6. Das ist dein Amt
Leucht', o flammendes Sonnenaug', über die Welt; das ist dein Amt.
Lenz! mit blühendem Rosentraum schmücke das Feld; das ist dein Amt.
Mond am Himmel! o schlafe nicht! denn hier auf Erden wollen sein
Liebesnächte von deinem Strahl lieblich erhellt; das ist dein Amt.
Sing', o liebende Nachtigall, was du von Rosen-Schönheit weißt,
Sing' und stirb im Gesang, zu Sang bist du bestellt; das ist dein Amt.
Thräne meines verlassnen Augs! für ein geliebtes Bild, das hier
Soll einkehren, mit duft'gem Flor schmücke das Zelt; das ist dein Amt.
Bild der Schönheit! mit Himmelsglanz allen in Nacht Versunkenen
Vorzuleuchten, dazu hat uns Gott dich gesellt; das ist dein Amt.
Sag' zu deinem verklärten Blick: lege die goldne Rüstung an,
Gründ' auf Erden der Liebe Reich, leuchtender Held! das ist dein Amt.
Zu dem Bogen der Braue sprich: spanne dich stolz, daß Pfeil auf Pfeil
Auf rebellischer Herzen Trotz werde geschnellt; das ist dein Amt.
[327]Daß du flatternde Locke mich Flatternden fingest, dank' ich dir;
Immer neu sei dein reizendes Netz mir gestellt; das ist dein Amt.
O mein tönendes Saitenspiel! weil das Geschick in meine Hand
Dich gegeben, von Liebeshauch Töne-geschwellt; das ist dein Amt.
Lenk', o rüstiger Steuermann, diesen verlornen Nachen durch
Klipp' und Brandung und Wogendrang, bis er zerschellt; das ist dein Amt.
Laß die heuchlerisch dumpfe Welt scheitern an ihrer Eigensucht.
Lieb' aufrichtig und trink, Hafis! schwärm' unverstellt; das ist dein Amt.