Fragmente

Der Jüngling

Der Jüngling stoßt vom Strand im leichten Kahne,
Die Sehnsucht hat die Segel ihm gebreitet;
Wie rasch im Phantasienozeane,
Von Westen fortgekost, dahin er gleitet!
Schon weht auf neuen Welten seine Fahne,
Wie selig er durch Paradiese schreitet
Und Blumen pflückt, wie nimmer sie geboren
Im reichsten Lenz die heimatlichen Horen.
»Willkommen, Jüngling, von der fernen Reise!«
Begrüßt ihn tückisch wieder nun das Leben,
Und kosend naht ein Weib, unmerklich leise
Der Liebe Gaukelmacht um ihn zu weben.
Sie hält ihn festgebannt in ihrem Kreise
Mit Seufzerformeln, heuchelndem Ergeben:
Froh schmückt er ihr mit seinen Traumesblüten
Die Brust, um welche Todeslüfte brüten.

Der falsche Freund

»O sei mein Freund!« so schallts vom Heuchelmunde
Dem Falschen, der mit heimlichem Behagen
Den Vorteil überzählt von solchem Bunde;
Du traust ihm, und – schon hast du eingeschlagen,
Ein edler Tor! Naht einst die Wetterstunde,
So siehst den Schurken du mit bleichem Zagen
In seines Ichs bequeme Hütte springen,
Hinausgesperrt magst mit dem Sturm du ringen.

[129] Die schlimme Jagd

Das edle Wild der Freiheit scharf zu hetzen,
Durchstöbert eine finstre Jägerbande
Mit Blutgewehren, stillen Meuchelnetzen
Der Wälder Heiligtum im deutschen Lande.
Das Wild mag über Ström und Klüfte setzen,
Und klettern mags am steilen Klippenrande:
Der Weidruf schallt durch Felsen, Ström und Klüfte,
Empört verschleudern ihn die deutschen Lüfte.

Der feile Dichter

Die Muse muß zur Metze sich erniedern,
Der Dichter sendet sie zum Mäzenaten,
Und, frechgeschürzt, mit schaugestellten Gliedern,
Der Göttlichkeit vergessend, tief entraten,
Umtanzt sie ihn mit schnöden Schmeichelliedern,
Liebäugelnd mit den blinkenden Dukaten.
Sie muß den Gott in ihm zum Schlaf betören,
Das Tier zu wilder Glut und Flamm empören.

Auf einen Professor Philosophiae

Seht ihr den Mann mit stäubender Perücke?
Wie sprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!
Seht, an der morschen Syllogismenkrücke
Hinkt Gott in seine Welt; die Menschenseele
Ist ewig, denn sie ist aus einem Stücke!
Und daß der Argumente keines fehle,
Hat er ein weises ergo noch gesprochen:
Der Mensch ist frei, die Fesseln sind gebrochen!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Fragmente. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DE29-7