Die Mühle

Für Gussy Holl


Zum erhabenen Brahma
betet jeder Lama
weit in Tibet ein Gebet.
Sitzt da im Gestühle
und dreht an einer Mühle,
die zum Beten vor ihm steht.
Uralt Wort vom Priestertum:
»Om – mani – padme – hum!«
Hier bei uns zu Lande
am unsichtbaren Bande
jeder solche Mühle schleppt.
Mancher will nur beten
zu den Papiermoneten,
bis ihn die Devise neppt.
Stets zählt er sein Eigentum . . .
Om – mani – padme – hum!
Mancher sieht nur Weiber
Brüste nur und Leiber –
keine, keine läßt ihn still.
Taumelt durch die Nächte,
daß er die Frauen schwächte,
weil die Mühle es so will.
Der kennt nur ein Heiligtum . . .
Om – mani – padme – hum –
Mancher stelzt wie'n Gockel
und klemmt sich das Monokel
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ein – und betet nur zum Heer.
Will den Kerls was pfeifen
und seine Deutschen schleifen
und wünscht sich einen Weltkrieg her.
»Nieder mit dem Judentum!
Om – mani – padme – hum!«
Also drehn verdrossen
alle Zeitgenossen
immer ihre Mühle rum.
Jeder hat die seine,
und jeder dreht nur eine
Walze lebenslänglich um.
Was sind Schönheit, Geld und Ruhm –?
Om – mani – padme – hum.

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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1922. Die Mühle. Die Mühle. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-65C3-D