[182] Von Tag zu Tage

[183][185]

1.

Was dich bewegt in wechselvollen Stunden,
Gefühl, Gedanke, Zweifel oder Frage,
Bewahr' es dir, in reine Form gebunden,
Von Tag zu Tage!
Dann siehst du, mocht' auch Irrthum dich gefährden,
Mocht' edler Wille halten ihm die Wage,
Wie du geworden, was dir bleibt zu werden,
Von Tag zu Tage.

[185] 2.

Lehrgeld zahlen mußt' ich oft,
Ach, für mancherlei Erfahrung!
Und umsonst hab ich gehofft
Auf Gewitztheit und Ersparung.
Zu vermeiden lernt' ich zwar
Manchen Schritt mit schwerer Buße,
Doch vermeidend fühlt' ich gar
Mich auf neuer Lehrzeit Fuße.
Arbeit vollauf! Und somit,
Denn was hülf' es mir zu prahlen,
Werd' ich wohl beim letzten Schritt
Erst das letzte Lehrgeld zahlen.

[186] 3.

Weit ist das Reich der Poesie,
Doch wolle thöricht nicht verzagen,
Daß das Geschick dir nur verlieh
Geringe Gabe für dein Wagen.
Wenn eine einz'ge Melodie
Von ächtem Klang du angeschlagen,
Wird von der Weltenharmonie
Zur Ewigkeit sie fortgetragen.

4.

Und liehst du dir durch jedes Reizes Gunst
Der Wahrheit Züge,
Dein Wort verhallt, wenn sich des Zaubers Kunst
Entdeckt als Lüge.
Das menschlich Wahre dringt aus dem Gemüth
Wie Gottheitschauer,
Und jedes Wort aus dieser Tiefe blüht
In ew'ger Dauer.

[187] 5.

Laß der Menschen Dankbarkeit
Immerhin dir sein entbehrlich,
Mit dem Wort sind sie bereit,
Doch die That ist gar beschwerlich.
Nur wo Gab' und Dankeszoll
Stets sich in einander ranken,
Sprossen, gleicher Blüthen voll,
Nur die Liebe weiß zu danken.

6.

Sei einsam, treibt dich dein Gemüth
Dich selber zu bezwingen!
Sei einsam, wenn dein Herz erglüht
Ein höchstes zu vollbringen!
Doch einsam fliehn aus der argen Welt
Weil du dich dünkst gerechter,
Nur deinem lieben Selbst gesellt,
Das macht dich alle Tag schlechter.

[188] 7.

Wenn Einer spöttelnd und witzelnd sprach,
Um etwas Gutes zu verketzern,
Gleich plappert's ein ganzes Rudel nach
Von gedankenlosen Schwätzern.
Und hätten sie hundertmal sich erfreut
Und erbaut an dem Guten und Schönen,
Noch hundertmal größer ist die Freud'
Es als lächerlich zu verhöhnen.

8.

Ich weiß, ich bin an Tadlern reich,
Die schwer das Zetern lassen,
Und mir auf jeden dummen Streich
Mit Argusaugen passen.
Und thät' ich es den Klügsten gleich,
Sie wissen sich zu fassen,
Und zetern, daß den dummen Streich
Ich klüglich unterlassen.

[189] 9.

Liebe, die dir kommt entgegen,
Eile festlich zu empfangen,
Liebe, die dir ward zum Segen,
Halte dankbar fest umfangen!
Lieb' ist nimmer zu ermessen,
Läßt sich bannen, läßt sich rauben,
Und die Besten auch vergessen
Schneller, als sie selbst es glauben.

10.

Dämmerstunde senkt die Schwingen,
Und der tiefsten Seel' entsteigt
Was verbannt nach hartem Ringen
Stumm und eingeschüchtert schweigt.
Wünsche kommen, holde Sterne,
Träume, die der Tag vertrieb,
Unerfüllbar, weltenferne,
Doch darum nicht minder lieb.

[190] 11.

Leeres Reden, Kommen, Gehen,
Schaales Lächeln, Lachen auch,
Alles mußtest du verstehen,
Heuchelnd nach des Tages Brauch!
Unergründet muß es bleiben,
Glatt und trügrisch wie die Welt,
Wenn dein Wesen ihrem Treiben
Widerwillig ward gesellt.
Dein erst, wenn der Tag zerstoben,
Ist, was dir die Seel' umfaßt,
Dein des Glücks, der Schmerzen Toben,
Dein geliebter Sorgen Last.

[191] 12.

Unter all des Tags Gestalten
Kommt wohl eine, die geweiht
Uns berührt mit Zauberwalten,
Wie zu reiner Festlichkeit.
So ergründ' ich wohl vergebens,
Was durch dich den Tag versöhnt,
Das nur fühl' ich, daß des Lebens
Ganzer Inhalt sich verschönt.

13.

Bist du schön? Ich kann's nicht sagen,
Doch der reinsten Schönheit Licht
Will so leuchtend mir nicht tagen,
Als dein liebes Angesicht.
Mit der Anmuth Huldgeschenken
Hebst in unbekannter Macht
Du zur Schönheit all mein Denken,
Hab' ich auch nur dich gedacht.

[192] 14.

Woran mahnt so tief beweglich
Dieser Winterpfad im Wald?
War's nicht solch ein Pfad, der täglich
All mein Hoffen einst vergalt?
Von Erinnrung reich gesegnet
Sind die Weg', ob auch verheert,
Wo wir einem Glück begegnet,
Das in Trauer sich verkehrt.

15.

Ein jeder Tag ist Keim und Blüth',
Im Schaffensdasein, im Gemüth.
Versäumter Tag macht alt und schwer,
Vergraut des Morgens Wiederkehr.
Nur was dir rüstig am Tage gelang
Bringt dem Morgen festlichen Empfang.

[193] 16.

Ich weiß noch wohl die liebe Zeit,
Da mich zuerst dein Anblick rührte
Und, alle Freuden im Geleit,
Das Glück auf meinen Pfad dich führte!
Ich weiß die Zeit auch, da ich bang
Mein überfluthend Herz bezwungen,
Vom Aufgang bis zum Niedergang
Der Tage Qualen durchgerungen.
Vergang'nes fordr' ich nicht zurück,
Doch halt ich für das längst entführte
Fest die Erinn'rung an das Glück,
Da mich zuerst dein Anblick rührte!

[194] 17.

Wer liebt, hat Jugend, die mit Blüthensprossen
Ihm immer neu des Daseins Kranz belebt,
Vom Wandel unberührt sein Herz erhebt.
Nur wer sein Herz der Liebe zugeschlossen,
Und Jugend nicht mehr zu verstehen strebt,
Der altert, der ist todt dieweil er lebt.

18.

Viel vermag ein Menschenherz zu tragen,
Sorg', Entbehrung, harter Pflicht Gebot;
Um der Lieben und der Freunde Tod
Trägt es Leid, und will doch nicht verzagen.
Von Betrug und Täuschung selbst geschlagen
Liebt es unter Wunden ungezählt,
Ja, es liebt, was seine Liebe quält,
Um die Qual gleichwie ein Glück zu tragen!

[195] 19.

Jahrestag du meiner Wonnen,
Sei mir wie ein Fest begrüßt!
Ward das Glück auch, kaum begonnen,
Hart wie eine Schuld gebüßt!
Komm', erinnernd mir zu malen
Aller Leidenschaft Gewühl,
So der Freuden, wie der Qualen
Unaussprechliches Gefühl!
Laß mich dann, wie du verfließest,
Still der reinen Kraft vertraun,
Und den Kreis, den du beschließest,
In verklärtem Lichte schaun!

[196] 20.

Jahrestag du meiner Wonnen,
Gleich welken Blumen, lang gehegten,
Giebst du dahin, beschämt und klar,
Daß Wahn und Irrthum dich bewegten?
Sieh, daß du dich nicht selbst beraubst!
Was heut verjährt dir und veraltet,
Es hat in dir mehr als du glaubst
Geweckt, gewandelt und gestaltet.

21.

Dein Bestes willst du gern bekennen,
Das Schönste, was du je erdacht,
Doch zauderst du, der Welt zu nennen,
Was dich unsagbar glücklich macht.
Und wär's Verirrung, süße Plage,
Dein Eigenstes hältst du verhehlt,
Vernichtet wär am hellen Tage
Was dich beseligt, was dich quält.

[197] 22.

Wie mit ungehemmtem Schritt
Wechseln Tag und Leben,
Nimmt der Wechsel dich auch mit,
Wandelt sich dein Streben.
Holde Züge, Melodie'n
Zaubrisch einst ergreifend,
Läßt du kühl vorüber ziehn,
Kaum die Seele streifend.
Was dein Wesen einst berückt,
Was dein Herz bereute,
Blüthen sind's, im Lenz gepflückt,
Die der Wind zerstreute.
Wenn zu lächeln dir gelang
Dem, was du verloren,
Weißt du, welchem Wandelgang
Dich die Zeit erkoren?

[198] 23.

Ihr scheltet auf die Verselei
Und werft das Buch bei Seite,
Ihr fühlt euch innen und außen frei
Von jedem Widerstreite.
Da kommt in unruhvoller Stund
Das Buch euch in die Hände,
Ihr les't, und les't euch gar gesund
An der verschmähten Spende.
Wenn endlich er gefangen nahm
Den Gegner oder Richter,
Was hat für seinen Versekram
Zu wünschen noch der Dichter?

[199] 24.

Nachts, wenn über bittren Fragen
Dir der milde Schlaf entflohn,
Hörst du wohl, vom Wind getragen
Nie vernomm'nen Glockenton.
Wie in Aengsten geht ein Flüstern
Um das Dach, und durch die Rund
Deiner Zelle macht ein Knistern
Leis' und unerklärt sich kund.
In dir selbst, wer mocht' es wecken,
Was dir wild die Brust durchbahnt?
Schaudernd mußt du mehr entdecken,
Als du je in dir geahnt!

[200] 25.

O, trompetet nur, posaunt:
Jetzt wird etwas Großes kommen!
Daß voraus schon Alles staunt,
Von Erwartung hingenommen.
Kläglich endet eurer Pracht
Prunkvoll aufgeputzte Größe,
Und der Hohn der Welt verlacht
Eures Ruhms Posaunenstöße.
Unscheinbar im Stillen schafft,
Was zu Großem ist erlesen,
Unbemerkt erwächst die Kraft,
Stärkt und läutert sich sein Wesen.
Plötzlich steht es hoch und hehr
Vor euch, ihr erstaunt beklommen,
Und begreifet nicht, woher
So viel Herrlichkeit gekommen.

[201] 26.

Bewahr' vor dem Geschlecht
Der Witzler dich und Lacher,
Es nimmt sich schnellres Recht,
Als selbst dein Widersacher!
Läßt einmal nur dein Scherz
Sie wittern den Genossen,
So bist du allerwärts
Umringt von ihren Possen.
Doch nur kein Zorngebot
An sie verschwenden wolle,
Sie lachten sich halb todt
Ob deiner lustgen Rolle!
Sieh mit gelassner Stirn
Gleichgültig auf die Thoren,
So giebt des Laffen Hirn
Den Spaß an dir verloren.

[202] 27.

Entbehren stets, und stets entbehren,
Und lügen, daß man gern entbehrt!
Hat Greisenweisheit unsern Tagen
Als tiefren Sinn nur das bescheert!
Fahr hin denn, Inhalt alles Lebens,
Fahr hin mit dem, der dir entsagt!
Sei du Genosse meines Strebens,
Der stolz sich an das Höchste wagt!
Und fielst dem Neid du des Geschickes,
Dein Kampf ist gut, dein Fühlen ächt!
Du weißt, jedwedes Augenblickes
Vollgült'ger Inhalt ist dein Recht.

[203] 28.

Wie du's ihnen Einmal recht gemacht,
So wollen sie's immer haben,
Und ob du zehnmal bessres erdacht,
Sie hadern mit deinen Gaben.
Was schiert sie, daß dich das Leben geführt,
Und anders dein Müssen und Sollen!
Du sollst nur können, was sie berührt,
Und kannst nichts, was sie nicht wollen.
Daß du sie führest so wie du mußt,
Nie werden sie dir's erlauben!
Das alte Lied und der alte Wust,
Man predigt Blinden und Tauben!

[204] 29.

Stille Tage, die ihr leise
Von des Schaffens Ernst beschwingt,
Mir in störungslosem Gleise
Kaum bemerkt vorüber gingt:
Thätig war't ihr überlegen
Unruhvoller Gegenwart,
Und so fühl' ich euren Segen
Mir im Tiefsten offenbart.
Ja, den Segen zu vollenden,
Wißt ihr für des Liedes Ton
Noch die Stimmung mir zu spenden,
Als der Arbeit schönsten Lohn.

[205] 30.

Warum verstehn sie's denn nicht, warum?
Es ist ja doch klar zu sehen!
Ei was, sie schnüffeln nur dran herum,
Und wollen's gar nicht verstehen!
Vergnüglicher ist der Mißverstand,
Dem Troß und seinem Geschwister;
Im Blödsinn reichen sich lächelnd die Hand
Herr Leichtfuß und Herr Philister.

31.

Wie so eng sind wir gebunden,
Wenn der Geist in's Freie strebt,
Und im Bann besorgter Stunden
Nebel unsern Blick umwebt!
Und wie frei, wenn überwunden
Was uns bannte, neu belebt
Wir das kleinste Glück gefunden,
Das unendlich uns erhebt!

[206] 32.

Du giebst dahin dein ganzes Wesen,
Du schüttest aus die volle Brust,
Du fühlst, daß Gleiches du erlesen,
Und Gleiches du empfangen mußt.
Da plötzlich trifft verwundert fragend
Ein Wort dich, kalt, verständnißleer.
Erkenntniß, dir in's Antlitz schlagend,
Zerreißt den Nebel um dich her.
Zu spät hast du das letzte Siegel,
Zu früh dein eigen Herz enthüllt,
Nun höhnet aus dem Täuschungspiegel
Verzerrt dich an dein eignes Bild.

[207] 33.

Wie wir die Menschen sehn, nicht wie sie sind,
So lieben wir sie. Unser tiefstes Sehen
Ist, wo wir lieben, kinderselig blind,
Und mag nur mit dem Herzen sich verstehen.
Erkenntniß selbst wird eingehüllt geschwind,
In schönem Trug mit uns einher zu gehen.
Wie reich die Armuth, die das Herz verschwendet!
Wie arm der Reichthum, wenn der Trug sich wendet!

34.

»Warum, ihr Poetenpack,
Quält ihr euch noch mit Gedichten?
Praktisch füllt man heut den Sack
Sich mit lohnendern Gewichten!«
Warum blüht der Fruchtbaum fort,
Ohn' um Gunst und Lohn zu werben?
Warum, wenn sein Leben dorrt,
Will er noch in Blüthen sterben?

[208] 35.

Du zürnst dem Wort, das, kühl betont,
Wie Undank dich getroffen,
Und fühlst mit Bitterkeit belohnt
Dein Geben und dein Hoffen.
Befrag' dich selbst, und halt' in Ruh
Des Vorwurfs Pfeil im Köcher,
Ob bittre Tropfen nicht auch du
Gemischt in fremden Becher!

36.

Aus jedes Tages Rose will
Enttäuschung fruchtlos sich entblatten,
Und jedes Jahr umschweben still
Der Wünsche nie erfüllte Schatten.
Was bleibt, wenn du dir selbst getreu
Willst der Verzweiflung widerstreben,
Als immer wieder und auf's Neu
Dich holder Täuschung hinzugeben?

[209] 37.

Nicht hassen, wo der Haß Gebot?
In Angst sich bergen vor kindischer Schuld?
Das Leben verkümmern Loth für Loth –
O wundersame Eselsgeduld!
Kommt mir nur nicht mit Sittlichkeit her,
Und heuchlerischem Moralgeschwänz!
Ist doch eure ganze Sittlichkeitslehr'
Nur eitle Blähung der Impotenz!
Der Katechismus eurer Moral
Am Schnürchen schnurrt er von Pflicht zu Pflicht,
Das Leben fordert viel hundertmal
Sich zu wärmen, zu leuchten mit eignem Licht.

[210] 38.

Verfällst du je dem Mißgeschicke
Mit Tint' und Feder zu rumoren,
Dann, Jüngling, schaff dir eine Clique,
Sonst bist du rettungslos verloren!
Kannst du der Clique dienen kräftig,
Macht sie dafür dir kräftig Claque,
Und dienstbeflissen und geschäftig
Kauft sie dir ab die Katz' im Sacke.
O Jüngling, wirf dich in die Masse,
Auf daß du lernest überwinden,
Mit welcher niederträchtgen Rasse
Dein Leben du hast abzufinden!

[211] 39.

Mit Fackeln und Serenaden,
Mit Reden und Lorbeerkranz,
O großer Mann, wie beladen
Wirst heut du mit Ehrenglanz!
Und weil dir so herrlich der Sprecher
Geredet mit lautem Ton,
Kommt morgen mit silbernem Becher
Zu ihm schon die Deputation.
Auch diese redet vorzüglich,
Sie weiß, bald kommt's auch an sie,
Und so geht's weiter vergnüglich
Nach bekannter Melodie.
Sie gönnen sich nicht den Bissen,
Und hassen sich, daß es raucht!
Und räuchern und dudeln beflissen,
Weil Einer den Andern braucht.

[212] 40.

Hielte die Jugend immer Maaß
Und verstünden die Philister Spaß,
Gerieth' in jedem Jahre der Wein,
Oder thät's Gold vom Himmel schnei'n;
Wären die Weiber durch die Bank
Schön und gefällig und ohne Wank;
Gäb's vor der Wahrheit keine Scheu,
Und keine Thorheit und keine Reu;
Könnte man fürder ungeprellt
Ueber Tag und Herz und Willen schalten,
Wär's in so hochvollkomm'ner Welt
Nicht länger auszuhalten!

[213] 41.

Was zu meiden und zu fliehen,
Wissen wir, zu unsrem Leid,
Wenn von Irrthum, unverziehen,
Sich die Seele kaum befreit.
Doch wie läßt sich fliehn und meiden,
Was uns selber nicht entflieht
Und uns, wär's zum neuem Leiden,
Unabwendbar an sich zieht?

42.

Widersprüche, wohl ist's wahr,
Stehn hier viel in Reih und Gliedern.
Scheltet drum nicht wandelbar
Sinn und Geist in diesen Liedern!
Widersprechend auch bewegt
Sich die Welt im Wirbeltanze,
Und so spiegelt, und so regt
In dem Kleinsten sich das Ganze.

[214] 43.

Wie an hellen Sommertagen
Rosenblätter streut der Wind,
Wünsch' ich, daß sie zu dir tragen,
Gruß und Lied, du Sommerkind!
Denn der Tag, der deinem Leben
In der Rosenzeit erschien,
Hat mit seinem schönsten Geben
Rosenjugend dir verliehn!
Jugend, die, vom Glück erlesen,
Unsrer Freude zugedacht,
Deiner Anmuth, deinem Wesen
Jedes Herz zu eigen macht!

[215] 44.

Ganzt ein Irrlicht auf dem Moor,
Ritter Wahn ist fortgerissen:
Schönster Stern, den ich erkor,
Leuchte mir in Finsternissen!
Unke ruft: Kehr' um, jung's Blut,
Meine Muhm' ist nicht geheuer!
Drüben kichert's: Hast du Muth,
Lohn' ich's dir, mein Vielgetreuer!
Wild Gelächter, Nebeldunst –
Ritter Wahn schrei't auf im Sumpfe.
Unke ruft: Sag du von Gunst,
Kommst du weg mit nassem Strumpfe!

[216] 45.

Sei gegrüßt mir, Morgenkühle,
Die nach Stunden, schlafbedeckt,
Mit dem himmlischen Gefühle
Der Gesundheit mich geweckt!
Golden lacht in die Gemächer
Wolkenloser Tag herein,
Ueber Baume, Thürm' und Dächer
Glänzend fließt der Sonnenschein.
So, durchleuchtet ganz vom Tage,
Wandelt festlich in der Brust
Jede sorgenvolle Frage
Sich zu froher Schaffenslust.
Wirke fort, du Freudenfülle,
Daß nach reger Stunden Flucht
Mit des Abends Gruß enthülle
Sich des Fleißes reife Frucht!

[217] 46.

Ob wir's erlitten, ob verschuldet
Vergangnes ist nicht abgethan.
Ob losgekämpft und ungeduldet,
Es folgt im Stillen unsrer Bahn.
Dem Ueberraschten naht es leise,
Heut mit verklärender Gewalt,
Und morgen tritt's in unsre Kreise
Verkehrt zu wilder Mißgestalt.

47.

Wohl wahr, daß uralt alles Klagen,
Daß allen Jammer, jede Noth,
Schon sonst ein Menschenherz getragen
Solang das Leben führt zum Tod.
Doch immer neu wird all sein Ringen,
Mit dem er durch die Zeiten geht,
Der Mensch in jener Sprache singen,
In der die Menschheit sich versteht.

[218] 48.

Du hattest einen schönen Krug,
Er trug des Freundes Namenszug.
So dauerhaft und fest er schien,
In keckem Spiel zerbrachst du ihn.
Die Scherben sammelst du mit Groll
Und kittest, was noch dauern soll,
Und hältst, was täglich du benützt,
Als leeres Schaustück nun beschützt.
Mit Reu erhebst du ihn wohl still,
Ob er noch einmal halten will?
Doch das Vertraun, das einst ihn hielt,
Ist mit zersprungen und verspielt.

[219] 49.

Lindenduft und Sternenglimmen,
Kühler Hauch vom Bergeshang,
Fernher frischer Jünglingsstimmen
Wanderfroher Liederklang!
Mädchen lauschen auf der Schwelle,
Bei dem Brunnen ruht der Krug,
Näher kommt es schon zur Stelle,
Durch das Stadtthor klingt der Zug.
Gottwillkommen, altes Städtchen,
Und willkommen Wein und Rast!
Holden Gruß euch, ros'ge Mädchen,
Ei, hier ist man gut zu Gast! –
So, geweckt von Liedern, gleiten
Mir vorüber immerdar
Seligkeiten alter Zeiten,
Lindenduftig, sternenklar.

[220] 50.

Eine Rose mit Reseden
Ward von unbekannter Hand,
Zart geknüpft mit seidnen Fäden,
Aus der Ferne mir gesandt.
Was sie sagt, soll ich's verstehen:
Daß aus altgewohntem Sang
Zum Gemüthe hinzuwehen
Mir ein Ton vielleicht gelang?
Wenn der Grüße, die mich fanden,
Holden Sinn ich recht vernahm,
Sei mein Gruß auch dort verstanden,
Woher mir die Rose kam!

[221] 51.

In den Tagen stiller Trauer,
Der sich stumm die Seele neigt,
Bringt ein Lichtstrahl selbst dir Schauer,
Der aus fremden Blicken steigt.
Freude wandelt sich in Bangen,
Wenn das Jahr sich hold erneut,
Jedem hoffenden Verlangen
Ungezählte Blüthen streut.
Was seit Jahren aufgegeben,
Leuchtet schmerzlich durch die Brust,
Und du fühlst, was für das Leben
Ewig du entbehren mußt.

[222] 52.

Euer Urtheil weiß ich zu schätzen,
Euer Gesichtspunkt ist immer schön,
Grade so wie auf Bergeshöhn
Kenner die weite Landschaft betrachten:
Zwischen den Beinen durch, rückwärts gedreht,
Beschaut ihr meist, was vor Augen steht.

53.

Sollt' ich theilen Sorg' und Qual,
Reichlich wär' es mehr als Einem,
Aber hätt' ich freiste Wahl,
Tauschen möcht' ich doch mit Keinem.

54.

Ein Eulchen lugt' im Morgenschein
Verdrießlich blinzelnd zu mir herein.
Ich pocht' an die Scheib': Ei guten Tag!
Hui! Hub sie auf ihren Flügelschlag!
Liebt Thoren und seichte Gesellschaft nicht,
Wo man von gutem Tage spricht.

[223] 55.

Ist Alles schon gesagt und gedacht,
In neuem Sinn will sich's gestalten,
Natur und Geist verhundertfacht
Zu neuer Form den Kern des Alten.

56.

Was euch Erholung beut,
Wär mir zur Last;
Was mich als Muße freut,
Ist euch verhaßt.
Des Tages Schaffen weiht
Mir auch die Rast,
Und bin ich nie befreit,
Ist süß die Last!

[224] 57.

Autographensammelseuche!
Bub' und Backfisch leiden dran,
Und begehn der Modebräuche
Neusten heut, wie Jedermann.
Hunderttausend Briefe klopfen
Süß an jedes Tintefaß,
Das nur jemals einen Tropfen
Für die Druckerschwärze maß.
Ob man garnichts von ihm wüßte,
Den man ausersehen hat,
Steht sein Name auf der Liste,
So verlangt man auch sein Blatt.
Und so geht das Hausgebettel
In der Bildung Dur und Moll:
Mir 'nen Zettel, dir 'nen Zettel,
Kritzelsammelschwindeltoll!

[225] 58.

Alles Schaffen ist nur, wie uns
Die Kritik bewiesen, Rückschritt;
Somit, Freund, gedruckt, gebunden,
Send' ich dir auch diesen Rückschritt!
Schilt man Adams ersten Schritt aus
Himmelsparadiesen: Rückschritt,
War auch der einst schnupfenlosen
Eva erstes Niesen Rückschritt.
Ja die Menschheit ging im Krebsgang,
Seit zuerst sie bliesen: Rückschritt!
Was gethan ward und geschaffen,
Ist gehäuft ein Riesenrückschritt.
Lautet somit barsch auch mir mein
Sprüchlein der Assisen: Rückschritt!
Rück' ich unberückt vom Fleck doch,
Und so sei gepriesen, Rückschritt!

[226] 59.

Zu dir, mein Fels, komm' ich gegangen
Von Straßen, mühevoll und weit,
Der Wald ist grün, die Blumen prangen,
Und Alles wie in alter Zeit!
Was ich nur dir zuerst gesungen,
Versteckt von deinem Schattenplan,
Durch alle Welt ist's hingeklungen,
Und wandert seine eigne Bahn.
Die Jugend schwand, nun komm' ich wieder,
Versöhnt aus manchem Lebensstreit,
Und bring' im Herzen dir noch Lieder
Und Töne, wie in alter Zeit.
Auch du, mein Fels, bist von den Alten,
Die jedem Jahr den Quell erneu'n;
So wollen wir's auch fürder halten
Und uns der jungen Blüthen freu'n!

[227] 60.

Wer mit uns geht durch Schatten und Licht,
Dem öffnet sich des Lieds Verständniß.
In Liedern birgt sich die Weisheit nicht,
Eine Stimmung ist kein Glaubensbekenntniß.
[228]

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TextGrid Repository (2012). Roquette, Otto. Von Tag zu Tage. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9DBB-4