[453] Vierte Szene
Der Gerichtssaal. Das versammelte Gericht. An einem halbmondförmigen Tische sitzen: Tolstoi in der Mitte. Neben ihm Schaphirow zwischen Menzikof und Ostermann. Sodann weiter rechts: Theophanes und die Geistlichen. Links an der Tafel: Die Generale und Senatoren. Ganz zu Ende rechts: Jaguschinksy. Sekretäre an kleinen niedrigen Tischen. Hellebardiere an der Pforte. Später: Zar Peter. Alexis steht vor den Schranken.
Pause bei dem Beginn der Szene. Tolstoi blickt unruhig nach der Türe.
JAGUSCHINSKY
steht auf und geht zu Tolstoi.
Laßt einmal nur von diesem Starrsinn! Denkt
Ans Heil des Reichs, an uns, an unsre Zukunft!
Auf die Versammlung deutend.
Wie die Euch stimmen hören, stimmen sie.
Gönnt mir ein Wort. In Euren Händen liegt's.
TOLSTOI.
Herr Generalanwalt, die Willkür liegt
In meinen Händen nicht. Bis jetzt steht's so:
Daß ich den Prinzen absolvieren muß.
JAGUSCHINSKY.
Dann fahre hin, Glück, Hoffnung, Sicherheit!
Er geht an seinen Platz.
MENZIKOF
zu Schaphirow.
Kann ich denn auf Euch baun?
SCHAPHIROW.
All' Eure Werke.
MENZIKOF.
Ach Gott!
[454]OSTERMANN.
Fürst Menzikof seufzt ja so tief.
SCHAPHIROW.
Er denkt an seine Werke.
MENZIKOF.
Stets dies Haschen
Nach Witz! Satire zeigt ein schlechtes Herz.
Zum Lachen ist, bei Gott, der Tag zu ernst.
SCHAPHIROW.
Er zieht uns ein Gesicht; ziehn wir's ihm wieder!
MENZIKOF.
Sprecht mit dem Ostermann.
SCHAPHIROW
zu Ostermann.
Was dünkt Euch, Graf?
OSTERMANN.
Baron, die Sache hat gewiß zwei Seiten,
Wenn nicht noch mehrere; die rechte aber
Wird sich aus allen Wechselfällen endlich
Von selbst ergeben, was jedoch vor Irrtum
Den Redlichsten nicht schützt.
MENZIKOF
zu Schaphirow.
Ist er für uns?
SCHAPHIROW.
Weiß nicht. Ich kann die Sprache nicht verstehn.
MENZIKOF.
Was spricht er?
SCHAPHIROW.
Diplomatisch Kauderwelsch.
[455]MENZIKOF.
Der Mantelträger!
SCHAPHIROW.
Es ist zu beklagen.
Auf Theophanes und die Geistlichen deutend.
Die stimmen nicht, weil sie nicht stimmen dürfen.
Auf Ostermann, die Generale und Senatoren deutend.
Die woll 'n das Erz auf Tolstois Felde schürfen;
Auf Tolstoi deutend.
Der Alte bleibt bedenklichen Gesichts;
Er hat gesucht gar viel, gefunden nichts.
Wir beide aber, rufen wir auch heftig,
Sind doch, den großen Saal zu füll'n, nicht kräftig.
DER SEKRETÄR
kehrt von der Tür zurück und geht zu Tolstoi.
Niemand ist noch im Vorgemach erschienen.
THEOPHANES
zu einem Geistlichen neben ihm.
Glückselig unser sanfter Friedensstand,
Wir heben nur zum Segnen auf die Hand.
OSTERMANN
zu seinem Nachbar.
Ein heißer Junius. Die Luft ist schwül.
DER NACHBAR.
Ganz überaus. Ich habe ein Gefühl ...
ALEXIS
beiseite.
Verwirrung, Angst und Schreck in allen Mienen!
Seltsamer Hof! Der Mann im Ehrenschmuck
Erblaßt, errötet von geheimem Druck;
Der Angeklagte lacht und triumphiert!
So ward das Recht in diesen Saal geführt.
[456] Also ergeh's den Sklaven, welche dürsten
Nach dem geweihten Blute eines Fürsten!
TOLSTOI
zum Sekretär.
Seht noch einmal in das Gemach, Ignaz.
Der Sekretär geht wieder zur Tür.
ALEXIS.
Ist mir erlaubt, zu reden?
TOLSTOI.
Immerhin.
Die Freiheit gibt Euch das Gesetz des Staats.
ALEXIS.
Gestanden hab' ich euch den bösen Sinn,
Der mich beherrschte seit den Kindertagen.
Wie ich dem Herrn mein Unglück nachgetragen,
Es ist, ich denk', euch gründlich vorerzählet;
Jetzt sag' ich, wie am schlimmsten ich gefehlet,
Denn alles muß ich mir vom Herzen sprechen.
Den schärfsten Pfeil verschießt zuletzt der Schütz,
Zum Schluß des Mahls wird Firnwein aufgesetzt,
Der Witz'ge gibt zuletzt den feinsten Witz,
Auf einem Fest erscheint der Fürst zuletzt;
Ein Sünder sagt zuletzt sein Hauptverbrechen.
Ihr wißt, daß ich gefrevelt an dem Zaren,
Ihr aber schwebt noch überm Doppelaaren,
Denn zwischen Zar und mir sprecht ihr das Recht,
Der Herrscher ist, gleich mir, hierin eu'r Knecht;
Was ich an euch beging, sollt ihr jetzt hören.
TOLSTOI.
Ihr führet Reden, die nicht hergehören.
ALEXIS.
Ein böser Geist gab über Nacht mir ein:
All' euer Tun wär' eitel Heuchelschein!
[457] Unruhe in der Versammlung.
Von außen herrlich, wacker, stattlich, gleißend,
Von innen faul, zerfallen, giftig, reißend!
Ihr wäret, sprach der Geist, von Ton Kolossen,
Und Wurmgenist wär' in dem Ton beschlossen.
JAGUSCHINSKY.
Ich fordre, daß verbiete das Gericht
Dem Angeklagten solche Lästerung.
TOLSTOI.
Die Hemmung darf nicht sein. Der Ukas spricht:
»Gebundner Mann hab' ungebundne Zung'.«
ALEXIS.
Mein bessres Selbst wollt' euch verteid'gen, Männer;
Der Böse rief: »Ich bin ein Menschenkenner!«
Und zählte Taten auf von Euren Händen:
Erpressung, Schätzung, List, Volksdrängerei –
Mit einem Blick auf Jaguschinsky.
Der schlag' in Banden grundlos, welche frei ...
JAGUSCHINSKY.
Ha, dulden wir's? Heißt, Tolstoi, ihn schweigen!
ALEXIS.
Der zahle Priester, daß sie Herzen wenden
Zu seines neuen Glaubens Sklaverei ...
THEOPHANES.
Gab ich der Kirche Leib dem Zar zu eigen,
Geschah's zu frommer Absicht, heil'gem Zweck:
König und Priester war Melchisedek.
ALEXIS.
Der halt' es mit den Schweden, Goten, Wenden,
Daß er der Diener zweier Herren sei ...
[458]OSTERMANN.
Mein Gott, wer kann doch so die Pflicht beleid'gen?
ALEXIS.
Der presse Geld und Gut aus allen Ständen,
Und witzle über der Beraubten Schrei ...
SCHAPHIROW.
Ist solcher Geist als Zeuge zu beeid'gen?
ALEXIS.
Des fünften Tage sein ein stetes Schänden
Von Ehre, Zucht, Wahrhaftigkeit und Treu ...
MENZIKOF.
Angeberei! Ich werde mich verteid'gen!
ALEXIS.
Und um des Dämons Lügenspruch zu enden:
All' meine Richter seien taube Spreu. –
Der Pardel, Tiger geh' nach großem Raube,
Nichts zu verschmähn, sei kleiner Füchse Glaube.
Mein schlechtes Herz hat sich dabei bewährt:
Der Schmähung ward ein offnes Ohr gewährt.
Mir galt für Wahrheit sie, für reine, volle –
Er zieht das Heft hervor.
Die Kund' ist aufgeschrieben ...
Er legt das Heft auf die Schranken.
Da die Rolle!
JAGUSCHINSKY.
Zerreißt die Rolle!
MENZIKOF.
Laßt uns Urteil sprechen!
Wir sind bedroht!
ANDRE.
Verdächtigt unser Treiben!
[459]TOLSTOI
schlägt mit seinem Stabe auf den Tisch.
Bin ich im Rechtssaal? Wollt ihr ruhig bleiben?
Zu Alexis.
Und wie klang gegen mich des Geists Erfrechen?
ALEXIS.
Er schwieg von dir. Ich wüßt', bei meiner Ehre,
Nicht, was von deiner Art zu sagen wäre.
Tolstoi sieht vor sich hin. Allgemeine Stille.
Alexis mit einem Blick auf die Versammlung beiseite.
Gehetzt, geblendet, taumelnd, wutdurchbebt!
Nun helf' euch Dolch und Mord! Ich hab' gelebt.
DER SEKRETÄR
kehrt von der Tür zurück, die offen bleibt.
Er kommt.
ALLE.
Wer kommt?
TOLSTOI.
Peter, der Admiral.
ALEXIS.
Was will er?
TOLSTOI.
Zeugen.
ALEXIS.
Zeugen? Er weiß nichts.
TOLSTOI.
Erwartet jetzt den Fortgang des Gerichts.
MENZIKOF.
Bei uns der Zar?
OSTERMANN.
In unsrem ... unsrem Saal
Die Majestät? Der Landesherr? ...
[460]TOLSTOI.
Da ist er.
Die Hellebardiere machen die Honneurs. Zar Peter tritt ein, in voller Admiralsuniform, den Admiralshut auf dem Haupte. Die ganze Versammlung bis auf Tolstoi, erhebt sich.
PETER.
Bin ich der Zar, könnt ihr mich hier nicht sehen,
Bin ich es nicht, wer zwingt euch, aufzustehen?
TOLSTOI.
Vollkommen wohl bemerkt.
Die Versammlung setzt sich. Der Zar steht dem Prinzen gegenüber.
ALEXIS.
Was ist geschehen!?
PETER.
Gesetz, Notwendigkeit, sind zwei Geschwister.
Man soll nicht Satzung stiften ausnahmsweis,
Zum großen Ziele führt das breite Gleis.
Ich bin ein Admiral der roten Flagge,
Und nicht zum Scherze trag' ich diesen Hut;
Nein, ich erkor des Dienstes Müh' und Plage,
Daß keiner sich, zu dienen, halt' zu gut.
Eu'r Bote rührte meines Hutes Rand:
Ich folgte ihm. Der Grund? Macht ihn bekannt.
TOLSTOI.
Ihr seid ersucht, dem Hofe vorzutragen,
Was Ihr erfuhret von des Prinzen Schuld.
ALEXIS.
O feiges Herz! Sie weiß es ja allein ...
[461]PETER.
Ich schwöre, Wahrheit dem Gericht zu sagen,
Bei Gottes Gnade und des Mittlers Huld. –
Die Kunde, die mir beiwohnt, ist nur klein.
Nichts weiß ich von den letzten trüben Dingen,
Doch etwas aus der frühern Monde Gang.
Nach Napel floh der Prinz, um aufzubringen
Den Kaiser gegen seines Zaren Zwang,
Wie er geheißen dessen redlich Dringen
Auf Fügsamkeit und Sohnes Sinn und Dank.
Er kam zurück. Da hat der Zar vergeben,
Mit einem Eid versichert ihm das Leben.
TOLSTOI.
Wofern der Prinz vollständig einbekannt.
Vollständig. Diesen Vorgang weiß das Land.
ALEXIS.
Wer wagt's, den Zarewitsch zu zeihn der Lügen?
PETER.
Es hat der Zarewitsch dem Zar verschwiegen
Damals den Anteil eines Mitgenossen.
Die Mutter wußte um des Sohnes Flucht,
Und um den Zar von seinem Thron zu stoßen,
Hat Aufruhr in dem Lande sie versucht
Durch die Bojaren, so bereits genossen
In jener Moskau-Nacht des Todes Frucht.
Sie schrieb's dem Sohn. Der Brief ward ausgeschlossen
Aus des Alexis Beichte nach der Flucht. –
Nach einer Pause.
Das alles sagte heut, betränter Miene,
Doch unbedroht, ein Mädchen, Euphrosyne.
Alexis fällt in einen Sessel und bedeckt das Gesicht mit den Händen.
[462]TOLSTOI.
Erfuhrt Ihr sonst etwas?
PETER.
Ihr habt gehört,
Was ich gewußt. Darf ich den Saal verlassen?
TOLSTOI.
Wir sind durch Euch genugsam aufgeklärt.
PETER
geht zu Alexis.
Sei du ein Mann, und suche dich zu fassen!
Schlimm ist das Tun, und nicht die Kundbarkeit;
Daß du's getan, weißt du nicht erst von heut.
ALEXIS
ohne aufzustehn, mit erstorbner Stimme.
Du hast's erreicht. Es geht nunmehr zum Sterben!
Ich mach' mein Testament, gedenke dein.
Er nimmt das Heft von den Schranken.
Nimm diese Schrift! Ich setze dich zum Erben,
Sonst gibt's ja nichts auf Erden mehr, was mein.
Du brachst der holden Treue Welt in Scherben,
Nach dieser Stunde wird nichts fest mehr sein.
Dafür will ich dir deine Welt verderben,
Ich weise dich in ihre Fäulnis ein!
Er reicht dem Zar die Schrift. Dieser steckt dieselbe, ohne sie zu lesen, zu sich und geht ab.
JAGUSCHINSKY
erhebt sich.
Wenn noch des Zweifels Gran war in der Waage,
Schnellt' ihn danieder unsres Herren Spruch.
Die Finger auf der Uloschenie Buch,
Und auf das Zar'sche Kriegsrecht neuster Tage,
Heisch' ich den Tod für diesen Hochverräter!
[463]MENZIKOF
steht auf.
Beistimmend.
SCHAPHIROW
ebenso.
Gleichfalls.
OSTERMANN
ebenso.
Zu den Senatoren.
Weise, würd'ge Väter
Des Landes, unsre Schmerzenspflicht ist klar.
TOLSTOI
zu Alexis.
Prinz, sprach der abgehörte Zeuge wahr?
Alexis macht eine bejahende Bewegung. Er liegt im Sessel, ohne Anteil an dem Ferneren zu nehmen.
Gebt eure Meinung, Herrn der Geistlichkeit!
THEOPHANES.
Jehovah sprach durch Mose seiner Zeit:
Er schlägt das alte Testament auf.
»So jemand einen eigenwilligen und ungehorsamen
Sohn hat, so soll er ihn greifen und zu den Ältesten
der Stadt führen, und zu dem Tor desselben Orts.
So sollen ihn steinigen alle Leute derselbigen Stadt,
daß er sterbe, und sollst also den Bösen von dir tun,
daß es ganz Israel höre und sich fürchte.«
Wir urteln nicht, wir töten nicht den Samen
Von Mann und Weib. Gott hat's verkündet.
DIE GEISTLICHEN.
Amen!
THEOPHANES.
Der neue Bund hat auch das Recht geweiht.
Er schlägt das neue Testament auf.
»Ihr Kinder, seid gehorsam euren Eltern
in dem Herrn, denn das ist billig.
[464] Ehre Vater und Mutter, das ist das erste
Gebot, das Verheißung hat.
Auf daß dir's wohl gehe, und du lange
lebest auf Erden.«
Wir urteln nicht, wir töten nicht den Samen
Von Mann und Weib. Gott hat's verkündet.
DIE GEISTLICHEN.
Amen!
THEOPHANES.
Schließt nun, ihr Brüder, Augen, Lippen, Ohren;
Das Schwert, das uns gebühret, ist der Geist.
TOLSTOI.
Stimmt jetzo, General' und Senatoren,
Allgemeine Stille.
EIN GENERAL
nach einer Pause.
Sei Du der Führer, der den Weg uns weist.
TOLSTOI
erhebt sich.
Aufruhr verbergen, heißet Aufruhr üben.
Wer des Verräters Brief empfangen hat,
Und des Verräters schont, begeht Verrat;
Mitwissenschaft ist Vorschub, Hehlen Tat.
Du sollst das Land mehr als die Mutter lieben.
Die Klag' ist nicht auf eine Zeit beschränkt,
Auf einzeln Umstand, Fehltritt nicht gelenkt,
Nach göttlichem und menschlichem Gebot
Verdient Alexis Petrowitsch den Tod.
DIE GENERALE
erheben sich.
Er sterbe!
[465]DIE SENATOREN
erheben sich.
Sterbe!
TOLSTOI.
Einhellig also?
ALLGEMEINER RUF.
Tod!
Wilde Gruppe.