Dritter Akt
Das Sterbegemach der Königin, in der Königsburg. Im Hintergrund ein hohes Fenster. In der rechten Wand ein Alkoven mit dem Bett, durch einen Vorhang verschließbar. Links vorne ein Oratorium, von welchem man in die Kirche hinabsieht. In der Mitte der linken Wand der Eingangstür gegenüber ein Kamin. Aus dem Oratorium führt eine geheime Tür in einen schmalen Gang, von dem der Anfang noch in der linken Kulisse sichtbar ist. Die Fensterladen sind zu. Im Alkoven brennt ein ewiges Licht.
Der Kastellan sperrt von draußen auf und tritt mit zwei Dienern ein, indem sie nur einen Flügel der Haupttür öffnen. Die Diener öffnen die Holzladen an dem hohen Fenster im Hintergrund: draußen ist heller Tag.
KASTELLAN
mit dem großen Schlüsselbund klirrend.
Das Sterbegemach der hochseligen Königin! unbetreten durch diesen Haupteingang seit einundzwanzig Jahren. Die ehrwürdigen Schwestern von der Heimsuchung, deren zwei hier von Mitternacht bis Morgengrauen im Gebet verharren, betreten es durch diese kleine Tür, welche durch eine Wendeltreppe, die im Pfeiler verborgen ist, zur Sakristei hinabführt.
Man hört von unten die Orgel und den Gesang der Nonnen. Der Kastellan tritt an den Alkoven, besprengt das Bett mit Weihwasser aus einem silbernen Becken am Eingang des Alkovens, schließt dann ehrerbietig den Vorhang. Man hört draußen die Annäherung von Menschen. Dann das dreimalige Stoßen einer Hellebarde auf den Steinboden. Auf einen Wink des Kastellans eilen die Diener hin und öffnen die Flügeltür sperrangelweit. Der Hof tritt ein: Trabanten, Stabträger, Pagen mit Wachslichtern. Dann der Träger des Reichsbanners mit dem silbernen Adler, sodann ein Page, der auf karmesinrotem Kissen des Königs Gebetbuch und Handschuhe trägt. Der König, den krummen Säbel umgehängt, seinen polnischen Hut in der Hand. Dicht hinter ihm sein Beichtiger. Hofherrn paarweise, zuvorderst Julian allein; hinter den Hofherren vier Kämmerer. Zuletzt der Arzt, mit ihm sein Gehilfe – ein junger Mensch mit einer Brille –, hinter diesem Anton, der ein verdecktes silbernes Becken trägt. – Der König bleibt in der Mitte des Gemaches stehen, hält seinen Hut hin. Ein Page springt vor, nimmt den Hut mit gebogenem Knie. Der König nimmt seine Handschuhe von dem knieend dargereichten Kissen, zieht den linken an, steckt den rechten in den Gürtel. Die Trabanten und
die Stabträger sind rund ums Gemach und wieder zur Flügeltür hinaus gegangen, ebenso der Kastellan und die Diener. Die Flügeltür wird geschlossen. Zwei Stabträger nehmen an der Tür innen Stellung. Die Herren stellen sich, Julian am äußersten rechten Flügel, vor dem Oratorium auf. Der Arzt und der Gehilfe stehen nächst der Tür. Der König tritt auf den Alkoven zu. Ein Kämmerer eilt hin, zieht den Vorhang auf. Ein anderer Kämmerer reicht dem König den Weihwasserwedel. Der König besprengt das Bett, kniet dann nieder, verharrt einen Augenblick im Gebet. Der Beichtiger kniet mit ihm. Der König steht auf, tritt in die Mitte, Beichtiger seitlich etwas hinter ihm. Der Gesang und die Orgel haben aufgehört.
KÖNIG
zum Beichtiger.
Ich habe vor dem Sterbebette meiner seligen Gemahlin für mich gebetet und für ihn. Das kurze Gebet hat meine Seele wunderbar erfrischt. Er winkt dem Arzt zu sich. Ihr beharrt darauf, Euch zurückzuziehen?
ARZT.
Eure Majestät hat mir diese einzige Bedingung bewilligt, daß es mir erlassen bleibe, selbst vor das Angesicht des Prinzen zu treten, wenn sich die Nötigung ergeben sollte, nochmals eine Betäubung vorzunehmen. Mein Gehilfe ist von allem unterrichtet, das heißt von den Handgriffen, die nötig werden könnten – nicht von dem Tatbestand. Leiser. Er sieht in dem Prinzen einen geistig Kranken, an dem Eure Majestät um entfernter Verwandtschaft willen Anteil nehmen. Möge alles – – Ich habe einen Schwamm getaucht in Essenzen von unfehlbarer Wirkung. Der Diener dort trägt ihn in einer verdeckten Schüssel. Er war dem Gefangenen vertraut, er kann, wenn es notwendig ist, Beistand leisten. – Mögen sich diese Vorbereitungen als überflüssig erweisen, darum bete ich zu Gott.
KÖNIG.
So beten Wir unablässig seit neun Tagen und Nächten. – Ihr seid Uns in diesen Tagen sehr nahegekommen. Wir betrachten Eure illustre Person von Stund an als die Unseres zugeschworenen Leibarztes.
Reicht die Rechte zum Kuß, der Arzt beugt sich über die Hand. Der Arzt schreitet zur Tür, Stabträger öffnen ihm, der Arzt geht hinaus, an der Tür verneigt er sich nochmals.
KÖNIG.
Stärke mich unaufhörlich mit deinem Rat, ehrwürdiger Vater. – Ich habe mich von meinen Ratgebern überreden lassen. – Ich habe meine weiche menschliche Natur der höheren Einsicht unterworfen.
BEICHTIGER.
Auch die Heilige Schrift –
KÖNIG.
Ich weiß, auch die Heiden. Selber die Heiden. Sie standen nicht an, den eigenen Sohn –
BEICHTIGER.
Zweien Söhnen ließ der Konsul das Haupt an einem Tage vor die Füße legen.
KÖNIG.
Zweien! an einem Tag! Was waren seine Argumente?
BEICHTIGER.
Damit dem beleidigten Gesetz Genugtuung werde.
KÖNIG.
Wie, dem Gesetz? Das Gesetz? Ja – –
BEICHTIGER.
Das Gesetz und der Souverän sind eins.
KÖNIG.
Vatersgewalt – der Vater ist der Schöpfer- die Gewalt abgeleitet unmittelbar –
BEICHTIGER.
Von der Gewalt des schaffenden Gottes, dem Quell alles Daseins.
KÖNIG
tritt einen Schritt von den Höflingen weg, zieht den Beichtiger nach sich.
Und die Absolution, wenn ich mich genötigt sehe, ihn dorthin bringen zu lassen, wiederum – meinen leiblichen Sohn – wiederum hin, wo die Sonne ihn nicht bescheint –?
BEICHTIGER.
Du zweifelst? Zur Verhütung unabsehbaren Übels!
Es hat von draußen an der Tür gescharrt.
Kämmerer ist hingegangen, spricht mit jemandem durch die halboffene Tür. Tritt dann zum König, mit gebeugtem Knie, spricht heimlich zu ihm.
König winkt.
Stabträger öffnet, läßt Gervasy und Protasy
eintreten. Gervasy und Protasy eilen zum König, stehen mit gebeugtem Knie. König leiht Gervasy sein Ohr, der zu ihm flüstert.
KÖNIG.
Dieser Knabe sitzt zu Pferde wie ein fürstlicher Kavalier?
Er sieht Julian streng an.
JULIAN.
Er ist nie im Leben auf einem Pferde gesessen. Ich war des strengen Verbotes immer eingedenk.
Protasy flüstert indessen in des Königs anderes Ohr.
KÖNIG
strenge zu Julian.
Er würdigt die Personen, die wir ihm zum Gefolge gegeben haben, keines Blickes! Welche Sprache ist von ihm zu erwarten, wenn er vor Uns tritt?
JULIAN.
Die vielleicht die Engel sprechen. Seine Sprache ist Zutagetreten des inwärts Quellenden – wie beim angehauenen Baum, der durch eben seine Wunde einen balsamischen Saft entläßt.
Gervasy und Protasy ziehen sich mit gebeugtem Knie zurück.
KÖNIG
zu Julian, leise.
Der oberste Begriff der Autorität ist diesem Knaben eingeprägt? der Begriff unbedingten Gehorsams? Er sieht ihn scharf an.
JULIAN
hält den Blick aus.
Mein König bedenke, daß der Jüngling diese Welt nicht kennt, so wenig als seine Stellung in ihr. Er kennt ein Höchstes: er hebt seine Augen zu den Sternen und seine Seele zu Gott.
KÖNIG.
Wir wollen hoffen, daß dies genüge. Sehr hörbar. Denn die Welt ist außer Rand und Band, und Wir sind entschlossen, das um sich greifende Feuer zu ersticken, – und wenn nötig, in Strömen Blutes.
Die Höflinge, die zuhinterst, dem Feuer zunächst stehen, spähen hinab. Die Pagen drängen sich in der Nähe des Fensters zusammen und suchen unter einiger Unruhe hinunterzusehen. König bemerkt es, sieht hin.
KÄMMERER.
Der Prinz steigt vom Pferde. Er wendet sich gegen das Portal und tritt in die Burg.
KÖNIG
zu Julian, sich mit Mühe beherrschend.
Ich will ihn noch nicht sehen. Er führt Julian von den Höflingen weg, nach vorne. Ein großer Augenblick, ein furchtbar entscheidender Augenblick.
JULIAN
fällt auf die Knie.
Seine Worte klingen zuweilen heftig und jäh – bedenke Eure Majestät in ihrer Weisheit und Langmut: das Wesen hat nie einen Freund gehabt.
KÖNIG.
Auch ich habe nie einen Freund um mich gehabt.
JULIAN
auf den Knien.
Sein junger Fuß hat nie einen Schritt getan, ohne eine schwere hündische Fessel!
KÖNIG.
Auch ich, Graf Julian, habe nie einen freien Schritt getan.
JULIAN
auf den Knien.
Sei langmütig, großer Fürst, mit dem Geprüften!
KÖNIG
sieht ihn an.
Sei du für immer sein Berater, mein weiser Julian, milder ihm als der meine mir. – Du bist mir wert – fast schäme ich mich es zu zeigen, wie sehr! Er nimmt die goldene Kette mit dem Weißen Adler in Diamanten vom Hals und hängt sie ihm um, dazu sprechend. Sic nobis placuit!Reicht Julian die Hand zum Kuß, hebt ihn auf. Mit verändertem Ausdruck. Und dieses nicht zur Ruhe kommende Volk? Dieser halb erstickte, immer wieder fortschwelende Aufruhr? Wie denkst du darüber? Du hast allerorten deine Verbindungen, deine ruhelosen Hände sind überall – Er sieht ihn zweideutig an.
JULIAN
will sprechen.
Mein König –
KÖNIG.
Diese geheimen Brüderschaften – diese lichtscheuen unheimlichen Bündnisse? – Ich bin unterrichtet.
JULIAN.
Mit einer fürstlichen Gebärde – mit einer Tat, mein König –
KÖNIG.
Du meinst, Wir werden sie leicht niederwerfen, wenn Wir dir Vollmacht geben?
JULIAN.
Es ist leicht für einen großen König, das Vertrauen seines Volkes wiederzugewinnen.
KÖNIG.
Ah, du meinst, daß ich ihr Vertrauen wiedergewinnen muß – nicht sie das meinige?
Er sieht ihn starr an.
JULIAN.
Beides, mein Fürst, wird in einem geschehen.
KÖNIG.
Wenn ich abgedankt haben werde?
JULIAN.
Da sei Gott vor! – Die Milde gegen den einen wird die Herzen überwinden. Jeder einzelne wird sich vor Dankbarkeit überwältigt fühlen – da er einen solchen Born der Gnade springen sieht.
KÖNIG.
Oh, Ursache mir dankbar zu sein – er wird sie bekommen. Und meine Völker auch. – Wenn ich dir mein Inneres enthüllen könnte –
Man hört nun wieder die Orgel, aber ohne Gesang.
KÖNIG
winkt einen der Höflinge zu sich.
Versammle den Hof außen.
Die Stabträger öffnen die Tür, die Pagen laufen ab, die Stabträger treten ab. Die beiden jungen Kämmerer und einige Höflinge treten ab. – Der König zu der Gruppe, die geblieben. Der Kastellan ist eingetreten mit den Schlüsseln und übergibt sie dem Ältesten unter Verneigen, geht wieder ab.
KÖNIG.
Ihr meine Vertrautesten, durch heilige Eide gebunden – wartet hier innen. Die Anticamera, woselbst der Kleine Dienst der Königin sich vor der Messe zu versammeln pflegte – dort haltet euch auf. Was ich mit dem Prinzen zu sprechen habe, verträgt keine Zeugen. Trete ich aber mit meinem jungen Gast auf den Altan und lege ihm als Zeichen des Einvernehmens väterlich den Arm um seine Schulter, dann lasset Posaunen erschallen: denn dann ist für dieses Königreich eine große Stunde gekommen.
Die Höflinge verneigen sich und gehen. Man sieht sie durch die geheime Tür des Oratoriums in den kleinen Korridor links treten und sich nach links entfernen: außer dem Beichtvater. Ihnen folgt der Gehilfe des Arztes, hinter ihm Anton.
ANTON
im Vorübergehen zu Julian.
Mir hat von schmutzigem Wasser geträumt! es geht schlecht aus.
KÖNIG
winkt dem Beichtvater zu warten, ruft dann Julian durch einen Wink des Auges.
Jene Worte meines hochseligen Großoheims, Kaiser Karls des Fünften, treten mir vor die Seele, mit denen er seine Krone und Länder seinem einzigen Sohn, Don Philipp, übergab.
JULIAN
kniet nieder und küßt ihm die Hand.
Möge sich seine Seele dir offenbaren. Erringt nicht der Kristall unter gräßlichem Druck seine edle Gestalt? So ist er, wenn ihn dein Auge recht gewahrt.
KÖNIG.
Vielleicht werde auch ich mich für den Rest meiner Tage in ein Kloster zurückziehen – möge ein würdiger Sohn meinen Untertanen bezahlen, was er an Dank mir schuldig zu sein glaubt.
Sein Gesicht verändert sich, er winkt den Beichtiger zu sich, Julian tritt zurück.
KÖNIG
zum Beichtiger, schnell.
Wo aber läuft der schmale Grenzrain, dessen Überschreitung – vor Gott und der Welt – die äußerste Härte rechtfertigen würde? wo? mein Vater? – Du schweigst. Wenn er seine Hand gegen mich erhübe?
BEICHTIGER.
Das verhüte Gott!
KÖNIG.
Welche werden auch dann noch sagen: das Opfer der Staatsräson sei seiner verstörten Sinne nicht mächtig gewesen.
BEICHTIGER.
Weise Richter, mein König, haben das Erkenntnis gefällt: ein fünfjähriges Kind wird straffällig und kann durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden, wofern es zu wählen versteht, zwischen einem vorgehaltenen Apfel und einem kupfernen Pfennig.
KÖNIG
lächelt.
Ein fünfjähriges Kind! Höchst weise ersonnen! Ein wunderbares Paradigma! Ein Prinz, der zu Pferde sitzt wie ein geborener König und ein fürstliches Gefolge vor Stolz keiner Anrede würdig, ist jedenfalls kein fünfjähriges Kind.
KÄMMERER
kommt eilig durch die Tür rechts, meldet knieend.
Sie kommen!
KÖNIG.
Wer ist mit ihm?
KÄMMERER.
Der Prinz hieß mit einer gebietenden Gebärde die Diensttuenden zurückbleiben. Graf Adam allein ist pflichtschuldig gefolgt und führt ihn die Treppe herauf hierher.
KÖNIG.
Fort, dort hinein. Zu den übrigen. Auch du, ehrwürdiger Vater. Beichtiger und Kämmerer ab. Zu Julian. Du bleibst!
Man sieht den Beichtiger, hinter ihm den Kämmerer, durch den Korridor abgehen. Dann treten der König und Julian in den Korridor und bleiben sichtbar stehen, indem sie durchs Fenster in das Gemach spähen. Das Gemach bleibt eine Sekunde leer, dann wird der junge Kämmerer, Graf Adam, an der Tür, die aufgeht, sichtbar: er öffnet von außen. Läßt Sigismund eintreten, tritt hinter ihm ein und schließt die Tür. Sigismund ist fürstlich gekleidet, trägt aber keine Waffen im Gürtel. Er tritt herein, sieht sich um, dann ans Fenster, sieht hinaus: dann wieder in die Mitte des Zimmers.
KÖNIG
mit Julian außerhalb des Gemaches als Zuschauer sichtbar.
Höchst edel! fürstlich in jeder Gebärde! Er stützt sich auf Julian.
KÖNIG.
Meine Frau, wie sie leibt und lebt! Gegen jedes Zunahetreten gewappnet mit schierer stummer Unmöglichkeit. Zu Julian. Hinein! und bereite ihn vor! ganz! Sag ihm alles!
JULIAN
leise.
Alles, auch das Letzte?
KÖNIG
von Tränen übermannt.
Auch das Letzte! Und dann öffne mir die Tür und laß mich allein mit ihm. Geh!
Julian tritt durch die geheime Tür ins Oratorium und von dort ins Gemach. Die Orgel war einen Augenblick stärker hörbar, weiterhin ist sie hie und da sehr leise vernehmlich. Der Kämmerer wird ihn zuerst gewahr, tritt zurück und verneigt sich. Auf einen Wink Julians geht er an die Tür, verneigt sich nochmals tief gegen Sigismund hin und geht hinaus. Sigismund wendet den Kopf, erblickt Julian, richtet sich jäh auf, kehrt Julian den Rücken. Er zittert heftig.
JULIAN
läßt sich hinter Sigismund, drei Schritte von ihm, auf ein Knie nieder.
Auch er kann seine Erregung kaum bemeistern. Leise. Prinz Sigismund!
Sigismund hebt die Hände wie flehend abwehrend vor sich hin, aber ohne sich Julian zuzuwenden, mit
einem leisen, kaum hörbaren Laut des Schreckens.
JULIAN.
Ja, ich. Eine Stille. Dies war die Reise, die ich dir versprach. Dies Haus ist ihr Ziel.
Sigismund sieht sich hastig um, wendet ihm sogleich wieder den Rücken.
KÖNIG.
Wie er ihn schräg von unten anblickt. Er haßt ihn offenkundig. Das ist Manna für meine Seele!
JULIAN
erhebt sich und spricht aus der gleichen Entfernung.
Du hast dir gesagt, daß es dein Vater ist, der so über dich gebietet. Du begreifst, daß deines Vaters Wege dir unerforschlich sein mußten, wie dem Getier deine Wege übers Getier. Du möchtest nicht leben, wenn nicht Höheres über dir wäre, so ist dein Sinn. – Du fragst nicht: Was ist mir geschehen? –
SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.
Noch: Warum ist es mir geschehen? –
SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.
Denn dein Herz ist uneitel. Du verehrest Gewalt, die über dir ist, dir ahnt immer das Höhere, weil du selbst von Hohem bist. Und nun bist du bereit?
SIGISMUND
verbirgt die Hände.
JULIAN.
Bleibe. Verbirg nicht deine Hände. Zeige sie ohne Scheu. Dies halte fest: ich bin deines Vaters Diener. Ein Mann ist bei jedem Atemzug des Höheren eingedenk.
KÖNIG
außerhalb, aber sichtbar, kniet nieder und betet.
Tu ein Wunder, Herr im Himmel! und versöhne ihn mit seinem Schicksal, dessen unschuldiges Werkzeug ich war. Amen. Sein Gesicht, wie er wieder aufsteht, ist von Tränen überströmt.
JULIAN
nachdem er sich umgesehen hat.
Sigismund, Kronprinz von Polen, Herzog von Gotland, ich habe dir den Besuch deines königlichen Vaters anzukündigen.
Sigismund fällt auf die Knie, birgt sein Gesicht in den Händen. Julian eilt hin, öffnet die Tür, läßt den König eintreten. Die Orgel wird leiser. Der König steht im Gemach, Sigismund liegt noch auf den Knien, das Gesicht in den Händen, wie sein Vater schon vor ihm steht. Julian tritt auf den Korridor hinaus, verschwindet nach links.
Die Orgel tönt nun stärker, schwillt mächtig an, die vox humana tritt gewaltig hervor.
Sigismund steht entgeistert, dann sucht er mit den Augen, wo dieser Klang herkomme, er sieht nach oben, zittert heftig. Tränen schießen ihm in die Augen.
KÖNIG
nach einer Pause.
Sprich, mein Sohn, laß mich deine Stimme hören.
SIGISMUND
auf den Knien, den Kopf zur Erde.
KÖNIG.
Sohn, Wir haben dir verziehen. Du bist heimgekehrt. Unsere Arme sind offen. Laß Uns dein Antlitz sehen!
SIGISMUND
zittert, zuckt; wendet sein Gesicht gegen die Wand; kniet dort nieder, abgewandt.
Drückt das Gesicht gegen die Mauer.
KÖNIG.
Nein, es ist an Uns. Wir demütigen Uns vor dem, der gelitten hat. Wir neigen Uns. Er neigt sich ein wenig.
SIGISMUND
zittert stärker, birgt den Kopf hinterm Sessel.
KÖNIG.
Wie Sankt Martin, da er den Bettler fand, den nackenden, vor Kälte zitternden. – Er greift ans Schwert. Sieh auf! Sollen wir Unsern königlichen Mantel mit dir teilen? oder Er stößt das Schwert wieder in die Scheide. kommst du an Unser Herz in seine ungeteilte Wärme? Er öffnet seine Arme.
SIGISMUND
steht auf.
KÖNIG.
Laß Uns deine Stimme hören, junger Fürst! Wir sind begierig nach ihr. Wir haben ihren Klang zu lange entbehrt.
SIGISMUND
redet, aber es dringt kein Laut über seine Lippen.
KÖNIG.
Was flüsterst du in dir? Möge es ein guter Geist sein, der aus dir flüstert!
SIGISMUND
kann nicht reden.
KÖNIG.
Dein Auge in Unseres! Vernimm einmal für alle Male, Erbe von Polen! Wir vermögen nicht mißzuhandeln als König an dem Untertan, als Vater an dem Sohn; und hätten Wir dir ohne Gericht das Haupt auf den Block gelegt: so war Uns heilige Gewalt verliehen, und da ist niemand, der wider Uns klagte. Denn Wir waren vor dir – so bist du in Unsere Hand gegeben von Gott selber.
SIGISMUND
deutet durch Zeichen, er habe Furcht vor Gewalt, Furcht vor des Königs Händen.
Stöhnt auf. Woher – so viel Gewalt?
KÖNIG
lächelt.
Nur die Fülle der Gewalt frommt: in der Wir sitzen, als der Einzige, einsam. So ist Gewalt des Königs. Alle andere ist von ihr geliehen und ein Schein.
SIGISMUND.
Woher so viel Gewalt? woher?
KÖNIG.
Von Gott unmittelbar. Vom Vater her, den du kennst. Am Tage, da es Gott gefiel, – sind Wir in Unser Recht getreten als Erbe. Ein Heroldsruf erscholl in die vier Winde, die Krone berührte das gesalbte Haupt, dieser Mantel wurde Uns umgetan. So war wieder ein König in Polen. Was ist dir?
SIGISMUND.
Gib schon dein Geheimnis preis! Laß schon dein Gesicht vor mir aufgehen! Er kommt mit seinen Augen dem Gesicht des Königs ganz nahe, tritt zurück.
KÖNIG
sieht ihn starr an.
SIGISMUND.
Ich habe nie einen Menschen geküßt. Gib mir den Friedenskuß, mein Vater!
KÖNIG.
Genug. Ich liebe solche Worte nicht. Komm zu dir, Prinz von Polen. Besinne dich, von wo ich, dein König, dich gerufen habe und wohin ich dich erhöht habe.
SIGISMUND.
Erhöht! Erhöhst du mich jetzt über mich selber zu dir? Ja? – Laß aufgehn dein Gesicht. Gib dich mir so, wie du mich genommen hast. Mutter, Vater! nimm mich zu dir.
KÖNIG.
Dich verzehrt die Begierde nach Macht. Das lese ich in deinen Zügen. – Aber man hat dich gelehrt, mit gefühlvollen Worten die Herzen gewinnen. Mit einem ironischen Lächeln. Mögen solche Gaben dir nach meinem Tode zugute kommen. – Jetzt aber setz dich hier zu meinen Füßen, mein Sohn. Er setzt sich auf den hohen Stuhl, Sigismund zu seinen Füßen auf den niedrigen. Mir vertraue und keinem sonst. – Eines ist Königen not: daß sie sich ihrer bösen Ratgeber erwehren lernen. Sie sind die Schlangen an unserem Busen. Hörst du mich, mein Sohn? Antworte mir.
SIGISMUND.
Ich höre, mein Vater.
KÖNIG
sieht ihm ins Gesicht.
Du hörst? Ich suche kindliche Ergebenheit in deinem Blick, und ich finde sie nicht. Du bist verschlossen, mein Sohn. Du bist schlau und selbstgewiß. – Gut. Ich sehe, du bist jedem Geschäft gewachsen. – Ich übertrage dir das erste und größte. Er steht auf, Sigismund gleichfalls.
KÖNIG.
Mache uns frei von der Schlange Julian, die uns beide umstrickt hat.
SIGISMUND.
Wie, mein Vater? was redet mein Vater?
KÖNIG
spielt auf Sigismunds Hand.
Wie, mein Vater? Wie? Jählings fürchterlich. In Ketten dich? unter seiner Peitsche den Erben dreier Kronen? und mir deine Wildheit vorgespiegelt? Meine Tage vergiftet, meine Nächte ausgehöhlt mit dem Schauermärchen von einem tobenden Knaben mit Mörderaugen! mit dem Gespenst eines geborenen Aufrührers! – In geändertem Ton. Und zu welchem Ende? Schwant dirs, mein armer Sohn? Dich an ihn zu ketten durch die Gemeinsamkeit des an mir begangenen Frevels – ihn zu deinem Herrn und Meister zu machen für immer – dich zu erniedern zum Werkzeug deines Werkzeugs – einen zweiten Basilius aus dir zu machen, einen zweiten Ignatius aus ihm – Er knirscht wild die Zähne. wenn du ihm nicht zuvorkommst. –
SIGISMUND
sieht ihn entsetzt an, schlägt die Hände vors Gesicht.
KÖNIG.
Her zu mir! Leise. Was ist das für ein allgemeiner Aufruhr, mit dessen Androhung er nun wieder mein ahnungsloses Herz bestürmt!
SIGISMUND.
Was für ein Aufruhr? ich weiß von keinem Aufruhr!
KÖNIG
zieht ihn an sich.
Ich frage dich nicht: wer schürt seit einem Jahr diesen Aufruhr in meinen Landen? in wessen Hand, wenn nicht in der seinigen, laufen diese Fäden zusammen? Still! Er legt ihm die Hand auf den Mund. Ich verhöre dich nicht. Ich begehre nicht, daß du mir deinen Lehrer preisgibst. Ich gebe ihn dir preis.
SIGISMUND.
Du gibst ihn mir preis? meinen Lehrer? Er hat mich gelehrt in einem Buch lesen. Alles hat er mich gelehrt.
KÖNIG.
In deinen Händen sei sein Geschick. Still. Nimm diesen Ring. Ich stecke ihn an deinen Finger.
SIGISMUND.
Diesen Ring!
KÖNIG.
Wer ihn trägt, ist der Herr. Meine Garden gehorchen ihm. Meine Minister sind die Vollstrecker seiner Befehle. Tritt hervor aus meiner Umarmung und sei wie der Blitz. Deine erste Tat sei jäh, erschreckend, besinnungraubend!
SIGISMUND.
Meine erste Tat! Sie ahnte mir, wenn ich den Roßknochen schwang überm Getier – ruf das nicht auf.
KÖNIG
dicht an seinem Ohr.
Verhafte diesen Verräter Julian und sieh zu, ob der angezettelte Aufruhr nicht dahinfällt wie ein Bündel Reisig!
SIGISMUND
wortlos.
KÖNIG
zieht ihn an sich.
Mit diesem Blick, den du jetzt auf mich wirfst, tritt vor ihn. Die Prärogative dieses Ringes an deiner Hand sind unermeßlich. Sie machen dich mir gleich, mein Sohn.
SIGISMUND.
Dir gleich? Deine Macht – ist jetzt da? –
Er hält ihm den Ring vor.
KÖNIG
leise zutraulich.
Sie legen den Griff des Richtbeils unmittelbar in die Hand des Trabanten, der dich auf einem nächtlichen Gang begleitet. Es ist auch von nun an nur ein König in Polen –
SIGISMUND.
Nur einer!
KÖNIG.
Aber er wandelt in zwei Gestalten, und eine davon ist neu und fürchterlich. Weh unseren Feinden! Er drängt ihn sanft hinweg. Geh! geh!
SIGISMUND
tritt zurück.
Wer bist du, Satan, der mir Vater und Mutter unterschlägt? Er schlägt ihm ins Gesicht.
KÖNIG.
Trabanten! Zu mir! Auf deine Knie, Wahnwitziger!
SIGISMUND
packt ihn.
Was fletschest du? Warum wird dein Gesicht so gemein? – Ich habe schon einmal einen alten Fuchs mit Händen erwürgen müssen! Er hat gerochen wie du! Stößt ihn von sich.
KÖNIG.
Nieder auf deine Knie, rebellisches Tier! Hört niemand! Wir werden dich züchtigen! Wir werden nicht anstehen, dich im Angesicht des Volkes auf den Richtblock zu schleifen.
SIGISMUND.
Ich bin jetzt da! – Ich will! An mir ist nichts vom Weib! Mein Haar ist kurz und sträubt sich. Ich zeige meine Tatzen. Diese Stunde, zu deinem Schrecknis, hat mich geboren.
KÖNIG.
Unantastbar! Die Majestät! Zu Hilfe!
Er will nach links, Sigismund vertritt ihm den Weg.
PAGE
von links.
Der König ruft!
SIGISMUND
bedrängt den König, reißt ihm das Schwert aus der Scheide, schwingt es.
Ich befehle! Da hinüber! Nieder auf den Boden! Ich will treten auf dich! – Seitdem ich da bin, bin ich König! Wozu riefest du mich sonst?
KÖNIG
stöhnt unter seinem Griff.
SIGISMUND.
Röhr doch! Mach Lärm! Rufe! Schrei dich tot! Her den Mantel!
König will entspringen. Julian wird in dem Korridor links sichtbar, stürzt herein und durch die Tür rechts wieder hinaus. Sigismund läuft dem König nach mit geschwungenem Schwert. König fällt zusammen. Sigismund reißt ihm den Mantel ab und hängt ihn sich um die Schultern.
PAGEN
im Korridor links, schreien auf.
Zu Hilfe!
Etliche Höflinge stürzen herbei, dringen durchs Oratorium ins Zimmer. Der Korridor füllt sich mit Hofherren, Kämmerern, Pagen.
ALLE
schreien durcheinander.
Wer ruft? Was ist geschehen? Da hinein! Es ist verboten! Der König ist tot!
Die ins Zimmer Eingedrungenen halten sich links.
SIGISMUND
den Blick fest auf ihnen.
Stille! Keinen Blick auf die alte Leiche! Auf die Knie mit euch! Küsset die Erde vor den Füßen eures neuen Herrn und werfet das alte Fleisch dort in die Grube – vorwärts hier! Die vordersten zwei!
Die Höflinge regen sich nicht. Hinter ihnen haben sich mehrere ins Zimmer geschoben. Die Tür rechts öffnet sich, Julians Kopf erscheint. Er sieht nach allen Richtungen, springt dann herein.
JULIAN
hat das Reichsbanner an sich gedrückt, wirft sich vor Sigismund auf die Knie, indem er ihm das Banner überreicht, und ruft.
Es lebe der König.
SIGISMUND
ergreift das Banner mit der Linken.
Herein da mit euch! Hier seht euren Herrn! Bereitet euch! Ich will mit euch hausen wie der Sperber im Hühnerhof! Mein Tun wird meinem Willen genugtun. Versteht mich! Meine Gewalt wird so weit reichen als mein Wille. Auf die Knie mit euch! Er wirft ihnen das nackte Schwert vor die Füße. Da! Ich brauche das nicht! Ich bin der Herr!
Einige der vordersten knien nieder.
GRAF ADAM
zwischen den Höflingen, schreit auf.
Der König lebt! Zu Hilfe Seiner Majestät! Er reißt aus Sigismunds Hand das Panier an sich. Es ist nur ein König in Polen! Vivat Basilius!
Zwei Kämmerer schieben sich an der linken Wand entlang und kommen Sigismund in den Rücken. Der eine wirft seine Arme von hinten um Sigismund und bringt ihn zu Fall. Mehrere stürzen sich nun noch auf ihn. Er wird in den Alkoven halb gerissen, halb getragen. Die älteren Höflinge und die Pagen eilen zum König, helfen ihm sich aufzurichten. Pagen bringen von hinten den Mantel, hängen ihn dem König um. Der Beichtiger stützt ihn.
Gleichzeitig.
EINE STIMME
aus dem Alkoven.
Er liegt!
EINE ANDERE STIMME.
Her mit dem Arzt!
Der Gehilfe des Arztes, Anton mit der verdeckten Schüssel neben ihm, sind als letzte aus dem Oratorium getreten. Der Gehilfe geht gegen den
Alkoven, von wo man ihm winkt. Er sieht sich nach Anton um. Anton preßt die verdeckte Schüssel gegen sich. Mehrere kommen gelaufen, reißen Anton die Schüssel weg, tragen sie hastig nach dem Alkoven. König hat sich aufgerichtet.
KÖNIG
zittert.
Es ist geschehen, wie prophezeit war. Er hat seinen Fuß auf mich gesetzt in Angesicht des Volkes. – Aber Wir sind Unserer Krone mächtig geblieben und können über ihn die Strafe verhängen! Ah! wer hätte das gewagt zu hoffen! Mich dürstet.
EIN HÖFLING.
Zu trinken für den König!
Etliche Pagen gehen eilig ab.
KÖNIG
berührt seine rechte Hand mit der linken.
Mein Ring!
Einer läuft hin zu dem Bette, bringt den Ring, überreicht ihn knieend.
KÖNIG.
Auch er muß mit Blut abgewaschen werden. Sieht ihn an. Er winkt mehrere nahe zu sich. In das niedrige Volk ist ja die Hirnwut gefahren! Sie liegen, höre ich, in den Kirchen und beten um einen neuen König, einen unschuldigen Knaben, der in Ketten ein neues Reich heranbringen wird. – Wir wollen ihnen ein heilsames Schauspiel geben. Man wird mitten auf dem großen Markt das Schafott er richten, höher als je eines errichtet war. Dreimal zwanzig Stufen hoch soll er steigen, bis er den Block findet, sein Haupt darauf zu legen. Lauter zu allen. Ich will alle Stände meiner Hauptstadt feierlich geladen wissen, und es sollen die Angeschmiedeten aus meinen Bergwerken und von meinen Galeeren losgemacht werden. Man soll sie in reinlichen Festgewändern aufstellen, und er soll auch vor ihnen vorbeigeführt werden, damit auch die letzten meiner Untertanen nicht ohne eine Ergetzung bleiben an einem solchen Freudentag.
Die Tür geht auf.
ZWEI PAGEN.
Platz für den Wein des Königs!
Drei Pfeifer spielend. – Der Obermundschenk.
Der Pokal, von einem Pagen getragen.
OBERMUNDSCHENK
reicht knieend den Pokal, steht wieder auf und ruft, indem der König den Pokal an den Mund setzt.
Der König trinkt!
ALLE.
Heil Eurer Majestät!
Obermundschenk empfängt knieend den geleerten Pokal, geht ab mit den Pfeifern und Pagen.
KÖNIG
steht auf.
Den Leibarzt! Wir bedürfen seiner Geschicklichkeit. Die Kreatur soll heil und ihrer selbst bewußt unter das sühnende Schwert!
Pagen ab.
König tut einige Schritte.
Höflinge geben den Blick auf diese Gruppe frei: Julian an der Wand von dreien umgeben, die ihre Dolche auf ihn gezückt halten.
Julian mit geschlossenem Auge, stöhnt.
ANTON
in seiner Nähe.
O mein, ist Ihnen so schlecht? Muß man Euer Gnaden zur Ader lassen?
König behält Julian im Auge, flüstert mit einem Höfling. Drei Pagen stehen nahebei.
HÖFLING.
Edelknaben, tut euren Dienst!
Pagen fallen Julian an und reißen ihm die Ordenskette ab und das königliche Siegel aus dem Gurt.
JULIAN.
Stehen! Aufrecht hier hinausgehen. Er fällt zusammen.
Arzt tritt schnell ein und auf den König zu.
KÖNIG.
Nicht Wir! – Wir haben Uns eben eines sehr bösen Anfalles allein erwehrt. Dort bedarf man Euer. Und auch den Helfershelfer will ich bald seiner Sinne mächtig haben. Ich werde ihm in diesen drei Tagen noch einige Fragen stellen lassen. Dann sollen sie ihn auf einer Kuhhaut zum Hochgericht schleifen, und der Scharfrichter soll ihn als zweiten abtun.
Arzt tritt zu dem Bette, dort stehen Höflinge und Trabanten. Man macht ihm Platz.
Gervasy und Protasy treten lautlos ein, schleichen auf den König zu, tief gekrümmt, jeder einen Zettel in der Hand.
KÖNIG.
Ihr kommt zurecht, immer zurecht, meine Braven. – Jetzt bin ich Herr im eigenen Haus.
Gervasy und Protasy ab, mit gebogenen Knien.
KÖNIG
durchfliegt die Zettel, steckt sie zu sich, in den Gürtel, blickt um sich.
Der Hof im Halbkreis. Zdislaw!
Ein Großer tritt hervor.
KÖNIG.
Dein Sohn hat sich gestern nacht vor Zeugen so geäußert: Wenn es sich ergeben sollte, daß dieser geheimnisvolle Fremde wirklich königlichen Blutes wäre, und wenn dieser Prinz nach der Krone trachten sollte, so würde er sein Schwert nicht gegen ihn ziehen. – Das sind verräterische Wenn und mörderische Und! Es steht ein Turm leer im Gebirge, dort wollen Wir ihm Zeit geben, seine Reden zu bereuen. Steh auf. Tritt zurück. Zum Starost von Utarkow, den er heranwinkt. Du hast mit deiner Frau, als du mit ihr allein warst, gesprochen, es gäbe innerliche Stockungen und verrottete Säfte, deren Wirkung die sei, daß sie unversehens das überfüllte Haupt strangulieren. Mit dieser verdeckten Rede hast du angespielt auf Uns, das Haupt dieses Reiches.
STAROST VON UTARKOW.
Ich weiß nichts! Niemand kann das gehört haben!
KÖNIG.
Geh dort hinüber, Rebell. Die Wache wird dich abführen. – Ihr sollt euch alle ansehen und nicht wissen, welcher noch nicht verraten ist. Bohuslaw!
Ein alter Höfling tritt vor.
KÖNIG.
Was zitterst du so, wenn ich dich gnädig heranwinke? Leise. Deine beiden jungfräulichen Nichten sind sehr schön. Wir müssen, ob Wir wollen oder nicht, aus ihrer beiden Schönheit das Juwel dieser nahenden Festtage machen. Lauter. Unser gutes Volk wird sich nicht nehmen lassen, einen Freudenpfennig darzubringen. Zum Kanzler. Sorge, daß die Steuerlisten neu aufgelegt werden. Von der Judenschaft erwarten Wir ein freiwilliges Geschenk, solches Anlasses würdig. Wieder zu dem alten Höfling. Deiner Nichten Schönheit ist von köstlicher Besonderheit. Zum Kastellan von Krakau. Das Schafott mit schwarzem Stoff verkleiden. Auch die Statue der allerseligsten Jungfrau, dem Gerüst gegenüber, einhüllen in schwarzes Gewebe. – Ihn aber lasset ein Hemd aus blutfarbenem Scharlach tragen, denn wer die Hand gegen den geweihten König erhob, ist einem Vatermörder gleichzuachten – nicht wahr, Zum Beichtiger gewandt. mein Vater? Zu dem alten Höfling. Führe Uns die beiden Fräulein herbei, heute abend, und sei du allein der Wächter ihrer Ehre. Ordne alles an, nimm die Schlüssel Unseres Jagdschlosses an dich, sei Unser Zeremonienmeister. Geh! geh! Er drückt ihm die Hand, ehe der Alte sie küssen kann, entläßt ihn, wendet sich dann jäh zu Graf Adam. Adam, Wir stehen sehr in deiner Schuld für deine Geistesgegenwart. Steigere nur deine Verdienste nicht zu hoch, daß Wir in Sorge kämen, sie nicht mehr würdig vergelten zu können. Zu hoch gespannte Gunst verkehrt sich leicht in Abgunst. Da sei Gott vor! Folgt mir, mein Hof. Wir wollen heute noch einen starken Hirsch hetzen.
Er geht mit starken Schritten durch die Tür rechts, der Hof folgt ihm.
ARZT
im Alkoven.
Verbände an die Füße. Dies leichte Tuch über sein Gesicht – Wesen aus einem einzigen Edelstein, du darfst keine Schmach erleiden!
ANTON
läuft zu ihm.
Kommen dorthin, mein gnädiger Herr ist der ärgere Patient.
Julian liegt auf der Erde, das Haupt an einen Stuhl gelehnt, schwer atmend.
ARZT
tritt hin, reicht ihm ein Fläschchen aus seiner Tasche.
Trinken der Herr von diesem, es wird Ihnen die Kräfte geben, daß Sie auf meinen Arm gestützt bis in mein Zimmer kommen, wo ich Ihnen eine Ader schlagen werde. Zu den Wachen, die Julian fassen wollen, indem er sie abhält. Vorwärts! Hier befehle ich und bin der Majestät verantwortlich, sonst keinem. Leise zu Julian, der mit Antons Hilfe sich aufgerichtet hat. Jetzt mehr als je hat der Ihnen anvertraute hohe Jüngling Anspruch auf Ihre ganzen Kräfte.
Die Diener unter Aufsicht des Gehilfen haben Sigismund vom Bette aufgenommen und tragen ihn langsam hinaus.
JULIAN.
Was wollen Sie von mir? Welche Hoffnung ist noch zurück?
ARZT.
Die größte. Denn er lebt und wird leben, das verbürge ich. – So und nicht anders Er deutet auf den, der hinausgetragen wird. war von jeher den Heiligen gebettet zur Erwachung.
JULIAN.
Überm Haupt die Faust des Henkers! Sie hämmern schon an dem Gerüst!
ARZT
führt ihn noch einen Schritt gegen den Vordergrund, leise.
Acheronta movebo. Ich werde die Pforten der Hölle aufriegeln und die Unteren zu meinem Werkzeug machen: der Spruch war von Geburt an auf der Tafel Ihrer Seele geschrieben.
Sie gehen langsam der Tür zu, wo die Wache Stellung genommen hat.
JULIAN.
Wie darf ich Euch verstehen? So wisset Ihr –?
ARZT
stehenbleibend.
Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, granitene Mauern wegblasen wie Staub. Das weiß ich.
JULIAN.
Ja! Gewaltiger Mann! Wie dein Sehstern wissend leuchtet. Bleibe bei mir. Mit dir vereint –
AKZT.
Die Kräfte freizumachen ist unser Amt, über dem Ende waltet ein Höherer. – Wir müssen fort von hier!
Sie gehen, die Wache folgt ihnen.
Vorhang.