2. Mewlana Dschelaleddin

1.

Mit deiner Seele hat sich meine
Gemischt wie Wasser mit dem Weine.
Wer kann den Wein vom Wasser trennen,
Wer dich und mich aus dem Vereine?
Du bist mein großes Ich geworden,
Und nie mehr will ich sein dies kleine.
Du hast mein Wesen angenommen,
Sollt' ich nicht nehmen an das deine?
Auf ewig hast du mich bejahet,
Daß ich dich ewig nie verneine.
Dein Liebesduft, der mich durchdrungen,
Geht nie aus meinem Mark und Beine.
Ich ruh' als Flöt' an deinem Munde,
Als Laut' in deinem Schoß alleine.
Gib einen Hauch mir, daß ich seufze,
Gib einen Schlag mir, daß ich weine.
Süß ist mein Weinen und mein Seufzen,
Daß ich der Welt zu jauchzen scheine.
Du ruhst in meiner Seele Tiefen
Mit deines Himmels Widerscheine.
[314]
O Edelstein in meinen Schachten,
O Perl' in meinem Muschelschreine.
Mein Zucker ist in dir zerschmolzen,
O Milch des Lebens, milde, reine;
Und unsre beiden Süßigkeiten
Genießet Kindermund als eine.
Du preßtest mich zu Rosenwasser,
Nicht seufzt' ich unter deinem Steine.
In deiner süßen Qual vergaß ich,
Daß ich die Rose war am Raine.
Da brachtest du an deinen Kleidern
Mich mitten unter die Gemeine;
Und als du auf die Welt mich gossest,
Ward sie zu einem Rosenhaine.

2.

Zur Sonne schaut der Aar mit Mut,
Die weh dem Eulenauge thut.
Doch dir genüber, höchste Sonn',
Ist Eule gleich und Adlerbrut.
Was ist die blöde Seele, die
Blinzend nach dir das Aug' aufthut!
Die Kerz' umkreist der Schmetterling,
Planeten wandeln lichtbeschuht.
Planet und Schmetterling ist eins,
O höchstes Licht, in deiner Hut.
Was ist die kühne Seele, die
Dich zu umkreisen niemals ruht?
Die Flamme zehret trocknes Holz,
Das feuchte ist dazu nicht gut.
Doch feucht' und trocknes Holz ist eins,
O höchste Flamm', in deiner Glut.
Die Fluten löschen Gluten aus,
In deinen Gluten brennt die Flut.
Unliebe selbst zu lieben, halt',
O Liebe, dich nur nicht zu gut!
[315]
Du bist nicht Glut, wenn du nicht zwingst
Des spröden Stoffes Trotz und Wut:
Brich das verstockte Herz der Welt
Und bring in Fluß das starre Blut!

3.

Laß mein Streben dir gefallen
Und mich strebend weiter wallen!
Laß mich stehn durch deine Huld, wo
Ich durch meine Schuld gefallen.
Von des Berges Gipfel glänzen
Mir entgegen deine Hallen;
Und die heil'gen Chorgesänge
Hör' ich mir entgegenschallen.
Laß den Glanz und laß den Klang nicht,
Eh' ich nah', in Duft zerwallen;
Hüben ich, du drüben! laß mich
Von der Kluft zurück nicht prallen.
Zeige, die mich drüber trage,
Mir die Brücke von Kristallen!
Und dem Abgrundsungeheuer,
Schwindel, seien stumpf die Krallen.
Meiner Pilgerreise Schritte
Zähl' ich ab an Betkorallen;
Wie den Rosenkranz der Himmel
Betet ab an Sonnenballen.
Manches hab' ich nicht verstanden,
Das ich wagte nachzulallen:
Also singen dir zum Preise
Unverstandnes Nachtigallen;
Also lernen Kinder reden,
Welche lieb dir sind vor allen.

4.

Höchste Liebe, wo du thronest, laß vor deinem Throne knien
Meine schönsten, ewig deinem Thron geweihten Melodien!
[316]
Wenn sie wohlgefällig deinem Ohre tönen, wenn die Kraft
Auch in deine Seele wirket, die du ihnen hast verliehn;
Laß sie danken, laß sie beten, laß sie fragen, laß sie flehn:
Wo ist, der ein Stern auf Erden mir aus deiner Höh' erschien?
Der, sein Haupt mit deinen Rosen kränzend und sein Saitenspiel,
Liebetrunken mir vorüberzog, um mich dir nach zu ziehn;
Der in wallenden Gewanden, am gebrochnen Säulenschaft
Lehnend, Lieder strömt', auf deren Wog' er selber wollt' entfliehn;
Wo ist der dir Zugeflohne? Sag' mir's, Liebe, wie du einst
Ihn beseligt hast auf Erden, wo du nun beseligst ihn?
Wo, Volkstrachten ausgezogen, Stammabzeichen abgelegt,
Schmelzen Kastenunterschied' in deinen ew'gen Harmonien;
Wo ist unter allen Heil'gen aller Zonen (Heil sei dir,
Heilig mir sein Angedenken!) Mewlana Dschelaleddin!

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TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. 2. Mewlana Dschelaleddin. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A91D-0