Detlev von Liliencron
Haidegänger

Meinen Freunde Iven Kruse zu eigen.

[1] Sommertag

Mit dem Bädeker in der Hand
Bin ich durch eine Stadt gerannt,
Die weithin thät nach allen Enden
Ihre Straßen und Züge senden.
Auf den Zeilen und Märkten und Plätzen und Brücken
Konnt' ich mich kaum durch die Menge drücken.
In all dem Gewühl, in all dem Gesuche
Lief ich umher mit dem roten Buche,
Bis ich mich unter dem heißen Himmel
Gänzlich verlor im Volksgewimmel:
Karroussel und Affentheater,
Pudeldressur und gelehrte Kater,
Seiltänzer, Schießbuden, Mechanik,
Orgelgedreh, Musikantengequiek:
Gelangweilt halb, halb angeregt,
Hab' ich mich im Gewoge bewegt,
Ließ mich treiben und ließ mich schieben,
Bin hier gegangen und dort geblieben,
Und war endlich zufrieden und froh,
Als ich dem Zetermordio
Den Rücken wandte; doch halt noch einmal,
Da gab's noch einen Zaubersaal.
Sehnsüchtig harrten der Kinder viel
Und sähen zu gerne das Puppenspiel.
[2]
Und wie's so geht, ich lüfte mein Geld,
Und ließ sie hinein in die Wunderwelt.
Das war ein Jauchzen und war ein Jubel,
Nur eine wagt es nicht im Trubel
Mit zu drängen im polternden Heer,
Und auch, sie war ein Kind nicht mehr:
Ein Mädel von siebenzehn, achtzehn Jahren,
Mit braunen Augen und blonden Haaren,
Die sandte mir Blicke, ich wär' nicht von Stein,
Ob sie nicht auch dabei könnte sein.
Gewiß, nur zu, und ich geh' mit,
Und halte mit ihr den gleichen Schritt.
Und während sich zeigten Adam und Eva,
Hanswurst, der Pfalzgraf und Genofeva,
Blieb fast stetig mein Auge hangen
An meiner Nachbarin weichen Wangen.
Wie zart und blaß war ihr Gesicht,
Die hat im Leben viel Freude nicht.
Einen Hauch schon entdeckt' ich der täglichen Sorgen,
Den die Angst ihr gab vor dem nächsten Morgen.
Sie aber fühlte nicht meine Gedanken,
Sah auf der Bühne dem Keifen und Zanken
Voll Neugier zu und lacht und klatscht,
Wenn Kasperl den bösen Teufel klabatscht.
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und alles strömt in's Freie hinaus.
Das Dirnlein aber, das süße Kind,
»Die hat was in mir angezünd't.«
Ich nahm bei der Hand sie und bat sie fein,
[2]
Ich wär' in der Stadt hier ganz allein,
Sie möchte mit mir den Tag genießen,
Es sollte sie wahrlich nicht verdrießen.
Und stell's ihr vor, und Arm in Arm,
Tauchen wir unter im Menschenschwarm.
Wie haben den Tag wir uns amüsiert,
Sind viel gefahren und viel spaziert,
Haben gegessen und gut getrunken,
Und sind uns in die Arme gesunken,
Wenn's der Kellner nicht sah, und die werten Gäste
Ihre Gläser verließen und Speisereste.
Und allerlei schenkt' ich dem jungen Blut,
Natürlich zuerst einen neuen Hut.
Den Bädeker hab' ich vergessen wo,
Was schiert's mich, ich war so frisch und froh,
Was soll mir die Kunst heut, die lass' ich stehn,
Was Kirchen, Paläste, Musik und Museen.
Des Abends schritt ich mit ihr nach Haus,
Das lag in ärmlicher Vorstadt drauß.
Hat keiner sich weiter um uns geschoren,
Und Amor zog's Nachtmützchen über die Ohren.
Einmal erwacht' ich, die Glocke schlug zwei,
Da hört' ich Wiegen und Kindergeschrei
Und Hundegeheul und Katzenmiau,
Und einer schalt wütend auf seine Frau.
Ein Betrunkener stolpert fluchend herauf
Und stößt die Treppe beinahe zu Hauf.
Und diese ganze Nachbarschaft
War meiner Seele so grauenhaft.
Das Mädel indessen schlief unbewegt,
Hat einen Arm um den Hals mir gelegt,
Und lehnte ihr Haupt an meine Brust,
[3]
Und hat nichts von Streit und Lärm gewußt.
Und über ihr Herz ein Traum sich spann:
Du guter, du lieber, du bester Mann,
O halte mich sicher, o halte mich fest,
Dann hab' ich ein Leben, dann hab' ich ein Nest,
Dann leid' ich nicht Hunger und leide nicht Not,
Hab' immer mein Linnen und immer mein Brot.
Des Morgens, schon schien die Sonne herein,
Mach' ich mich fertig, der Abschied muß sein.
Die Kleine, gebückt auf meinen Schuh,
Bindet geschäftig die Bänder ihm zu.
Und über den leuchtenden Flechtenschimmer,
Schaut' ich mich um in ihrem Zimmer.
An der Wand die Bilder: Ein Wasserfall;
Von der Säule das goldne Kalb schlägt Lassalle
In tausend Trümmer mit wuchtigen Hieben,
Ein Vorderhuf nur noch war stehn geblieben;
Ein gütiges greises Kaisergesicht;
Daneben im Rahmen ein Glückwunschgedicht.
In der Ecke stand öde die Nähmaschine,
Des Blondchens geizige Honigbiene.
Noch einmal küßt' ich das junge Ding,
Daß ihr und mir der Atem verging.
Ein leises Zittern, ein flüchtig Erblassen,
Dann hab' ich entschlossen das Mädchen verlassen.
Nur nicht gezögert beim Lebewohl,
Sonst hängt sich Blei an Sattel und Sohl'.
Und bald schon saß ich im nächsten Zug,
Der rücksichtslos in die Ferne mich trug.
Leg' ich zuweilen im Abendschein
Auf dem Lebensstrome die Ruder ein
[4]
Und lasse mich treiben, stütze mein Kinn,
Dann zieht mir Vergangenes durch den Sinn,
Und, ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Auch dieser lustige Sommertag.

[5] Legende

Ev. Matthäi 26, 36-45.


Als der Herr in Gethsemane
Auf Knieen lag im schwersten Weh,
Als er sich hob, nach den Jüngern zu schauen,
Ließ er die Thränen niedertauen:
Er fand sie schlafend, und mit den Genossen
Hatte selbst Petrus die Augen geschlossen.
Zum zweiten Mal sucht er die Seinen dann,
Die liegen noch immer in Traumes Bann.
Und zum Dritten, allein im Schmerz,
Zeigt er Gott das kämpfende Herz.
Die heilige Stirn wird ihm feucht und naß,
»Mein Vater, ist es möglich, daß ...«
Und durch ein Gartenmauerloch
Schlüpft ein zottig Hündchen und kroch
Dem Heiland zu Füßen und schmiegt sich ihm an,
Als ob es ihm helfen will und kann.
Und der Herr hat mild lächelnd den Trost gespürt,
Und er nimmt's und drängt's an die Brust gerührt
Und muß es mit seiner Liebe umfassen,
Die Menschen hatten ihn verlassen.

[6] Winternacht

Das war beredet und besprochen,
Wie lange her, ich ahn' es nicht.
Der Tag ist da, die Pulse pochen,
Die Flocken fallen träg und dicht.
Im fremden Dorf, im fremden Saale,
Es kennt uns keiner, welche Lust,
Wir drehn uns unter'm Kerzenstrahle,
Wie schweißt die Liebe Brust an Brust.
Und eng gedrängt im regen Schleifer,
Entzünden wir uns mehr und mehr,
Ich fühl's, ich bin Besitzergreifer,
Ich weiß auch, das ist dein Begehr.
Geheimnisvoller Schatten breitet
Sich über unser Stelldichein,
O komm, ein Zimmer liegt bereitet,
Ein traut Gemach, wir sind allein.
[7]
Der Wirt, mit artigem Verneigen,
Läßt uns hinein, wünscht gute Nacht,
Kein Späher horcht, die Sterne schweigen,
Und stumm ist rings die Winterpracht.
Und wie beim Fest die Hochzeitsgäste
Noch weiter jubeln bei Musik,
Verklingt, verhallt in unserm Neste
Gejauchz und Violingequiek.
Wie bin ich schnell bei Band und Schnallen,
Sie wehrt sich, sie verweigert's mir,
Und ist mir um den Hals gefallen,
Verwirrung schloß die Augen ihr.
Noch sträubt sie sich, schon fällt die Hülle,
Sie will nicht und sie muß, sie muß,
Und bringt mir ihre süße Fülle,
Und bringt sie mir in Glut und Kuß.
Der Morgen naht in tiefer Stille,
Sie schläft erschöpft im weichen Flaum,
Noch drang nicht durch die Ladenrille
Das Frührot in den heiligen Raum.
Die Ampel gießt in Dämmermilde
Ein Zartlicht ihr um Brust und Arm,
Und auf das himmlische Gebilde
Sah lächelnd ich und liebewarm.
Und eh' die Sonne sich erhoben,
Sind wir schon unterwegs im Schnee,
Da hab' ich sie emporgehoben,
Und trug sie, ein verzognes Reh.
Und trug sie bis an ihre Kammer,
An's Erdenende thät ich's noch,
Sie aber wollte kaum die Klammer
Entlösen meinem Nackenjoch.
[8]
Die erste Krähe läßt sich hören,
Leb' wohl, mein Schatz, auf Wiedersehn.
Und durch die hochbeschneiten Föhren
Muß nun den Weg allein ich gehn.
Die Sonne steigt, und tausend Funken
Durchglitzern das beeiste Feld.
Von Glück und Liebe bin ich trunken,
O Gott, wie herrlich ist die Welt.

[9] Aus der Kinderzeit

In alten Briefen saß ich heut' vergraben,
Als einer plötzlich in die Hand mir fiel,
Auf dem die Jahresziffer mich erschreckte,
So lange war es her, so lange schon.
Die Schrift stand groß und klein und glatt und kraus
Und reichlich untermischt mit Tintenklecksen:
»Mein lieber Fritz, die Bäume sind nun kahl,
Wir spielen nicht mehr Räuber und Soldat,
Türk hat das rechte Vorderbein gebrochen,
Und Tante Hannchen hat noch immer Zahnweh,
Papa ist auf die Hühnerjagd gegangen.
Ich weiß nichts mehr. Mir geht es gut.
Schreib' bald und bleibe recht gesund.
Dein Freund und Vetter Siegesmund ...«
»Die Bäume sind nun kahl«, das herbe Wort
Ließ mich die Briefe still zusammenlegen,
Gab Hut und Handschuh mir und Rock und Stock,
Und drängte mich hinaus in meine Haide.

[10] An Otto Julius Bierbaum

Otto Julius, frischester Dragonerlieutenant,
Mit den roten Backen, mit dem weichen Schnurrbart,
Mit der mächtigen Dichterstirn, mit großen, klugen
Augen, die, ob mit Pince-nez, ob ohne Klemmer,
Wunderbaren Wechsel zeigen immerwährend,
Einst, erinnerst du dich dessen, saßen oft wir
Bis zum Hahnenruf im Münchner Rathauskeller.
Und wir tranken Ale und Porter, Ale und Porter
Zu der Küche Meisterwerken, Beef und Fischen.
Kniffst du nicht der Kellnerin, der hübschen Betti,
Betti'n aus dem Ursulinerinnenkloster,
Gern, doch sanft, doch sanfter stärker drückend.
In die weißen Arme, daß sie leise Au schrie?
Für vorzügliche Zigarren, feinster Kenner,
Sorgtest du, das soll dir nicht vergessen werden.
Jene herzvertrauten Offenbarungs-Nächte,
Die wir mit einander trinkend, plaudernd, lachend,
Rauchend saßen unten am Gedecke Betti's,
Diese sind mir eben wieder eingefallen,
Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,
[11]
Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,
Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,
Die mir säuerlich und muff verraten würde,
Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,
Tochter Seiner Excellenz, des Herrn Philisters.
Wenn erlauscht die guten Deutschen damals hätten,
Was wir sprachen, ausgelassen uns erzählten,
Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt:
So der Liebe Rätsel lachend zu entziffern,
So die Welt uns lachend um den Kopf zu schlagen.
Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt.
Und die Kritiker, es würden diese freilich,
Wenn sie die Epistel an dich lesen möchten,
Erst im Sechstrochäus fehlersuchend wühlen,
Aber dann, o Himmel, welche Lehrerschelte
Müßten wir erleben: »Unmoralisch! Scheuslich!
Seht die beiden als der tiefsten Hölle Diener.«
Wenn wir gegenseitig unsere Liebeshändel
Uns zum Besten gaben: Du mir die Geschichte
Deines schlanken, dunkeläugigen Waschermadls,
Das zu dir sich heimlich nachts in's Fenster drängte,
Das dich so beglückt mit ihren sechszehn Jahren;
Wie sie, trennungstraurig habest du geholfen,
Heimlich in der Frühe wieder sich entfernte
Auf dem gleichen Weg; wie du dem muntren Kerlchen
Nachgeschaut; wie rote kleine Morgenwolken
Himmelsheilig ihr die Kinderstirn beglänzten,
Ihr, die durch den Tau, am Wassersturz der Isar,
Schnellen, scheuen, leichten Schrittes sei entschwunden.
Hieß Jeanette nicht dein reizend Waschermadl?
Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte
[12]
– Denk an das »Gerümpfe« edler Wackernasen:
»Waschermadel, Schneidermadel: Die Bekanntschaft« –
Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte,
Die, nicht anders ging's derweil, mir immer wieder
Stoffe brachte, Röcke, Hosen, Westen holte.
War nichts mehr zum Flicken vorrätig im Schranke,
Trennten Nähte wir, zerrissen Unterfutter.
Die mich mit den sechszehn Jahren hurtig küßte,
Küßte, bis die wenigen Minuten schwanden.
Später ward es besser, durch des Mädchens Schlauheit,
Eine Stunde blieb sie, stundenlang und länger,
Bis die erste heiße Liebesnacht herankam.
Wie sie nun am andern Morgen ängstlich fortschlich,
Warf sie ungeschickt vom Teller ihrer Rechten,
Ihre Finger spreizend, mir ihr letztes Grüßen:
Rührend war es mir, wie dir, dem ich's vertraute.
Saugend war ihr Kuß, ein wenig unanmutig,
Ganz, als söge noch sie an der Mutter Brüsten;
Doch Natur, Natur, jungwilde Ungezähmtheit.
Denkst du noch an unser kleines Abenteuer
– Cenz und Loni nannten sich die hübschen Frätzchen –,
Das Boccaz zum Vater hätte haben können:
Durch gemeinsam ausgeführte kleine Fahrten
Waren näher wir zu Viert bekannt geworden.
Als wir eine Wette machten auf die Treue
Unsrer Schätzchen, und zur gleichbestimmten Stunde
Jede an den andern sandten nach Gewünschtem,
Wie uns dann nach einigem Gesichterschneiden
– Zuckten nicht sekundenlang zwei durstige Dolche –,
Da wir uns das Wort gegeben, wahr zu sprechen,
Ein nicht enden wollendes Gelächter schüttert.
Lüstern nach verbotnem Speck ist jedes Mäuschen.
[13]
Spricht nicht irgendwo ein alter Lebenskünstler,
Daß ergötzlich sei der Wechsel in der Liebe?
Apage!
Doch was ich sagen wollte, Lieber:
Blieb dir jener Winterabend im Gedächtnis?:
Beim Burgurder, Nuits, bei deinem Lieblingsweine,
Saßen wir schon lange. Alles war gegangen.
Unter Aufsicht des Ratskellerküfermeisters
War der Zug, je zwei auf zwei, der Kellnerinnen
In das Nebenhaus zum Schlafen abgezogen.
Nur ein Piccolo, die einzige Bedienung,
Lag, entschlummert, über einer großen Zeitung,
Und ein Blumenmädchen schlief an einer Säule,
Blassen Antlitzes, das wunderbar sich abhob
Aus den dunkelroten Rosen, die dem Korbe
Sich entschüttet hatten um die müden Schläfen.
Plötzlich durch die mitternächtige Stille klang ein
Dumpfes, mattes Rauschen; und ein uralt Männchen
Stand an unserm Tische, sich vor uns verneigend:
»Ihr da, Dichterlinge, thut mir den Gefallen,
Sagt mir, weshalb redet ihr so unablässig
Naseweis von unsrer guten deutschen Dichtung?
Besser wär's, statt immerfort zu raisonnieren,
Wenn ihre eure Kritzeleien so dem Landsmann
Dem gewohnten Lotternachmittagsschlafsopha
Näher rücktet, daß er's mühelos verdaute.
Und es würden euch die Portemonnaies bald voll sein,
Könntet ihr euch endlich doch entschließen: einzig
Eure Feder einzutauchen dieser Weise,
Daß sie träuft von faden Honigseimgeschichten,
Für die deutschen Bilderfibeln eingerichtet.«
Wütend sprangst du auf, ich hielt dich fest am Rockschoß,
Sonst, wahrhaftig, hättest du dem armen Männchen
[14]
Sicher das Genick gebrochen, und du flammtest:
»Fort, Versucher, fort mit deinem Klingebeutel,
Troll' dich in dein Nichts zurück, verdammter Hämmling!
Schreiben wir, so schreiben uns wir und den wenigen
Gleichgesinnten, freiheitsfröhlichstolzen Herzen.
Unaussprechlich schnuppe ist für uns der Leser.«
Alles ist mir eben wieder eingefallen,
Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,
Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,
Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,
Die mir säuerlich und muff verraten würde,
Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdengel,
Tochter Seiner Excellenz, des Herrn Philisters.

[15] Sehnsucht

Ich ging den Weg entlang, der einsam lag,
Den stets allein ich gehe jeden Tag.
Die Heide schweigt, das Feld ist menschenleer,
Der Wind nur webt im Knickbusch um mich her.
Weit liegt vor mir die Straße ausgedehnt,
Es hat mein Herz nur dich, nur dich ersehnt.
Und kämest du, ein Wunder wär's für mich,
Ich neigte mich vor dir: ich liebe dich.
Und im Begegnen, nur ein einziger Blick,
Des ganzen Lebens wär' es mein Geschick.
Und richtest du dein Auge kalt auf mich,
Ich trotze, Mädchen, dir: ich liebe dich.
Doch wenn dein schönes Auge grüßt und lacht
Wie eine Sonne mir in schwerer Nacht,
Ich zöge rasch dein süßes Herz an mich
Und flüstre leise dir: ich liebe dich.

[16] Auf dem Aldebaran

Zwei himmelblaue schwalbengroße Falter
Umschweben meines bunten hohen Zeltes
Gewundnen Turban, der als Schluß es ziert
In luftiger Höhe, wo von allen Seiten
Brokat und Linnen sich zum Zipfel krönen.
Und eines Straußeneis Gestalt, zeigt sich
Im Turban ein Rubin von solcher Schöne,
Daß Alles, dem er seine Glänze wirft,
Von zartem Rot leicht übergossen ist:
Die beiden himmelblauen Schmetterlinge,
Der schwefelgelbe Pfau, der wich umschweift,
Das grelle Grün, das meinen Rasen brennt,
Auf dem ich vor des Zeltes Eingang stehe.
Und ich, ein Fürst hier auf dem Aldebaran,
Gebiete nun, daß Alles mich verläßt,
Was mich umgiebt, die Kammerherrn und Pagen,
Das Volk, Vasallen, Söldner und Gesinde.
Und jetzt allein, macht meine Hand leichthin
Noch einmal die Bewegung als Befehl,
Und augenblicks erscheint ein Zug vor mir:
[17]
Zwei schwarze Riesen, scheußlichen Gesichtes,
Geleiten als Gefolge, ehrerbietig,
Ein junges Mädchen, dem mit sammtnen Bändern
Die Hände überquer gebunden sind,
Sehr wenig nur gebunden sind, und so,
Daß nicht geringsten Schmerz sie dulden müssen.
Und als Gefangne führen sie sie vor.
Wie sie sich nähert, schnürt es mir das Herz:
Demütig, stolz, verlassen, höchsten Hochmuts,
Das Auge sanft gesenkt, so schreitet sie
Langsamen Schrittes, zögernd auf mich zu.
Und tief gerührt, mit nasser Wimper, will ich,
Ein Eilender, die Fesseln schnell ihr lösen,
Der unerhörten Schande sie befrein.
Und zögre doch, und trotzig wird mein Blick.
Nun hat sie Halt vor mir gemacht und harrt
Mit finstrer Stirn des weiteren Verfahrens.
Wie Christus vor Pilatus einst, so jetzt,
Mit überkreuz gelegten Knöcheln steht,
Gericht erwartend, eine Sünderin,
Vor meinem Tribunal das schöne Weib.
Ihr weiß Gewand, das bis zum Fuß ihr flutet,
Hat der Rubin mit Rosen leicht gefärbt.
Und also stellen meine Worte sich:
»Dort unten warst du Königin, ich Sklave,
Und hier, auf diesem wundervollen Stern,
Vertauscht die Rollen, bist du Bettlerin,
Und ich ein König, hörst du's, ich ein König.«
Und sie, indem ihr dunkles Auge sich,
Halb in Verwundrung, halb in Hohn und Spott,
Mit meinem bindet, spricht ein leises Ja.
[18]
»Und nächtens nun, wenn über uns wir schauen
Der Welten andre, die wir nie gesehn,
In unvergleichlich schönrer Herrlichkeit,
Erblicken tief wir unter uns die Sonne,
Ein schwaches Fleckchen nur, und um dies Fleckchen
Kreist, die wir nicht entdecken hier, die Erde,
Ein Spritzer jenes kleinen Sterns, der Sonne.
Auf jener Erde haben wir gelebt,
Als eine Königin du, als Bettler ich.
Doch hier, ich wiederhol's, bin ich ein König,
Und du, hörst du's, bist eine Sklavin nur.«
Und sie, indem ihr dunkles Auge sich,
Halb in Verwundrung, halb in Angst und Ahnung,
Mit meinem bindet, haucht ein leises Ja.
»Auf jener Erde hab' ich dich geliebt,
Ein Bettler ich, dich eine Königin.
Doch du hast mich verlacht, gehaßt, gequält.
Von deinen Knechten ließest du mich peitschen,
Weil ich es wagte, zu dir aufzuschaun.
Von deinen Hunden ließest du mich jagen
In's Elend, in die Dämmerung des Abends,
Die trostlos mich, ach, gütiger als du,
In ihre nebelfeuchten Schwingen schloß.
Warum, jetzt frag' ich dich, hast du's gethan?
Erinnerst du dich einer Winternacht,
Als an der Glasthür wir im Saale standen
Und auf Befehl den Aldebaran ich
Dir zeigen sollte? Und entsinnst du dich,
Daß eilig ich ein warmes Bärenfell
Dir legte unter deinen kleinen Fuß,
Daß nicht im Seidenschuh du Kälte littest?
[19]
Dann wies ich dir den roten Alebaran.
Bei den geschäftigen Fragen, die du thatest,
Dich huldvoll, lächelnd zu mir wendend, kamen,
Wir waren ganz allein, die holden Lippen
Mir immer näher, und um deine Schulter,
Schlug ich, du stießest ihn nicht fort, den Arm,
Und zog dich an mich, und wir küßten uns.
An jenem Abend bin ich toll geworden,
Durch deine Sprödheit bin ich toll geworden,
Die eisig mich seit jener Sternenstunde
Aus allen Himmeln riß. Und als ich dich
Im Schlitten, eingehüllt in Zobelpelze,
Von Purpurtuch und Scharlach überdeckt,
Vom frohsten Glockenspiel begleitet, sah,
Wie du an einen Prinzen zart dich lehntest,
Der lachend dich und kühn an's Herz geschlossen,
Bin ich gestorben, an der Stelle dort,
Wo das Geläut an mir vorüberschoß.
Und auf dem Aldebaran wacht' ich auf,
Und hab' gewartet bis zum heutigen Tag,
Bis du erschienest hier in dieser Stunde.
Und gleich wie damals sind wir beide jung.
Jetzt aber bist du meine Sklavin und,
Hörst du's, ich wünsche, nein, ich will, ich will,
Daß du mich liebst auf diesem roten Stern.«
Doch sie, indem ihr dunkles Auge schnell
Das meine sucht und in ihm haften bleibt,
Verachtung um die Lippen schürzend, spricht,
Und in verhaltnem Zorne bebt die Stimme:
Elender, das ist deine ganze Kunst,
Mich wehrlos deiner Rache vorzuzerren?
Nach jener Winternacht, was girrtest du
Um mich herum? Ein sechszehnjähriger Knabe
[20]
Ist nicht so scheu mit seiner Liebeswerbung,
Wie du dich stelltest. Sollt' ich deinen Nacken
Mit meinem Arm umstricken und dich bitten:
Sieh, Hänschen, sieh, ich bin in dich vernarrt.
Und hättest du mit deiner rauhen Faust,
Wie jetzt dies Band, die Knöchel mir umspannt,
Und mir geschrieen: Weib, ich laß dich nicht;
Und hättest du, im Sprung ein wilder Wolf,
Auf jener Schlittenfahrt dir vom Gehenk
Den Dolch gerissen und ihn umgekehrt
In deines Nebenbuhlers raschem Herzen;
Ich hätte dich, verwirrt, entsetzt, beglückt,
Geküßt, und wär' dir um den Hals gefallen:
Nimm mich, nimm mich, du sollst ein Herr mir sein,
Mein Herr, mein Lebensmann – ich liebe dich.
»Die Fesseln los! Zurück von ihr, Begleiter!
Nun stehn wir beid' allein uns gegenüber.
Sprich nur ein Wort, und eine Feder leicht,
Heb' ich als Königin dich auf den Thron.
Viel besser sind die Menschen hier als unten,
Mehr Liebe, mehr Verzeihung und Geduld,
Kein Mißverständnis mehr, wie das auf Erden
So manchen sonnenhellen Tag vergällt ...«
Doch sie, das herrliche Haupt in herbem Stolz
Hochauf, streckt wehrend mir die Hand entgegen,
Und wendet sich und schreitet still von dannen.
Die himmelblauen Schmetterlinge leuchten
Auf ihren Schultern und als Kavalier
Prunkt neben ihr der schwefelgelbe Pfau.
Und Alles übergießt mit feinstem Rot
Der prächtige Rubin ...

[21] An Klaus Groth

(Das Lesezeichen.)


In Krieg und Frieden, viele Jahre schon,
Trag' ich, wo immer auch mein Aufenthalt,
Am Herzen deinen Quickborn, und im Herzen
Die goldne Fülle seiner Heimatlieder.
Im harten Winter Siebzig-Einundsiebzig
Stand vor Peronne ich zur Umzingelung.
Einst, als drei Tage und drei Nächte wir
Im Schnee gelegen ohne Schutz und Feuer,
Erhielt ich endlich als Quartier ein Häuschen.
Nur eine Stube gab's: Ein Mütterchen
Saß hüstelnd, stier und stumpfsinnig im Bett.
Ihr hübsches sechzehnjähriges Enkelkind
– Zigeuner waren's – machte die Honneurs.
Rasch schob mein flinker Bursche am Kamin
Das Stroh zusammen, daß ich ruhen konnte,
Und wie der ganz erstarrte Frosch, so taute
Allmählig ich zu warmem Leben auf.
Behaglich nahm ich deinen Quickborn her
[22]
Und las, den Kopf in meine Hände stützend,
Gestreckten Leibes, laut die lieben Verse.
Mir gegenüber, zaghaft erst, dann dreister,
Haupt gegen Haupt, dieselbe Stellung findend,
Das Kinn auf die geballten Fäustchen lastend,
Nahm Platz das Mädchen und – ich las ihr vor:
Von »Unruh Hans« ... Noch seh' ich ihre Augen,
Die dunkelbraunen, staunend mich betrachten;
Seh' auf der broncefarbnen Stirn ein Löckchen,
So schwarz als wär' es aus der Nacht gesprungen.
Dann fing sie an zu lachen und so köstlich
Durchschimmerte der Zahn die roten Lippen,
Daß ich wahrhaftig in Versuchung kam,
Ihr einen Finger in den Mund zu tauchen.
Und als ich weiter vortrug, das Gedicht:
– »Ik sprung noch in de Kinnerbüx, da wär
Ik all en« – kam ein Zischen, Heulen, Wuchten,
Ein Donnerschlag ... und eine Stille dann.
Das ganze Hüttchen zittert, schüttert, bebt,
Und an den Wänden rieselt es hinunter.
Wir aus dem Stroh. Das Mädchen, toterschrocken,
Liegt, wie das Lamm dem Hirten, mir im Arm.
Bald fanden wir die unliebsame Störung
Erklärt: Es hatte in den Hof sich eine
Granate, Grüße bringend, eingewühlt.
Als wieder zum Kamin zurück wir kehrten
Und ich mich niederbog zu deinem Buch,
Entdeckt' ich auf dem Worte »Daugenix,«
Fatale Deutung, Stückchen grauen Kalkes,
Die von der Zimmerdecke abgebröckelt,
Als neben uns der Eisenengel einschlug.
Ich ließ sie dort und heute findest du
Das Lesezeichen noch an alter Stelle.
[23]
In Krieg und Frieden, viele Jahre schon,
Trag' ich, wo immer auch mein Aufenthalt,
Am Herzen deinen Quickborn und im Herzen
Die goldne Fülle seiner Heimatlieder.

[24] An Karl Henckell

Was träumt' ich doch von dir, du Feuergeist,
Was war es doch, es war so fürchterlich,
Was war es doch, ah, nun besinn' ich mich,
Was träumt' ich doch von dir, du Feuergeist.
Wir beide stehn im Kampf uns gegenüber
Auf einer Barrikade höchstem Punkt,
Der Degen blinkt, der Degen prahlt und prunkt,
Wir beide stehn im Kampf uns gegenüber.
Und mit der Linken drohen wir uns an,
Nun komm heran, du sollst nicht lebend fort,
Stoß zu, fall' aus, pack an auf Tod und Mord,
Und mit der Linken drohen wir uns an.
Ich sah dein Lockenhaupt im Sonnenleuchten,
Du rufst: Der Freiheit nur sterb' ich zum Ruhme,
Ich rief: Mir schmückt den Helm die Königsblume,
Ich sah dein Lockenhaupt im Sonnenleuchten.
[25]
Wir prallten vor und trafen uns in's Herz,
Als unser Blut nun rann in eins zusammen,
Verlohten wolkenhoch zwei Dichterflammen,
Wir prallten vor, und trafen uns in's Herz.
Doch eh' das letzte Leben uns zerfloß,
Eh' wir auf immer von einander schieden,
Verzweigten unsre Hände sich zum Frieden,
Eh' noch das letzte Leben uns zerfloß.

[26] Waldgang

Mit meinen Teckeln ging ich heut' in's Holz,
Am Strick sie führend, daß die hitzigen Kleinen
Nicht kläffend mir vertrautes Wild verscheuchten.
Der Morgen glänzt wie ein Paradefeld.
Im Tau perlt Blume noch und Blatt und Gras,
Nur trocken da, wo sich die Sommersonne
Mit heißen Lippen schon den Trunk geholt.
Im Walde schwieg es heilig überall.
Als vom gewohnten Weg ich abwärts bog,
Um eine Wiesenblöße aufzusuchen,
Entdeckt' ich dort, von Himmelslicht umleuchtet,
Ist's Gaukelspiel, kann ich den Augen trauen,
Sanft eingeschlafen, mit dem Haupt im Schatten,
Den kleinen Gott, der so viel Unheil stiftet.
Und wie das Kind, das seine Weihnachtspuppe
In's Bettchen nahm, glückselig dann entschlief,
So hielt er fest mit seinen kecken Fäustchen
An seine Brust geschlossen Pfeil und Bogen.
[27]
Er wandte mir den rosigen Rücken zu,
Den Köcher zwischen seinen Flügeln zeigend.
Und nun die Dächsel ... Wollt ihr!.. Daß der Kukuk!..
Ich schnüre ihnen fast die Kehlen zu,
So emsig, mit gesträubtem Nackenhaar,
War ihr Gezerr ... Um Himmelswillen! Wollt ihr!
Daß ihr mir nicht den süßen Bengel weckt!
Weh mir, wenn er erwacht, er schenkt sofort
Der Senne seinen Pfeil, den ersten, besten,
Und trifft mein Herz, und trifft es unbarmherzig,
Daß ich der Liebe Qualen dulden muß,
Der Liebe Leiden, die vieltausendmal,
Hält Venus, wiegend, in der Hand die Wage,
Der Liebe Lust schwerlastend niederdrücken.
Schon bin am Holzesrand ich, immer noch
Die heftigen Hunde ängstlich mit mir ziehend.
Und vor mir schimmert weit ein helles Land.
In seine Stille schau' ich lang hinein.
Und mählig, während ich die Augen tränke
In all' den Morgenfarben, steigt ein Wunsch:
Wenn dort um eine schöne Schulter ich,
Durch Duft und bunte Blumengrüße schreitend,
Den Arm gelegt, indeß die andre Hand
Ein liebes Händchen hält; und zu mir auf
Ein Auge blickt, das ich mein Leben nennte ...
Die Teckel laß ich fort, daß ihr Geläut
In fernen Gründen bald erstirbt, verhallt.
Ich selber dann, nicht hastiger kann ein Mensch
Sich Bahn durch Busch und störrige Zweige brechen,
Enteile meinem Ort und lauf' waldein,
Und komme atemlos an jene Stelle,
Wo Amor seinen frühen Schlummer hielt.
[28]
Doch ach, verschwunden ist der Liebesgott.
Die Gräser, wo er ruhte, heben mühsam
Sich auf vom Druck; nur eine Königskerze,
Durchaus geknickt aus ihrer stolzen Höhe,
Brach ich vom Grund, sie an den Hut mir steckend,
Und eine Weile stand ich sehr verblüfft ...

[29] Seffinka

Einst nach vielen Jahren fand in einem Brief ich,
Der beim Suchen in die Hände mir gefallen,
Eine Haarnadel. Sie stak am Schluß: »Seffinka«.
»Tausend Küsse, Grüße sendet Dir Seffinka«.
Ach, Seffinka! Und nun stand das Mädchen wieder
Vor mir: Ueber ihre beiden Daumen glitten
Rückwärts wundervolle rabenschwarze Flechten,
Die, entflutend, sich in breite Ströme lösten.
Und die Nadel zwischen ihren Lippen haltend,
Mit der Rechten müheschwer den Kamm gebrauchend,
Ordnet sie, mit schräggebognem Haupt, die Haare,
Schelmisch sich im großen Spiegelglas betrachtend.
Einem Henkelkrug entnahm ich rote Nelken,
Und ich warf den Blumenraub ihr um den Scheitel.
Während lachend sie den Mund zum Schelten öffnet,
Fällt die Nadel; und ich bog mich und verbarg sie.
»Tausend Küsse, Grüße sendet Dir Seffinka«.

[30] An einen meines Namens nach meinem Tode

Ob meine Bücher dir bekannt,
Die einst ich schrieb?
Und wissen möcht' ich dann, ob sie
Dir wert und lieb.
Vielleicht von deines Ahnherrn Nest
Am Nordseestrand
Bist weit du fern. Ich lebte noch
Im Holstenland.
Du siehst in meinen Strophen nichts
Als Leid und Lust,
Das gleiche, das auch immer zog
Durch deine Brust.
Und dein Geschlecht, Normannenblut:
Gott schütz' dein Haus
Und lösche seinem Herde nie
Die Flammen aus.
[31]
Du Nobelmann mit Speer und Sporn,
Was klirrt dein Fuß
So zornig auf im Waffensaal,
Ein böser Gruß.
Und doch, du glättest deine Stirn?
Vergiebst es gar,
Daß einer deines Namens einst
Ein Dichter war?

[32] Der schöne Glockenton

Eine große Stadt mußt' ich durchgehn,
Die seit Jahren ich nicht gesehn.
Und in dieser auf meinen Wanderungen
Bin ich in einen Vorort gedrungen,
Wo in Armut hinfristen viel tausend Leute,
Und dort wie früher fand ich's heute.
Und mitten hier auf meiner Runde
Vernahm ich vom nächsten Turm die Stunde.
Und wunderbar, wie der reichtönende Klang
Mir plötzlich erinnernd die Brust durchdrang:
Vor mir stand eine Sommernacht,
Die einst in diesem Revier ich durchwacht,
Wo mir am Herzen ein Mädel lag,
Wo ich hörte den schönen Glockenschlag,
Ein Viertel, Halb, drei Viertel, Ganz,
Hoch über der Menschen Mummenschanz.
Im vierten Stock einer Mietskaserne,
Wo unten eine schlechte Taverne
Gesindel aufsog, wo die Unruhe wohnte,
[33]
Wo kein Engel die Tugend belohnte,
Da hab' ich einmal eine kurze Nacht
In Liebesüberschüttung zugebracht.
Sie schlief, und hat mich in Traumeswonnen
Mit ihren weißen Armen umsponnen,
Hat oft mich im Halbschlaf fest an sich gedrückt,
Das hat mich so grenzenlos entzückt.
Sanft strich ich ihr braunes welliges Haar,
Das schimmernd vom Monde beschienen war.
Bis in's späte Morgenrot
Lärmt draußen das Leben, schreit noch die Not.
Und Zank und Zorn, Geschrei, Gelächter,
Einmal Dazwischenkommen der Wächter.
Von einem Tanzsaal her wüstes Gestampf,
Aus der Hölle stieg auf ein greulicher Dampf
Aus Bierbudiken und Schnapsspelunken. –
In diesem Dunst schien die Vorstadt ertrunken.
Klarweg über die Sünde hindrang
Der reine, der hehre Glockenklang.
Endlich, nach jeder Weltstadt Weise,
Ward' um die dritte Stund' es leise.
Und herrlich durch die Stille drang
Immer wieder der schöne Glockenklang,
Ein Viertel, Halb, drei Viertel, Ganz,
Hoch über der Menschen Mummenschanz.
Da öffnet das Mädel die Augen dem Tag,
Und ich hörte nicht mehr den Glockenschlag.

An ihren Brüsten hing ich, In tausend Lüsten verging ich, Glückselig war die Nacht.

Otto Julius Bierbaum.

[34] Der Puppenhimmel

Klein Isolde sitzt bei mir im Sopha.
Klein Isolde zählt der Jahre vier erst.
Ihre Puppen bringt sie mir in's Zimmer
Und berichtet mit dem feinen Stimmchen,
Was mit ihnen letzthin sich begeben,
Nun, die Resi, wie zeigt die sich aber:
Alle Glieder, alle Kleider, Strumpf und Schuhzeug
Sind ja schwarz, als hätt' der Schornsteinfeger
Sie beim Wickel grad gehabt, Isolde,
Pfui, wie kommt's daß sie so garstig aussieht?
Klein Isolde spricht mit zartem Stimmchen:
»Resi fiel heut in den Kohlenkasten.«
Nein doch, was geschah mit Isidoren?
Abgeschlagen ist das rechte Beinchen,
Und der linke Arm ist fortgeflogen,
Und um Näschen ihr und Stirn und Augen
Trägt Verbände sie und weiße Tücher.
Wie ereignete sich das, Isolde?
Und sie giebt mir weinerliche Antwort:
»Vom Altane stürzte Isidore.«
[35]
Rosamundchen seh' ich nicht, Isolde.
Allerdings ist sehr sie krank gewesen,
Hat die Cholera gehabt, die Aermste.
Doch ich hoffe, daß sie wohl und munter.
Klein Isolde nickt mit wichtiger Miene:
»Rosamundchen ist im Puppenhimmel.«

5. November 1902.

München, Königinstraße 4.

[36] Sonntag Nachmittag

Auf der Hügelhöh im Dorf
Wohnt die schöne Annmarei,
Und ich geh' dort gern vorbei,
Führt mein Weg in jene Richtung.
Auf der Hügelhöh im Dorf
Wohnt die schöne Annmarei,
Und ich geh' dort gern vorbei.
Könnt' ich sie doch einmal treffen,
Thät ich gleich die Segel reffen,
Ließ mein Schifflein ihr zur Seiten
Sanfthin eine Strecke gleiten,
Würde Bord mit Bord verbrücken,
Um die Hände ihr zu drücken.
Auf der Hügelhöh im Dorf
Wohnt die schöne Annmarei,
Und ich geh' dort gern vorbei,
Führt mein Weg in jene Richtung.
Sonntag war es, gegen fünf,
Unterm blauen Himmelsplan
Füllt sich Krug und Kegelbahn
[37]
Mit geputzten Sommergästen.
Sonntag war es, gegen fünf,
Unterm blauen Himmelsplan
Füllt sich Krug und Kegelbahn.
Abseits diesem Frohgedränge
Schritt ich durch die Wiesenhänge.
Weiß ich's denn und kann ich's ändern,
Daß ich muß in's Dörfchen schlendern?
Alles scheint hier ausgeflogen,
In die weite Welt gezogen.
Sonntag war es, gegen fünf,
Unterm blauen Himmelsplan
Füllt sich Krug und Kegelbahn
Mit geputzten Sommergästen.
An die offne Thür gelehnt,
Fand verdrießlich ich Marein,
Und sie stand da ganz allein,
Um das leere Haus zu hüten.
An die offne Thür gelehnt,
Fand verdrießlich ich Marein,
Und sie stand da ganz allein.
Zu Bekannten heut in's Städtchen
Fuhren Eltern, Knecht und Mädchen,
Sagt sie schmollend auf mein Fragen,
Und ich denke, frisches Wagen
Hilft viel schneller aus der Schwebe,
Als ein langes Wortgewebe.
An die offne Thür gelehnt,
Fand verdrießlich ich Marein,
Und sie stand da ganz allein,
Um das leere Haus zu hüten.
[38]
Und ich bat mich ihr zu Gast,
Lachend bittet sie: Geschwind,
Findest mich als Waisenkind.
Und wir gehn durch Hof und Garten.
Und ich bat mich ihr zu Gast,
Lachend bittet sie: Geschwind,
Findest mich als Waisenkind.
Wie die Rosen einsam glühen,
Wie die Lilien einsam blühen,
Wie die Vögel einsam singen;
Und ein Zicklein seh' ich springen,
Und die Kühe hör' ich prusten
Und ein Pferd im Stalle husten.
Und ich bat mich ihr zu Gast,
Lachend bittet sie: Geschwind,
Findest mich als Waisenkind.
Und wir gehn durch Hof und Garten.
Freundlich bringt sie Milch und Brot,
Heiß ist's draußen, heiß und schwül,
Kühl im Zimmer, wunderkühl –
Macht Gelegenheit nicht Diebe?
Freundlich bringt sie Milch und Brot,
Heiß ist's draußen, heiß und schwül,
Kühl im Zimmer, wunderkühl.
Wie sich unsre Lippen fanden,
Haben wir uns nie gestanden.
Wie sich Mund zu Mund gefunden,
Wer vergäße solche Stunden.
Welch ein Kämpfen, welch ein Küssen,
Welch ein süßes Findenmüssen.
Freundlich bringt sie Milch und Brot,
Heiß ist's draußen, heiß und schwül,
[39]
Kühl im Zimmer, wunderkühl –
Macht Gelegenheit nicht Diebe?
Endlich geht der Tag zur Ruh,
Und es dunkelt und wird Nacht,
Eh' das Lämpchen noch entfacht –
Vor der Pforte hält ein Wagen.
Endlich geht der Tag zur Ruh,
Und es dunkelt und wird Nacht,
Eh' das Lämpchen noch entfacht.
Auf verschwiegnen Waldeswegen
Klopft mein Herz in lauten Schlägen.
Windesstarre, Blätterschweigen
Hängt wie Sargtuch an den Zweigen.
Tod, was wirfst du deine Maschen,
Wo sich Liebesgötter haschen.
Endlich geht der Tag zur Ruh,
Und es dunkelt und wird Nacht,
Eh' das Lämpchen noch entfacht –
Vor der Pforte hielt ein Wagen.

[40] Auf einem Bahnhofe

Aus einer Riesenstadt verirrt' ich mich
Auf einen weit entlegnen kleinen Bahnhof.
Ein Städtchen wird vielleicht von hier erreicht
Von Männern, die vom Morgen an viel Stunden
Am Pult, in Läden und Kanzlei gesessen,
Und nun den Abend im Familienkreise
Den Staub abschütteln wollen vom »Geschäft.«
Ein glühend heißer Sommertag schloß ab.
Es war die Zeit der Mitteldämmerung.
Der neue Mond schob wie ein Komma sich
Just zwischen zwei bepackte Güterwagen.
Im Westen lag der stumme Abendhimmel
In ganz verblaßter milchiggelber Farbe.
Und diesem Himmel stand wie abgeschnitten
Ein Haufen Schornsteintürme vor der Helle.
Aus allen Schloten qualmte dicker Rauch,
Erst grad' zur Höh', dann wie gebrochen bald,
Beinah' im rechten Winkel, einem Windzug
Nachgebend, der hier Oberhand gewonnen.
In wunderlich geformten Oefen dort,
[41]
Die offne Stellen zeigten, lohte ruhig,
Ganz ruhig, ohne jeden Flackerzug,
Ein dunkelblauer starker Flammenmantel ...
Und aus der großen Stadt klang dumpf Geräusch,
Ein brodelnd Kochen, das ich einmal schon
Gehört, als vor Paris wir Deutschen ruhten,
Indessen drinnen die Kommune sich
Im Höllenlärme blutige Wangen wusch.
Das fiel mir ein in diesem Augenblick.
Und wie auch damals, kam ein Bild von neuem:
Scharf, wie geputztes Messing blank, erglänzte
Hoch über allem Zank der Jupiter.
Und heut wie einst: Der Jupiter stand oben,
Von allen Sternen er allein zu sehn,
Und schaute auf den ewigen Erdenkampf,
Der mir so wüst in dieser Stunde schien –
Und wie bezwungen sprach ich vor mich hin
Mit leiser Lippe: Zwanzigstes Jahrhundert.
Um mich war's leer; ein letzter Zug hielt fertig,
Die letzten Arbeitsmüden zu erwarten.
Ein Bahnbeamter mit knallroter Mütze
Schoß mir vorbei mit Eilgutformularen.
Sonst nichts – nur oben stand der Jupiter.
Die blauen Flammen lohten geisterhaft,
Und aus der Stadt her drang verworrner Ton.

[42] Ich war so glücklich

(Ausflug.)

Mittsommertag.
Um sieben Uhr früh schon
Spritzen die Sprenger
Das glühende Pflaster.
Und um sieben Uhr früh
Bin ich unterwegs
Nach dem Bahnhofe.
Die schönste Rose, die zu erlangen ist
In der Stadt,
Eine mächtige Marschall Niel,
Kauf' ich mir im Blumenladen.
Daß sie nicht welkt,
Umschlägt sie die Verkäuferin
Mit weißem Seidenpapier.
Und nun glänzt es
Durch die zarte Umhüllung
Wie schmelzende Butter.
Welcher Wirrwarr
Auf dem großen Bahnhofe.
An allen Schaltern Gedränge;
Viele Sprachen umtönen mich;
[43]
Rote Reisebücher stechen aus allen Händen.
In den Hallen und Sälen und Fluren
Wartende,
Sich Treffende,
Schwatzende,
Sich Durcheinanderschlingende,
Schuppsende,
Entwirrende.
Und im Mittelbau
Wart' auch ich,
Umbrandet
Von Menschenwogen.
Und meine Augen
Wandern immerfort wieder
Nach dem Haupteingange:
Jetzt, jetzt muß sie kommen.
Mit schrillem, durchdringenden Tone
Schlägt eine Uhr drei Viertel.
Nur noch sieben Minuten
Und – da ist sie, da ist sie.
Ihr gelbbraunes Jäckchen
Erkenn' ich aus tausenden.
O Glück, ich fing dich, ich halte dich,
O Tag, du bist so schön.
Rasch steckt die Rose
An der Brust des liebsten Mädchens.
Nun die Fahrkarten,
Und in's Koupe.
Dem Schaffner ein Trinkgeld,
Wir bleiben allein.
Nicht fern unsrer Thür,
Steht der dicke, rotmützige,
[44]
Biergesichtige Zugführer.
Er spielt mit seiner elfenbeinernen Pfeife,
Sie ab und zu
An die Lippen bringend, in die Lippen setzend,
Ohne das Zeichen zu geben.
Er schielt zuweilen nach uns hin
Und lächelt,
Lächelt ein wenig malitiös,
Und gutmütig zugleich.
Hol' ihn der Kuckuck.
Jetzt giebt er den Befehl zur Abfahrt.
Endlich!
Die Lokomotive schreit.
Langsam setzen wir uns in Bewegung.
Haltepunkt um Haltepunkt verliert sich hinter uns.
Wir nähern uns dem Ziele.
Vor'm Spiegel wird Alles in Ordnung gebracht:
In's zerzauste Haar
Die verloren gegangene
Und wiedergefundene Nadel geheftet;
Das Hütchen zurecht gerückt.
»Nichts vergessen?«
Und: »Bitt' schön, möcht'st du mir net g'schwind
Den Handschuh zumachn?«
Wir steigen aus.
Arm in Arm, o die Seligkeit!
Im fremden Städtchen
Ist Jahrmarkt.
Wir besuchen den Trödel:
Wir reiten im Carroussel
Auf Löwen und Schwänen;
[45]
Wir bestaunen »die Wunderdame«;
Wir lassen uns photographieren:
»Immer herein die Herrschaften;
In zwei Minuten ist Alles fix und fertig.«
Die Bilder sind herrlich;
Nur das linke Auge
Des Mädchens fehlt;
Statt dessen zeigt sich ein weißer Fleck,
Erbsengroß.
Und nun in den Wald.
Welch ein wundersamer der ist:
In gleichen Zwischenräumen
Stehn uralte Eichen,
So weit auseinander,
Daß die äußersten Spitzen jeder
An die äußersten der nächsten stoßen.
Englischer Rasen, merkwürdig: hier,
Breitet sich zwischen ihnen.
Wie ein anderweltlicher Hain
Mutet er mich an.
Und unter einem dieser Riesen,
Beim Eintreten ist's natürlich schon,
Schlag' ich um des Mädchens Schultern
Den Arm.
Sie beugt das Haupt zurück.
Und ihr den Strohhut
In den Nacken schiebend,
Küss' ich sie lang, lang und innig.
Was geht den Frauen und Mädchen
Über »die Landpartie«?
Nichts.
[46]
Selbst dem kleinen Herzensintrabbringer,
Der sonst so zärtlich behandelt wird,
Wird dann der Rücken gekehrt.
Doch nicht ganz:
Am sanften Abhange,
Am Saume der Hölzung,
Ruhen wir.
Wohlriechender Wegerich,
Hundszunge und Ehrenpreis,
Zittergras und Salbei
Sind unser Teppich.
Goldamseln umhüpfen uns.
Und Alles ist wie ein Traum.
Auf dem Rückweg
Entdecken wir im Holz
Eine offen stehende Kapelle,
Das Kirchlein »Maria Eich.«
Wir treten ein in die Kühle,
In das Halbdunkel.
Geheimnisvoll leuchtet die ewige Lampe.
Das Mädchen
Verneigt sich und bekreuzt sich
Vor der schwertdurchbohrten Mutter Gottes.
Und unsere Sünden
Sind uns vergeben.
Wir hängen ein selbstgeflochtenes Kränzel
Um den Ringgriff der Eingangspforte,
Und pilgern dann
In's Städtchen zurück.
Im Garten unseres Gasthauses
Ist Concert.
[47]
Wir sitzen abseits, unbemerkt.
Kastanien, die vor unserer Laube
Ihre dicken Stämme zeigen,
Strecken ihre Dächer über uns.
Durch sie durch sehn wir,
Im Sechsuhrnachmittagssonnenschein,
Gärten und flache Wiesen,
Hinter ihnen vereinzelte Häuser,
In denen das Nachtessen
Bereitet wird:
Gradauf steigt bläulicher Kaminqualm.
Plötzlich nehm' ich das Mädel
Auf meine Arme, meine Hände,
Und halte sie hoch:
Wie Salome das Haupt des Täufers
Auf der emporgehobnen Schüssel;
Wie ein eiliger Kellner,
Der die dampfende Terrine:
»Heiß, heiß!« durch die ihn einkeilende Menge
Steuern will;
Wie einer, der ein krankes Reh trägt,
Das die Meute, mit gereckten Köpfen,
Mit hängenden, schwitzenden Zungen,
Mit an ihm hinaufstrebenden Pfoten
Gierig umläutet.
Euch, ihr Götter, bring' ich das Opfer nicht,
Ihr neidischen!
Gelt, ihr möchtet das bischen Glück
Mir gerne nehmen!
Bleibt's g'sund, sagt der Münchener;
Da lur up, sagt der Holsteiner;
Begegnet mir im Mondschein, sage ich.
[48]
Das Mädchen lacht und zappelt, zappelt und lacht.
Vor uns liegt
Die ruhige, bescheidene,
Schornsteinrauchfriedliche Landschaft.
(Kleine Reise.)

Keine Seele heut,
Im bösen Regenwetter,
Besucht das Schloß.
Nur von einem uralten, weißhaarigen,
Papageiisch plappernden Diener begleitet,
Wandern wir,
Das Mädel und ich,
Durch die hallenden Säle.
Hat der Greis solch Vertrauen zu mir:
Auf meine Bitte, geht er.
Nun sind wir allein.
Und ich zeig' ihr die Wunder:
Verschossene und immer noch prächtige Gobelins,
Schlachten- und Jagdbilder,
Kaiserinnen, Fürstinnen,
Prinzen, Marschälle, Würdenträger,
Einen verewigten Hofnarren;
Alles in Reifröcken, Perrücken, Zöpfen,
Mit Zierdegen und Kniehosen,
In Schmuckpanzern des achtzehnten Jahrhunderts.
Und selbst ein Lieblingsmops
Ist abkonterfeit.
Einmal, in einem weiten Saale,
Den sich die Einsamkeit der Einsamkeiten
Zum Schlaf erkoren hat,
[49]
Verweilen wir länger:
Zwei verblichene, winziglehnige, weiße
Seidensessel stehn hier, auf einer Erhöhung,
Nur diese beiden, sonst ist's leer.
Ihnen gegenüber, von Pesne gemalt,
Spannt Amor den Bogen.
Wir setzen uns.
Dann spring' ich auf, und auf dem eisglatten Täfelboden
Tänzel' ich,
Ein wenig den Spielhahn nachäffend,
Schuhplattlerartig;
Dann, zur Abwechslung, im ernsten, gemessenen,
Höchstwohlanständigen Menuettschritt.
Und Alles vor ihr.
Und sie lehnt sich,
Nur der Fächer fehlt,
Erst lächelnd, dann lachend zurück,
Und hält das Köpfchen schief,
Und ist ganz, ganz eine junge Durchlaucht,
Und ich bin ganz, ganz ihr Affe-Kammerherr.
Und Amor kichert und hat,
Seit wie langer Zeit,
Wieder »a Freid.«
Nun haben wir Alles beschaut,
Zuletzt mit andächtigem Staunen
Die riesigen, wurmstichigen Prunkbetten.
Genug der Herrlichkeit.
Wir steigen die reichbreite, reichgeländergeschmückte
Marmortreppe hinab.
Ritterlich biet' ich meiner Schönen die Hand.
Und sie geruht,
Auf meinen hingehaltenen Zeigefinger
Ihr Händchen zu legen.
[50]
Acht Pagen halten ihr
Die schwere gold- und silberdurchwirkte Schleppe.
Tief, sehr tief neigen sich
Die zu beiden Seiten der Stufen stehenden
Kavaliere vor uns.
Hinter uns: das »Cortège«
Bis auf den fantastisch gekleideten Leibmohren,
Der das Schoßhündchen trägt.
Im Haupteingange
Ist die Wache in's Gewehr getreten.
Der Osffzier, mit der Blechhaube,
Streckt sein Sponton.
Der Trommler wirbelt.
Wir aber, wieder Menschen des neuen Jahrhunderts,
Das Mädel und ich,
Gehn im Regen zurück
In unsern Gasthof,
In den Gasthof »Zum teutschen Dichter.«
Den Namen so einladend findend,
Wählten wir den »teutschen Dichter.«
Hier unterdessen ward uns ein Zimmer bereitet.
Das Essen wartet:
Eine Hirnpflanzlsuppe,
Zwei Kalbshaxen mit Erdäpfeln
– Sonntags genannt Kartoffeln –
Und mächtige Schüsseln, so war es gewünscht,
Mit Preißelbeeren und Gurkensalat.
»Wohl bekomm's!«
Und sehr wohl bekommt es uns.
Roter Tirolerwein
In hübschen Krystallflaschen,
Ist nicht vergessen worden.
[51]
Der Abend brachte die Sonne.
»Wollen wir ausgehn? Kommst du mit?«
»»Scho recht, scho recht.««
»Scho recht, scho recht.«
Könnt' ich die Worte noch einmal hören,
Von ihr gesprochen.
Welche Hingabe lag in ihnen,
Welcher Eifer,
Welche fröhlichste, unbedingte
Bereitwilligkeit zu Allem:
Dies Ichgehmitdirdurchdickunddünn,
Dies Sofortbeiderhandsein,
Dies »Ja, ja, i thu glei mit.«
Könnt' ich die Worte noch einmal hören,
Von ihr gesprochen:
»Scho recht, scho recht.«
Der Abend brachte die Sonne.
Hinaus, und unser Gang
Gilt dem Garten des Schlosses.
Wie am Morgen,
Sind wir auch nun allein.
Kaum etwas auf der weiten Erde
Birgt solche Poesie,
Wie ein verlassener,
Halb verwilderter,
Lindenverwachsener,
Vögeldurchsungener Sommergarten.
Die Wasser sprangen.
Für wen?
»Siehst du, uns zu Ehren, nur für uns.«
[52]
Hingerissen von den Linien
Des im italienischen Stil
Ausgeführten Palastes,
Erklär' ich sie meiner Begleiterin.
Sie aber, dies für außerordentlich
Langweilig erachtend,
Ruft plötzlich in hellster Freude:
»A Goas, a Goas; kumm, Lisi.«
Und kniet,
Fast verschwindend im wuchernden Grase,
Neben die einsame, angepflockte Ziege,
Die den Störenfried erst verwundert betrachtet,
Dann die Hörner einsetzt.
»Der Teifi, der Teifi,«
Und das Mädchen sucht,
Halb in Angst, halb im Scherz,
Schutz in meinen Armen.
Und noch einmal bückt sie sich im Grase,
Feldblumen pfiückend.
Ablassend von der Bestaunung
Des tief mein Schönheitsgefühl
Befriedigenden Linienschwungs des Schlosses,
Wend' ich mein Auge
Dem Dirnlein zu,
Das im Auf- und Niedertauchen
Nacken, Hals und Haupt hebt,
Nacken, Hals und Haupt untersinken läßt.
Dann schreiten wir
– Sie trägt den vollen Strauß,
Aus dem ich mir nur
Eine Taglichtnelke erbeten habe –
In die dunkelnden Baumgänge hinein.
Immer schwächer tönt zu uns
[53]
Das Plätschern und Plauschen der Springbrunnen;
Immer lauter wird das Lärmen
Der Amseln.
Und wir schreiten zu,
Mit kräftigem Schritt,
Blutlebendig, lebenbeglückt.
Leben, hurra!
Keiner begegnet uns;
Kein abscheuliches, hingeworfenes, verfaulendes
Butterbrotpapier stört uns.
Wir sind wir allein,
Wie sich's gehört:
Der König und die Königin!

[54] Die Birke

An meinen Schreibtisch lehn' ich. Meine Hand
Durchgleitet leicht ein rotes Nackenband,
Erinnrung einer Zeit, die längst verfloß,
Da heiß ein Mädchen mir den Hals umschloß.
Die junge Gräfin, heimgekehrt, mir graut,
Soll heut ich wiedersehn, des andern Braut.
Die Haide, wo so reiches Leben sprießt,
Die unabsehbar auseinanderfließt,
Trennt mich von ihr; die muß ich erst durchgehn,
Eh' kann ich nicht des Schlosses Türme sehn.
Schon bin ich auf dem Weg. Nur eine Birke,
Als einziger Baum im ganzen Grenzbezirke,
Steht auf der Haide, trostlos und verloren,
Als hätte diesen Platz für sich erkoren
Ein Träumender, als fänd' er hier den Frieden
In tiefem Denken, allem abgeschieden.
Der Herbstwind nahm ihr alle Blätter fort,
Nur eines blieb, es weht, verwelkt, verdorrt
Am höchsten Zweige, wie vom hohen Mast,
Von Sonnengold durchtränkt, in Überhast.
So wimpelt wohl vom Schiff das Fähnchen her,
Kehrt's heimatshafenfroh aus weitem Meer.
[55]
Ich bin zur Stelle und geziemendlich
Verbeug' ich vor der schönen Gräfin mich.
Ein wenig länger halt' ich ihre Hand
Beim Kusse, wie ein altes Liebespfand.
Ihr Auge bittet mich, ihr Auge fleht,
Und überwunden, ist das Glück verweht.
Wir lachen, scherzen, sprechen dies und das,
Das Menschenleben ist ein Faschingsspaß.
Und wieder bin ich auf dem Weg nach Haus,
Ein milder, sanfter Regen weint sich aus,
Wie Frühlingsregen. Langsam schreit' ich hin,
Mir ist der Gang so schwer, so trüb' der Sinn.
Es überholte mich ein Krähenschwarm –
Um ihre Schulter legt' ich meinen Arm,
So war es mir; wir zogen ohne Wort
Gesenkten Hauptes in die Ferne fort.
Ein Kind ging mit uns wie von ungefähr,
Ein kleiner Knabe, und ich weiß es, wer.
Er gab die Händchen uns, sein Antlitz trägt
Der holden Mutter Züge eingeprägt.
Du Knabe, nie geboren – und allein
Nur wandert mit mir meine Seelenpein.
Bald bin ich bei der Birke angelangt,
Dem Blättchen oben hat nach mir gebangt.
Es hängt so still in nebelfeuchter Ruh,
Es kann nicht lustig flattern immerzu.
Der Abend dämmert, weither scheint ein Licht,
Das einsam aus der Haidekathe bricht.

[56] Auf einer Brücke

Die Flut erreichte den höchsten Stand.
Der Regen tropft leis auf See und Sand
Aus Frühlingswolken, die, schwammig und schwer,
Träg' wandern über das leere Meer,
Über des Deiches eiserne Bänder,
Über den Reichtum der Marschenländer.
Kein Vogel fliegt, kein Schiff ist in Sicht,
Der Leuchtturmwärter entzündet sein Licht.
Nordsee – Mordsee, was heuchelst du,
Heuchelst du heimtückisch ewige Ruh?
Nur von der verlassenen Hallig klagt
Der Avosetten und Tüten Geschrei;
Oder kreischt eine Wasserfei,
Von plumpen Tritonen verfolgt und gejagt?
Sonst ist's tot, kein Ruf, kein Ruderschlag,
Tot wie vor dem ersten Schöpfungstag.
Mir ist es, als ob im Luftgebilde
Gletscherspitzen und Eisgefilde
Wunderbar weiß sich im Dämmer recken,
Sich immer höher und höher strecken.
[57]
Eine große süddeutsche Stadt fällt mir ein,
Mit Siegesthoren aus Marmelstein,
Mit prächtigen Straßen und Prachtpalästen,
Mit bunten Fahnen und Festen und Gästen.
Auf einer Brücke bleib' ich stehn,
Und lasse die Welt vorübergehn,
Karrenschieber, Künstler, wer's immer sei,
Alles muß an mir vorbei;
Grad' trabt daher ein Chevauléger,
Da wend' ich mich, vor mir liegt Tegernsee,
Da muß es liegen, die Richtung stimmt,
Die mein Blick in die Berge nimmt.
Klar scheinen die Alpen, und Thäler und Schroffen,
So fern es auch ist, zeigen frei sich und offen.
Zu den Menschen dreh' ich mich wieder hin,
Unerklärliches zog mir durch Herz und Sinn ...
Und es streift ein hübsches Kind meinen Rock,
Im Scherze streck' ich ihr vor den Stock:
Halt, Mädchen, nicht weiter, erst will ich wissen,
Wo lagst du in deinen Wiegenkissen.
»San's narrisch, dös froagt's a mal loam,
I bin jo von Tegernsee dahoam.
Wo kimmst denn du her, aus woas für a'n Land?«
Lütt Deern, ick bün vun de Waterkant,
Wo de Seehund sick spölt vör'n Butendick,
De Regenbagen sick spegelt in'n Slick.
Und kurz und gut, es gab ein Verstehn,
Daß bald wir munter zusammengehn
In der lustigen, leuchtenden Bayernstadt,
Die so viel fröhliche Menschen hat.
Wir beide, dicht aneinander geengt,
Haben uns durch die Menge gedrängt.
[58]
Und trug sie sich auch in städtischer Tracht,
Das hat für mich nichts ausgemacht:
Auf ihren Zöpfen, für mich, saß der Miesbacher Hut
Mit den goldenen Quasten, wie stand er ihr gut.
Bei ihrem silberverschnürten Mieder
Sing' ich tausend Schnadahüpfl und Wasserfalllieder.
Wir gingen lachend straßauf, straßab,
Wir wären lachend gegangen in's Grab.
Schließlich, wo wir endeten dann,
Wo wir blieben: »geht Neam'd woas oan.«
Verschwunden ist längst die letzte Helle,
Verdrossen schweigt vor mir die Nordseewelle.
Nur einmal, durch die Stille, durchs nächtliche Gatter
Hört' ich kurz ein lebhaftes Entengeschnatter.
Ich aber denk' an die herrliche Stadt,
Die das Herz mir im Sturme genommen hat,
An Isargrün und Alpenschnee,
An das schwarze Katherl von Tegernsee.

[59] Verstossen

Was mir gestern mein Freund erzählt,
Hat mich bis in den Traum gequält.
Die Welt ist so roh, ich versteh' sie nicht –
Und also lautete sein Bericht:
In der großen süddeutschen Stadt,
Die ein drollig Kindl im Wappen hat,
Hab' ich die Hochschule einst besucht,
Mit wackrem Fleiße vieles gebucht,
Daß es mir später im Leben nütze.
Doch nebenbei, meine bunte Mütze
War der Bürge, daß nicht alle Zeit
Ich hinbrachte nur in Gelehrsamkeit.
Gesang und Trunk und mancher Schmiß,
Der rechts und links mir die Backen zerriß,
Sind Zeugen, daß ich kein Duckmäuser war
In jenem lustigen, jubelnden Jahr.
Ein Mädel, wie's mit sich bringt der Brauch,
Hab' ich damals besessen auch,
Ein liebes, gutes, vergnügtes Ding,
Die voller Dargebung an mir hing.
Doch plötzlich, wer wagt unser Herz zu kennen,
[60]
Ward sie mir lästig, ich mußte mich trennen.
Das konnte das arme Geschöpf nicht begreifen,
Daß ich so schnell sie wollt' von mir streifen.
Sie wehrte sich, das half ihr nicht viel,
Ich hielt punktfest nur auf mein Ziel.
Und endlich, ich gab ihr manch rauhes Wort,
Sagte sie traurig: Weit zieh' ich fort,
Ich kann da nimmer des Schmerzes genesen,
Wo ich so fröhlich mit dir gewesen.
Ich schenkt' ihr, was ich grad' hatt' an Geld,
Und habe sie dann auf den Bahnhof bestellt.
Durch die Glasthür konnt' ich, von ihr nicht erkannt,
Sie beobachten in ihrem Witwenstand:
Sie saß mit tief gesenktem Kinn
Und starrte teilnamlos vor sich hin.
Um sie her Gelächter, Geplapper,
Biergläsergeklirr und Tellergeklapper,
Hier vom Trost beruhigte Abschiedsthränen,
Dort munter den Goldtag der Zukunft wähnen.
Und unter all' den Menschengrimassen
Quält sie allein sich, von allen verlassen.
Nun trat ich ein, ihren Schein in Händen,
In Zürich erst wollte die Fahrt sie beenden.
Als sie mich sah, einen Augenblick
Dachte sie wohl an ein wendend Geschick,
Doch als halb verdrossen, halb unverhohlen
Meine Freude ich kundgab, schaut sie verstohlen
Noch einmal zu mir: Das war sein Lieben,
Von ihm, ach, von ihm in's Elend getrieben.
»Einsteigen nach Lindau«, und ohne zu zagen,
Führt' ich am Arm sie zum Eisenbahnwagen.
»Dein liebes Katherl,« schluchzt sie zuletzt,
[61]
Dann hat sie sich ins Koupee gesetzt.
Ihr Taschentuch hielt sie vor's Gesicht
Und weinte bebend – ich sah es nicht
Ein Pfiff, ich stand auf dem Bahnsteig allein,
Sie fuhr in die kalte Welt hinein.
Nie wieder hab' ich von ihr gehört,
Ob sie gestorben, gerettet, bethört,
Ob ihr das Glück seinen Hellmorgen gezeigt,
Ob krächzend der Kummer die Fidel ihr geigt.
Zuweilen, die grausam ich von mir stieß,
Die undankbar ich von mir ließ,
Steht nachts sie vor mir, lächelnd, fahl –
Das Leben, äh was, macht uns alle brutal.

[62] Die Laterne

Als ich heut' im Hufnershaus
Lebewohl genommen
Und ins Freie trat hinaus,
War die Nacht gekommen.
Sehen konnt' ich keinen Schritt,
Nirgends Mond und Sterne.
Spricht mein Gastfreund: Hans soll mit
Und die Stalllaterne.
Hans, der greise, taube Knecht,
Krippen, Spinneweben,
Tenne, Licht und Drahtgeflecht –
Könnt' ein Bildchen geben.
Trudchen steht dabei und lacht,
An der Mutter Seite.
Trudchen, bitt' ich, abgemacht,
Gieb mir das Geleite.
Und des Bauern frisches Kind
Ist zurückgesprungen,
Hat sich leicht ein Tuch geschwind
Um den Kopf geschlungen.
[63]
Reizend sah das Mädel aus
Im Geblink der Leuchte.
Kaum noch hellt das Elternhaus
Aus der Nebelfeuchte.
Trabt der Alte uns voran,
Treu, wie zwei Verirrten,
Folgen wir wie Lämmer dann,
Lämmer ihrem Hirten.
Wo sich durch den Buchenstand
Eng der Weg gewunden,
Hat sich schleunig Hand in Hand,
Mund zu Mund gefunden.
Finsternis und Waldesruh,
Himmel ohne Sterne.
Unverdrossen, immerzu
Wandert die Laterne.
Trifft ihr Schimmer Ast und Baum:
Blinzeln tausend Augen?
Wie sich, unerhört, ist's Traum,
Lipp' an Lippe saugen.
Zögern wir auf unserm Gang?
Laß den Alten eilen.
Ach, mein Herz im Überdrang
Möchte weilen, weilen.
Bis zuletzt erschrocken hält
Hans am Holzesrande.
Lichtscheu unter'm Laubgezelt
Schleicht die Kontrebande.
[64]
Doch nun endlich sind wir da,
Schrei'n ihm in die Ohren:
Alterchen, Hallelujah,
Hast uns nicht verloren.
Scheidegruß am Meilenstein,
Dichtverhüllte Ferne,
Letzter Blitz und letzter Schein,
Fort ist die Laterne.

[65] Letzter Gruss

Herbsttag, und doch wie weiches Frühlingswetter,
Ich schlenderte langseits der Friedhofshecke,
Ein Sarg schien unter Gramgeläut zu sinken,
Dann bog ich auf dem Wege um die Ecke.
Da kamst du, keine Täuschung, mir entgegen,
Wir hatten gestern Abschied schon genommen,
Du gingst zur Bahn, begleitet von Geschwistern,
Was mußte noch einmal die Marter kommen.
Ich grüßte dich, und sah dein freundlich Danken,
Die mit dir schritten, haben's nicht beachtet.
Und ich blieb stehn, du wandtest dich verstohlen,
Von Leid war meine Seele dicht umnachtet.
Im Schmerz grub ich die Linke in den Dornbusch,
Und ließ die Stacheln tief in's Fleisch mir dringen,
Ein letzter Gruß von dir, von mir – vorüber,
Die Hand im Strauch will fest die Qual bezwingen.
Es that nicht weh, ich hab' in Wachs gegriffen,
Kein Tropfen sprang, es hat nicht warm geflutet,
Die roten Ströme sind zurückgeflossen,
Es hat mein Herz, mein Herz nur hat geblutet.

[66] Krieg und Frieden

Ich stand an eines Gartens Rand
Und schaute in ein herrlich Land,
Das, weit geländet, vor mir blüht,
Wo heiß die Erntesonne glüht.
Und Arm in Arm, es war kein Traum,
Mein Wirt und ich am Apfelbaum,
Wir lauschten einer Nachtigall,
Und Frieden, Frieden überall.
Ein Zug auf fernem Schienendamm
Kam angebraust. Wie zaubersam,
Er brachte frohe Menschen her
Und Güterspende, segenschwer.
Einst sah ich den metallnen Strang
Zerstört, zerrissen meilenlang.
Und wo ich nun in Blumen stund,
War damals wildzerwühlter Grund.
Der Sommermorgen glänzte schön
Wie heute; glitzernd von den Höhn,
»Den ganzen Tag mit Sack und Pack«,
Strömt nieder aus Verhau, Verhack
Zum kühnsten Sturm, ein weißes Meer,
Des Feindes wundervolles Heer.
[67]
Ich stützte, wie aus Erz gezeugt,
Mich auf den Säbel, vorgebeugt,
Mit weiten Augen, offnem Mund,
Als starrt' ich in den Höllenschlund.
Nun sind sie da! »Schnellfeuer!« »Steht!«
Wie hoch im Rauch die Fahne weht!
Und Mann an Mann, hinauf, hinab,
Und mancher sinkt in Graus und Grab.
Zu Boden stürz' ich, einer sticht
Und zerrt mich, ich erraff' mich nicht,
Und um mich, vor mir, unter mir
Ein furchtbar Ringen, Gall' und Gier.
Und über unserm wüsten Knaul
Bäumt sich ein scheu gewordner Gaul.
Ich seh' der Vorderhufe Blitz,
Blutfestgetrockneten Sporenritz,
Den Gurt, den angespritzten Kot,
Der aufgeblähten Nüstern Rot.
Und zwischen uns mit Klang und Kling
Platzt der Granate Eisenring:
Ein Drache brüllt, die Erde birst,
Einfällt der Weltenhimmelfirst.
Es ächzt, es stöhnt, und Schutt und Staub
Umhüllen Tod und Lorbeerlaub.
Ich stand an eines Gartens Rand
Und schaute in ein herrlich Land,
Das ausgebreitet vor mir liegt,
Vom Friedensfächer eingewiegt.
Und Arm in Arm, es ist kein Traum,
Mein Wirt und ich am Apfelbaum,
Wir lauschten einer Nachtigall,
Und Rosen, Rosen überall.

[68] Zwei Welten

Ein langgeführtes hohes goldnes Gitter,
Mit kunstgeformten Spitzen dehnt sich weit
In grader Linie aus nach Nord und Süd.
Ein Rasen, englisch zugestutzt, begleitet
Die eine Seite. Und auf dieser Seite,
An einer Stelle, fünfzig Schritt entfernt,
Erhebt ein Hügel sich, auf dem ein kleiner,
Von Säulen, zehn, getragner Tempel prunkt.
Vor diesem Tempel, den ein dunkler Wald
Von Eichen, Buchen, Tannen hinten deckt,
Sitzt nachlässig im roten Sammetsessel,
Im Schatten des Gehölzes, die Prinzeß.
Wie jung ist sie! Den rechten Arm, von dem
Der Ärmel fiel bis auf den Ellenbogen,
Hat sie gehoben, und die Augen folgen,
Mit kindlichem Gelächter, einem Zeisig,
Den grausam ihre Hand am Seidenfaden
Vergeblich Freiheit suchend flattern läßt.
Zwei Ritter, ohne Bart, in grauem Eisen,
Mit seitwärts eingerammten Lanzen, hüten,
Gegossen wie aus Erz, das schöne Fräulein,
Daß keiner ihrem Thron zu nahe trete.
[69]
Sie starren trotzig, unbewegten Blickes,
Aus offenem Visir. Ringsum die Stille
Des sonnenheißen Sommernachmittags,
Die nur zuweilen unterbrochen wird,
Wenn sich im leisen Wind die Kronen mischen,
Die wipfelflüsternd an den Tempel grenzen.
Vor jenem Tempel liegt ein breiter Sumpf,
Den selbst die fürchterliche Hitze nicht
Getrocknet hat. In seinem Schlick und Schlamm,
Gradüber der Prinzessin, schläft ein Drache.
Halb Krokodil, halb Schlange, neunmal wohl
So lang wie eines Elephanten Länge,
Zeigt sich an seinem Haupt, das er allein
Aus Torf und Tümpel reglos streckt, ein Horn,
Gebogen wie beim Stier; und rechts und links
Von diesem wurzeln kleine Pferdeohren;
Und schnabelartig, bis zu sechzig Metern,
Ragt vor sein Rachen, der geschlossen ist.
Rings um der Ohren Außenseite sitzen,
An jedem zwölf, die Augen. Ganz bedeckt
Das trübe schwarze Wasser seinen Leib.
Und durch das Schweigen tönt ein Tubaton.
Das Ungetüm schläft unbekümmert weiter.
Die beiden Ritter rücken nicht den Kopf.
Nur die Prinzessin wendet lebhaft sich
Dahin, woher der Schall gekommen ist.
Und höchst lebendig wird's um ihren Stuhl:
Hoffräulein, Pagen, Kammerherrn, Minister
Umgeben wimmelnd ehrfurchtsvoll den Sessel.
Ganz ferne klingt die türkische Trommel her,
Nun mischt sich schon der Beckenschlag dazwischen,
Und näher, immer näher kommt Musik.
[70]
Die Wachtparade ist's. Ein schmucker Lieutenant
Ruft gellend durch den Höllenlärm: »Nicht euch«,
Und senkt den Degen. Hundert stramme Jungen
Marschieren stampfend der Prinzeß vorbei,
Die blanken Helme scharf zu ihr gewendet.
Und schwächer, immer schwächer hallt es her.
Das Ungetüm schlief unbekümmert weiter.
Nun folgen Gaukler, die mit Tellern spielen
– Und alles rasch im Vorwärtsziehen nur –
Und Messer auf den Lippen schweben lassen.
Kameele dann und angeschirrte Panther.
Darauf ein kecker Amazonenzug.
Ununterbrochen, eine volle Stunde
Wirbelt's so weiter: Tanz und Mummenschanz,
Der Araber Fantasia macht Schluß:
Sie sprengen blitzschnell, die Gewehre werfend,
Auf flittertandgeschmückten Berberhengsten
Mit wilden Rufen der Prinzeß vorbei.
Und eine tiefe Stille kommt gezogen.
Das Untier schläft noch immer unbekümmert.
Das Kind auf seinem roten Sammetsessel,
Verlangt nach einer Scheere und zerschneidet
Mit Emsigkeit das Band des Vögelchens,
Das zwitschernd auf zum blauen Himmel strebt.
Entlassen ist der Dienst, die Ritter nur
Bewachen nach wie vor den Marmorstuhl.
Was nun? Das süße Mädchen wirft, belustigt,
Gut zielend, Apfelsinen nach dem Drachen,
Und trifft ihn auch; doch reizt und rührt's ihn nicht.
Da plötzlich dringt ein feiner Sphärenklang,
Sanft wie Schalmei und zart wie Flötenschmeicheln,
Woher?
[71]
Doch sind es Flöten und Schalmeien nicht.
Musik, wie nirgends noch gehört auf Erden,
Klingt irgendwo ... Unruhig wird der Krake,
Er hebt den Schnabel hoch und schnuppert
Am goldnen Gitter; und ein einzig Zucken
Des Ungeheuers wühlt den Sudel auf
Und schleudert Pfützenspritzer in die Luft.
Es kriecht hervor, und auf den Vogelfüßen,
Die, dreißig, ihm, mit Schwimmhäuten versehn,
Am Bauche haften, hebt's sich wütend jetzt
Und tobt, des Gatters Stäbe mächtig rüttelnd,
– Der ekle Boden klackt vom Leib ihm ab –
Und schnuppert, wieder, nach den Sternen nun,
Die, trotz der Helle, klar zu sehen sind.
Besuch vom Sirius naht; ihn wittert schon
Das Ungetüm, das auch vom Sirius stammt.
Das Gitter schwindet, schwand; und eine Landschaft,
Von zwanzig Monden violett beschienen,
Zeigt sich auf einer fernen, fremden Welt.
Die Monde löschen aus. Und Finsternis.
In matten ginstergelben Farben kommt
Die Dämmerung. Ein schmaler, langgestreckter,
Von schroffen Felsen eingeengter See
Ruht in der Morgenfrühe ohne Laut.
Durch seine Längenrichtung schwimmt der Krake,
Wie eine Riesenschlange, ab und zu
Den Schuppenrücken krümmend fortbewegend;
Kein Plätschern stört die ungeheure Stille.

[72] Grete mit der Harke

Den Rechen über die Schulter quer,
Wippwappt zum Heuen die Grete daher.
Was lacht sie doch bei jedem Schritt,
Wer baumelt an ihrem Rechen mit?
An den Zinken, an bunten Bändern viel,
Wer treibt da solch ein Kirmesspiel:
Ein Kautschuckmännchen, ein Hampelmann,
Der sich nicht entwirren und lösen kann.
Wie sehr er's anhebt, immer mehr erbost,
Er zerrt sich nicht aus den Schlingen los.
Vergeblich strampelt er, schilt er und schreit,
Die Grete hat ihn nicht befreit.
Beim Himmel, das ist ja der kleine Schuft,
Nun bitt' ich, da rast er sich ab in der Luft.
Was, hatte die Grete Liebesverdruß,
Daß Amorl so jämmerlich zappeln muß?

[73] Heimweh

Heut durch den ganzen Tag war ich gezwungen
An meine ferne Heimatwelt zu denken.
Weit liegt sie fort, weit fort.
Die schöne Fürstin
Durft' ich zu Tische führen, wo sich lebhaft
Gespräch entwickelt, Geist an Geist entzündet.
Doch immer, wie gebannt, in Red' und Antwort
Lag mir ein einsamstilles Feld im Sinn:
Der Pflüger zieht dort Furche hinter Furche,
Von Krähen nah begleitet, die ganz scheulos
Mit emsigen Schnäbeln Engerlinge suchen.
Der Frühlingshimmel, wolkenlos, wärmt schon
So stark, daß sich der junge Bauer bald
Die Jacke abgezogen hat. Und nun,
Die Leine um die Schulter, schneidet er,
Den widerspenstigen Sterz fausthart umfassend,
Durch's Herz das alte gute Mutterland.
»O nein, Sie müssen wissen, gar nicht so,
Wie wir uns einen Dichter vorgestellt ...«
Was denn? Wer denn? Mir steht nur immerfort
Der junge Knecht, der brave Pflug vor Augen.
»Den Landmann meinen Hoheit?« »Ah, c'est drôle ...«
Am Abend war mit lustigen Künstlern ich
Zusammen. Lärmend drang es in die Nacht
[74]
Aus unsern Fenstern auf die stummen Straßen.
Ein muntres Weibsgesindel hielt mit uns.
Mir saß die schwarze Olga auf dem Schoße.
Sie fällt mir um den Hals, sie tuschelt mir:
»Komm nun, mach zu, komm, komm, wir wollen gehn ...«
Ich aber schau' dem letzten blassen Mond,
An ihr vorüber, in sein Traumgesicht –
Und vor mir wieder glänzt der Frühlingstag:
Der Pflug, das Krähenvolk, die schwitzenden Pferde;
Die aufgeworf'ne Scholle, wie sie trieft!
Abseits des Ackers liegt ein sandiger Weg,
Von Knicks und Wällen rechts und links besäumt.
An einer Weide dort, wo erste Kätzchen,
Wohl hundertbüschlig, sanft im Westwind schaukeln,
Steh' in Gedanken ich, und meine Hand
Greift in den Busch, daß seine Blüten stäuben.
Und meine Sehnsucht dehnt die straffsten Flügel ...
Da biegst du, Mädchen plötzlich aus der Hecke,
Du, derer ich gedenke mondelang,
Du, der ich meine ganze Seele hingab.
Wie konnt' ich ahnen, hier dir zu begegnen,
An dieser aller Welt entlegnen Stelle.
Sie naht ... ich starre ... jetzt ... in gleicher Höhe ...
»Halt an, bei Gott, halt an, ich liebe dich;
Ich weiß, du bist des andern treue Braut.«
Und sie – hält an, und lächelt: »Dummer Junge,
Bin ich des andern Braut, was geht's dich an?
Ich bin ihm treu, doch liebst du wirklich mich,
Was zögerst du, wenn du mich küssen willst;
Einmal ist keinmal ...«
Was doch wohl die Weide,
Das saftgeschwollne Bäumchen übersegnet ...

[75] Säntis

Hundertmal an's Fenster tret' ich,
In die Straßen weit zu schauen,
Immer, immer noch vergebens,
Ach, in aller Welt wo bleibt er,
Bleibt der Bernhardinerhund.
Endlich, endlich um die Ecke
Patscht auf würdevollen Tatzen,
Patscht, die Fahne hängen lassend,
Patscht ein gelb und weiß gefleckter
Ernster Bernhardinerhund.
Neben ihm, mit leichten Schritten,
Schreitet, sommerlich gekleidet,
Eine junge, zarte Schöne,
Und ihr Händchen führt am Halsband
Ihren Bernhardinerhund.
Bald im Zimmer steht das Mädchen,
Und wir halten uns umschlungen.
Zwischen uns drängt seine Schnauze,
Wedelnd, hechelnd, jener ernste,
Treue Bernhardinerhund.

[76] Das kommt davon

Gestern trug der Professor uns vor Hochheeres im Hörsaal,
Sprach von Platon, Homer, kündet Apelles' Verdienst,
Und dick troff ihm die Stirn von heiliger Weihe wie Angstschweiß,
Uns auch tropfte die Stirn, wehe, der Juni war schwül.
»Seht,« so rief er erhaben, »die Griechen, die nenn' ich ein Volk noch,
Herrliche Strenge der Form, göttliches Nasengerüst.
Nichts war ihnen bekannt von des Nordens barbarischem Rohtrotz,
Zeus, ah, regierte die Welt, flammte vom hohen Olymp.«
Ach, mir schwitzte das Hirn, ich befand mich im Brodel des Wüstseins,
Draußen der Sommer so schön, saßen wir drinnen im Pferch.
Endlich ertönte das Zeichen, wir stürmten hinaus in die Freiheit,
Mit der Mapp' im Arm, schleppt' ich mein Wissen nach Haus.
Dort auf dem Tische der Zettel: »Gewartet hab' ich vergebens,«
Sagte mir deutlich und klar: Griechisches fand sich nicht ein;
Aber Poppinga war da, mit dem höchst unklassischen Nasbein;
Und nun ist es zu spät, hol' dich der Satanas, Zeus.

[77] Feudal

Wir waren gestern unter uns,
Beim Grafen von der Wisch,
Der gesamte Adel der Provinz,
Zu Gejaid und Tanz und Tisch.
Am kleinen Bahnhof warten wir jetzt
Und wollen nach Süd und Nord,
Ein jeder auf sein Schloß und Gut,
Der nächste Zug bringt uns fort.
Mit Habichtsnasen und langem Bart
Steht hier die Ritterschaft,
Mit Mark in den Knochen, in hohem Wuchs,
In alter Herrenkraft.
Ihr Sprechen ist etwas absonderlich,
Statt Ja sagen sie Jä.
Ich unterhalte im Kreise mich
Mit Öllegaard Westensee.
Wie hab' ich getanzt mit der schönen Komteß,
Mein Herz schlug stürmisch und wild.
Deine schwarzen Augen, dein Zigeunerhaar,
Niemals vergess' ich dein Bild.
[78]
Komteß, bleib' hier. Sieh dich um nach West,
Die Haide liegt weit gestreckt.
Auf die Reigerbeize dort ziehn wir hin,
Das Silberhorn hat uns geweckt.
Komteß, bleib' hier. Sieh dich um nach Ost,
Der Wald liegt weit gestreckt.
Auf die Wolfsjagd wollen dorthin wir ziehn,
Das Rüdenhorn hat uns geweckt.
Ich liebe dich, Öllegaard, weil du noch viel,
Viel hochmütiger als die andern schaust,
Weil du kein Blondhaar hast, kein weißrotes Gesicht,
Weil du mir trotzt und vertraust.
Wie das nasse Gras unsre Hengste umschlägt,
Der letzte Stern ging aus.
Auf deinem gelben Stulpen hockt hoch
Der Islandfalke zum Strauß.
Die Sonne blitzt auf, aus Weiden und Schilf
Streicht schwerfällig ein Reiher ab.
Die Haube los! Wie der Herrliche steigt!
Dein Falke holt ihn herab.
O wundervolles Morgenspiel,
In Lüften Kampf und Krieg,
Der Reiher stürzt, seine Feder ist dein,
Im Haidedampf leuchtet der Sieg.
Ich halte den mächtigen Vogel fest,
Bis du dem Edeling
Um den widerspenstigen Hals gelegt
Den goldnen Sklavenring.
[79]
Vierhundert Leibeigne umstellen den Wald,
Freund Wolf, flüchte dein Fließ.
Da trottet er, der magre, schäbige Gesell,
Schnell, Herrin, wirf den Spieß.
Der traf doch? Sitz' ab. Ich stoß' in's Horn.
Wo blieb die Bestie?
Friert dich? Der Tag ist kalt und naß,
Dein Füßchen watet im Schnee.
Heda! Einen Hörigen her!
Schlitzt ihm auf den Leib!
Nun wärm' deinen Fuß im warmen Gedärm,
Das sind unsre Rechte, Weib.

[80] Sommermittagsspuk

Es ereignete sich, so wurde mir erzählt, in einem fremden, fernen Lande, in einer Hauptstadt: Ich war dort unserer Botschaft als Legationssekretär beigegeben. Wie es meine amtliche Stellung mit sich brachte, verkehrte ich fast ausschließlich in der Gesellschaft. Die »Gesellschaft« ist in allen Ländern sich gleich. Sie besteht, selbstverständlich mit mancher Ausnahme, aus herzensrohen, kühldenkenden Menschen, deren Gesprächsstoffe, deren leeres Leben zu bekannt sind, als daß ich es weiter zu erörtern brauche. Doch auch brauche ich anderseits nicht hinzuzufügen, daß ich in der »Gesellschaft«, wie in jedem Stande auf Erden, Kluge und Dumme, vornehm und niedrig Denkende gefunden habe. Wie dem sei: immer fast habe ich bei diesen in ihrer Lebensstellung bevorzugten, vielfach reichen oder wohlhabenden Menschen, wie ich schon erwähnte, Herzensrohheit bemerkt, jenes sich, wenn auch oft klug verdeckte, stark erhaben Dünken über ihre nicht auf gleicher Rangstufe oder in gleichen Vermögensumständen stehenden Mitbrüder und Mitschwestern.

Es war an einem glühend heißen Sommertage. Bedauerlicherweise kann ich nur den Vergleich aufstellen: als wenn wir ihn auf Lichtbildern tropischer Städte sehen, mit [81] jenem grellsten Sonnenlichte, mit den zahlreichen, alle Fenster beschattenden Marquisen. Trotz der ungemeinen Hitze zeigte sich das lebhafteste Leben in den Straßen. Irgend Einer, irgend etwas wurde erwartet: Eine Prozession, ein Schnelläufer, siegreich zurückkehrende Truppen, ein deutscher Professor mit seinen Werken unter'm Arm, ein gefangener Aschanti-Häuptling, ein Verbrecher auf seinem letzten Gange, ein ausländischer König, eine deutsche Schützengilde mit ihren Fahnen und Saufhörnern und Biercantaten. Was weiß ich. Genug, Alles war Erwartung.


Ich stand im Fenster einer, wenn ich es in unsere Sprache übersetzen will, Konditorei. Zuckerbäckerei klänge viel besser; aber der Ausdruck paßt hier nicht. Die Konditorei war um die Mittagszeit der unbeabsichtigte Sammelplatz der »Gesellschaft«. Die Damen aßen Eis, die Herren Pasteten. Ich unterhielt mich mit einer sehr lustigen, bildhübschen spanischen Herzogin. Sie erzählte mir unter klingendem Gelächter, daß sie einmal mit Verwandten von Hamburg nach Kiel in einem Wagen gereist wäre, um die Buchenwälder Ostholsteins, von denen sie viel Rühmens gehört, zu sehen. Unterwegs wäre, genau wie das in Romanen beliebt wird, ein Rad gebrochen. Ein Gutsbesitzer habe sie gastfreundlich aufgenommen. Als sie mit diesem im Laufe des Gespräches auch die spanische Litteratur berührt, ihm von Calderon gesprochen habe, hätte sie vom Gutsbesitzer nur die Worte Wauwau vernommen, überhaupt immer nur Wauwau, selbst dann, als sie auf die deutsche Schönwissenschaft gekommen sei und ihm besonders seinen großen Landsmann Theodor Storm erwähnt habe. Vollkommen sei ihr schließlich dieser Gutsbesitzer wie der dumme Galomir in Grillparzers »Weh' dem, der lügt« vorgekommen. Neulich habe sie sich dieses Gutsbesitzers erinnern müssen, als sie in der Zeitung gelesen: »Berlin. [82] Auf der Mastviehausstellung hat die Provinz Schleswig-Holstein einen großen Erfolg erzielt. Es fielen ihr in den Abteilungen für Rindvieh und Schweine zwei Ehrenpreise, fünf erste Preise und sechs zweite Preise zu.« Ja, Wauwauwau ...

Auf der Straße stand alles dichtgedrängt wie eine Mauer. Einige versuchten nach vorne zu drängen, vergebens. Auf dem freigelassenen Hauptwege ging's seinen Gang wie immer. Die Schloßwache mit einem allerliebsten dunkelgebräunten Lieutenant, der, zu uns hinaufblickend, den Degen senkte, stampfte mit schallendem Spiele vorüber. Voran der sich bei allen Weibern der Welt für unüberwindlich haltende Tambour-Major. Die linke Hand fest in die Seite stemmend, warf er mit der rechten den blitzenden Stock wie ein Gaukler in die Luft. Schusterjungen, wie überall, begleiteten im Taktschritte die Musik.

Droschken fuhren langsam durch. Die Kutscher wandten sich oft zu den darinsitzenden Fremden, die unfehlbar ein rotes Buch in Händen und ein Opernglas umgehangen hatten. Sie machten da und dort mit der Peitsche auf ein Denkmal, auf einen hervorragenden Bau aufmerksam.

Einmal kam ein schöngezeichneter, schlanker Hühnerhund, der seinen Herrn verloren hatte, angelaufen. Er blieb vor uns stehen, bog den Kopf in den Nacken und heulte. Es that mir sehr wohl, daß unten das »Volk« nicht darüber lachte. Ich konnte es herausfühlen, daß es Mitleid hatte mit dem bedauernswerten Tiere.

Am Ende der breiten, durch Plätze unterbrochenen Zeile sah ich, gleichsam wie einen flüssigen Bogen, den gewaltigen Strahl der Pflasterbesprengung einen Abschluß machen.

Plötzlich hatte ich durch einen Umstand einen merkwürdigen Gedankengang. Dieser Gedankengang währte nur eine Sekunde:

[83] Unten zog ein etwa sechzehnjähriges Mädchen einen Karren vorüber. Sie hatte den Quergriff der Deichsel mit den Händen gefaßt. Sie bog sich nach vorne. Die Arme strafften sich. Durch die zurückgedrängten Schultern kam die herbe Fülle ihrer Frühlingsbrust zum Ausdruck. Um den gelbbraunen Hals lag lose ein feuerrotes Tuch. Unter dem schwarzen Haare, das ihr etwas zerzaust in die Stirne fiel, sahen feurige, wilde, dunkle Augen begehrlich zu uns hinauf. Und da kam mir jener Gedankengang, der blitzschnell wieder verflog:


Ihr alle, die ihr jetzt im Laden um mich seid, was seid ihr doch gegen jenes kräftige, junge Ding unten. Welches dumme, alberne Gewäsch ist euer Gespräch. Wie herzlos sind eure Ansichten über alle die, von denen ihr der sichersten Überzeugung seid, daß sie tief unter euch stehen. Was kennt ihr denn von der Schönheit! Was habt ihr denn für Freude an der Schönheit!


Ich rief, mich vergessend, wo ich mich befand; nein, ich will's sagen: mit vollstem, köstlichen Bewußtsein, der Karrenzieherin in ihrer Landessprache zu: »Halt, Mädchen.« Sofort ließ sie das Gefährt stehen. Ich merkte an ihrem Gesicht, daß sie sehr erschrocken gewesen sein mußte. Sie mochte wähnen, daß sie eine polizeiliche Vorschrift nicht inne gehalten habe. »Komm heraus«, rief ich ihr dann zu. Und sie kam; willig ließ die Menschenmauer, so gut es ging, sie durch. Nun stand sie unter uns. Sie hatte den kleinen Finger der Rechten in den Mund geschoben wie ein Kind. Alles um sie schwieg; alle sahen sie an; die Herren klemmten ihre Scherben ein; die Damen nahmen ihre langgestielten Gläser vor die Augen. Ich half dem Mädel sofort aus der Verlegenheit, indem ich freundlich mit ihr sprach. Ich sagte ihr, sie solle sich unter den Kuchen auswählen, was sie wolle. Und da ihr das schwer zu werden [84] schien, sagte ich, den Ton unerhörten Hochmutes annehmend, zu einer der Bedienenden, die spöttisch und erstaunt die Kleine und mich beobachteten; »Packen Sie das und das und das ein.« Ein teuflischer Hochmut faßte mich, ich hatte in dem Augenblick eine unsägliche, jubelnde Freude: Ich nahm das Geschöpfchen bei der Hand und führte sie einem Platze zu, wo ein mir widerwärtiger geckenhafter alter Freiherr saß. »Sie erlauben, Baron!« Und das Einglas fallen lassend, erhob sich dieser Herr, wie, um einer Königin zu weichen. Und das Mädchen setzte sich. Ich brachte ihr dann Gebäck und einen kühlen Trunk. Sie aß und trank, uns ab und zu scheu musternd. Noch immer schwieg Alles. Nur die leise Stimme einer uralten, aufgedonnerten Gräfin hörte ich: »C'est une extravagance; c'est intolérable, indigne, incroyable.« Ich wandte mich ihr ruhig zu. Sie erblich.


»So, Marianina, nun geh' wieder zu Deinem Wägelchen«, sagte ich liebevoll zu ihr. Dann wieder mich herrisch zu einer Kellnerin wendend: »Tragen Sie die Düten dem Mädchen in ihren Karren.« Sie gehorchte augenblicklich.


Nun waren wir wieder »unter uns«. Ich that, als wenn nichts geschehen sei; und die übrigen waren klug genug, mit keinem Worte, mit keiner Miene mich an meine »Extravagance« zu erinnern.


Da ertönte ein unermeßliches Gelächter von weitem her: Ah nun kommt das Erwartete ... Und immer mehr näherte sich dies Gelächter, immer lauter, brausender setzte es sich zu uns fort. Nun hörte ich Rufe: Evviva, evviva! Il poeta prussiano! Und da kam er an, der Unglückselige, der »teutsche Tichter«. Alle Köpfe beugten sich vor, alle Hälse streckten sich. Das Pflaster der Straße war nun ganz leer. Und da kam er langsam an, der deutsche Dichter! Sein Vaterland [85] hatte ihn, als den gänzlich Überflüssigen (»voll und ganz«, wie das infamste deutsche Zeitungsgeschmierwort meiner Zeit heißt) mit Fußtritten und unter Spott und wüstem Hohngelächter über die Alpen gesandt. »Wie bin ich satt von meinem Vaterlande«, hat Platen, der edle Dichtergraf, einst gesagt in ähnlicher Lage.

Ja, da kam er nun, und ging langsam, gesenkten Hauptes bei uns vorüber. Und in das stürmische Gelächter fiel auch ich ein.

Ein langer, dürrer Mensch war's. Seine zähe Natur hatte, unglaublich, die ihm von seinem Volke streng befohlene Hungerkur ausgehalten. Auf seinem Barett saß eine Gänsefeder. An seinem verschossenen Sammetwamms hing am Gürtel, wie ein Dolch, eine Tintenkugel. Seine Haare »wallten« (ohne dies Wort giebt es kein deutsches Gedicht) ihm strähnenartig um das magere Gesicht in den Nacken. Sein Volk hatte ihm beim Stoßen über die Alpen die Hände vorne gefesselt. Auf seinem Rücken hatte es ein Spottbild aufgeklebt: Auf einem grellgemalten Vollmond saß ein Vögelchen, das wahrscheinlich die berühmte deutsche Dichternachtigall vorstellen sollte.

Und Alles lachte, lachte, lachte, und ich lachte, unbändig roh, aber es war zu erschütternd komisch, mit. Und dann entschwand unsern Augen der langsam gehende, finster vor sich hinblickende »deutsche Dichter«. Er war heimatslos geworden.

[86] Böcklins Hirtenknabe

Die Osterblume blühte rings im Wald,
Und regenfeuchte, weiche Frühlingsluft
Spielt leise über grüne Wintersaat.
Am Heck des Holzes standen ich und du;
Das erste Stelldichein: Ein Bursche noch
Von fünfzehn Jahren ich; sie vierzehn alt.
Errötend und so junger Liebe voll,
Sah sie zu Boden, und ich wußte nicht,
Was nun beginnen ... Mit verlegnem Mund,
Errötend, und so junger Liebe voll,
Sah ich zu Boden; und dann ging mein Blick
Fernab. Und meine Linke hob ich hoch,
Wie unbewußte Scheu vor süßem Glück.
Sie aber lächelt, und betroffen ganz
Schielt sie mich zaghaft von der Seite an –
Das Alles fiel mir wieder ein, als ich
Den holden Hirtenknaben sah Böcklins.

[87] Der Ländler

Auf die Terrasse war ich hinbefohlen,
Der jugendlichen, schönen, geistvollen,
Holdseligen Prinzessin vorzulesen.
Ich wählte Tasso.
Durch den Sommerabend
Umschwirrt uns schon das erste Nachtinsekt.
Die Sonne war gesunken. Rot Gewölk
Stand hellgetönt, mit Blau vermischt, im Westen.
Der Garten vor uns, tief gelegen, hüllt
Sich ein in dunkle Schatten mehr und mehr.
Und eine Nachtigall beginnt.
Der Diener
Setzt auf den Tisch die Lampen, deren Licht
Nicht durch den schwächsten Zug ins Flackern kommt.
Von unten, aus dem Dorfe, klingt Musik,
Und deutlich aus der Finsternis heraus,
Leuchtstriche, blitzen eines Tanzsaals Fenster.
Die Paare huschen schnell vorbei in ihnen.
[88]
Zuweilen, wenn die Thür geöffnet steht,
Erschallt Gestampf, der Brummbaß, Kreischen, Jauchzen.
Unbändig scheint die Freude dort zu herrschen.
Ich trage unterdessen weiter vor,
Wie flüchtige Bilder, unbewußt, den Trubel
Im Thal an mir vorüberziehen lassend,
Und jene Verse hab' ich grad getroffen:
»Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überquillt?«,
Als ich die Lider hob und die Prinzeß,
Die säumig ihre Linke dem Geländer
Hinüber ruhen läßt, erblicke, wie sie,
Nicht meiner Lesung achtend, niederschaut,
Das braune Auge träumerisch, sehnsüchtig
Hinuntersendet auf den fröhlichen Ländler.
»Wie wär' es, fänden wohl Durchlaucht Vergnügen,
Dem frohen Reigen dort sich anzuschließen?«
Und sie, ein Seufzer: »Ach, ich thät's so gern.«
Wenn ich's nur bringen könnte, wiedergeben,
Wie jenes Wort von ihr gesprochen ward,
Das »so«, das »gern«, wenn ich's nur treffen könnte,
Wie sie das sagte; »Ach, ich thät's so gern.«

[89] Zuversicht

Mädchen mit den graden Schultern,
In dem engen braunen Mantel,
Mit den zieren Ellenbogen,
Die sich nah den Hüften halten,
Mit dem marktgefüllten Körbchen,
Eile nicht so rasch vorüber,
Bitte, dreh' dich einmal um.
Sage mir, der lange Lümmel,
Der dir gestern ging zur Seite,
Der so emsig mit dir schwatzte,
Siegesfett auf dich hinabsah,
Unverschämt mich überglotzte,
Sage, dieser lange Lümmel,
Möcht' ich wissen, ist dein Schatz?
Erst vor kurzer Zeit entdeckt' ich
Deine wunderschönen Augen,
Und ich will's mir überlegen,
Wie beginn' ich meinen Angriff,
Langsam, mit der Sonde Vorsicht,
Oder wie der Luchs im Sprunge;
Brände flogen mir in's Herz.
[90]
Doch gleichviel – auf meine Haide,
Wo der Rüttelfalk am Himmel
Seine Todesschwinge schüttelt,
Um im Sturz die Maus zu schlagen;
Wo auf meilenweiten Gängen
Keiner Seele ich begegne,
Dorthin einst bestell' ich dich.
Dort auch kenn' ich ein Geheimnis:
Eines Birkenwäldchens Unschuld.
Und in diesem Wäldchen, weiß ich,
Werden wir uns heimlich treffen.
Nur der alte Landbriefträger
Nimmt hier abends seinen Richtweg,
Und der sieht und hört uns nicht.

[91] Ballade in G-moll

Nach einer wilden, wüstdurchzechten Nacht,
Schon ränderte das erste Rot die Wolken,
Stahl ich mich aus dem Saale, die Genossen
Im Streite, lachend, lallend, unter'm Tische,
Im weinerlichen Elend, schwer betrunken
Zurück in ihrem Durcheinander lassend.
Doch eh' ich ging, bat einen meiner Runde
Ich mitzugehn, um frische Luft zu schöpfen.
Im Nebenzimmer, das wir nun durchschritten,
Stand ein Klavier, und wie dort hingezogen,
Setzt an die Tasten sich mein junger Freund
Und spielte die Ballade G-moll Chopins.
Und wie vom Geist des Weines nur befeuert,
Begeistert nur zu höherem Seelenflug,
Erwuchs zu mächtigem Wesen jenes Stück.
Nie hatt' ich herrlicher sie spielen hören.
Ich unterdessen schlich zum Fenster hin
Und schlug die Flügel auf, soweit ich konnte.
Der Sommermorgen friedet keusch vor mir,
Das Gras, die Blumen schlafen noch im Tau,
Kein Lüftchen regte sich, kein Vogel zwitschert.
[92]
Doch da, in dieser leidenlosen Ruhe,
Entdeckt' an einem schmächtigen Ahornstamm
Ein blasses Mädchen ich. Die rechte Schläfe
Lehnt an den Baum; und aus den großen Augen
Tropft Thrän' auf Thräne langsam auf die Hände,
Die schwach das Taschentüchlein drehn und zupfen
Und zitternd auseinanderzerren ...

[93] An Hugo Wolf

Erinnerst du dich der Tage:
Hinter dir saßen
Conrad, der Hüne, und ich.
Du sangst uns
Deine 53,
Drei–und–fünf–zig!
Mörike-Lieder vor
Und deine ungezählten Wunderweisen
Aus Goethe und Eichendorff.
Wie war das Alles neu!
Zum Erstarren neu!
Vorn im Mörike-Heft,
Auf erster Seite,
Hattest du, Bescheidener,
Des Dichters Bild verehrend aufgestellt.
Welcher Tonsetzer that je so?
Und während du glühend sangst,
Gingen draußen die Deutschen vorüber.
[94]
Sie trugen in ihren Taschen
Billete zu »Mamsell Nitouche«.
Und die Schamröte flog mir in's Gesicht
Für unsre Landsleute,
Daß sie dir nicht horchten;
Daß sie ihren großen, lieben
Dichter Mörike nicht kennen.
Wir erhoben uns.
Auf der Straße
Nahm Conrad, der Hüne, dich
Auf seine Athletenschultern,
Und trug dich durch die Menge,
Wie einst der heilige Christoph das Jesulein
Durch das tosende Wildwasser brachte.
Einer Spielzeugtändlerin
Kauft' ich ein Fähnchen ab.
Und das Fähnchen wuchs schnell
Zur mächtigen prunkenden Fahne.
Einem Flötenbläser winkt' ich,
Der einsam im Kinderkreise blies;
Und er kam und ging mit:
Duidldidum, duidldidum.
Einem Zinkenisten winkt' ich
Aus einer Gassenmusik;
Und er kam und ging mit:
Tatara ta, Tatara ta.
Einem Beckenschläger winkt' ich,
Der einem Bärenzeiger gesellt stand;
Und er kam und ging mit:
Dschingdada, Dschingdada.
Die drei machten Bockssprünge, während sie spielten,
Und tanzten wie trunkene Derwische.
[95]
Vor dem Zuge schwang ich
Die mächtige Prunkfahne hin und her,
Und ich rief:
Platz da, Platz da, Gesindel,
Ein junger Germanenkönig kommt,
Ein König der neuen Kunst!
Platz da, Platz da, Gesindel,
Ein König kommt!
Und die Deutschen
Griffen entsetzt in ihre Taschen
Und fühlten nach den Billeten
Zu »Mamsell Nitouche«.
Und sie rannten schleunig
Zu »Mamsell Nitouche«.

10. 11. 12. X. 1890.

[96] Der Haidegänger

(Im deutschen Vers.)

[97] [99]Die Feder kritzelt: Hölle das!
Bin ich verdammt zum Kritzelnmüssen!
So greif' ich kühn zum Tintenfaß
Und schreib' mit dicken Tintenflüssen.
Wie läuft das hin, so voll, so breit!
Wie glückt mir alles, wie ich's treibe.
Zwar fehlt der Schrift die Deutlichkeit,
Was thut's! Wer liest denn, was ich schreibe?
Friedrich Nietzsche.

Zehn Jahre war ich gefangen, verbannt,
Lebte einsam mitten im Haideland,
Fand Freiheit nur dort, wo die Erika blüht,
Für mein immer mehr sich umdüsternd Gemüt.
So verrann mir der Tag, verrann mir die Stunde,
Kein Freund war mir nah, allein meine Hunde
Blieben Begleiter mir gut und treu,
Und ich ward matt und menschenscheu.
Aber die Haide, da wußt' ich Bescheid,
Du Trost mir in meiner Traurigkeit,
Alle Schlupfwinkel kannt' ich, kannte jeden Baum,
Lag oft im Krattbusch in Denken und Traum.
Da schrieb mit dem Stab in den Sand ich Gedichte,
Da hatt' ich wunderbare Gesichte.
Nun bin ich weit von ihr entfernt,
Und den Zauberspruch hab' ich verloren, verlernt,
[99]
Und stehe wieder in Wirken und Welt,
Und des Lebens Stürme zerren mein Zelt.
Doch Abends, wenn's ruhig wird, fällt es mir ein,
Ich möcht' auf meiner Haide sein.
Kaum konnte mehr mich etwas erbauen,
Als in den Wolkenzug zu schauen.
Die Hände dann unter's Haupt verschlungen,
Hab' ich mir Lieder und Sagen gesungen:
Du Lämmerwölkchen im tiefsten Blau,
Wer steckte dich fest, ich merk' es genau,
Du rückst dich nicht, du bleibst auf der Stelle,
Du flockig Fleckchen der Himmelshelle,
Kannst dich nicht trennen, der Tag ist zu schön,
Bist nah schon den Göttern in seligen Höhn;
Bändelst an mit einem Stern,
Angelst dir gar den heißen Herrn.
Wer hält mir die Augen zu, nun, wird's bald?
»Ich bin's, ich komm' aus dem Ellernwald,«
Raunt mir's in's Ohr, »ich bringe dir Beeren.«
Zum Donner, du sollst dich zum Teufel scheeren;
Was erschreckst du mich! Doch sie fürcht't sich nicht,
Und beugt sich lachend mir über's Gesicht.
Und ich breite die Arme, ich hab' es gewußt,
Und ziehe das Mädel an meine Brust.
Die Haidehanne mit dem schwarzen Geflecht,
Die kommt mir grade gelegen und recht.
Am Runenstein hat der Fuchs seinen Bau,
Da spielen zuweilen wir Mann und Frau.
Und schlaf' ich, ein Räuber, ein im Grase,
Scheucht sie die Fliegen mir von der Nase.
Trifft es sich, stiehlt sie sich eine Gans
Aus dem umliegenden Dörferkranz.
[100]
Das knallrote Tuch, das ich jüngst ihr gebracht,
Das hüllt ihr den Hals wie Siegespracht.
Mit dem Mohn im Haar, den Korallen im Ohr,
Ich wüßte nicht, Kleine, wen zög' ich dir vor.
Wir lernten uns kennen: Der Mond schien bleich
Auf die Wasserlilien im Todesteich,
Der versteckt liegt zwischen Birken und Buchen,
Dort wollt' ich, elend, Genesung suchen
Aus all' der ewigen Einsamkeit,
Und wahrlich, ich war damals bereit.
Da trat sie vor und hielt mich am Arm,
Und wieder kam Leben mir, weich und warm.
Am Eichenstamm hielten wir Hochzeitsnacht,
Seitdem hab' ich nicht mehr an's Sterben gedacht.
Lebe wohl, Hanninka, und morgen um sechse
Find' ich dich wieder, wilde Hexe ...
Wer wandert denn neben mir, Potz Daus.
Ich denke, ich geh' allein nach Haus:
Hinter dem Klemmer die klügsten Augen,
Scheinen einzig zum Spotten zu taugen,
Dies fatale Lächeln, der boshafte Mund,
Wie gießt er der Lüge Blei in den Schlund,
Wie macht er sich lustig über die Welt,
Wie purzelt vor ihm so mancher Protzheld.
Hast doch mein Herz, wie's nur schlagen kann,
Du einsamer, edler Pilgersmann.
Mein Freund, der Spötter.

Schon wieder sandtest du mir Gedichte,
Und wieder ist es die alte Geschichte:
Ich begreif' nicht, was euch Scribenten treibt,
Daß ihr immer und immer von neuem schreibt.
Es liest es, wahrhaftig, es liest es keiner,
[101]
Und bin ich, ich Unglückseliger, einer,
So that ich's mein Bester, deinetwegen,
Du ließest sie auf den Tisch mir legen.
Offen gesagt, zu viel der Liebe
Drängt sich in deinem Versgetriebe.
Fortwährend die Grete, die Minna, die Süße,
Und stets Geflüster und Wonnegrüße.
Nein, wie gesagt, das ist mir zu viel,
Dies unaufhörliche Minnespiel.
Der Haidegänger.

Selbst du! Bekannt ist's dir bestimmt,
Was sich der Dichter als Vorwurf nimmt.
Scherz bei Seite, ich weiß wie du,
Daß nicht alles ruht auf dem Rendez-vous.
Aber was soll ich mit dir denn hadern,
Nun ja, ich habe Blut in den Adern,
Noch send' ich mit Ungestüm an die Süße,
Wie huldvoll du's nanntest: Wonnegrüße.
So wart' es denn ab, bis ich alt bin und steif,
Dann red' ich weltweise und himmelsreif.
Hast du nicht Wilhelm Busch gefragt,
Hat dir nicht Wilhelm Busch gesagt:
Was der bunte Vogel pfiff,
Fühl' ich und begreif' ich,
Liebe ist der Inbegriff,
Auf das andre pfeif' ich.
Mein Freund, der Spötter.

Na, na, du kennst es, erst Huren und dann ...
Der Haidegänger.

Betschwestern, hat man nicht Freude mehr dran.
Doch wen fühl' ich jetzt sich zu mir gesellen?
Ah, einen, der mich mißt mit der Ellen.
[102] Mein Freund, der Wackere.

Sieh da, du sandtest mir deine Gedichte,
Ich las sie alle mit ernstem Gesichte,
Eins nach dem andern; ganz brav und nett.
Doch nun mach' du mir die Arbeit wett,
Und gehe mit mir zu Skat und Bier.
Der Haidegänger.

Ich bitt' dich, das erlasse mir.
Mir wird übel, ich erzählt' es dir lange schon,
Treff' ich euch beim heiligen Spiel der Nation.
Der deutsche Litteraturprofessor.

O weh, was fand ich in deinen Gedichten!
Jämmerlich! Und streng muß ich richten:
Wo sind der Griechen klassische Linien,
Wo sind Italiens Purpur und Pinien?
Keine Ehrfurcht vor Schiller und vor den Alten,
Vor Brockes und allen den wohlbestallten.
Der Haidegänger.

Hör' auf! Du treibst mir das Blut zu Kopf!
Hör' auf! Oder ich nehme dich beim Schopf!
Ich will's dir sagen, was dich kränkt:
Ich bin noch nicht in's Grab gesenkt.
Ich lebe. Du kannst mich noch nicht verpacken,
Noch nicht meine modernde Leiche zwacken.
Aus Wut nun zerrst du an mir herum;
Mir wird von deinem Geschwätze dumm.
Der Moralist.

Mit Bedauern las ich deine Gedichte,
Und zeige dir an, daß ich ferner verzichte.
Wer solche Erotik schreibt, so maßlos und roh,
Der macht damit keinen Deutschen froh.
Das deutsche Liebeslied sei abstrakt,
Ein leises Brünnlein und kein Katarakt.
[103]
Die Sonne, die Wonne, die Lilie, die Taube,
Mehr nicht, vielleicht noch die Gaisblattlaube,
Doch andeutend nur, nicht was drin geschieht,
Das griffe schon ein in verbotnes Gebiet.
Der Haidegänger.

Nun hab' ich's satt. Was ihr mich quält!
Ich habe mir die Stoffe gewählt,
Die mir gefallen, ich schrieb mir vom Herzen
Jubel und Jauchzen, Leid und Schmerzen
Ich zitterte in Himmelslust,
Sank ich der Liebsten an die Brust.
Und hatt' ich eine Gunst genossen,
Ist Tinte alsbald meiner Feder entflossen.
Da fragt' ich nicht lange, wem's gefällt,
Was kümmert und schiert mich die übrige Welt.
Dann leuchtet's in mir, und bin ich allein,
Weiß ich vor Freude nicht aus noch ein,
Ich singe, ich tanze, ich muß wen umarmen,
Und wär' es mein Ofen, der hat Erbarmen
Mit mir ...
Der Kritiker.

Da wäre doch sehr zu bedenken ...
Der Haidegänger.

Das fehlte noch, dir mein Ohr zu schenken.
Hebe dich fort und laß mich im Frieden,
Ich bin meilenweit gern von euch Klüglern geschieden.
Willkommt es euch jemals, in des Dichters Geist
Euch zu versetzen, wenn ihr nörgelt und beißt?
In sein Milieu, sein Land, in seine Natur?
Des Eindringens ist selten bei euch die Spur.
Dazu kommt, und das ist die Hauptsache fast,
Ob der, den ihr »vornehmt«, in eure Schule paßt,
In eure »Richtung«, Herr Gott, Herr Gott,
[104]
So leidet der Dichter viel Schand' und Spott.
Und was noch alles sich häuft, ohne Zahl:
Politik, Religion, Philosophie, Moral.
Wenn ein Bürschlein, das noch nichts ahnt vom Leben,
Dem noch die Eierschalen kleben,
Urteilt und witzelt, salbadert und schreit,
Nun, dem öffnet die Augen die Zeit.
Aber so ein urlederner Alter,
Der geboren ist mit dem Federhalter,
Uns immer den gleichen Kohl vorsetzt,
Uns nie mit Neuem, Modernen letzt,
Wenn der sein hochweises Richtwort spricht,
Das halt' ich nicht aus, das ertrag' ich nicht.
Und endlich, im allgemeinen, das Kritikerheer,
Eine Laus versteht von Shakespeare mehr,
Als diese Gesellschaft von Poesie,
Sie lebe hoch! Krambambuli.
Und was erst soll ich vom Totschweigen sagen,
Pfui Teufel, wir kennen's und lassen das Fragen,
Gedenken auch nicht der Ehrabschneider,
Der Hämischen, Galligen, der Verkappten und Neider.
Mach', daß du weg kommst ...
Haidehanne.

Ich lief dir nach,
Dir schlagen die Flammen aus dem Dach.
Der Haidegänger.

Du gutes Mädel, ja, komm mit mir,
Komm mit, ich bin so fröhlich mit dir.
Die Nacht ist zu kalt im Ginsterkraut,
Sei heut einmal heimlich zu Haus meine Braut.
Haidehanne.

Was du nur hast an mir, bist ein feiner Herr.
[105] Der Haidegänger.

Nun hör' mir auf mit deinem Geplärr.
Haidehanne.

Ein armes, verlassenes Mädchen, nichts mehr.
Der Haidegänger.

Und deshalb lieb' ich dich just so sehr:
Deine braunen Augen, deine Wolfszähne,
Deinen vollen Mund, deine schwarze Strähne,
Dein derbes Fleisch, deinen kräftigen Nacken,
Deine Frühlingsbrust in der knappen Jacken,
Und – dein Seelchen, das mich vor allem entzückt,
Hab' ich an meine Brust dich gedrückt:
Du erzählst mir Geschichten aus Feld und Flur,
Von Reiher und Rebhahn, und was dir widerfuhr
In den letzten Tagen in Rohr und Moor,
Das alles plapperst du frisch mir vor.
Du bist die Natur, dein Geruch ist der Erden,
Wie sollt' ich da nicht glücklich werden,
Du bist gesund, die Welt draußen ist krank,
Dessen lieb' ich dich, hab' Dank.
Haidehanne.

Das versteh' ich nicht, was du sagst,
Doch wenn du betrübt bist und wenn du klagst,
Das weiß ich, findest du Tröstung bei mir,
In deiner Verlassenheit bleib' ich bei dir.
Ich kann dir nichts schenken, nur meiner Küsse Glut
Kann ich dir geben.
Der Haidegänger.

Du jung herrlich Blut.
Die Haide blüht. Das ist das Zeichen,
Daß der Sommer bald muß dem Herbste weichen.
[106]
Ich besuche König Ringelhaar's Grab
Und schau' in die rote Steppe hinab.
Platt auf dem Leibe, die Ellenbogen
Vergraben in Kräutern und Gräserwogen,
Lieg' ich und stütz' in die Hände mein Kinn,
Genügen heißt heut meine Königin.
Wie still es ist, wie flimmert die Weite,
Kein Laut stört das sonnendurchglühte Gebreite.
Mir zu Häupten ein junger Vogelbeerstrauch
Mit sich rötender Frucht: der dürftige Rauch
Einer Dorfkate; ein Wäldchen im bläulichen Dunst;
Natur, Natur schlägt immer die Kunst.
Eine Heuschrecke fängt zu zirpen an,
Goldammergezwitscher dann und wann.
Mein Kopf fällt nach rechts, hebt sich im Ruck, fällt nach links
Irgend ein Ruf aus der Ruhe rings ...
Paß auf, wer beugt sich über mich,
Wer ist's, der eben zu mir schlich,
Er berührt mit dem Finger vorsichtig, zag
Meinen Hals; ich wälz' mich im Schlaf; wie vom Schlag
Fährt er zurück, und wieder vor
Biegt er sich vorsichtig an mein Ohr.
Ich rege mich nicht. Er tappt und tippt
An mir herum, er wiegt sich und wippt
Auf den Zehen, er lacht und schüttelt die Locken,
Und schleicht wieder fort wie auf leisesten Socken,
Und bringt mit sich seine Enaksschar;
Ich erkenn' ihn, es ist König Ringelhaar.
Was will er beginnen, der Riesenmann,
Fürwahr, er fängt zu exerzieren an:
Aufstellung in zwei Gliedern, gereckt,
Stirn hoch, Brust heraus, »Lanzen – streckt,«
»Arme – beugt,« »Kopf rechts – d–r–e–h–t.«
[107]
Ich lache laut auf, und husch, wie verweht
Ist der Spuk, und meine Lider sinken
Von neuem, und ich seh' ein Kerlchen winken.
Iritt näher, komm her, wie siehst du aus,
Spie dich aus den Fenstern ein Irrenhaus?
Er hüpft geschwind an mich heran,
Nein, wie putzig schaut aus der kleine Mann:
Gelb rechts die Hose, links violett,
Auf den Haaren sitzt ihm ein braunes Barett,
Das eine Pfauenfeder schmückt,
Die fortschwingend nickt, wenn er sich hebt und bückt.
Sein Wamms ist schwarz und weiß gestreift;
Wenn er sich nach seiner Wulstnase greift,
Bauscht jedesmal sich ein Buckel ihm auf;
Ein Zepterchen führt er mit goldenem Knauf.
An einer Hundeblume riecht er beständig,
Bald grinst er leise, bald lacht er unbändig.
Mich kitzelt seine Pfauenfeder.
Flieh von mir, oder ich ziehe vom Leder.
Der Narr.

Ach du, hab dich nicht so,
Daß ich den Atem dir lasse, sei froh.
Verhalte dich ruhig, windiger Wicht,
Sonst blas' ich dich aus wie ein Dreierlicht.
Der Haidegänger.

Was willst du?
Der Narr.

Mich mit dir unterhalten,
Du Feigling, nicht dir den Schädel spalten.
Ich möchte gern von dir wissen,
Sind dir Eidechsen Leckerbissen?
Ich fing hier eine, und ich fühle gebannt
Ihr angstklopfend Herzchen in meiner Hand.
[108]
Der Haidegänger.

Pfui schäm' dich, gleich laß das Geschöpfchen frei.
Der Narr.

Nur immer fein sachte, Lieber, ei, ei,
Mit den Tieren hast du Mitleid, mit deinen Brüdern auch?
Oder ist's die Menschen zu quälen, bei euch Brauch?
Zum Beispiel, wie steht's mit deinen Gedichten?
Der Haidegänger.

Das geht dich nichts an, du hast nicht zu richten;
Wer sie nicht lesen will, läßt's halt bleiben;
Was soll's?
Der Narr.

Ich will mir die Zeit vertreiben.
Erlaube, daß ich mich ein we–nig mehr – auf – dich – bücke,
Deine Brust ein we–nig mehr drück–e.
Der Haidegänger.

Fort, ich ersticke.
Der Narr.

Willst du mir's versprechen,
Hinfüro keine Poeme mehr zu verbrechen,
Sonst ...
Der Haidegänger.

Ich er–stick–e
Der Narr.

Sonst ...
Der Haidegänger.

Ja, ja,
Laß mich los.
Der Narr.

Gut also, ich habe deine Deutschen gerächt;
Schlaf' weiter, dich hat der Schweiß geschwächt.
[109]
Leb' wohl, ich habe zu thun in Venedig.
Doch ganz bist du noch nicht deiner Strafe ledig,
Deshalb ruf' ich dir meinen Gevattersmann,
Ich sage dir, daß der auch was kann.
Der Haidegänger.

Du Hundsfott! Wart'! Halt! Er verschwindet.
Und dort? Wer ist das? Mein Auge erblindet
Vor solcher Schönheit und Eigenheit,
Vor solcher Majestät und Seltsamkeit:
Neben mir, auf einem Hügel steht, schwebt?
Da, wo er zum höchsten Punkt sich erhebt,
Im vollstfreien Sonnenschein, abgehoben
Von Himmel und Haide, rätselverwoben
Eine Erscheinung in der Nachmittagsglut,
In hechtgrauer Kutte, mit dem Pilgerhut,
Und starrt unbeweglich geradeaus.
Ein Schnitter vielleicht, auf dem Wege nach Haus.
Doch ein Mäher trägt nicht solch Gewand.
Aber die Sense in seiner Hand,
Die er über die Schulter läßt fallen,
Um die fest, kräftig die kleinen Krallen
Ein Zaunkönig schlug, der wie verliebt
Mit dem Schwänzchen lustig seine Männchen giebt?
Die Sense mit dem Vögelchen drauf,
Mit dem blitzenden, glitzernden Lichterlauf,
Die Sense, die so schrecklich loht –
Jetzt dreht er sich zu mir, es ist der Tod.
Und langsam tritt er auf mich zu
Und setzt sich hin in gelassener Ruh.
Und läßt sein Augenglas, ist das Hohn,
Einschnippen wie ein blasierter Baron,
Und ist verwandelt, und hat seine Art
Wie ein hochstehender Herr in grauweißem Bart,
[110]
Der viel in der Welt herumgekommen,
Der alle Meere hat durchschwommen,
Den nichts mehr rühren und reizen kann,
Der Gleichmut als Krone des Lebens gewann.
Sein Sprechen klingt etwas von oben her,
Er näselt ein wenig, sonst thut er en frère.
Der Tod.

Sage mir, Freundchen, würd' es dir passen,
Mit mir deine Heimat heut' zu verlassen,
Dir die Unterwelt anzusehn?
Willst du so, kannst du mit mir gehn.
Der Haidegänger.

Sehr gütig, doch zieh' für's erste ich vor,
Noch zu warten vor deinem Eingangsthor.
Der Tod.

Das nenn' ich aber ... ich dacht' entschieden,
Du wärest mit deinem Los nicht zufrieden,
Hinfristetest hier einsam und verbannt,
Sehntetest dich in ein schöneres Land,
Wo dich nichts mehr ärgert, dich nichts mehr quält,
Wo kein Schuh dich drückt, dir nichts mehr fehlt.
Deiner Brüder erbärmlichen Kleinigkeit
Und Kleingesinnungsart bist du befreit.
Wie unvornehm denkt meistens das Menschenpack,
Von oben herab bis zum Bettelsack,
Wie spießbürgerlich, poesielos, philisterhaft,
Ob es ein Fürst ist oder eine Schneidergesellschaft,
Und in Geldsachen erst recht,
Ob Nobile oder Sattelknecht.
Fühlst eine Minute du dich frei,
Gleich wirbeln die Wasser wieder herbei,
Die Sorgengedanken, und reißen dich fort
[111]
Unaufhaltsam, unbarmherzig aus Hafen und Hort.
Du schreist nach Hilfe dich heiser und rauh,
Keiner wirft dir das Rettungstau.
Jeder muß mit sich selbst sich befassen,
Darf nicht sein Steuer im Strudel verlassen.
Möchtest du laut deine Freude äußern,
Du weißt, sie werden dich gleich duckmäusern;
Zeigst du dein singfrohes Herz der Welt,
Es wird dir sofort von den Leuten vergällt.
Doch muß ich sagen, im allgemeinen
Lernt ihr es schon auf Kindesbeinen:
Zu verheimlichen und zu schweigen,
Keinem euren Jubel zu zeigen.
Und wahrlich, verbergt, was euch selig macht,
Die Wölfe zerreißen es, gebt ihr nicht Acht.
Und die Weiber? Nimm an, für jeden Kuß
Erntest du prompt zehn Zentner Verdruß.
Und thun sie auch noch dir so schön und gut,
Ihr Gedanke ist doch immer: Mein neuster Hut.
Naschhaft, haben sie, wie findest du das,
Beständig den Finger im Syrupfaß;
Und ihre Lüsternheit erst, daß Gott erbarm:
Liegt dir dein Holdchen ergeben im Arm,
Sie blinzelt über deine Schulter umher,
Wirft nach neuer Beute den Augenspeer,
Und wär's dein bester Freund, der ihr gefiele,
Sie läßt um keinen Preis von ihrem Ziele.
Dein bester Freund, nebenbei gesagt,
Denkt dann, warum sei's nicht gewagt,
Steckt sich die Schuftfeder in den Schopf,
Und macht dich mit ihr ohne Bedenken zum Tropf.
Erinnerst du dich, es war in Gastein,
Du warst solch ein Schurke,
[112]
Der Haidegänger.

Halt ein, halt ein.
Der Tod.

Und weiter, hast du nie bedacht,
Welchen Hennengehirnchen du Reverenz gemacht?
Wie vielen, die besser verdient die Rute,
Dümmer waren als die dümmste Eselstute,
Opfertest du dein Geld, deine Zeit,
Deinen Geist, deine Selbstachtung, deine Arbeit.
Und dies ewige Lügen und Hintergehn,
Dies katzenfreundliche in die Augen Sehn
Und Umschmeicheln und kindisch-alberne Tollen,
Wenn sie etwas erreichen wollen.
Unglückliche Liebe, verratene Liebe, wie nenn' ich die Zahl
Der Liebesfoltern, der Liebesqual.
Das greuliche Schieltier, die Eifersucht,
Sei hier noch ganz besonders gebucht.
Kurz und bündig, der Liebe Born
Ist immer umbuscht von Stachel und Dorn.
Ich sollte meinen, du schlügest zu.
Der Haidegänger.

Ich bitt' dich inständig, laß mich in Ruh.
Du trittst das einzige Glück mit Füßen,
Du willst mir das einzige Glück entsüßen,
Du Troddel, das soll dir gewiß nicht gelingen.
Amor fliegt mit Zephyrschwingen
Unbekümmert über dein Höllenhaus,
Und foppt dich und narrt dich und lacht dich aus.
So ein Mädel, o die Lust,
Mit ihr zu tändeln Brust an Brust.
Was geht denn über den Sommertag,
Wo wir zwei miteinander durchziehn den Hag,
Einkehr halten im fremden Städtchen,
[113]
Einkehr dort halten im »Raspelrädchen«.
Wir sind allein und deinem Unterweltsegen,
Dem grausigen werfen, wir Rosen entgegen.
Der Tod.

Poltre nur zu, ereifre dich nur,
Bin, trotz allem, auf rechter Spur,
Und da ich nun doch einmal bin in Fluß
Von Maid und Minne, Gezärtel und Kuß,
Sag' mir, ich bitte dich, dich zu bequemen,
Ehrlich, wie gefiel dir das Abschiednehmen?
Doch wart', ich will deine Denktafel wischen,
Und dein Gedächtnis ein wenig auffrischen:
Einst, in einem großen Saale,
Durchleuchtet vom Nachmittagssonnenstrahle,
Es schwieg der Garten, der Hof lag vertraut,
Es drang zu euch kein störender Laut,
Du hattest »Wohlauf noch« von Schumann gesungen,
Wie hat sie die weißen Hände gerungen,
Es war eine süße Baroneß,
Oder war's eine kleine blonde Komteß,
Gleichviel; die Trennungsstunde war da.
Als sie nun weinend zu Boden sah,
Hast männlich du mit dem Schmerze gerungen,
Hast mächtig deine Qual bezwungen.
Der Kampf aber half dir nicht hinüber,
Dein Auge ward feucht, dein Blick immer trüber,
Und als sie dir schluchzend hing am Nacken,
Quollen die Thränen dir über die Backen.
Hast jahrelang gedacht an die Stunde,
Bis endlich sich schloß die böse Wunde.
Ein ander Bild: Ein jung einfach Kind
Aus Volkestiefen ward hold dir gesinnt,
Wie's die Kleine hat angefangen,
[114]
Daß du ihr in die Netze gegangen,
Nun ja, wie sich einführt solch' Tänzel:
Geäugel, Geampel, Gedreh' und Geschwänzel;
Sie weiß deine Wege, und sieht sie dich nah'n,
Giebt's Glutblicke, und zugleich wird bescheiden gethan;
Und ist im Erobern errötend, naiv,
Hält ganz beschämt das Köpfchen schief.
Ihr Männer seid meistens erstaunlich dumm,
Fädelt ein Evchen um euch herum.
Endlich merkst du's: sie hopst, hascht, husch
Vergeblich in den Syringenbusch;
Du gingst vorbei und sie thut, ach, ach,
Als wär' sie zum Blütenerspringen zu schwach.
Du halfst ihr, und – der Daus, sahst du's blitzen?
Klapp, mußtest du in der Falle sitzen.
Und mit stürmischem, heißem, heftigem Drange
Küßtest du ihr die frische Wange.
Sie gab dir alles, Seel' und Leib,
Und du hattest sie lieb, als wär' sie dein Weib.
Doch die Langweile gähnte: die Kluft war zu groß,
Du machtest aus ihren Maschen dich los.
Am Abschiedsabend fragtest du müssig,
Du warst ihrer längst schon überdrüssig:
Dein grobes Linnen, ei, ist mir nicht fremd,
Was säumen heut' Spitzen dein wirkenes Hemd?
Und sie wandte sich ab von deiner Stirn,
Und zögernd, leis' sprach die arme Dirn:
»D'weil i thu schlafa bei dir d'letzt' Nacht,
Han i a scheens Hemmad mir z'recht g'macht.«
Und so schlecht warst du nicht, dir stürzten die Thränen,
Und mußtest dich später lang nach ihr sehnen.
Und nun sollst du einen Schattenriß sehn,
Der wird, willst du jetzt nicht mit mir gehn:
[115]
In einigen Jahren, ich kenne den Tag,
Reitest du aus in den grünen Hag.
Dein Dunkelfuchs trägt dich, zwei Pointer zur Seite,
Trabst du, wie stets, vergnügt in die Weite.
Im Walde begegnet ein Mädel dir,
Das thut dir behagen: »Bleib du bei mir.«
Die blinzelt dich an und lacht dir zu:
»Bübele, sag' mir, wie alt bist du?«
Und sie läuft davon, und läuft geschwind,
Und über dein Herz zieht ein eisiger Wind.
Du jagst ihr nach und holst sie ein,
Und brichst aus den Hecken ein Röselein:
»Nimm hin, nimm hin, mit der Rose hier,
Meine letzte Jugend geht mit ihr.«
Und du wendest dein Pferd, und reitest im Schritt,
Im Sattel reitet der Winter mit.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Und sonst, was hast du denn noch auf Erden?
Kannst einer Stunde du fröhlich werden?
Kannst du dich ausleben auch nur einen Tag,
Wie du möchtest, wie dir kündet dein Herzensschlag?
Und sind nicht stets tausend Rücksichten zu nehmen,
Mußt du dich nicht zu vielem bequemen,
Du mußt, was dir ganz gegen den Strich,
Und das findest du alles nicht fürchterlich?
Der Haidegänger.

Schon recht.
Der Tod.

Du bist ein deutscher Dichter
Und wohnst inmitten der Splitterrichter,
Umgeben von Gleichgiltigkeit und Bier,
Sei versichert, viel wohnlicher ist es bei mir,
Hast du Geist, das kann niemand vertragen,
Sie packen dir wütend an Kranz und Kragen,
[116]
Bist du arm, und machst dir das kleinste Vergnügen,
Was dann die alten Tanten zusammenlügen,
Wie sie dich verpetzen und beißen,
Dich giftig und bös' in den Kehricht schmeißen.
Du weilst unter lauter undankbarem Volke,
Komm mit, wir verschwinden in einer Wolke.
Der Haidegänger.

Nein, nein, ich will nicht. Hanne, Hann–e!
Der Tod.

Du willst nicht? Gestatte, daß ich sanft dich umspanne.
Der Haidegänger.

Jetzt verwandelt er sich zum Knochenmann.
Hanne, Hann–e ... da stürmt sie heran.
Ist aus dem Hannchen im hohen Norden
Eine Oberbayerin geworden?
Sie hält ihm die Faust unter die Nase.
Haidehanne.

Rie(a)ch!
Laßt'n glei liegn, du Malefizvie(a)ch!
Der Haidegänger.

Und der Tod läuft davon, wie knackt sein Gebein,
Und die Hanne immer hinter ihm drein,
Jetzt wirft sie den Pantoffel ihm nach ...
Haidehanne.

Wach auf, i fircht'mr, erwach', erwach'.
Der Haidegänger.

Hab' ich geschlafen, ach, dein liebes Gesicht,
Ich schrieb im Traum ein phantastisch Gedicht.
Ein Rabe streicht vor mir über den Schnee,
Die Spitzen seiner Fittige
[117]
Berühren ihn fast; zollhoch nur
Fliegt er über die weiße Spur.
Sein Herz und mein Herz, sonst ringsum
Kein Herzschlag, kein Blutlauf, alles ist stumm.
Wo rollt nun die Welt, wo mühsalt das Streben,
Erstorben, erstarrt ist das ächzende Leben.
Wen seh' ich, wer stürmt dort aus dem Wald,
Ist das nicht mein Freund, der Staatsanwalt?
Sollte vielleicht, was will sein Gebaren?
Vor gerade sieben und neunzig Jahren
Ist hier in der Gegend, nach Sagen und Märchen,
An Gift verleibweht ein süßes Klärchen.
Will er die Reste exhumieren.
Nach Belladonna, Cyankali gieren?
Halt, Lieber!
Der Staatsanwalt.

Laß mich, wo begrub man das Klärchen?
Der Haidegänger.

Aber, Bester, das sind ja Sagen und Märchen.
Du düsterer Deutscher, bleib' einmal stehn,
Oder wünschst du, ein Weilchen mit mir zu gehn?
Ich habe ein Hühnchen mit dir zu pflücken,
Über Dinge zu reden, die mich bedrücken.
Zuerst Hut ab vor eurem Fleiß,
Vor eurem Augenauf, Sorgenschweiß,
Der uns schützt vor Dieben und Dolchen,
Wechfelfälschern und anderen Strolchen.
Daß dies Spürgeschäft euer Lebenszweck,
Ist Geschmacksache; mir wär's schrecklich, im Dreck
Immer wühlen zu müssen Tag und Nacht,
Ich bin nicht zum Büttel und Beildiener gemacht.
Hut ab vor eurem Takt, eurer Unerschrockenheit,
Und, gern sag' ich's, vor eurer Menschlichkeit,
[118]
Die, wenn's nur irgend in die Sache paßt,
Ihr immer willig walten laßt.
Aber beurteilt mir nicht die Litteratur,
Hier fehlt euch der Kenntnis jede Spur,
Wie den andern Deutschen zumeist,
Die geht über euren Schnüffelgeist.
Könntet ihr Shakespeare und Goethe mit Erfolg berennen,
Ihr ließet, »weil sie unsittlich,« sofort sie verbrennen.
Dagegen laßt sämtliche Kerle brummen,
Die das Volk verseuchen, das Volk verdummen
Mit dem Kolportageroman, mit dem Bilderjournal,
Da stiftet ein fröhliches Bluttribunal.
Zerstreut, vernichtet den Teufelsbund,
Verbietet auf einmal den ganzen Schund,
Denn Gefahr...
Der Staatsanwalt.

Du weißt doch, Brod und Spiele ...
Der Haidegänger.

Ich seh' schon, wir kommen nicht zum Ziele.
Du selbst, wie mir scheint, wie sicher ich glaube,
Bist Abonnent der Hollunderlaube.
Dein Leibdichter, gewiß, ist Herr Borstenbinder,
Ei, schreibt der 'mal scheen für die deutschen Kinder.
Der Staatsanwalt.

Mein Gönner, du scheinst nicht in Stimmung zu sein.
Der Haidegänger.

Allerdings, ich bliebe jetzt lieber allein,
Denn ich sehe hinten –
Der Staatsanwalt.

Das Klärchen?
Der Haidegänger.

Die Hanne.
[119] Der Staatsanwalt.

Und möchtest deshalb, daß ich schnell mich verbanne.
Leb' wohl. In Hamburg übermorgen,
Bei Pfordte, Cölln, bei Gotthilf Borgen?
Der Haidegänger.

Bravo, da bin ich dabei, und Porter und Ale
Und Austern dazu, ich steh' zu Befehl.
Behüt' dich Gott.
Wie steuert das Mädel schnell,
Das wurzelt in ihrem Naturell.
Mein Wildfang, ich gebe dich heute nicht los,
Meine Sehnsucht nach dir ist übergroß.
Nun rasch durch den kalten Wintertag
Zu mir in den warmen, vertrauten Verschlag.
Lombroso liegt auf meinem Tisch,
Den ich just lese, weg mit dem Wisch,
Wenn wir glückselig, eins mit dem andern,
Vier, fünf Himmelsmeilen wandern.
Amor hat längst schon die Ampel entfacht,
Komm mit in die lustigste Liebesschlacht.
Aus deinem Haar reiße die Nadeln ich fort,
Es flutet herab ... aber wer liegt dort?
Einer, der sich im Schnee verloren?
Sieh' nur, ein Mensch, doch nicht erfroren?
Hanne, rüttel' ihn tüchtig ... Du, wach' auf!
He, Hilfe ist da ... Hanne, wir reiben ihn, fix drauf!
Der deutsche Dichter (erwachend, sehr schwach).

Blaublümelein – kosen – wallend am Busen.
Haidehanne.

Jessas, Maria und Joseff, der ist narret.
Der Haidegänger.

Nein, bei den Musen,
Das kann nur ein deutscher Dichter sein.
Sprich, wenn's dir möglich ist ohne Pein.
[120] Der deutsche Dichter.

Liebchen – kost – am Mondscheinbusen – wallen –
Der Haidegänger.

Ach, Aermster, wie schwach deine Worte hallen.
Keine Silbe mehr, ruhig, wir sind bei dir,
Bist bald im behaglichen Zimmer bei mir.
Hanne, hier, gieb ihm meine Pudelmütze,
Zuhause kochst du ihm Hafergrütze,
Dann pumpen wir acht Gläser Grogk ihm ein,
Und Feuer schießt wieder in's matte Gebein.
Der Arme denkt an Lorbeerkränze
Jenseits der jütischen Landesgrenze.
Er will sich in Dänemark niederlassen,
Weil seine Landsleute den Dichter hassen.
Dänemark, wie die anderen Länder,
Schenkt seinen Dichtern Pensionen, Stipendien, Ordensbänder.
Deutschland hat für sie nur Spott und Schand',
Drum verläßt er totkrank sein Vaterland.

Was weiß ein Mensch vom andern Goethe.

In meinem Leben einmal nur
Hört' ich Gesang auf der Haideflur:
Ein Hirtenjunge trieb seine Kühe
Mit Uhä, Uhä durch die Morgenfrühe.
Sonst singt mein Heimatbruder nicht viel,
Das Dasein ist ihm kein Puppenspiel.
Fast immer von grauen Wolken umhangen,
Trägt er nach Lustausbrüchen wenig Verlangen.
Treu ist er, schweigsam, beständig, solid,
Zuwider sind ihm Lärm und Lied.
Dir, Ländchen, segn' ich den schweren Pflug
Bis an meinen letzten Atemzug.
[121]
In meinem Leben einmal nur
Hört' ich Gesang auf der Haideflur:
Ein Hirtenjunge trieb seine Kühe
Mit Uhä, Uhä durch die Morgenfrühe.
Die Lerchen trillerten um uns her,
Steigend und stürzend im Aethermeer.
Ich fand, erst acht Uhr, zum Frühstück traun,
Drei alte Weiber, drei alte Männer am Zaun.
Die Männer heckthor links, die Weiber rechts,
Begaben sie sich des Sensengefechts,
Und kauten gemütlich ihr Butterbrot.
Ein Spitzhündchen vor ihnen hat Hungersnot,
Dem werfen sie gutmütig unter schmierigem Lachen
Brocken und Bissen in den Rachen.
Und weiter ging ich, der Tag ward heiß,
Bis ich hielt in einem Föhrenkreis:
Fünf, sechs Bäumchen standen hier
Und schenkten ihren Schatten mir.
Und ich lagerte mich und zog aus der Tasche
Eine gut gefüllte Rotsponflasche.
Und ich streckte mich aus, um die Rast zu genießen;
Schon wollt' ich die müden Lider schließen,
Als mein Auge auf eine Erscheinung geht,
Die zwischen zwei Nadelholzstämmchen steht.
Das Gewand, das ein braungoldner Gürtel hält,
Hemdartig ihr bis auf die Knöchel fällt,
Hat lichtgrüne Farbe, wie das Buchenblatt,
Wenn es eben die Knospe durchbrochen hat.
Sie stützt sich auf ein nacktes Schwert
Mit beiden Händen. Ein Opferheerd
Qualmt hinter ihr und sendet den Rauch,
Den feinspärlichen, graublauen, durch den Strauch.
Ernst sieht sie mich an und klar und kalt,
[122]
Daß ich aufschnelle, als risse mich wer mit Gewalt:
Was schaust du, reglos, so streng mich an,
Deine finstere Stirn thut mich in Bann,
Unerträglich ist mir dein fester Blick.
Die Erscheinung.

Ich künde dir deines Lebens Geschick:
Eh' noch der Sterne Licht enttaucht,
Hast deinen Odem du ausgehaucht.
Der Haidegänger.

Lügnerin du! zerfließe in nichts,
Du bist nicht der Bote des Allgerichts.
Du äffst mich. Fort! ich springe sonst vor.
Die Erscheinung.

Zurück! Zu Boden vor mir, du Thor.
Der Haidegänger.

Noch keinem fiel ich je zu Füßen,
Ich habe nichts vor dir abzubüßen.
Die Erscheinung.

Trotz' nur hinein dich in die ewige Nacht,
Leichtsinnig hast du deine Zeit verbracht,
Leichtsinnig ...
Der Haidegänger.

Hab' ich die Stunde genossen,
Dessen bin froh ich; unter allen den Possen
War stets mir zuwider der dumme Narr,
Der den Kopf hängen ließ im furchtbaren Wirrwarr,
Der nicht das wenige Begehrenswerte sich fischte,
Das unter den Greueln der Tag ihm tischte,
Das Wenige!! Und dies Wenige nahm ich wahr,
Frisch weg wie ein übermütiger Husar.
Wo ein Mädel am Weg ich fand,
Das mir gefiel, ich nahm es flugs an die Hand:
Komm mit ein Streckchen ...
[123] Die Erscheinung.

Leichtfüßiger Wicht,
Mir gefiel deine Wüstheit schon lange nicht.
Wie rasch ist stets deine Treue verweht.
Der Haidegänger.

Das lag in meiner Individualität.
Die Erscheinung.

Sich selbst beherrschen, sich selbst bezwingen,
Das hätte vor allem dir sollen gelingen.
Dir fehlte der sittliche Grundgedanke,
Du schwanktest wie eine lose Ranke.
Entsagung, die blasse Nonne, zwang nie
Dich trostwehmütig, demütig auf's Knie.
Der Haidegänger.

Halt ein mit deinen Kapuzinerergüssen,
Ich war Mensch, das heißt entsagen müssen.
Ost hab' ich mich auf mich selbst besonnen,
Habe den Sieg über mein Fleisch gewonnen.
Was weißt denn du, was predigst du mir
Wie ein langweiliger Fakir.
Sind nicht verschieden unser Saft,
Unsre Schwächen, unsre Kraft, unsre Leidenschaft?
Dem tobt im Innern beständig ein Meer,
Dem andern fällt die Überwindung nicht schwer,
Weil er eiskühlen Sinnes ...
Die Erscheinung.

Genug der Worte,
Du stehst jetzt vor der schwarzen Pforte,
Hast Rechnung am Eingang abzulegen.
Der Haidegänger.

Mich kann dein weiser Sermon nicht erregen.
Bis zuletzt bleib' ich mit dir in Fehde,
[124]
Und geb' unbekehrbar dir diese Rede:
Mich reut's, hörst du, mich reut's, daß ich entschlossen
Das Dasein nicht viel frecher genossen:
Daß ich mich nicht sofort nach der Rose bückte,
Die nach mir ein Skrupellosrer sich pflückte;
Daß ich nicht öfter den Becher schwang;
Nicht öfter anstimmte den Rundgesang;
Daß ich nicht durstiger trank aus der Flut;
Dem Tugendhelden nicht spie auf den Hut,
Wenn mit seinen Litaneien er kam
Und mich in seinen Betstuhl nahm.
Wie die Körner im Stundenglas verrinnen ...
Die Erscheinung.

Still', Knabe: dein unsinnig Beginnen
Bringt dich um alles, um Himmel und Heil,
Doch sei dir ein letztes Wünschen zu Teil:
Wie willst du sterben: das ist mein Schluß.
Der Haidegänger.

Im Gefecht, in der Schlacht den tötlichen Schuß,
Und daß ich nicht lange mich quälen muß,
Hat mich das Blei in die Brust getroffen.
Die Erscheinung.

Dein Wunsch sei erfüllt, Gewißheit dein Hoffen.
Der Haidegänger.

Zigarrette gefällig, Charlatan?
Ich wenigstens zünde mir eine an.
Du schwindest, Phantom? Und der Opferrauch
Verzieht sich, verflattert im Tannenstrauch.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Meine Augen weiten sich, ich greif' mir ans Herz,
Mein Mund bleibt stehn, ich werde zu Erz,
Und wieder Bewegung: an die Stirn fährt die Hand,
[125]
Mein linker Fuß hat sich vorgewandt.
Was hör' ich, sind es Kriegsgesänge,
Ich beuge mich vor, was sind das für Klänge:
Der Avanciermarsch klingt fernher leise, leise,
Ich kenne den Takt, ich kenne die Weise ...
Meinen Hengst, meinen Hengst, mit Pauken und Schlag
In voller Rüstung den letzten Tag!
Immer näher, immer näher tönt es heran,
Himmel gieb Gnade: ich bin Feldhauptmann,
Laß mich bleiben im Bette der Ehren,
Du wirst es, du kannst es mir nicht verwehren,
Mein undiensam Leben vergräbt der Sand,
Ich sterbe für Kaiser und Vaterland.
Musketier Senske.

Herr Hauptmann haben Ruschnar befohlen.
Der Haidegänger.

Was, Heinrich, kamst du auf Satanssohlen?
Sahn wir in Kolberg uns nicht zuletzt,
Mein treuer Bursche, und hier stehst du jetzt?
Meinen Helm, die Schärpe, meinen Degen!
Den Fuß in den Bügel, dem Feind entgegen!
Ich klopfe beruhigend Rouge et noir den Hals
Ob des ersten nahen Flintenknalls.
In funkelnder Linie, beim Element,
Das ist mein altes Regiment.
Ich presche, um mich zu melden, vor,
Will mit einziehn durch das Siegesthor.
Der Oberst reicht mir freundlich die Hand,
Mir sind die Thränen niedergerannt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Mit meiner Kompagnie nun schwimm' ich allein
In der blutenden Haide querfeldein;
[126]
Einem offnen Tempelchen zu, das auf einem Hügel
Als Ziel sich zeigt, lenk' ich den Zügel.
Aufgelöst in einer einzigen Plänklerkette,
Pflastern wir eine Schädelstätte.
Immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,
Nur immer die Richtung auf's Tempelhaus,
Über gräßlich zerissne, verstümmelte Leichen,
Über verstreutes Gepäck und tausend Schlachtzeichen;
Über Pferdeleiber, klaffende Wunden,
Immer weiter, immer ruhig zu schon seit Stunden.
Fällt eine Granate zwischen uns ein:
»Nicht umsehn, Kerls, nach dem Schwesterlein.«
Wen sie küßte, wischt sich nicht mehr die Lippen,
Ihre Geilheit riß ihm das Herz aus den Rippen.
Der rasende Regen der Gewehrgeschosse
Ist auch just keine Theaterposse.
Und ruhig weiter geht unser Geschwärm,
Immer ruhig zu durch den furchtbaren Lärm,
Bald durch brennende Dörfer, zerstampfte Felder,
Durch Dorn und Dickicht, durch Wüsten und Wälder.
Müssen wir durch einen Bach, einen Graben,
Können wir schnell uns den Gaumen laben.
Und immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,
Nähern wir uns dem Tempelhaus.
Voran ich im Schritt auf Rouge et noir,
Wir beide scheinen gefeit, untreffbar.
Spanisch tänzelnd, spritzt mein Hengst den Schaum
Über Zaum und Zügel auf Sattel und Saum.
Über seinen Hals halt' ich den Degen quer,
Reite wie der Dei von Tunis daher.
Trägt eines Feindes abgehauenen Kopf
Meine Linke, den wolligen Haarschopf,
Längseits der Decke? Tröpfelt neben meinem Pferde
[127]
Aus dem verzerrten Haupte das Blut auf die Erde?
Etwas vorgebeugt, den Helm im Nacken,
Den Schweiß abtrocknend auf Stirn und Backen,
Reit' ich im Schritt, die Augen gradaus,
Immer gerichtet auf's Tempelhaus.
Und immer weiter, immer ruhig zu, immer gradaus,
Sind wir jetzt nah dem Tempelhaus.
Wir geraten in einen Brodem hinein,
Es raucht aus den Kräutern und Blümelein,
Es erstickt uns fast der dicke Qualm,
Der Fuß gleitet aus im glitscherigen Halm.
Mein Pferd bäumt sich plötzlich steilauf,
Dann bricht es zusammen, rafft nicht sich mehr auf.
Nun zieh' zu Fuß ich meiner Kompagnie voran,
Wir arbeiten keuchend den Hügel hinan,
Und sind im mörderischen Handgemenge ...
Geschützgäule schlagen über die Stränge,
Versitzter, verfahrener Train zwischen Leichen,
In die Luft ragende Rohre, zersplitterte Speichen,
Rote Lachen, Trümmer, mittenin ein Hund,
Der seinem Herrn nachheult im Kunterbunt.
Ein ganz leiser Schlag trifft meine Brust,
Ich bin meiner Sinne nicht mehr bewußt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Als ich erwache, ist alles fort,
Ich lieg' in des Tempels heiligem Ort,
Und schau' in die weite Ebene hinab,
Alles ist still wie Gruft und Grab.
Die Abendsonne scheint sanft und milde
Über mein holsteinisch Haidegefilde.
Ein Luftzug kühlt den Tempel sacht;
Nichts erinnert mich an die Schlacht.
Doch, doch, wer lehnt an der Säule so stur,
Mein erschoss'ner Hornist, oder schläft er nur?
[128]
Und im Grase, neben mir, auf den Rücken gereckt,
Liegt tot mein Bursche ausgestreckt,
Die Arme gebreitet, die Finger gekrallt,
Griff er ein in die Erde als letzten Halt.
Die gebrochnen Augen starren anklagend und leer
Hinauf in's streifige Cirrusmeer.
Und auch die beiden Getreuen verschwinden,
Ich kann nichts Außergewöhnliches finden.
Meine Hände hab' ich auf die Brust gepreßt,
Meine Handschuhe, fühl' ich, sind feucht, sind durchnäßt,
Das Blut sickert langsam aus einer Wunde,
Nun weiß ich, es ist meine Sterbestunde.
Hanne, Hann–e ... Ist keiner bei mir ...
Haidehanne.

Halt dei Goschen, i bin ja bei dir;
Du dörfst nix redn, hab doch Muat,
Die böse G'schicht wird g'wiß noch guat.
I verbind dir dei Wund, laß mir dei Sachn,
Sollst mir mei Herzl so schwer nit machn.
Der Haidegänger.

Die wenigen Minuten, eh' ich versinke,
Eh' dort ich bin, wo ich Lethe trinke,
Will ich sprechen.
Haidehanne.

Jessas, Lethe, hier hab i Wein.
Der Haidegänger.

Und bis zuletzt fällt immer mir ein
Eine Stelle aus einem deiner Briefe:
»Tausend Grüße und Küsse von mir,
Mußt das halt obi klaubn vom Papier,
Derweil bis dus Morgen kriegst aufs Maul.«
Sonst warst du im Schreiben ziemlich faul,
Hanne, hier, in meiner Rocktasche, den Quark,
Nimm ihn heraus, es sind achtzigtausend Mark,
[129]
Die schenk' ich dir mit warmer Hand,
Kann sie nicht mitnehmen in's andre Land.
Haidehanne.

Du Fadling, o mei' ...
Der Haidegänger.

Was, du willst flennen,
Willst mir noch Thränen auf die Seele brennen,
Weißt, ich kann keinen traurig sehn;
Nimm das Geld, mußt nun alleine gehn,
Kauf' dir einen frechhübschen Knaben,
Und thut er nicht gut, muß er Prügel haben.
Na, du wirst schon ...
Haidehanne.

I ra'f mit ihm, i werdn schon kriegn.
Der Haidegänger (äußerst schnell, entsetzt).

Hanne, Hanne, bleib dicht, dicht bei mir ... aus den Wassern biegen,
Aus dem Schilf sich, aus den Zweigen weiße Leiber,
Blasse Gesichter, das sind die Weiber,
Die geliebt ich habe und dann verlassen,
Wie sie ... wie sie ... wie sie ... nach meinen Händen ... fassen ...
Hanne, Hanne, jag' sie fort.
Haidehanne.

Der Teifi spitackelt hier;
Fritzl, mei Fritzl, i bin ja bei dir.
Der Haidegänger.

Nun lehn' ich mich an deine Brust,
Es verzuckt, es verzittert die Erdenlust.
Versenkt mich hier unters Haidekraut,
Des Menschengezeters brüllt her kein Laut.
Im Herbst fliegt der Tütvogel, wie hört' ich ihn gerne,
[130]
Über mein Dunkel im Dämmer der Sterne.
Nachtverschluckt schlaf' ich, nur du kennst mein Grab,
Brich dir einen Erikastrauß von ihm ab.
Dank, Mädel, dir, für deine rohfrische Natur,
Sie roch wie die kraftgährende Ackerflur.
Das hat mich entzückt zu dir gezogen,
Das hab' ich entzückt aus dir gesogen.
Die Sonne sinkt, meine Hünenmale
Feiern Andacht im letzten Abendstrahle.
Hanne, hilf mir auf, stütz' mich, mein Leben verloht,
Ein Grashälmchen, nichts weiter, rupft sich der Tod;
Du aber bleib' immer in deinem Bestand,
Mein großes, schönes, heißgeliebtes deutsches Vaterland.

Am Hochgebirge, Juli 1890.

Notes
Dem vorliegenden Text liegt der Erstdruck der Sammlung zugrunde: Leipzig (Wilhelm Friedrich) 1890.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Haidegänger. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EEE0-A