1. Der Königin Leid
TULIFÄNTCHEN:
Schon viele Wochen habet
Ihr, Kön'gin, mich mit Eurer Gunst gelabet!
Ihr schuft mein Glück, ich wohne
Im Sonnenschein des Heils an Eurem Throne.
Jedoch mein Herz verzehret
Sich in der Ruh, weil Taten es begehret!
Es will mein Jugendfeuer
Zu neuem Ruhm auf frische Abenteuer!
Die Welt ist voll des Schlechten,
Entlaßt mich, Majestät! Pflicht ist's, zu fechten!
GRANDIOSE:
So willst auch du mich meiden,
Du teurer Held, so edel und bescheiden?
In dir fand ich den werten,
Vertrauten Freund, den ach! so lang entbehrten.
TULIFÄNTCHEN:
Des Heldentums Verhängnis
Trifft nun auch mich, des Scheidewegs Bedrängnis!
Mich ruft hinweg die Tugend,
Doch Dank hält in der Fessel meine Jugend.
Wie soll aus Doppelketten
Sein Selbst der Sohn Don Tulifantens retten?
Daß sich ein Mittel fände,
So Pflicht und Gegenpflicht gelind verbände!
Mir künden Eure Mienen
Geheimen Gram, drum sprecht: kann ich Euch dienen?
[442] GRANDIOSE:
Willst du, daß ich dich stürze
In sichre Schmach?
TULIFÄNTCHEN:
Du deut'st auf meine Kürze!
O schmerzliche Verletzung!
GRANDIOSE:
Nein, durch Vertraun beweis' ich meine Schätzung.
Mit dem Gemahl, dem lieben,
Den ich nachher aus Stadt und Land getrieben,
Genoß ich wenig Glücke,
Charaktervoll war ich, und er voll Tücke.
Ich litt durch ihn unendlich,
Doch kam ich in die Wochen unabwendlich
Jedwedes Jahr. Erkläre,
Vermagst du es, das Rätsel mir, das schwere,
Daß wir, die schlimmsten Gatten,
In sechszehn Jahren sechszehn Kinder hatten?
Die Parze spann vom Rocken
Rasch ihren Flachs, sie starben an den Pocken.
Vermittelst der Vakzine
Erhielt ich nur Prinzessin Balsamine.
Die Tochter, seit der Kindheit
War stets ein Muster lernender Geschwindheit,
Sie stand mit achtzehn Lenzen
Beinah an jedes Wissens letzten Grenzen,
Trieb dreizehn tote Sprachen,
Und las am liebsten philosoph'sche Sachen.
Anatomie ins kleinste
Verstand sie, spaltete Begriffe auf das feinste!
TULIFÄNTCHEN:
Wo ist sie denn zu schauen?
GRANDIOSE:
Geraubt, entführt, in eines Riesen Klauen!
[443] TULIFÄNTCHEN:
Entführt? Ein Ries'? Ich bebe ...
Doch nein! Es lebt die Tapferkeit, ich lebe!
GRANDIOSE:
Der Riese, wehe! wehe!
Hat seinen Horst in meines Reiches Nähe
Auf hohem Schloß, die Mauer
Von Eisen ließ sie machen der Erbauer.
Und hinter diesen Wänden
Von Eisen hält mit seinen plumpen Händen
Das Untier fest die Tochter,
Sie ist bei ihm, seht, Teurer, das vermocht' er!
TULIFÄNTCHEN:
Von böser Lust getrieben?
GRANDIOSE:
Dergleichen hat sie niemals mir geschrieben.
TULIFÄNTCHEN:
Schickt sie dir denn Billette?
GRANDIOSE:
Allwöchentlich. Sie rühmt die Etikette
In jenes Riesen Wohnung,
Mir zum Erstaunen preist sie seine Schonung.
TULIFÄNTCHEN:
Warum sie dann verhaften?
GRANDIOSE:
Aus reiner Liebe zu den Wissenschaften.
Wie meist die Riesen pflegen,
Hat dieser in der Jugend obgelegen
Dem Spiele bloß, dem Trunke,
Und niemals glomm in ihm des Geistes Funke.
[444]Auf einmal aber haben,
Als er ins Alter trat der klugen Schwaben,
Sich neue Wünsche, denket!
In seine breite, rauhe Brust gesenket.
Denn weil er sah, wie jeder
Jetzt braucht den Mund und besser noch die Feder,
Entschloß er sich – das Grauen –
Den Geist, der lang gebrachet, anzubauen.
Sogleich verschrieb er Maîtres
In Sprachen, Wissenschaften und belles lettres,
Wovon jedoch nicht einer
Den Riesen klüger machte oder feiner.
Stets blieb ein Ignorante
Der späte Bildung dürstende Gigante.
Die Lehrer mußten tragen
Die Schuld, er hat sie sämtlich totgeschlagen!
Drauf hört' er von dem Rufe
Der Tochter, daß sie klomm zur höchsten Stufe
In der Minerva Tempel,
Als der Gelehrsamkeit hellstrahlendes Exempel.
Und alsobald im Herzen
Sprach er: »Sie ist's! Sie zündet mit die Kerzen!«
Als über Konjekturen
Sie einst nun sann auf unsern Wiesenfluren,
Sprang aus der Büsche Dicke
Der räuberische Riese, voll von Tücke,
Geschwinde, wie der Wind her,
Seit diesem Tage, Freund, hab' ich kein Kind mehr!
TULIFÄNTCHEN:
Leb wohl!
GRANDIOSE:
Wohin?
TULIFÄNTCHEN:
Noch fragen?
Du kennest mich! Nichts mehr hab' ich zu sagen.
[445] GRANDIOSE:
Du wolltest ...
TULIFÄNTCHEN:
Wollen? Wollen?
Gibt's hier ein andres Wort, als: Müssen, Sollen?
GRANDIOSE:
Ach, fürchte ...
TULIFÄNTCHEN:
Nur die Schande
Fürcht' ich! Was fürchtet sonst ein Mann von Stande?
Mir ist der Tag erschienen
Der Tat, des Ruhms! Ich rette Balsaminen!