Karl Immermann
Merlin
Eine Mythe

[551] Zueignung

Ich saß, vom Fels bedachet,

Vertieft in alte Rollen,

Aus denen an mich lachet'

Ein ganzer Himmel alles Rätselvollen.

Ich mußte oft sie auf die Seite legen,

Weil gegen Wunsch und Wollen

Ich lesen nicht gekonnt vor Herzensschlägen.

Da rauscht' es in den Sträuchern,

Und Flöten, Cymbeln klungen,

Arabisch Balsamräuchern

Ist vom Gestäud' zu meinem Platz gedrungen.

Gleich sprangen aus dem Busch mit keckem Tritte

Drei muntre kleine Jungen,

Schwarz, weiß die ersten zwei und braun der dritte.

Sie schlugen an die Becken,

Und einer spielte Flöte.

Es folgt' auf schlanker Schecken

Ein Mägdlein, lustig wie die Morgenröte.

Bunt Florgewand und Schmelz und Schleif' am Mieder,

Band, Quast' und Pausch erhöhte

Den Schmeichelreiz der leichtgeschwungnen Glieder.

In ihren Armen schwebte

Ein Horn, gewunden gülden,

Aus dessen Wölbung strebte

Ein üpp'ger Strauß von seltsamen Gebilden.

Es staken Königskronen, Bettelstäbe

Bei Häuptern, milden, wilden,

Bei Totenbein, bekränzt von Ros' und Rebe.

Die Jungen tanzen näher,

Das Mägdlein lenkt die Schecke,

Bis, mir verstohlnem Späher

Grad' gegenüber, an des Felsens Ecke,

Der Märchenzug ist vorgerücket gaukelnd.

Dort hemmt sie. Auf der Decke

Zurückgelehnet, ruht sie üppigschaukelnd.

[551]

Die Knaben springen weiter,

Um mich ganz unbekümmert.

Aus ihren Augen heiter

Ein flüchtig Lächeln zu mir nieder schimmert,

Und in das Horn die weißen Finger senkend,

Um die manch Ringlein flimmert,

Wirft sie die Ros' herunter, mich beschenkend.

Ich bück' mich nach der Rose,

Erhebe solche Gabe,

Blick' auf: Da fleucht die Lose

Fern schon auf ihrem Roß im schnellsten Trabe,

Unendlich Goldgelock weht nach in Lüften,

Kaum daß ich dieses habe

Gesehn, verschwebt sie zwischen Felsenklüften.

Sonst, wenn ein Gott gekommen

In unsre arme Nähe,

Nachfühlen wir, beklommen,

Die eigne Niedrigkeit und seine Höhe.

Doch dieser holden Reiterin Begegnen

Ließ mir das süße Wehe,

Womit uns goldne Liebesstunden segnen.

Ich sprach zu mir: »Du schautest

Die Törin, die unsterbliche,

Der du manch Denkmal bautest,

Obgleich sie liebt nur das Verderbliche;

Welch' überstand den Sturz von Rom und Babel,

Die schöne Last, die erbliche

Der irdischen Geschlechter all: die Fabel.«

Seit diesem guten Tage

Hegt' ich ein gründlich Hoffen,

Doch ohne Schmerz und Klage;

Die Fabel werde einst von mir betroffen

Zu andrer Zeit in noch viel rein'rem Lichte;

Und manche düstre Frage

War mir gelöst, und alles ward Geschichte.

Die liebe Rose blühte

Frisch fort in meinen Händen.

Als einst der Abend glühte,

[552]

Trug ich sie, sachte wandelnd, in den Händen.

Da nahm der Wind, vorbrechend aus den Hügeln,

Sie scherzend meinen Händen,

Und trieb sie vor mir her auf seinen Flügeln.

Der Schwebenden nacheilt' ich,

Die Füße rüstig regend,

Doch nimmerdar ereilt' ich

Den Flüchtling, wirbelhaft sich fortbewegend.

Schon hatte Dämmrung abgelöst die Helle,

Ich war in fremder Gegend,

Da sank die Ros' auf eine breite Schwelle.

Die Schwelle, sanftgebreitet,

Lag unter hoher Pforte,

Die in ein Innres leitet',

Aus dem ein Glanz fiel nach dem äußern Orte.

Ich ahnt' in diesem Bau, begrünt von Moose,

Uralter Schöpfung Worte,

Und schritt gleichgültig über meine Rose.

Ich trat in Kirchenhallen

Vom allergrößten Stile.

Auf solche Formen fallen

Könnt' einer nicht! Sie fanden, bauten viele.

Den einzelnen umfahn der Willkür Netze,

Doch zu notwend'gem Ziele

Verschlangen hier im Stein sich die Gesetze.

Indes blieb ich nicht haften

Am Stein zu dessen Preise,

Denn meine Sinne rafften

Sich in des herrlichsten Gesichtes Kreise.

Ich sah die Fabel, fröhlich und vermessen,

Allein in welcher Weise!

In wessen Hut! In Pfleg' und Lehre wessen!

Ein ew'ges Weib saß thronend

In kühngewölbter Blende;

Das Licht, im Räume wohnend,

Schuf einzig ihrer Augen milde Spende!

Kelch, Anker, Kreuz war nahebei zu schauen,

Ein Buch, das sonder Ende,

[553]

Lag auf dem zücht'gen Knie der heil'gen Frauen.

Und wie ein Kind sich schmieget

Der Mutter an, der süßen,

Ihr Kleid sittsam gefüget,

Stand bei ihr Fabel auf bescheidnen Füßen.

Diese, damit sie bis zum Knie ihr reichte,

Hat sich erheben müssen,

Und dennoch saß die Ernste, stand die Leichte.

Liebmütterlich verkehrte

Das große Himmelswesen,

In ihrem Buche lehrte

Die Ewige mein zeitlich Mägdlein lesen.

Sie wies ihr Wort für Wort und Zeil' auf Zeile,

Und wenn zu rasch gewesen

Der muntre Zögling, sprach die Mutter. »Weile!«

Schien er zerstreut im Sinne,

Als ob sein Fleiß ermatte,

Faßt' ihn gelind am Kinne

Die Lehrerin und wandt' ihn zu dem Blatte.

Und wenn er stammelte das Falsche, Nicht'ge,

Und sich versprochen hatte,

Dann sagte sie klar, deutlich, fest das Richt'ge.

Am Segen der Lehrstunde

Teilnahmen drei Genossen,

Stehnd in der Blende Grunde:

Drei Männer, vom Prophetenkleid umflossen.

Zwei ältre schrieben nach in Büchern; jeder

Trug ein verschiedne Kunde,

Dem jüngsten war entsunken Blatt und Feder.

Gemurr in meiner Sprache

Verriet des ersten Namen.

Wolfram vom Eschenbache,

Der gottverworrne Mund von deutschem Samen!

Rund um den Hals trug er viel myst'sche Zeichen,

Und seine Blätter nahmen

Der Fabel Schwatzen auf in bunten Laichen.

Den Zweiten ich erkannte

An seiner Unterlippe.

[554]

Er war der große Dante,

Gedanken-aufgezehrt, fast ein Gerippe.

Vorsichtig horcht' er: Sprach die Fabel Lüge,

So zuckt' er mit der Lippe,

Sah zornig aus und schrieb der andern Rüge.

Doch o mein teurer Dritter,

Novalis! Frommverwundert

Fragt' ich mich oft: »Wie schritt er,

Der Fremdling, in dies nüchterne Jahrhundert?«

Der Jüngling seine Seligkeit nicht trübte,

Hat nicht gehorcht, gesondert,

Er schaute, lächelte, genoß und liebte.

Und auf die mächt'ge Gruppe,

In Händen Lilienstengel,

Sahn von der Blende Kuppe

Aus Wolken still herab zwei Frauen-Engel,

Die zwei der drei sonst hoben über Mühe

Hinaus und über Mängel,

Die Engel: Beatrice und Sophie.

Und als ich um mich blickte,

Weil, meinem Sinn zu helle,

Der Lichtstrom mich erdrückte,

Von dem das Aug' der Lehrerin die Quelle,

Bemerkt' ich, daß ich nicht allein vorhanden,

Nein, daß zu dieser Stelle

Noch andre Füße offnen Zugang fanden.

Du lehnt'st am nächsten Pfeiler,

Gleich mir ehrfurchtbezwungen!

Anbetender Verweiler,

Wo wir dem Wesen sahn den Schein entsprungen.

Durch eine andre Tür warst du gekommen,

Von andrem Wunsch durchdrungen,

Ein Tempel aber hatt' uns aufgenommen.

Was ferner dort geschehen,

Das bleibt wohl unser Eigen,

Wenn der Verwandlung Wehen

Auch sonst des Tags Geburten an uns zeigen.

Doch still von unsrem Glück im Heiligtume!

[555]

Denn aus des Abgrunds Schweigen

Wächst dort geschloßnen Kelches jede Blume.


[556]

Vorspiel

Hohe Klippen und Landschaft. In der ferne Gehöfte.


Satan und Luzifer auf den Klippen.

LUZIFER.
Warum, du Fürst im finstern Land,
Hast du dich einsamlich verbannt
Von unsrem wilden, bunten Fest,
In dieses kahle Felsennest?
Du hängst, gleich einer dunkeln Wolke
Von Klippen in das platte Land;
Komm, Herr, zurück zu deinem Volke,
Das bittend mich zu dir gesandt!
SATAN.
Bin ich der Fürst, hab' ich zu sorgen
Für unsres Reiches Dau'rbarkeit;
Das Volk denkt nur an heut' und morgen,
Der Herrscher denkt der ganzen Zeit.
LUZIFER.
Wir sahn's, dich faßt' ein grimmig Leid,
Als bei des Sternes Helligkeit
Die Könige vom frühen Osten
Gekniet an jener Krippe Pfosten.
Der Stern, der Hüttendampf, die Lichter,
Gekrönte Stirnen, Schäfergesichter,
Die schöne Mutter, blau und rot,
Das Gold, das Stroh, der Glanz, die Not!
Es gab ein wunderlich Gemeng',
Die Farbe kam fast ins Gedräng',
Man merkt', hier war etwas geschehn,
Was alle Tage nicht zu sehn.
[557] Wir Kleinen schauten lachend zu,
Die Brust zerschlugest, Großer, du,
Und stießest einen Seufzer aus,
Der unsren Scherz verkehrt' in Graus.
Seitdem nun wandelst du durch Wüsten,
Hockst unterm Samum beim Getier,
Wenn wir dich, deine Knechte, grüßten,
Tritt in das Aug' die Träne dir,
Vor der wir, gleich verzagten Zwergen,
Uns in den Eulenflügeln bergen.
SATAN.
Wenn Satan weint, so hat er Grund.
LUZIFER.
Tu' auf, o König, deinen Mund!
Dein Feuer ist es, was uns nährt,
Wir sind schon bleich und halbverzehrt.
Auf! Bleibe nicht in dir verschlossen,
Hast du nicht tausend Streitgenossen?
SATAN.
Es bringen Millionen Milben
Nicht einen Kieselstein vom Ort;
Und aller Sprachen alle Silben
Sind noch kein einzig zeugend Wort. –
Was ein Tyrann in Güte sagt,
Das widerruft er, wenn es behagt;
Trotz dem Tyrannen, der nicht hält,
Was er in seinem Zorn gesprochen!
Er übergab mir diese Welt,
Sie steht; er hat den Eid gebrochen.
LUZIFER.
Bracht' eine Jungfrau in die Wochen.
Seltsame Reise eines Gotts!
Wir hielten's wert nur unsres Spotts,
Für eines Greisen Grillenspiel.
[558] Was ist darum zu sorgen viel?
Was kümmert uns der Torenschwank?

Kirchengesang in der Ferne.
SATAN.
Die Antwort gibt dir dieser Sang.
Schließt, Felsen, euer steinern Tor,
Schnee, spreite dich als Decke vor,
Ihr Donner, brüllet rauhen Chor!
Schnee, Felsen, Donner, schützt mein Ohr!
O Erde, Tochter meiner Flammen,
Mußt du in Stöhnen rinnen zusammen?
Mein froh Metall, meine lichten Stein',
Soll euch der Pfaff am Rock entweihn?
O wilde Lust und Jugendbrunst,
O nackte Leiber, freche Kunst,
O Heldenzorn und Heldenstimm',
O todesherrlicher Königsgrimm:
Verjammert alles in stumpfes Ach,
In heil'ges, dumpfes Ungemach!
Weißt du es nun? Hast du's gewittert,
Warum dein Herrscher zürnt und zittert?
Der droben stand der Welt zu weit,
Er könnt' sie mit dem Arm nicht langen,
Die unergründ'te Schlauigkeit
Ist aber jetzt ins Fleisch gegangen.
Die Menschen führt der Mensch zum Streit,
Den Teufel hält der Gott gefangen!
LUZIFER.
Solang in meinem Amt es glückt,
Ist der Triumph ihm noch zerstückt.
Solang mein Sturm die Saaten knickt,
Solang meine Flamm' um Scheuren zückt,
Solang meine Flut den Deich erdrückt,
Solang meine Pest in Krampf und Beulen brütet,
Sind vor des Paradieses Rückkehr wir behütet.
[559]
SATAN.
Und was hast du mit Sturm, Flamm', Flut und Pest geschafft,
Bleibt aufrecht stehn des Menschen geist'ge Kraft?
Ich sage dir: Es fällt ein Schimmer
In unsre Schöpfung und beleuchtet Trümmer!
Kannst du sie nicht mit unsren Mitteln treiben,
Was wird uns bleiben?
Was schafft'st du heut'?
LUZIFER.
Ich traf Tiberias
Mit Hunger, Kummer, Dürre, Mausefraß.
SATAN.
Und hörst, sie singen Lob- und Dankeslieder:
»Der Herr hat es gegeben, nahm es wieder«.
Und siehst, sie wall'n im Tal zu jenes Preis,
Dem nicht die Hölle war zu schwarz und heiß,
Der bis zum Ungeheu'r-gegürteten Kreise drang,
Und über Even selbst die Fahne schwang.
Nun, Phosphoros, du schweigst?
LUZIFER.
Was soll ich sagen?
Den Titan hast du selbst in mir erschlagen. –
Denn es ist wahr, es geht ein Fächeln
Auflösend übers Erdenrund,
Mit süßem, frischem, mildem Lächeln
Beschwören sie den neuen Bund.
Die alten Jubelklänge dehnen
Sich aus in feierliche Weisen,
Die Steine selbst ergreift ein Sehnen,
Zum Himmel leicht empor zu reisen.
Die Pforte reckt sich auf als Bogengang,
Um droben zu vernehmen hold Gerüchte;
Die kurze Säule wächst zum Pfeiler, schlank,
Und trägt, ein Baum, granitne Blumen, Früchte!
[560]
SATAN.
Da mein Vasalle singt und schwärmt,
Wer wird's den Menschen noch verdenken!
LUZIFER.
O Herr, ich weiß, ich bin zu lenken
Zu leicht vom Pfad, bin rasch erwärmt.
Du bist der ewig Fest' und Stäte,
Ich spiel' als Luft und Feu'r um alles,
Und seit dem großen Tag des Falles
Ich nur mit irrem Fuß auftrete.
Doch nahm ich auch den Eindruck an
Gedankenlos in meiner Bahn,
Ein Wort von dir in mir doch trifft
Des Innern urlebend'ge Schrift.
Sieh mich beschämt und reuevoll,
Sprich, was ich muß, sag', was ich soll?
Ist, großer Meister, unsre Zeit zu Ende,
So gib es tapfer kund,
Und glaub', daß keiner sich der Deinen wende
Vom alten Bund!
Laß unsre Arm' uns ineinander schlingen!
Was wandelbar, mag er bezwingen,
Am Lichte funkle seines Lichtes Pracht,
Doch wir verschmähn's und murren in der Nacht!
SATAN.
Wenn unsre Sache schon verloren wäre,
So wisse du; ich hätte stolz geschwiegen,
Und war' mit meiner Ehre stumm gestiegen
Ins Letzte, Tiefste, in die große Leere;
Und da die Welt nur ruht auf meiner Schwere,
So wäre sie mir wohl gefolgt die Stiegen,
Und seine Posse hätte dann, die hehre,
Gehaltlos in den Lüften können fliegen! –
Ich hab' gezürnt, hab's offenbart,
Das Wort bei mir zur Tat stets ward,
Lang war es schon in mir gestaltet,
[561] Und dies Gespräch hat es entfaltet.
Erst schwankt die Gerte, dann wird sie steif,
Ich kocht' es in mir selber reif.
Siehst du den Hof?
LUZIFER.
Den großen drunten?
Das Haus scheint unter Ziegeln, bunten,
Es schauet aus den Fenstern, blank.
Geräum'ge Ställe ziehn entlang
Dem Platz, die frohbemalten Mauern,
Und alles ist gebaut zum Dauern.
Der Born, gefaßt von Marmelstein,
Gibt Wasser, kalt, kristallenrein,
Im Eimer schöpfen's Magd und Knecht,
Rüstig und reinlich, schlecht und recht.
Sie tragen's hin, sie geben's der Herde,
Die schimmert, die brüllt mit lust'ger Gebärde,
Und rings um Hauses und Stalles Segen
Ist zartes, lockres Land gelegen,
Beschattet von des Gedeihens Wucht:
Am Zweig die Frucht, am Boden die Frucht!
Da ist ein rechtes Wohlbefinden
Ringsum gebreitet nach allen Winden.
Das steht, als könn' es nicht vergehn,
Man müßt' doch einmal dazu sehn!
Jetzt tritt ein stattlicher Mann in die Tür,
Er blickt aus sanften Augen herfür.
SATAN.
Des Hauses Besitzer ist der Mann,
Dem neuen Glauben zugetan.
Er ist von allen Zweifeln geschieden,
Ganz rund und in sich selbst zufrieden.
LUZIFER.
Bei unsrem Trotz! Welch neues Bild!
Zum Alten tritt ein Mägdlein, mild.
Die schönste Jungfrau, die ich sah
[562] Auf meinen Zügen, hie und da!
Die Stirn tut so in Unschuld scheinen,
Daß ich mich schäme fast der meinen.
Der goldnen Locken liebes Licht
Verklärt das Milch- und Blutgesicht;
Jetzt drückt sie auf die Hand des Alten
Die Lippen, weich und rot gespalten.
SATAN.
Sie ist die Tochter dieses Reichen,
An Reizen mag ihr keine gleichen.
Sie ist mit Sittsamkeit geziert,
Von keinem Traume noch berührt.
LUZIFER.
Sie geht mit leichtem, kleinem Schritt
Der Vater gibt ihr den Segen mit.
SATAN.
Zur Wüste geht sie, zum Eremiten,
Ich werd' ihr gleich den Gruß entbieten.
Ich will ...
LUZIFER.
Was willst? – Was wirst du tun?
Du schweigst. O Herr, warum schwebt's nun
Auf einmal, gleich 'nem düstern Rauch,
Vor deinem großen, strahlenden Aug'?
SATAN
gen Himmel dräuend.
Daß uns nichts bleibt als nachzuäffen!
Er hat das Erfinden, hat das Treffen.
Doch was ihm glückt', kann uns gelingen,
Wir wollen uns, wie Er, verjüngen.
Er war zu schwach, sie nach sich zu ziehn,
Da schuf er den Sohn, jetzt kennen sie ihn.
Der Mensch hat mit ihnen gelebt und gelitten,
In die Göttlichkeit ist er zurück dann geschritten.
Der Weg ist gewiesen, bezeichnet die Bahn,
[563] Und alle vermögen, was Einer getan.
So wollen wir gleichfalls uns zeugen den Erben,
Der Mensch ist nur durch den Menschen zu werben.
LUZIFER.
Soll ich mit sausenden, brausenden Plagen
Haus, Feld, Herde und Leiber schlagen?
Soll ich den Boden dir rotten in Angst und in Blut,
Darin gedeiht unsre Brut?
SATAN.
Du sollst das lassen!
Des Bettlers Prassen
Ziemet mir nicht.
Ein König spricht,
Was dann geschieht.
LUZIFER.
Soll ich mit lüsternem Flüstern umsäuseln
Dieser Maid unschuldige Brust?
Soll ich vor ihr heuchelnd und schmeichelnd kräuseln
Schemen der Lust?
Soll ich, sie rührend, verführend, leihen und weihn
Sein und Schein?
SATAN.
Ich muß es verneinen.
Laß das den Kleinen,
Kleinlich bemüht
Um schwaches Gemüt,
Krankes, verworrnes Geblüt!
Ich bin der Herrscher, und bin ich es noch,
Lock' ich nicht, zwing' ich das Opfer ins Joch.
Fleuch du zurück, versammle meinen Reigen,
Und setzt euch um den Thron auf erzne Stühle;
Laßt euren Sinn zu den Gedanken neigen,
Vor denen ihm selbst wird im Himmel schwüle!
Denkt die Verdammnis, denkt, was wir verloren,
Denkt, was aus unsrem Schlund emporgegoren,
[564] Denkt, was mißlang, zersprang, verkam und wich:
So harrt auf mich!

Sie verschwinden.

Wüste. Höhleneingänge.


Candida. Placidus.
PLACIDUS.
Hätt' ich dich heut doch nicht erhofft,
Mein frommes Kind, du kamst zwar oft,
Ein flinkes Wüstentäubelein,
Und bracht'st in deinem lieben Munde
Von draußen mir gelinde Kunde;
So mocht' ich hier und draußen sein.
Doch heut' ist's spät. Die Sonne glühet
Schon rot, und lange Schatten ziehet
Der kleine Tamariskenstrauch
Weit übern Sand im Abendrauch.
Schon flieht die Antilope wild,
Weil fern der Löw' im Lager brüllt,
Der Schakal steht auf jenen Hügeln,
Heim reist der Strauß mit Ruderflügeln.
Die Balsamstaude schickt den Duft,
Ihr Schlummeropfer, in die Luft,
Capella fängt schon an zu funkeln,
Wie find'st den Rückweg du im Dunkeln?
CANDIDA.
Meine Ruhstatt wollt' ich finden hier.
PLACIDUS.
Hier in der Öde, Kind, bei mir?
CANDIDA.
Bei deiner Höhle liegt die zweite,
[565] Gedeckt von Stauden, Felsgebreite.
Herberge drin der Wandrer find't,
Herberge heute drin dein Kind.
PLACIDUS.
Du Närrchen, welch ein Scherz ist das?
Ei, ruh in deinem weichen Bette.
CANDIDA.
Ich hab' mir lang' gewünschet das
O daß die Rast ich immer hätte!
Mein Kämmerlein ist dumpf und klein,
Der Sterne Licht fällt nicht hinein
Hier ist es weit, hier ist es groß,
Der Himmel liegt dem Auge bloß,
Zu Haus ein jeder reden will,
Die Wüste weiß zu horchen still.
PLACIDUS.
Was wird der Vater dazu sagen?
CANDIDA.
Der hat es mir nicht abgeschlagen.
Ich bat ihn drum, weil er heut Fest
Mit seinen Freunden hält in Freuden,
Er weiß es schon, ich kann's nicht leiden.
PLACIDUS.
Sind denn so wild bei euch die Gäst'?
CANDIDA.
Das sind sie nicht, sie reden munter,
Doch geht's deshalb im Haus nicht bunter.
Hast du die Schnecke wohl betrachtet?
Sie ist ein Tierchen, sehr verachtet;
Ich sah sie stets mit Freuden an,
Sie lehrt uns, was man soll und kann.
Du magst sie noch so leis berühren,
[566] Sie wird es auf der Stelle spüren;
Sie scheut sich, bebt recht inniglich,
Und schmiegt sich, zart, verschämt in sich.
PLACIDUS.
Die Schneck' ist wohl ein gutes Tier,
Doch andres Gleichnis lehrt sie dir.
Der Schnecke Häuslein ist nur schwach,
Es schirmt vor keinem Ungemach.
Der kleinste Knabe schlägt's zu Stücken,
Der kleinste Vogel kann's zerpicken.
Mein liebes Kind, du bist so jung,
Du wirst noch manches sehn und hören.
Noch Schlimmres als des Gastmahls Prunk
Darf deine Seele nicht verstören.
Die Welt ist da, und wir sind drin;
Wir müssen durch das Leben hin.
Wir sollen Hand und Fuß ihm geben,
Nicht schneckengleich am Boden kleben.
CANDIDA.
Und du hast dich doch selbst geweiht,
Mein Vater, ernster Einsamkeit.
PLACIDUS.
Auf meinem Scheitel sechzig Jahre,
Auf deinen Wangen sechzehn Lenze,
Auf meinem Haupte keine Haare,
Um deine Schlaf der Locken Kränze!
Dem Krieger Recht zur Ruh erwarben
Die kümmerlich geheilten Wunden;
Die Falten meiner Stirn sind Narben,
So ich in manchem Strauß gefunden.
CANDIDA.
Ist dir's so übel denn ergangen?
[567]
PLACIDUS.
Laß das, mein Kind, es ist vergangen.
CANDIDA.
Wie mitten in der sand'gen Fläche
Das grüne, frohe Plätzchen liegt!
Hier sprießen Blumen, quellen Bäche,
Und rings der Staub, der taube, fliegt.
PLACIDUS.
Sie sagen, einst war die Wüste Meer,
Eilande aber die Oasen!
Da wich in die Ferne das große Meer,
Und stehen blieben die kleinen Oasen.
In ewiger Wandlung ist das Ungemeine,
Und am Orte bleibt nur das Geringe, das Kleine.
Drum sind die: Menschen auch immer sie;
Die Schiffe fahren nun weit von hie,
Aber mit andrem Schiffe reist
Jetzt des Menschen nimmermüßiger Geist.
Durch der Einöde weiße Rippen,
Durch die meilengedehnten, heißen Klippen
Schreitet der Kamele schlurrender Zug,
Die War' auf dem Rücken, zu Handel und Trug.
Die Tiere schrein, sehn sie die Siedelei,
Und dann hält's hier, trinkt's, und dann zieht's vorbei.
CANDIDA.
Dein Gärtlein ganz von Lilien blinkt,
Hast du die Lilien so lieb?
PLACIDUS.
Ich habe zu ihnen rechten Trieb.
Die schöne Blume wiegt und schwingt
Sich auf dem Halme, wundereigen,
Im Kelch ist so ein heil'ges Schweigen.
Man kann sie nicht zu Kränzen binden,
Wie Rosen, dann ist's um sie getan,
[568] Doch nachts ob ihrem Kelche zünden
Sich feine leichte Flämmchen an. –
's ist Abend, und schon näßt der Tau;
Da du es, Candida, beschlossen,
Rüst' ich dir in der Höhle Bau
Das Lager von Moos und Kräutersprossen.

Ab.
CANDIDA.
O daß ich schwebte auf dem Stengel
Die leichte, luftgenährte Blume!
Daß meine Seel', ein spiel'nder Engel,
Aufflammte zu des Kelches Ruhme!
O daß den Fuß mir nicht mehr drückte
Die rauhe, kieselharte Erde!
O daß mein Auge nicht mehr blickte
Auf Scherz und Schmerz, Lust und Beschwerde!

Satan tritt ein.
SATAN.
Ich grüß' dich, Jungfrau, mit des Eifers Gruß.
CANDIDA.
Wer bist du Ungetüm?
SATAN.
Der Herr vom Muß.
Bald wirst du mehr von meinen Taten wissen,
Im Sklavendienst für ein gewalt'ges Müssen.
CANDIDA.
Ich weiß von dir und deinen Taten nichts,
Entsetzlich Scheusal schrecklichen Gesichts.
Ja wachse nur! Frech wachse bis zum Monde,
Wir fürchten nicht mehr dich, nicht deine Fronde!
SATAN.
Ich bin der König und du bist die Magd;
[569] Und deine Blüte meinem Gaumen behagt.
CANDIDA.
Ich bin die Magd des Herrn, und in dem Bade
Des Jordans fand ich eines andern Gnade.
SATAN.
Dies Wasser trocknet ab mein siegend Feu'r.
CANDIDA.
Weich', du blasphemisch Ungeheu'r!
SATAN.
Ich könnte mich in bunten Kleidern schwingen,
Geliehne Bitten lassen dir erklingen.
Doch rauh und ungestüm, gekleidet schlecht,
So wirbt der Herr, denn das ist Herrenrecht.
Drum durch den Dampf des Rachens ruf ich dir:
Vor morgen frühe schon gehorchst du mir.
Denn weil du schön und lieblich, keusch und rein,
Drum eben sollst du meine Buhle sein!
Noch bist du Maid, doch morgen bist du Weib,
Und Satan segnet dich an deinem Leib.
Auf, brodle, Naphtha, aus der Tiefe Schatz!
Auch wir bezeichnen der Verkünd'gung Platz.

Eine Flamme aus dem Boden. Satan verschwindet.
CANDIDA.
War dies ein Traum?
Nein, hier geschah's! – Noch glaub' ich's kaum.
Hier stand er, brannt' er, schrie vor Wut,
Daß deine Kinder, o mein Heiland, wurden gut!
PLACIDUS
tritt ein.
Nun, Candida!
CANDIDA.
O Vater!
[570]
PLACIDUS.
Was ist? Verwandelt glänzt die Wang'
CANDIDA.
Glänzt sie? Nun denn! ...
PLACIDUS.
Ward dir alleine hier so bang?
CANDIDA.
Ich hab' die Bangigkeit
Weit weg gebannet,
Mich hat die Herrlichkeit
Hoch überspannet!
PLACIDUS.
Das Lager ist fertig, zur Ruh' zu gehn,
Diese Worte kann ich nicht verstehn.
CANDIDA.
Weil dir verschlossen ist
Der Schrein der Tugend!
Trat nicht zu Jesu Christ
Der Feind versuchend?
PLACIDUS.
Hilf Herr! Was soll das wilde Singen
Von den geheimnisvollsten Dingen?
CANDIDA.
Die Jungfrau steht im Schutz
Der höchsten Mächte,
Drob schäumt voll nicht'gem Trutz
Der Uralt-Schlechte!
Weissagung geht herfür
Aus Jungfraun-Munde,
Einhorn; das flücht'ge Tier,
Folgt, gleich dem Hunde;
[571] Das Boot versinket nicht
Darin sie fähret;
Sündern wird, die sie spricht,
Verzeihn gewähret.
PLACIDUS.
Bitt' selber, daß dir werde verziehn.
All', was wir haben, ist geliehn,
Und brauchen wir's, wie unser Eigen,
Wird sich der rechte Besitzer zeigen.
Dem Hochmut folgt sogleich die Straf',
Gut' Nacht! Beschirmet sei dein Schlaf.

Ab.
CANDIDA.
Stets wird den Geistern, scheu,
Das Wunder fehlen,
Doch ewig zeugt sich's neu
Den heil'gen Seelen!
Fällt nicht ein Licht herab
Auf meine Scheitel?
Öffne dich, süßes Grab!
Die Erd' ist eitel

Sie geht in die Höhle.
SATAN
tritt ein.
Mit Fehlern macht man mir zu schaffen viel,
Doch reinste Reinheit ist mir nur ein Spiel.

Er blickt zur Höhle.

Schlafend? Sie hält die Hände klein gefalten.
Trennt euch! So! Dieser Zauber war' gespalten.
Im Taumel schlug sie nicht einmal das Kreuz,
Wehrlos Gewand beschützt wehrlosen Reiz.
Fall ab, Gewand, wie Zunder! Herb, frisch, kalt
Erscheinest du, jungfräuliche Gestalt!
Verbrauchtes Land gebieret nur den Zweifel,
In unberührter Erde wirkt der Teufel.
Fließt, Nebel, aus der fahlen Wolke Riß,
[572] Und deckt dies große Werk der Finsternis!

Nacht und Nebel, die die ganze Gegend bedecken.
KIRCHENGESANG
in der Ferne.
O sanctissima.
O piissima,
Dulcis virgo Maria!
Mater amata,
Intemerata,
Ora, Ora pro nobis!

Die Nebel fallen. Morgen.
PLACIDUS
tritt aus seiner Höhle.
Er trägt Lilien in der Hand.
Die Nacht war wild und träumerisch,
Gottlob, da lacht der Morgen frisch!
Ein dichter Nebel, die Aussicht hemmend,
Lag um die Höhlen, giftbeklemmend.
Ich hab' mein Lager so bereitet,
Daß es von West nach Ost sich breitet,
Damit der Sonne jüngstes Licht
Mir fällt sogleich ins Angesicht;
Heut' sah ich nicht das erste Feu'r,
Die Dünste webten einen Schlei'r.
Ich hatte einen bösen Schlummer,
Mir träumte von der Jugend Kummer,
Und alte Schuld, die längst verblich,
Hob ihren Finger gegen mich.
Da ist es mir denn nun vergolten,
Wie hab' ich nicht das Kind gescholten,
Statt geistlich mit ihr durchzuwachen,
Mild, mildes Licht ihr anzufachen!
Wir sind denn leider einmal so;
Wir dünken uns auf dem Berge froh,
Und unser höchstes, größtes Bezeigen
Ist nur ein stetes, mühsel'ges Steigen. –

Er betrachtet die Lilien.

Die armen Lilien hat der Wind
[573] Auch abgebrochen über Nacht;
Es blüht die Lilie auf geschwind,
Geschwinder hat's der Wind gemacht.
Die allgemeine Zerstörung trifft
Die Segensblume, die Blume voll Gift!
CANDIDAS STIMME.
Wehe! Wehe! Ach mir Armen! Hölle, sind das deine Wehen?
Ach, was ist, was ist, o Grausen! dem zertretnen Wurm geschehen?
PLACIDUS.
Welche Töne! Welche Stimme! Rufte dort nicht Candida?
CANDIDA
tritt auf.
Weiche, Gott, in deine Tiefen! Nur der Teufel bleib' uns nah!
PLACIDUS.
Heilige des Himmels! Törin! bist du rasend und besessen?
CANDIDA.
Miß das Menschliche! Ich aber will mich an mir selbst ermessen
PLACIDUS.
Was ist denn geschehn?
CANDIDA.
Ich weiß nicht! Aber du, du wisse das:
Diese Erd' ist nicht von Erde! Dieser Boden ist von Glas;
Und ich schaue durch zum Abgrund! und da sitzt ein tapfrer Riese
Auf dem Thron, erbaut von Schmerzen, in der ew'gen Qualenwiese,
Und die düstern Helden sitzen ringsumher auf Stuh und Bank,
Und die Hölle singt dem Kön'ge einen schönen Lobgesang!
Und die Mauer seh' ich ragen von jahrtausendalten Sünden,
Und zahllose Seufzer wehen, die nicht konnten Ruhe finden.
Dieses herrliche Gebiete schließet ein der Strom der Greu'l,
Im Unendlichen dann ball'n sich ungeborne Sündenknäul.
[574] Deine Frevel, alter Heuchler, mehren auch der Tiefe Schätze,
Denn ich seh' sie, und du glaub' es, denn dir sagt es eine Metze!
Warum trägst du diese Lilien? Tote Furienangesichter,
Wollt ihr spotten? Ich zertret' euch, leichenernste Sittenrichter!

Sie entreißt ihm die Lilien und zertritt sie.

Fluch dem Himmel! Fluch der Erde! Allem Fluch, was Leben heißt!
Du allein, mein starker Bräut'gam, sei gelobet, sei gepreist!
PLACIDUS.
Ewiger, mein Mund verstummet. Du erkennest deine Wege,
Und du weißt, was ich anbetend stumm zu deinen Füßen lege.
CANDIDA.
Ich zerbrech' in meinem Jammer, doch die Stücke kittet neu
Lust an dem, was ich erlitten, und zur Wonne wird die Reu'!
Hält' ich mich noch selber, gab' ich wieder doch mich so verloren,
Aber freilich wünscht' ich lieber, daß ich nimmer war' geboren!
Gibt es nichts denn, was mich festhält in dem weiten Ring der Zeit?
Ach, die Träne! Ja, du Träne! letzter Freund der Sterblichkeit!
O so fließet meine Tränen! sendet, meine Augen, sendet
Aus das ungeheure Elend in den Bach, der nimmer endet!
Löst euch, meine jungen Glieder! Werdet Zähren, Fleisch und Bein!
Ach, vielleicht sind dieses Wassers Fluten wieder klar und rein.
Wenn die Seele, abgewaschen, in die Flut dann niedersinket,
Ist's ein See, der in dem Tale zwischen Halmen glänzt und blinket,
Und die Wogen fragen schüchtern dann zum Himmel auf, dem so blaun:
Willst du dein geliebtes Antlitz bald in meinem Spiegel schaun?

[575]

Der Gral

Britannien. Felsenschlucht.


PLACIDUS
tritt ein.
Hier ist die Spur, der Ruf hallt in den Wind!
Der Sturzbach hemmt mit Rauschen meine Füße.
Wenn ihm ein Leid in dieser Schlucht zustieße ...
Merlin! Antwort' mir, Unglückskind.
MERLINS GESANG.
Daß, wer dies Denkmal findet, fromm und scheu
Sich wende talhinab!
Und du, o grüne, düftevolle Linde, streu
All deine Blüten auf das Grab!
PLACIDUS.
Sein tiefer Ton, sein Waldgesang!
Er lebt, nun ist mir nicht mehr bang.
Heimlich, wie all sein Wesen sich stellt,
Schafft er wohl, was er mir will verbergen,
Er kehrt zu mir, wann es ihm gefällt,
Ich erwart' ihn zwischen den Bergen.

Er setzt sich auf eine Klippe.
MERLINS GESANG.
Ans Leben trugst du mich im reinen Schoß,
Und alles gabst du mir,
Ich wölbe dir die Höhle schwarz und groß,
Nichts andres kann ich geben dir.
PLACIDUS.
Von seiner Mutter singt er.
MERLINS GESANG.
Letzt Lebewohl, ich hauch's dir durch die Kluft
[576] In stillen Tränen zu,
Der Stein verschließe nun der Mutter Gruft,
Bis zu der Auferstehung schlummre du!
PLACIDUS.
Wie wird dies Wirrsal sich entwirren?
Was ist die Wahrheit? Wo beginnt das Irren?
Ich glaubte, meines Lebens Knäul
Sei endlich friedlich abgesponnen,
Da reißt's mich an das Licht der Sonnen
Durch unverstand'ne Greu'l!
So duckt der Vogel, wenn der Tag vorbei,
Sich im Gemäu'r, dort still das Aug' zu schließen,
Doch grausam weht aus seinem Sorgenfrei
Der Sturm ihn in des Wetters Gießen.
War jenes Mägdlein nicht ein Bild
Der süßen Unschuld, Reinheit, Güte?
Hat dennoch ekle Lust gestillt
In dem verdorbenen Geblüte.
Warum erschufst du frei das Gesicht,
Ist es der Spiegel der Seele nicht?
Das Tier hegt seiner Triebe Scham,
Drum senkt's den Kopf vor Scheu und Gram;
Zum Himmel wirft die Lasterstirne
Der Bub' empor, die freche Dirne.
Seit solche Wangen mir das zuleide
Getan, hab' ich an keinem Freude,
In jedem biedern, freundlichen Ton,
Hör' ich des Diebes, des Mörders Hohn;
Der gradeste, treuste Blick
Strahlt mir den Kuppler und Fälscher zurück.
Gott selber dem Menschen ganz verschwindet,
Wenn einer sich im andern nicht findet;
Groß ist der Fluch über Adams Samen,
Wer kann ihn wenden? Christ helf' uns! Amen!
Die Arme trug im Wüstenhaus
Die Frucht der Sund' und Schmerzen aus,
Sie rang bei Tag die Hände wund,
[577] Irreden nächtens führt' ihr Mund.
Ich fragte sie, ich drang in sie:
Umsonst, den Schänder nannt' sie nie.
So kam die Zeit gemach heran,
Da hat sie sich zur Reu' betan,
Ihr Sinn ward sanft, sie betet' brünstig,
Fleht', daß die Gnad' ihr werde günstig,
Und hat im Brot auf frommes Verlangen
Den Leib, der für uns litt, empfangen.
Die Wehemutter zu rufen her,
Verbot sie mir, weil nach dem Geist,
Nicht nach dem Fleische sie gebär',
Hat laut in Qualen den Herrn gepreist.
Die Not der Kreißenden war groß,
Ich nahm's von dem zerrißnen Schoß.
Es schlug die Augen auf, da ließ
Ich's fast vor Schreck zu Boden sinken,
Wie aus des Abgrunds unterstem Verließ
Die hellen Grubenfackeln blinken,
So sahn aus bodenloser Tiefe diese Lichter,
»Ist er«, rief ich, »der letzte Richter?«
Ich könnt' bei ihrem Blitzen lesen,
Was vor Jahrtausenden gewesen,
Das Sonst, das Jetzt, der Zukunft Gabe,
Und weltenalt schien mir der Knabe.
Er brachte Zähne mit, und trank
Der Mutter Brust nicht; all sein Drang
War nach der Taufe. So tauft' ich ihn
Wie er mir selbst befahl: Merlin.
Drauf wollten Candidam sie stein'gen,
Das Kind erlöst' sie von den Pein'gern,
Sprach wunderbarer Weisheit Wort,
Der Richter ging verlegen fort,
Doch sannen heimlich sie auf Mord.
Er sei ein Wechselbalg, und gut
Sei's, zu ertränken solche Höllenbrut.
Die Drohung mich erschreckte so,
Daß ich mit ihm über Meer entfloh
[578] Ins Reich Britannien, wo im Wald
Wir wählten geheimen Aufenthalt.
Da frag' ich nun die grünen Baumeswipfel,
Den Rieselquell, der ernsten Felsen Gipfel,
Da frag' ich Erde, Wasser, Licht und Wind:
Wer ist das Kind?
MERLIN
tritt ein.
Dein treuer Pflegesohn.
PLACIDUS.
Merlin! Wie hast du mich erschreckt!
Quer durch das Tal der Fluß sich streckt,
Trägt dich die Woge?
MERLIN
zurückblickend.
Fließt sie hinter mir schon?
Da schäumt es – ja! Den Brückensteg
Wollt' ich suchen und schlich in Gedanken den Weg.
Ich habe nicht an die Flut gedacht,
Da hat die Flut mir Platz gemacht.
PLACIDUS.
Ich suchte dich in Angst und Pein.
MERLIN
kniet.
Fehlt' ich, will ich gezüchtigt sein.
PLACIDUS.
Du auf den Knien vor mir? Verspott'st du mich?
Versuchst du mich, ob mich der Stolz berückte?
Steh auf! Das ist, als wenn der Himmel sich
Vor einem Erdenkloße bückte!
MERLIN.
Ich weiß nicht, was du meinst, und treff' es nie.
Mir ist das Haar auf deinem Haupte teuer,
Ich liebe dich, du wirst nur täglich scheuer,
[579] Ich kränke dich und fasse doch nicht: wie?
Jüngst, als der Bär in unsre Höhle tappte,
Du schlummernd lagst, er nach dir schnappte,
Ich ihn besprach, er brummend in die Pfoten schaut'
Du wachtest auf, und schlugest, weil dir graut' –
Ein Kreuz vor mir, nicht vor dem Bären.
So sprich doch, meine Pflichten mich zu lehren.
PLACIDUS.
Du trägst in deiner kleinen Brust mein Herz,
Ein süßer, schmeichlerischer Dieb, von dannen.
Ich möchte dich mit strengem Spruch verbannen,
Doch war's mein größter Schmerz.
Mit Not und Sorge hab' ich dich erworben,
Wollt', ich war' ohne dich zu sehn, gestorben.
MERLIN.
Vielleicht erblickst mich bald nicht mehr.
In dieser Nacht erglänzt der Mond gefüllet,
Der zweiten Dunkel schon verbirgt ihn schwer,
Und lange dau'rt's, bis er sich neu enthüllet!
Doch wollen wir mit Trau'r und Grämen
Der letzten Stund' ihr frohes Recht nicht nehmen.
Sieh Greis, mein Werk!
PLACIDUS.
Welch Werk?
MERLIN.
Steh auf!
Du kannst's erblicken durch die Schlucht!
PLACIDUS.
Welch ein gewalt'ger Felsenhauf!
Kam ein Komet zur Erd' herab?
MERLIN.
Er ist nur meiner Mutter Grab,
Der Riese hat die Steine gesucht.
[580] Ich ging zu ihm gen Schadlimort,
Und wandt' an ihn ein gutes Wort,
Da schleppt' er Block auf Block herbei.
Nun steht es groß und stolz und frei,
Und sagt den allerspätsten Jahren,
Wie dieser Zeiten Kräfte waren.
PLACIDUS.
Mir schwindelt, seh' ich da hinan!
Die ungeheure Steinelast,
Und Quader auf Quader abgepaßt!
Furchtbares Kind, was hast du getan?
Der Mutter Leib, er modert ferne,
Wer bracht' ihn her?
MERLIN.
Der Schiffer, gerne.
Mit Narden und Myrrhen balsamiert,
Hat er den Leichnam hergeführt.
Fand sie wohl in dem Boden Schlummer,
Der ihre Schmach und Verzweiflung getragen?
Immer trat zu mir voll Kummer
Der arme Geist, und hauchte seine Klagen.
Nun ward sie des heitern Britanniens Gast,
Unter Klee und Rosen ist liebliche Rast.
PLACIDUS.
Hinweg! Du übtest verbotne Kunst!
MERLIN.
Bei jenem reinem Blau, du tust mir weh!
Brauch' ich zu betteln denn von fremder Gunst?
Hätt' ich ersucht die Wolk' in luft'ger Höh',
Sie hätte sich von mir bewegen lassen
Und mit dem Mantel, mit dem regennassen,
Im heil'gen Land zur Erde sich gelassen,
In Arm genommen meiner Mutter Staub
Und über Meer gebracht den teuren Raub!
[581] Und hätt' ich zu dem Fels gesprochen: »Fels,
Steh auf! Aus deinem moos'gen Bett dich wälz'!«
Der Felsen hätt' gehorcht des Kindes Stimme,
Sich losgewunden murr'nd mit stillem Grimme,
Gespalten sich in rund', viereckte Trümme,
Wund, wie unzeit'ge Frucht am Tagesstrahl,
Sich qualvoll selbst gefügt zu jenem Mal!
Allein die Wolken sind bestellt, zu wanken,
Gleichgültig hoch, wie ruhige Gedanken.
Und alles rege sich! Nur nicht der Stein,
Der lockern Erde haftendes Gebein!
Und ward das Wort, der Bitte Kraft verliehn,
Was Gott geordnet, ändert nicht Merlin.
PLACIDUS.
Wer ist Merlin? Verkünd' es!
MERLIN.
Sterbliche Hülle vaterlosen Kindes,
Die arme Waise Himmels und der Erden,
Unsel'ges Fertigsein und nimmerwerden,
Vom weichen öl der Schwäche nie gelindert,
Von Liebe nicht befeu'rt, vom Hasse nicht gehindert!
PLACIDUS.
Das sind nur Klänge ohne wahren Sinn.
MERLIN.
Der droben nimmt sie wohl als Beichte hin,
Und noch jemand faßt ihre Dunkelheiten,
Für Menschen kann ich es nicht zubereiten.
Trägst du den Griffel bei dir? Pergament?
PLACIDUS.
Stets, wo du bist.
MERLIN.
Ich habe dir gegönnt
Den Blick in den Zusammenhang der Dinge.
[582] Von außen tasten sie umher am Ringe,
Wer aber dir und deiner Kunde traut,
Der hat ins Zentrum klar hineingeschaut.
Vom Anbeginn der Zeit, der Kön'ge Tun,
Wie es gewesen, nicht wie es sich zeigte,
Was insgeheim zum Fall die Reiche neigte,
Die Keime, die in letzter Hütte ruhn,
Des Kleinen Tugend und des Großen Sünde,
Der unerhört'sten Taten stillste Gründe,
Das Mark der Weltgeschichte spendet' ich
Dir Frommen, Treuen! Wenn der Glaub' entwich
An Seel' und Leben, und die Schriftgelehrten
Staub über Staub von dürrer Rinde kehrten,
Mit Namen, Zahlen, hohem Schall sich brüsten,
Dann wird die Dürstenden nach frischem Trunk gelüsten,
Dann fließen Merlins Sagen, wie der Saft,
Den Lenzeswehen in der Birke schafft,
Wenn allen Schnee der Boden aufgeküßt,
Pfingstvogel ruft, Eichhorn mit spitzem Ohr
Vom Baume lauscht, was drunten gehe vor,
Wo mit Schalmei der Hirt sein Mädchen grüßt.
Wie weit hab' ich erzählt?
PLACIDUS.
Bis zu den Tagen,
In denen Christ sein Todeskreuz getragen
MERLIN.
Vernimm vom Grale das Mysterium.
PLACIDUS.
Was ist der Gral?
MERLIN.
Des Menschensohnes Blut.
»Sanguis realis« so verkehrt,
Wie es der Mund des Volks gewöhnlich tut.
Die Kunde ward schon lange stumm,
[583] Von mir wird sie euch wieder gelehrt.

Placidus zieht Pergament und Griffel hervor, setzt sich und schreibt. Merlin spricht.

In der Nacht des Schreckens, welche
Sah den Verrat des Bösen,
Griff er zum Wein im Kelche,
Sprach: »Dies mein Blut wird euch von Schuld erlösen.
Nehmt, trinket, darin wohnt ein neu Vermächtnis,
Was war, das ist gewesen,
Und alle Zukunft bleibt des Abendmahls Gedächtnis.
Es wallt in meinem Blute
Ein voller Doppelsegen, Denn zu gemeinem Gute
Dient's allen, und fließt auch um wen'ger wegen;
Euch send' ich in die Breit' und in die Weite,
Indes versteckt-gelegen
Den Tempel ich auf Montsalvatsch bereite.«
Als nun am bittern Holze
Der König hing der Tugend,
Fern war Petrus, der stolze,
Und nahe weinte nur Johannis Jugend:
Da stieß der Kriegsknecht, des Pilatus Bote
Ins Fleisch den Speer, versuchend,
Und aus der Seite floß der Quell, der rote.
Nun merke, wie verliehen
Ward neue Kraft dem Feigen!
Joseph von Arimathien,
Der nie sich sonst bei Christo wollen zeigen,
Trat mit dem Kelch herzu vom Abendmahle,
Und kummervoll, in Schweigen,
Fing er darin den Sprung vom Kreuzesstrahle.
Jetzt hatte schon die Liebe
Ihr zweifach Reich gegründet,
Mit lautem Pred'gertriebe
Ging zu den Heiden aus die Schar, entzündet,
Indessen Joseph, froh in seiner Seele,
Der Heimlichkeit verbündet,
Sich mit dem Kelche barg in tiefer Höhle.
[584] Die Zwölfe traf Bedrängnis
In aller Völker Landen,
Auf innerlich Empfängnis
Des Heiligen die Sinne Josephs standen;
Sie trotzten wider Spötter, Neider, Wüter
In Ketten und in Banden,
Er aber ward des Grales erster Hüter.
So lebt' er vierzig Jahre
In seiner Kluft, der dunkeln,
Nicht bleichten ihm die Haare,
Ihn speiset, tränket, wärmt des Kelches Funkeln,
Des bis zum Rande schwell'nde, wall'nde Welle,
Kraftglühend, gleich Karfunkeln,
Die finstern Wände machte lieblichhelle.
Auf ihren Martyrgrüften
Erklangen schon die Messen,
In seinen stillen Klüften
War er beerbt, verschollen und vergessen.
Als Titus dann Jerusalem gestürmet.
Und Feu'r die Burg gefressen,
Hat sich der Schutt berghoch ob ihm getürmet.
Und als des Todes Finger
Ihn rührte leicht und lose,
Wie in dem Blumenzwinger
Das Mägdelein berührt das Haupt der Rose,
Schwebte, beglänzet von dem eignen Scheine,
Das Heiligtum, das große,
Zum Himmel auf und kehrte in das Seine.
Allein es ist gesunken
Von neuem drauf zu Tale!
In dieser Rede Funken
Sprüht, fasse das, der erste Spruch vom Grale.
Doch nahe steht die schöne Zeit des andern,
Wann ihre Glorien prunken,
Werd' ich zu dir, erzählend wieder wandern.
Denn jetzt muß sein geschieden!
Mich ruft mein ernst Geschicke.
Der Mutter gab ich Frieden,
[585] Und nun besteh' ich meines Vaters Tücke.
Leb wohl! wir scheiden sonder Wort noch Tränen;
Nach solcher Kunde Glücke
Geziemt ein überweltlich-heitres Sehnen.

Placidus geht.
MERLIN
allein.
Der Morgen schwand, herzu dringt Mittagsschein!
Mich treibt dein Arm in reichste Lebensfülle,
Drum streif ich ab des Kindes arme Hülle,
Ein männlich Wirken winkt! Mann will ich sein!

Er verwandelt sich zum Manne.

Du hast beschlossen, ewiges Geheimnis,
Zu winden dich durch jede Erdenschmach;
Im letzten, tiefsten Kote blieben nach
Die holden Spuren deiner süßen Säumnis.
So gabst du dich den Fischern, Zöllnern hin;
Dem Schacher, dem die Beine schon gebrochen,
Hast du die hohe Gastfreundschaft versprochen,
Dein Testament erging an dumpfen Sinn.
Und wieder bist du, sanfter Gott, gefangen
Auf Montsalvatsch durch deines Willens Kraft,
Dich hält der blöde Titurel in Haft,
Mit seiner Zunft, der eingeengten, bangen.
Geendet ist das Niedersteigen itzt!
Dich heimzuführen auf der Bahn des Geistes,
Wählst du Merlin. Er leitet dich, du weißt es,
Den Rückweg, der von deinem Feuer blitzt.
Ich bin, der wirbt die fürstlichen Gemüter,
Die Stirn, vom Ruhm- und Minnekranz umlaubt,
Die Ritter, Damen, König Artus' Haupt;
Dem hehren Gral schaff' ich die echten Hüter!

[586] Ein andrer Teil der Schlucht.

KAY
tritt auf mit einem Verzeichnisse.
Ihr Bäume, beugt euch, macht mir Reverenz!
Kay stellt sich vor, Hofmarschall, Exzellenz.

Er wischt sich den Schweiß ab.

Beschaffen soll das Kind ich ohne Vater,
Und an den Hof verpflanzen dies Gewächse!
Es fand sich einst im Maul des Hechts der Stater,
Saul fand den Samuel bei jener Hexe,
Die Ratten, Mäuse fangen Katz' und Kater,
Des Flusses Mündung treffen laichend Lachse
Wie aber soll ich, Kay, den Knaben finden,
Den seine Mutter aufnahm von den Winden?
O König Artus, dein Gebot ist schwierig!
Klingsor, dein Geist geriet in die Verschwimmung.
Die völl'ge Nacht am hellen Tag verspür' ich,
Es fehlt die nähere Begriffsbestimmung.
Dacht' ich des vaterlosen Kinds langwierig,
Fühlt, nichts zu denken, meines Kopfs Ergrimmung.
Wollt' alle Bankerte zu Schloß ich führen,
So war' kein Platz. Ich kann sie nicht logieren.
Kind ohne Vater! – Es entwarf mein Jammer
Der hies'gen Jungfraun richtiges Verzeichnis.
Ich klopft' an jede Hütte mit dem Hammer,
Wo in der Wiege weinte das Ereignis;
Ob dunkel mir vielleicht in einer Kammer
Die Ursach' bliebe bei der Wirkung Zeugnis?
Doch nicht allein die Blümchen lernt' ich kennen,
Sie wußten all' die Gärtner mir zu nennen.
Ist so ein Balg etwan aus Sommerhitze
Nicht aufgelaufen, wie Geschwür und Blatter,
Gebar ihn unter Würmern nicht die Pfütze,
Zog aus dem Hahnen-Ei ihn nicht die Natter,
Legt' ihn die Wespe nicht in eine Ritze,
Nicht eine Magd als Kehricht hinters Gatter;
So ist vergebens die Entdeckungsreise,
[587] Und Artus' Glück kommt auch aus seinem Gleise.
Denn Klingsor, unser großer Nekromante,
Las in den Sternen, daß der Tafelrunde
Das vaterlose Kind, wie er es nannte,
Verhelfe zu des Heiles stetem Bunde.
Es war, als spräche der Hof-Hierophante
Schlechtweg vom Menschen, Pferde, Ochsen, Hunde!
Jedennoch hat die Majestät befohlen,
Katexochen den Vogel einzuholen.
O welche schwere Last sind seltne Gaben!
Wie glücklich war' ich, war' ich etwas dümmer!
Wer fragt wohl nach gemeinen, schwarzen Raben?
Den weißen aber kündet gleich sein Schimmer.
Der Gaul darf schleichen, Renner läßt man traben,
Und in das Wasser schickt ihr nur den Schwimmer.
Es bechern Artus, Gawein, Erek, Gareis:
Ich bin vom Suchen eines Hurkinds gar heiß.

Er blickt in das Verzeichnis.

Da ihr Unschuld'gen Väter habet alle,
Zerreiß' ich der zerrißnen Tugend Liste!

Er zerreißt das Verzeichnis.

Und weil ich, wie ich glaube, bin im Falle,
Wo ich nicht weiß, was ich doch wissen müßte,
So leg' ich bei der Waldgewässer Schalle
Mich unter diesem Walnußbaum zu Rüste,
Und schlummre ruhig bis zu dem Erwachen,
Worauf sich weiter dann die Sachen machen.

Er legt sich unter den Baum.

Es ist durchaus ganz sonderbar und eigen,
Daß alles auf der Welt sich unterscheidet.
So wird behauptet, daß die Fische schweigen,
Und daß die Gans das Schnattern nicht vermeidet,
Auch schreit der Esel: »Yah!« und das Faultier: »Ay!«
Hofnarr ist Kyaw, und Hofmarschall, Kay.

Er entschläft.
[588] Merlin. Satan.
SATAN.
Höre mich!
MERLIN.
Noch nicht!
SATAN.
Wann willst du mich hören?
MERLIN.
Zu Nacht. Wann wir die Sonne nicht stören
Durch unser Gespräche in ihrem Gang.
SATAN.
Bei Stonehenge?
MERLIN.
Dort wart' ich.

Satan verschwindet.

Dank
Daß du mich verlassest.

Er sieht Kay.

Da liegt der Ritter,
Den der König sandte nach dem Wunder.
Sollst dir die Füße nicht laufen wunder.

Er zieht ein goldnes Täflein hervor, und schreibt darauf. Nachdem er geschrieben.

Klingsor, du hast, wie alle die Zwitter
Von deinem Schlage, das kranke Prickeln,
Ins Netz des Verderbens dich zu verwickeln.

Er legt dem Kay das Täflein in die Hand.

So, Schläfer, nimm die Botschaft, bestelle sie brav.

Geht.
KAY
erwacht.
Ferner, wie verschieden sind Wolf und Schaf!

Er reibt sich die Augen.

Oha! – Mir träumte von dem Paradiese,
[589] Da waren alle Stauden lebhaftblau.
Der Grund bestand aus marmorierter Fliese,
Zinnoberrot erschien das Gras der Au.
Die Blumen ziemlich, wie im Walde diese,
Doch grüngelbstreifig jeder Tropfen Tau.
Und über der Couleuren Lustgewimmel
Stand taubenhälsig-schillertaftner Himmel.
O wär' doch nicht erschienen bloß im Traume
Die Paradieseswelt, die buntkarierte!
Es ward gewissermaßen nur die Pflaume
Von weitem vorgehalten der Begierde,
Die sich gesehnet, mit demantnen Knitteln
Von Silberstämmen goldne Frucht zu schütteln.

Er wird des Täfleins in seiner Hand gewahr.

Ei, Ei, Ei, Ei, die Ernte scheint gereifet,
Hier halt' ich ein'ges Güldne in den Fäusten!
Schrift steht darauf, krummschwänzig, ausgeschweifet,
Der Dialekt ist keiner von den neusten.
Wer nun beschlagen war' im Sprachgebiete!
Ich wittre Charaktere vom Sanskrite.
Klingsor, der viel getrieben, trieb auch Indisch.
Zu ihm, daß ich bei ihm den Sinn eintausche!
Doch halt! Schlaf ich wohl noch? Bin ich schon kindisch?
Dort renn' ich an ...

Er rennt mit der Stirn gegen einen Felsen.

Und hier sitzt eine Brausche.
Sie aber warnt vor Felsanrennung künftig;
Der Schluß ist echt. Ich wache, bin vernünftig.
Die Sache hellt sich auf jetzt allegorisch,
Und strahlet von abstraktester Verklärung.
»Kind ohne Vater« klang es metaphorisch,
Gemeint war:

Auf die Tafel deutend.

Ohne Geber die Bescherung!
Ich fand die Brausche, fand die große Warheit,
Und Klingsor gibt zu allem noch die Klarheit.

Er geht.

[590] Castel Merveil. Saal.

Die Bilder der Götter umher.

Instrumente, Bücher, Gewächse.


Eine Schlange liegt im Kreise um den ganzen Raum Klingsor tritt ein. Zwerg leuchtet.
KLINGSOR
zur Schlange.
Ophiomorphos, öffne mir den Kreis!

Die Schlange rückt auseinander. Klingsor und der Zwerg treten in den Innen Raum. Die Schlange schließt den Kreis wieder. Klingsor wirft sich in einen Sessel.
ZWERG.
Meister, weshalb so stumm?
KLINGSOR.
Zwerg, mein Sommer ist um,
Klingsor ward ein müder Greis.
Lies aus dem Kohelet.
ZWERG
liest.

Dies sind die Reden des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem.

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger. Ein Geschlecht vergeht, das andre kommt, die Erde aber bleibt ewiglich.

Was ist es, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist es, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird, und geschieht nichts Neues unter der Sonne.

Ich, Prediger, war König über Israel zu Jerusalem.

Und begab mein Herz zu forschen und zu suchen weislich alles, was man unter dem Himmel tut. Solche unselige Mühe hat Gott den Menschenkindern gegeben, daß sie sich darinnen müssen quälen.

Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Jammer.

[591]
KLINGSOR.
Ins mit dem Buch!
Eines Schacherjuden Machwerk, untergeschoben!
Keines Königes Spruch,
Den die Lippen der Weisen loben!

Der Zwerg wirft das Buch ins Feuer.

Es spricht: Alles ist eitel,
Nur schale Mittelmäßigkeit!
Von der Ferse bis zur Scheitel
Durchschauert uns der Hauch der Zeit.
Enger, gediegner schließen
Den Kreis Fels, Berg, Strom, Tier und Strauch,
Wir fürchten zu zerfließen,
Wir selber, wie ein eitler Rauch.
Weh, wenn in die Umgebung
Du dich versenktest glühendstark!
Sie empfängt furchtbare Belebung,
Und deinem Gebein entsaugt sie das Mark.
Unselig, Natur vergöttern!
Göttlich wird sie erscheinen dir,
Wie Zeus in Todeswettern
Sich zeigte sträflicher Neubegier.
Durch achtzig Jahr' erkor ich
Die Heil'ge, hab' ihr ins Aug' geschaut,
An ihres Rockes Saum verlor ich
Die Sehnsucht um die schöne Braut.
Nun bin ich auf ewigem Wandern,
Und hätte doch gern in mir die Rast;
Fühle mich nur noch im andern,
Und bei mir selber bin ich zu Gast.
ZWERG.
Hat dich der Schreck von außen überwunden,
Sollst du, o Meister, innerlich gesunden.
Du bist der Ruhm, die Kraft der Gegenwart,
Und schiltst auf dich, und schmähest dich so hart?
Hast du nicht wie ein Strom das Land befruchtet,
Mit deinen Schätzen all' uns überwuchtet?
[592] Aus Tausenden hervor dein Abglanz bricht,
Und an der Quell' erlöschte dieses Licht?
Wer hat an einem üpp'gern Mahl gesessen,
Wem ward der Reichtum reicher zugemessen?
KLINGSOR.
Ein hohes Glück, der Götz der Zwerge sein!
ZWERG.
Erquicke dich an deiner Jugend Schein.
Schon lange sann die Treue, dir zu danken,
Und fühlte sich in ihrer Armut Schranken.
In dieses trüben Abends Dämmerung
Steigt auf, ihr Geister, macht ihn wieder jung!
Du süßes Frühlied, das auf Wehmutsschwingen
Ihm aller Herzen Tränenopfer brachte,
Ihr Götter, die erweckt sein kräft'ges Singen,
Daß uns der schönen Hellas Himmel lachte,
Der Pflanzenseelen zart-empfunde Einheit,
Wascht sein Gemüte klar in eigner Reinheit!

Erscheinungen.
ANTINOUS
blutend.
Hast du mich vergessen, Lieber? Bist du meiner nicht bewußt
In dem holdsten, tiefsten Plätzchen, dem verschwiegensten der Brust?
Ach, die Rosen blühten lieblich, und die Nachtigallen sangen,
Liebeselig, still und fröhlich bist du durch den Hain gegangen;
Alle Rosen nickten Küsse, Nachtigall die Flügel schlägt,
Und da hast du sanft und bieder mich in meine Gruft gelegt.
DIE GÖTTER
steigen von den Gestellen und bewegen sich im gemeßnen Reigen.
Warum löstest du das Siegel von den marmorblinden Augen,
Soll des Blicks belebtes Leuchten nicht zu stetem Trost dir taugen?
Wir erscheinen nur dem Tapfern! Unsrer Locken Strahlenwehn
[593] Winkt ihm, wie der Stern des Morgens, über Berg und Meer zu gehn.
Sieh die goldnen Sohlen glänzen, wirf hinweg die Erdenfessel!
Setz dich zu uns! Lange wartet Hebe schon an deinem Sessel.
HAMADRYADEN
aus den Blumen.
Schlank in Stengeln, scharf in Dornen, saftig schwellend, dürres Moos,
Rankten, wucherten, erblühten, schössen wir aus dunklem Schoß!
Garten-, Wasser-, Heidekinder, Wiesen-, Wald- und Moorgeschlechte,
Freudlos, einzeln, ungesellig, jedes nach dem eignen Rechte.
Du mit deinem Zauberstabe gingst durch unsre stummen Reihn,
Rührt'st uns an, in unsrer Abkunft Rätsel weihtest du uns ein.
Einer Mutter Sprosse wiegt sich jetzt der ganze grüne Chor,
Kleine Schwestergeister tragen liebe Botschaft durch den Flor.
Uns hast du verbunden innigst. Soll'n wir, Vater, dich beschämen?
Deine Kinder sind in Frieden. Kannst du deinen Zwist nicht zähmen?
KLINGSOR.
Zur Ruh'! zur Ruh'!

Die Erscheinungen verschwinden.

Ich ward es müd',
Mir selber immer zuzuhören.
Ihr Stimmen, könnt mich ja nichts lehren,
Und euer Glanz, für mich ist er verglüht.
Es füllt die ungeheure Lücke nicht,
Wenn das Geschöpf zu seinem Schöpfer spricht.
Ja, ich war jung, und meiner Kräfte Sendung
Versprach die neue Schöpfungswendung!
Hat wohl die Stimme Wort gehalten?
Ach, einsam bin ich, einer von den Alten!
ZWERG.
Das ist das Los des Hohen immer!
Von Schnee erglänzt der Alpenkoppe Schimmer.
[594] Stets wird der größte Sänger einsam sein;
Der Weiseste, er ist's für sich allein.
KLINGSOR.
Und uns bleibt nichts nach langer Pilgerschaft
Als herber Spott, geheimer Hohn!
Die Achtung ist aus unsrer Brust gerafft,
Die schöne Liebe ist entflohn.
Wie leben lehrend, scheint es, noch mit vielen,
Und ist doch nichts als grimm'ges tück'sches Spielen.
ZWERG.
Sie kommen zu dir aus allen Gauen,
Die Spitze deines Fingers zu schauen.
Bist ihnen ein unfehlbar Orakel,
Um deine Schnitzeln entsteht Spektakel.
Wenn du zuweilen, seltsam gelaunet,
Die Sachen sagst, von denen wir wissen,
Wie sie gemeint sind, und alles staunet,
Die Tiefe des Sinns in seinem Gewissen
Bedenklich erwägt, da muß ich kichern
In meiner Zwergen-Ecke, der sichern.
Aber dann seh' ich das schmerzliche Zucken
Um deine Lippen; trübtiefen Blick,
Und in Tränen mich niederzuducken
Zwingt mich dein unverstandnes Geschick.
Sprächst du vom Vogel federlos,
Vom Feuer, das näßt, vom Wasser, das brennt,
Der Glaube wäre so stark und groß,
Sie liefen danach, bis es einer fänd'.
Neulich kam so ein Affe her,
Sagte, hätte dich Gott gefragt
Vor der Schöpfung der Welt: »Wie machen wir,
Meister Klingsor, den großen Kolossen?«
Du hättest, wie Er, ihn zustande gebracht,
Trocknes und Nasses, Gras, Mensch und Tier,
Den schwätzenden Affen mit eingeschlossen;
Weiser Gebieter, was willst du mehr?
[595] Schiltst du den Prediger, daß er so eitel
Alles gefunden in seinem Alter,
Ei, so kränze mit Blumen die Scheitel,
Harfenschlagend mehre den Psalter!
Laß uns im Spannenden, Kitzelnden, Derben
Schwelgend wühlen bis zu dem Verderben!
Unsre Gärten strotzen von Früchten,
Unsre Keller von Flaschenschichten,
Unsre Truhen werden nicht leer!
Magst du am Fleische der Weiber dich laben,
Willst du die Königin, sollst du sie haben,
Weiser Gebieter, was willst du mehr?
KLINGSOR.
Wie in der Kerze wildflatterndem Leuchten
Der Klumpen sich widerlich spreizend quält;
Lüstern leckt er die Lippen, die feuchten,
Solchen Vertrauten hast du gewählt!
ZWERG
umhertanzend.
Solchen Vertrauten hat er gewählt!
Er ist ihm bös, doch muß er ihn leiden;
Keine der Künste ward mir verhehlt,
Castel Merveil gehöret uns beiden!
Heitre die Stirne, dein Kleiner ist treulich!
Die Menschen sind dumm, wir aber sind klug;
Bis in das Herze so innig erfreulich:
Üben an Großsichdünkenden Trug!
Weißt? der König, die Tafelrunde
Suchen sehr emsig »ohne Vater das Kind«.
Höchsten Glückes versichernde Kunde
Wollte der König, du verkauftest ihm Wind.
Nanntest das Unding dem blöden Gesellen,
Und nun schwören sie alle dabei.
Es lebe die Lüge, die List, das Verstellen!
Es lebe die Narrheit, da schalten wir frei!
[596]
KLINGSOR.
Schweig! Wenn dir Vertierten reizend
Scheinen verrenkte Fratzen und Possen,
Ist mir der Unsinn ein Mistqualm, beizend,
Längst hat mein Übermut mich verdrossen.
Ich vermag mich dem Artus nicht hinzugeben,
Aber ich wollt', daß ich wäre, wie diese!
Morgenrötlich gaukelt ihr Leben
Hin unter Zelten auf blühender Wiese.
Sing mir ein Lied, rauh, schrecklich und kräftig!
Manches der Art hast du abgemerkt,
Daß ich in mir erzittre heftig,
Daß sich am Grauen mein Mut bestärkt.
ZWERG
singt zur Harfe.
Hinterm alten Turme,
Wo sich bläht der Molch,
Wo im kalten Sturme
Schierling weht und Lolch;
Hinterm alten Turme
Liegt auf dem Krötenstein,
Angehaucht vom Sturme,
Fahles Totenbein.
Hinterm alten Turme
Um das Bein im Ring
Flatterten im Sturme
Weiße Schmetterling'.
KLINGSOR
nimmt die Harfe.
Was weißt du vom Turme?
Was weißt du vom Bein?
Von dem Greu'l im Sturme
Weiß Klingsor allein.

Zwerg ab.
KLINGSOR
allein.
So hab' ich es im Traume jüngst geschaut,
Das ist mein Totenbein, vom Taue nicht betaut!
[597] Mein fahles Totenbein, um das die Larven schwirr'n,
Verschwunden hinterm Turm! Zerstäubt ist Fleisch und Hirn.

Er tritt zu der Schlange.

Ophiomorphos, aus dem Blick erzeugt,
Da in der Hyle Jaldaboth sich spiegelt'!
Noch niemals hab' ich deinen Mund entriegelt,
Genügend hat dein Anschaun mir gedeucht.
Heut frag' ich dich. Du weißt ja, was ich will,
Laß mich in Worten nicht den Drang entweihen,
Der mich zu dir treibt aus des Lebens Reihen;
Antwort' auch du durch Zeichen, groß und still.
Antworte, tiefe Selbstsucht der Natur!
Mein Heil'ges, das, den Schweif zum Haupt gewendet,
Den allumfassenden Kreis in sich vollendet,
Sprich mein Verderben aus! Antworte nur.

Er berührt die Schlange mit dem Stabe, sie zerfällt in Staub.

Staub! – Dieses Zeichen hab' ich nicht gefordert!

Es klopft.

Wer stört um Mitternacht?

Kay tritt ein mit dem goldnen Täflein.
KAY.
Kay, beordert
Vom König nach dem vaterlosen Jungen.
Der Schurk ist zwar nicht aus dem Ei gesprungen,
Doch fand der zierliche, der biedre Kay
Dafür 'ne Schrift vom Mustag oder Altai.
KLINGSOR.
Was bringt Ihr, Ritter?
KAY.
Meister, ein Problem.
Ich stell's. Lest Ihr's. Denn dieses ist an dem.

Er reicht ihm die Tafel.
[598]
KLINGSOR.
Erblindet meine Augen! Welche Schrift!
Wer gab dir diese Tafel?
KAY.
Wüßt' ich's, Bester!
KLINGSOR.
Sie bohrt ins Hirn sich wie ein glühnder Stift,
Umklammert meine Sinne, fest und fester,
Wie ein Polyp umzüngelt's mich beklommen:

Er liest.

»Das Kind, das ohne Vater ist, wird kommen.«
KAY.
Ei, Ei, das wäre! – Doch ich sah, mit Gunst
Nie solche Wirkung edler Schreibekunst.
KLINGSOR.
Das ist die Schrift, in der die Menschen schrieben,
Eh sie der Herr von Babels Turm getrieben.
Ihr Denkmal lag in Urweltskluft begraben.
Da sah ich's, keiner außer mir kennt sie ...
Sollt' Zerduscht? ... Nein!
Er schwor mir, daß sie nie gewesen sein.
Wenn dir's nicht Lüfte zugetragen haben,
So lebt ein Größerer, als Klingsor!

Er geht.
KAY
allein.
Wie?

[599]

Am Grabe der Mutter. Steinblöcke. Mondschein.

MERLIN
tritt ein.
Er naht, und meines Lebens Stund' ist da!
SATAN
erscheint.
Erschrick nicht!
MERLIN.
Den laß erschrecken, der dich schrecklich sah!
Du kommst, auf deiner Schulter Nachtigallen,
Ein Frühlingsgott durch Frühlingshallen,
Du bringst des neuen Segens vollen Strauß;
Und in der Falte, die sich wehmutweich
Um deine Lippe windet, prangt zugleich
Des satten Herbstes überreicher Schmaus.
Anmut und Hoheit spielen da gesellt,
Ich grüße dich, du schöner Fürst der Welt!
SATAN.
So werd' ich stets den Adlichen mich zeigen.
Die Mißgestalt ist mir nur eigen
In der Plebejer Phantasie;
Und wer mich macht zu Gottes Eulenspiegel,
Der sott die eigne Kleinheit in dem Tiegel,
Mich sah er nie. –
MERLIN.
So ist's. Warum erschien verzerrt und häßlich
Der Vater meiner Mutter?
SATAN.
Unerläßlich
War jene zornige Verwandelung.
In ihrem Abscheu mußte sie empfangen,
Aus Haß und Glut ist stets hervorgegangen
Die höchste Kraft, das reichlichste Vermögen.
[600]
MERLIN.
Es hat doch wohl an andrem noch gelegen.
SATAN.
Bist du so klug? – Nun ja, sein schleichend Gift,
In meines Baues Adern eingetropfet,
Wild durch mein Blut hin hat es auch geklopfet,
Und daß Erlösung fände Wirkens Trift,
So mußte wohl die Hölle sein vorhanden.
Zur Sache! Diese Zeit ist überstanden.
Du weißt, wozu ich dich gezeugt.
MERLIN.
Mit wem du mich gezeugt, ich weiß es.
SATAN.
Mein Werkzeug du in irdischen Banden,
Was an der neuen Seuche keucht,
Heb' aus dem Bad des entnervenden Schweißes!
Gib ihnen Gesundheit wieder! Würze
Kräftig das Abgestandene, stürze
Morschende Tempel, vernichte die Schätzung
Weibischer, dumpfer, verworrener Satzung!
MERLIN.
Kurz sprichst du, wie der Herrscher pflegt.
Willst du mich ehren, beweis' es die Tat
Wenn man den Sklaven zur Fronde schlägt,
Sitzet der Gleiche, gebeten, im Rat.
SATAN.
Du bist mein Sohn.
MERLIN.
Nach des Fleisches Sinn.
SATAN.
Wie?
[601]
MERLIN.
Denke der Mutter, der Schläferin.
War sie dein?
SATAN.
Du bist mein.
MERLIN.
Ich bin deiner und ihrer.
Deiner im Wissen, vielleicht im Wähnen,
Ihrer im Gebet, in Demut und Tränen!
Du bist der Sterblichkeit mächt'ger Regierer,
Aber du redest zu dem Ebenbürt'gen,
Dämon, mußt du den Dämon würd'gen.
Wie im Aug' erst auflebt des Malers Tuch,
Wie der Schriftzug im tiefsinnigen Buch
Von dem Lesenden seine Seele gewinnt,
Hab' ich, unglückliches Doppelkind,
Mich erst gewonnen im Schoße der Armen,
Und Merlin ist des Satan Sohn
In der Gnade der Mutter durch Gottes Erbarmen.
Deine Beute, sie ist dir entflohn,
Und über dein verfehltes Wagen
Hast du dich nur bei dir zu beklagen.
SATAN.
Vielmehr deinen Stolz, ich muß ihn preisen,
Er bewegt sich denn doch in meinen Kreisen,
Dieser Worte kraftstrotzendes Wehen
Zeigt mir; wir werden uns wohl verstehen.
MERLIN.
Gerechtigkeit werde dir gerne gezollt.
SATAN.
Und hab' ich denn jemals schon mehr gewollt?
Dich lock' ich weder mit Macht noch mit Gold,
Dir öffn' ich nicht der ew'gen Jugend Bronnen,
Dir bring' aus Assurs Königsgräberwüstenei,
[602] Aus Babels Schutt ich nicht die alte Kron' herbei,
Dir biet' ich nicht gestürzter Götter Wonnen,
Dich führ' ich nicht, weil ich dich ganz versteh',
Wie Jenen auf des Berges Höh'.
MERLIN.
Es freut mich, daß du männlich mit mir sprichst,
Verschiedne Frucht von manchem Stamm nicht brichst.
Dergleichen Schüssel, sauer, süß und bunt,
Ist nur für eines Klingsor Mund.
Ein jeder hat, was er gebraucht,
Und ich besitze, was mir taugt.
SATAN.
Drum sollst du mir mein heil'ges Recht verschaffen,
An deine Tugend wend' ich mich!
MERLIN.
Wer stört in deinem Rechte dich?
Was kümmert dich der Wahn der Laffen?
Du bist der Demiurgos, Schöpfer; wir erkennen,
Wir Wissenden dich an, und deinen Namen nennen
Wir achtungsvoll.
SATAN.
Der Wen'gen Achtung mir genügen soll?
MERLIN.
Es steht ja alles, wie du es gebildet.
SATAN.
Nein, es verwittert, es verwildert.
Am Anfang, da er in sich aufgelebet,
Und an dem eignen Strahl die Kraft entbrannte,
An seinem Blick das Auge sich erkannte
Hat in des Abgrunds Tiefen er gebetet.
Und zitternd setzt' er ein des Chaos Schichtung,
Die tote, dumme, farbenlose Masse,
Das Öde, Trübe, Finstre, Nebelnasse,
[603] Als eine Schranke gegen die Vernichtung,
Daß leblos den Despoten sie umwalle!
Ich aber schwang mich auf des Sturms Gefieder
Voll brünst'gem Mitleid zur Verworfnen nieder;
Das ist die Wahrheit von der Engel Falle!
Und schied der Erde Feste von dem Himmel,
Schied Helle, Finsternis, und Land und Fluten,
Entzündete der obern Lichter Gluten,
Weckt' auf der Kreaturen Vollgewimmel.
Da stand's und regte sich, wie meine Liebe
Sein kleines Leben jeglichem gegönnet,
Es springt, rennt, jauchzt und seine Speis' erkennet
Jedwedes nach dem eingesenkten Triebe.
Vollendet war's am sechsten Tag, da ging ich,
Den Duft der Schöpfung schlürfend, durch den Garten,
Und von der jungen Herde tausend Arten
Den unschuldsvollen Säuglingsdank empfing ich.
Kennst du Vollkommneres, als mein Gebäude?
Ein stet'res Gleichmaß du von Blühn und Sterben?
Den reinem Tausch von Zeugen und Verderben?
Kennst du in zärt'rer Mischung Schmerz und Freude?
Kennst du notwendigere Notwendigkeit?
Kennst du den rundern Kreis geschlossner Pflichten?
Kennst du der Schuld gerechteres Zernichten?
Kennst du die treuere Beständigkeit?
Den Reichen straft, wornach ihn heiß gelüstet,
Es siegt der Held durch Überkraft und sinket,
Der König, gleich den andern, Lethe trinket,
Das Volk bleibt in dem Dunkel, unverwüstet.
Er aber grollte drei Jahrtausende,
Und zornig, daß mein Herz zum Sein entflammet,
Was kalt zu ew'gem Schlummer er verdammet,
Goß er die Gärung aus, die brausende.
Seit er auf Golgatha geächzt, gezittert,
Durchschleicht der Wurm des großen Baumes Früchte,
Löst auf die Pest das Innerlichstgefügte,
Ist mein unsterblich Wohlsein mir verbittert.
Denn meiner Menschen Augen sind die Becher,
[604] Zu denen alles, was da lebt und webet,
Sich zu erfrischen, durst'ge Lippen hebet,
Dahin verwies ich alle meine Zecher.
Er, der Entsetzlich-Unergründliche,
Umschleierte die holden, frohen Blicke,
Und trieb die Armen mit der feinsten Tücke
Ins Wesenlos', ins Unausfindliche.
Wozu der Gaumen, darf er sich nicht letzen?
Wozu ein Ohr in der Verstummung Fasten?
Was nützen Hand und Fuß bei trägem Rasten?
Was frommt ein Aug', das Farben nicht ergötzen?
Mit Sinnen, Nerven, Blut und Geist durchschüttet,
Bemühn sie sich, die Gaben zu verachten;
O greuelvoll selbstmörderisches Trachten!
O Wut, die ihres Ursprungs Quell zerrüttet!
Sind sie, von leerer Sehnsucht übermeistert,
Nur erst zerfallen an den eitlen Sorgen,
Zerfällt der Lenz, Herbst, Sommer, Abend, Morgen,
Von keines Menschen Lobe mehr begeistert;
Stumpft sich der Winkel meiner Signatur,
Und wie der Kalk sich an der Luft zerreibt,
Und vom Kristall nur Feuchtigkeit verbleibt,
Zergeht in Todesschmerzen die Natur.
Dann hat er, was er will, besitzt, was mein,
Und mit dem Chaos ist er dann allein.
MERLIN.
Aufrichtig sagtest du, was dir bekannt,
Und deinen Gram, ich kann ihn mitempfinden.
Indessen ist dies Leid bald abgewandt,
Und die Bekümmernis soll schwinden.
Wenn dir vor deiner Welt Vernichtung graut,
Weil er, als du damit zustand gekommen,
Sie zärtlich in den Arm genommen,
Und auf die Lippen der geschmückten Braut
Den Kuß gehauchet, welcher Christus heißt,
So wiss', allmächtiger und doch befangner Geist;
Nun lebt sie erst und welket nie!
[605] Eröffnet euch, ihr Himmel! Sieh!

Er reckt den Arm aus. Die Wolken teilen sich. Es erscheint die Herrlichkeit des Himmels.
SATAN.
Was tust du? Wehe dir und mir!
Ich erblinde!
MERLIN.
Finde
Dich wieder! Denke des Tags, da, gefaltet
In seinen Strahlen, ein spielender Blitz du gewaltet!
Trage das Gesicht! Ich ertrag' es.
SATAN.
O Adonai!
MERLIN.
Was siehst du? Sag' es.
SATAN.
Martrer! Mich selbst ... Alles ... Ist's Wesen ...
Ist's ein Spiegel? ... Ich kann nicht lesen,
Ob's sein? Ob es mein? Laß ab, mich zu pein'gen!
MERLIN.
Du bist es selber mit allem Dein'gen. –
Sieh nun, ob du aus dir geboren,
Des du vor mir dich hoch vermessen,
Du kamst ja nur von ihm, und warst der Diener dessen,
Der dich zum Werke günstig auserkoren.
Denn weil in seiner überschwell'nden Güte
Er sich nicht einsam mochte nur genießen,
Drum ließ er aus dem göttlichen Gemüte
In dir den Funken seiner Allmacht sprießen,
Und was in seinem Reichtum ewig fertig,
Des wollt' er sein aus dürft'ger Hand gewärtig.
Es werde das Geheimnis nicht verletzet
Durch rohen Laut! Nur eines noch:
Er hat in dir sich als den Haß gesetzet,
[606] Weil überschwänglich ihn die Liebe zog;
Frei ließ er schalten dich in seiner Habe,
Damit, was außer ihm, das volle Leben habe.
Blick hin! Du hast der Tage sechs gebraucht,
Dann drei Jahrtausende, dir's zu bewahren;
Ihm hat die kürzere Frist getaugt,
Sieh die Dinge in ihm, wie sie sind und waren.
Sieh alles nacheinander und zugleich!
Vor und zurück, in Zwietracht, ausgeglichen,
Schwermut und Heiterkeit im Friedensreich,
Und die Vergangenheit, die nicht verstrichen!
Vollendet sieh's, sobald er's nur gedacht,
Die Ernte sieh verschwistert mit den Lenzen,
Sieh seinen Sonnentag, zugleich die große Nacht,
Drin des Orion Gürtelsterne glänzen!
Sieh dort die Gaben von der Erde Tische,
Auf goldnen Matten rein und klar gebreitet,
Den Winter sieh, der mit des Nordens Frisch
Der jüngsten Blüte keinen Tod bereitet!
Sieh, wie die Wogen sich im Sturme wälzen
Und als gelindes öl das Ufer streicheln,
Sieh aus dem grausten Stamm, dem starrsten Felsen
Hervor die Seele sanftverschämt sich schmeicheln!
Sieh hin! Denn ach, ich stammle nur,
Und meine Rede klingt wie Spott.
Sieh, mächt'ger Gott in der Natur,
Sieh droben die Natur in Gott!

Die Vision verschwindet.
SATAN.
Laß mich von hinnen!
MERLIN.
Mich zu gewinnen,
Wirst du nun wohl nicht ferner dich mühen,
Trunken von solcher Gesichte Glühen,
Des Ursprünglichen armer Knecht,
Miss' ich den Sinn für geliehenes Recht
Wie des Silbers vererzte Zacken
[607] In des Herdes zehrender Loh',
Wenn vom Geschicke sich scheiden die Schlacken,
Wunder strahlen in Farben froh;
So erfaßte die Welt ein Feuer,
Innigen Frühlinges Liebesglück!
Täler und Berge strahlen, neuer,
Wieder den herrlichen Silberblick!
Diesen zu fesseln, zu hegen, zu fest'gen,
Zeugtest du mich, nach seinem Beschluß;
Wolle mich drum nicht ferner beläst'gen,
Denn ich vollbringe nur, was ich muß.
SATAN.
Daß ich mich nicht mit Vergebnem betöre,
Darf ich nicht erst versichern dir.
MERLIN.
Nicht mich zu hemmen, gelobe.
SATAN.
Ich schwöre:
Sicher bist du, Merlin, vor mir!

Er verschwindet. Merlin wirft sich unter dem Sternenhimmel zum Gebete nieder.

Die Wiese von Kardweil.

KÖNIG ARTUS
zu Kay, der vor ihm steht.
Und so vergib mir, Freund und Vetter,
Daß ich durch Wind und böses Wetter
Nach einem Unding dich gejagt.
Es war ein Scherz! Des Königs Scherzen
Vermag den Ruf nicht anzuschwärzen,
Da niemand nachzuscherzen wagt.
Vergiß das Kind nun ohne Namen,
Zu den bekannten Freuden setz' dich nieder,
[608] Und da des Festes Stunden kamen,
Sei du ein Gast der runden Tafel wieder!
KAY
in tiefen Gedanken.
»Sollt' Zerduscht? ... Nein!
Er schwor mir, daß sie nie gewesen sein.«
Zerduscht? Ja freilich, wenn der es geschworen hat!
Nein, der lügt nicht. Zerduscht! Es ist um zu
verzweifeln. Warum nicht Zoroaster? Zerduscht! O! ...
ARTUS.
Wie? Mann! Mit offnem Aug' er träumt.
Sein armes Hirn ist ausgeräumt,
Alles, was er spricht, klingt wie verrückt,
Hätt' ich ihn doch nicht fortgeschickt!
Besinn' dich! Erkenne die Matte, die grüne,
Den Klee, die Rosen, den frischen Hain,
Erkenn' deine Freunde, die Paladine,
Sieh der Zelte, der Fahnen buntflimmernden Schein!
Ei, soll'n wir in Zukunft deiner Taten
Und hochverständigen Reden entraten?
KAY.
»Wenn dir's nicht Lüfte zugetragen haben,
So lebt ein Größerer, als Klingsor.«
Lüfte? – Je nun! ... Übrigens ganz vortrefflich gesagt.
In solchen Sachen da ist er immer Er! Lüfte! Pfui!

Er spuckt aus.
ARTUS.
Den hat ein toller Hund gebissen.
KAY.
Der größte Schatz ist ein gut Gewissen.
Urlaub zu gehen also hab' ich, Fürst?
ARTUS.
Ich gab ihn nicht. Sag, wo du hausen wirst?
[609]
KAY.
Bei Kohl und Rüben, in des Landes Stille.
ARTUS.
Was treibst du dort?
KAY.
Feldbau und Weltweisheit.
ARTUS.
Geschehe, weil du es verlangst, dein Wille.
Doch kehre bald zurück, gescheit.
KAY.

Es geht sonderbar zu unterm Mond. Die Jungfern hatten Kinder, aber die Kinder hatten Väter. Er hat sich schlafen gelegt unter dem Walnußbaum ohne Gold, und ist aufgewacht mit Gold. Man hat es für eine Allegorie gehalten, eine Brausche ist gerannt worden, und man ist bei Sinnen geblieben. Wir sind gegangen nach Castel Merveil, Klingsor hat sich entsetzt, und in der Schrift sind die Anschläge zum Babylonischen Turmbau geschrieben worden.

ARTUS.
Schweig! Diese Narrheit macht mich ganz beklommen.
KAY.
»Das Kind, das ohne Vater ist, wird kommen.«

Er entfernt sich. Minstrel tritt zu Artus.
MINSTREL.
Warum, du Sohn des Uter, tatst du das?
Dem Knechte nur geziemt ein seichter Spaß.
ARTUS.
Ha, grauer Fiedler, redest du im Trunke?
Bei jener Feuernacht und ihrem Stern,
Als Uter schwelgt' im Schoß der Yguern',
Es glimmt von ihr in meinem Blut ein Funke!
[610]
MINSTREL.
Daß Artus einen Sänger ausgeschmält,
Sie glauben's nicht, wenn es die Sag' erzählt.
ARTUS.
Geh! Du hast recht, denn du bist ich.
Durch deinen Mund zürnt Artus auf sich,
Wozu ihn ruft der Saiten Klingen,
Das muß er alsobald vollbringen;
Was er getan, wie er's vollbracht,
Des treuen Harfners Harfe sagt.
MINSTREL
singt.
»Auf jenem Pfingstfest zu Kardweil
Gab's ein Turnei der Tafelrunde.« ...
ARTUS.
Da saßen in den Bügeln steil
Die ersten Helden zu jeglicher Stunde.
Laß mich die Romanze zu Ende beichten
Und sprich mich los in Reimen, leichten.
Du hast's gesehn. Dein rein Gemüte
Trank stillen Entzückens sich daran voll,
Wie der Ritter, der Fraun unvergleichliche Blüte
Aus des Frühlings lieblicher Knospe quoll.
Der freudige, schmetternde Lanzentyost!
Und die silbernen Greise, sich verjüngend!
Die kreisenden, schäumenden Becher voll Most,
Und die Knaben, der Siegenden Wappen schwingend!
Doch in der Minne holdreizender Frone
Geschäftig die zärtlichen Busen, so weiß!
Kön'gin Ginevra auf samtenem Throne,
Kön'gin der Schönheit in solchem Kreis!
Und aus der Äste belaubtem Schrein,
Angezogen vom fröhlichen Schall,
Lauschend, flötend das Waldvögelein,
Die süße, selige Nachtigall!
[611]
MINSTREL.
»Der Ritter und die Dame lacht,
Im Aug' des Königs stand die Träne« ...
ARTUS.
Hat dir's die Ahnung kund gemacht?
Wischt' ich doch still vom Aug' die Träne! –
Von Lust und Pracht umfangen,
Fühlt' ich urplötzlich ein erschrecklich Bangen.
Mir war, als ob der Tod vom fahlen Rosse,
Der Hunger, um den Leib geschnürt den Strick,
Die Seuche mit dem giftigen Geschosse,
Verzweiflung mit dem stillen Nageblick,
Nach meinen Helden, Frauen, griffen, zielten,
Weil sie so hoch, so adelig sich hielten!
MINSTREL.
»Da ging der König zu Klingsor,
Der seitwärts saß und spöttisch greinte« ...
ARTUS.
Und trug ihm seine Nöte vor,
Und Klingsor sah, daß Artus weinte.
Er sprach: »Dies ist, Klingsor, die Not,
Ich furcht' der Massoney Verderben.
Schirmt diese Herrlichkeit mein Tod,
So will der König für sie sterben.«
Versetzt Klingsor aus Ungerland:
»Endlich sucht Ihr den alten Rater,
Das Mittel ist mir wohlbekannt,
Schickt nach dem Kinde ohne Vater!
Denn dieses vaterlose Kind,
Trefft anders Ihr das echt' und rechte,
Das bringt, ich schwör's bei Well' und Wind,
Den Segen Euch der Himmelsmächte.«
Da ward dem König glühend heiß;
Er schämt' sich seiner weichen Schwäche,
Und in den Mantel kichert leis
[612] Der alte Tückebold, der freche.
MINSTREL.
Der König, statt verachtend ihn
Zu lassen seinem finstern Wesen,
Beschloß, zur Strafe ihn zu ziehn,
Und hat den Narrn zur Rach' erlesen.
Er schickt den Narren über Feld
Mit Klingsors tollem, höhn'schen Worte,
»Der Unsinn wandre durch die Welt
Dem alten Zauberer zum Torte!«
Denn alle Gimpel werden bald
Castel Merveil besuchen gehen,
Um dumm und plump, und dreist und kalt
Des Spruches Lösung zu erflehen.
ARTUS.
Der arme Narr verlor den Sinn,
Das, Minstrel, hat Artus verbrochen!
MINSTREL.
Geschehn, geschehn! Und hin ist hin!
Nun bist in Reimen losgesprochen.

Tafelrunde.

DER SENESCHAL.
Im Glanz der Pavillone
Ihr Paladine, Stein' in Artus Krone,
Muß ich auf unsres Mahles Freudenpflichten
Berühmte Ritter, eure Geister richten?
Die Tafel, weises Wort und Scherz gebärend,
Schweigt heute trüb. Was naht' ihr, sie versehrend?
GAWEIN.
Ich denke nach, wie viele
[613] Verhängnis hinwarf niedrer Schmach zum Spiele!
Und weil ich meine, daß dem Mann die Ehre
So nötig tue, wie das Erz dem Speere,
Die Luft der Brust, und Speis' und Trank dem Leibe,
Als wie dem Priester Andacht, Scham dem Weibe,
So bin ich tief betrübet,
Weil es, die Ehre missen, leider gibet.
GAREIS.
Ich denke nach, wie viele
Vor uns gelangten zu der Ehre Ziele!
Und weil der ganze Schatz der hohen Ehre,
Der unberührte, nur genügend wäre,
Um eines Mannes heil'gen Durst zu stillen,
Den Abgrund, der in uns erlechzt, zu füllen,
So bin ich tief betrübet
Ob jener, die am Schatze Raub geübet!
EREK.
Ich denke nach, wie viele
Im Meer der Ehre fahren mit dem Kiele
Der scheußlichen, höchst mißgeschaffen Schande.
Denn was ist Ehr', als Widerschein vom Brande,
Den das Gewissen in uns angeschüret?
Wurmfräß'ge Frucht, nach außen rot gezieret?
Drum bin ich tief betrübet,
Weil der, so Ehre sucht, nur Schande übet.
GAWEIN.
Schande die Ehr'! Ein wunderbarer Satz.
GAREIS.
Er schwor jüngst auf dem Ringelrenneplatz,
Er wolle nicht zwei Worte sprechen,
Wie wir.
ARTUS.
Und sein Gelübd' er halt.
[614]
EREK.
Mein Fürst, ich kam mit Runzeln auf die Welt.
ARTUS.
Und zogst der Mutter Busen ein Gesicht,
Du wachtst bei Nacht und schliefst am Tageslicht,
Wolltst auf dem Kopfe gehn; weil's nicht gelang,
So schriest du, wie man sagt, sechs Wochen lang.
Vor Zuckerdüten schaudernd, griffst du fröhlich
Nach Birkenreis und warst, geschlagen, selig.
Du fastest hier, und iß'st allein dich satt,
Und wenn wir tanzen, schleichst du traurig, matt.
Jüngst, als in dir sich Minnelust entsponnen,
Hast du mit Schelten deinen Dienst begonnen.
Den Mantel trägst du von verkehrtem Zeuch,
Du jagst im Weih'r und fischest im Gesträuch!
EREK.
Weißt du, was gleich die Trauer von mir nähme?
ARTUS.
Nun?
EREK.
Wenn der Samstag nach dem Sonntag käme!
Dann lebte man vom Winter in den Herbst hinein,
Den Sommer durch, und stürb' im Frühlingsschein.
GAWEIN.
Ein Platz ist ledig an des Artus Hofe,
Beruf ihn, König, auf des Kay Stelle.
EREK.
Und setz' ihm Gawein, als die muntre Schelle
Ans bunte Kleid. So kommt zum Schluß die Strophe
Des witz'gen Freundes.
ARTUS.
Erek, 's ist unmöglich.
[615] Denn Gawein und die andren sind verpflichtet
Zum Heereszuge wider die Siluren,
Die mir drei Banner mörderisch vernichtet.
EREK.
Gottlob! Dann tumml' ich bald auf Kampfesfluren!
ARTUS.
Erek, du bleibst.
EREK.
Wie Herr? Dies war' zu kläglich.
Du wolltest von der Massoney mich scheiden?
GAREIS.
Bleib du dem König, wenn wir andren fallen!
EREK.
Auch mich um Ehre, Gareis, zu beneiden!
Das schmerzt den armen Erek!
GAWEIN.
Ich schwör': Wir beiden
Hoch halten wir dich, gleich den andern allen.
Und, sei's gesagt: uns mindre Männer mag
Der Tod ereilen und der letzte Tag,
Wenn du, der erste, best' uns überlebst.
EREK.
Sofern du wieder deinen Spruch anhebst,
Gawein, von denen, so die Schande schilt,
Ich weiß dann, wem es gilt.
Hier ist mein Schwert, zieht mir ein Schleppkleid an,
Legt mir die Kunkel in die Hände,
Vergabt den Ehrensitz, den ich gewann,
Mir ging die schöne Brüderschaft zu Ende!
ARTUS.
Das reine Eisen ziemt der tapfern Hüfte,
[616] Behalte du's!
Du sollst, wenn von dem Buhurt schall'n die Lüfte,
Damit noch bieten manchen wackern Gruß.
Mich tat der Übermut verleiten,
Unschuld'gen Truges Schleier auszuspreiten.
Denn mit den Siluren hat's nicht not,
Sie sandten mir heute Zins und Bürgen,
Von innrem Zwist und wildem Würgen
Entkräftet, folgen sie meinem Gebot.
Zu scherzen liebt die mutige Freude,
In des Streites Verwirrung lächelt die Kraft;
Die Massoney ist das feste Gebäude,
Ich seh's, der liebenden Heldenschaft.
Sei du, mein Erek, nun bekehrt
Zu einem milderen Urteilsfällen;
Denn linkisch in allem und verkehrt,
Trägst du doch das Schwert an der rechten Stellen.
EREK.
Das heißt: Zur Linken, Herr! – Links ist hier recht,
Wie Leben Tod, wie Liebe zu Leid ausschlägt.
ARTUS.
Ei, unsre Tage sind ein holder Schwank!
EREK.
Den Satan plaudert, wird die Zeit ihm lang.
ARTUS.
Von dieser nicht'gen Schmerzen Wutgedränge
Ward auch mein Aug' sonst trüb, mein Busen enge.
Ich konnte nicht das Rot der Rose schaun,
Die roten Lippen nicht holdsel'ger Fraun,
Ich dacht' an Wund' und Blut, es macht' mir Graun.
Laß fahren hin! – Wie auch die Schreckniss' streiten,
Sie lagen friedlich unter goldnen Saiten.
Auf, Minstrel, bring im Bett des süßen Tons
Zur Ruh die Qual, die Angst des Erdensohns!
[617]
MINSTREL.
Einst hört' in salva terra Perillus süß Getön,
Es klang nicht von der Erde, klang aus des Himmels Höhn.
Es waren keine Worte, die man verstehen kunnt';
Perillus ward schwermütig seit dieser selben Stund.
Er ließ die Kund' im Sterben dem Erben Titurison,
Der schaukelt' auf den Knieen den lieben kleinen Sohn.
Von dem der Vater hatte geträumt in led'gen Tagen,
Er werd' im Paradiese dereinst die Krone tragen.
Und als der kleine Titurel den Vater sprechen hört'
Vom Klang in salva terra, da ward sein Sinn verstört.
Er sprang mit beiden Füßen von Vaters Knieen auf,
Und nahm durch alle Lande den sehnsuchtsvollen Lauf.
Er horchte, ob das Klingen nicht wieder schöll' etwan,
Und da es nimmer schallen wollt', hub er zu seufzen an.
Sein Knabenwämschen hatte verwachsen Titurel,
Suchend durchschweift die Erde der reis'ge Junggesell.
Gefurchet und gebräunet die Jünglingswangen hell,
Suchend durchschweift die Erde der alternde Titurel.
Mit Runzeln auf der Stirne, das dünne Haar schneeweiß,
In einer Wüste nieder verzweifelnd sank der Greis.
Da schwebeten vom Himmel vier Engel silberklar
Und trugen in den Händen den Kelch, den heil'gen dar.
Nun klang das süße Tönen, so einst der Ahn vernommen,
Nach welchem ausgegangen des Enkels Fuß', die frommen.
Und an dem Kelche flammte die Schrift, ein Feuermal,
Also gebot durch seine Glut der dreimal hehre Gral:
»Ich will in dir, o Titurel, den Pfleger mein erkennen,
Du sollst den Tempel bauen mir, und Montsalvatsch ihn nennen.«
Spricht Titurel, der zitternde: »Wie mag die Form ich wissen?«
Da liegt die Platt' zu Füßen ihm, worauf der Plan gerissen.
Nun ward erhöht der Wunderbau auf einem dunkeln Onyxstein,
Hoch in der Kuppel schwebete des Grales blut'ger Schein.
In Feuerschrift am Kelch erscheint der Ratschluß seiner Macht,
[618] Der Schein weist die Templeisen zurecht in düstrer Nacht.
Es ist ein hochgegründetes, geheimnisreiches Haus,
Und Manns- und Fraungestalten gehn sinnend ein und aus. –
Nun hör, du edler Artushof, noch manches schöne Wunder
Von Parzifal, der König ist auf Montsalvatsch jetzunder.
Held Parzifal, Herzelaudens Sohn ...

Der König steht auf.
ARTUS.
Fackeln! Leuchtet mir!

Er geht.
Die Tafelrunde erhebt sich.
DIE RITTER.
Was ist dem König?
GAWEIN
zum Minstrel.
Ihr Sänger singt stets zu viel oder zu wenig!
Weißt du nicht, daß dies Lied vom Gral
Dem Artus zeugt Qual?
Geheimer Zauber ist dran geknüpft,
Der vergiftend ins ruhige Blut ihm schlüpft,
Es klingt ihm, wie das Gekreisch der Alrunen!
Wir schweigen drum von Titurel,
Von Parzifal, Herzelauden, Sigunen.
GAREIS.
Durch die Lüfte reiten die Geister schnell,
Und berühren der Menschen Stirne,
Dann schäumt es mondsüchtig im Hirne!
Ein solcher tückischer Kobold
Hat uns heute den Besuch gezollt,
Und kehrte des Mahles Lust in Verdruß.
GAWEIN.
Wo war' ohne Frauen und Minne Genuß?
Uns fehlte die schöne Königin,
Sie ging zu der Schwester, zur Niniane.
[619] Minne heißt die Dankausspenderin,
Minne heißt das Zeichen in des Ritters Fahne!
EREK.
Lasset das Grübeln!
GAWEIN.
Grübler, du schmählst?
GAREIS.
Weil er's nicht selber tut.
EREK.
Gareis, du fehlst.
Heute noch, heute den Wein geschlürft,
Solang ihr es könnt, solang ihr es dürft!
GAWEIN.
Komm nur! Er bleibt vom alten Schlag.
EREK.
Lacht immerhin! Lacht mich aus! 's ist der letzte Tag
Des Lachens heute!
GAWEIN.
Erek! wieso?
EREK.
Fragt nicht! Sinnt nicht! Brüder, seid froh!
GAREIS.
Du mahntest zur Freude mit 'nem Totengesicht.
Bist du krank?

Sie gehn zur Tafel.
MINSTREL.
Mein Gedicht,
Sie haben dein zartes Gewebe zerstört,
Da flattern im Winde die Fäden!
Versuchen wir zu reden
[620] Mit uns selber, da niemand zu hören begehrt!
Held Parzifal, Herzelaudens Sohn, kam früh zum hehren Gral,
Und die Zeichen standen dichtgedrängt, rings an der Wand im Saal.
Er sah sie an, und sah sie nicht, er hörte schluchzen und weinen,
Und die Männer und Frauen schauten bang nach ihm, und er fragte keinen.
Hätt' er nach des Leides Grund gefragt, sie hätten ihm gehuldiget trunken;
Stumm schied er von dannen, kronenlos, und sie blieben in Leid versunken.
Das Weltgeheimnis ist nirgendwo; es ist nicht hier und nicht dorten,
Es schaukelt sich wie ein unschuldiges Kind in des Sängers blühenden Worten.

Rosengarten der Königin.


Artus. Ginevra.
ARTUS.
Frau Königin, sei mir gegrüßt!
Die Abendsonne geht noch milde
Auf nach dem Tage, irr und wüst,
In deinem friedesel'gen Bilde.
Entferne dich, Ginevra, nie
Von unsrer Tafel, meinem Zelt,
Denn Frauenreiz und Courtoisie
Die sind das goldne Band der Welt,
Es hadern wildempört die Glieder,
Schwingt Schönheit nicht ihr sanft Gefieder.
GINEVRA.
Die Schönheit darf nicht feiern immer,
[621] Sie zieht erobernd durch das Land,
Ich habe deines Heldenkranzes Schimmer
Den neuen Stern, o Artus, zugewandt.
ARTUS.
Sprachst du die Schwester?
GINEVRA.
Nein, du kennst
Ja selber wohl ihr wunderlich Bezeigen.
Sie hält sich neckischfrei und seltsam eigen,
Und schweift dahin, daher, ein hold Gespenst.
Ich ging nach ihr, mich an ihr Herz zu schmiegen,
Der Mutter Aug' in ihrem zu erblicken;
Sie schüttelte das Haupt mit losen Tücken,
Den leichten Fuß sah ich von dannen fliegen.
Bald hätte mich die fromme Schwestertreu
In Schmach gestürzt.
ARTUS.
Dein Blick irrt froh und scheu.
Ist's Freud', ist's Bangnis, was den Busen hebt?
Was macht dich froh? Wovor bist du erbebt?
GINEVRA.
Ich hab', o Herr, ja Schrecken nur erlebt. –
Heim schritt ich durch den Wald von Dioflee,
Da stand vermummt vom Kopfe bis zur Zeh'
Auf finstrem Kreuzweg eine Ungestalt,
So klein sie war, ich ward vor Schauder kalt.
Sie murmelt vor sich hin den Zaubersegen;
Ich wollt' entfliehn, und konnte mich nicht regen!
Wie ich, sind die Begleiter festgebannt,
Der Böse naht, und reckt nach mir die Hand.
Da, glänzend wie Sankt Michael vom Himmel,
Sprengt durch den Forst auf leuchtendem Schimmel
Der junge hohe Held daher,
Er trifft den Feind mit seinem Degen schwer.
Er schlägt verächtlich nur mit flachen Streichen!
[622] Der Arge muß dennoch entweichen.
Und als er flüchtend Kapp' und Kleid verlor,
Erkannt' ich ...
ARTUS.
Wen?
GINEVRA.
Den Zwergen des Klingsor.
ARTUS.
Das ist nicht möglich!
GINEVRA.
Hätt' ich mich geirrt!
ARTUS.
Du hast's, von Angst das Aug' umflirrt.
Castel Merveil birgt Dinge, schädlich,
Doch ist der Alt' in seiner Weise redlich.
Er mag mich höhnen, mich verfolgen, hassen,
Wird den gemeinen Knecht nicht schalten lassen.
Wo weilt dein Retter?
GINEVRA.
Er harrt in Züchten.
ARTUS.
Was ist's für ein Mann?
GINEVRA.
Du mußt ihn sehn.
ARTUS.
Weiß er, wem er erwiesen des Schwertes Pflichten?
GINEVRA.
Er schwieg, ich schwieg. So ist es geschehn.

Die Ritter der Tafelrunde treten ein.
[623]
ARTUS.
Hier kommen die unsern zur guten Nacht.
Führ' einer den fremden Helfer herein,
Ich hoffe, sein Wappen ist echt und rein.

Lanzelot vom See tritt ein.
LANZELOT
beugt das Knie vor dem Könige.
Preis sei des Artus heiliger Macht!
ARTUS.
Wie heißest, wunderbarer Jüngling, du?
LANZELOT.
Ich nenne mich den Lanzelot vom See.
DIE RITTER
in freudiger Bewegung.
Lanzelot! Lanzelot!
LANZELOT.
Stört dieser Name würd'ger Helden Ruh?
DIE RITTER.
Heil dir, Lanzelot!
ARTUS.
Faß ihre Regung! Ihren Ruf versteh!
Sie zittern vor Freude, umarme die Werten!
Umarme mich, ersehnter Paladin!
Nun ward meiner Krone der Demant verliehn,
Unsre Wünsche fanden den höchsten Gefährten.
Das Land des Ruhmes war gespaltet,
Und diente einem doppelten Gebot;
Die eine Hälfte haben wir verwaltet,
Die andre Lanzelot.
LANZELOT.
Mein König, du beschämst mich tief
Ich bin ein Rittersmann, gleich andern.
Der Zufall wollte, daß auf meinem Wandern
Manch Abenteuer mich berief,
[624] Und daß dabei, in Feld- und Waldesschranken
Lalagandries, Lymer und Iwerett sanken.
ARTUS.
Auf jede Brücke, jeden Steg
Sandt' ich die Boten, dich zu gewinnen.
LANZELOT.
Ich trug, zu kommen, längst in meinen Sinnen,
Doch immer gab's zu tun noch auf dem Weg.
Jetzt bin ich, wo ich weilen soll,
Sei es geschehn zur guten Stunde!
ARTUS.
Der Zwölf t' ist da! Mein Tisch ward voll,
Und nun beschließ' ich unsre Tafelrunde.
Den wir gesucht, das Schicksal führt ihn her.
LANZELOT.
Jawohl, ein göttlich Schicksal führt mich her!
ARTUS.
Wie dacht' ich drauf, dir zu vergelten
Den Dienst, den du uns unbekannt erwiesen!
Doch welche Gunst belohnet diesen,
Groß wie sein Nam', wie seine Tugend selten?
LANZELOT.
Artus, ich hab' ein ernstliches Begehr.
ARTUS.
Fordre mein Reich! Ich lobe dir Gewähr.
LANZELOT.
Es ist um Land und Schätze nicht gemeint,
Gefesselt steh' ich hier, leibeigen, Sklave.
So bitt' ich, daß ich auf die gleiche Strafe
Verklagen dürfe meinen holden Feind.
[625] Er traf mich, lahmte mich mit seinen Pfeilen,
Soll ihn nicht Buß' um solche Schuld ereilen?
Ich bitte König Uters hohen Erben,
Daß ich in adeliger Zucht und Sitte,
Mit keuschem Dienste, mit erlaubter Bitte
Um dieser Dame Minne dürfe werben.

Er verneigt sich vor Ginevren.
DIE RITTER.
Weh' dir, Lanzelot!
GINEVRA.
Wehe mir!
ARTUS.
Du wirbst um deines Königs Frau.
LANZELOT.
So mußt' es sein! Mein Los bleibt sich getreu!
Ein ausgestoßner Fündling, kenn' ich keinen
Der beiden Eltern, führ' ein irrend Leben;
Den Feinden hab' ich Schutz und Schirm gegeben
(Ich kannt' sie nicht), und Freunde macht' ich weinen!
Des ungeheuren Iw'rett Überwinder,
Bewältigt mich Mabüs', der blöde Sünder,
Und daß sich diese Trauermäre kröne,
Verirrt die Liebe sich, die reine, schöne,
Das einzigste, das herrlichste Begegnen,
Und Frevel zeugt ihr himmelmildes Segnen!
ARTUS
zu den Rittern.
Ich ford'r euch auf, den seltnen Fall zu schlichten.

Die Ritter schweigen.

Ginevra, du?

Ginevra wendet sich ab.

Wie? Bleib' ich ohne Rat?
So magst du selber, Lanzelot, dich richten!
LANZELOT.
Vergiß, mein Herr, was ich erbat. –
[626] Ab nun scheidet Lanz'lot vom See
Aus der Menschen Mitte,
Und in dem Walde von Dioflee
Baut er die Hütte.
Dort verscharrt er Panzer und Schwert
In die Erde leise,
Singt, aus dem Psalmenbuche belehrt,
Klägliche Weise!
Nahrung gräbt sich die dunkle Gestalt,
Wo die Kräuter sprießen;
Ihr sollt, zieht ihr tyostend zu Wald,
Nimmer sie grüßen.
Raum in dem Walde begehr' ich von dir,
Fürst dieser Scharen,
Königin, Teure, schenke du mir
Mein Gewand von Haaren!
ARTUS.
Die Lösung mißbehagt mir, junger Held.
LANZELOT.
Vielleicht, daß dir 'ne kürzere gefällt.
Du hättst mein Haupt gesehen nie,
Tat früher ich mein Lieb erkennen.
Das Haupt, verwirkt um Felonie,
Nimm's hin, und laß vom Rumpf es trennen.
ARTUS.
Noch wen'ger will mir dieser Spruch behagen.
LANZELOT.
So weiß ich nichts, mein König, mehr zu sagen.
Tod ist mein Los, da Fluch im Keim erdrückt,
Was mich so sehr entzückt!
Und gleich gilt mir es, wie ich ende.
Soll ich verschmachten im Klausnerrock?
Soll ich verbluten auf dem Block?
Ich geb's in deine Hände.
[627]
ARTUS
knüpft Ginevren den Schleier ab.
In meinen Händen liegt der Kön'gin Schleier.
Und da du selber sagst, du seist kein Freier,
Muß man dich kennen an der Knechtschaft Mal.

Er knüpft dem Lanzelot den Schleier als Schärpe um.

Trag' diese Bind' im Dienste deiner Wahl! –
Nach Fug und Recht und Brauch der Paladine
Gebar' dich, wage, dulde, wirb und diene!
Denn Schönheit ist das Licht der hohen Seelen,
In ihr bricht auf das Leben zum Gewinne,
Und keinem Tapfern soll die Blume fehlen
An seines Helmes Spang': die hehre Minne!
Die Schönheit ängstlich neidisch zu bewachen,
Geziemt nur eines Marke blödem Sinne.
Es höhnt die sorgenvolle Kunst des Schwachen
Die schlaue, tiefe, wilde, tapfre Minne!
Was hat der Schmerz zu tun mit meinem Amte?
König von meiner Tage Anbeginne,
Blieb' ich, ob Pein des Feuers in mir flammte,
Der höchste Schirmvogt ritterlicher Minne!
Und daß sie sich nicht selber arg zerstöre,
Stell' ich sie hiemit in die Hut der Ehre.

Er geht. Die Ritter folgen.
Lanzelot. Ginevra. Sie stehn weit voneinander.
LANZELOT.
Mit sieben Siegeln
Hat Salomo die Geister gebunden,
An stärkern Zügeln
Lieg' ich gebändigt und überwunden!
Nun folgt' ich wohl den Spuren
Der oft von mir verlachten Troubadouren,
Und spräche schwärmend,
Und ab mich härmend,
Zu Sternen, Felsen, Hügeln, Blumen, Quellen,
Weil meiner Liebe Wellen
[628] Im Wort des Königs starken Damm gefunden!
GINEVRA.
Der Frauen Blüte
Gleicht einem edlen, köstlichen Weine;
Hohen Manns Gemüte
Ist wie der tiefe Kelch, der glänzend reine.
Von seinem Gold umfangen,
Entfaltet erst der Wein das höchste Prangen.
Ach, wie so fröhlich,
So überselig
Ist einer Frauen stillbegnügte Liebe!
Der nichts zu wünschen bliebe,
Als ewiglich zu glühn in fremdem Scheine!
LANZELOT
zu einer Staude gewendet.
Ich will, du schöne schlanke Winde,
Zu meiner Trauten dich erwählen,
Und mich mit dir, dem Frühlingskinde,
Vor Sehnsucht lechzend, hier vermählen.
Ich rühre deine weichen Ranken,
Als wären's zärtlich-runde Arme;
Mir ist, wenn deine Blätter schwanken,
Als ob ein Herz an mir erwarme.
Du streckst in tau'ge Finsternisse
Die Glocken aus, die purpurschweren,
Das sind die roten, süßen Küsse,
Die deine Lippen mir bescheren.
Laß alle Anmutgaben sprießen,
Die Minne je um Minne bot!
Das darf den König nicht verdrießen
Vom unglücksel'gen Lanzelot!
GINEVRA
zu einem Baume gewendet.
Ich will an dich, du stolze Eiche
Heut abend meine Gunst verschenken,
In deine Krone send' ich weiche
Gefühle, und mein zärtstes Denken!
[629] Die wildgezackten Blätter zittern
Vor ungeduldiger Bewegung,
Es brauset wie ein dumpf Gewittern,
Durch deiner Äste Abendregung.
Doch meine Seele, sich zerteilend,
Sich lösend in ein innig Sehnen,
Umfließe deine Wipfel heilend,
Ein Traum der Wehmut und der Tränen!
LANZELOT.
Was ist die Liebe, wenn in nicht'gen Bildern
Sie krank sich schwelgen muß,
Und wenn auf stillem Wege zum Genuß,
Die Wünsch' in irrer Schattenqual verwildern?
Wenn Täuschung so die Täuschung hetzte, triebe,
Was war', o grausam Glück, die Liebe dann?
GINEVRA.
Die Liebe!

Feld.

KLINGSOR
mit Mantel und Stab.
Mich trägt der Zorn, das schnaubende Roß,
Auf Unruhwegen aus dem Schloß!
Ophiomorphos' Staub ist stumm,
Und draußen schweift der Gaukler um.
Denn Gaukler ist er, oder Tor,
Es lebt kein Größrer, als Klingsor!
Die Jungens, die gleich Fliegen mich umspüren,
Sie haben jene Schrift mir weggenascht,
Und er hat sie von einem dann erhascht.
So hängt's. Ich schließ' in Zukunft ganz die Türen.
Sie können nichts, als aus mich plündern,
Auch er ist einer von den Sündern.
Der alte Schnack vom Gral dem fronen,
[630] Der erst im Orient tat wohnen,
Und den ich für den Westen dann erfrischet,
Der wird von ihm jetzt aufgetischet,
Was ich erfand, damit will er belehren.
Vom Pöbel wallt's um ihn, vom närr'schen,
Jetzt strebt er zu Hof, um dort zu herrschen.
Ich aber will das Steu'r ihm kehren,
Hier prüf ich ihn, will ihn verstören.
Zwar ist das Menschenpack mir langst zuwider,
Doch sollen meine Spruch' und Lieder
Beherrschen sie, so lang' ich bin,
Dann fahr' der Kram ins Chaos hin!
Durch diesen neuen Götzen soll
Nicht werden er auf andre Weise toll;
Noch einmal wird sich Klingsor zeigen,
Dann birgt er sich im ew'gen Schweigen.
MERLIN
tritt auf.
Volk folgt ihm.
Ich bitt' euch, geht, und bleibt in euren Hütten.
Ihr lernt von eurer Väter frommen Sitten,
Von jedem Tag, in Arbeit hingebracht,
Mehr, als Merlin zu künden hat die Macht.

Das Volk geht ab.
KLINGSOR
tritt zu ihm.
Du scheinst mir gar nicht in der Irre.
So wie die Schöne, die zu reizen weiß,
Den Busen halb verbirgt, halb zeigt mit Fleiß,
So gibst du, nimmst du, machst sie brünstig, kirre.
Du sagst dem Pöbel: Sei dir selber Heiland,
Begeistre dich an deinen eignen Werken!
Doch dabei läßt du freilich ihnen merken,
Daß diese deine Lehr' ist nicht von weiland.
Der stärkste Stier läßt sich zum Joche schmeicheln,
Das Volk hört gern von seiner Majestät,
Nur wacker lügen, süßlich streicheln,
Und fertig wurde der Prophet.
[631] Du schilderst dich, nicht mich. – Die Menschen haben
Für Wahrheit ein tiefinnerstes Vermögen,
Und nur, wer ihnen bietet falsche Gaben,
Dem zahlen sie die falsche Münz' entgegen.
KLINGSOR.
Du glaubst sonach an dich? – Das ist ersprießlich.
Ein jeder lebt doch gerne aus dem Vollen.
Die Täuscherei macht uns zuletzt verdrießlich,
Man wünscht sich selbst zu weihn, was andre zollen.
Magst du wohl Rätsel raten?
MERLIN.
Wie ich meine,
Sind Rätsel, die zu raten, eben keine.
KLINGSOR.
Drei Knaben wollen in Eimern
Uns bringen die Speise her,
Sie schöpfen aus unendlichem Vorrat,
Sie füll'n aus unergründlichem Meer.
Sie laufen und sind geschäftig,
Sie halten die Eimer im Kreis,
Doch wollen wir essen und trinken,
Versiegt in den Eimern die Speis'.
Dann laufen sie wie zum Vorrat,
Dann rennen sie wieder zum Meer,
's bleibt aber beim Hungern und Dursten,
Denn die Eimer, die Eimer sind leer.
MERLIN.
Bis daß die glänzende Jungfrau
Vom Himmel zur Erde sich schwingt,
Mit den seligen leuchtenden Augen
In den Kreis der drei Knaben dringt!
Die Knaben fallen aufs Antlitz,
Die Eimer stürzen, zersprengt!
[632] Die Jungfrau lächelt geruhig,
Und wir sind gespeist und getränkt.
KLINGSOR.
Das ist ja dunkler als das Rätsel.
MERLIN.
So?
Die Lösung zeigt dir nur so finstre Mienen,
Weil dir die Jungfrau niemals noch erschienen.
KLINGSOR.
Was für ein Mensch ist dieser? – Schadenfroh,
Du lachst zu früh. Ich fordre Weissagung.
Sag mir, woran wohl werd' ich enden?
MERLIN.
Du morscher Baum, der noch sich anstellt jung,
Du stirbst an herbem Herzeleid.
KLINGSOR.
Die Scheidemünze hast du gleich bereit! –
Das ließ sich greifen mit den Händen.

Ab.
MERLIN.
Ob ihn nun bald ermüdete dies Spiel?
Er ist ein Greis, drum trag' ich es geduldig,
Nachdem mir Satan blieb die Antwort schuldig,
Wählt mich ein Fasler zu des Hohnes Ziel.
Gesteh' dir nur, du übest Tücke,
Du läß'st dir diesen Aufenthalt gefallen,
Je weiter deine Füße vorwärts wallen,
Je heftiger reißt's dich zurücke!
In wilder Felsen stummsten Engen,
Da ist dein Haus, da weile!
Warum mich unter Menschen drängen,
Da ich das Menschliche nicht teile?
[633] Sie schwanken zwischen Zukunft, Gegenwart,
Im Lieblich-Ungewissen;
Vor meinem Geist steht alles klar und hart,
Ich schmachte nach den Finsternissen!
KLINGSOR
als Jüngling zurückkehrend.
Hier find' ich, den ich suchen wollt!
Meister, seid meiner Jugend hold.
Man sagt, Ihr löst den Klingsor ab,
Der uns bis jetzt Orakel gab,
Weil ich nun auch von gestern stamme,
Wärm' ich mich an der jüngsten Flamme.
Eine Frage quält mich bitterlich,
Ihr wißt die Antwort sicherlich.
Das Tier hat Triebe, die es führen
Zur Paare, Brüte, Wanderzeit,
Der Mensch kann aber an nichts verspüren,
Was just zur Stunde, und gescheit.
Da sind vergeudet bald die Kräfte,
Das Haar ergraut, es stocken die Säfte.
Man hielt' wohl besser Haus, wüßt' man
Zu messen aus der Tage Spann'.
Die Meßkunst ich gern lernen möcht',
Einteilen ließe sich's dann recht.
Wann sterb' ich, Meister, und woran?
MERLIN.
Du stirbst vor großer Seligkeit.
KLINGSOR.
So sterb' ich denn an Herzeleid,
Und sterb' an großer Seligkeit.

Er nimmt seine natürliche Gestalt an.

Marktschreier du, dem's kalt und heiß
Aus dem schamlosen Munde fährt!
MERLIN.
Klingsor, ich habe dich geehrt
[634] Mit meinem Spruche, schwarz und weiß.
Ich glaub' an deinen edlen Kern,
Du dunstumhüllter Irrestern,
Drum sagt' ich dir zweifachen Tod,
Und dies wird wahr vor Morgenrot.
Sein eigenstes Gesetz hat jedes Wesen,
Es schwingt drin, wie die Unruh in der Uhr,
Aus der Gestalt der Signatur
Läßt sich sein ganzes Erdenschicksal lesen.
Dir war das Leben stets ein Doppeltes,
Vom Einfach-Einen sich dein Geist entfernte,
Und hier und da und dort Gestoppeltes
Bedeutete dir eine große Ernte.
Darum wird auch der Tod, einfach den andern,
Zu dir mit schrägem Doppelantlitz wandern.
KLINGSOR.
Ich bitt' dich, fall nicht in den Pred'gerton,
Der Priester Salböl könnt' ich nie verdauen.
MERLIN.
Der bleiche Mund spricht diesem Hohne Hohn,
Du möchtest kräftig scheinen, bebst vor Grauen.
Nicht ziemt es mir, dich zu belehren,
Denn du bist alt und ich bin jung.
Ich hab' mit andern zu verkehren,
Was soll des Weges Hinderung?
Ich walle still für mich; du, den ich nicht drum bat,
Trittst zu mir, und verlegst mir meinen Pfad.
Castel Merveil ist deine Stätte,
Sei, wie du bist, und laß mich los.
Ich wüßt' nicht, was ich dir zu sagen hätte,
Die Kluft ist zwischen uns zu groß.
Dir galt die Erde, See, das Firmament,
Für eine Leiter einzig, dich zu steigern;
Da heißt es, was man Demut nennt,
Vollkommen und entschieden zu verweigern.
Die Menschen halb und schwach zu finden,
[635] Erhielt dich selber stark und ganz,
Getrost zerpflücktest du nach allen Winden
Der Andacht, Lieb' und Ehre vollen Kranz;
Du tatst das wie ein Mann, du tatst das wie ein Held,
Und dir gehört ein großes Stück der Welt.
Nur freilich ist dies Stück so ziemlich wüste!
Und es gedeiht auf solchem Acker nichts
Als Wahn, Empfindsamkeit, Betrug, Gelüste,
Und kleine Klugheit eines Wichts.
KLINGSOR.
Du aber? ...
MERLIN.
Klingt in deiner Brust
Denn nur ein Laut von mir? Was also willst du hören?
Auch fehlte mir, Klingsor, bis jetzt die Lust,
Hochmütig grübelnd in mir umzustören,
Und stolz bei meinem Wert zu schwören. –
Denn alles, was da lebt und regt,
Und sich in eigner Formation bewegt,
Steht näher mir, als ich mir bin.
Des Königs hoher Fürstensinn,
Der Frauen sanfte Veilchen-Treue,
Des Ritters Wagen, und der Jungfraun Scheue,
Des kleinsten Bürgers armer Werkeltag,
Des letzten Bauern Fleiß und Ungemach,
Das alles ist mir wert und wichtig,
Viel wicht'ger als mein Ich, so schwach und nichtig.
Weil ich denn ganz mich an das All verschenkt',
Hat sich das All in mich zurückgelenkt,
Und in mir wachsen, welken, ruhn und schwanken,
Nicht meine, nein! die großen Weltgedanken.
Sie ziehen feierlich die ernste Bahn,
Ich flieg', 'ne Feder, mit zum Ozean,
In dessen Schoß gebadet, sie, die hehren,
Mit heil'ger Grausamkeit mein Ich verzehren.

Klingsor will gehn.

Bleib! Mir zum Leid war dies Gespräch,
[636] Warum mußt du in meine Kreise schweifen?
Ich gebe dich in dessen Pfleg',
Den du allein verstehest zu begreifen.
Demiurgos!

Satan erscheint. Klingsor fällt mit dem Antlitze auf den Boden.

Erfrische den welken Alten
Mit deinen ewigwechselnden Gestalten!

Merlin geht.
SATAN.
Mein starker Sohn hat sich geirrt.
Er meint, du habest mich zum Wirt,
Indes du meiner Kleinen Kleinsten
Verehrtest als den Ungemeinsten.
Doch bring' ich Trost von andrer Weise:
Der Ungeratne ist schon aus dem Gleise.
Des geb' ich Bürgschaft und Gewähr;
Du hast doch recht, unrecht hat er.
Gepackt vom grimmigsten Widerspruch
Ward er bereits, möchte gerne davon,
Kann's nicht, bald ächzet er grausesten Fluch,
Schlangenumschnürter Laokoon!

Satan verschwindet.
Klingsor rafft sich zitternd auf und geht.

Nacht. Zeltlager der Tafelrunde.


In den offnen Zelten schlummernd: Artus, Ginevra, die Ritter.
NINIANA
tritt zwischen den Zelten auf.
Will einer mich fangen,
Schlüpf' ich verstohlen
Auf federnden Sohlen
[637] Gleitend hinweg.
Nach keinem verlangen,
O reines Empfinden!
Mit Wolken und Winden
Führet das Mädchen ihr freies Gespräch.

Sie tritt zu Ginevra.

Du wolltest mich gerne,
Schwesterlein, küssen,
Du mußtest doch wissen,
Daß ich's nicht leid'!
Nun komm' ich von ferne
Geschlichen bei Nachte,
Und rühre dir sachte
Wimpernverhangene Äugelein beid'.

Sie küßt die Augen der Schwester.

Ich tät einem jeden
Gleich den Gefallen,
Und gäbe wohl allen,
Was sie begehrt.
Doch weil sie von reden,
Und wenn sie drum bitten,
In fliehenden Schritten
Das Mädchen den glänzenden Nacken kehrt.
Mein Ringlein ich habe,
Rötlich umschienen
Von glühnden Rubinen,
Mit hergebracht;

Sie streift einen Rubinenring vom Finger.

Die herrlichste Gabe,
Die Wünsche, die süß'sten,
Das liebste Gelüsten
Schenke den Träumenden, Ringlein, zu Nacht!

Sie wirft den Ring empor, der als glänzende Lufterscheinung über den Zelten schweben bleibt.
ARTUS
träumend.
Mit Ehrfurchtzittern tret' ich
In deine ew'gen Hallen!
[638] Verhüllten Hauptes bet' ich:
Laß, Montsalvatsch, dies Opfer dir gefallen,
Nimm uns, o Gral, die du so lang berufen,
Mich, mit den Meinen allen!
Die Tafelrunde kniet auf deinen Stufen.
GAWEIN
ebenso.
Wo bist denn du geblieben,
Mein Lorbeerkranz, so heiter,
Den einst die Hand der Lieben
Gewunden ihrem ehrenhaften Streiter?
Da kräuselt er umher, verwelkt zu Staube,
Die Lüfte wehn ihn weiter,
Ich lächle ob der schwachen Blätter Raube.
GAREIS
ebenso.
Hier wird nicht angereget
Der Neid am vollen Mahle!
Die weiße Taube leget
Die Hostie, flügelschwingend auf die Schale,
Und gleich durchzuckt ein vollgenügend Speisen
Von oben her zu Tale
Den ernsten Kreis begnadigter Templeisen.
EREK
ebenso.
Wer ist im gelben Lichte
Der Wunde dort, der ächzende?
Ich grüß' sein Angesichte,
Anfortas ist es, der Genesung lechzende.
Roi Pecheur! So lehrt auch hier zu klagen
Der Erdenschmerz, der krächzende!
Bei dir bleib' ich, will deiner Sorge tragen.
GINEVRA
ebenso.
Sigune, Taube, weinend
In bunter Felsengrotte!
Auf deinem Schoße scheinend
Des Liebsten Leichnam, schön, dem Tod zum Spotte!
[639] Wie herrlich glänzt der treusten Seele Jammer
Im Brautgemach bei Gotte!
Hast du noch Platz für mich in deiner Kammer?
LANZELOT
ebenso.
Tschionachtolanders Lose
Neid volles Preisen spend' ich;
Wer ruht der Lieb' im Schoße,
Bleibt, ob zur Leich' er wurde, stets lebendig.
Zu solcher Leiche, o mein Leib, zu taugen!
Und über mir beständig
Sigune weinend aus Ginevrens Augen!
ARTUS
bewegt sich unruhig im Schlafe.
Verlangst du Opfer, schwere,
In Lüften schwebender Schrecken?
Begehre nur, begehre,
Du heil'ges, düstres, wildes Flammenbecken!
Was haben deine Liebenden verbrochen,
Daß du den ältsten Schrecken
Aufrufst in krampfbewegter Adern Pochen?

Merlin tritt ein. Das Morgenrot bricht an.
MERLIN
zu Ninianen, die entfliehen will.
Bleib!
NINIANA.
Fange mich!

Der Rubinenring läßt sich auf ihrem Haupte nieder, wo er, zum Strahlenkranze erweitert, ruhn bleibt.
MERLIN.
Dies ist der Stern des Morgens,
Der von dem Himmel zu der Erde sank
Aus holder Torheit! Fand
Die Stätte nicht, würdig zu ruhn, und fiel
Drum in des Merlin Brust!
Hat Merlin ausgetauscht, verfälscht, vergiftet,
Er ist nicht Merlin mehr ...

[640] Niniana entflieht lachend.

O Morgenstern,
Du spottst in angewiesner Bahn der Fabel!
Zu wandeln vor der Sonn' her ist dein Los.
Sie rennt ihm nach durch alle Himmelsräume,
Den reizenden Verkündiger zu küssen,
Und holt ihn nimmer ein. Dann weint sie schamrot,
Recht satt von Leid, zum Meer hinunter. Er
Lacht aus der alten Base dunklem Fenster
Als schelm'sche Venus ob des Witwer Jammers.
Oh! Ich verwechsle die Geschlechter schon
Als wie Tiresias! –
Nun sind wir zwei, wie Göttlichen geziemt,
Ins höchste Haus des Firmaments gerückt,
Du Venus, Helios Ich!
Und wie der Gott, und wie das Tagsgestirn,
In eignem Lichte ganz von Klarheit schwanger
Sich selber offenbaret, sprich dein Wort:
Du liebst! – Furchtbares Wort, das in den Abgrund
All deine Kräfte stürzt!
O Flötenwort, des Frühlingsbalsam-Atem
Den Staub der Mutter weckend rührt im Grabe!
Sie setzt in ihren Linnen sich zurecht
Und lispelt: »Nun bist du der Sohn der Erde!«
Ich bin's, und alle Schmerzen wurden mein!
Von linder Wehmut süßem weichem Hauch
Bis zu dem Schrei der heulenden Verzweiflung
's ward alles, alles mein! In Merlins Brust
Ruft eure Klagen, Jubel, Zweifel! Ruft,
Was nur die Lippe sagt, das Herz ersinnt,
Geschlechter ihr der Erde, die ihr lebet,
Und die ihr leben werdet! Denn ein Echo
Wird jedem Rufe tönen! Wie sich einst
Der Gott ins Ird'sche tief und tiefer duldete,
So hat sich jetzt in meine Göttlichkeit,
Entsagend seinem rohen derben Leibe,
Das Irdische geschwungen!
Dem Logos ward der Acker nun bestellt,
[641] Und die Erlösung hat den Kreis beschlossen.

Er naht sich den Schlafenden.

O meine Menschen! Meine hohen Menschen!
So sehn sie aus. Ersätt'ge dich, mein Aug',
An ihrem Anblick! Euer Bruder ward ich.
Jetzt bin ich ein Priester, und die Hand,
Weil sie von Leiden zuckt, darf Leiden tilgen.
Mit diesem Segensdruck der Zärtlichkeit
Bann' ich die Ewigkeit herab.

Er legt die Hand auf die Stirn des Königs.

Erwacht
Im Lichte der Erfüllung!

Sie erwachen.

Traum ist Wahrheit!
's gibt keinen Irrtum, und kein Täuschen gibt's.
Was in der Seele wohnt, das wohnt auch draußen,
Der Hort des Titurel ist kein Liederscherz,
Ihr sollt ihn schaun in wesenhafter Fülle!
ARTUS.
Auf eure Knien stürzt! Hier steht ein Gott!

Sie knien.
MERLIN.
Solang die Lumpen niedrer Sterblichkeit
Um meines Innern Glieder spärlich flattern,
Heiß' ich Merlin, das vaterlose Kind,
Nach dem du ausgesandt. – Der Spötter muß,
Der sich verstohlen schlich ins Sanktuar,
Von unverstandnem Ding gezwungen stammeln.
Dies war das Fatum Klingsors. Ein Gleichnis aber
Setz' ich hiemit; wer Ohren hat, der höre.
Drei sind es, welche zeugen. Zwei erschienen,
Der ein' im Leben, und im Tod der zweite,
Der dritte ward verheißen. Ob er da ist,
Fragt eurer Herzen Klopfen! – Des bedrückten,
Demüt'gen Jammers Zeiten sind vergangen;
Hinfüro will er sein mit frohen Wangen,
[642] Und sich entzücken unter den Entzückten.

Zu Artus.

Ich nehm' von dir die ird'sche Würd' ...

Er nimmt ihm die Krone ab.

Und zahle
Dafür den Preis:

Er setzt ihm die Krone wieder auf.

Sei König du im Grale! –
Die Hand! Folgt mir! Ihr wißt, wer mit euch geht:
Ich bin der Geist! Euch führt der Paraklet!

Er geht mit dem Könige voran.
Die Königin und die Ritter folgen.

Castel Merveil

Vorplatz.
Klingsor. Zwerg.

ZWERG.
Darf ich nicht bei dir sein?
KLINGSOR.
Geh du hinein!
Zünde von Sandelholz
Duftendes Feuer,
Wirf in die Flammen, stolz,
Balsame, teuer.
Stecke die Kerzen an,
Fege die Stiegen,
Laß um die Pfeiler dann
Kränze sich schmiegen,
Alles mit Köstlichkeit
Sollst du beschicken!
ZWERG.
Herr, und die Festlichkeit?
[643]
KLINGSOR.
Wirst sie erblicken!

Zwerg ins Schloß.
KLINGSOR
auf der Rasenbank.
Dem alten Herrn Rother stürzet das Roß
Von der Wucht auf der Flucht aus dem Kampfe!
Vorüber die Ritter, vorüber der Troß,
Da liegt er im wirbelnden Dampfe!
Sein Haupt hängt herunter, sein Auge das bricht,
Bei dem sterbenden Alten ist niemand nicht,
Der ihm helf' in dem ringenden Krampfe.
ZWERG
im Innern des Schlosses.
Von deiner Töne Drang
Bersten die Mauern,
Splittern die Säulen schlank!
Mäß'ge den Harfenklang!
Laß sie dich dauern!
KLINGSOR.
Und ist bei dem Alten niemand nicht,
So ist er bei sich doch geblieben.
Er dreht sein erblindetes Angesicht
Dem Licht entgegen, dem lieben.
Der Sieger, der junge, der reitet im Trab,
Er kommt, steigt runter, will schleichen seitab:
»Nicht mag ich dein Scheiden dir trüben!«
ZWERG.
Höre die Fenster klirr'n,
Vom Lied durchwittert,
Pfosten und Balken knirr'n,
Durch dich erschüttert!
Tosender Geister Heer
Heult, haucht und schnaubt umher,
Alles erzittert!
[644]
KLINGSOR.
Denkst, Junge, ich sterbe vor Herzeleid,
Weil's die Götter mit mir so gefüget? –
O Liebster, ich sterbe vor Seligkeit,
Daß du mich, mein Jüngling, besieget ...
Herzjunge! Mein Junge! das war ja der Gram,
Daß den Größern ich nimmer zu sehen bekam;
Nun haben's die Götter gefüget!

Er stirbt. Castel Merveil stürzt ein.

Montsalvatsch.


Treppenstufen unter den Vorhallen.
Parzifal. Lohengrin.
PARZIFAL.
Die fürchterliche Wüste, uns umgürtend,
Liegt hinter deiner Füße mut'gen Ballen,
Und dieses Tempels, freundlich und bewirtend,
Die Heimlichkeiten dieser Jaspishallen
Entdeckte dir, o Wandrer, der geläutet
An unsrer Pforte, meiner Lippen Lallen.
Nun, wie die Schlang' im neuen Strahl sich häutet,
Streif du den Zweifel ab in unsrem Lenze,
Ergreif das Heil, das du so früh erbeutet,
Getrost geh ein zu Salvaterras Grenze!
LOHENGRIN.
Noch laß, gekrönter Sohn der Herzelaude,
Mich harren an den äußern Propyläen,
Und furchtsam beben wie die Mistelstaude.
Noch laß mich fragen: Bin ich ausersehen?
Ich, der ich schritt, ein leichtgeschürzter Knabe,
Wohin die Sohlen sorglos mochten gehen.
Was ich besitz', ist ja gemeine Gabe.
[645]
PARZIFAL.
So scheide! – Teilst du nur die Gaben aller,
Bringt dich der Zufall wohl an diese Plätze.
Nun, warum gehst du nicht, mein junger Waller?
LOHENGRIN.
O Frevler ich am göttlichen Gesetze,
Das mich in seinen Riesenkreis gerissen!
Vergib dem Reuevollen, Schatz der Schätze!
PARZIFAL.
Wahrscheinlich wirst du jetzt das Rechte wissen.
LOHENGRIN.
Was war' das Heil'ge, stand' es zu erringen?
Unendliches, was war' es, wenn das Endliche
Zu ihm gelangte mit der Sehnsucht Schwingen?
Nein, mich umfängt das Unabwendliche!
Es fassen mich die Ketten, die gestählten!
Des Menschen Tat, die einzig kenntliche
Ist: Fühlen sich im Stande der Erwählten.
PARZIFAL.
So ist es, Lohengrin. Die Schelmenlist,
Das höchste Kleinod für den Pfennig: Tugend,
Sich zu erhandeln, hier verrufen ist.
Auf Montsalvatsch gibt's wilde, freche Jugend,
Auf Montsalvatsch geraten kühne Sünder:
Sigun', Anfortas, eitle Lüste suchend!
Das aber gilt uns Schelmenlist nicht minder,
So einer meint, wenn er entsag' und leide,
Da werd' er gleich des hehren Grales Finder.
Denn sieh! Ich prang' in Purpur, Samt und Seide,
Und bin nicht besser, als in Unbeglückung
Die Armen, die bei uns im groben Kleide.
Der Gral ist ein Geheimnis, eine Schickung.
[646]
LOHENGRIN.
Doch wenn die Schrift erglüht am fronen Kelche ...
PARZIFAL.
Dann sind wir all' in froner Lust verglichen!
LOHENGRIN.
Und keiner weiß, wer wonniglicher schwelge!
PARZIFAL.
Und keiner weiß, ob in den Flammenstrichen ...
LOHENGRIN.
Er das Gebot, ob es der Gral gegeben!
PARZIFAL.
Und so, der Pflichten traur'ger Haft entwichen ...
LOHENGRIN.
Scherzt in der Seligkeit das freie Leben!
Es füllet sich der Chor mit Visionen,
Die von der Decke Gurt herunterstreben!
Erzengel, Kräfte, Fürstentümer, Thronen
Fahren an Strahlen längs den Pfeilern nieder,
Das Haupt der Mutter zierend mit der Kronen.
Sie ruht auf goldnem Stuhl die keuschen Glieder,
Versenkt ins Kind, das einst in sie versenket,
Mit seinem Händchen quetscht des Todes Hyder.
Rings treten zu die Heiligen, verschränket,
Und zeigen freudiglich auf ihre Wunden,
Womit der Menschen Marter sie beschenket.
Im höchsten Schmerz ein lechzendes Gesunden,
Stirbt ewig süßen Tod Sebastian,
Der hat der Wollust tiefsten Grund gefunden.
Die kleinen Englein machen sich daran,
Und spielen mit dem Kreuz, dem Kelch, dem Dorne,
Der Säule, Geißel, die das Blut gewann.
Und wie der Westwind wühlt im reifen Korne,
[647] So wühlet, stürmet, tost im Meer der Liebe
Die Orgel mit der Töne brünst'gem Zorne!
PARZIFAL.
Wo ist die Trau'r?
LOHENGRIN.
Sie starb am Glück der Liebe.
PARZIFAL.
Die Falte?
LOHENGRIN.
Glättete die Hand der Liebe.
PARZIFAL.
Der Schatten?
LOHENGRIN.
Weggezehrt vom Licht der Liebe!
In Heitre, Jugend, Farben jauchzt die Liebe!
PARZIFAL.
Die Inschrift lies nunmehr an unsrer Pforte.
LOHENGRIN.
»Ich habe mich nach eignem Recht gegründet,
Vergebens sucht ihr mich.
Der Wandrer, welcher meinen Tempel findet,
Den suchte Ich.«
PARZIFAL.
Es sterben denn die dürftigrohen Worte,
Die sich aus unsrem Munde konnten schleichen,
Weil Erdenlüft' hier noch vergröbernd streichen,
Dem Frohsinn, dem gesuchten, aufgenommnen,
Im Angesicht des korporell Vollkommnen!

Lohengrin schreitet die Stufen hinauf.
TITUREL
kommt aus dem Innern.
Zurück! – Vernehmt des Gottes jüngsten Schluß!
Ich kehr', erschüttert bis zum tiefsten Marke,
[648] Vom Heiligtume, des ich warten muß.
Wie auf der Sturmflut bebt die scheue Barke,
So zittert, springt, gekocht von Angst und Grimme,
In seinem Kelch das Blut, das weltenstarke.
Also befiehlt der Feuerzeichen Stimme:
»Auf! Gürtet eure Lenden, ihr Templeisen!
Den Unbezwungnen zwingt das völlig Schlimme.
Ich muß, muß mich vom Abendland verweisen,
Ich löse mein Gebäu von diesem Felde,
Nach Indien will ich luftgetragen reisen!
Dort aber wird geschehn, was ich vermelde:
Des neuen, reinen Priesterreiches Stiften
Im tiefsten, schauervollsten Urgewälde.
Denn mich vertreibt aus den erwählten Triften
Der Antichrist! – Er suchet das Geschlecht
In ungeheu'rster Sünde zu vergiften.
Des letzten Ankömmlinges Dienst und Recht
Sei dies: zu bleiben in dem Abendrote
Dem Leid zum Trost, dem Bösen zum Gefecht.
Titurel bleibt Pfleger bei des Lebens Brote,
König ist Parzifal, der große, freie,
Und in die Welt geht Lohengrin, der Bote.
Die ird'sche Trias aber sind die dreie.«

Titurel beugt sich anbetend gegen das Innre des Tempels. Parzifal steht auf den Stufen, in sich gekehrt, die Hand am Schwert. Lohengrin schreitet mit wehenden Locken die Stufen hinunter.

Einöde.


Die Tafelrunde auf dem Zuge.
GINEVRA.
Habt ihr die Richtung noch?
[649]
ARTUS.
Ja doch, ja doch.
LANZELOT.
Wo blieb Merlin?
ARTUS.
Zurück am Walde.
Weiterziehn
Soll'n wir, nach kommt er balde.
GAWEIN.
Was tust, Gareis?
GAREIS.
Meine Schritte zähl' ich.
GAWEIN.
Warum?
GAREIS.
's ist heiß.
So vergeht allmählich
Der Weg, der lange.
LANZELOT.
Du, Erek!
EREK.
Ja.
LANZELOT.
Auf dem ganzen Gange
Warst du stumm.
EREK.
O es schleicht in mir herum.
Doch will's nicht ...

Auf seinen Mund zeigend.

aus der Spalte da.
EIN RITTER
setzt sich nieder.
Fürder zieht!
ANDRE
gehn vorüber.
Noch ein paar Schritt'. Auch wir sind müd.
[650]
LANZELOT
zu Erek.
Was denkst du von dem Propheten?
EREK.
Ich denke: Not lehrt beten.
LANZELOT.
Wie? Meinst du, daß er falsch und hohl?
EREK.
Wie? Meinst du, daß von Minneseufzern wohl
Sich leben läßt?
Dann halte ja den Glauben fest.
Macht die Bissen kleiner!
Lest Beeren von den Sträuchern!
Und es trinke keiner,
Da besteht das Wasser in den Schläuchen.

Er sinkt um und stirbt.
LANZELOT.
O Herr, ein edler Bruder sank!
ARTUS.
Mein Erek, rede, bist du krank?
Tot! – Wie mich diese Leiche schmerzt;
So finster, gut, traurig, beherzt!
Der Wurm hat lang an ihm genagt,
Jung war er noch, sah aus betagt,
Nun fällt er an der Schwelle.
Schneid't Zweige! Eine Bahre schafft,
Tragt ihn ans End' der Pilgerschaft,
Mit uns komm' er zur Stelle.
GINEVRA.
Die Raben schwirrn um unsre Köpfe!
Scheucht die abscheulichen Geschöpfe.
[651]
DIE RITTER
um Ereks Leichnam.
Wie liegt er da so heiter!

Sie erheben den Leichnam.
GINEVRA.
Sucht Merlin.
ARTUS.
Weiter! Weiter!

Sie ziehn weiter.

Im Walde von Briogne.

NINIANA
am Weiher, angelnd.
Als ich meine alte Muhme
Tüchtig in den Finger biß,
Weil sie mir die weiche Krume
Aus gefräß'gem Mündchen riß;
Sagte sie: »Du schlimme Hexe,
Du wirst glücklich, kleine Brut,
Denn von sieben kriegen's sechse
Schlecht, die böse Sieben gut.«

Sie zieht einen Fisch an der Angel aus dem Wasser.

Da hab' ich dich leichtes
Weißfischchen am Schnürchen,
Und doch warnt' ich, o seichtes,
Verblendetes Tierchen:
Laß dich ja nicht betören
Vom Köder, mein Liebchen!
Doch du wolltest nicht hören,
Nun so fühle, mein Bübchen!

Sie tötet den Fisch.

Als der Muhme altem Leibe
Stöße ich und Schläge gab,
Weil sie mir des Mondes Scheibe
Nicht vom Himmel langt' herab;
Wollte mich die Muhme trösten,
[652] Tuschte meinen Zorn geschwind,
Rief: »Du kriegst einmal den größten,
Weisesten der Männer, Kind!«
MERLIN
tritt ein.
Ich fürcht', die alte Muhme hat gelogen.
NINIANA.
Da ist der wilde Gast von gestern früh.
MERLIN.
Denn vor dir steht der Toren Übertor.
NINIANA
für sich.
Dies muß ein Riese sein aus Mondenland.
Nicht doch, er wuchs nur höh'r als Hinz und Kunz.
MERLIN.
Wer aber überwand' ihn, wenn nicht du?
NINIANA
für sich.
Die Stirn ward wohl von Marmor ausgehaun?
Nicht doch, sie ist nur weißer als bei andern.
MERLIN.
Führ auf dein Opfer, Priesterin, den Streich!
NINIANA
für sich.
Thront denn ein Nachtgewölk auf seinem Haupt?
Nicht doch, er hat nur schöne, schwarze Locken.
MERLIN.
Doch ach! Ich bin gewiß zu schlechte Beute.
NINIANA
für sich.
Ja, solche Lippen müssen Feuer sprühn!
Nicht doch, der Mund steht ihm nur wunderhübsch.
[653]
MERLIN.
Und dennoch solltest du großmütig sein.
NINIANA.
Und dennoch lieb' ich diesen Menschen nicht.
MERLIN
tritt zu ihr.
Wenn du, holdsel'ge Blum' im grünen Forst,
Im Stolz der eignen Reize nicht beschlössest,
Von allem, was des Menschen Bildung trägt,
Verachtend, wie du darfst, dich abzuwenden,
Weil es doch nur das Zerrbild deiner Schöne
Dir zeigen kann; und wenn du nicht beschworst,
Die Wonne deines reizenden Gesprächs
An diesen Wald allein, an jene Flut,
An den einsamen Himmel zu verschenken,
So gönne, süße Wilde, mir ein Wort!
NINIANA.
Du ernsthaft Törichter, warum versuchst
Du Ninianen?
MERLIN.
Du beglückend Leid,
Warum verwirrst du mich?
NINIANA.
Geh an dein Amt.
MERLIN.
Das sag' ich dir.
NINIANA.
Was wäre meins?
MERLIN.
Mich lieben.
NINIANA.
Die Deinen wandern ohne Führer. Geh!
[654]
MERLIN.
Sie ziehn auf der von mir gewiesnen Straße.
Sobald sie meiner brauchen, bin ich rasch
Wie Schall, der längs des Flusses Ufern reist,
Wie Donnerkeile, die vom Himmel schlagen,
Rasch wie Gedanke, der zur Liebsten fliegt,
Bei der vertrauten Schar. Wenn ich will dort sein,
So bin ich da.
NINIANA.
Bist du ein mächt'ger Zaubrer?
MERLIN.
Wenn dir's gefällt, so mach' ich aus der Tiefe
Die blanken Könige des Erzes steigen!
Wenn dir's gefällt, so soll'n des Weihers Fluten
Ihr Bett verlassen, und ein silbern Tor,
Von Muscheln und Gesteinen bunt durchkreuzt,
Ob dir, du Fürstin aller Anmut, wölben!
Wenn dir's gefällt, so treiben diese Stämme
Kristallne, goldne Frucht, so singt die Luft,
So funkelt aus dem Gras verjüngtes Abbild
Des Mondes und der Sterne!
NINIANA.
Bist du so mächtig?
Sprich, was bedarfst du dann?
MERLIN.
Ach, das Bedürfen.
NINIANA.
Ich kann nicht glauben an dein Unglück.
MERLIN.
Glaub' es.
Der kleine Fisch, der dort am Boden zappelt,
Von deiner losen Hand getötet, war
Viel glücklicher, als Merlin.
[655]
NINIANA.
Merlin heißt du?
Ich heiße Niniana.
MERLIN.
Denn er hatte
Sein frohes Stündchen doch! Freud' überall
Bis in des großen Hauses letzten Winkel!
Unglücklich einer, keiner sonst!
NINIANA.
O Lieber!
Gleich zaubre du die schöne Herrlichkeit,
Von der du sprachst.
MERLIN.
Recht, recht, mein zartes Äffchen!
Es macht mich glücklich, daß du albern bist.
Nicht wahr, die Welt stand lang genug gerade?
Wir kehren sie wie einen Handschuh um,
Und lachen kindischjubelnd der Zerstörung.
Soll auch der Frühling rot blühn? Ei, befiehl nur!
NINIANA.
Wenn du so zornig sprichst, so furcht' ich mich.
MERLIN.
O gönne mir den Traum des Stündchens, wie
Das Fischlein es in seinem Wasser hatte!
Hilf ausziehn mir das glühnde Qualenkleid
Des unerbetnen Daseins, daß ich's darf
Zusammenrolln und mir zu Füßen legen!
Der Sohn Alkmenens trug das gift'ge Hemd
Doch auf dem Öta erst, ich aber trag'
Das meinige seit der Geburt.
NINIANA.
Dein Mund
Stöhnt nur von Tod. Und dennoch liebtest du?
Die Liebe, sagen sie, soll Leben sein.
[656]
MERLIN.
So gib mir Liebe, daß ich leben kann!
Komm zu der Weißdornhecke, die sich schneeig
An der verschwiegnen Grotte Saum dort schmiegt!
Auf Farrenkräutern blinkt der Tropfenfall,
Es haucht wie schwicht'gende Vergangenheit
Aus ihrem Schlund. Die Zukunft aber sagt
Ein leiser Geisterlaut dort einst dem Kön'ge,
So wie dem Hirten. – Doch wir leben noch,
Und dieses Mädchen bangt, hört sie vom Tod.
Laß unterm Weißdorn still uns niedersitzen,
Und denken will ich mir, ich sei ein Schäfer,
Der von dem Tanze kam' mit seiner Dirne.
Zu Pfingsten ist die Hochzeit! flüstern sie
Einander in das Ohr. Er raubt ihr wild,
Am Hute krämpelnd, die geschenkte Schleife.
Ich aber, Niniana, tu' das nicht!
Nein, deine Wange streichl' ich leise nur,
Wie'n fallend Blütenblatt sie streifte. Doch
Wenn es dich böse macht, so tu' ich's nicht.
Auf deine Finger leg' ich sacht die Hand,
Gewiß, ich drück' sie nicht, ich rühr' sie nur;
Doch wenn's dich böse macht, so tu' ichs nicht!

Sie gehn zur Weißdornhecke.

Die Einöde.


Artus. Ginevra. Tafelrunde.
GINEVRA.
Wären die Raben noch da!
ARTUS.
O wären sie da!
GINEVRA.
Dort! Dort!
[657]
ARTUS.
Was siehst du?
GINEVRA.
Den Abendschein
Der Sonne auf des Tempels Zinnen.
ARTUS.
Sie spiegelt in den Regenrinnen,
Es sind die hohen Klippenreih'n.
GINEVRA.
Nein, ich höre der Psalmen Klang.
ARTUS.
Ja, die Luft summt die Tannen entlang!
Was hilft das Täuschen, das Schonen?
Wir sind in der Wildnis.
Keine Spur, kein Bildnis
Von menschlichem Wohnen!
GINEVRA.
Artus! Wie kamen wir zu der Stell'?
ARTUS.
Liebe, der Wahnsinn ist ein mächt'ger Gesell!

Er setzt die Krone auf einen Stein.

Hier die Krone im Grale! Sie ist feil.
Dem Boten gehört sie, der uns bringt nach Kardweil!
Es beginnt in mir zu gären.
O meiner Seele Warnelaut!
Verruchte, gespenstische Mären!
Nicht umsonst hat mich gegraut.
GINEVRA.
Hilf mir vom Zelter, Lanzelot.
[658]
LANZELOT.
Speisemeister, haben wir noch Brot
Und noch Wein?
SPEISEMEISTER.
Das Brot ist aufgegessen,
Der letzte Wein euch zugemessen.
GINEVRA.
Mein Diener Lanzelot, hörst du nicht?
LANZELOT
zum Speisemeister.
So geht's an deinen Leib, du Wicht,
Da woll'n wir uns erholen,
Dann füttern wir die Dohlen!
ARTUS.
Wenn nur 'ne Dohle, nur ein Geier
Kreist' über diesen Grüften!
Sie sind der fett'ren Orte Freier,
Was gibt's in solchen Schlüften?
GINEVRA.
Mich dürstet!
LANZELOT.
Ich will dir Geschichten erzählen
Von Tristan und Isolde,
Vielleicht erquickt's dich, Holde.
ARTUS.
Tretet all' um mich! Verhüllt das Haupt!
Ich habe uns die Ehr' geraubt,
Da galt's nicht lange zu wählen.
Gawein, Gareis, die schickt' ich spähn,
Den Heimweg suchen sie; wir gehn
Nach Haus schamrot, erbärmlich,
Und leben ferner ärmlich.

Gawein kommt.

Wo ist der andre?
[659]
GAWEIN.
Ausgeglitten!
Er liegt in der Tiefe,
Daß ich bei ihm schliefe!
Der Lattich hat schlechte Sitten,
Breitet sich von dem Grate vornüber frech,
Man tritt drauf, und ist weg.
GINEVRA.
Guter, lieber Gawein! Du fandest den Weg?
GAWEIN.
Ja, schöne Königin, das ist geglückt,
Aber wir müssen verstehen zu springen.
Der Abgrund liegt in neblichten Ringen
Rund um die Platte, wie ein Band gestrickt.
Wir sind droben, also nur munter
Immer hinunter!
ARTUS.
Rettung! Rettung aus des Verderbers Hand!
Felswand! Kiefern! Kiefern und Felsenwand!
Die fahlen Sandsteinhörner recken
Sich rund und glatt
Empor, wie Haufen von Wecken!
Ein gelber moos'ger Anflug hat
Gefärbt die Krusten und Fugen!
O entsetzliches Necken!
Der Safran gehört zum Kuchen.
EIN RITTER.
Laß uns würfeln und schlachten
Wem das Mindeste fiel!
ARTUS.
Eh' die Lippen verschmachten,
Eh' der Schwindel uns küret zum greulichen Spiel,
Eh' der Laut verbrennt
Im Pergament
[660] Der trockenen Kehle,
Ruft, arme Freunde sonder Schuld und Fehle
Nach unsrem Führer! Du, der uns erschien,
Von Himmelsglut umwallter Leu der Leuen,
In Drangsal ohne Maß sind deine Treuen!
Hör uns! Errette uns, Merlin!

Sie zerstreuen sich rufend.

Im Walde von Briogne.


Merlin, Niniana sitzen unter der Weißdornhecke.
NINIANA.
Glaub nur nicht etwa, daß du mir gefällst!
MERLIN.
O liebliche Verrätrin deiner selbst!
NINIANA.
Ich sollte mich in einen Mann vergaffen?
Des freien Waldes freistes Vögelein,
Sollt' ich, ein Hündchen, deiner Stimme horchen?
Untröstlich werden, wenn du sauer sähst?
In deinem Lächeln meinen Festtag halten?
Eh' ich das glaube, glaub' ich, daß die Sonne
Am hellen Tage dunkel wird.
MERLIN.
Wie wär's,
Wenn es geschähe?

Er winkt. Eine Sonnenfinsternis.
NINIANA.
O du Schelm! Du nahmst
Mich schlau beim Wort.
[661]
MERLIN.
An diesem Leichtsinn lahmt
Die Kraft des Demiurgos! – Ich bezwinge
Den Himmelskörper, ihr ist's eine Posse.
Wär' dies gleichgültig Unzerstörliche,
Das aus dem leeren, frechen Lächeln strahlt,
Wär' dies etwa das Leben?
NINIANA.
Narr, die Lampe
Ging aus da oben. Steck sie wieder an!

Auf einen Wink von Merlin wird es hell.

Und bist du, den die Muhme mir verkündet,
Sag mir, was Liebe sei?
MERLIN.
'ne Stumme, Herz!
'ne blöde Stumme, die durch Zeichen spricht!

Er küßt sie.

Und nun leb' wohl, mein allzu kurzes Glück.
NINIANA.
Weh! Du willst gehn?
MERLIN.
Ich muß.
NINIANA.
Du? Müssen?
RUF DER TAFELRUNDE
aus weiter Ferne.
Merlin!
MERLIN.
Sie rufen mich!
NINIANA.
Wer ruft? Betrüger! Unhold!
Es ist des Wildes heisrer Abendschrei,
Der von den gras'gen Wechselplätzen tönt!
[662]
MERLIN.
Die Ritter sind's, der König, deine Schwester.
NINIANA.
Schwester! Hab' ich 'ne Schwester? Wer ist sie?
Du bist mir Schwester, Vater, Mutter.
MERLIN.
Liebe!
NINIANA.
Gut! Gut! Du nützest es als Vorwand. Ei,
Du bliebst auch lang genug mir eigen. Fünf
Minuten wenigstens.
MERLIN.
O sei barmherzig!
NINIANA.
Ich wollt' ihm dienen, wie die treuste Magd,
Den Trunk ihm schöpfen aus dem Kieselquell;
Zwar braucht er's nicht! – Ihm würz'ge Beeren lesen
Im Morgenreife; zwar er braucht es nicht!
Zur Nachtruh hätt' ich weiches Laub gestreut,
In meinen Schoß sein liebes Haupt genommen,
Und schlaflos war' geblieben ich, daß er
Nur sanfter schlafe. Zwar er braucht das all nicht!
Hat Wein und Speis' und Dunen, wann er will.
Doch, dacht' ich, wird es ihn erfreuen, gibt's
Sein Mädchen ihm!
MERLIN.
Du trautste Schwätzerin! ...
NINIANA.
O süßer Merlin, lehr' mich, dich vergessen!
Und kannst du das nicht – (und ich glaub', es geht
Wohl über deine Götterkraft,) so sei
Mitleidig, und vertilge mich! O Mann,
Du kannst es ja nicht wissen, wie mir's weh tut!
[663] Ich hab' nicht Erd', nicht Himmel mehr! Sie sind
Für mich versenkt in deines Auges Apfel!
MERLIN.
Bei jener heil'gen Kuppel über uns ...
NINIANA.
Was gilt denn dir die heil'ge Kuppel droben?
Du sprichst: sie stürzt zusammen mit dem Schwur.
Doch schwöre nur, zu kehren! Täusch mich nur!
MERLIN.
Bei mir, bei Merlin schwör' ich ...
NINIANA.
Und bei allem,
Was er der armen Niniana vorlog.
MERLIN.
Vorlog?
NINIANA.
Bei jenem Wort, das, wie er sagt,
Ihn bindet, ihn unlösbar fesselt, ihn
Der Stärke ganz beraubt ...
MERLIN.
Wär' ich der Lügner!
Ich bin es nicht.
NINIANA.
Ach, warum foppst du mich?
MERLIN.
Es gibt ein Wort, unheimlich, tief, verfänglich,
Das, ausgesprochen, mich an diese Stätte
Für ew'ge Zeiten bannte ...

Er hält inne.
[664]
NINIANA.
Ha! Es gäb' ...
Du schauderst!
MERLIN.
Hm! Ein Fieberfrost, mein Liebchen!
Hu, das wird ekelhaft! – Wer säh' in dieses,
Und bebte nicht, war' er auch Merlin?
NINIANA.
Aber
So sag doch, wie das möglich?
MERLIN.
Nicht so weit,
Als wie der Käfer an des Knaben Faden,
Dürft' ich mich dann entfernen! Hier versäß' ich
Den Frühling unter Krokus und Maßlieben,
Des Schlehdorns Früchte zählt' ich um Johannis,
Hier sang' die Drossel mir das Herbstlied! Hier
Erfrören meine Fuß' im Winterschnee!
So nah grenzt Ohnmacht an die Allmacht ...
NINIANA.
Bitte!
Entdeck es mir.
MERLIN.
Niemals!
NINIANA.
Wenn nicht das Ganze,
Die Hälfte doch! Ein Viertel! Nur den ersten
Buchstaben! Darf ich raten? Ist's ein P?
Ein C? Ein K?
MERLIN.
Weißt du, Unseligste,
Was du von mir verlangst?
[665]
NINIANA.
'ne große Sache!
Um einen Hauch die Anstalt! Wärst du wahr,
Du hättst es lang gesagt
Von freien Stücken! Will ich's denn mißbrauchen?
Still trag' ich es bei mir ... und sterb' ich dann,
Wie Atem der Maiblümchen leicht verwehnd,
Ich schwaches, schlimmbetörtes Nymphenkind,
So hauch' ich's lächelnd hin und lisple: »Da!
Da hast du, Luft, was er mir anvertraut,
Ich ließ ihm seine Freiheit«.
MERLIN.
Du willst's nicht
An mir versuchen?
RUF DER TAFELRUND.
Merlin!
MERLIN.
Hattst doch recht!
Das Wild schreit nur von seinen Wechselplätzen.

Schaudernd.

Das wird nun meine einzige Gesellschaft!
Am Wege sitzen müssen, hülflos, willenlos
Bei Gräsern, Bestien! Widerklang der Welle,
Echo dem Wind, der kalten Sterne Spiegel!
Das fünfte Element, lebendigtot,
Wie die vier ersten!
NINIANA.
Macht es dich so fürchten,
Behalt es immerhin.
MERLIN.
Das will ich auch.
NINIANA.
Ich werde nicht unglücklich um das Wort.
[666]
MERLIN.
Bleibst glücklicher.
NINIANA.
Vielleicht klingt's gar noch übel.
MERLIN.
Das tut es.
NINIANA.
Nein! Nein, übel kann's nicht klingen!
MERLIN.
Steh von dem Grübeln ab.
NINIANA.
Vielleicht klingt's ganz gewöhnlich.
MERLIN.
Vergessen wir's! Scheuch diese Wolken, plaudre
Was Muntres.
NINIANA.
Plaudern! – Ich soll immer plaudern!
Nur immer ich! Und er geizt mit 'ner Silbe.
Nein auf den Mund den Finger! Ich bin still,
Du liebst das Schweigen, wohl, du kannst es haben.
Verwünscht der Laut, den ich noch spreche! Geh.
Ich mag dich nicht, ich hasse dich, ich könnte
Dir jetzt das Ärgste tun!
MERLIN.
Tu' es! Wie ist mir?
Ich fürcht', um mich steht's übel.
NINIANA
an seinem Halse.
Einziger!
Die ganze Sprache trauter Herzlichkeit,
Des Kosens Wörterbuch wend' ich daran,
Lies von den roten Lippen deines Äffchens
Jeglichen Schmeichelnamen! Teurer Merlin,
[667] Eintauschen laß mich nur das eine Wort!
MERLIN.
Wirst du's gewiß auch gegen mich nicht wenden?
NINIANA.
Wahrhaftig nicht.
MERLIN.
Besuch mich nur zuweilen, tust du's dennoch!
Ich sprech' es nicht, es spricht aus mir! Die Qual
Drängt sich hervor!

Er spricht das Wort aus.
NINIANA.
Das hab' ich nicht verstanden; klang es so?

Sie spricht es aus.

Weh mir! Sein Antlitz wandelt sich!
MERLIN
entstellt.
Warum legst du mich an Ketten,
Sperrst in den stählernen Turm mich ein?
Konntest mich doch betten
Auf Rosen und Jasminen fein!
NINIANA.
Merlin! Das ist die blühende Hecke!
Ich hab' es nicht böse gemeint.
MERLIN.
Verderberin, fürchte den grimmigsten Feind!
NINIANA
naht ihm.
Zufall war es, unglücklicher Mann.
MERLIN.
Hinweg! Sonst ist es um dich getan!
Ich schleudre dich gegen des Turmes Ecke.
Gesellin der Schlange,
[668] Ich wußt' es lange!
Aber hüte dich, schillernde Drachenbrut,
Vor des Jungfraunsohnes wütendem Rachemut.
Da draußen zu lauern
Kann ich dir nicht wehren hinter Riegel und Schloß,
Aber in diesen vier Mauern
Bin ich der Alte! Der Titanen Genoß!
Machet die Opfer fetter!
Eine neue Sündflut sonst für Mensch und Tier!
Ihr sollt nicht haben andre Götter
Neben mir!
NINIANA.
Er ist von Sinnen!

Sie entweicht.
RUF DER TAFELRUNDE.
Merlin! Merlin!
MERLIN.
Hier! Hier drinnen!
Seid doch vernünftig,
Haltet euch nur grade!
Wir wollen künftig
Mehr achten der Pfade.
Meine Eisen schüttl' ich,
Das mag sie nicht schwächen;
An den Pfeilern rüttl' ich,
Doch sie wollen nicht brechen.
Gern spräng' ich aus dem Fenster,
Wär' in eurer Näh'!
Doch von unten Gespenster
Kauen, schmatzen aus blutigem See!
Rufet nicht so kläglich!
Ihr stört mich im Schlummer.
Leid' ich nicht unsäglich?
Brauch' ich noch mehr Kummer?
[669]

Merlin der Dulder
Nachspiel

Domkirchhof.


Minstrel. Placidus. Lohengrin.

LOHENGRIN.
So wahr die Stern' in ihren Sphären rollen,
Eu'r Suchen, treue Männer, ist unnütze,
Merlin, Artus, die Ritter sind verschollen.
MINSTREL.
Ist dies an dem, zerbrech' ich Minstrels Stütze,
Dich, meine liebe Harfe, artustrunken;
Öd' ist Kardweil, die Erde ward zur Pfütze.

Er zerbricht seine Harfe.
PLACIDUS.
Ist dies an dem, erlösche nur der Funken
Des ersten Spruchs, den mir Merlin ließ sprühen,
Da nie des zweiten Glorien werden prunken!

Er zerreißt das Pergament, worauf er die Kunde vom Gral geschrieben.
MINSTREL.
Ihr, meine Lippen, sollt nicht mehr erglühen
In Liedern, Laichen, Stollen! Ich verstumme,
Tonlose Tage traurig hinzumühen.
PLACIDUS.
Ich geh' mich hin ans Nüchternkalte, Dumme!
Kay, der Narr, bleibt Sieger im Gefechte,
Ausrechnen soll er mir des Lebens Summe.
[670]
MINSTREL.
Wer fortan singen will, besing' das Schlechte!
LOHENGRIN.
Gemäßigt klagt!
BEIDE.
Wenn alle Scheusal' grinsen?
PLACIDUS.
Verzweiflung zahlet Gott dem treuen Knechte.
LOHENGRIN.
O frevelt nicht!
BEIDE.
Trug denn die Tugend Zinsen?

Sie gehn durch verschiedne Ausgänge ab.
LOHENGRIN
setzt sich auf ein Grab.
Auf diesem Grab', der Sonne zugewendet,
Die durch der Bogen Fensterrosen schielt,
Frag' ich dich, Gral, an wen du mich gesendet?
Da von dem Innersten dein Spruch mich hielt,
Vergib, daß mir, nicht gänzlich abgetötet,
Ein irdisch Regen noch im Busen spielt!
Von deines Heischens hoher Glut gerötet,
Ging ich, damit ich, wie du mich erkoren,
Helfe jedwedem, der bedrängt, umnötet.
Da fand ich unter Schutte tot Klingsoren,
Artus, Ginevren und die Schar verschmachtet,
Und in Verrücktheit den Merlin verloren.
Der Geister reichsten hat der Schmerz geschlachtet,
Lieb', Ehre, Mut sind hungerentstellte Leichen,
Andacht ist von des Wahnsinns Fittich umnachtet.
Was nur vollkommen, herrlich, ohnegleichen,
Ging in die gräßliche Verwesung über:
Wem, o mein Gott, soll ich noch Beistand reichen?
Mich dünkt, die Erd' ist nur ein leerer, trüber
Baumloser Anger, mit Gebein besät,
[671] Kahl, unabsehlich, unfruchtbar; worüber
Die schwarze Fahne der Vernichtung weht!

An der Weissdornhecke.

MERLIN
sitzt am Boden.
Mein Zorn war anfangs stärker
Als jetzo, wer hielte gegen sie Stich?
Ich sitze mit Freuden im Kerker,
Mein Liebchen füttert und streichelt mich.
Eins aber will mir erscheinen
Wie ein drückendes, leidiges Ungemach:
Ich muß wohl warten und weinen,
Sie kommt nur, wenn eben sie kommen mag.

Er greift nach Blumen auf dem Rasen.

Hätt' ich der Ringelblumen g'nug,
Da verginge die Zeit mir geschwinde.
Die Hagerose hat einen guten Geruch,
Aber die andern geben bessre Gewinde.
Abzählen kann ich genau an den Knöpfen,
Ob die Winde vom Morgen, vom Abend kamen?
Gott verhelfe dem Artus und seinen Tröpfen
Zu der ewigen Seligkeit! Amen.
Gerne lausch' ich der Amsel Schlag,
Den, mein' ich, könnt' ich treffend erreichen.
Doch will ich dem Vogel flöten nach,
Dann lachen die Specht' in den Eichen.

Satan tritt ein.
SATAN.
Hör' auf, unwürdiges Schauspiel! Löse
Dich, Unsinn!

Merlin springt auf.
MERLIN.
Es erschlägt mich! ... Was will der Böse?
[672]
SATAN.
Bös? Wirst mich um Verzeihung flehn,
Ich denk', es ist wohl endlich Zeit,
Nach Torenbrunst und Torenleid
Vernünftig wieder auszusehn.
MERLIN.
Deine Stimme zerschmetternd,
Gebirgsdröhnen dein Gang!
Deine Blicke wetternd,
Warum heut der Sturm und Drang?
SATAN.
Ich bin derselbe stets in tausend
Gestalten, welche Zeit und Ort erweckt.
Der Fromme fühlt mich als die Sünde grausend,
Worüber er bei sich den Mantel deckt;
Wer so wie du im ganzen schwelgt und praßt,
Und bei dem Schöpfungsfeste saß zu Gast,
Der kann verlangen, daß ich mich behänge
Mit Flitterputz. Nicht wahr? Bei Stonehenge
Gefiel ich dir? Es gleicht sich aus. Heut gräbt
Mein Fuß sich schwerer in den Boden,
Es ist etwas wie Sturm in meinem Othem,
Tiefer das Aug' in seiner Höhle schwebt,
Die Worte rollen wie der Donner fast,
Ich hab' mir heut' den Mantel angepaßt
Vom schwersten, braunsten Zeuch gewoben.
Brauchst einen Namen? Kannst mich Schicksal nennen.
Du sollst in mir Gerechtigkeit erkennen,
Und meine Einfalt, meine Treue loben.
MERLIN.
Wo bin ich?
SATAN.
Schau um dich.
MERLIN.
Das sind Weißdornen.
[673]
SATAN.
Freilich. Kein Turm.
SATAN.
O Jammer! Ich Wurm!
SATAN.
Als Tier hättst du beschlossen,
Halbgott, deinen Lauf,
Trat' ich mit den Flammengeschossen
Nicht dazwischen auf!
Du hast's um mich und meine Sache
Zwar nicht verdient,
Doch du wardst elend. Das die Rache!
Ich bin gesühnt.
MERLIN.
Wo sind meine Freunde?
SATAN.
Bei mir.
MERLIN.
Bei dir?
SATAN.
In einer großen Gemeinde,
Im Hades bei mir.

Merlin ringt die Hände.

Nicht in Schwefelflammen
Geröstet, gekocht,
Nicht von Keulen und Rammen
Zu Qualenbrei gepocht,
Nicht in eisige Bäder
Nackend geschickt,
Nicht um sausende Räder
Schwindelnd gestrickt;
Fabeln, wovon nur Dümmlinge klafften!
Aber das bleibt haften
Groß, unbeugsam, stier:
Sie wollten zu Ihm und sind bei mir.
[674]
MERLIN.
Ich ... Ich ihr Verleiter!
SATAN.
Hättest du sie gelassen heiter
Unter lampenschimmerndem Zelte,
Rückte nach fröhlichen Scherzen
Plötzlichen Todes Kälte
Dort unfürchtende Herzen
Aus den tellurischen Räumen!
Auf den Asphodelos-Matten
Walleten die Schmerzenleeren,
Ruhigdämmernde Schatten,
Ohne Furcht und Begehren
Nun, wie Erinnerungsträumen!
MERLIN
zerrauft sein Haar.
Dafür schmachten sie jetzt
Nach der vermauerten Quelle,
Und kein Tröpfchen benetzt
Ihres Sprudels die Schwelle!
Ohne den himmlischen Schein
Läßt sich, sie fühlen's, nicht leben,
Aber, verworfen zu sein,
Sagt ihnen frostiges Beben.
Wenn sie nun eben gedacht,
Daran vernichtet zu scheiden,
Merken sie, neuangefacht
In sich die Kraft, zu erleiden.
Gott und der Heiligen Chor
Sieht die unglückliche Gilde,
Aber wie Luftmeteor,
Aber wie leeres Gebilde.
Das ist Unseligkeit, das!
Nimm mich und führ mich zu ihnen!
Ich, der die Lieben vergaß,
Sollt' ich nicht Gleiches verdienen?
[675]
SATAN.
Die Reu' macht nicht zurückwall'n die Bäche,
Sie ist das Schlimmste, ist die zweite Schwäche.
Ich halte dir anjetzt die Weltenpredigt,
Den Text hab' ich, der allen Gram erledigt.
Als Kanzel brauch' ich diese Basaltkoppe,
Dort das Gewitter soll den Küster spielen,
Weil ich nicht wie die andern täusch' und foppe,
Hab' ich nur einen Hörer in den Stühlen.
Wär' ich ein schlechter Spötter, sprach' ich: Tatst
Im kleinen, was du tun im großen solltest,
Weil, als du Gottes Orgel spielen wolltest,
Für Satan du die Bälgen tratst.
Doch schmeckt dies nach Verleumdung meiner,
Ich bin, wie Er, nicht schlimmer und nicht kleiner.
Mit Ihm hast du es ganz verdorben,
Und nicht etwa durch Schlechtigkeit und Laster;
Nein, weil zu feurig du um Ihn geworben,
Deshalb liegst du verkommend auf dem Pflaster.
Im Mondschein, an dem Bau des Riesen,
Als du das Räderwerk der Schöpfung mir gewiesen,
Da hat Er dich auf ewig weggestoßen. –
Wenn einer ihn sachwalterisch verteidigt,
Dann zuckt er, in dem Innersten beleidigt.
Er will, von eigner Majestät umflossen,
Unfaßlich schweben, dem Verstand zum Trutz.
Der Lästrung Hiobs hat er nicht vergolten,
Bildads, Zophars, Eliphas Lob gescholten,
So war's, so ist es seit dem Mann von Uz.
Wie? Oder hast du andern Fehl begangen?
War etwa sonst ein freventlich Verlangen,
Unsaubre Lust, ein frecher Dünkel
Gekauert in des Herzens Winkel?
Denn, wenn geknickt du das bereuen könntest,
In Bußeglut zu ihm verzehrt entbrenntest,
Da möcht' er dir vielleicht den Finger reichen,
Und vom zerknirschten Sünder würd' ich weichen.
[676]
MERLIN.
Ich hab' nichts abzubüßen!
Meine Seele, ein Sehnsuchtshauch,
Wallend empor wie reinlichen Opfers Rauch
Grade zu ihm, ihn wonnedurchschauert zu grüßen!
SATAN.
Und ließ dich fallen unter das Vieh.
MERLIN.
Das tat er.
SATAN.
Ferner: was verbrachen die,
So du führetest?
MERLIN.
O der Unschuldigen, Armen!
Eine Schale, voll von farbenwarmen
Blüten und Früchten, trug ich euch dar,
Zu widmen das frohe Geschenk dem Altar.
Warum, mein Geliebter, verschmähtest du sie?
SATAN.
Die Zahl seiner warnenden Engel heißt Legion.
MERLIN.
Und keiner ... keiner stand am Wege!
SATAN.
Sie sagen, er sei im Gewissen rege.
MERLIN.
In uns sprach kein Ton!
SATAN.
So scheint er denn bei seinem Handeln
Sich an Gesetze nicht zu binden,
Und über Hoffnung, Zuversicht, Empfinden
Erhaben, dunkel, einzig hinzuwandeln.
[677] Nicht schmäh' ich ihn. Das würde mich erniedern,
Er hörte auf, mich anzuwidern.
In jener Nacht, als du den Gürtel löstest,
Des Empyreums keusche Scham entblößtest,
Da hob ein neu Erfahren für mich an;
Ich sah, was deine Augen schwerlich sahn.
Mit Gott und Teufel steht es wunderbarlich!
Ich schau'rte über die Entdeckung wahrlich,
Und wenn ich unsern Stammbaum offen hinge,
So schoß' herein das Ende aller Dinge.
Sei Er in Furcht und Schweigen denn geehrt!
Allein mit mir wird menschlicher verkehrt.
Ich habe das voraus: ich bin verständlich,
Für Freundlichkeit, Zutraun und Lieb' erkenntlich
Ich nehme dich mit allen deinen Wunden,
Zermalmet, wie du bist, von tausend Lasten,
Du sollst an meiner breiten Brust gesunden,
In meinem Schatten dich zu Kräften rasten.
Genug des Lehrgelds hast du wohl gezahlt,
Jetzt endlich darfst du von dir wissen,
Sei denn durch einen, der nicht schwätzt und prahlt,
Der schimpfgedrückten Knechtschaft froh entrissen!
Nun koste Freiheit, Geist, Zusammenhang
Im sel'gen, labenden Überschwang!
Auf! Werde mein! Drei Schritt geh' hinter dich!
Verleugne ihn, und glaub' an mich!
MERLIN.
Nein!
SATAN.
Nein!
MERLIN.
Der Laut, der einzige, blieb mein!
SATAN.
Du Kloß von Blöd- und Eigensinn!
Bald erschöpfet ist meine Geduld ...
Ziehet noch ein einziger Faden
[678] Von dir zu ihm hin?
MERLIN.
Die Ewigkeit zwischen mir und seiner Huld!
Ich bin gelöscht im Buche der Gnaden,
Gesetzt aus der Kinder Erbe!
Ich bin eine trockne Scherbe!
Das Spottlied der Buben
In den Dirnenstuben,
Auf den Kupplergassen!
Er hat mich gesperrt zu den Hunden,
Da wimmr' ich, bluttriefend, geschunden!
Kann nicht von ihm lassen –
SATAN.
Die Elohim
Beten mich an! Du Kot und Mist ...
MERLIN.
Vater unser, der du bist ...
SATAN.
Nichtswürdiger Hevassame!
Duftgärender Fraß der Motten,
Reif zum Verrotten!

Er rührt ihn an.
MERLIN
sterbend.
Geheiliget werde dein Name!

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