Öde Heide
Eudoxia. Ein Junges Mädchen. Das Volk.
VOLK.
Nicht die Wolke zog im Regenrot herauf,
Abendgang, o heil'ge Mutter wallest du;
Nicht der Nebel fliegt um weißen Kieselberg,
Graue Lock' umfliegt erbleichtes Gramgesicht;
Nicht der Erdspalt lechzet, den die Quelle ließ,
Tränenblinder Augen Höhlung dürstet, grau. –
Schaunde dennoch! Thronberaubte Herrscherin,
Welche, grüßend aufgetan empfing das Reich
Klarer, zukunftschwangrer, sterndurchblitzter Nacht!
Pflogest einsam deines Tages still Gespräch
Mit dem Wehn des Forstes, mit des Winds Gebraus;
Schrittest Rückweg durch die Heide ginstergelb
Nach dem birkenschatt'gen Newsky-Trümmerbau,
Drin du hausest, angeredet aus der Fern'
Von des murmelnden Ladoga Wogenschlag.
Liebevoll verlegt den Pfad, geweihte Frau,
Deine Füße küssend, dir das Gottesvolk,
Auf der Fläche scheugedrängt, dem Wilde gleich,
Wenn der Weidmann lauert mit dem Todesrohr.
Denn der Zar ist groß, und tausend Augen hat,
Wer der Späher reichbelohnte Koppel nährt!
EUDOXIA.
Was begehrt das Volk?
VOLK.
Erinnrung, Hoffen, Trost!
EUDOXIA.
Habt ihr Hoffnung, Trost, Erinnern eingebüßt?
[503]VOLK.
Auf der Erde trat er Spur des Gestern aus,
Aus den Lüften luft'ges Morgen scheucht' er weg,
Ließ erbangten Herzen trostlos kahles Heut.
EUDOXIA.
Nicht der Hoffnung, nicht des Trostes Priesterin
Ist, die weiland ward genannt Eudoxia.
Doch Erinnrung, wer vertilgt sie?
VOLK.
Wo ihr Feld?
EUDOXIA.
In der Brust des Drängers! Furchen zieht sie dort,
Zehrt von seiner Seufzer schwerem Hauche, trinkt
Glühndes Leben aus den Zähren, die er weint.
VOLK.
Näh're gib uns, Mutter, näh're Zuversicht!
EUDOXIA.
Seht den Falken ihr?
VOLK.
Auf hoher Eiche Zweig,
Schwarz, verdorrt sich streckend in den Abendstrahl,
Sitzt ein braungesäumter schlanker Edelfalk,
Der zerfleischt den schwarzen Raben, seinen Fang;
Blut, vom Schnabel rinnt es, von den Klauen scharf,
Und die Federn stäuben von dem Baum herab.
EUDOXIA.
Lest die Federn auf, und zählt sie! Diese Zahl
Rollet; dreimal roll 'n der Jahre neun hinzu.
Dann wird sitzen wieder in dem goldnen Tor
Vielbetürmten Kremls der Moskowitsche Zar!
Knäs, Bojar in Reihermütz' und Zobelpelz
Sehn ihn von der Seite kühnlich blickend an,
[504] Und vergessen hat der Bürger, Handelsgast,
Flur, die jenseits schwarzer Donau Strand sich streckt.
VOLK.
Unsrer Enkel Enkel Enkelkinder Glück!
EUDOXIA.
Schaun die Lose kann ich, darf ich legen sie?
Gebend Wahrheit, spendet' ich mein Alles aus.
Linderung verlangt ihr; die versag' ich streng:
Bald zerbreche der Verrenkung Mißgestalt;
Lange länderüberlastend drückt der Alp.
Kennt ihr nach der eignen Freude, beßre Lust,
Als den Feind hinabgeschleudert sehn in Gram?
Schmerzen-Mitgenossenschaft verkünd' ich euch:
Eh' die Mitternacht ihr leises Wiegenlied
Singt im Geisterton dem neugebornen Tag,
Seid ihr Leidensbrüder worden, ihr und er.
VOLK.
Ist sein Heil zu Ende?
EUDOXIA.
Ganz unzögerlich.
Denn wie hoch emporgerückt ihn Himmels Schluß,
So ihn tief hinabzudrücken hob bereits
Sich der Arm der ewigen Notwendigkeit.
Seine Kebse ließ in Moskau krönen er!
Auf der dienstschweißeingenetzten Stirn der Magd
Ward entweiht Kiews uralte Fürstenzier.
Dies ist seine letzte Handlung. Nahe wallt
Auf der Staub der Kehrenden von Olegs Stadt!
Bald in diesem Sande steht der Zar, das Weib
Und der Knechte Schwarm. Der Heide Boden sieht
Ihn zuletzt als Menschen; grad von hier beginnt
Unaufhaltsam schauderhaft beeilter Fall!
Daß des Lebens Glänze sich vergleichet nur
Solches Sterbens äußerste Verfinsterung.
[505] Kehre Volk! In deiner Hütt' erwart' den Tag!
Zu ihrem Mädchen.
Führe mich nach Haus! Geschäfte bringt die Nacht.
Sie geht, von dem Mädchen geleitet. Das Volk folgt.
EIN SPÄHER
tritt auf.
Arm bleibt die Pflicht, begünstigt nicht Gelegenheit
Des Tät'gen Fleiß; verschwenderisch sah Goldes Gunst
Zuroll'n ich oft der läß'gen Faust des Schlafenden,
Indes ich, nimmer rastend, viel' der Jahr' im Joch
Verwandte schlechtbelohnter Augen Spürerkraft.
Ins Blaue dreist geworfen trifft des Toren Stein,
Es schießt Erfahrung zielend fehl, gebar den Mann
Der böse Tag! Doch heut gelang Aufmerkers Müh';
Ablauscht' ich, was, schnell angebracht, ein groß Verdienst
Mir in des Herrschers leichterzürnter Seele zeugt.
Gestampf der Roß' und Stimmenlaut! Sie sinds, sie nahn!
Er tritt zur Seite.
Peter der Große. Katharina. Gordon. Mons de la Croix. Gefolge.
PETER.
Ermüdet hat mich unser Ritt; gefällt es dir,
So gehn wir eine Strecke.
Zum Gefolge.
Nur des Wegs voran!
Und harrt am Wald, der Petersburgs Weichbild begrenzt.
Das Gefolge ab.
KATHARINA
sich umschauend.
Aus dürrem Erdreich keimt empor die Distel hier,
[506] Unheimlich schwingend blaß-gefärbter Dolden Haupt;
Der Ort ist öde, Siedler sind wohl Fuchs und Wolf.
Da hinten steigen schwere Dämpfe, lagern sich,
Die niedre Sphäre deckend zu des Horizonts.
Wo sind wir? Grell im gelben Licht scheint alt Gemäu'r
Zerborsten, fahl, ruinenhaft von jener Höh'.
GORDON.
Die Trümmer auf dem Birkenhügel, Zarin, sind
Was übrig ist verblieben von dem Ehrenschloß
Des Helden Alexander, (Newsky zubenannt,)
Dem steten Denkmal seines Sieges, nah dem Strom.
Aufsteigen siehst du Dämpfe des Ladogasees,
Der vielen russischen Heiden eine liegt vor uns.
KATHARINA.
Urbargemachtes preise, wem der Boden fehlt!
Die Steppe zeigt der Landesfülle Überfluß.
Daß unsre Seen dampfen, nenn' ich Schicklichkeit,
Weihrauch aus solchen Schalen nur geziemt dem Zar.
Zertrümmert' Alexanders newanaher Bau,
Bau'n wir ein Denkmal, weiter nach Finnlands Gesümpf!
PETER.
Für heut indessen schlafen wir in Petersburg. –
Gordon, ich seh' den Haufen dichtgereiht am Weg,
Von jedem Alter, Kinder, Knaben, Weib und Mann.
Es scheint, die Heimkehr ward dem Volke kund; sie woll'n
Mir lärmenden Geschreies Willkommgrüße weihn.
Bedeut die Menschen! Ferne mir den lauten Kreis!
Die Jugend ist vorüber, wo das Herz erschwoll,
Wenn jauchzend sich auf meinen Pfad die Menge goß,
Wie um den Pfleger munter tanzt der Bienen Stock.
Für sie zu leben, sterben, heischt mein Königseid,
Doch ihren Dank kann ich entbehren.
DER SPÄHER
vortretend.
Sende nicht,
[507] Entsende nicht den Boten, groß dich täuschend, Herr,
Zum bösen Pöbel, seelenlos gleich trägem Kot.
Entgegen hält er deiner Liebe heil'gem Pfeil
Den Schild, den siebenhäut'gen. Unter dem bespricht
Er seine Feindschaft. Gruß zu meiden, wallen sie
Abwärts hinweg vor deinem Mahn. Eudoxia,
Die stets bereite Zeugerin des Übels sprach,
Sie aber sogen gierig ein der Rede Gift.
Dies zeigt ein guter Untertan pflichtschuldig an.
PETER.
Was sagte jene?
SPÄHER.
Greuliches Verderben rief
Sie schäumend aus; des Herrschers und der Seinen Sturz.
PETER.
Vernahm das Volk sie gläubig?
SPÄHER.
Leid der Hohen trifft
Ein offnes Ohr der Niedern.
PETER.
Spricht sie öfters so?
SPÄHER.
Wo Deiner Hasser etliche zusammenstehn.
KATHARINA.
Wohnt dieser Wahnwitz hier im Frei'n bei Gras und Laub?
SPÄHER.
In jenem alten weißbemoosten Trümmerbau
Dort ist ihr Horst, seitdem sie schlechtvergoltne Gunst
Des Herrn entließ aus Schlüsselburgs gestrenger Haft.
[508]KATHARINA.
Und geht das Raubtier täglich vor aus seiner Kluft?
SPÄHER.
So lang der Tag dau'rt, ruht sie stumm in jenem Schutt,
Unnahbar, Eule bei den Eulen, Staub im Staub,
Zerstörte mit Zerstörtem, Blind' in Dunkelheit.
Doch wenn des Abends feuchter Duft Nachtvögel weckt,
Verläßt auch sie gedehnten Schritts die öde Burg,
Und diese Heid' ummessend sacht, langsamen Gangs,
Wie kettenziehnd der Kund'ge mißt Landeigentum,
So markt sie murmelnd ihres Zorns Grundstück sich ab.
Querdurch dann schneidend die Gelände, steht sie lang
Gereckten Arms, bildsäulenstarr, o Königspaar
Auf deinem Platz, wo ihres Ackers Mittelpunkt.
Da streut sie bittern Fluches Unglücksamen aus,
Drauf kehrt erleichterten Mutes sie zum nächt'gen Schloß,
Und morgen wiederholet sich, was heut geschah.
KATHARINA.
Was regte dieses Greuels Wut so heftig auf?
Späher Ihr streng Geschick, bereitet durch Gerechtigkeit.
KATHARINA.
Prophetensprüch' enthallen ihrem Mund?
SPÄHER.
Vergib
Des Aberwitzes fälschliches Bezeichnen mir!
PETER.
Genug; im Palast künde deinen Namen. Geh!
Der Späher ab.
Drei Rosse laß, Gordon, sofort vorführen.
Gordon ab.
[509]KATHARINA.
Mons!
Mons tritt zu ihr.
Verfüge dich zur wüsten Trümmer-Klausnerin!
Sag, wer dich sende, sprich sodann: Von ihrer Kunst
Sei viel des Rühmens mir gemacht. Die ganze Zeit
Wohl durchzuforschen, habe sie auch Zeit genug.
Des Hortes Scherflein nur begehr' ich; nur des Tags,
Nur meines morgenden nächsten Tags Ereignisse.
Gold leg' in der Klikusche Hand! Denn nicht umsonst,
Nein, von den Kunden bar bezahlt, spricht das Gewerb.
Für einer Zarin hohe Stellung ungeschickt,
Mag diesem Handwerk besser eignen ihr Verstand.
Mons de la Croix ab.
Peter. Katharina.
PETER.
Warum der schon Gebeugten noch des Hohnes Schlag?
KATHARINA.
Von jedem, was darbringt das Land an Früchten, fall'n
Dem Herrn, der Herrin Zinsen. Feld und Herde zinst,
Bergwerke, Jagden, Handels Vorteil, Reederei:
Zinsbar ist alles der alles schützenden Gewalt.
Und ich enthöbe diesem Boden nicht das Recht?
Er trägt, vernahmst du, seltne Saat der Weissagung.
Befreiungen sind unerlaubt; ich zehnt' ihn ab
In dem, was außer Disteln hier allein gedeiht.
PETER.
An dem Verfalltag gehen erst, Katharina, Zins
Und Zehnten ein!
KATHARINA.
Mir stände dieser Tag noch aus?
Ernstfragend ruht dein Blick auf mir, doch ich vermag
[510] Antwort zu geben. In der Öde wildem Graun, –
Und nahe krächzt der Hasserin giftsprühnder Mund –
Hier wag' ich's dir zu sagen: ja, ich fühle mich
Nun ebenbürtig, Gleiche Gleichem zugesellt!
Denn hin nach Moskau führtest du die Zitternde,
Die Unerschrockne, Tapfre hast du heimgebracht.
Der Traum gerann zu goldgediegner Wirklichkeit,
Ich wurde heilig, unverletzlich! Selber du
Hast deine Macht an mir verloren. Diese Stirn
Umschloß der Reifen, der ewiglich-beschirmende,
Den Kaisertöchter aus Byzanz fruchtlos gewünscht!
Von beiden Schultern rauschend wogte Purpursamt,
Salböl empfing ich auf der angstgenes 'nen Brust,
Dem Strom des Wandelbaren weiß ich mich enttaucht!
PETER.
Du seiest schon Regentin, nicht, das meinest du?
KATHARINA.
Die Untertanin, mein' ich, ward niemals gekrönt.
PETER.
Metall ist Zeichen, ich vergabt' es, halt' es fest!
Hand nimmt, was Hand gegeben hat, wohl nur geliehn.
Die Frau, die mir zur Seite sitzet, muß doch auch
Des Platzes wert gezieret sein. Verstehst du mich?
Aus Güte Schwachheit folgern ist der Toren Schluß.
Ich will dich nicht erschrecken! Hoffnung bleibe dir.
Mag sein, der Vorsatz, schattengleich in mir gekeimt,
Da meines armen Sohnes böse Stunde schlug,
Wächst, reift zum Licht! Für jetzt indessen, fasse dies:
Ist deiner Moskau-Krone dich berauschend Erz
Zierat und Schmuck; und wird sie jemals mehr, sie wird's
Nur für die mäß'ge, stillgeduld'ge Wärterin.
Denn, meine Gute, ird'scher Ding' Ausbruch und Kern
[511] Erwirbt der Mensch tiefschweigend nur. Stumm reißt der Heu'r
Vom Ort den Demant; heimlich klopft von tiefer Bank
Die Perl' der Fischer. Kommt man leergeschwätzig wohl,
Auf breitem Heerweg, schlenderhaft, ins Schatzgewölb,
Zum Schrein der Reichskleinodien? Weise grub den Gang
Der sinngewalt'ge Meister in Verborgenheit.
Leis taste durch das Dunkel dich! Bescheiden poch'!
Dem Ernste tut der ernste Hüter auf die Tür.
Mons de la Croix tritt auf, verstört.
KATHARINA.
Zurück? – Wir wurden eben streng vom Zar belehrt,
Wir sei 'n das große flitterputzbehängte Kind.
Sonach gebeut er selber uns die Albernheit!
Mons, deine Schicksalskunde! Sprich! Wie bildeten
Sich meines Tags Gestalten ab im Tassensatz?
MONS.
Erforsche nicht, was ich gehört! Das Siegel laß
Auf meinem Mund!
KATHARINA.
Verderben war's, was sie gesagt?
Du zahltest wohl der Gierigen zu kleinen Preis?
MONS.
Furchtbaren Preis bezahlest du! Er wird dich mehr
Als eine Träne kosten!
KATHARINA.
So erschrecklich klang's?
[512] Die Tapferkeit, wenn Männer beben, flieht zur Frau.
Mein großes Leid erfahren will ich alsobald!
PETER.
Das ist des frevelhaften Spiels Bezauberung.
Mit Unvernünftigem zu scherzen wähnt der Mensch,
Geringe scheint's. Doch angerufen kaum, beherrscht
Dich schon der Dämon, welchem wir die Augen soll'n
Durchaus verschließen, oder zum gerechten Kampf
Bereit, entgegen in der Tugend Mute stehn.
Zuckt nicht die Lippe heiß und rot, sehnsüchtig dir?
Fliegt nicht die Brust, vom Wunsch emporgestürmt? Es ward
Etwas getrieben, welches ich verböte, war's
Zu hindern noch. Jetzt werde dieses Hirngespinst
Sofort hinausgeschüttet in die heil'ge Luft,
Die alle Dünste lösend tilgt! – Was trug sich zu?
MONS.
Aufriegelst du die armen Lippen mächtiglich,
Die gern verschlossen blieben, weil beizeiten doch
Sie ein sich üben müssen, immer so zu sein!
Ich könnte, raunt ein Ahnen deutlich-flüsternd zu,
Unsel'gen Ausgang wenden vom lebend'gen Haupt,
Wagt' ich, der erste, Widerstand; verbliebe stumm,
Und sprengte, mit verhängtem Zügel jagend, fort
Von der graunbeladnen Heide! Rastlos, bis das Roß
Am fernen Grenzstein unter mir zusammenbräch'.
Dort läg' ich matt, gerettet; litte, lebte doch.
Allein zur Feigheit nicht erzog mich hohes Glück;
Zu handeln, wie sie mögen, ist der Kön'ge Macht,
Des Dieners Ehr' ist duldende Gelassenheit
Und adlich-festes Schweigen.
KATHARINA.
Eines Dieners Pflicht
Ist, seinen Dienst ausüben. Den versäumest du.
[513] Nach deinem Tranke lechz' ich, Mons! Reich mir den Trank!
PETER.
Welch' Los ersann der Kranken nächstem Tag die Frau?
MONS.
Viel Glück! Erfüllung innerlichst genährtem Wunsch:
»Sie sei zu morgen ausgerufne Kaiserin.«
KATHARINA.
Und das war unheilvolle Kunde dir, o Mons?
Mons Ich meldete, was dich betrifft.
PETER.
Und mich zugleich.
Sie prophezeite mir den Tod. Weshalb die Furcht?
MONS.
Vom Tode war die Rede. Zu der Furcht ist Grund.
PETER.
Bestraft' ich jemals eines Dritten Fehl an dir?
KATHARINA.
Erhole dich, du Weichlicher!
MONS.
Hinweg! Wer gibt
Mir meiner Unschuld süßen Jugendhauch zurück?
PETER.
Was sagt er?
KATHARINA.
Unverständliches.
[514]PETER.
Das gebe Gott!
KATHARINA.
Wie Herr?
PETER.
Daß dieses Knaben Schreck und Seufzerlaut
Dir unverständlich seien!
KATHARINA.
Lachen muß ich nur!
Ist Kahleres wohl auszusinnen? Wer behend
Wahrsagen will, erfinde doch Wahrscheinliches.
Vor meiner gründlich-eingeschärften Nichtigkeit
Stehst du gesund, kraftstrotzend ...
PETER.
Ach!
KATHARINA.
Hast du geseufzt?
PETER.
Ich seufzte nicht.
KATHARINA.
Es kam mir vor, als seufztest du,
Da deiner kräftigen Gesundheit ich erwähnt.
PETER.
Du irrst.
GORDON
zurückkommend.
Die Rosse stehen an des Waldes Rand.
PETER
zu Katharinen.
So reise denn nach Petersburg; erwart mich nicht
Heut abend, ich hab' außerhalb Geschäfte noch.
[515]KATHARINA.
Ich scheid' in Demut. Tiefgesenkten Nackens fleht
Zurechtgewies'ner Übermut: Vergiß ihn, Herr!
Den breiten Heerweg, unersprießlich, wie du sagst,
Meid' ich hinfort. Den angerühmten dunkeln Gang
Soll emsig suchen meine schwache Fähigkeit.
Zu Mons.
Du aber ruf' in dir beherzt dein Leben wach!
Als Führer, als Begleiter wardst du angestellt.
Hoch über schmaler Brücken Steg, Abgründen dicht
Vorüber windet sich der Pfad, nachteingehüllt.
Auf wessen Arm die Fürstin dort sich lehnen muß,
Der stehe fest! Den Schwindel bann er weit hinweg!
Katharina und Mons ab.
Peter und Gordon.
PETER.
Verkehrte Sterne lenken meinen Fuß und Arm,
Gewaltsamkeiten auszuüben gegen Sinn
Und eigne Neigung, schlechterfreut von herbem Zwang.
Eudoxiens dacht' ich sonder Regung. »Abgetan
Ist diese mindestens!« sprach ich froh. Doch weit gefehlt,
Sie drängt heran sich, nötigend.
GORDON.
Weshalb verblieb
Unschädlich nicht die Heftige zu Schlüsselburg?
PETER.
Auftritte wurden mir berichtet, schlimmster Art,
Gehemmter in sich abgesperrter Tobewut
Verzuckungen. Das Mitgefühl erweichte mich,
Das kränklich, hoch von Kränklichen gepriesen, wirkt,
Daß keines Lebens reine Vollgestalt erblüh'.
Selbst leidend, dacht' ich ihrer Leiden, ordnete:
[516] Entlassen dürfe wandern sie, gemäß dem Wunsch.
Nun dankt sie mir mit Flüchen, pflanzt den Gärekeim
Den Seelen vieler Menschen ein. Sie wagt sich frech
Selbst an die Gattin, dreistversuchend. – Volksbeschrein,
Und schlaffe Zügel, erfreulich Willkürdürstenden! –
Schlau mischt sie unsrer alten Zwietracht Stoffe, rührt
Im Hexentopfe durcheinander ihr Gebräu.
Ich fürchte, Gordon, nachgeboren aus dem Blut
Der toten Feinde, zieht bereits ein frisches Heer
Gerüstet auf zum Streite! Marsch und Kampfsignal
Erklinget aus der Seherin Drommetenton!
Ihr Schmettern hemm' ich.
GORDON.
Stirbt sie, Herr?
PETER.
Ich hoffe: Nein.
Dem Licht jedoch, dem zeig' ich sie, dem Tageslicht.
An meinen Tag gebietend zwing' den Drachen ich!
Einöden sind es, die das Einhorn auferziehn,
Den Greif, das Pferd mit Flügeln! Jeder Geist, beglänzt
Vom Sonnenscheine, wirft den Schatten. Angeschaut
In nüchterner Gesellen Kreise, schrumpft Alraun
Zur Wurzel ein; Lindwürmer werden Schlängelchen.
In Petersburg ist viel Geräusch der Tätigkeit,
Das überhallt wohl müßiges Prophetenwort,
Da rechnet, zählet, mißt man. Bald ergründet ist
Von meinen Mathematikern auch das Problem.
Und weil die Straßen breitgebaut und grade sind,
Gebricht der Winkel, der des Rufes Echo weckt.
GORDON.
Du willst nach Petersburg sie führen?
[517]PETER.
Allerdings.
Deshalb bestellt' ich Rosse. Nun, mein treuer Mann,
Gebrauch' ich deiner Hülfe. Geh, eröffne du
Ihr meines Willens unabänderlichen Schluß.
Nichts sinn' ich ihr mit rechtem Grunde Kränkendes;
Das Haus laß' ich ihr rüsten dort, bequem und still
Entlegen, daß die Neubegier sie nicht verletzt.
Aufsicht verordn' ich, sanfte, ziemliche; Gewalt
Sei ferne, wenn bescheiden sie zu leben weiß.
Dies gib, in strenggemeßner Weise redend, kund,
Befehlend, wie dem Boten deines Herrschers ziemt,
Vor Härte brauch' ich nicht zu warnen, dich, den Greis.
Hier will ich deiner, ihrer harren; bring sie schnell.
GORDON.
Laß ungestört die Leidige.
PETER.
Wie gern geschäh's!
Und möchte nur die Eumenid' im düstern Hain
Für sich erheben jeden schärfsten Fluchgesang!
Denn ihren Segen wahrlich hab' ich nicht verdient.
Sie aber strebt in mein Gebiet. Mit Taumeltrank
Erregt sie frische Kräfte jenem Ungetüm:
Dem dummen, dumpfen, träggewalt'gen Widerstand.
Und weil auf Erden ihre Schlacht verloren ging,
Bewaffnete die Hölle sie. Leichtsinnig säh'
Ich solchem Treiben, duldend zu? Ich warf der Pest
Des eignen Sohnes Leiche hemmend in den Weg,
Und nun ließ' ich sie rasen?
GORDON.
Jüngst erzählte mir
Der Fremde, der das Land besucht, die Wundermär.
Ein Ritter, stolz und tapfer ohnegleichen, stritt
Mit einem zauberkund'gen Feinde, der sich bald
[518] Zum Bären wandelte, Löwe dann, drauf Tiger ward.
Den Bären, Löwen, Tiger schlug des Ritters Schwert.
Als unbedeutend-kleines Mäuschen schlüpft zuletzt
Ermattet schon, der Gegner in der Höhle Spalt,
Klaglaut erhebend, angstgequält. Der Ritter dringt
Nach in die Zuflucht, seines Feindes äußerste.
PETER.
Du bleibst den Schluß mir schuldig.
GORDON.
Schenk ihm Glauben, Herr!
Am andern Morgen fanden sie den Sieger tot,
Zwar unverwundet, doch entstellten Angesichts,
Die edlen Züge ganz verzerrt vom letzten Schreck.
PETER.
Was tötete den Ritter?
GORDON.
Das erfuhr man nicht.
Er hat vermutlich Grauseres, als Bär und Löw'
Und Tiger in des Flüchtigen Versteck gesehn.
PETER.
Phantome trägt der warme Schoß des Märchens aus!
Ich bin der späten Zeiten kalter Paladin.
GORDON.
Schick mich in des Phantomes Höhle nicht zur Nacht!
PETER.
Das Fieber hätt' ich nimmermehr in dir gesucht.
GORDON.
Ja, ich begreif es, sonderbar erschein ich dir.
[519]PETER.
So schwärmt in einem Punkte selbst der Tüchtigste.
GORDON.
Wie fest umstrickt uns frühster Jahr' Erinnerung.
PETER.
Mit Worten spüle diesen Kindertraum hinweg.
GORDON.
Den Kindertraum! – Schottland erzeugt in jedem Clan ...
PETER.
Propheten? Wohlfeil ist sonach Weisheit bei Euch.
GORDON.
Die Menschen, die behaftet sind mit second sight.
PETER.
Dem angebornen Übel! Sie war frei davon.
GORDON.
Auch Jammer treibt die Seelen aus des Fleisches Eng'.
PETER.
Fünf Sinne fassen, was hienieden faßlich ist.
GORDON.
Unermeßlich furchtbar wächst die Kraft Verzweifelnder!
PETER.
Und welche Tiefen schauet der Erhöhten Schwung?
GORDON.
Der Welt betünchte Risse.
PETER.
Was erblicken wir?
[520]GORDON.
Firnis des Hoffens, Wünschens, eitler Täuschungen.
PETER.
So schreit in jener Klause du sorglosen Muts!
Denn ich bin ohne Wunsch und Hoffnung, längst enttäuscht.
Mithin der Wahrheit weiß ich wohl so viel, als sie.
Wenn unsichtbar-geheime Hände stellten, Freund,
Die Zeiger unsres Zifferblatts, so wäre meins
Der Ehre wert gewesen! Aber nie erfuhr
Ich andres als Gemeines, Leichtbegreifliches.
Sonst galt dir meine Rede was. Vernimm: Dies ist
Nur Lug, so wahr du deines Vaters Namen trägst.
GORDON.
Ich bin ein Waisenfindelkind, ich kenn' ihn nicht.
PETER.
Es braucht ja auch ein klarer Satz Beteuerns nicht.
Dich überzeugen könnt' ich gleich. Eudoxia
Weissagte jetzo, kurz zuvor, was nicht geschieht,
Weil grade damals, grad' im selb'gen Augenblick
In tiefster Brust ich dessen Gegenteil verfügt.
GORDON.
Gehorche dir Verfügendem die Zeit, wie ich!
Gordon ab.
Es ist Nacht geworden.
PETER
allein.
Herzklopfend schreitet er von hinnen. Glücklicher,
Dem diese bangen Schläge noch der Dinge Puls
Trostreich verbürgen! Bebend jetzt, beruhigt dann,
Mit neuer Lieb' umklammert dein Gemüt die Welt.
Verstehst du mich? Verstehst du den, Frohmütiger,
Des Seele nachtfroststarrer Eisesspiegel ward?
[521] Denn der Erwartung Mut verlor ich! Ungestalt,
Schwer, massenhaft, wie grauer Vorwelt Urgebirg,
Bedeckt Erfüllung meines Geistes dunkeln Grund.
Und, Sterne, unter eurem reichen Lichte sitzt
Er setzt sich auf einen Stein.
Der weiten Länderstrecken allerärmster Mann!
Ich tat das Unnatürliche, des Lebens Schein
Der Mißgeburt zu geben. Mich bedünkt, es sei
Der Ruhm, die Größe, wie die Macht zu Land und Meer,
Als deren Schöpfer mich der Menschen Zunge nennt,
Auch durch Mechanik zu erhalten, Druck und Stoß,
Durch Wasser, Feu'r. Und solches hab' ich eingetauscht
Für das, wornach in seinem Himmel selbst ein Gott
Sich einst gesehnt: Gefühl des Vaters! Ich verließ
Das Menschliche, nun leid' ich Übermenschliches.
Ja, auch des letzten Trostes letzter Schimmer schwand!
Durch meinen Winter flog es, wie der Sonnenstrahl
Im Januar; sie dürfe mich beerben. Mild
Im schrofferbauten finstern Hause zünde sie
Des Herdes schöne, sitt'ge Gluten mütterlich.
Katharina, Peter! Dieser Namen Bund verglich
Des schweren Daseins tiefempfundnen Widerstreit;
Ach, immer, was mir mangelte; begriff ich's nicht?
Jetzt sollte sie die Königsprobe wohl bestehn
Im Dom zu Moskau. Wehe mir! Erlegen ist
Die Schülerin. Der Scheitelpunkt des Glückes trifft
In Würd'gen würdiges Bewußtsein. Ruhig nimmt
Ein edler Mensch, wovon er denkt: Du hast's verdient;
Und wahren Fürsten deucht der Purpur schauerlich.
Sie aber prunkt und spreizet sich. Der Zofe gleich,
Begeistert vom geschenkten Kleide! Da erscheint
Verdorbnes Wesen, niedrer Herkunft Sinnesart!
In solchen Stunden bricht hervor das Innerste;
Die andern prüf' am allgewohnten Lauf des Tags,
Denn ihre Pflicht ist Tageswerk, gewöhnliches;
Am Ungemeinen aber miß den Herrscher ab,
[522] Da er im Guten, Schlimmen, Ungeheuerstes
Ertragen muß. Irrtum verlaß mich, freundlicher!
Nie wird sie Rußlands ausgerufne Kaiserin. –
Fühlloser Stein, in deine Fasern graben sich
Die Finger ein! Dir sagt mit wildem, wundem Druck
Sein ganz Geheimnis schweigend ein zerstörter Greis.
Hier unbehorcht, erleichtre dich im Klagelaut,
Natur! O mein zerrißner, schmerzdurchwühlter Leib!
Ach! Ach! Ward eines Feuerberges Lavastrom
Ich mich verlegt, darin zu kühlen? – Doch es naht.
Nun wickle dich in deine Leiden! Ruhe groß
Auf großem Elend, todesheiter, stillgefaßt!
GORDON
tritt wieder auf.
Gordon War es hier? Schau ich den Kaiser?
PETER.
Auf dem Steine ruht er aus.
Widerstrebte sie?
GORDON.
Sie folgt mir. Was du wolltest, wird geschehn.
PETER.
Mich erfreut, daß sie gehorsamt.
GORDON.
Meinst du, daß sie dir gehorcht?
PETER.
Sagtest ja, sie komme willig.
GORDON.
Von dem eignen Geist geführt.
[523]PETER.
Endlich müde dieser Reden bin ich, Gordon, wisse das!
GORDON.
Wisse du, daß mir erspart ward, ihr zu bringen dein Geheiß.
PETER.
Trafst du schon sie unterweges?
GORDON.
Nein, jedoch in ihrem Haus
Harrte sie des Boten sehnlichst.
PETER.
Dessen Auftrag nur gehört
Dieser Öde tauber Flugsand?
GORDON.
Frage sie, wer ihr's verriet.
Melden meiner Sinne Zeugnis, das vermag ich.
PETER.
Leg es ab.
GORDON.
Durch des Vorhofs Schutt gestiegen, trat ich in der Pforte Rahm',
Ihres Dienstes quitt, vereinsamt, stand sie schwarz im Mondenlicht;
Und daneben über Steine von zerfallner Mauern Ring
Schlüpft' emporgescheuchtes Hochwild, ungehemmt, das sich geatzt
An der Kräuter wildentsproßnem, grünem Wucherüberfluß.
Vor mir sah ich vielgestalt'ger Bauzerstörung schnödes Bild,
Aus dem Gras, hoch über Mannsläng', balkenstarrendes Gewirr,
[524] Pfeilerschäft' und eingesunkner Giebeldächer Sparrenwerk.
Gegenüber aus dem Wandstück, stehngeblieben, aber flammt'
Einzeln, trüberhellt ein Fenster! – Nun, zusammen mich gerafft,
Auf des Wilds getretnem Pfade schritt ich vorwärts, Schwert im Arm,
Und ich tastet', und ich tappte zwischen Gruben, halbbedeckt,
Brunnen, Farnkraut-überwachs'nen, strauchelnd nach dem schlimmen Ziel.
An der Wendeltrepp' hinaufwärts schwang ich mich zur Flügeltür,
Und ich horcht', anziehnd den Atem. Drinnen sprach es rauh und tief:
»Rasch die goldnen Schuhe reich mir! Vor der Türe lauscht der Mann,
Mädchen, welcher kommt zu führen uns zum Zar nach Petersburg.«
Auf, Entsetzen im Gemüte, riß der Pforte Wucht ich schnell:
»Harre nur ein wen'ges« – rief sie – »gleich bereit bin ich zu gehn!«
Schreckgefesselt fand ich, schauend, in der Hand der Klinke Griff.
Auf der Truh', der offnen, Erzrand setzte sie gehobnen Fuß,
Und ihr Mädchen band der Goldschuh kunstgewirkte Bänder fest.
»Jetzt den Mantel!« rief sie. Mühsam, an den Zipfeln schwer, gefaßt,
Hob den schmelzbeblümten Mantel aus der Truh' die Dirn' empor,
Über Leibrock, Mieder warf sie bauschig seine bunte Last,
Und in Falten, steifgebrochnen, wallt' er um die Schreckliche,
[525] Welche drauf, mir zugekehret, hohlen Stimmlauts also sprach:
»Fort! Zu melden mich dem Zaren! Nur die Binde fehlet noch.
Eh' du ausgeredet, naht ihm festgeschmückt die Priesterin.«
Und hinab die Stiege schritt ich, fürchtend, rückwärts, daß nicht Graun
Schwindelnd mich ergriff' und stürzte, wendet' ich den Nacken ab.
Jene legte nun die Binde, schimmernd, um die hagre Stirn ...
Eudoxia tritt auf in Goldschuhn, Mantel, mit einer Stirnbinde. Das junge Mädchen mit der Fackel vor ihr her.
Nicht betrogen hat dich Irrsinn; sieh sie selber, wie sie ist!
Zornig sind die dunklen Wächter vor der Schmerzen Heiligtum,
Bitter rächen sie den Einbruch, geh' vorüber, da ist Gott!
Diese wird zu feiern wissen, Feste, die sie sich ersann!
PETER.
Soll Verkleidung mich besiegen? Her die Roß'! Es wird gereist.
Gordon ab.
Eudoxia. Peter.
EUDOXIA.
Hier steht, die du riefst.
PETER.
Folgsam; das ist gut.
[526]EUDOXIA.
Heut sehn wir uns wieder, o Zar.
PETER.
Spät lernst du, indessen beizeiten doch stets gleichmütigen Sinnes Geduld.
Widerstreben dem Herrn, fruchtloses Bemühn! Lang hättst du ein mäßiges Glück,
Wär' entschritten gezogenem Kreise nicht kühn Mannweiblich der irrende Fuß.
Aber nun wird der Rest der beschiedenen Zeit dir verfließen in ruhigem Strom,
Heilsames vergessend-vergessenes Sein, friedbringendes Dunkel ist nah.
O Eudoxia, welchen die eiserne Pflicht in der Erde Geschäfte nicht stößt,
Der halte sich fern der unseligen Ding' gramtriefendenem Greuelgemisch!
EUDOXIA.
Weisheit spar auf; noch ist nötig sie nicht. Bald, bald wird sie nützlicher sein!
PETER.
Wem?
EUDOXIA.
Dir!
PETER.
Warum mir?
EUDOXIA.
Wenn zerschmetterten Haupts
auf dem Altar der Heide du liegst.
PETER.
Schon ertrug ich's zu lang'. Nun herunter die Schuh' und den Mantel, das flitternde Band!
[527]EUDOXIA.
Für den Dienst aufschmückt' ich mir Busen und Leib.
PETER.
Armseliges Larvengeschwätz!
EUDOXIA
murmelnd.
O du in des Lebens erborgeter Larv' einherstolzierender Tod!
PETER.
Nicht murmle du leis!
EUDOXIA.
Noch verspar' ich die Lust!
PETER.
Sprich laut!
EUDOXIA.
Noch kost' ich an dir,
Vorschmeckende Süß'! An des Wartens geheimdurchdringender lieblicher Qual!
PETER.
Herstarrt sie nach mir, doch sie höret mich nicht.
Nun gehorch', ablege den Pomp!
EUDOXIA.
Siegjauchzende Freude, den schwächlichen Sprung des bezeichneten Opfers zu schaun!
PETER.
Ich befehle dein Unsinn: Schweige! Dir na des Verstandes gebietender Tag!
Er nähert sich ihr, tritt aber betroffen zurück.
EUDOXIA.
So erhebe dich tapfre urewige Nacht! So erhebe zum Kampfe den Schild!
Warum weichst du zurück?
[528]PETER.
Wen erblick' ich?
EUDOXIA.
Nun mich.
PETER.
O der kläglichen Jammergestalt!
Bist du es? Ist sie das entfleischte Gebild in der Fackel verratendem Glanz?
Wo blieb der Glieder gerundete Fülle?
EUDOXIA.
Du weißt es.
PETER.
Die Augen, o Weib?
EUDOXIA.
Das weißt du ja auch. Müd waren sie schon; als dem Sohne den Trank du gereicht,
Da entfloß den erschöpften Brunnen die Seh'.
PETER.
Weib, liebtest du ihn?
EUDOXIA.
Ja, im Tod.
PETER.
Sie ist blind!
EUDOXIA.
Nein, sie sieht.
PETER.
Kehr heim!
EUDOXIA.
Nein, sie folgt.
[529]PETER.
Vor dem Äußersten tret' ich zurück.
EUDOXIA.
Doch das Äußerste tritt haarsträubend anjetzt, zum Vernichten gerüstet, dir nah!
Sie naht ihm.
Bin die Bettlerin ich, die du rufest und schickst, wie der wechselnden Laune behagt?
Mitgift hab' ich einst dir gebracht in das Haus, Mitgift bring' heut' ich dir zu.
Als wir beide gekniet, hob Mutter das Brot, hob Vater das Heiligenbild
Ob der Betenden Haupt; daß gedeihe der Schatz in dem gütervermehrenden Bund;
Und gewirkt hat der Segen! Ich zeig' es dir heut. Nur herauf! Aus der Tiefe herauf,
Großmächtiger Gaben gesammelte Last, Prachtherrliche, würdig des Manns!
PETER.
Wahnwitzige!
EUDOXIA.
Wandelnde Leiche!
PETER.
Ha, wie?
EUDOXIA.
Jetzt lös' ich die Schnüre vom Gut! –
Was die Diener nicht wissen, dem Arzte verschweigt, und der Kebse der zuckende Mund,
Das erfährt das zerknitterte Kissen, der Pfühl, und das ruhlose Schlummergemach.
Er ist krank! Es zerfrißt ihn der Qualen Gebiß! Mich bestraf' um die Lüge der Zar!
[530]PETER.
Den Verrückten beschert es der Gott! – Doch ich ring', und die Mitgift wäg' ich noch auf!
Nur das Übel erblicket der Bettlerin Geist, nicht die Kraft, die das Übel verhüllt.
EUDOXIA.
Aufdrehn sich die Flügel des Kirchengewölbs, und sie suchen die Stelle zum Sarg.
Eh' das Aug' er geschlossen, bestaudete sich neusprossend, Bojaren-Gewächs.
Sein Will' ist ein Nichts, sein Streben ein Spott; Er aber erfährt es, vernimmt's.
Nach der Buhlschaft Schmach, nach der Günstlinge Trotz, nach der Räuber verprassendem Mut,
Mord, Mord an dem Kind, an dem Gatten der Mord, Mord, Mord an dem Vater zuletzt!
Es genüget der hungrigen Sünde nicht mehr, weit gähnt der verschlingende Mund!
Sie zerstücken der Völker lebendigen Leib, Rührung in dem schwimmenden Aug',
Denn der Falschheit süßliches Grinsen bedeckt's, wie der Schlange gesprenkelte Haut,
Großmut wird geheißen, den blutenden Freund ausplündern zu helfen dem Feind.
Überwältigend drängt sich Gesicht an Gesicht! Lahm werden die Schwingen des Worts,
Mein Stammeln erreichet Unendliches nicht; mich bestraf' um die Lüge der Zar!
PETER.
Sie strafe die Zeit! Doch erfüllte sich's ganz, ja, erfüllte sich rasender Fluch,
Mit Gemeinspruch kauft den dürftigen aus der vertrauende Glaube des Manns.
Was die Tier' aufbauen, erreichet den Zweck, und das meinige wäre nur Traum?
Ich bin, ich war! Darum werde ich sein bei dem Meinen. Ich segne das Land,
[531] Ich segne die Halmen des Feldes, den Wald! Ich segne die Bäche, den Strom!
Ich segne die Häuser im Dorf, in der Stadt! Ich segne der Mutter Geburt!
Zu beständiger Wohlfahrt segnet dich ein, Rußland, dein sterbender Held!
Er ergreift Eudoxien bei der Hand.
Folg!
Sie sieht starr in die Weite.
EUDOXIA.
Stören wir nicht!
PETER.
Wohin starrt sie denn nun?
EUDOXIA.
Ei, wir halten die Finger uns vor!
Grausam, aus der Lieb' einlullendem Rausch dem Verderber ins Antlitz zu sehn!
PETER.
Rausch? Liebe?
EUDOXIA.
Verhängt aber mindestens doch das geharnischte Bild am Kamin!
PETER.
Katharinens Gemach! Mein Bild!
Er schlägt die Hände vor das Gesicht.
EUDOXIA.
Wie sie küßt, wie den Knaben sie streichelt und herzt!
Ich verdenke dir diese Ergötzungen nicht; hat der Zar deine Art doch gekannt.
Stumm ruhet der Knab' an der Gütigen Brust, Liebkosen erwidert er nicht;
[532] »Ach Herrin, mir rufte den schleunigen Tod weissagend die Gräßliche zu.«
Mein Teurer vergiß es, du blühest so frisch! Sei ruhig, wir freuen uns beid'
In der Freiheit Rot auf des Leidigen Grab ...
PETER.
Gordon!
Er stürzt ohnmächtig nieder.
GORDON
eilt herbei.
Ist er tot?
Er kniet bei dem Hingesunkenen.
EUDOXIA.
Nun beginnt
Ausgang und vollendend Marter Triumph! Zählbar sind die Sprossen, hinab
In sibirischer Werke tief untersten Gang; unzählbar aber, o Mensch,
Ist der Stufen gehauene Meng' in des Leids Abgrund und ergiebigem Schacht.
Sie steht hinter der Gruppe.
Terrasse am Meere
Morgen.
Jaguschinsky. Ostermann.
OSTERMANN.
Nicht, Jaguschinsky, folge deines Grolls Gebot!
Dem Manne ziemt die mäßige Gleichgültigkeit.
Notwendig ist die Törin, schau gelassen zu.
[533]JAGUSCHINSKY.
Uns aber hält sie eben doch für nötig nicht.
Mit welcher künstlich-deutlichen Absichtlichkeit
Vermied sie unser Zwiegespräch! Dem stummen Blick
Ausweichend, und gewohnter Andeutungen Gruß,
Erheuchelt Fremdheit, sonderbare Kälte sie,
Seitdem in Moskau ihre Glieder eingehüllt
Die schimmernde Dalmatika. Die Miene sagt:
»Da bin ich! Weiter komm' ich auch wohl sonder Euch.«
OSTERMANN.
Sie läßt es merken, ist in unsrer Hand dadurch.
Wenn man mir schmeichelt, kann ich zittern; wagt der Stolz,
Entbehren mich zu wollen, bin ich hergestellt.
Mir wollt' er lügen, sich belügt er. Diese Frau
War lang, ich darf es nun gestehn, mir fürchterlich;
Stets blieb mir undurchdringbar ihre Schlauigkeit.
Wenn sie, das Aug' voll Tränen, flötenlispelnd sprach:
»Wie müßt' ich bangen, lehnt' ich mich auf Freunde nicht
Gleich dir und deinesgleichen – mich durchzuckt' ein Graun.«
Natürlich schien es, war's gewissermaßen auch;
Sie ist die Meisterin der Kunst, sie glaubt an sich.
Gefährlich sind die unbewußten Täuschenden!
Nun aber sieht des Geschlechtes Schwäche klar hervor,
Das feiner als wir Männer einzufädeln weiß,
Und durch den Aufzug sehr gewandt das Schiffchen wirft,
Doch vor dem fertigen Gespinst ratlos verstummt.
JAGUSCHINSKY.
Sie wird den Rat zu schaffen wissen! Schleichend wird
In dieses Herrschers Abendstunden unsre Macht
Sie untergraben; endlich wird geschehn, was längst
Mir jedes Morgens racherglühter Strahl gedräut.
[534] Wir werden fallen, Ostermann! Umsonst hast du
Vergebens haben unsres Innern Stiche wir
Hinabgekämpft, Blutschuld geladen auf das Haupt!
Ein drittes, jüngeres Geschlecht erzieht für sich
Die Falsche; Fremde raffen hin, was wir bezahlt.
OSTERMANN.
Heerführer ist der Lautenspieler Mons, nicht wahr?
Ich mag den Nebenbuhler dulden.
JAGUSCHINSKY.
Lebten wir
Im Stand der Ordnung, frei, berechtigt, wohlgeschützt
Von starker Satzung, Volksgefühl und stillem Brauch,
Dann ruhte, sich vertrauend, würd'ge Kräftigkeit.
Doch hier ist alles möglich. Ja das Törichtste
Erscheint mir als das Glaublichste! Das Ungefähr
Regiert, und dessen Scharfsinn ist bekannt genug.
Es schwand die Feste; wüst darüberhin erbraust
Meerflut, von Wracken einer frühern Zeit bedeckt,
Und unsrem Machwerk. Freundlich trägt die Welle Kork,
Das Gold, der Marmor sinkt zum Grund ...
OSTERMANN.
Sehr unverhofft
Ertönt der Freiheit Preisen mir aus deinem Mund.
JAGUSCHINSKY.
Ich preise nicht. Ich zeichne nur die Gegenwart.
OSTERMANN.
Die Not verdoppelt's, zeichnest du sie an die Wand.
JAGUSCHINSKY.
Zu wenden wäre diese Not mit rascher Tat.
[535]OSTERMANN.
Das, hoff' ich, hab' ich mißverstanden.
JAGUSCHINSKY.
Nicht so ganz.
Vernichtet, unterläßt sie, uns zu schädigen.
OSTERMANN.
Du willst sie stürzen, Jaguschinsky? Nimmermehr!
JAGUSCHINSKY.
In seine Seele werf' ich gleich den glüh'nden Brand.
OSTERMANN.
Unglücklicher! Verblendeter! Ahnt dein Gemüt
Die Folgen dieses Schrittes? Stürze sie, so fällt
Schwerpunkt und Gleichgewicht ins Leere! Unser Trost,
Ja unser einz'ges Hoffen ist das Schaumgeschöpf.
Vergaß'st du mancher Traulichkeit nachttiefen Schluß?
Nur unter solcher ungemein-gemeinen Frau
Enthüllen wir die Stirnen, sind die Waltenden.
Belehrt das Beispiel nimmer? Wollen wir durchaus
Nacheifern? Auch Bojaren sein? Vertilge sie!
Ersetzt der unsern einer jene Bäuerin?
Der Stoff, aus dem man Kön'ge wirkt, heißt der: Verdienst?
Dem Glück, dem Fremden, Neuen beugt Andacht-entzückt
Sein Knie der Mensch! Am liebsten völl'ger Nichtigkeit.
Darnach ist sie die Tüchtigste. Bereitet ward,
Wenn wir erhoben wider dieses Wahngebild
Unweise Hände, ein vom Feind Gefertigtes.
Repnin hat sich entschieden; nach der schwärmenden
Eudoxia lenkt er seiner Helfershelfer Sinn.
Verehren unser Wunder wir mit kluger Treu',
Gleich einem Talismanne, der, von schlechtem Holz,
Dem Gläub'gen dennoch sichert Heil und Wohlergehn!
[536]JAGUSCHINSKY.
Und ihren Listen bieten wir wehrlos die Brust?
OSTERMANN.
Mein Gleichnis wiederhol' ich von der Weberin.
Vor ihrem fertigen Gespinste steht sie dumpf,
Verwirrter sie zu machen sei mir liebe Pflicht!
Ich legte niemals klar zutage Strebemut,
Der Dunkelste wohl bin ich ihr. Ertönen laß'
Ich ihrer nunmehr ganz erstarkten Machtgewalt
Triumph und Ruhm! Drauf spend' ich süßen Lobesspruch:
Daß ihre Hoheit jetzo stolz entbehren kann
Die unentbehrlich, leeren Wähnens, sich geglaubt.
Die eigne Weise fortzusetzen rat' ich an.
Da wird sie staunen! Treulos sei der Schmeichelton,
Empfindet ihr Erschrecken. Grad' das Gegenteil
Beschließt sie nun; zu warten, nach der Frauen Art.
Indessen gehn die Zeiten, kommt der Tag heran,
Der auch des stärksten Lebens Kraft todatmend bricht,
Katharina, wartend aber hat die Tat versäumt!
Menzikof. Die Vorigen.
MENZIKOF.
So erfüll'n sich die Gerichte!
JAGUSCHINSKY.
Eifrig glüht des Fürsten Wang'!
OSTERMANN.
Welch ein wildes Lied! Die Ursach?
JAGUSCHINSKY.
Über wen erging Gericht?
[537]MENZIKOF.
Über ein verächtlich Spielwerk in der Undankbaren Hand.
OSTERMANN.
Ha, ich ahne deine Nachricht!
JAGUSCHINSKY.
Ich der Rache Sättigung.
Menzikof Hört des Schlosses neu Geheimnis, wißt das Ende jenes Mons.
Von der Heid' am See Ladoga, ließ der Zar die Zarin ziehn,
Sicher kam sie mit dem Knaben abends an im Sommerschloß.
Denn der Herr versprach zum Abschied, auszubleiben über Nacht.
Welche Dinge sich bis ein Uhr drauf begeben, hüllt die Nacht.
JAGUSCHINSKY.
Wie? Wo war er?
MENZIKOF.
Weiß es jemand?
OSTERMANN.
Weiter! Weiter! Dann um eins ...
MENZIKOF.
Plötzliches Gepolter! Repnin, der im Erdgeschosse schläft,
Fühlt sich heftig angerühret, fährt empor entsetzensvoll;
Schief den Hals gezogen, seitwärts, steht der Zar vor seinem Bett.
»Folg mir!« ruft der Krampfverzerrte. Zitternd folgt Repnin, er meint:
[538] Ihm bestimmt sei schwarz Verhängnis. Leuchtend schwankt der Zar voran;
Nach der Katharina Zimmern gehn sie schweigend. Sinnberaubt,
Ausgestreckt liegt Mons am Boden, seine Schwester jammert kniend.
Ernst, entblößten Schwertes Gordon! Finstrer Hüter steht er da.
Katharina sitzt im Lehnstuhl, blaß, doch scheinbar ganz gefaßt.
»Nimm ihn!« stöhnt mit wutbelegtem Laut der Herr. Aufraffend hebt
Repnin den, der schon ein Leichnam, schlaff die Glieder hängen läßt.
Drauf verläßt der Zug das Zimmer; nicht ein Wort sprach sie für ihn.
JAGUSCHINSKY.
Und wo ist er?
MENZIKOF
in die Ferne deutend.
Frag die Raben, die ob jenem Felde schrein.
OSTERMANN.
Katharina?
MENZIKOF.
Folgt vermutlich.
OSTERMANN.
Weh dem Zufall dieser Nacht!
JAGUSCHINSKY.
Mich bestürzt es. Arger Bildung zeigt sich, was ich selbst gewollt.
MENZIKOF.
Seid ihr Toren? Jauchzt und jubelt!
[539]OSTERMANN.
Wir erwägen mehr als du.
Theophanes. Die Vorigen.
THEOPHANES.
Pflegt ihr müß'ge Unterredung, wenn die Zukunft, segenschwer,
Seufzt nach euren kräft'gen Händen, quitt zu werden ihrer Frucht?
Fürsten ruft sie zum Gebärstuhl; hohe Ärzte, zögert nicht!
JAGUSCHINSKY.
Was bedeutet's?
THEOPHANES.
Ungeheures! Denn im Sterben liegt der Zar.
JAGUSCHINSKY.
Ha, im Sterben?
OSTERMANN.
Große Wendung!
MENZIKOF.
Sprich, im Sterben?
THEOPHANES.
Aufgezehrt.
Scheidend von dem Dochte hebt sich schon der Flamme letzt Geleucht.
MENZIKOF.
Und so plötzlich? Wer erklärt das?
THEOPHANES.
Nicht im Flug kam dies herbei;
[540] Lange nagt' ihn schwere Krankheit in des Lebens Marke matt,
Leiche lang' schon war der Körper, nur der Geist hielt ihn empor;
Fühlend alles sich in allem, täuscht' er uns, bezwang er sich,
Jetzo wirft des Kummers Faustschlag unsren Ringer in den Staub.
JAGUSCHINSKY.
Rasch von hinnen!
OSTERMANN.
Halt! Fortuna sucht ein weidliches Geschlecht;
Finde sie uns ihr gewachsen! Sieh die Göttin ruhig an,
Wende drauf den Kopf verachtend! So will sie behandelt sein.
Und nun laßt es uns entscheiden!
Zu Jaguschinsky.
Deinen Groll warfst du hinweg?
JAGUSCHINSKY.
Nur die Furcht trieb mich zum Hasse.
MENZIKOF.
Tod der Doppelzüngigen!
Es verderbe die Verrätrin!
OSTERMANN.
Fröhnst du deinem Liebesneid,
Heilt vom Unsinn unsre Sache gleich der Degen Ostermanns.
Fürchte den, der nie geprahlet! Nimmer droht' ich, jetzt geschah's.
MENZIKOF.
Darf ich mit der Worte Felswurf sie zerschlagen, sagen ihr:
[541] Daß sie, Sklavin unsrer Großmut, unverdient erhoben wird,
Kehr' ich um zu Euch.
OSTERMANN.
Gebare hierin dich nach deiner Art.
THEOPHANES.
Ohne Zaudern denn ein jeder an sein Amt! Versammelt ist
Der Synod in voller Anzahl.
JAGUSCHINSKY.
Unser also?
THEOPHANES.
In Betracht
Dessen, was Ihr uns versprochen ...
OSTERMANN.
Was gehalten werden wird.
Führt sie nach dem Gartensaale dort, dem nahen!
THEOPHANES.
Soll geschehn.
OSTERMANN.
Ich berufe den Senat hin.
JAGUSCHINSKY.
Ich die Garden. Buturlin
Hat uns seine Schar gewidmet.
MENZIKOF.
Katharinen führe ich.
Zeichnen soll sie erst die Schriften, unsrer Macht Bestätigung,
Uns die Schenkungen verbriefen.
[542]OSTERMANN.
Dann des Siegels noch bedarf's
Vor dem gottergebnen Volke; hören aus geweihtem Mund
Muß es, daß der Zar sie sterbend zur Nachfolgerin ernannt.
JAGUSCHINSKY
zu Theophanes.
Könnt Ihr es beschwören?
OSTERMANN.
Wollt Ihr's?
THEOPHANES.
Ich beschwör' es. Laßt uns gehn.
OSTERMANN.
Hier verein'gen wir uns wieder, zeigen uns von Schmerz erfüllt,
Wie der Anstand bei so großem Trauerfalle dies befiehlt!
Sie gehn ab.
Peter der Große. Gordon ihn führend.
PETER.
Hier laß mich rasten, bis der Wust von Schleim und Kot
Der dreiundfunfzigjähr'gen Lüge müde ward,
Und ernste Wahrheit ihre tiefen Züge prägt
In diese kalte Masse. Glänzt nicht dort ein Licht?
GORDON.
Des nahen Meeres morgenbleicher Streifen ist's.
PETER.
Drum weht' es auch so eigenkräftig atmend her!
[543] Den ältsten Freund im Angesicht, erwarten wir's.
Er sitzt in einem Sessel. Gordon steht neben ihm.
GORDON.
Wie fühlst du dich?
PETER.
Ganz leidlich. Nur die Zunge quält
Ein salzig-faulichter Geschmack, als läge drauf
Der Welt Gemeinheit.
GORDON.
Diese Nacht hat dich geschwächt.
PETER.
Hältst du in meine früheren hineingehorcht,
Du stauntest, daß ich dies' erlebte. Längst zerbarst
Das Gefäß, und gänzlich war der Inhalt ausgeströmt.
Ein letztes Tröpfchen zittert' an des Eimers Rand,
Und dieses freilich schleuderte die Trau'r hinweg,
Trau'r ob der Menschen völliger Verworfenheit.
Zu einem Schüler der Wahn-Prophetin aber mach'
Mich dennoch nicht! Phantasterei, Zufall demnächst,
Die Spur der Untat weisend, die ich lang geahnt!
Gordon, es gibt nichts Leichtres als Wahrsagerkunst!
Auch diese, wie so vieles, lernt' ich; sie zuletzt,
Dir hinterlaß' ich, daß sie bleibt, die Wissenschaft:
Sprich dreist das Ärgste, Dümmste, Widerwärtigste,
Denn das erfolgt.
GORDON.
Beruf' ich nicht den Arzt, mein Herr?
PETER.
Ja wohl, beruf' ihn! Sänftlich soll er neues Blut
In die verlechzten Adern gießen; einen Leib
Aus frischem Fleisch auf erbauen! Und er soll
Den Glauben heilen, die Liebe! Stellt er ferner her
Die abgezehrte Sonn' und Erde, lohn' ich ihm
Mit glänzender Beförderung.
[544] Jaguschinsky, Ostermann, Theophanes und andere Große treten in der Entfernung seitwärts auf.
Peter sieht nach ihnen hin.
Hinweg den Kram.
Gebt ihr dem Volke Puppenspiel an meiner Gruft?
GORDON.
Es sind die Großen deines Hofs, du kranker Fürst.
PETER.
Es sind geschnitzte Marionetten, lebensgroß!
Die Glieder klappern an den Drähten! Schütze mich!
Menzikof tritt auf, Katharinen führend.
Ausrufer! Eigentümerin der Bude! Fort!
GORDON.
Er redet irr. In dein verdüstertes Gemüt
Tönt meine Frage: »Wer soll erben? Nenn' ihn, Zar!«
PETER
auf seinen Körper deutend.
Hier liegt ein andres, einstens wohlgefügtes Reich.
Darin, nach wenigen Sekunden, wird nun auch
Nachfolg' eröffnet von gewisser Erben Schar.
Ist mir Verfügung dort erlaubt? Befehl' ich dem:
»Das hab'!« Und denen: »Jenes!« Darf vorweg etwas
Mein Wille geben, nehmen? Nein, nach eignem Recht
Zernagt der Chor. – Es sei das Chaos anerkannt
In seiner allerhöchsten Machtvollkommenheit!
Beschließen, heißt ein Knabe sein in grauem Haar!
Absicht ist Blödsinn ...
Er sinkt in Ermattung.
[545]OSTERMANN
tritt näher.
Starb der Zar?
GORDON.
Er starb. Ihr könnt
Den Lüften schenken eurer Herzen Klageschrei!
OSTERMANN.
Auf den Altan! Des großen Toten Testament
Den Völkern eiligst öffnend, Freunde, kund zu tun.
Katharina mit den Großen ab.
GORDON.
Dem Meere werf' ich knirschend diese Träne zu,
Die Einzige! O er hat Recht! Warum, Natur,
Erschufst du einen Mann?
RUF
von außen.
Sie lebe, lebe hoch!
Katharinen Heil und Huldigung!
PETER
erwacht.
Wer weckt mich auf?
Nicht sterben können! Endige! Schon klingt Geräusch
Arbeitenden Verwesens! Bei dem Werke sind
Geschäftig-laut die Würmer. Still ... Gordon, vernimm:
Gebt alles an ...
Er stirbt.
GORDON.
An wen, o Herr? – Der Atem steht,
Und Rauch des Todes schwärzet seiner Lippen Saum.
»Gebt alles an« ... Du hast, das Rätsel deiner Zeit,
[546] Abscheidend, Rußlands Rätsel der Zukunft vermacht,
Die, hoher Seeheld, immer dein Orlog gesucht.
RUF.
Heil unsrer ersten Katharina! Ew'ges Heil!
GORDON.
O Gott, ich könnt' auflachen laut! – – Das Rätsel bleibt
Fürs erste wohl noch ungelöst von dem Geschmeiß.
Doch ziemt's, an andres hier zu denken, als an dich?
Du siehst aus offnen Fenstern dir den Lärmen an!
Ehrfürchtig naht sich, o erloschne Sterne, Euch,
Die Augen drückt, mein König, fromm dir einer zu,
Der von den Wirren unsrer Welt so viel begreift,
Als der Entseelten gläsern-stumpfer Blick erschaut.
Er drückt ihm die Augen zu.