Trost-Gedancken eines tugendhaften Frauenzimmers bey dem Absterben ihrer Eltern

1.
Mein Gemüthe sey zufrieden/
Und erdulde diesen Schluß/
Daß von dir nunmehr geschieden/
Was dein Liebstes heißen muß.
Die Vernunft steht dir zur Seiten:
Ruhig ist ein edler Geist/
Und daß mit dem Himmel streiten
Allezeit verliehren heißt.
2.
Seelen die in Thränen baden
Trocknet letzt der Himmel ab/
Und läßt einen Thau der Gnaden
Auf ein mattes Hertz herab.
Wenn wir nirgends Hülfe kriegen/
Und nur auf den Himmel sehn/
Ach so ist ihm ein Vergnügen/
Uns alleine beyzustehn.
[53] 3.
Mich hat nicht die Welt verlassen/
Selbst mein Hertz verlässet sie.
Ich will alle Laster hassen/
So läßt mich die Tugend nie.
Geilheits Rosen will ich fliehen/
Andern bringe sie die Zeit:
Hier in reinen Hertzen blühen
Liljen der Zufriedenheit.
4.
Morgends lachen/ Abends weinen/
Ist der Welt gemeines Spiel.
Und man darf mein Trauren fragen/
Wie mein Trost so plötzlich fiel.
Doch auch späte Früchte letzen/
Und am Ende lacht man schön;
Da sich andre früh ergetzen
Und des Mittags Jammer sehn.
5.
Allenthalben scheint die Sonne
Auf des Himmels Blumen gern;
Und vieleicht strahlt mir zur Wonne
Anderswo ein Freuden-Stern.
Dieser Trost steht wir noch offen/
Den zu mir der Himmel spricht:
Nach geruhig seyn und hoffen
Laß ich fromme Kinder nicht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hunold, Christian Friedrich. Gedichte. Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte. Moralische Uber-Schrifften- und Gedichte. Trost-Gedancken eines tugendhaften Frauenzimmers. Trost-Gedancken eines tugendhaften Frauenzimmers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-87E8-F