In dunkler Nacht

In dunkler Nacht zuweilen fahr' ich jäh empor
Aus tiefem Schlaf, und auf den leisen Atemzug
Der Liebsten horchend, lieg' ich eine Weile still
Und starre bangend in die leere Finsternis,
Wo hinterm Schirme dämmernd nur ein Lichtschein glimmt.
Kein Laut des Lebens dringt herauf vom Garten her,
Das Herz nur pocht mir in der Brust. Und stiller noch
Und stummer wird's, als sänke rings in Todesschlaf
Die weite Welt. Und plötzlich ist's, als stände still
Der sanfte Atem neben mir – mit Knistern lischt
Das Flämmchen aus, und lähmend überschauert mich
Ein eisig Grauen.
Ew'ge Mächte, käm' es je,
Daß dieses Lebens Flamme, dran das meine sich
Belebt und wärmt, des besten Weibes Liebeshauch
Verlodert' und verweht' im rauhen Todessturm
Und ich – o Gott! – in ungeheurer Einsamkeit
Zurückgeblieben – wie – wie sollt' ich das bestehn
Und nicht ihr nach hintaumeln in die ew'ge Nacht!
Ist nicht, was Holdes je auf meinem Pfad geblüht,
Nur an der Sonne dieses Auges aufgesproßt,
Und wenn sie auslischt, fänd' ich meine Straße noch
In winterlicher Wüste? Ew'ge Machte, nein,
Nur das, nur das nicht! Tut mir euer Ärgstes an,
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Laßt mich erblinden, laßt an Kraft und Lebensmut
Mich ganz verarmen, keiner Freude mächtig mehr –
Nur das, nur das nicht! Schon bei dem Gedanken tritt
Der kalte Schweiß mir auf die Stirn, im Busen klopft
Das Herz, wie ihn zu sprengen, mir am Gaumen klebt
Fiebernd die Zunge – auf vom Lager heb' ich mich,
Ein Licht zu zünden – da an meiner Seite tönt
Die liebe Stimme: Schläfst du nicht? Ist dir nicht wohl
Gib deine Hand mir – so! Nun wird's vorübergehn.
Du hast zu lang geschrieben.
Und die zarte Hand
In meine legend, schlummert sie von neuem ein.
Mir aber ist, als wär' an meinem Haupt vorbei
Ein Blitz gestreift, und gnädig hätte noch einmal
Das Schicksal sich erbarmt des armen Sterblichen.
Und sieh, schon kündet tröstlich sich das Frührot an.
Vom Garten leise klingt herauf ein Vogelruf
Und von dem nahen Turme der Basilika
Das Glöcklein, das zur Messe ruft.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Hauspoesie. In dunkler Nacht. In dunkler Nacht. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6753-E