Die Scheidungsbrücke
Zwischen Zeit und Ewigkeit
Steht die Scheidungsbrücke,
Füllend mit dem Schreckensglanz
Die furchtbare Lücke.
Weißt du wohl, wie scharf und fein
Ist der Brücke Bogen?
Wie ein Schwert ist sie gezückt,
Wie ein Haar gezogen.
Soll ein Fuß des Menschen gehn
Auf der schmalen Brücke,
Wo nicht aufzufußen hat
Raum ein Fuß der Mücke!
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Wer nicht fest darüber hin
Sich zu schreiten trauet,
Hoffe nicht, daß drüben ihm
Edens Wonne tauet.
Wenn der Frevler angelangt,
Steht die Brück' und funkelt,
Daß sich die Besinnung ganz
Schwindelnd ihm verdunkelt.
Ihn verwirrend, tritt heran
Mit des Todes Schrecken
Das Gedächtnis seiner Schuld,
Grau'n ihm zu erwecken.
Drunten gähnt der Abgrund auf,
Und der Seele Beben
Treibet ihn, dem eignen Sturz
Selber zuzustreben.
Doch, wo ein Gerechter geht,
Schwebt um ihn Vertrauen,
Das den Abgrund ihm entrückt
Und ihm läßt nicht grauen.
Hoffnung hebet seinen Blick,
Liebe gibt ihm Schwinge,
Glaube lächelt, daß sein Geist
Selig vorwärts dringe.
Seiner guten Werke Duft
Wird zu Goldwolkrändern,
Daß sich ihm die Brücke rings
Schmücke mit Geländern.
Auf der Brücke geht er hin,
Unter seinem Fuße
Steht sie wie aus Quaderstein
Oder Eisengusse.
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Freimund! wenn du drüber gehst,
Hüllen deine Lieder
Dich in Duft, daß du nicht siehst
In den Schwindel nieder.
Schwebend, wie der Morgenwind
Über Lilienbeete,
Geh, daß nicht dein Fußtritt schwer
Auf die Brücke trete.