519. Hatten.

a.

Bis zum Jahre 1845 stand im Kirchdorf Hatten ein altes Haus, das vom Grafen Anton Günther zur Wohnung für die Zeiten, wo er sich der Jagd wegen in dieser Gegend aufhielt, gebaut und nach seinem Tode in Privathände übergegangen war. Den Bauern war das Gebäude, weil es mit seinen zwei Stockwerken und seinen beiden stattlichen Giebeln, mit seinem französischen Garten und dem großen Wirtschaftshofe vor der Tür, mit seinen dunklen Gängen und gobelintapezierten Zimmern im Innern anders aussah als die übrigen Häuser im Dorfe, merkwürdig und anstößig zugleich. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ward das Haus mit vielen dazu gehörigen Ländereien von dem Urgroßvater des letzten Besitzers erworben. Derselbe war von einem einfachen Kurfürstlich Sächsischen Gerichtsschreiber nach vielen Reisen und mannigfachen Schicksalen erst zum Kaiserlichen offenbaren Notar (tabellio) und Richter in den Holsteinischen Elbmarschen ernannt und dann zum Konsistorialrat und Amtsvogt zu Hatten in der Grafschaft Oldenburg, welche damals ebenso wie jene unter dänischer Hoheit stand, gemacht und suchte nach einem bewegten Leben hier mit seiner Ehefrau, der reichen Tochter eines Landsassen in der Herzhornschen Wildnis bei Glückstadt, den Hafen der Ruhe auf. Darf man den Reden der Hatter Bauern trauen, so hat er die Ruhe nicht gefunden. Denn seine Frau war eine böse Sieben, die keinem Menschen etwas gönnte und jedem, der ihr nahe kam, besonders aber ihrem Mann, durch Geiz und Hochmut, das Leben sauer machte. Nachdem sie ihn glücklich zu Tode geärgert, ward es mit ihrem Geiz nur noch immer schlimmer, und man vermutete, daß sie in dem Amthause, welches sie in den letzten Jahren ihres Lebens bewohnte (an dessen Stelle jetzt die Schule steht), große Schätze von Gold und Silber aufhäufte. Als sich aber bei ihrem Tode nichts fand, fing [293] man bald an zu munkeln, auf dem Sterbebette habe sie ängstlich nach dem Pastoren gerufen, und nachdem dieser herbeigeeilt und sie schon halb bewußtlos getroffen, habe sie nur noch mit Mühe die Worte: »Up minen Gründen, up minen Gründen« hervorbringen können und sei dann verschieden. Hieran knüpfte sich die Sage von einem langen unterirdischen Gange, welcher die beiden Häuser verbinden und in welchem die Schätze verborgen sein sollen. Später hat einer ihrer Nachkommen, wie es heißt, um dem Gerede auf den Grund zu kommen, nachgesucht und den Gang auch gefunden, ist bei dem Eindringen in denselben aber durch eine Tür aufgehalten worden, an welcher eine Schrift auf Pergament jeden mit einem gräßlichen Fluche bedrohte, welcher sie öffnen werde, ehe die Familie durch die bitterste Not gedrängt werde. Die Verstorbene aber fand nach dem Tode keine Ruhe, und man konnte sie nachts in den langen Gängen auf den Treppen des alten Grafenhauses im seidenen Kleide einherrauschen hören. Der Glaube an das Vorhandensein des Schatzes war bei den Dorfbewohnern so festgewurzelt, daß sie oft des Nachts in dem Hofe Nachgrabungen anstellten, und daß, als ihnen dies durch das Pflastern des Hofes erschwert wurde, einige Male in einem unbewohnten Teile des Hauses Einbrüche versucht wurden, welche sich nur dadurch erklären ließen, daß dort der Zugang zum Schatz vermutet wurde. Auch mag der hohe Preis, welchen man für beide Häuser erlangte, als sie zum Abbruch verkauft wurden, seinen Grund zum Teil in dieser Sage finden.

Ehemals sollen die Bewohner von Hatten nach Wiefelstede zur Kirche gehört haben: 505m. Eine Glocke vom Hatter Kirchturm in einen Sumpf bei Klattenhof geschleudert: 192c. Einige sagen, die Glocke sei vom Teufel in das Stigenmeer zwischen Hatten und Nutteln geworfen. Dies Stigenmeer galt früher für grundlos; später hat man es aber mit einer Mühle doch los gemahlen und zu einer Ochsenweide kultiviert. (Andere unergründliche Wasser: 521h, 536a, 552h, 561b.)

b.

Früher war Hatten der Kirchort auch für die südwärts der Hunte wohnenden Leute, und sein Boden galt diesen für heilig. Darum zogen sie, sobald sie über die Hunte gekommen, die Schuhe aus, legten sie in einem an der Hunte stehenden Hause nieder und pilgerten barfuß weiter. Das Haus aber erhielt von den Schuhen den Namen Schohusen. Andere sagen, die Geschichte falle noch in die heidnischen Zeiten und [294] die Münsterländer seien nach dem heidnischen Denkmal auf dem Steinberge, nordöstlich von Schohusen, gewallfahrtet. Vgl. 505m. – Herr Referendar Schohusen berichtet: Früher stand in Hatten eine Kapelle des heiligen Nikolaus. Die Leute, die dorthin wallfahrteten, zogen, bevor sie eine Furt in der Hunte durchschritten und das heilige Ufer betraten, ihre Schuhe aus. Diese bewahrten sie regelmäßig in einem Hause, das sich bei der Furt befand. Daher hieß das Haus Schohus.

c.

Das Barnefürs Holz gehörte früher den Rittern von Barnefür, die dort ein festes Haus stehen hatten, von welchem aus sie die Gegend mit Rauben und Plündern unsicher machten. Noch sind Spuren von den Gräben des Hauses vorhanden. Gegenüber auf der anderen Seite der Hunte wohnten die Grafen von Westerburg. Graf und Ritter waren häufig in Fehde miteinander. Dann hatten sie ihre Pferde mit silbernen Hufeisen beschlagen, und wenn der eine oder andere verbergen wollte, wohin er geritten, so wurden die Eisen verkehrt angeschlagen, sodaß die Spuren sich verwirrten und die Verfolger den Weg verloren. Zuletzt wurde der Ritter von Barnefür besiegt und sein Haus geschleift. Später kam das Holz in den Besitz der Familie Rinderhagen, die noch jetzt eine Bau gleichen Namens neben dem Holze bewohnt. Einer dieser Rinderhagen übertrug es dem Grafen Anton Günther, wogegen dieser ihn als Förster hineinsetzte und ihm Unterhalt und Kleidung bis an seinen Tod zusicherte. Auch bekam er das Recht, jedesmal wenn er in der Stadt war, bei dem Grafen auf dem Schlosse zu speisen. Daß Rinderhagen das Holz der Herrschaft übergab, tat er aus Widerwillen gegen seine Töchter, die ihn schlecht behandelt, sich ihm ungehorsam gezeigt und namentlich nicht nach seinem Willen geheiratet hatten.

d.

Das Barnefürs Holz gehörte früher einem Junker von Barnefür. Einst saß dieser mit dem Bauern Rinderhagen von Streek und einem aus Hatten im Kruge zu Hatten beim Kartenspiel. Die Spieler bekamen Streit, und der von Hatten schlug den Junker tot. Das Holz vererbte nun auf die beiden Schwestern des Erschlagenen, zwei alte Jungfern, die sich für die Verwaltung des Vermögens nicht tüchtig fühlten. Da boten sie dem Hausmann Rinderhagen das ganze Holz an unter der Bedingung, daß er ihnen das Totenbrot gebe. Als Rinderhagen ablehnte, machten sie das gleiche Anerbieten dem [295] Grafen zu Oldenburg. Der nahm es an und erfüllte die Bedingung. So ist das Barnefürs Holz an die Herrschaft gekommen. Einige sagen, schon der Junker von Barnefür habe denen von Sannum das Holz gegen das Versprechen des Totenbrotes angeboten; es muß aber wohl auch nichts daraus geworden sein. – Das schreiend Ding im Barnefürs Holze: 186r.

e.

Zwischen Hatten und Sandhatten nördlich vom Fußwege hat früher eine Burg gestanden. Nahe dem Burgplatze, von diesem durch den Fußweg getrennt, war noch bis vor wenigen Jahren ein Wasser sichtbar, vier- bis fünfmal so groß wie der Umfang eines offenen Brunnens. Dies Wasser hieß die Wellen und soll der Burgbrunnen gewesen sein. Um die Wellen herum befand sich eine mit Weiden bewachsene Niederung. Der alte Burgplatz selbst wird der Burgerwall genannt. Bei dem Burgerwall und bei den Wellen läuft nachts von 11-12 Uhr ein großer schwarzer Hund umher, der mit einer Kette am Halse rasselt und die Vorübergehenden erschreckt. Es ist ein alter Junker von der Burg, der in dieser Gestalt wiedergehen muß. Einst kam ein Mann in der Nacht von 11-12 Uhr dort vorbei. Bei hellem Mondenscheine sieht er schon von ferne den Hund, auch hört er das Rasseln der Kette. Er geht näher und sieht, daß der Hund vom Burgerwall nach den Wellen geht, also seinen Weg kreuzt. Er bleibt stehen, der Hund gleichfalls. Er geht weiter, der Hund macht es ebenso. Im Vertrauen auf Gott setzt der Mann seinen Weg ruhig fort, und der Hund geht nahe vor ihm über den Pfad. Der Mann schreitet rasch vorwärts und wagt nicht eher, sich umzusehen, als bis er vor Sandhatten ist. – Auch ein Schneider kam einst mit seinem Gesellen zu gleicher Stunde von Hatten. Wie sie noch etwa dreißig Schritte von der Stelle entfernt sind, sehen sie einen schwarzen kastenähnlichen Holzblock vor sich über den Weg ziehen. Erschreckt bleiben beide stehen und sehen das Ding in dem Weidicht verschwinden. Der Gesell, beherzter als sein Meister, springt nach und ruft: »Donner-Schwerenot, wo bliwst du?« während der Meister an allen Gliedern zittert. Es ist aber nichts mehr zu sehen noch zu hören. – Auf dem Burgplatze hat lange ein großer Wallnußbaum gestanden, der im Herbste stets voll Früchte hing. Mehrere junge Burschen aus Sandhatten machten sich nachts auf den Weg, um Wallnüsse daher zu holen. Einer steigt in [296] den Baum, während noch sechs andere unter dem Baume stehen. Da tritt plötzlich ein großer schwarzer Mann an sie heran und fragt: »Jungens, schall ick ok plücken helpen?« Die sechs unter dem Baume ergreifen die Flucht, der auf dem Baume aber ruft: »Jungens, lopt ji? ick finn' 'n Drüffel soeben!« Erst nachdem er sich die Taschen voll gepfropft, steigt er ab und geht seinen Kameraden nach, ohne von dem Manne noch etwas zu sehen oder zu hören.

f.

Zwischen Kirchhatten und Sandhatten in den Wellen hat einst ein Schloß gestanden, das von einem Grafen Burgwall bewohnt wurde. Es gehörte das Schloß aber nicht dem Grafen Burgwall, sondern einem Bruder desselben, der auf Reisen gegangen war und jenen nur zu seinem Stellvertreter eingesetzt hatte. Als nun der eigentliche Herr von seinen Reisen heimkehrte und Burgwall die Herrschaft wieder abtreten sollte, beschloß dieser, seinen Bruder zu ermorden. Er verleitete ihn, mit ihm auf die Jagd zu gehen, und als sie in die Gegend von Bergedorf kamen, waren sie von der Jagd durstig geworden. Burgwall führte seinen Bruder an einen Bach, und als derselbe sich bückte, um zu trinken, stieß er ihm seinen Jagdspeer hinten in den Rücken und tötete ihn auf der Stelle. Zur Buße für diesen Brudermord wurde Burgwall auferlegt, zu Hatten, dessen Bewohner bis dahin nach Wiefelstede zur Kirche gehört hatten, eine Kirche mit einem Turme zu bauen, was er denn auch getan hat. Als später die Kirche zu klein wurde und vergrößert werden mußte, konnte sich die Gemeinde zu dem kostspieligen Werke nicht entschließen. Da erbot sich der der Graf von Oldenburg, den Anbau auszuführen, wenn ihm die Gemeinde dafür das Hatter Holz zu eigen geben wolle. Die Gemeinde ging darauf ein, der Graf baute den Anbau, der hinten an der Kirche ist, und erhielt dafür das Hatter Holz. Jetzt bedauern die Hatter von Herzen den dummen Streich ihrer Vorfahren. – Wegen des Brudermordes vgl. 517g.

g.

Schütten Bokholt, ein zu Schütten Bauernstelle bei Munderloh gehörendes Holz, war früher dem Boden nach Eigentum der Familie Schütte, dem Holze nach aber Eigentum der Herrschaft. Einst bot die Herrschaft dem Bauern für den Grund und Boden 1000 Taler, der Bauer aber bot auch 1000 Taler, wenn ihm die Herrschaft das Holz überließe. Die Herrschaft schlug ein, und so kam das Holz in den [297] freien Besitz der Familie Schütte. In diesem Bockholt haben früher Zwerge gehaust.

h.

Über Sandkrug ging früher eine belebte Heerstraße. Die Osenberge bei Sandkrug waren ein gesuchter Aufenthaltsort für Räuber, die die des Weges ziehenden Wanderer und Kaufleute beraubten und töteten. Skelette, die dort beim Bahnbau und sonst gefunden sind, gaben bis heute Kunde von dem Treiben früherer Wegelagerer.

Zu Dingstede lebten ehemals Riesen: 258h, i. – In den Osenbergen spukt ein Mann aus Bümmerstede: 183k. Dort wohnten ehemals Zwerge, namentlich auch die Jungfrau mit dem Wunderhorn: 257d, e, f, g, l. – Im Kistenberge ruhen Schätze: 257e.

Stuhr. In Stuhr ist vor vielen Jahren einer ermordet. Der Täter spukt in einem Spiker durch Poltern, weil er keine Ruhe finden kann.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 519. Hatten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2F87-5