
Doch ihn zu töten – nein! das wäre Sünde,
Das wäre Mord im Reich der Cherubim.
Er kehre heim in dunkle Waldesgründe,
Die sel'ge goldne Freiheit schenk ich ihm.«
Und so geschah's. Auf einer Weißdornhecke
Ward sorglich ausgesetzt der kleine Mann.
Und dann verschwand das Pärchen um die Ecke,
Das durch ein Käferlein sein Glück gewann.
An jenem Abend aber, als allein
Sabinus sich befand in seinem Zimmer,
Bannt' in ein ganzes Epos er hinein
Des schönen Abenteuers Freudenschimmer.
Romantisch allegorisch drin beschrieb er,
Wie er als Ritter eine holde Maid
Von einem Drachenungetüm befreit.
Man sieht, nicht völlig bei der Wahrheit blieb er.
[86] Der Käfer war kein Lindwurm, ohne Zweifel.
Für dieses Faktum ist auch 'Bin nicht blind.
Doch sagt' er sich im stillen: »Na! zum Teufel!
War's auch kein Lindwurm – etwas doch war lind!«
* * *
Gesang des Regens im Walde.
[141] [143]Melancholien hängen in der Luft,
Wenn sich im Frühling feuchte Schleier weben
Um Berg und Tal, der graue Nebelduft
Wie Greisenliebe kriecht um junges Leben,
Wenn Regen sprüht aus zorn'ger Wolkenkluft
Auf Blüten nieder, die im Frost erbeben
Und weinend fragen, welch ein Fluch so rauh
Verwandelt hat den milden Maientau?
Sechs finstre Tage lang blieb zugezogen
Der Vorhang, der das Sonnenlicht verschloß,
Sechs finstre Tage lang die Welt betrogen
Um Glanz und Wärme. Da auf einmal schoß
Am siebenten herab vom goldnen Bogen
Der erste Sonnenpfeil. Langsam zerfloß
Der schweren Wolkendünste trübe Schar.
Mit blassem Blau ward rings der Aether klar.
[143] Doch Millionen, die sich jüngst des blauen
Gezeltes freuten, – vor der schlimmen Zeit! –
Nicht sollen sie's zum zweiten male schauen.
Von frosterstarrten Leibern weit und breit
Sind übersät die Felder und die Auen,
Als hätt' es Leichen aus der Luft geschneit.
Sie liegen in den Pfützen, auf den Wegen,
Und unterm Schlamm noch zuckt ein leises Regen.
Maikäferkönigs Volk, des einst so stolzen,
Hat seine Beresina durchgemacht.
Wie Winterschnee ist die Armee geschmolzen,
Am Tag umschwirrt in schreckensvoller Schlacht
Von tausend wohlgezielten Armbrustbolzen
Des Mißgeschicks; vom Frost vertilgt zu Nacht.
Der Rest – erlangte volle Lebenskunde,
Doch teures Lehrgeld kostete die Stunde.
Laßt uns die Letzten denn zum Ziel geleiten.
Es wird ein langer, närr'scher Trauerzug,
In dem wir hinter kleinen Leichen schreiten,
Die freilich auch ein kleiner Tod erschlug,
– Nicht jener eurer trag'schen Herrlichkeiten! –
Doch war er ihnen grade groß genug.
Und konnten sie auf Erden nicht erwerben
Sich Lieb' und Duldung, – konnten sie doch sterben.
[144]Was uns geschieht, – oi! oi! – geschieht uns auch am Fleische. Schau dorthin, wie das ungeheure Rad mit jeder Drehung neue zerquetschte Leiber der Unsrigen in die Höhe bringt. Als Brei kleben dort unsre Brüder und Schwestern.
Und dort überall die von den Gäulen getroffenen, halb lebendig, halb tot in den nassen Staub gepflastert mit ihren eigenen Eingeweiden. Oi! oi! oi!
Die Qual wird ihnen das Gewissen schärfen. »Gottes Mühlen mahlen langsam, aber mahlen schrecklich fein.«
[148]Und mir! So was erwarteten wir nicht, als wir in unsern alten Erdhöhlen auf die schöne Gotteswelt vorbereitet wurden.
Ja, damals hast auch du aus einem andern Ton gesungen. Da hieß es, all' Not und Mühsal werd' ein Ende nehmen im Lande der Verheißung und das große Licht ...
Schweig'! Unsere Sünde hat den Segen in Fluch verkehrt. Ist's nicht auch ein altes Wort: »Wenn der Morgen schon kommt, so wird es dennoch Nacht sein« –?
Mir ganz recht! Ihr Weiber seid alle heidnisch von Natur, keine Faser in euch, die nicht von dieser Welt wäre. Und durch euch ist das Verderben in unser Volk gekommen.
Hat nicht des Königs Prediger – du selbst erzähltest es – den Bund der Männer und Weiber gebilligt und durch sein eigenes Beispiel ...
Ihr Blinden! – Wahrlich, eine neue Gemeinschaft der Heiligen muß kommen. Und ich will dafür sorgen. Aus unserer elend geschlagenen Armee will ich eine Armee des Heils machen, selbst ihr erster Prediger sein. Und wenn Brüder und Weib mich verlassen, werd' ich neue Brüder und Schwestern werben.
Nein! dumm ist er nicht. Er will oben bleiben um jeden Preis. Immer hat er uns Brüder beherrscht. Das ist sein Regentengeist. Wenn seinesgleichen spürt, daß die Welt ein Untier, ein Drache ist, so will seinesgleichen wenigstens zwischen den Nüstern des Ungetüms sitzen, wo es rechts und links Flammen hinausschnaubt, und dazu rufen: »So ist's richtig, so muß es gehn, das sind verdiente Schwefeldämpfe für euch arme Schlucker.« Solche Leute würden es fertig bringen, noch die Pest mit einem neuen Gifte zu würzen; denn, was sonst einfach ein Unglück wäre, machen sie zu einem Strafgericht.
Ach was! »Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.« Das haben wir auch einst auswendig gelernt, zwar zur Abschreckung ...
Haben das im allgemeinen so, die Weiber, werden zärtlich, wenn Mann längst fertig. War aber im ganzen selber doch recht gern dabei. Gehört zu den unbestrittenen Vorzügen unserer Rasse, einen so langen Allianzzustand zu haben. Hierin aller Kreatur über. Müßte in unsere Kernliedersammlung aufgenommen werden.
Na, Kamerad, tun Sie nicht, als ob Sie das nicht wüßten. Is dieser Tage hundertfach vorgekommen. »Inséparables« sagt man empfindsam und findet es anfangs so rührend, so erhebend. Is auch allerdings nichts ganz Gemeines, die halbe tote Gemahlin mit sich herumschleppen. Is, wenn Sie wollen, sogar romantisch.
Hatte auch einen ganzen Zug Bewunderer immer auf den Fersen, verfluchtes kleines Beißzangenvolk, das sich so allmählig durch meine selig verstorbene Andrakia zu mir durchfressen wollte.
Und das Umgekehrte ist auch passiert, d.h. daß Eine den toten Gemahl durch diese beste Schöpfung spazieren schleppte. Traf da ein Frauenzimmer, das davon rein verrückt geworden war. Hieß Anthusa, er ein gewisses Dummerchen Sie nannte ihn aber in ihrer Ueberspanntheit »Prinz Schionatulander« und sich »Düchesse Sigune« nach einem alten Märchen. Wie's in dem Verslein heißt:
»Märchen noch so schauderbar,
Die Natur macht alle wahr!«
[154]Is egal. Gäb's keine schlimmem Ungenauigkeiten in der Schöpfung als falsche Zitate! Und worden nur geflügelte Worte verstümmelt statt geflügeltes Leben!
Unser Hintertreffen ist bedrängt. Darum schafft jeder, daß er nach vorn kommt. Dem alten Hubeland haben sie auch den Rest gegeben.
[189] [191]Um des grauen Städtchens Mauern läuft der alte Festungsgraben,
Ausgefüllt mit stillen Gärten, drin die ersten Frühlingsgaben
Hyazinthen blühn und Tulpen und am Hausspalier Glycinen,
Die mit übersüßem Dufte locken zu sich her die Bienen.
Eine Kornelkirschenlaube wölbt im schönsten sich der Gärten,
Lieblingsspielplatz eines Knaben, der hier, selten mit Gefährten,
[191] Oft allein auf rundem Tische stellt die Reihen der Soldaten,
Kleine, bleierne Figürchen, ihm ein Heer von großen Taten.
Was in Schlachten je vollbrachten Truppen hochberühmter Sieger,
Nachgeahmt ward hier es eifrig mit dem Zwergvolk dieser Krieger,
Und dieselben Uniformen, die heut Waterloo bedeuten,
Schmücken morgen trotz'ge Punier, die den Adler Roms erbeuten.
Doch es stehn seit ein'gen Tagen manchmal stundenlang die Glieder
Der Armeen unbeweglich. Lesend auf ein Buch sieht nieder
Der belockte Schlachtenlenker, und es glühn ihm heiß die Wangen
Ob der Welt voll hoher Wunder, die im Buch ihm aufgegangen.
Wohl schlecht zum Soldatenspielen paßt der Zauberkreis von Dramen,
Der geweiht ist und besiegelt von des größten Britten Namen.
Und es kämpft im jungen Geiste mit dem Hang zum kind'schen Spiele
Das Erwachen scheuer Sehnsucht, Ahnung hoher Lebensziele.
[192] Nur wenn's in den Dramen trommelt, wenn bei Azincourt die Fahnen
Mit dem tapfern fünften Heinrich ziehn einher auf blut'gen Bahnen,
Legt mit ungeduld'gem Seufzer weg das Buch der junge Knabe,
Das Gelesene zu spielen. Denn gefährlich war die Gabe
Phantasie ihm zugemessen, mit dem Triebe, zu gestalten,
Greifbar sinnlich nachzubilden, selbst zu leben, fest zu halten,
Was nur soll wie Sonnenwolken schweben durch die Himmelsräume,
Als ein hohes Fest der Geister, Blüte sel'ger Dichterträume.
Ohne Schuld wird nie verkörpert, selbst nicht in den Kunstgebänden,
Die der Mimen Spiel geweiht sind, die erhabenste der Freuden.
*
Heute las er die Tragödie von Antonius dem Großen,
Dunkel seinem jungen Geiste, dem noch sproßten nicht die Flossen,
Um schon Aphroditens Meere, die purpurnen, zu durchschneiden,
Zu verstehn, was um die Liebe Menschen wagen, Menschen leiden.
[193] Nur die äußre Pracht der Dichtung ward ein Goldnetz seinen Sinnen,
Die geblendet staunten, wie die Königin der Königinnen,
Wie Kleopatra, die üpp'ge, auf dem Prunkschiff kommt gefahren,
Dessen Wände goldne Spiegel, Seidenstoff die Segel waren.
Und, da ihn die andern Szenen, die er las, so stark nicht faßten,
Packt' ein kindisches Verlangen den verträumten Spielphantasten,
Diesen Vorgang aufzuführen mit den kleinen Bleifiguren,
(Eines Meininger Theaters ferne dämmernde Konturen!)
Schnell geordnet steht die Heerschar, die Antonius befehligt,
Und mit Doppelkreidestrichen zieht der Knabe, still beseligt,
Auf dem Tisch die Bahn des Flusses, eine Krümmung nicht vergessend
Und für das ägypt'sche Prunkschiff breit genug das Strombett messend.
Doch woher das Schiff nun nehmen? – Ei dort in den Blumenbeeten
Stehn die feuerfarbnen Tulpen! Schnell zu einer hingetreten
Und gepflückt die Sonnenkinder aus dem fernen Lande Yemen,
[194] Die im gelbgeflammten Sammet salomon'sche Pracht beschämen.
In dem Nähzeug, das die Schwester stehen ließ, sind rasch gefunden
Zwirn und Nadel und die Blätter leicht zu einem Ding verbunden,
Das mit sehr viel gutem Willen man als Schiffchen mag erkennen.
»Jetzt Kleopatra!« Schon naht sie. Wo die wärmsten Strahlen brennen
Auf den Gartenkies, hat atmend sich gesenkt ein gelber Falter.
Armer Elf! Stirbt deine Jugend um ein tausendjähr'ges Alter?
Ist dir kleinem Sonnenvogel heute früher Tod beschieden,
Weil ein schönes Weib einst wohnte fern im Land der Pyramiden?
Tröste dich! sie, die dich mordet einzig nur durch ihren Namen,
Längst ist selbst sie Moder worden, und in jener Pforte Rahmen,
Die das Reich des Todes abgrenzt, wird mit hohlen Neidesaugen,
Wenn du kommst, von deinen Flügeln sie den Duft der Sonne saugen.
Zugedeckt vom Tuch des Knaben war der Falter schnell gefangen
[195] Und sein Lebenslicht erloschen unterm Druck der Fingerzangen.
Thronend in dem Tulpenschiffchen als Kleopatra, als bleiche,
Lag jetzt des Zitronenflüglers arg zerfetzte kleine Leiche.
Doch nun fehlte noch dem Fahr/eng, was erst Reiz gibt: die Bewegung!
Und vielleicht vom ersten Morde bebt' im Knaben eine Regung,
Mehr Lebend'ges noch zu opfern seinem Spiel. Warum nicht sollten –
Da in diesem Fluß aus Kreide leider keine Wellen rollten –
Ungetüme ziehn die Barke, vier gezähmte Krokodile?
Saßen dort doch die erwünschten schon auf einem Rosenstiele!
Denn Maikäfer können füglich Krokodile 'mal bedeuten,
Wo französische Husaren Cäsar sind mit seinen Leuten.
Schwer nicht war's, die vier zu fangen, auf den Rücken sie zu legen,
Gleich Schildkröten, die auf Schiffen, ohne nur sich zu bewegen,
Aus Westindiens heißen Meeren in das ferne London reisen,
Wo als Willkomm ihrer wartet Kohlenglut und Schlächtereisen.
[196] Doch wird schneller hier das Schicksal dieser Käfer sich entscheiden.
Denn, als sie des Fadens Schlinge nicht am glatten Leibe leiden,
Als der Knoten immer gleitet, der sie soll ans Fahrzeug spannen,
Und es scheint ein Hexenwerk, sie in den Viererzug zu bannen,
Da, in ungeduld'gem Zorne, der nicht hört des Herzens Tadel,
Langt der mitleidlose Spieler nach dem Faden mit der Nadel
Und durchbohrt den Leib der Viere, die in seinen Henkershänden
Machtlos zappeln, nicht verstehend, wer sie darf so grausam schänden.
Angeschirrt sind sie gleich Rossen an den kleinen Blumenwagen,
Aber Rosse, die das Leitseil in den Eingeweiden tragen.
Doch der Knabe sieht nicht Tiere, die in Wahrheit Schweres dulden;
Fabelwesen sind die Aermsten, die ihm noch Gehorsam schulden.
Und er lenkt sie und regiert sie, treibt sie auf dem trocknen Flusse
Nach Belieben ... da – ein Wunder! Mit urplötzlichem Entschlusse,
[197] Wild gestachelt von den Schmerzen, die in gleichen Wunden brannten,
Alle vier auf einmal surrend breit zur Flucht die Flügel spannten.
Und mitsamt dem Tulpenschiffchen schnurrten die dem Tod Geweihten
In des nächsten Baumes Krone, draus viel weiße Blüten schneiten.
Flatternd zwischen diesen Grüßen aus dem luft'gen Wipfelreiche
Kam herab die Pharaonin auch, – des gelben Falters Leiche.
Mit weit aufgerißnen Augen sah der junge Missetäter
Das Geschehnis. Und ihn deuchte, daß im fernen blauen Aether
Sei das Tulpenschiff verschwunden wie einst des Elias Wagen.
Da befiel ihn der Gedanke: Vor den Thron des Höchsten tragen
Werden wahrlich diese Viere die durchbohrten Todesleiber
Und in ihrer Qual verstummend, laut verklagen ihren Treiber.
Weh! der Gott, der einst Elias zu sich hob, hat auch gegeben
Das Gebot: »Du sollst nicht töten!« Heilig, heilig ist das Leben.
[198] Und ich griff mit Mord und Marter in dies Heiligtum! zerstörte,
Was unschuldigen Geschöpfen als ihr einzig Gut gehörte,
Raubt' ihr bißchen Lebensodem dieses Gartens stillen Bürgern,
Diesen friedlichen Gesellen! bin von all den tausend Würgern,
Die Natur auf allen Zweigen hält bereit zum Tod der Schwachen
Der verworfenste, weil jene nur aus ernster Not den Rachen
Oeffnen, wenn sie diese Kleinen jagen, um sie zu verschlingen,
Während ich so großen Frevel konnt' in närr'schem Spiel vollbringen.
Weh mir! Wo ich ihresgleichen künftig seh', muß ich erröten.
Und im Herzen als mein Urteil glüht das Wort: »Du sollst nicht töten!«
Weinend bittre Reuezähren, zwischen Buch und Bleisoldaten
Legte seinen Kopf der Sünder auf den Schauplatz seiner Taten,
Auf den Tisch, und sah die Fee nicht in dem weißen Zauberschleier,
Die, sich aus der Laube Wipfel lösend, scheu zuerst, dann freier
[199] Hinter den verhärmten Knaben trat und wie ein Hauch berührte
Seinen Scheitel. Leise sprach sie, während ihre Hand sie führte
Lässig über seine Locken: »Höre, was ich dir verkünde!
Du bist mein. Und wenn du leidest, – ich verführte dich zur Sünde.
Denn ich spiegle deinem Geiste, deinen Sinnen, was dich blendet,
Und noch vieles wirst du leiden, bis die Zeit der Prüfung endet.
Doch, wenn du sie kannst bestehen, sei's in vielen, vielen Jahren,
Wenn vorbei ist deine Jugend, wenn du stehst in grauen Haaren,
Sieh, alsdann bin ich es wieder, die dir weist den Weg zur Sühne,
Die dich lehrt ein Denkmal bauen deinen Opfern, eine Bühne,
Drauf du mit bewegtem Herzen feierst dieser Kleinen Leiden,
Lehrend deine Menschenbrüder Liebe hegen, Frevel meiden.«
So die Göttin. Und der Knabe, schauernd noch in seiner Reue,
Fuhr empor. Da lag der Garten einsam. Nur des Himmels Bläue
[200] Spannte hoch sich über all den frisch belaubten Blütenbäumen,
Und es zog durchs Herz des Knaben mit der Trauer scheues Träumen.