[196] Lied 1

Willkommen, Bächlein! wie so hell!
Wie rasch dein Gang ins Thal hernieder!
Wer öffnete den Felsenquell?
Es schuf dich keiner meiner Brüder.
Willkommen Zephyr, auf der Flur!
Weß Auge noch hat dich gesehen?
Wer deine Stätte, deine Spur?
Kein Sohn der Erde hieß dich wehen.
Du selbst, o Bächlein, hörtest nie
Zum Rauschen deiner kleinen Wellen
Verjüngter Büsche Melodie
Vom grünen Ufer sich gesellen;
[197]
Und dennoch redest du mit mir
In stillen Abenddämmerungen;
Schon hat dein leises Murmeln hier
Mit süßem Schauer mich durchdrungen.
Du Zephyr weißt nicht, wie, erfreut
Von deinem Hauch, die Staude säuselt,
Das Blümchen Wohlgerüche streut,
Die Aehre wallt, der Hain sich kräuselt;
Und dennoch, gleich dem Epheu, bebt,
Wenn du mir lispelst von den Hügeln,
Mein klopfend Herz; die Seele schwebt
Auf deinen unsichtbaren Flügeln.
Woher dies wonnige Gefühl,
Die hoch sich hebenden Gedanken?
Was rauschet mir im Wellenspiel?
Was flüstert in des Weinstocks Ranken?
[198]
Das Mayenlüftchen kennt mich nicht;
Dem Bächlein sang ich jüngst die Feyer
Des Blüthenmonds im Rosenlicht;
Ihm aber tönte keine Leyer.
Woher denn, um der Quelle Rand,
Woher das ahndungsvolle Wehen?
Ein Geist, dem meinigen verwandt,
Muß kennen mich, und mich verstehen,
Mir nahe seyn im Wasserfall,
Im Hauch des Windes Antwort geben,
Erfüllen alles überall
Mit Freud und Liebe, Kraft und Leben.
Es ist der Herr, der überall
Im Wiesenduft, im Sturme schwebet,
Der Abendthau und Wasserfall,
Und Himmel, Erd' und Meer belebet;
[199]
Er, welcher aufs besonnte Land
Den kühlen Flug des Zephyrs leitet,
Er, der mit unsichtbarer Hand
Dem Wurme seinen Tisch bereitet.
Der zählet meines Pulses Schlag,
Hört meiner Wünsche leises Flehen;
Und, schmachtet meine Seel' ihm nach,
So fühl' ich seiner Flügel Wehen.
Der Tag verkündiget der Nacht,
Die Nacht dem Tage seinen Nahmen,
Die Himmel preisen seine Macht,
Und tief im Herzen schallt mein Amen.
Wohl mir, ich weiß, woher es schallt,
Es deutet hin in große Fernen;
Tief unter meiner Hoffnung wallt
Der Himmel hin mit seinen Sternen.
[200]
Wohl mir! ich fühle, wer ich sey;
Wie leicht verstäuben meine Sorgen!
Dies Amen tönt als Hahnenschrey
Vor meines Gottes nahem Morgen.

Fußnoten

1 Angefangen von mir, und vollendet von F.L. Stollberg.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Lied. Lied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A9C-0