[316] 4.

Nicht weit vom Orte Fichtelberg ist eine verfallene Burg, Zwergennest oder Zwergenburg genannt. Aus diesem Orte ging ein Weber in die Fremde; als er heimkehrte, waren die Aeltern tod; er wollte sein Geschäft beginnen, seinen Webstuhl aufschlagen; Niemand nahm ihn auf, denn seine Mutter war als böse Hexe bekannt gewesen. Sie wiesen ihn hinaus mit seinem Webstuhle in die Schafhütte am Zwergenneste. Diese hatte der Schäfer verlassen müssen, weil die Zwerge Nachts die Schafe versprengten und zu Falle brachten.

So ging er denn hinaus und richtete sich die Hütte zurecht und schlug seinen Webstuhl auf. Als er nun die erste Nacht zu Bette lag, erwachte er plötzlich und sah einen Zwerg beym Lichte des Vollmondes hereinkommen in die Kammer, der, ein Hütchen auf dem Kopfe, in Frack und kurzen Höschen, mit Schnallenschuhen und einem Stöckchen in der Hand, mehremale auf- und abging und sich neugierig Alles besah; er schien vergnügt zu seyn, Alles so wohlgeordnet zu finden. Zuletzt sprang er auf den Tisch, setzte sich – er war nur spannlang – auf den Brodlaib, der noch dort lag, und schnitt sich ein Stückchen ab, das er aß. Da redete er den Gesellen an, daß, so er hier wohnen wolle, Miethlohn gezahlt werden müsse. Er verlange nicht Silber noch Gold, denn er wisse ja, daß er arm sey, aber drey Bedingungen setze er, welche genau zu erfüllen wären. Das erste sey, daß an jedem Vollmonde der Webstuhl abgeräumt seyn müsse, das zweyte, daß [317] der Weber niemals bey Nacht in die Werkstätte hineinsehe, das dritte, daß er schweigsam bleibe. Damit war der Geselle zufrieden und der Zwerg ging.

Nun hatte er in Bayreut einen Kaufherrn gefunden, der ihm Arbeit gab, und richtete es so ein, daß mit nächstem Vollmonde der Stuhl abgeräumt war. Als er daher am Morgen darauf in die Werkstatt trat, war er nicht wenig erstaunt, am Stuhle einen Streifen seidenen Gewebes, ein Muster, zu finden, welches seines Gleichen nicht fand. Damit ging er zum Kaufherrn und bat um Seide, um nach dem Muster zu wirken. Er erhielt so viel er deren bedurfte, und schon am nächsten Vollmonde brachte er ein wunderschönes Stück Seidenstoff, welches dem Herrn so gefiel, daß er dem tüchtigen Gesellen sogleich neue Arbeit gab.

So hatte der Geselle Brod, und öfter traf es sich, daß er am Morgen nach der Vollmondsnacht ein neues schönes Muster am Stuhle fand, was ihm stets neue Bestellungen verschaffte. Darüber wurden aber die anderen Handwerksgenossen voll Neid, besonders der Werkmeister; die bemühten sich auf alle Weise, ihm sein Geheimniß zu entlocken; er schwieg. Da führten sie ihn öfter zum Weine und machten ihn trunken; aber auch so hielt er sein dem Zwerge gemachtes Versprechen. Doch einmal kehrte er berauscht heim: Neugier hatte ihn erfaßt, die Werkstätte zu besehen. Schon hatte er den Griff der Thüre in der Hand, als sein guter Geist ihn noch zurückhielt. Am Morgen fand er zwar ein Muster am Stuhle hängen, aber ganz verworren. [318] Gleichwohl machte er es nach, und die Arbeit gefiel mehr als alle früheren.

Indessen wurde ihm stets mehr und mehr mit Wein zugesetzt: er verfiel in Trägheit und schlechte Sitte, das Geschäft blieb zurück. Umsomehr wollte er sehen, wie es die Zwerge machten, hatte aber kaum die Thüre geöffnet, als er ohnmächtig zu Boden fiel. Am Morgen war der Webstuhl zerbrochen und die Hütte in ihrem vorigen zerfallenen Zustande.

Da nahm er seine Arbeit, um sie zum Kaufherrn zu bringen und Alles dort zu entdecken. Auf dem Wege legte er sich unter einem Baume nieder; zufällig sah er nach dem Gewebe, es war in Asche zerfallen. In höchster Verzweiflung machte er sich auf den Weg, um in die weite Welt zu gehen; er kam in einen Wald, und hier dachte er, wie gut es für ihn wäre, wenn ihm der Teufel helfen wollte; jetzt habe er ja doch nichts mehr zu verlieren und dem Teufel wäre er ja ohnehin schon verfallen. Wie er nun so vor sich hinging, sah er ein zwey Schuh hohes Männchen auf einem Steine sitzen, welches einen Stiefel ausgezogen hatte und zu schmieren begann. Der Weber dachte, das könne nur der Teufel seyn und ging auf ihn zu. Das Männchen aber kannte des Gesellen Herz und rief ihm entgegen: »Ich bin nicht der Teufel, aber ich suche, was du suchest, Rache an den Zwergen. Willst du mit mir gehen, um dich zu rächen, so thue, was ich dir sage. Hole mir da unten zwey Binsen herauf.« Der Weber brachte sie. Sie setzten sich nun rittlings jeder auf eine [319] Binse und flogen weithin durch die Luft. An einem steinigen Platze hielten sie an und gingen dann, das Männchen voraus, der Weber hintendrein, in das Steingesprenge und zuletzt durch eine Kluft, welche so enge wurde, daß der Geselle vermeynte, er müsse zu einem Kartenblatte werden, um durchzukommen. Endlich machten sie Halt. Da sagte das Männlein zum Weber: »Hörst du nicht Musik; sie kommt von den Zwergen, welche Hochzeit halten; sieh durch diese Oeffnung hinunter, und wenn die Braut dir nahe kommt, hole sie mir herauf!«

Da schaute der Weber hinunter durch eine Spalte in einen Saal, in welchem die Zwerge bey süsser Musik fröhlich auf- und abgingen und tanzten. Die Braut trug nebst allen Gästen seidene Kleider: die Stoffe waren dieselben, deren Muster einst an seinem Webstuhle hingen; im Bräutigam erkannte er den Zwerg, mit dem er einst verkehrt hatte. – Köstlicher Spei sengeruch stach ihm in die Nase: schon näherte sich die Braut; er wollte sie herauf langen: doch zog er die Hand wieder zurück; dem ungeduldigen Begleiter, der ihn darüber zankte, entschuldigte er sich, daß ihm ein Schweißtropfen von der Stirne in das Auge gelaufen sey. So auch das Zweytemal: immer überkam ihn eine gewisse Furcht, die Braut zu stehlen. Da fuhr das Männchen zornig auf seinen Nacken und drohte ihn zu erwürgen, so er nicht zugriffe. Zum drittenmale streckte der Geselle die Hand aus nach der Braut, da nieste sie, und er rief ihr unversehens ein »Helf Gott« hinunter.

[320] Nun brach Alles zusammen mit fürchterlichem Getöse: der Weber lag von einem Schlage des Männchens getroffen ohnmächtig da. Als er erwachte, standen die Zwerge um ihn und der Bräutigam dankte ihm für die Rettung seiner Braut, ermahnte ihn aber, von nun an ein besseres Leben zu führen; mit Silber könne er ihm nicht lohnen, aber zu Arbeit wolle er ihm helfen, wie früher.

So ging der Weber heim, die Hütte war wieder ganz und der Webstuhl ordentlich aufgestellt. Er fing wieder zu wirken an, hatte stets der Arbeit genug und lebte fortan glücklich.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Eilftes Buch. Erde. 3. Erdzwerge. 20. Hankerln. 4. [Nicht weit vom Orte Fichtelberg ist eine verfallene Burg, Zwergennest]. 4. [Nicht weit vom Orte Fichtelberg ist eine verfallene Burg, Zwergennest]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E5DC-4