[205] Das Loos des Biedermanns
An Herrn Haschka.
Wien im Sommermond 1785.
Freund, der du deine Harfe stäts
Dem Dienste strenger Wahrheit weihtest,
Und laut und ernst das eiserne Gesetz
Der Allgewaltigen mit deutschem Muth bestreitest!
Lass mich den Unmuth, der mein Herz
In bangen Stunden oft zernaget,
In deine Brust ergiessen; denn der Schmerz
Wirkt schwächer, wenn man ihn fühlbaren Seelen klaget.
[206]Oft steigt das wallende Geblüt
Mir auf die Wange, wenn, geschmücket
Mit schnödem Gold, ein mächtiger Bandit
Dem armen Biedermann den Nacken stolz zerdrücket.
Sieh dort! ein goldner Mandarin
Rollt mit vier Rappen durch die Strassen:
Lass mich die Mask' ihm von dem Antlitz ziehn,
So fegt er als ein Schelm im braunen Filz die Gassen.
Indess der Bosheit Knechte sich
Den Wanst mit leckern Speisen füllen,
Ächzt mancher Freund der Tugend kümmerlich,
Und kann des Hungers Wuth oft kaum mit Brode stillen.
[207]Freund! wem vor krummen Pfaden graut,
Wird stäts mit Noth und Mangel kriegen.
Ward denn die Welt für Böse nur gebaut,
Und muss der brave Mann sich stäts im Staube schmiegen?
Zwar schwingt (ein seltnes Meteor!)
Wohl auch die Tugend sich: doch ziehet
Sie Billigkeit auch dann noch Ränken vor,
So hat, kaum halb gesehn, der neue Stern verglühet.
Sieh! Aristid, der Biedermann,
Fällt, weil er seine Bürgerpflichten
Zu treu erfüllt, unschuldig in den Bann,
Und muss sich aus Athen mit Schimpf und Schande flüchten.
[208]So pflegt man, Freund! der Redlichkeit
Von jeher unterm Mond zu lohnen:
Doch tröste dich! denn Selbstzufriedenheit,
Die Tugend uns gewährt, hat höhern Werth, als Kronen.