Erste Szene.
Garten wie in der vorigen Szene.
Waldemar sitzt in einem Lehnstuhl und schläft. Hans still zu seinen Füßen, wehrt ihm mit einem Zweig die Fliegen ab. Pause. Gertrud kommt aus dem Hause.
HANS
geheimnisvoll.
Er schläft!
GERTRUD.
Die frische Luft hat ihn müde gemacht. Geh, kleiner Wildfang, und tummle dich hinten im Garten, ich werde hier bleiben. Hans leise ab, Gertrud sich über den Schlafenden beugend. Wie still und fromm er aussieht – ein edles Angesicht, und die Haut so rein und weiß, meine Hand ist recht rot dagegen. Und welch feine Wäsche er trägt! – Er ist hier wie aus einer anderen Welt zu uns verschlagen. – Ah, er regt sich Tritt hinter den Stuhl.
WALDEMAR.
Wo bist du, mein kleiner Hans? Ich fühlte deinen Kopf an meinem Knie.
GERTRUD.
Hans ist fortgeflogen, die lustige Hummel. Aber es ist doch jemand hier.
WALDEMAR.
Mein holder Arzt! Will ihr die Hand reichen.
GERTRUD.
Still, bleiben Sie sitzen, ich vertrete Hansens Stelle, ich will Sie unterhalten, denn Sie dürfen nicht viel sprechen. – Sie schliefen recht fest.
WALDEMAR.
Dafür halte ich mich jetzt für genesen. Jeder Windeshauch vermehrt meine Kraft, ich fühle die Wellen der Luft, sie kommen von euren Beeten und schlagen an mich, als säße ich im Bade, und aus jeder ziehe ich neues Leben. – Ich könnte laufen und springen, wie ein Gesunder.
GERTRUD.
Nein, nein, noch nicht, Sie müssen den Arm nicht so heben Ihn zum Sitzen zwingend. Gehorsam, mein Patient!
WALDEMAR.
Liebe Gertrud, wie soll ich Ihnen danken!
[550]GERTRUD.
Da ist nichts zu danken. Wir hätten dasselbe jedem tun müssen, der so zu uns gekommen wäre. Bei Ihnen aber verstand sich das vollends von selbst. Sie sind uns ja kein Fremder. Viel haben wir von Ihnen gesprochen, und so oft ich Sie sah, sagte ich zu mir: wenn er wüßte, wie sehr du dich um ihn kümmerst! – Und aus dem Hans suchte ich heraus, worin er seinem Vater ähnlich wäre; wenn er wild und unartig war, dachte ich: das hat er von seinem Vater. – Nun, Sie nehmen das nicht mehr übel. – Und wenn er recht kluge Fragen tat, dachte ich auch: das hat er von seinem Vater, der hat ein scharfes, glänzendes Auge. – So waren Sie uns nicht fremd, und jetzt ist mir so, als wären Sie ein alter Freund.
WALDEMAR.
Bin ich das, Gertrud? Das las ich nicht aus Ihren Augen, als ich Sie das erste Mal sah.
GERTRUD.
Weil ich böse auf Sie war. – Aber seit ich Sie auf dem Lager gesehen habe, die Augen geschlossen, das Angesicht schmerzlich verzogen, da merkte ich, wie Sie im Innern sind.
WALDEMAR.
Und wie bin ich, liebe Wärterin?
GERTRUD.
Sehen Sie, Sie sind gut und haben ein weiches Gefühl. Aber es ist Ihnen stets Ihr Wille geschehen, und da sind Sie ungeduldig geworden und haben sich gewöhnt zu befehlen, und nehmen keine Rücksicht auf andere.
WALDEMAR.
Das ist wahr, Gertrud.
GERTRUD.
Aber das Schlimmste kommt noch. Sie haben nicht nötig gehabt viel zu arbeiten, und da haben Sie tolle Streiche gemacht und haben so viel Vergnügen genossen, daß Ihnen nichts mehr ein rechtes Vergnügen macht. Und deshalb sind Sie spöttisch und lachen über alles; das ärgert mich am meisten.
WALDEMAR.
Gertrud, Sie schmeicheln gar nicht.
GERTRUD.
Nein, aber ich spreche die Wahrheit. Es gibt eine Fabel von einer lustigen faulen Grille und einer Feldmaus. [551] Die Fabel paßt auf Sie. Wir kleinen Leute sind die Feldmäuse und Sie sind die Grille, tun den ganzen Sommer nichts, als mit den Flügeln schlagen und durch die Welt springen, aber wie wird's im Winter mit ihr stehen?
WALDEMAR.
Nun, beim Styx, ich hätte nie gedacht, daß das Leben des Grafen Waldemar so durchsichtig wäre, daß jedes Auge hineinsehen könnte, und jede Zunge mich auswendig wüßte, wie einen Kinderreim.
GERTRUD.
Geben Sie acht, da ist der spöttische Zug wieder, hinweg mit ihm! – Der Hans kennt die Fabel, er soll sie Ihnen vorsagen.
WALDEMAR
gutmütig.
Meinetwegen, wenn es Ihnen Freude macht, liebe Feldmaus, die Grille wird zuhören und sich die Lehre merken.
GERTRUD.
Nun, Grillen mögen Sie wohl genug im Kopfe haben. – Ich freue mich herzlich.
WALDEMAR.
Worüber?
GERTRUD.
Daß Sie so freundlich sind. Mir ist fröhlich zu Mut, ich sehe jetzt klar in die ganze Welt. Sonst war ich oft traurig, wenn ich von den Großen der Erde hörte – es war fast immer Böses, was man sich erzählte – ich verstand nicht, wie sie so sein konnten. Jetzt ist mir, als säße ich auf einem geflügelten Pferd und schaute von der Höhe herab in aller Menschen Herz. Ich weiß jetzt, wie Sie sind, jetzt kann ich mir auch denken, wie die andern sein mögen.
WALDEMAR.
Sie haben einen feinen und scharfen Blick und verstehen gut zu beobachten.
GERTRUD.
Nein, ich weiß, ich bin unwissend und in vielen Dingen einfältig. Wer den ganzen Tag in der Wirtschaft arbeitet, kann nicht viel lernen oder lesen. Doch wenn es Ihnen lieb wäre, möcht' ich wohl mehr wissen.
WALDEMAR.
Um alles nicht. So wie Sie sind, natürlich, klar und einfach, so müssen Sie bleiben. – Mädchen, ich wollte [552] du stündest meinem Leben näher! – Wären Sie als meine Schwester geboren, manches wäre anders geworden.
GERTRUD.
Ihre Schwester? – Das will ich sein, o wie gern! – Ich will's heimlich sein, ganz in der Stille. – Wenn Sie genesen sind, werden Sie doch manchmal kommen, den Hans zu sehen. Zu oft dürfen Sie nicht kommen, der Leute wegen, das könnte Gerede geben und mir schaden, und das werden Sie nicht wollen.
WALDEMAR.
Nein, Gertrud.
GERTRUD.
Aber von Zeit zu Zeit werden Sie kommen, und dann sollen Sie freundlichen Willkommen finden. Und Sie erzählen mir von der großen Welt, ich Ihnen von der kleinen. Sie plaudern auch mit dem Vater, er ist gut wie ein Engel, und ein verständiger Mann, der vieles weiß, und ich schaffe herzu, was Haus und Garten gibt.
WALDEMAR.
Das ist ein hübscher Traum!
GERTRUD.
Und warum ein Traum? Gute Freundschaft halten ist gar leicht und tut wohl. Ich werde mich auf die Tage freuen, wo mein stolzer Herr Bruder zu uns kommt.
WALDEMAR.
Holdes Mädchen! Sich zu ihr wendend. Also, gute Freundschaft, liebe Schwester!
GERTRUD
sich ernst zurückbeugend.
Nicht den Mund küssen, das paßt nicht zwischen uns.
WALDEMAR.
Sie haben recht.
GERTRUD.
Aber Ihre Hand reichen Sie mir, die gesunde Sie ihm schüttelnd. Und so auf gute Freundschaft! Ich werde Ihnen eine bescheidene und treue Schwester sein.
WALDEMAR
ihre Hand haltend.
Und ich gelobe Ihnen an diese Hand, eine Schwester in Ihnen zu ehren, meiner eignen Torheit und wüsten Stunden gegenüber. Der Schwur wird dadurch nicht schlechter, weil es das erste Mal ist, daß ich ihn ablege.
Es klingelt.
GERTRUD.
Still, man kommt! Das ist der Vater.Öffnet die Gartentür.
[553] Hiller.
HILLER.
Ei, Herr Graf, schon im Freien und so wohl auf?
WALDEMAR.
Willkommen, mein lieber Wirt! – Wohin doch eine gute Behandlung und ein geringer Blutverlust den störrigsten, abgeschmacktesten Burschen bringen kann! Ich möchte mich an der Nase zupfen, denn ich zweifle, ob ich noch ich selbst bin. Lammfromm, Vater Hiller; sentimental, Vater, die Welt sieht mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie kleine liebenswürdige Posaunenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich wohlwollend. Ich könnte Beeren suchen, Vater Hiller, und mit Kastanien spielen, wie ein Kind, ja ich könnte als Schmetterling in eure Blumen kriechen, um Tau zu trinken, und mich zum Schlaf in ein Rosenblatt wickeln, so leicht und körperlos fühle ich mich.
HILLER.
Das ist die Genesung. Und sie freut mich herzlich. Zuerst und vor allem um Ihretwillen, lieber Herr Graf, dann auch unsertwegen. Jetzt dürfen wir bald wieder diese Tür öffnen.
WALDEMAR
leicht.
Was kümmert das die Welt, ob Ihr Eure Tür verschlossen haltet?
HILLER.
Wir Nachbarn haben wenig Geheimnisse vor einander, die Türen sind geöffnet, die Fenster niedrig und die Zungen beweglich, so verläuft unser Leben; was ungewöhnlich ist, fällt auf.
GERTRUD.
Ja, ja, das ist wahr, es wird Kopfzerbrechen machen.
WALDEMAR.
Sind die Leute hier herum denn so neugierig?
GERTRUD.
Wie die Rotkehlchen und ebenso geschwätzig. Manchmal wird's lästig, aber die Meinung ist doch gut.
HILLER.
Jetzt aber handelt sich's um mehr, als Geschwätz. Seit drei Tagen halten wir uns zurück und die Tür ist fast immer verschlossen. Das erregt Verdacht, als ob wir Böses [554] täten, und den Verdacht müssen wir vermeiden. – Freundlich. Sie haben uns gesagt, lieber Herr Graf, wir sollten Sie und Ihre Verwendung verbergen, weil für Sie und andere großes Unglück entstehen könnte, wenn die Sache bekannt würde.
GERTRUD
zupft ihn hinter Waldemar Rücken am Ärmel und redet leise und eifrig in ihn hinein.
WALDEMAR.
So ist es auch, Vater Hiller, arges Unglück kann daraus entstehen. – Beiseite. Ihr Götter meines Lebens, verzeiht mir die kleine Lüge! Der Frieden und die Heimlichkeit dieses Kreises waren zu wohltuend und zu verführerisch; das ist doch endlich einmal ein Abenteuer; und meine Freunde brauchen auch nicht zu erfahren, daß man mich mit Holz und Eisen bearbeitet hat.
GERTRUD.
Und so siehst du ein, daß der Herr Graf noch hier bleiben muß.
WALDEMAR.
Wie, Vater, bin ich Ihnen so zur Last, daß Sie mich fortschaffen wollen?
HILLER.
Wie mögen Sie das glauben? – Es war nur – ich dachte an Gertrud.
GERTRUD
eifrig.
Um meinetwillen sollen Sie keine Stunde früher fort. Vater sorgte nur, es könnte geschwatzt werden über unsere Heimlichkeit und Ihre Gegenwart, und das würde mir schaden. – Darauf dürfen wir keine Rücksicht nehmen. Sie haben uns gesagt, daß es verhängnisvoll sein könne für Sie und andere, wenn Sie nach Hause zurückkehrten als ein Verwundeter. Wir wissen nicht, warum das so ist, und wir wollen's auch nicht wissen. Sie haben es gesagt, das ist uns genug, denn Sie sind nicht der Mann, der seinen Freunden eine Unwahrheit einreden kann. Und deshalb werden Sie hübsch bei uns bleiben, bis Sie völlig geheilt sind.
WALDEMAR
beiseite.
Dies Mädchen sticht mich mit ihrer Ehrlichkeit wie mit Nadeln. – Wohl, meine Freunde, ich bin [555] beinahe hergestellt, und heut Abend, sobald es finster geworden, breche ich auf.
GERTRUD.
Wenn Sie stark sind, sonst nicht.
WALDEMAR.
Bis dahin aber will ich mich an euch erfreuen. Sie, Vater Hiller, sollen mir von Ihrem Leben und Gertruds Kinderjahren erzählen.
GERTRUD.
Aber in der Stube; schon so lange waren Sie im Freien, es wird am Ende auch des Guten zu viel. Kommen Sie, mein gnädiger Herr, führe Sie, das ist mein Recht.
Alle ab.
Box, darauf Georgine.
BOX
den Kopf zur angelehnten Tür hereinsteckend.
Die Luft ist rein. Gefällt es Ew. Erlaucht einzutreten, hier ist der Ort.
GEORGINE
eintretend.
Vermeiden Sie meinen Namen zu nennen. – Sich erschrocken umsehend. Hier?! – – Den Schleier zusammennehmend. Bevor ich Ihnen weiter folge, eine Bemerkung. Als ich Sie rufen ließ und um Auskunft über das plötzliche Verschwinden Ihres Herrn ersuchte, versicherten Sie lebhaft, dem Herrn Grafen treu ergeben zu sein. Ich frage Sie jetzt, wie schwer wiegt Ihre Treue?
BOX
die Hand aufs Herz legend.
Sehr schwer.
GEORGINE
ihm eine Börse reichend.
Wird das hinreichen, Ihre Treue aufzuwiegen?
BOX
wägend.
Nein, gnädigste Frau, die Börse ist sehr schwer, aber sie wiegt meine Treue nicht auf. – Dennoch werde ich mir die Ehre geben, diese Börse zu bewahren, denn ich diene meinem Herrn und auch mir selbst, wenn ich in Ihrem Interesse handle.
GEORGINE.
Genug. Warum ließen Sie meinen Wagen bei diesem Hause halten?
BOX
wichtig.
Mein Herr ist hier.
GEORGINE.
Hier?!
BOX.
Wenigstens werden wir hier erfahren, wo er ist. [556] Und da die gnädige Frau so dringend wünschten, ihn zu sehen, hier können Sie ihn finden.
GEORGINE.
Woher wissen Sie das?
BOX.
Mit Ew. Erlaucht Genehmigung liegt die Sache so: Am Morgen nach jener Nacht, in welcher mein Herr ausgeblieben war, gibt ein Betteljunge diesen Brief an mich ab. – Liest. Box, du Schuft, ich habe getrunken und reise mit einer Tänzerin acht Tage aufs Land. – Der Zettel ist mit zitternder Hand gescrieben, aber er ist echt, er ist von meinem Herrn, das schließe ich aus der vertraulichen Anrede: Box, du Schuft, das ist ganz sein wohlwollender Ton. – Gut, ich gehorche diesem Zettel, und die ganze Residenz glaubt, daß mein Herr in Geschäften verreist ist. – Aber ich selbst weiß, daß es eine Schelmerei ist. Nämlich erstens kann er mit keiner Tänzerin verreist sein, denn das Ballett ist vollzählig, es fehlt niemand, und dann, gnädigste Frau, ist mein Herr viel zu gebildet und rücksichtsvoll, um mit einer Tänzerin auf acht Tage zu verreisen, auf einige Stunden allenfalls, aber auf acht Tage, pfui, da verleumdet er sich selbst, so lange hält er's gar nicht mehr aus.
GEORGINE.
Weiter, weiter.
BOX.
Die größte Unwahrheit aber ist die, daß er sich betrunken nennt. Stolz. Mein Herr und berauscht? Nein, gnädige Frau, Graf Waldemar trinkt, aber er kann sich nicht betrinken.
GEORGINE.
Enden Sie, mein Herr.
BOX.
Der Zettel soll mich täuschen, folglich ist der Herr Graf nicht verreist, sondern hat sich irgendwo versteckt. Das traue ich ihm zu. – Ich weiß aber, daß er für das Mädchen, welches hier wohnt, ein sehr bedenkliches Interesse gefaßt hat.
GEORGINE.
Ha, meine Ahnung.
BOX.
Ja, gnädigste Frau, es ist eine traurige Ahnung, aber es ist leider so. Denn hier hat ihn meine Mutter gesehen an demselben Abend, wo Ew. Erlaucht ihn erwarteten, und seit dem Abend ist die Tür dieses Hauses fast immer geschlossen. [557] Und deshalb ist er ganz sicher hier. Denn da er niemals für mehr als zwei Damen schwärmt, so schließe ich: Respektvoll. wenn er nicht bei der einen ist, so muß er doch wohl bei der andern sein.
GEORGINE.
Sehen Sie zu, suchen Sie ihn auf, ich erwarte Sie hier.
BOX.
Offenbar steckt er im Hause, ich will mich von außen um die Fenster schleichen. Ab.
GEORGINE.
Wenn er mich vergessen, mich verraten hat, hier verraten hat? – Meine Kammerfrau schwört mit Tränen, daß sie ihn an jenem Abend vergebens erwartete. Und ich selbst habe ihn hergeschickt, nach dem Kinde, ich selbst! Mein Kopf schwindelt, wenn ich daran denke. – Es ist unmöglich, so raffiniert quält selbst die Hölle nicht.
Box kommt langsam und nachdenklich zurück.
Ist er bei ihr?
BOX
schwermütig.
Er ist bei ihr. O mein Graf, Sie machen uns viel Kummer. Die ganze Familie sitzt beisammen und er ganz fröhlich darunter, als ob er dazu gehöre.
GEORGINE.
Ich weiß genug. – An der Tür. Sobald Ihr Dienst es erlaubt, erwarte ich Sie in meiner Wohnung. Ab.
BOX
sich tief verbeugend und ihr nachsehend.
Ist die eifersüchtig, wie ein Bologneser! Sie läuft fort und läßt mich allein mit meinem Schmerz. O, mein Herr Graf, Sie handeln nicht schön an Ihren Freunden. – Ich bin gern rechtschaffen, wenn ich irgend kann, und ich dachte immer, ich würde das noch einmal durchsetzen, und dazu hätte mir das Mädchen dort helfen können, und meiner guten alten Mutter wäre ihr sehnlichster Wunsch erfüllt worden. Und jetzt kommt der reiche Mann und stiehlt mir mein einziges Lamm. Pfui, Herr Graf, das ist ein Schelmenstreich! – Aber wie? er trug den Arm in einer Binde, ich sah's durch die Scheiben; und die Familie ist auch honett und hält auf Ordnung, – es ist noch ein Geheimnis bei der [558] Sache, vielleicht ist noch nicht alles verloren. Ich gehe zu meiner Mutter, die soll Nachricht einziehen. Er muß hinweg von hier, so diene ich am besten ihm, der Fürstin und, was die Hauptsache ist, mir selbst. – Horch, Geräusch, schnell fort! Ab.
Bezirksvorsteher, hinter ihm Volk.
BEZIRKSVORSTEHER.
Zurück, liebe Leute, hier ist keine Landstraße. Versucht die Haustür, klopft.
Hiller aus dem Hause.
Seit wann verschließt Ihr die Tür vor Euren alten Freunden?
HILLER.
Ei, Herr Vorsteher, ich freue mich Ihres Besuchs. Was führt Sie zu uns? – Das mit der Tür tut mir leid, nehmen Sie an, es sei ein Versehen.
BEZIRKSVORSTEHER.
Ein Versehen, Hiller? Seit drei Tagen ist Eure Tür für jedermann verschlossen.
HILLER.
Vielleicht auch hat's seinen guten Grund.
Gertrud.
GERTRUD.
Was geht hier vor? Wie? die Nachbarn alle? Guten Tag, Herr Vorsteher! –
BEZIRKSVORSTEHER.
Guten Tag, Gertrud, wie geht's?
GERTRUD.
Was haben Sie? sonst gaben Sie Ihrer Pate die Hand.
BEZIRKSVORSTEHER.
Nachher, liebes Kind, jetzt führt mich mein Amt her. Meister Hiller, seit einigen Tagen geht das Gerücht, es sei ein Mann in unserer Vorstadt überfallen und beraubt worden. Man hat Blutspuren gefunden.
GERTRUD.
O weh!
BEZIRKSVORSTEHER.
Und der Wächter behauptet, in derselben Nacht sei ein verdächtiger Mann zu Euch geflüchtet und aus Eurem Haus nicht wieder herausgekommen. Alles übrige ist nur Geschwätz, und ich will nichts weiter, als bei Euch, redlicher Freund, anfragen, was Ihr etwa von der Sache wißt, es ist nur, um die Leute zu beruhigen.
HILLER.
Weiß ich doch kaum, wie ich Euch antworten soll. [559] Daß ich und meine Tochter kein Unrecht getan haben, dessen seid Ihr, hoffe ich, sicher.
BEZIRKSVORSTEHER.
Davon ist ja auch nicht die Rede.
HILLER.
Was ich etwa weiß, darf ich Euch nicht bergen, da Ihr von Amts wegen fragt, und doch habe ich schon einem andern Schweigen gelobt.
BEZIRKSVORSTEHER.
So ist doch etwas an der Sache.
GERTRUD.
Ja, aber anders als Sie denken. Und Sie sollen alles wissen, nur daß wir es nicht selbst sagen dürfen, sondern ein anderer. Und deshalb bitte ich Euch, Freunde, laßt mich die Tür schließen. O seht mich nicht so vorwurfsvoll an – Nachbar – Bose – Ihr kennt uns ja – es ist ein Stückchen Geheimnis, aber nichts Böses. Volk tritt zurück, Hiller schließt die Tür.
BEZIRKSVORSTEHER
gutmütig.
Jetzt habt ihr mich eingesperrt, jetzt heraus mit eurem Geheimnis.
Waldemar.
GERTRUD
die hineingegangen, führt Waldemar heraus.
Hier, Herr Pate, ist der Mann, der zu uns kam; seht zu, ob Ihr ein Unrecht an ihm findet.
BEZIRKSVORSTEHER.
Wie? Was? Der Herr Graf Schenk? Grüßend. Sie waren der Mann, der bei Nacht hier hereinkam?
WALDEMAR.
Ich war's. Ich wurde ganz in der Nähe dieses Hauses durch einen meiner Freunde, den ein unseliges Mißverständnis in eine Art Raserei versetzt hatte, halb aus Versehen, halb mit Absicht in diese Hand und Seite verwundet; hier fand ich Aufnahme und gütige Pflege. Da ich annehme, daß Sie als Beamter fragen, war ich Ihnen diese Auskunft schuldig; Sie werden mich verbinden, wenn Sie dieselbe als Geheimnis bewahren.
BEZIRKSVORSTEHER.
Hm! obgleich ich noch nicht alles verstehe, so sehe ich doch keinen Grund, an Ihren Worten zu zweifeln, Herr Graf, und so habe ich von Amts wegen hier nichts mehr zu tun. Und was ich Ihnen jetzt sagen möchte, Herr [560] Graf, spreche ich nur als einfacher Bürger und als ein Freund dieses ehrlichen Mannes und dieses Mädchens, welches bis jetzt für sittsam und brav gegolten hat.
HILLER.
Bis jetzt?
WALDEMAR.
Sprechen Sie, mein Herr, ich werde mich mühen, Ihre Bemerkungen mit geziemender Ehrerbietung anzuhören.
BEZIRKSVORSTEHER.
Als Sie die Gutherzigkeit dieser Leute benützten, um sich hier einige Tage als Kranker aufzuhalten, da dachten Sie wohl nicht daran, daß Ihre Anwesenheit und die Bekanntschaft mit Ihnen das Mädchen in ein schlechtes Licht setzen könnte?
GERTRUD.
O mein Gott!
WALDEMAR.
Ich bekenne Ihnen mit Beschämung, bis jetzt noch nicht gewußt zu haben, daß die Bekanntschaft mit meiner unwürdigen Person solch schnelles Verderben der bürgerlichen Ehre herbei führt; ich würde sonst Sie selbst in Ihrem eigenen Interesse ersucht haben, sich so schleunig als möglich von hier zu entfernen.
GERTRUD.
O, nicht so, Herr Graf, zürnen Sie ihm nicht, er meint es gut in seiner Weise und ist ein würdiger respektabler Mann.
BEZIRKSVORSTEHER.
Ich sehe, wie es hier steht, und daß ich übrig bin. – Euch, Freund Hiller, gebe ich den guten Rat, haltet Euer Haus so rein von Unkraut als Eure Beete, und du, Gertrud, meine liebe Samariterin, heile du nicht alle blutigen Köpfe, die sich die lustigen Herren schlagen; mancher Arzt hat sich ein Leiden geholt, wo er andern geholfen hat. Ab.
HILLER.
Da geht er, und mit ihm die gute Meinung unserer Freunde.
GERTRUD
zu Waldemar.
O, sehn Sie nicht finster, Herr Graf, lassen Sie keine bittere Stimmung in die letzten Stunden kommen, die Sie bei uns verleben. Herzlich bedauern wir, [561] daß Sie um unsertwillen das hören mußten. Und ich wiederhole Ihnen, wir sind doch glücklich, Ihnen den kleinen Dienst erwiesen zu haben, und wir möchten die Erinnerung daran nicht missen.
HILLER.
Sie hat recht wie immer. Ich bitte um die Erlaubnis, Ihre Hand schütteln zu dürfen. So, jetzt ist mir leichter.
WALDEMAR.
Gertrud! – Wenn ich unzufrieden bin, so muß ich es mehr mit mir selbst, als mit irgend einem andern sein. – Was jener ehrliche Mann sagte, verbietet mir, länger zu bleiben. Nur noch einige Worte über den Knaben mit Ihnen, lieber Hiller – und dann trennen wir uns. Ab mit Hiller ins Haus.
GERTRUD
allein.
Sonst, wenn ein müßiges Schwatzen mein Ohr traf, hat es mir sehr weh getan, und langsam nur habe ich's verwunden. Und jetzt achte ich's kaum – und doch ist mein Herz so schwer, so schwer, und ich könnte weinen. – Er geht von uns – ob er wiederkehren wird?
Frau Box.
FRAU BOX.
Ach, Sie armes, unglückseliges Kind, mußte es dahin mit Ihnen kommen!
GERTRUD.
Was soll die Klage, was schluchzen Sie, gute Frau?
FRAU BOX.
Daß ich arme, alte Frau auch das noch erleben mußte! – An keinem Menschen habe ich so sehr gehangen, als an Ihnen, mehr als an unserm Pfarrer, und manchmal mehr als an meinem eignen Sohn. – Wenn ich die Lilien auf dem Beete sah, dachte ich: ihr bläht euch in eurer Unschuld und Herrlichkeit, aber ich weiß jemanden in meiner Freundschaft, der noch reiner und glänzender ist, als ihr; und das ist meine Gertrud! Und jetzt – o daß ich leben mußte, das zu sehen!
GERTRUD
stolz.
Sprechen Sie, Frau Box, was meinen Sie mit Ihrer Rede?
FRAU BOX.
Ich muß dich warnen, Kind meiner Seele, vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht bist du noch nicht ganz in den Stricken des Verführers.
[562]GERTRUD.
Des Verführers?
FRAU BOX.
Ja, hören Sie mich, mein armes Kind, ich weiß alles. Er ist hier, der gewissenlose, schändliche Herr meines Karls.
GERTRUD.
Warum schmähen Sie ihn? – Er ist hier. Wissen Sie aber, wie er herkam?
FRAU BOX.
Er hatte eine Wunde, das weiß ich.
GERTRUD.
Halb tot war er, bleich und blutig, es war ein jammervoller Anblick. Wir haben getan, was Menschenpflicht war. Was scheltet Ihr uns darum?
FRAU BOX.
Armes, betörtes Geschöpf! Weißt du auch, wo sie ihn so zugerichtet haben? Zu seiner Liebsten wollte er gleichen, zu einer fremden Dame, die auch nicht besser sein mag, als er; – und der ihm auflauerte, war gewiß ein Nebenbuhler, ein eifersüchtiger Galan war's.
GERTRUD
laut schreiend.
Ha, du tust mir weh! – Und wenn es so war – und wenn er bei seiner Geliebten verwundet wurde – was tut das? Nichts, gar nichts – wenn er zu uns kam, wir mußten ihn aufnehmen.
FRAU BOX.
Aufnehmen, ja. Aber du hast ihn versteckt, wie man ein Unrecht versteckt, du unseliges Mädchen.
GERTRUD.
Weil es gefährlich war für ihn und tödlich für andere, wenn seine Verwundung ruchbar wurde. Die Obrigkeit wäre gekommen, seine Leute hätten ihn verraten, er hätte seinen Feind angeben müssen, er hätte sich mit ihm duelliert, – o Gott, ich weiß nicht weiter, mir schwindelt.
FRAU BOX.
Ja, ja, der Satan ist schlau. Hat er das gesagt, der feine, listige Graf, so sage ich, Katharina Box, ich sage dir dagegen: er hat gelogen! wie ein Schelm hat er gelogen, und ich kann dir's beweisen.
GERTRUD.
Er lügt nicht, du aber sprichst Lügen, und ich entsetze mich vor deinen Worten.
FRAU BOX.
Gertrud, Gertrud, das ist deine Krankheit, [563] die aus dir spricht. Ich kenne dich, seit du im Kindermützchen liefst mit den blauen Bändern, und du kennst mich; bin ich unwahr? Bin ich ein verlogenes Ungetüm, das da läuft und Unfrieden säet zwischen Herd und Bett? – Nun aber, hältst du mich für ehrlich, so laß mich beweisen, was ich sage. Ich kenne das Leben dieses Herrn. – Wer ist sein Kammerdiener, wer sorgt für ihn und pflegt ihn und ist allein um ihn? Mein Sohn ist's, und der ist verschwiegen wie das Grab. Wenn's darauf ankam, daß niemand seine Krankheit wissen sollte, so hätte mein Karl wohl gesagt: er ist vom Pferde gefallen, oder er hat sich Schaden getan, oder so etwas; und dem Arzt gibt er Geld, daß er still ist. Meinst du, er wüßte nicht Schweigen zu erkaufen, wo er's braucht?
GERTRUD.
Siehst du, wie du dir selbst widersprichst! Wenn es nicht notwendig war, daß er sich verbarg, weshalb wäre er dann hier geblieben, drei Tage ohne seinen Arzt, seine Diener, ohne sein Lager und sein schönes Haus?
FRAU BOX.
Das ist ja seine Verruchtheit. Du fragst, was er hier wollte? Dich wollte er, du arme Taube, dich wollte er betören und zerreißen, wie ein Geier.
GERTRUD.
Mich?
FRAU BOX.
Du warst bei ihm. Was du bei ihm gewollt hast, weiß Gott allein. Als du weggingst, sagte er meinem Sohn: Die merke dir, die will ich haben, zu der sollst du mir helfen.
GERTRUD
schauert zusammen.
FRAU BOX.
Und jetzt frage dich selbst, wie war er zu dir, hat er nicht süße Worte gebraucht und artig getan und dich an sich ziehen wollen?
GERTRUD.
Mir graut vor dir, mir graut vor mir selbst.
FRAU BOX.
O nein, vor ihm entsetze dich, denn er ist gezeichnet.
GERTRUD.
Wer bist du, Weib, daß du mich marterst und [564] mir das Herz blutig drückst? – Du lügst, du lügst, es kann nicht sein, es ist nicht so.
FRAU BOX.
So ist es, darauf will ich den Tod erleiden.
GERTRUD.
Es wäre entsetzlich! – Er kam her wankend, erschrocken, ein wunder Mann, er dachte an nichts, als an Rettung und Tod.
FRAU BOX.
Er kam her, weil es ihm nahe und bequem war, er blieb hier, weil er dich gewinnen wollte, und deshalb hat er dich belogen.
GERTRUD.
Ich trinke Gift. – Es war gütig und freundlich gegen mich, aber er war wie ein Bruder.
FRAU BOX.
Ja, wie ein Bruder! – Den ersten Kuß wie ein Bruder und den letzten wie ein Teufel!
GERTRUD.
Ha! – – Es ist genug, ich danke Ihnen für alles Gute – ich bitte, lassen Sie mich allein.
FRAU BOX.
Armes, armes Kind! Der Himmel helfe dir und schenke dir Frieden!
GERTRUD.
Amen! – Pause, Gertrud steht lange unbeweglich.
Waldemar. Hiller.
WALDEMAR
auf der Schwelle zu Hiller.
Ich kam als Flüchtling und flüchtig scheide ich wieder; die Erinnerung aber an diese Tage wird fest in mir wurzeln.
GERTRUD
tonlos.
Treten Sie näher, Herr Graf. Vier Tage sind es, daß wir Sie kennen. In dieser Zeit haben wir Ihnen keine Veranlassung gegeben, niedrig von uns zu denken.
WALDEMAR.
Welche Sprache und welche Frage!
GERTRUD.
Wir haben Sie ärmlich aufgenommen, aber Sie haben drei Tage so gelebt, wie wir selbst. – Sagen Sie mir nichts Artiges, wir wissen, daß wir freundlich gegen Sie gewesen sind. Wollen Sie dafür dankbar sein, so seien Sie es jetzt und antworten Sie mir so offen, als ob Sie nie eine Lüge geredet hätten.
WALDEMAR.
Sprich, schöne Vestale, ich werde antworten.
[565]GERTRUD.
Weshalb weilten Sie drei Tage unter diesem Dach? Weshalb verbargen Sie sich zwischen unsern Wänden? – War es, wie Sie uns sagten, war es Furcht vor Gefahr, eigener oder fremder, oder war es auch nur Sorge um üble Nachrede und Kränkung, die Sie oder Ihre Freunde betroffen hätte, war es nur das, so sagen Sie mir ein Ja, nichts als ein Ja, und scheiden Sie friedlich über diese Schwelle, als ein Gast, dessen wir in Freude und Leid noch lange gedenken werden. – Sprechen Sie, Herr Graf. –
WALDEMAR
nachdenkend.
Ich könnte noch jetzt ein Ja sagen, aber ich will selbst dieser unbegreiflichen Stimmung gegenüber nicht länger täuschen. Ich blieb hier, weil es mich sehr fest hielt in diesen Räumen, und wenn ich mich ehrlich frage, so blieb ich Ihretwegen hier, Gertrud, weil mich ein starkes Interesse zu Ihnen zog.
GERTRUD.
Du hörst es, mein Vater, er hat uns belogen! Eigennützig, rücksichtslos hat er unser Vertrauen getäuscht, für eine Laune, eine edle Laune hat er unsern ehrlichen Namen der Verleumdung vorgeworfen, sein Anblick bringt Unheil, sein Lachen wird ein Fluch! Komm, Vater, hinweg, hinweg von ihm! Stützt sich auf Hiller, schwach. Gehen Sie, Herr Graf, gehen Sie, möge Ihr Leben glücklicher sein, als Sie um uns verdient.
Sinkt erschöpft zusammen.
HILLER.
Mein armes Kind!
WALDEMAR
der unbeweglich gestanden.
Lebt wohl! Wendet sich schnell zum Abgang.