[474] An Wilhelm Hertz in Berlin
Dilettant heißt der kuriose Mann,
Der findet sein Vergnügen dran,
Etwas zu machen, was er nicht kann
So hab' ich selbst einmal gesprochen,
Aller Pfuscherei den Stab gebrochen,
Und war doch selber unter der Hand
Ein gottvergnügter Dilettant,
Den's höchlich auferbaut, zuzeiten
Sein Steckenpferdlein frisch zu reiten.
Noch denkst du wohl der Tage, Freund,
Da wir selbander umhergestreunt
In Thürings Berg- und Waldgeheg,
Allwo dir kund sind Weg und Steg,
Und wie wir oft im Grünen saßen,
Überm Kritzeln Speis' und Trank vergaßen,
Ein Bröckchen Fels, ein alt Gemäuer
Hinstrichelten mit heil'gem Feuer
In jenes Büchlein schlank und schmächtig,
Das du erstanden wohlbedächtig
In Jena neben Frommanns Haus,
(Sah wie ein Schülerschreibheft aus,
Blau der Umschlag und dünn die Blätter).
Doch wir in gut' und schlechtem Wetter
Erprobten darin mit Leidenschaft
Unsre verstohlne Künstlerkraft,
Fanden auch nichts Kurioses dran,
Daß einer macht, was er nicht kann.
Ach, wenn in Ferien dann und wann,
Wer einer Kunst sich zugeschworen,
Oder sonst ein schwer Geschäft erkoren,
In andern freien Künsten pfuscht,
Flöte bläst oder Bildlein tuscht,
Niemand zur Last, sich zum Vergnügen,
Zumal auf einsamen Wanderzügen,
Soll man nicht gleich so hitzig lästern.
Sind doch die Musen liebe Schwestern:
Führt man die eine heim als Frau,
Sie nimmt's wohl einmal nicht genau,
[475]Wird lächelnd durch die Finger sehn,
Tut man mit einer Schwägerin schön,
Da es ja in der Familie bleibt;
Dafern man's nur in Züchten treibt,
Mit seinem stillen Dilettieren
Nicht vor den Leuten will renommieren.
So hab' ich's all mein' Tag' getrieben,
Ist mir darum auch fern geblieben
Das Naserümpfen und höhnisch Lachen,
Wenn's andre eben nicht anders machen.
Ja, oft empfand ich einen Neid,
Sah ich die Himmelsseligkeit,
Womit ein unbefugt Talent
Von hoher Schöpferlust entbrennt,
Skizzenbücher zusammenschichtet,
Dicke Hefte voll Lieder dichtet
Und wie ein Geiziger, wenn es nachtet,
Den angehäuften Schatz betrachtet.
Blieb's nur dabei! Doch leider reißt
Die Guten hin ein böser Geist,
Dem Licht auch endlich zu offenbaren,
Wie vergnügt sie im Dunkeln waren,
Da dann am kalten Blick der Welt
Ihr Reichtum nicht die Probe hält.
Dann wird der Segen schönster Stunden
Gezählt, gewogen, zu leicht erfunden.
So hat in Rom mich ungescheut
Mein bißchen Pfuscherei erfreut,
Und wo sich hinlenkt unser Schritt,
Wandert das Zeichenbüchlein mit,
(Nicht wie in junger Zeit fürwahr,
Wo's manchmal ein Galeotto war
Und etwa mir bei schönen Augen
Mußte die Tür zu öffnen taugen,
Da ein pittore in Dorf und Stadt
Stets unverdächtigen Zutritt hat.)
Heut ging's hinunter nach dem Tore
Vorüber an Marie Maggiore
[476]Da wächst empor eine neue Stadt,
Sechs Stock hoch, weißgetüncht und glatt,
Gemütlos widerwärtige Kasten,
Die baß zum Köpnickerfelde paßten.
Dazwischen schaut ein Ruinentrumm
Verlegen und betrübt sich um
Und scheint von naher Zeit zu träumen,
Wo es denn auch den Platz soll räumen.
Wir sahn das braune Gemäuer winken,
Einen hohlen Zahn mit schartigen Zinken;
Unweit dahinter herübersah
Die alte Minerva medica,
Auch ein Stück eines Aquädukts,
Und gleich mir in den Fingern zuckt's,
Als ob hier was zu holen sei.
Nun lag ein Hüttlein nebenbei,
Dem Altertum just gegenüber;
Giuoco di bocce las man über
Der niedren Tür, und aus der Küche
Kamen Zwiebel- und Weingerüche,
Wie man's wohl kennt in römischen Schenken.
Dahin wir flugs die Schritte lenken
Und bitten, daß man vor die Tür
Uns ein paar Sitze trüg' herfür,
Mein Pfuschwerk eilig zu beginnen.
Ein junges Ehpaar hauste drinnen,
Das eben sein pranzo mit Salat
Und Brot und Wein vollendet hat.
Die trugen zwei Sessel vor das Haus,
Saßen dann selbst zu uns hinaus,
Und während flink mein Stift sich rührte,
Man eine Zwiesprach zusammen führte.
Ein Jahr erst waren sie vermählt,
Hatten dies arme Nest erwählt,
Weil niemand sonst dazu sich fand,
Da es längst auf dem Abbruch stand.
Die Frau, ein harmlos muntres Wesen,
Wär' gar so übel nicht gewesen,
Hätt' nur ein wenig Waschen gebraucht,
So war sie staubig und angeraucht.
[477]Ihr Gatte grüßte mich als Kollegen:
Er tät' einst selber der Malkunst pflegen.
Nach Solferino hab' er einmal
Wund müssen liegen im Spital
Viel öde Wochen und Monden lang,
Da hab' er so aus Herzensdrang
Mit Zeichnen sich die Zeit vertrieben,
Nun sei ihm nur die Lust geblieben.
Er könn' an Berg' und Mauern dort
Sich nimmer satt sehn fort und fort.
Ich sollt' auch fein die zwei Zypressen
Dort auf dem Hügel nicht vergessen,
Auf daß doch immer ein Abbild bliebe,
Wenn hier der Neubau sie vertriebe.
Er selber hab's versucht; doch sei
Es ihm zu schwer, er sag' es frei.
So plauderten ein Stündlein wir
In guter Freundschaft alle vier.
So still und lieblich war der Ort,
So lenzhaft schien die Sonne dort
Schon in des Februars Beginne –
Es ward uns wunderwohl zu Sinne.
Und als mein Skizzchen nun vollbracht –
Eilfertig, wie's ein Stümper macht –
Mußt' ich mit meiner lieben Frauen
Das Hüttlein auch von innen schauen.
Da war nun alles nach Landesbrauch
Gar dürftig, kahl, voll Ruß und Rauch,
Der Tisch am Herde schlecht und recht,
Ein Riesenfiasko in Strohgeflecht,
Nur wenig Hausrat ringsumher,
Als stammt' er noch von den Tagen her,
Da Hannibal vor den Toren stand.
Doch hinter der schwarzen Bretterwand
Tat sich noch auf ein Kämmerlein,
Da führt das Paar uns stolz hinein.
War zwar nichts Köstlichs dran zu sehn,
Kaum Platz, sich eben umzudrehn,
Ein Bett mit Strohsack, vielgeflickt,
[478]Doch wie wir forschend umgeblickt,
Sahn wir die niedren Wände rings,
Die schiefe Decke rechts und links
Tapeziert mit Bildern allerhand,
Sämtlich von einer schweren Hand
Mit bunten Stiften übermalt.
Unseres Wirtes Auge strahlt,
Da er uns seine Werke wies.
»Ecco! Das Kapitol ist dies,
Und dies der Hafen von Triest;
Auch dies sich wohl erkennen läßt;
Die spanische Treppe stellt es vor,
Und dies den Lateran, Signor,
Und dies – und dies – – sind arme Sachen,
Und war doch lustig, sie zu machen.«
Wir aber standen und staunten mächtig,
Belobten alles gar andächtig
Und sprachen unter uns: Es heißt
In Wahrheit »Selig, die arm an Geist«.
Der biedre Künstler hier, ich wette,
Erwacht er früh in seinem Bette
Und sieht ringsum an Deck' und Wand
Die bunte Schöpfung seiner Hand,
Nicht Raffael war so selig, da
Ihm vorgeschwebt die Disputa.
Und also schieden wir. Der Gute
Wünscht' meinem Weib buona salute.
Seitdem, seh' ich mein Büchlein an,
Hab' ich auch meine Freude dran
Und spreche getrost: sind arme Sachen,
Und war doch lustig, sie zu machen.
Rom, 11. Februar 1878.