Personen.
- Meister Tibaldi.
- Ranke, seine Tochter.
- Tante Christine.
- Meister Kropatkin.
- Diener Hunger.
- Andere Bedienstete.
Personen.
Er hat einen leinenen Kittel an und eine blaue Arbeitsschürze vorgebunden. Er ist bis ins Atelier gekommen. Macht nur bloss, dass Ihr hier im Atelier, fertig werdet. Der Meister kommt schon die Treppen herauf.
Herr Jesus, da macht doch nur! Meinetwegen [175] könnt Ihr das übrige noch vollends in Ordnung bringen, wenn sich der Herr für den Fasching anzieht ... rasch! ... nur rasch! ... na ja!
Er ist ganz achtlos. Er hat eine, beschäftigte, verhärmte Miene, sein bartloses Gesicht ist bleich. In die Diener ist sofort eine Verwandlung zu stummer Devotion gekommen. Sie versuchen auf Zehen zu gehen. Hunger treibt sie verstohlen an.
Er spricht leise. Schicke die Leute hinaus! Dass wenigstens hier noch Ruhe bleibt ... dass mir wenigstens der Faschingswahnsinn noch diese eine Zuflucht lässt!
Das sanfte, erstaunte Gesicht mit dem kühlen[176] Blick ... und die schlanke Nase ... und der weite Schleierhut ... der Schleier in grosser Schleife gebunden unter dem Kindskopf.
Und dieser Mensch, der gerade um die Ecke verschwand ... diese vornehme Kreatur im dicken Sackmantel ... Wer? ... Wie käme denn nur um Gotteswillen Ranke ...? ... Ist meine Tochter zu Hause? Ist Ranke zu Hause?
[177]Dem alten, gnädigen Fräulein liegt viel zu sehr selber daran, unser junges Fräulein Tochter in seinen Schutz zu nehmen, wenn bei uns dieser grosse Ball ist. Die alte, fromme Dame hat ja doch einen zu grossen Widerwillen wider den ganzen Fasching ... weil es zu Choralmusik und Kirchgange nicht stimmen kann, solches Maskengetümmel ... sagte das alte, gnädige Fräulein ... und auch überhaupt, weil [179] sehr viele Gefahren dabei wären für einen reinen, keuschen Menschen ...
Es könnte mich völlig in Raserei versetzen, wenn ich es erleben müsste, dass so irgendeine freche Lebensgier nach dem jungen, geheiligten Leben meiner Tochter Ranke ... heimlich ...
Hunger, bepackt mit dem Pelz und Hut des Herrn, geht geräuschlos rückwärts mit dem deutlichen Ausdruck in seiner Haltung, dass er jetzt nicht stören dürfe.
Ja ja ja ... zwischen diesem bunten Farbenkram dich herum getrieben hast! ... Gott, du geliebtes, reines Kindsgemüt! ... Wie glücklich ich bin, dass ich dich leibhaftig vor mir habe, nicht bloss gemalt! ... Findest du es nicht furchtbar lächerlich, dass man als Mann von Geist nichts Besseres tun kann ... immer, [181] nur zwischen solchem Flitterwerk leidenschaftlich hin und her hantiert, das nur Schein und nicht Wesen ist? ... Nicht einmal so wirklich, wie Blumen, die man hier abreisst und dort hinwirft! ... Natürlich gefällt solche Flitterware dem König. Er muss ja auch immer so gleichsam im Fasching leben, wie ich. Es sind überall nur Schatten ohne Leib ... lockende Gebärden ohne Ton und Stimme ... wer es tiefer suchte, der wäre ein Narr ... Ranke ... das Leben, das mehr ist ... das auf Tod und Leben gelebt ist ... das sich lohnt ... das mit dem letzten Herzblut gelebt ist ... das mit der letzten Sehnsucht gelebt ist, davon man noch träumen möchte, wenn man im Grabe endlich ausruht ... ach ... in solche ewige Gaukelbilder kriecht nichts davon hinein ... solche tolle Phantasielust hat eine schwache, zerrissene Seele, wie der Harlekin. Das Letzte, das Heimliche, das Stillende dringt nicht hinein in solchen ewigen, leeren Fasching.
Du willst ja doch ausdrücklich, dass ich immer um dich bin ... und schiltst mich, wenn ich einmal eine Minute länger fortbleibe und mich nicht immer gleich um dich kümmere. Wie du da nur böse sein kannst! ... Na, ich dächte! ... Ich hätte nur jetzt nicht Eier sein sollen ... das hätte doch wieder richtig einen Krach gegeben ... mit Hunger und mit allen Menschen ... Nicht, Vater ...
Ach Gott, Vater! ... Was hast du nur wieder? ... Warum quälst du mich' gleich wieder, sobald du herein bist? ... Oh Gott, Gott! ... natürlich, wenn Mama noch lebte ...
[183]Mama? .... Sprich mir nicht von Mama! ... Dazu bist du noch viel zu unreif ... Du weisst, das dulde ich nicht ... Deine Mutter war ... eine Heilige ... jung wie eine Blüte war sie ... an Mama kannst du still denken ... an Mama will ich und du mit stiller Ehrfurcht denken ... an Mama können wir beide emporblicken
Wenn deine Mutter, gelebt hätte, wie sie nicht gelebt hat, dann wäre weiss Gott manches anders geworden in unser beider Leben ... Oh ja ... unbegreiflich schön war sie ... eine Hüterin wäre sie gewesen ... eine sanfte, sichere Hüterin des Schatzes wäre sie wahrhaftig immer gewesen ...
Nein, das kannst du auch ganz und gar nicht. Es kann sich niemand messen mit Mama. [184] Keusch wie eine Blüte war sie. Sie war damals wie eine stille Schönheit in meine ärmlichen Räume eingezogen ... damals, als ich nichts war ... gar nichts war ... ein junger, flammender Mensch einfach, den es nach dem Höchsten drängte ... oh, eine Hoheit lebte in ihrer Jungfräulichkeit ... eine wunderbare, zitternde Stille ... nach nichts Aeusserem fragte die ... ach, eine Zärtlichkeit der, Liebe ohne Mass ... eine Seele wie ein kristallner Stein, so heimlich funkelnd von ihrer einzigen Hingabe
Liebchen! ... Meine einzige Tochter! ... Mein Kind! ... Meine Jugend! ... Meine Reinheit! ... Meine göttliche Stimme! ... Was würde nur Mütterchen sagen? ... Uns beide in ihre jungen Arme schliessen ... Denn sie würde natürlich fast so jung kommen, wie du bist! ...
Und würde es wohl sehen ... mit ihren stillen, tiefen, unentrinnbaren Augen würde sie es wohl einsaugen, dass du Blut von ihrem Blute und Seele von ihrer Seele bist ... dass du mein Himmel geworden bist ... meine Huld ... [186] mein einziger Frieden ... die einzige, wahre Gabe meines Lebens. Denk bloss, unser Mutterchen, die in voller Jugend käme ... wie eine Heilige ... in unverwelklicher Reinheit und Keuschheit, wie sie immer gewesen ...
Weil du mich drückst, wie ein toller, Liebhaber ... und mir fast wehe tust damit und mit deinen inbrünstigen Geständnissen ...
Elf ... zwölf ... dreizehn ... vierzehn ...! Wieviel Stufen sind es bis zu euch herauf ...? ... die mir immer, sauer genug werden ... auch diese schönen, flachen ....vornehmen Stufen durch euer herrliches Treppenhaus. Guten Abend, Tibaldi, guten Abend, Ranke!
Da sagt es mir doch wenigstens gleich grade heraus und spielt nicht ewig solches dummes Verstecken mit mir! Ich soll wieder hinaus gebracht werden! Nicht? Die jungen und alten Künstler werden sich in unserm Hause ein Fest machen, und ich soll mit Tante Christine gehen, die mir von Jesus, dem Heiland, und Maria Magdalena und Maria Jakobi vorlesen und fromme Ostergeschichten erzählen soll.
[189]Herrgott ... Kind ... wenn ich es noch einmal so haben könnte! Gleich ein ganzes Arom sonntäglichen Geistes strömt mit deinen Worten herein! Wenn ich sie mir denke, die beiden, jungen, in sich verklärten Frauen, wie sie zu Jesu Füssen sassen, ... wie sie sich seinem milden! Blick und seinem sanften Gespräch ganz hingaben!
Ich bitte dich, Ranke, mache mich nicht nervös! ... Es ist doch weiss Gott besser, sich in solche traumhaft-schöne Vergangenheit zu vertiefen, als in die verwilderten Launenspiele beim Fasching! ... Ranke ... für deine Jugend!
Ich werde dir sagen, liebes Kind! Es ist ausserordentlich sonderbar von dir, wie du [190] deinen guten Vater und deine alte Tante behandelst. Wenn ich an deine selige, reine Mutter denke ...
Mach dich nur aus dem Staube, lose Hummel! Und sorge du nur hübsch für die Nacht! Denn du wirst ja doch natürlich die Nacht bei mir drüben bleiben müssen.
Jetzt geht sie gern mit dir. Wenn sie erst mit den Augen zwinkt, und ihre feinen Nasenflügel zittern, da ist ihr Herz ganz gewonnen.
Also ... und sie mögen alle da wider reden ... alle es mir verdenken, dass Ich Ranke wie im Kloster halte ... ich weiss, was ich weiss ... ich kenne die Welt genug ... dazu bin ich selber zu verwahrlost ... Wie, liebe Christine? ... Was die Welt fertigbringt mit einem jeden von uns, das hat schon mancher Erfahren ... ha ... ich brauche bloss in meiner Freunde Augen einmal tiefer hineinzublicken ... in jedem brennt noch das alte, sengende Höllenfeuer, vor dem nie«die keusche Seele sicher ist ...
Oh ... pique-fein! ... Nicht, Christine? ... Sie versteht es ... Diesen Hut kenne ich ja noch garnicht.
[193]Armes Phantom ... Mensch der schwankenden Lüste ... Mensch der grauen Alltäglichkeit, der sich seine Leere mit bunten Maskeraden tapeziert ... der nirgend einen Halt [194] hat, als noch in dieses einzigen Weibes Ebenbilde ... in diesem Kinde ... in dieser keuschen Pracht ... in diesem Morgenschein ...
Ja ... famos sind deine Räume ausgeschmückt! Ich bin eben als stummer Betrachter vom hintersten Zimmer her einsam durchgegangen. Wie bist du nur da auf den heiligen Hain verfallen? Diese Birkenstämme [195] hereinzuschaffen, das hat doch ein unsinniges Geld gekostet?
Nein, famos ist der heilige Hain ... du ... da stellen wir eine nackte Göttin hinein ... was meinst du? ... Ruth ... deine polnische Königin ... brillant ... mit ihrer Haltung, wenn die Akt steht ... schlank wie ein Blumenstengel ... und der Kopf wie der geknickte Blütenkelch.
Ja natürlich ... Ruth ... gewiss ... meine polnische Königin! Mag in dem heiligen Hain als nackte Göttin paradieren, wer will, meinetwegen dein Weib ...
Du bist wohl verstimmt?
Meister Tibaldi Jedenfalls doch eine, die für das Nackte à tout prix so begeistert ist, wie dein Weib.
Enthüllte. Warum lachst du? – Der Künstler will es darstellen als höchstes, edelstes Lebensmass ... nicht? ... Das hat wahrhaftig nichts zu tun mit eurer billigen Nacktheit, die sich lüstern vor aller Blicken gebärdet ... und die jeder Beliebige mit losen Sinnen betasten kann, [199] wie die Bürgerfrau die Semmel im Marktkorbe betastet, um sie wegzutun und die daneben zu probieren!
Gegen die Kunst ... gegen dich ... gegen alles, was wir betreiben ... anstatt das Mysterium zu hüten! Ich habe nun einmal die Inbrunst im Blute ... ich will das Leben für mich aus der eigenen Tiefe heraus ... ich will es ... noch einmal ganz rein, wie es in den höchsten Augenblicken verheissen scheint ... wie es aus den Grossen gesprochen hat ... wie es aus deren gewaltigen Visionen gesprochen hat ... aus Michelangelos Urleibern ... aus der Fünften, aus der Neunten Beethovens [200] gesprochen ... wie es aus diesen einsamen, grossen, aus sich berauschten Seelen gesprochen hat ... während es euch alle nur kaum noch als verhallendes Echo narrt ...
Du übst dich wohl schon in der Faschingsmaske des Lebensverächters ... Gott ... du ... das Rennen habe ich wirklich aufgegeben.
Ach, Kropatkin ... ja ja, du bist anders ... du lebst ... du bist immer nur Gegenwart ... du erfüllst die Stunde mit deinem Tun ... bearbeitest den harten Stein, bis du hungrig oder lüstern oder müde bist ... du bist nicht an die Zukunft, noch weniger an die Vergangenheit genagelt wie ich ...
Ellinor ... allein diese Façon vornehmen Lebens ... ihre Freiheit ... der ganze grosse Zuschnitt ... und diese Grazie bei ihrer königlichen Tollheit ... und hart war sie, wie eine Parze ... und konnte auch so süss melancholisch sein, wie eine Mutter der Tränengärten ...
Ich komme pünktlich. Mein Weib hat sich [202] einen extra Wagen bestellt. Sie will auch von mir ungekannt erscheinen.
Natürlich! ... Der Mensch kann nicht ewig feierlich sein. Er kann auch nicht ewig tief sein. Er kann auch! nicht ewig moralisch sein. Aber das ist eine Sache für sich. Natürlich ist das ganze Leben ein Wahnsinn ... eine blöde Maskerade ... ein zielloses Verwandlungsgeschäft ... jetzt ein Geisselbruder ... dann ein Faun, der Büsserstrick und Büsserkutte abwirft ... oder hier eine Heilige, die dort vor bacchantischem Lachen platzen möchte ... pah ... adieu.
Ja, was ich dich noch fragen wollte ... du wirst es doch Ränke heut erlauben, dass sie wenigstens die ersten Stunden des Spasses mitmacht.
[203]Na ... nochmals adieu! Ich gehe mich jetzt auch maskieren. Den Mantel irgendeines sentimentalen Tiefsinnes mir um die nackten Lenden hüllen. Vielleicht, dass sich unsre edlen Seelen dann wieder ganz erkennen.
Mein Gott ... ich bin wahrhaftig heilsfroh, dass mein geliebtes Mädel in Tante Christines Schütze ist.
[204] Personen.
Ach ... bitte ... bitte ... bitte ... Ich muss unbedingt deine Hand sehen ... Herrgott, sei doch vernünftig ... gib doch die Hand ... gib mir doch deine Hand her, ... mit der kleinen Warze am Gelenk die ... die Linke ...
Ih ... gar nicht dran zu denken ... du kommst nicht los ... nun gar nicht, wenn du mich kratzt ... Gott ... ich zerreisse dir noch den Handschuh womöglich ...
Der Herr mit Ordensband Gib wenigstens einen Laut von dir, Flitterprinzessin! ... Gib wenigstens ... das wollte ich doch sehen ... einen Seufzer sollst du von dir geben, Flitterprinzessin! ... Willst du nicht wenigstens jetzt ein einziges Wort flüstern ...
Du suchst doch eines andern Weib ... Sieh' her ... ich habe am Handgelenke keine Warze, wie deine Buhlerin ... auch an der Hüfte nicht ... ih, Gott bewahre ... ich bin noch nicht vermählt ... ich bin noch keusch ... ich buhle mit dem Winde ... ich buhle mit den Göttern, wie Danae ... ich buhle mit dem Schwane, wie die Leda ... ich bin noch nicht gemein, wie die, nach der du rumirrst!
Er trägt an einem kurzen Stabe, wie an einer Angelrute, eine grosse brennende Laterne. Er leuchtet drollig über Dame und Herrn. Vor sich hinsprechend, indem er nun Schritt um Schritt weiter vorkommt. Nein nein ... hier finde ich es sicher nicht [209] ... obwohl ich sehr bedächtig danach forsche ... und mir das Suchen an sich schon geradezu einen tollen Spass macht.
Ih, Gott ... wie meint Ihr das ... was ich hier suche, verliebte Dame? ... hört einmal ... Wenn ich zum Beispiel die üble Nachrede suchte ... ach Gott, alle Nachrede ist übel ... es gibt überhaupt nur eine Nachrede ... die ist übel und die macht übel ... denn selbst wenn die Nachrede gut ist, ist sie es nur als Vorrede ... und scheint nur nicht übel, um einen andern als desto grösseres Übel hinzustellen ... das fliegt wie dichte Spreu in allen Stuben und in allen Strassen herum ... und sammelt sich wie Haufen welker Blätter im Herbste in allen Winkeln an. Nein, mein Herr, das wäre mir zu wohlfeil ... und ausserdem verscheucht mich der üble Geruch ... Oder wenn ich zum Beispiel die hohen Ideale suchte, die in den Köpfen herumfliegen, [210] wie Nebelschemen, und die dann aus den Köpfen auf die Leinwände gemalt werden ... und in Stein gehauen werden ... oder sonst Gestalt gewinnen ... man nennt so etwas dann poetische Gestalt gewinnen ... bei Zeus und Aphrodite! ... zu Tausenden stecken sie in allen Galerien und Museen ... und Bibliotheken ... man könnte sie zusammenkehren zu Bergen, wie die Küchenreste ... oh ... das sind Schätze ...! ... Mit dem tausendsten Teil könnte man weiss Gott ein ganzes Volk wieder auf Seel und Beine bringen ... Aber das ist nicht meines Amtes ... Zum Schulmeister bin ich nicht gemacht ... Zum Prinzenerzieher auch nicht ... Zum Volksredner erst recht nicht ... Und ausserdem sind die zehn Gebote schon seit mehr als viertausend Jahren bekannt, und werden immer noch nicht gehalten ... Ja, lieber Herr und verliebte Dame, denken Sie bloss die Millionen Richter und Büttel und Henker, die in dieser langen Zeit fortwährend gerichtet und gebüttelt und gehenkt haben, was sich nicht nach den zehn Geboten richten gewollt! ... Man könnte dreist verzweifeln an diesem Geschäft[211] ...Nein nein nein ... da schreit auch viel zu viel durcheinander ... die Konkurrenz ist zu gross ... in dieser Zeit der zehntausend neunhundert und neun und neunzig Propheten ... wer; soll denn da noch wissen, auf welchen Propheten er zu hören hat! ... das scheucht mich ... Ich suche, was doch niemand finden kann ... Kinder im Mutterleibe sollen es besitzen.., am frühen Maitage eine schnee-schneeweisse Kirschblüte, die eben ins Morgenlicht aufbricht, soll es besitzen ... manchmal ist auch schon darein der Wurm gekommen ... Er hat einen heimlichen Schlupf entdeckt ... Sehen Sie ... wer weiss denn das alles? ... Wer kann denn immer die Wege wissen, die ein Wurm findet ...
Verrückt ist der ... betrübt ... anmasslich ... toll ... frech quält er jede ... die sich ihm ergeben ... mit Brand ... mit Eifersucht ... mit kaltem Hohn ... Verachtung ... Dünkel ... Kleinmut ... was ihr wollt.
Das war er ... das war der Meister ... grossartig ... das war doch echt ... ein solcher Ton alleine ... dieser Gesang vom Meister ... der zieht einem gleich die ganze Seele raus ... ich könnte weiss Gott heulen ... [213] nein verflucht ... das ist wahrhaftig eine Träne ... und warum?
Dann breitet sie plötzlich, indem sie auch ihre Gesichtsmaske hastig einen Augenblick vom Gesicht nimmt, das graue Tuch wie Flügel auseinander. Man sieht, dass sie ein orientalisches loses, freies Gewand trägt, Kopf, Hals, Arme und Fussgelenke mit mancherlei Schmuck und goldenen Ketten behangen. Sie hat ebenso lautlos das graue Tuch rasch wieder umgelegt.
Nein nein nein ... unser Fräuleinchen ... Jesus ... wo kommen Sie denn her, Fräuleinchen? ... was soll man denn dazu sagen? ... des Meisters Lebensmedizin! ... des Meisters [214] Allheilmittel ... wenn er Sie hier bloss sieht, er stirbt vor Schrecken ... er stirbt vor Gewissensbissen. Das könnte ihn umbringen, Fräuleinchen!
Jesus, Jesus, wie sind Sie denn nur vom alten Tantchen weggekommen? ... Da hat Sie Meta doch heimlich fortgelassen, während Tantchen schläft ... die Mädchen stecken aber wirklich alle unter einer Decke ... Sie können doch gar nicht hierbleiben ... noch gar, wo Sie dieses Kostüm anhaben, worin der Meister voriges Jahr das schöne Frauenzimmer ... diese Miss ... diese sehr vornehme, tolle Miss, die ihn immer mit ihren langen Handschuhen klappste, ...
Bin ich nicht entzückend? ... Ja ja ...[215] worin Vater voriges Jahr die tolle Miss Ellinor viele Male gemalt hat ... immer so als orientalische Königin ...
Hahahaha ... diese vornehme tolle Miss, die immer mit den Füchsen gefahren kam ... mit dem kleinen Kerl hinten, den sie Krum nannte ... und die den Meister gar nicht aus dem Garne liess ... Himmlischer Vater ... wenn der Meister die hier wittert ...!
Wo ist Kropatkin? ... ich muss es sehen, wenn die Männer toll werden ... da ... der mit dem purpurnen Ordensband ... wie sie alle dumm einherstolzieren, diese Herren Ritter ... und Narren ... und die losen Damen erst ... ha ha ha ha ... und denken nur alles immer in die Luft, was sie sind ... das ist Meister Rauch ... oh, ich erkenne sie alle ... das ist Frau Kropatkin, die ein bissel watschelt, wie ein Enterich, und die Brust so rausreckt ... und Papa näselt immerfort wie ein Schwermütiger ... [216] das Lied geht mir schon im Blute um und macht mich bald ganz traurig.
Ach ... Quatsch ... ich kenne doch Tibaldi ... er ist wieder in seiner verrückten Laune ... jedesmal, wenn ich ihm in den Weg komme, biegt er ab ...
Tibaldi hat uns noch nicht gesehen ... er hat uns sicher noch nicht erkannt ... wir wollen ihm einmal gerade in den Weg treten.
Ach, du hast Ahnung ... was der für Augen hat, wenn er sehen will ... da ... kannst du dir so etwas Freches denken? ...
[217]Das verfluchte Lied ... wenn er doch endlich aufhörte dieses Lied zu winseln ... mir ist schon rein, als wenn es mir aufstiesse, wie eine süsse Speise ... dieser ewige Klang in Moll ... die Glieder zittern einem heimlich davon ...
Oh ... es zieht mich wahnsinnig ... es zieht mich wahnsinnig ... da ... und wird so körperlich alles ... dieser Lärm ... dieses Geflirr ... dieses Schluchzen ... dieses Durcheinander ... [219] diese Grimassen in allen Gesichtern ... ich habe Duft in meine Kleider gegossen ... ich werde auf einmal ganz taumelig ...
Ich zittere an Händen und Füssen, ich kann sie gar nicht mehr stillehalten ... es ist so himmlisch kühl in diesen losen Gewanden ... huh ... ich muss hineinlaufen unter alle die Tollen ... halte mich doch nicht so fest an dem kostbaren Kleide ... du zerdrückst womöglich etwas, du Tollpatsch ... gerade werde ich laufen ... und wie eine Tigerin auf den Altar springen womöglich, während die andern es noch nicht wagen ... werde oben stehen ... und alle die Augen rings um mich werden im Glänze schwimmen ... berauscht sein ... mich demütig flehen ... mich demütig versuchen ... [220] bis ich ganz langsam Schleier um Schleier fallen lasse ... einen um den andern ... ganz ganz langsam ... ganz feierlich ... ohne alle Hüllen emporsteige, nackt wie die Venus ... Meister Tibaldis schöne Tochter ... ah ...
Um Gotteswillen, sie kommen wieder alle im Schwärme ... Der Meister mit der Laute vorneweg. Nur gehen Sie, Fräuleinchen, nur verstecken Sie sich, Fräuleinchen!
In seinem rechten Arme, lose eingehakt hängt jetzt die Dame mit Diadem, während links noch die trauernde Balletmaske eingehakt geht. Er singt melancholisch und sehnsüchtig, indem er wieder das Atelier um schreitet.
»Tout en chantant sur le mode mineur
L'amour vainqueur et la vie opportune,
Ils n'ont pas l'air de croire à leur bonheur
Et leur chanson se mèle au clair de lune.«
Vom Feuer meines Herzens welken alle Blumen ... da ... nimm die eine, die noch frisch ist ... schöne Frau ... weil du dich noch verhüllst!
Sie sprang auf den Marmorsockel ... sicher wie eine Gemse ... wo selbst noch Kropatkins Weib in nagendem Ehrgeiz zögerte. So muss es sein!
Man ruft durcheinander. Habt ihr's gesehen? ... Kropatkins Weib reisst sich die Maske vom Gesicht ... auch andere Weiber schäumen vor Wut.
Habt ihr Meister Tibaldi gesehen? Er steht erstarrt und berauscht unter dem verhüllten Götzenbilde und rührt keine Saite mehr.
[229]Oh diese Anbeter! ... die noch Wahn haben! ... die noch von dem Geheimnis sich narren lassen! ... die noch Genuss suchen! ... Ich suche die Dämmerung ... ich trage den schwelenden Brand ... ich liebe die Verachtung ... ich liebe den Hass ...
Weib ... du machst mich rasend in diesem Kostüm ... ich verzehre mich nach dir ... Oh, wenn ich jetzt ein Gott wäre ... wenn ich jetzt das ganze, übrige Gesindel von dieser Erde wegfegen könnte ... Einen Donnerschlag in diesen Taumel, der die Musik verstummen machte ... ich möchte noch einmal wieder ...
Was? ... Phantast ... du möchtest immer, was du nicht besitzt ... Komm mir nicht nahe ... bleibe fern ... Auch ich möchte zwischen grünen, schaukelnden Ähren liegen ... wenn die Sommerstille aus den Hummeln summt ... Dämon du ... und Narr ... begnüg dich ... es ist Winter draussen ... der Märzwind rüttelt an der Balkontür ... hörst du ... du musst dir schon die Zeit vertreiben, wie du bist ... in deine Narrenhülle eingenäht.
Ach, was heisst kennen ... Ich kenn dich [231] nicht ... will dich nicht kennen ... und du ... du kennst mich nicht ... nun gut ...
Und ist doch klein, wie alles ... heb dich fort ... Ich bin nicht dein Modell ... dem du befiehlst ...
Dein bisschen Musik machen vor der Menge Ohren ... dein bisschen Virtuosentum mit den Lilienfingern ... das ist alles doch nur Sand in die Augen der Menge ... raffiniertes Versteckenspielen ... eine Glanzkomödie der Seele, wie der Pfau[232] sein Rad schlägt alle sind .... Du bist doch, wie sie
Weib bist du ... von feiner Haut umschalt ... ein schöner Käfig, worin der grosse Lockvogel ... der süsse Weltbetrug gefangen [233] sitzt ... verliebt bist du ... sonst nichts ... und bist rein gar nichts, wenn dich der Mann nicht zur Geliebten macht ... in diesem Fasching ...
Jetzt könnte man weiss Gott viele abgelegte Herrlichkeiten zusammenkehren, wie die Mandelschalen von einem Festtische. Jetzt knackt man die Mandeln ... und sieht den Kern ... huh, huh, das ist ja die Tollheit in der Welt, dass alles nur halb ist ... den Armen hungert nach Gelde ... den Keuschen nach Verführung ... aber jetzt kann man überhaupt gar nicht mehr unterscheiden, was oben oder unten ist ...
Wer ist denn nur dieses orientalische Weib? ... Schockschwerenot ... wer ist denn nur dieses orientalische Weib?
Himmel ... habe ich denn eine Vision? ... Haltet mich an den Händen! ... Packt mich fest an! ... Erschüttert mich denn der Wahnsinn? Ist das Ellinor? Wo kommt Ellinor her? Bin ich in paradiesischem Taumel? Bin ich! irre vor Seligkeit? ... Macht es mir Grimassen vor? ... Was denn nur ... bei allen Göttern? ... Wer denn? ... Ellinor ... Ellinor ...
Schweigen gilt heut als geistreich ... und auch als vornehm ... es erweckt den süssen Schein des grossen Sehers und steckt doch meist ein behaglicher Wiederkäuer dahinter, der sich nur im Augenblicke nicht recht Rat weiss.