»Swer mit bosheit umbegal
wil er's ze riuwen komen niht,
siner selen wirdet niemer rat.«
(»Virginal«.)
Deine reine Jugend, Freya, hat diese Dichtung werden lassen. Wir wollen sie en Geblendeten widmen.
»Swer mit bosheit umbegal
wil er's ze riuwen komen niht,
siner selen wirdet niemer rat.«
(»Virginal«.)
Deine reine Jugend, Freya, hat diese Dichtung werden lassen. Wir wollen sie en Geblendeten widmen.
Du hast mich ersucht, ich möchte Dir für das Programm so etwas wie eine Einführung in mein neues Stück schreiben, das den sonderbaren Namen »Belian und Marpalye« als Titel führt, unter denen sich niemand gleich etwas Rechtes vorstellen kann. Schon deswegen also.
Da muß ich Dich zunächst an Zeiten unserer gemeinsamen Nöte erinnern, als wir nämlich – so im Sommer und Herbst 1916 – in meinem Garten draußen unter täglich steigendem Druck des nahenden Doktorexamens uns immer tiefer und leidenschaftlicher in altdeutsche Dialekte und Sprachentwicklungsformen hineinbohrten, bis uns die ganz so mannigfach besiedelte Welt nur noch Lautverschiebungen, Umlaute und vor allem die peinlichen e-Abstufungen zu beherbergen schien.
Indessen: Sie beherbergte doch noch anderes, ja sogar die alten, endlosen Verserzählungen schienen neben ihrem schönen Hauptzweck, grammatikalische Merkwürdigkeiten aufzubewahren, doch auch einen anderen für den Rigorosumkandidaten freilich beinahe verbotenen Reiz zu haben: Ihr unbekümmertes, kindergläubiges Fabulieren zur Freude einer anspruchslosen, ereignisdurstigen, ganz und gar unliterarischen Zuhörerschaft.
Eines dieser viel erzählenden Abenteuer-Gedichte nun, darin unentwegt und mit leidenschaftlicher Hingabe gerauft wird, führte mich oder wohl eigentlich seinen Helden in das wohlbekannte Märchenschloß im fernen Morgenland, wo der unermeßlich reiche, mächtige und grausame Heidenkönig Belian mit seiner märchenhaft schönen Tochter Marpalye haust und alle abenteuernden Ritter, die nach seinem Gold, seiner Macht oder seiner Tochter gierig ansprengen, zum Kampf um das Ziel ihrer Sucht herausfordert. In der Nacht vor der Entscheidung aber sendet er jedesmal die schöne Marpalye mit einem betäubenden Schlaftrunk in das Gemach des Ritters, um ihn so für den Kampf untauglich zu machen. Und alle trinken voll Gier und jeder fällt in der Stunde, die seine ganze reine Kraft braucht. Bis jener eine mit seinem treuen alten Waffenmeister einreitet, aus der Schönheit Marpalyens ihre von keinem gesehene Seele leuchten sieht, dem schwülen [199] Zauber widersteht und die triebhaft Unbewußte, nur leise Ahnende zur Reinheit ihres Menschentums erlöst. Der goldschwere Heidenkönig lallt im Kampfe, seine trotzige Burg versinkt und die befreite Marpalye kehrt mit dem Sieger in seine Heimat zurück.
Das ungefähr las ich aus dem Gedicht, in dem hier wohl ein häufiges Motiv aus der Kreuzzugszeit (reicher Sarazenenfürst, Entführung seiner Tochter) vielleicht nach einer altfranzösischen, Fassung (worauf die Namen deuten) Aufnahme fand, und das Wunder der Läuterung durch die Kraft reinen Glaubens schien mir einen Keim zu dramatischem Leben zu bergen. Wenn es sich hier auch um ein ewiges, allmenschliches Motiv handelt, so empfand ich doch seine Gestaltung etwa in einer Dramatisierung der alten Sage nicht ergiebig und unmittelbar genug, und so blieb es damals bei einer kurzen Notiz, die mir übrigens bald verloren ging.
Du weißt es, lieber Freund, wie diese Jahre voll Krieg, Zusambruch, Revolution und nie vorher gesehene Wandlungen des Einzelschicksales jeden von uns hin- und hergerissen haben, und so trieb auch mich die Zeit zunächst weitab von Märchen und Gedicht, bis mich eben diese Zeit und ihre Bilder sozusagen von der anderen Seite der Sache wieder nahebrachten.
Immer häufiger, in stets sich mehrender Fülle der Erscheinungen sah ich in diesen Jahren zwischen 1916 und 1922 den alten Heidenkönig Belian goldraffend, goldstrotzend, machtgierig und verachtend mit harter »Gebieterfaust« aus allem, was abenteuert, gaukelt und dichtet, den Gott austreiben, alles unter sich stampfen, blenden und verhöhnen und allmächtig thronen, wie einen ungeheuren goldenen Götzen, der jeden verschlingt, der sich ihm nicht beugt. Die anreitenden Werber, die nach seinen Schätzen gierig sind, ohne seine Kraft zu haben, werden seine Knechte oder – falls sie sich ihm zum Kampfe stellen – von ihm niedergeworfen und geblendet, weil keiner von ihnen größer ist als seine Gier und keiner dem betäubenden Trank widersteht, den ihm Marpalye auf Befehl ihres Vaters vorher bietet. Sie gibt sich zu seinem Werkzeug her, weil sie »andres nicht weiß«, aber tief im Blute singt ihr ein Lied von einer reinen, befreiten Welt »jenseits der Berge«, die Belians Macht begrenzen. Doch keiner der Freier kann ihr davon sagen, sie haben alle nur die Gier und auch der eine unter ihnen, der im letzten Augenblick den Kampf aufgab, weil er sich nicht entscheiden konnte, eines zu besitzen, um alles andere zu verlieren, auch dieser eine, der zuviel weiß, um noch wollen zu können, vermag nicht die Erlösung zu bringen, wird als ungefährlicher Schwärmer von Belian zum Narren ernannt und singt der Prinzessin auf jede Frage sein »Lied ohne Ende« vor. Ein alter erfahrener und ein junger sehender Wächter, der eine fest begrenzt, hart, der andere glühend ahnungsvoll, aber ziellos, [200] wissen der unruhevollen Marpalye auch nicht die Stimme zu deuten, die in ihrem Blute endlos drängt und in der sie ihre unbekannte Mutter zu hören glaubt, die wohl »von jenseits der Berge« gekommen war.
Da erscheint der Fremde, ruhig, stark, zielvoll »sich selber fest und allem tief vertraut«. An seiner Speerspitze sah der »sehende Wächter« den Stern funkeln, der in der Nacht aus dem Sternbild der »Krone des Herrn« fiel, der »erfahrene Wächter« sah nur eine wandernde rote Fackel, der Narr vermutet einen Widerschein des Morgenlichts, der Fremde selbst weiß nichts von seinem Stern. Er fühlt auch nicht die lauernde Gefahr im Schloß, hört nicht den Klageruf der Geblendeten, nicht das harte Hohnlachen Belians, noch das unerfüllte Lied des Narren, lauter Erscheinungen, auf die ihn der treue, einfältig besorgte alte Waffenmeister warnend aufmerksam macht, und als ihn Belian auffordert, mit ihm zu kämpfen und seinen Preis zu nennen, zögert er zuerst und nennt endlich Aug in Aug mit Marpalye das »Reine, jenseits trüber Gier und Sucht« als Kampfpreis. Am Zweifel des allwissenden Narren vorbei, wächst Marpalyens jubelnder Glaube an die Erlösung aus der lastenden Macht von Blut und Gold und wie sie noch nicht zu sich selbst gelangt, in eingelernter Gebärde ohne inneren Anteil dem Fremden den Betäubungsbecher bietet, wird ihr in der beschwörenden Kraft seines Glaubens plötzlich die Erkenntnis ihres Tuns, die Macht des Bösen schwindet, und zu erfülltem Leben erwacht, wirft sie selbst den Becher in die Finsternis zurück. Da aber bricht strahlende »Helle aus seinem Gold und der Stern aus der Krone des Herrn« steigt aus dem Becher rein ins Lichte auf. Kampf, Sieg und Heimkehr ins »neue Haus«, das die jungen Bauleute eben vollenden, schließen die Traumbilder, in die ich diesen zeitlosen Vorgang verteilte. Lediglich um die Bindung mit der Gegenwart, der das ganze Spiel ja völlig angehört, auch sichtbar zu machen, stellte ich das Traumgeschehen in einen Wirklichkeitsrahmen unmittelbar aus dem Leben unserer Tage. – Du siehst also, Bruder in der germanistischen Muse, daß das dramatische Keimchen jenes alten Heldenliedes im kampfzerackerten Boden unserer Zeit Wurzel gefangen und aus ihm bildende Kräfte in seinen Bau hinaufgesogen hat. Auf eine Formel gebracht, geht es in »Belian und Marpalye« um das Gegenspiel von Glaube und Kraft. Belian wäre dann die glaubenslose, roh-materielle Kraft, die geblendeten Freier die Gier ohne Kraft und Glauben, das Kraftlose von Resignation und zielloser Schwärmerei zeigt sich im Narren und im sehenden Wächter, der deshalb auch von der engbegrenzten Nüchternheit des erfahrenen Wächters mit dem Speer der eigenen Schwärmerei niedergerannt wird. Im Fremden einen sich Glaube und Kraft zur befreienden Tat des Übermateriellen, Marpalye aber stellt die suchende Seele dar, das Weib im besten Sinne, mit der sicheren Witterung des Vollkommenen, ohne jedoch allein [201] Kraft und Weg aus der brutalen Umklammerung des Materiellen zu finden. Als ihre Gegenfigur wäre die stumme Sklavin aufzufassen, das triebhaft Gebundene, das stumpf Passive, aber auch das Geschändete, das Weib ohne den sicheren Weiser innerer Reinheit.
Es handelt sich also, wie Du merkst, um keine Geheimnisse, sondern um ganz selbstverständliche Dinge, die wohl in jedem wachen Leben ihre Heimat haben. Und ich glaube, daß dies alles bildhaft geworden ist und ohne weitere Voraussetzung, nur mit einiger Bereitschaft aufzunehmen sein wird, umso eher, als ja die vermittelnden Kräfte unserer Bühne in bestem Verstehen und mit schaffender Gestaltung dem Gedanken des Werkes erst seine volle Lebensfarbe geben.
So habe ich Dir richtig eine »Einführung« geschrieben, wovor ich immer ein leises Grauen hatte, und was mir ehrlich schwerer fiel, als manche Szene in dem Stück. Denn alles, was da steht, habe ich mir vor dem Schreiben dieses Traumspieles nie so schön klar gemacht und da man ein rechtes Theaterstück überhaupt kaum ganz erzählen kann, so ist das Obenstehende auch nur als Andeutung anzusehen und jeder mag vielleicht was anderes von dem Stück erzählen.
Je mehr dies tun, desto besser.
Dein
Bruno Ertler
[202][205]Es treten auf als Personen und Traumgestalten.
Wo ich jetzt bin. Wieviel Wege bin ich auf und ab gekrochen, bis ich hier zu sitzen kam. Kannst auch gleich dableiben, Söhnchen. Es läuft ganz auf eins hinaus.
Sein Ziel muß man kennen, seinen Weg erleben. Deshalb muß ich weiter ... und hätte gern gewußt, wohin zunächst.
Den da fragen Sie umsonst, lieber Herr Der fängt nur Mäuse in seinem Hirnkasten. Wenn Sie aber Auskunft haben wollen. Nach rechts deutend. Da hinüber geht's ins Herrschaftliche.
Auch ins Herrschaftliche.Nach hinten. Bis da hinunter an die letzten Berge.Nach rechts. Da drüben das Schloß, der Wald, so weit Sie schauen können ringsherum ... das alles ist herrschaftlich.
In der Nacht, wenn es ganz rein ist, da sieht man es leuchten ... groß ... und wenn es ganz still ist, dann klingt es ... o ja ...
Beide sind Narren, Herr. Der Krieg ... Es ist ein Jammer ... Der Alte da hatte ein kleines Gütel, gleich neben dem Herrschaftlichen, da hinter dem Wald, von Vater und Vorvater her. Er hielt es zäh und verbissen ... schließlich ging's nicht mehr. Nun ist es herrschaftlich und er hat das Ausgeding, solang er's noch macht auf dieser Welt. Aber dar über hat er den Verstand verloren. Es ist ein Jammer. Und der Junge, der mir da helfen soll, der war draußen in Rußland, weiß Gott, wie weit, fünf Jahre ... Seither phantasiert er und ist für alles Vernünftige verloren ...
Viel Arbeit, Gevatter Maulwurf, he? Immer graben, fleißig mit der Nase im Finstern herumstoßen. Brav, brav. Nur nichts sehen, nur keine Augen haben ... Zum Fremden. Siehst du, Söhnchen, mit dem Ziel: Das da ist einer, dem es noch immer nicht gedämmert hat. Auf den Jungen deutend, der wieder still in die Ferne schaut. Der da hinten schnuppert wenigstens was, steckt die Nase hinaus, horcht über die Berge weg. Ich kann dir sagen: Es ist ja auch nichts mit dem Neuen, das er klingen hört. Hehe. Weiß schon. Weiß das. War auch einmal hinter den Bergen. Es ist dort so wie da. Aber siehst du: Er glaubt wenigstens. Hehehe. Ich weiß ... aber er glaubt. Und das ist mehr, das ist das einzige, da neigt sich alles. Und wenn einer dazu noch wollen kann, dann, Söhnchen, dann geschieht, weiß Gott, das Wunder. Geht humpelnd gegen rechts, deutet auf den alten Gärtner. Der da ist wie der Heide im Turm ... der alte König Belian ... Ja ... Hehehe ...
Ach, es ist die alte Schaudergeschichte. Weist auf den Turm. Das da ist nämlich der Heidenturm, das letzte Stück einer großen Burg, die einmal da gestanden haben soll. Er heißt [209] so, weil der alte Heidenkönig Belian drinnen liegen soll. Gesehen hat ihn freilich keiner ... aber es kann ja sein, daß er einmal drinnen war, vor 500 Jahren ... oder vor 10.000 Jahren, was weiß ich? Dem gehörte alles Land und alle Macht, so weit wie heute dem Herrn im Schloß drüben ... oder wohl noch viel weiter. Aber er war auch sehr hoffärtig und bös und allen, die sein Glanz in sein Gebiet lockte, denen zeigte er zuerst freundlich seine ungeheuren Reichtümer, und wenn einer vor Gier ganz geblendet war, dann ließ ihn der Heidenkönig grausam quälen, die Augen ausbrennen oder gar den Kopf abhacken. Und die Köpfe steckte er dann auf die Zinnen, heißt es, bis ringsherum schon ein Kranz von kahlen Totenschädeln war. Aber einmal kam einer, den niemand kannte, der sah alles an und sagte nichts. Kein Wort, kein Lob, und er war auch gar nicht gierig nach den Schätzen oder der Macht des Heiden. Darüber wurde nun der König Belian so zornig, daß er sich selbst mit seiner ganzen Burg und allen Schätzen verbrannte. Es heißt auch, der Fremde hätte ihn umgebracht, und dann erzählen andere wieder, der wäre ein Christ gewesen und Gott habe den Heidenkönig, der ihm nach dem Leben trachtete, mit allem vernichtet. Wer kann wissen, wie die Geschichte war ... und ob sie überhaupt geschehen ist. Ich halte nichts davon. Warum hätte der Heidenkönig sterben müssen, weil irgend ein närrischer Kerl seine Reichtümer nicht lobte?
Schon wieder das Neue. Du siehst überall das Neue. Das Neue ist die Arbeit und das Alte ist die Arbeit. Alles andere hält uns nur vom Rechten ab. Vom Bau herüber hört man lachen und sieht die jungen Bauleute eben in einer Arbeitspause ihr Brot essen, miteinander scherzen, einander haschen usw. Ein großer irdener Krug macht die Runde. Da hören Sie's, da sehen Sie. Die lachen und sind froh, weiß Gott, warum. Auch lauter so dahergelaufenes Volk ohne Paß und Buch, weiß der Teufel, was für junges Gesindel. Aber heute darf keiner fragen, woher, wohin. Da muß man froh sein, wenn man einen zur Arbeit kriegt.
Passe ich Ihnen nicht? Freilich: Paß und Buch habe auch ich nicht. Ich komme nur so ... und, wer weiß, vielleicht gehe ich auch bald wieder. Das müssen Sie schon mitnehmen. Ich frage auch gar nicht, wann ich kommen und gehen darf.
... denn mit dem Jungen da ist ohnehin kein Arbeiten. Sie können gleich anpacken, es gibt jetzt alle Hände voll zu tun, seit immer Besuch im Schloß drüben ist. Vertraulich. Das Fräulein soll sich nämlich einen Mann aussuchen. Sie können sich denken, wie da alle rennen. Ganze Musterlager marschieren auf, aber nun soll sich's endlich entscheiden ... ich hab' so was läuten hören ... vielleicht heute noch. Na, der Zukünftige kann sich gratulieren.
Da schau einer her! Ich hab' geglaubt, du siehst nur immer hinter die Berge. Na, vielleicht nimmt sie noch am Ende dich zum Mann.
Sie nimmt keinen Schlechten ... o, nein ... Sie ist so schön, daß sie keinen Schlechten nehmen kann ... Er summt ein Liedchen vor sich hin, indem er wieder seine Arbeit aufnimmt und hinter den Turm gegen rechts geht.
Man sieht einen halbdunklen Raum, darin Werkzeug, eine Bank, Stroh in der Ecke usw. Da können Sie sich gleich das Notwendige nehmen. Auch ein Arbeitsrock hängt da. So ... bitte ...
Na also. Das ist ja prächtig. Und schön ist's da herinnen, beinahe gemütlich ... Gar nicht wie das Grab eines düstern Tyrannen ...
Hoho, Söhnchen! Haben sie dich schon? Auch graben, wühlen, schuften ...? Ja, ja ... weiß schon, wie das geht.[211] Kannst gleich dein Probestück machen.. Deutet nach rechts. Der alte König Belian kommt gerade mit seinem ganzen Hofstaat ... Hehehe ... Immer dasselbe ... immer die gleiche Geschichte. Ich sag' dir: Wirf alles weg und setz dich in die Sonne. Sonst graben sie dich auch noch in den Heidenturm hinein ...
Ja, die Herrlichkeit in vollem Glanz! Gib acht, Söhnchen, gib acht. Laß dich nicht blenden. Es läuft alles auf eins hinaus ... ob dein Kopf auf der Zinne bleicht oder zwischen den Schultern vermodert ... Hehehe ... Es läuft alles auf eins hinaus ... das muß man nur erkannt haben ... Ab links.
Kommen Sie jetzt. Mit dem Alten gelangen Sie ja doch zu keinem End. Der hat nun einmal den Verstand verloren.
Spricht mit fetter Stimme, kurz, geschäftlich. Er ist etwa 35 Jahre alt, sieht aber älter aus, trägt grauen Jackettanzug, Hut nach hinten gesetzt. Wie sagen Sie? Fünfhundert Joch schlagbarer Wald? Lächerlich. Das muß zehnmal so viel tragen, sag' ich Ihnen. Warten Sie ... Rechnet auf dem Block. Fünfhundert ...
Typus: besitzender Verächter. Spricht weniger, als sein Lächeln sagt. Zum zweiten Freier, der an seiner ändern Seite geht. Wann ist die Wahl?
Was ich gesagt habe! Wenn wir gleich schlagen, arbeiten wir mit tausend Prozent. Da ist schon alles eingerechnet, die Motorsäge, die Zustreifung zur Bahn, alles. Wenn Sie wollen, telegraphiere ich sofort an die »Howag«, die wollen dringend auf fünfhundert Waggon abschließen, greifbar Bahnhof. Wollen Sie?
Der Meierhof allein müßte das Ganze tragen. Acker und Wald und was sonst darüber ist, hätte ich rein, sage ich Ihnen.
Feldarbeiter, Jäger, Winzer, Heger, Gärtner. Zum alten Gärtner, der mit dem Fremden ganz nahe kam. Was treiben die?
Was kümmert's uns? Deutet gegen rechts. Da, sehen Sie: Ich glaube, sie nimmt doch noch den albernen Kerl mit seinen Versen ...
Wie gesagt: Ich halte das für einen Luxus. Die Leute sollten lieber den Wald schlagen und aus der Wirtschaft mehr herausziehen ... Das alles ist viel zu wenig ausgenützt. Tausend Prozent, sag' ich Ihnen ... netto ... Indem er auf seinen Block deutet und in den Herrn hineinredet, gehen der Herr, der erste und der zweite Freier nach links gegen den Bau ab.
Eroberertyp. Sport müßten Sie da treiben, meine Gnädigste. Ein so ideales Terrain für Schnitzeljagd und Fuchstrieb habe ich noch nirgends gesehen. Und dann im Winter ... Wie könnte man da Schlittenjagen ...
Und im Schloß drüben müßte dann immer ein Ball sein. Es gibt nichts Reizenderes, als wenn man, noch von der Schneeluft durchfrischt, mitten in den Tanzsaal springt ...
Da unten würde ich den Teich mindestens fünfmal so groß anlegen. Da gäbe es Kahnfahrten, venezianische Nächte ...
Nein: Aber trotzdem Kitsch. Zum Fräulein. Das ist ja gar nichts hier. Wozu hätte man Schloß und Wald und Garten und weiß Gott was, wenn man nicht soviel als möglich genießen sollte. Das schläft ja alles. Viel zu wenig Menschen sind da, kein Leben, kein Betrieb! Ein Fest müßte das andere jagen ... und jeden Abend müßten Sie Ballkönigin sein. Das würde Sie schon freuen ...
Da will ich lieber nicht stören. Ruinen sind nicht mein Fall. Ich schau' mir lieber da drüben den Neubau an.
Das ist ein unangenehmer Mensch. Immer redet er nur vom Reiten und Schießen und Schlittenfahren und Tanzen. Als ob es nichts Höheres auf der Welt gäbe. Sehen Sie, Adorata, für so einen alten Turm gebe ich alles andere her. Das ist Stil. Ich find' überhaupt, alles, was alt ist, hat Stil. Nicht?
Nämlich Häuser und Möbel und so Sachen. Menschen nicht? Die haben wieder gewöhnlich in der Jugend mehr Stil. Nicht? Ich denke schon lang über diese Frage nach, aber ich komme zu keinem Ende.
Solche Könige haben immer Töchter. Das wissen Sie nicht? Ich glaube, Sie kennen alles nur so weit, bis es gerade interessant wird.
Ja, nach der die Rosen heißen. Die soll nämlich sehr schön gewesen sein. Und ich vermute immer, das war der Grund, weshalb alle Ritter und Freier unterlegen sind.
Ah, das ist aber sehr interessant. Wenn man das zu Ende denkt, so wird's ganz anders, als es zuerst aussieht.
[216]Ja ... ja ... Und weiß man nicht, wer sie schließlich bekommen hat, die Prinzessin? Denn einer muß sie doch gekriegt haben, nicht?
Ich habe gehört, die Prinzessin Marpalye betäubte durch einen Schlaftrunk jeden Freier, ehe er den Kampf mit dem Heiden wagte. Und so unterlagen alle. Langsamer. Bis einer kam, der nicht davon trank ... Neuer starker Donner.
Ich rechne es Ihnen drüben noch vor ... Sie werden sehen ... 1000 Prozent ... Mit dem Herrn nach rechts ab.
Nein, wir haben nur von Rössern geredet. Zum Fräulein. Bitte, Gnädigste, es fängt ja schon zu regnen an ... Geht mit dem Fräulein und dem zweiten Freier rasch nach rechts ab.
Sturm ins Land! Sturm ins Land! Hoihoo! Feuer auf die Erde! Berge brechen, Sterne fallen! Sturm ins Land! Das Neue ... Das Neue ...!
Schweigt mir vom Eisen! Gold ist alles! Wühlt im Blechhaufen. Da sieh! Gold ... Gold! Und Steine ...! Steine.. Wie Glas so hell, wie springende Wassertropfen ... Alles mein! Alles erjagt, errafft. Dem Heiden abgerungen im Messerkampf ... Ich ... Ich allein! ...!
Recht hast du: Zum Weinen ist's, wenn einer mit Scherben und Blech und Kieseln spielt und immerzu meint, es rieselten Gold und Demanten durch seine Finger.
Hab ich sie nicht gesehen? Mit meinen Augen gesehen? Alles Gold, alle Steine aus Belians unermessenem, unerschöpflichem Schatz? He? Du? Steht auf und tappt irregehend auf den Wächter zu. Was ist das nun anders? Sieh: Was ist es wohl sonst als Gold ... als Gold ...
Laß ... Zum Geblendeten, den er an seinen Platz zurückführt. Er will dir's nicht gönnen, will dir's verleiden, verreden ... Hör' nicht auf ihn.
Wie das flimmert und durch die Finger fließt, sich speilt und hebt und klingend herniederfällt! O, ich fühle es leben, wollen, sich brünstig durchdringen, in tausend neuen Gestalten sich endlos mehren. Gold ist nicht tot ... Haha ... Gold ist das Leben! Gold ist die Kraft, die Freude, das Glück! Gold hat Blut und Augen und greifende Hände und feindliche Sinne, wo es den Herrscher nicht fühlt. Ich aber bin sein Herr, sein König ...
König? ... Wer ist hier König? Wer wagt einen Namen zu nennen, der mir nur gebührt? Deutet in die Finsternis hinaus. Da ... Sieh in die strahlende Weite! So groß sie sich dehnt und wellt im Sonnenglanz ...
Blind ist nur, wer nicht sieht. Ich aber sehe grenzenlos und gesegnet mein Reich, mein herrschendes Reich mit Städten und Fluß und Berg. Und Menschen, Menschen Untertan meiner Macht! O, ich fühle die Wucht angreifender Heere in meinen Armen treiben, mein Reich in blinkender Wehr sich über die Grenzen gießen und Weite mit Weiten binden. In Millionen bebt meines Herzens Kraft, Millionen Gehirne reißt mein Wille nach einer Höhe: Macht! Macht ist sausendes Blut in heißen Strömen, eint Verachten und Liebe zu gierigem Brand. Macht ist Welt einer Brust, das Schwingen kreisender Sterne, ist eines Gottes Stimme aus Flamme und Berg. Wo sie erdröhnte, muß Ich und Tag vergehen, Freund und Weib verschatten; in Fernen dehnt unbegangener Weg sich, ungerufenes Leben bietet dem Einen ... mir! ... den jungfräulichen Leib. Reckt sich hoch. O, das fühlen ... das sehen ... entgegenwinden ... Sieg in der Faust ...! Verstummt ihr, tief unter mir ... Masse ... Taubheit ... Verfall ... Setzt sich nieder, die blinden Augen ins Dunkel. Mein Reich ...
Du bist ein Narr! Nimm sie lieber ... Der Augenblick schenkt sie dir. Jeder ein Tropf, der fragt, anstatt zu erproben. Stößt sie ihm in die Arme. Da ... mach schnell ... Ich halte indessen Wache ... Nicht einmal schreien kann sie ... denn sie ist stumm.
Laß deine albernen Spässe! Kennst du die stumme Sklavin nicht? Noch gestern trug sie Asche vom Herd im zerrissenen Kittel. Der Teufel mag wissen, welch Laune des Herrn heut ihren Leib in Flitter hüllt und ins Haar ihr die Krone drückt. Sie soll wohl das Lager wärmen ihm oder irgendeinem. Belian weiß, was er kauft.
Du Stumme, Gekrönte, Schmachübergossene! Ich breite mein Haupt unter deine Sohlen, Stille, gemarterte Königin! Mutter war dir ... Mutter solltest du werden ... Was haben sie, Heilige, dir entrissen! O, der Unendlichkeit ihres Mordes! Schreite hinweg über mich, zertritt mich, Geschändete, reiner als alle, die sich an dir geschändet ... Denn siehe: Auch ich ... auch ich wachse in deine Schuld ...!
Noch einen Schritt und du stehst mit beiden Füßen mitten im Paradies. Haha, mein Freund! Fällt dir die Binde erst von den Augen, dann magst du sehen, was es heißt, um Belians Preis zu fechten. Schade, daß deine Hand nicht fester war ... Ich hätte dir gerne diesen Umweg ins Glück erspart. Zum erfahrenen Wächter. Glüht das Eisen?
Ans Leben? Hoho ... Wo denkst du hin, mein Freund? Sagt' ich dir nicht, es ginge ins Paradies, in den blühenden Garten der Wonne, an den du glaubst, nach dem du brennst, mehr als euer bleicher Gott dir erlaubt.
Siegte ein König, so spottet er nicht Nur Sklaven schmähen, die immer weniger sind, als sie gleich einmal konnten.
Wer da fragt, wie etwas geschehen sollte und wie es geschah, der säumt an den Dingen vorbei, die Leben heißen. Schade, daß du vergeßlich bist. Was dir heute Gift und Hexe erscheint, war dir gestern Wonne. Höhnend. Zehrender Sehnsucht Ziel, aller Wollust Süße ... »Liebe« ... wie du es nennst ...
Glaubst du, ich widerrufe, weil ich das Spiel um mein Leben verlor? Es ist, wie du mich höhnst ... und es ist noch viel mehr, so viel wie dein Verächterleben dir je verwehrte. Kennt dein frostiger Leib die glühende Welle, blut geboren und allem Wilden vertraut, die rote Nächte durchstürmt und flackernde Tage, süchtig nach einem, einem Ziel: Weib! Hast du in einer jemals alle umfangen und in allen doch immer die Eine nur, ach, die strahlende Eine, aus aller Lust, aus aller Süße von hunderttausend geboren! Fühlst du es wanken? In zuckender Böte fließt Erde und Raum, es siedet in meinen Schläfen: Sie ist nahe! ... Ich spüre sie, die ich gesehen flammend in jauchzender Wonne einer Nacht. Marpalye ... Reichtest du wieder mir den Kelch, verderbengärenden Rausches voll, wieder und wieder stürzte ich ihn hinab, tränke wissend aus deiner Hand den Tod. Marpalye ... Du Eine ... du Traum ... du Weib ...!
[222]Traum ...? Kein Bild, mein Freund? Da.. Zuckendes Leben voll Begehren und junger Glut. Hier ist sie, der Rausch deiner Kraft, dein süßes Verderben ... Sieh!
Nun steht das Bild fest in den Augen bis an's Ziel deiner Tage. Vielen schon malte ich so die Gestalt ihrer Wünsche. O ja, ich weiß, was euch frommt. Frag' nur die anderen: Jeder ist reich ... Jeder besitzt, was sein Kampf ihm verhieß: Das Gold, die Macht und was einer sonst von mir wollte. Ich bin nicht geizig, mein Freund. Ich schenke nur meine Gaben gerne in meiner Art. Wer weiß, ob sie euch anders gleich dienten. Auch lag es in euren Händen, mich zu verderben. Ich stelle mich jedem zum Kampf, lasse den ersten Wurf einem jeden. Trag' ich etwa die Schuld, daß die Hände euch zitterten, daß keinem der Wurf noch gelang ...? Ich könnte dich töten nach Recht, doch ich begäbe dich noch.Stößt die stumme Sklavin ihm zu. Da, nimm die Prinzessin, die du geträumt und geschaut, um die du ein Leben hitzig gewagt hast. Büße an ihr deine Lust ...!
Laß ihn. Ich liebe die heißen, trotzigen Knaben. Sie wurden mir immer noch die treuesten Knechte. Zum sehenden Wächter. Du sollst mir die Burg bewachen, Söhnchen, hörst du? Vom festen Turm mit witternden Sinnen die Nacht durchdringen, denn deine bäumenden Kräfte müssen sich zwingen lernen. Zu den Geblendeten. Gehabt euch wohl, ihr braven Helden mit zitternder Hand. Genießet den Preis, den jeder errang nach seinem Willen und Wert.
Nacht. Gegen Morgen. Großer, endloser Sternenhimmel. Rechts die Bastei des Wachtturmes. Einige Baumwipfel ragen herauf, so daß die Erde tief unter dem Bühnenniveau anzunehmen ist.
Auf dem Laufgang des Turmes steht der sehende Wächter, nicht viel mehr, denn als Schattenriß sichtbar, auf den Speer gestützt, das Metall seiner Waffen und Rüstung schimmert matt im Dämmerlicht. Unter dem Laufgang ein Gitterfenster.
Ganz in der Ferne murrt ein Donner. Der Wächter wendet den Kopf in die Richtung des Schalles. Da fährt grell in steilem Bogen eine Sternschnuppe rotglühend über den nachtblauen Himmel gegen links in die Tiefe. Der Wächter streckt beide Arme wie beschwörend gegen die Erscheinung und stößt einen leisen Schrei aus. Dann wendet er sich gegen die kleine Ausfallspforte, die ins Innere des Turmes führt, und ruft.
Doch fiel just einer aus der glühenden Krone, die unseres Herrn Zeichen, aus dem ersten Zacken ... dort ... und stand doch eh' noch starr und groß in herrischer Aureole ...
Unseres Herren Krone hat der Zacken noch viele und alle strahlen von hundert blitzenden Steinen. Unsers Herren Krone braucht deine Sterne nicht, er lacht der Bilder, die deine Angst dir dichtet.
Der Stern! Der Stern aus unseres Herren Krone! Dort fiel er nieder ... Nun schwebt er über dem Plan langsam ziehend, wie einer, der es nicht eilig hat, [225] stet und gerade, als hab' er sein Ziel im Auge, und gar nichts könnte ihn irren und nichts ihn vom Wege bringen.
Schweigt, ihr blinden Hunde! Ist eure Nacht nicht finster genug? Was wollt ihr? Ihr habt gesehen, was keiner geschaut hat: Belians Gold, Belians herrschende Macht und den blutheißen, drängenden Zauber, der tausend gärenden Giften entsprang: Den Leib der Marpalye ...
Hahahaha! Bleib mir mit dem Wunder vom Leib! Schon viele sah ich verblinden, noch keinen erlöst sein. Wer einmal alles auf des Messers Spitze gesetzt hat und seine Hand war nicht fest, wer einmal den großen, den einzigen Wurf verfehlt hat, weil hemmend in seinem Blut Unreines gor und sein Blick hat gezittert, der muß ein Blinder werden und in ewiger Nacht seines Lichtes Tod durchwühlen.
Ein fremder Reiter ... Hehe ... Ruft zum Fenster hinunter. Ihr blinden Hunde, hört und freut euch: Ihr bekommt einen neuen Gefährten. Zum sehenden Wächter. Woher?
Er kam aus der Nacht ... aus der Erde ... aus einem Baum ... aus der Wolke wuchs er ... aus der Ferne wohl ... jenseits der Berge ... Ich sah nur den Stern aus Belians starrer Krone hinfahren und wandern aus weitem Rund [226] näher und näher. Und als die Nacht zerfiel, da war es des ragenden Speeres leuchtende Spitze ... Siehst du? Siehst du? Sie trägt den Stern der Welt!
Leg dich schlafen. Du standest zu lang allein in der Nacht. Da greifen Dämonen ins Hirn und drücken schreckende Bilder ins Aug, die es draußen nicht gibt. Dein Blut ist jung und zieht dir noch einen Schleier rot vor den Blick. Sieh her und lerne erkennen: Dies ist Belians Burg und dies alles Belians Erde. Meine Hände greifen und meine Augen sehen, daß es weit ist und stark, wie keines irdischen Königs. Tausend Jahre trotzen die Steine und tausend Jahre schirmen uns Eisen und Gold. Sahst du Stärkeres je? Was soll uns das Jenseits der Berge? Was sollen uns Sterne? Mögen sie immer fallen und hängen bleiben auf Lanzenorten, wie dir ein Fieber es malt. Aus allem, was abenteuert, gaukelt und dichtet, treibt Belian bald den Gott, den sogenannten, und übrig bleiben blinde Hunde und Narren. Solch ein Köpfchen, war' es allein, es könnte gefährlich werden. So aber durchschwemmt sein Blut in einer mengenden Welle auch Hoden und Magen. Wer auf das Hin und Her seine Feste baut, hat sich noch niemals betrogen. Deutet nach links. Laß ihn nur ein. Auch er wird bald erfahren, wie Sterne für ewig verlöschen. Die Sonne geht auf. Bete! Die Sonne erwacht. Er hebt die Arme der Sonne entgegen. Groß ist der Tag, der Belian grüßt! Groß ist die Stunde, die mit ihm lebt! Keiner größer, als er!
Und folgte einer dem stürmenden Ruf und griff in das treibende Rad, zerbrach er mehr, als er schuf ...
Warum ist dein Lied immer so, daß es nirgends ein Ende hat, aber den Atem engt und stets weiter will ...?
Doch ... es drängt und sucht und windet, wie ein gefangenes Tier sich ans Gitter wirft und die Augen weit offen hat, weil es ferne Verwandtes wittert. So ist dein Lied. Wie darfst du sagen: Es will nicht weiter? Lebt dir das eigene Lied so schwach im Blut?
Ein Narr kann nicht singen, wie einer, der will, denn er weiß zu viel und alles hat sich ihm ausgewogen. Ein Narr kann nicht tun, er kann nur horchen und schauen und ist immer froh, weil ihm alles allein gehört. Ein Narr ist unendlich, Prinzessin Marpalye. Wie könnte sein Lied wohl Ziel und Ende haben?
Ja. Es ist ein Ende, ein Ziel, ein Licht ... Du siehst es nur nicht und kannst mir davon nicht sagen ... Keiner kann es mir sagen, keiner von allen ... Und bist doch von dort, von draußen weither gekommen, hattest eine heiße Brust und greifende Hände, Wollen, Waffen und Weg. Warum hast gerade du, du allein von allen, die kamen und warben, den Kampf um alles, den einen Wurf nicht gewagt?
Alles kann nur haben, wer nichts besitzt ... Es ist ein langer Weg, Prinzessin Marpalye, eh einer das sagen kann mit stillem [229] Herzen, als ich auszog vor Jahren, wußte ich nicht, worum, denn das eine war wie das andre mir wert. Immer tiefer ging ich mit jedem Schritt durch rauschende Wunder: Blümlein im Feld, weiter Himmel darüber und Licht, eines Vogels Schrei, seines Fluges schwingende Bahn, schimmernde Weite des Landes, der Städte stolze Gewalt, Ehrfurcht schauernder Dom und Straße und Menschen ... Und ein Wunder heißt: Schönheit, ein anderes Macht und: Können ein drittes, ein weiteres: Lust ... und ein Wunder heißt: Weib! Wer möchte das alles sehen und nach einem greifen, eines erraffen, daß er sich alles zerbricht? Wer etwas will, raubt sich das stille Schauen, und das ist mehr, als alles, was einer wollen kann.
Wer weiß? Mir zerbrach die Fülle das Wollen. Ich habe, habe ja alles. Lacht mir nicht Belians Reich durch die Fenster? Umglänzt mich sein Gold nicht? Bist du Marpalye, du nicht immer bei mir? Nun, hab' ich nicht alles ...?
Nichts, ist alles ... Alles ist nichts ... Als ich vor Belian stand, das blitzende Messer zum Wurf erhoben, sah ich sie plötzlich vor mir, von Hast getrieben nach Gold und Macht und Weib, und blind in ewige Nacht und Kerker sinken, wo einer in Scherben wühlt, der andere ins Leere starrt und einer das Weib in der stummen Sklavin sucht. Da lahmte mein Arm, denn ich wußte mit einem nicht, um was ich kämpfen sollte.
Um alles ...? Mit einem Wurf um alles ...? O Marpalye! Ahnst du das Ungeheure, was du sagst ...? Alles auf eines Messers Spitze setzen? Fehlte der Wurf ... so ...
Traf er, so warst du frei! Frei ...! Und hattest alles. Das Jenseits der Berge tat sich dir auf und band sich zum Ganzen. Sieh, ich ahne ja nur, ich taste, so blind beinahe, wie die da unten im Turm, die zu besitzen meinen, aber besessen sind. Ich bin wie du und alle ein Spielzeug in Belians Hand, ein Werkzeug vielleicht in den harten Händen des einen, der sich Vater mir nennt. Sinnend. Wie war meine Mutter wohl? Singt ihr Blut mir das Lied, das Lied, das wie deines weiter und weiter will und kein Ende findet? Greift ihre Hand mir ins Herz, wenn ein Traum mich plagt, daß ich gefangen sei, betrogen um alles, ob ich in Glanz und Gold gleich die Sinne entzücke, daß alle von Glück und Wonne seufzen und ihnen die Hände zittern, fordert das Werk [230] ihre Kraft. Fühltest du, Narr, wie solche Siege mich quälen ...! Aber ich weiß nicht den Weg, nicht das Wort ... Und der Kampf ist meinen Händen verwehrt, die nur tasten können wie Zweige im Frühling, oder ans Gitter schlagen in Ohnmacht. Und immer der Ruf: Ich weiß nicht ... Ich weiß nicht.
Niemand weiß, Prinzessin; nur, daß es die einen noch treibt und ängstet, indessen die andern still und heiter geworden sind. Das alles ist zu groß, als daß es einer umfinge, zu reich in glücklicher Vielfalt, als daß einer wählen sollte, zu frei, um Besitz zu sein. Ich steh' an den Ufern immer noch Anfang und Kind, und sehe es strömen, sich teilen und münden in ewiger Heiligkeit. Gier und Wollen verschwang. Ich suche kein Ende. Keiner weiß, Marpalye. Schauen ist alles, Klingen und Horchen. Ich singe dir wieder mein Lied ...
Ein Stern, Prinzessin ... über den Bergen stand er, glühend und groß, und wanderte dann auf eines Speeres Ende ... Ein Fremder[231] kam von jenseits der Berge ... Oh ... Ich möchte mit ausgebreiteten Armen gehen, das Neue grüßen, vor seinem Antlitz knien, nur ganz Gebärde sein, nur Schrei des Gequälten, der in die Ketten beißt. Dies alles hier, dies Zueinander längst unerregter Masse, stumpfes Vorbeisein, willenlos mitgeschleppt, ach, es martert, bindet und höhnt. Wie Gift ätzt jedes Wort, wie Geißel trifft mich das Lachen, das diese Mauern durchgellt in verachtender Öde ...! Zerbräche dies alles ...
Belians Turm ... mit deinen Augen bewacht ...? Ohne ihn anzusehen, schmerzvoll. Geh ... und melde dem Herrscher, was du gesehen ... Geh, du Knabe ... du schwärmender, eitler Knabe ... der vom Neuen schwatzt ... und das Alte bewahrt ...
Den Speer dort in die Ecke. Hier das Schwert bleibt näher meiner Hand. Das andre nimm zu dir. Wo ist dein Lager?
Sprach einer dir ein Wort den ganzen Tag? Der Wächter, der vom Turme schrie, er blieb der erste und der letzte, überall nur stummes Grinsen. Türen fliegen auf und wieder zu, wie Eulenflügel still. Kein Laut. Und doch: Es schläft nicht, nein, es horcht und späht aus allen Ecken, alles ist bereit und wach. Das Bad, der Tisch, das Bett, wie es die Sitte will, ist da ... und mehr an reicher Pracht ...
Ich sah auf allen unsern Fahrten, Jahr und Tag nicht solchen Glanz. Sieh um dich, Herr, es blinkt von Gold.
Der Sonne Widerschein. Dort geht sie hinter blaue Berge. Ruft es dir in solcher Stunde treibend nicht im Blut: »Du weilst ... du weilst zu lange ...!« Alles Land in breite Schatten hingedehnt, ist Weg, der Tag, der sinkt, ist Flucht vor einem Tag, der kommt, du selbst bist Flucht vor Millionen, die drängend sich an deine Fersen heften. Mit keinen Sinnen magst du es ermessen, ob du im Anfang oder Ende bist, ob diese Stunde, kaum erschaut, vergessen, dir erste oder letzte ist. Wie möchte sich aus den Unendlichkeiten Gestalt und Ende selber dir bereiten, wärst du nicht deiner Welt Beginn und Ziel? Was um dich lebt, ist Weg ... Und ist so viel ...! Vom Morgenrot zum Abendglühen grüßt es mit tausend Stimmen: »Ja!« Und zwischen Werden und Verblühen stehst du durchströmt und glücklich da, vom Atem Gottes segnend übertaut, dir selber fest und allem tief vertraut.
[233]Die Stunde führt dich weit und läßt mich wieder erkennen, was mich dir so eng vereint. Wie vieles wurde meinen wachen Augen zu hartem Wissen um die Eitelkeit. Ich sah der Tollheit wilde Schwärmergeste in nichts zerfallen vor dem Schritt der Zeit, das Rohe fressend selber sich verderben und müder Weisheit Schein in Unkraft sterben. So viel Erfahren lahmte wohl die Hand, die oft zu Drachenkämpfen schnell sich hob, fand nicht mein Weg, auf neue stets verwandt, die ewig junge Kraft aus reinem Blut. Nicht für dich wirken kann ich, nur dir dienen, nicht für dich fechten, nur die Waffen schärfen, die du zum Siege trägst, des Alters Stärke ist: Glauben an der Jugend helle Tat. Und wer des Segens viel erfuhr im Leben, blieb offen, das Errungene zu geben.
Es schleicht und huscht aus Tälern, Fluß und Wald. Gestalten, verrucht und schattenstumm. Dies ist die Stunde verderblicher Dämonen, die das Kreuz noch nicht erlöste. Laß' uns wachsam sein!
Heidenland, des Heidenkönigs Macht ist um uns her! Ein Widersacher katzenstill geduckt dir ins Genick zu zu springen, lauert auf den Augenblick ...
Der Kreis ist voll! Ein Lied, ein grelles Lachen, eine Klage. Hast du auf allen Wegen mehr erfahren? Ob wir mit Riesen stritten, wilde Drachen erschlugen, falschen Königen die Krone erlog'ner Herrlichkeit vom Kopfe rissen, der Inbrunst reine Flamme schützten ... wo war mehr als dies: Das Lied der Freude, stolzer, erweckter Sinne Lachen und die Klage? Umfassen diese Mauern nicht, gedrängt in Spruchgewalt, das Leben?
Wer kämpfen kann, weiß immer, wann er muß. Laß deine treue Liebe sich nicht mühen. Wer stünde sicher, der im Wandern ist? Doch mehr, als stumpfes Weilen je ermißt, schenkt uns des Augenblicks bewegtes Glühen. Die off'ne Hand, dem Starken hingestreckt, zieht Gleiches zauberhaft aus allem Leben. Stets wurden Kräfte nur mit Kraft geweckt und was du ehrlich willst, muß sich dir geben. Was sich in hoher Wege Einfalt bindet, zerreißt mit bösen Listen keine Hand, und aller finstern Mächte Trotz verschwindet vor dem, was sich im Herzen Gottes fand. Sein Wollen aber ist nicht träges Ruh'n, ihn zu verkünden, ist kein Ding zu klein: Es bleibt uns allen seine Tat zu tun und seiner Einheit reger Teil zu sein. – Geh' jetzt. Der Tag ist voll. Und war so reich ...
Der Herr des Landes ... Belian ... der König, in dessen Burg du weilst ... in dessen Macht wir alle stehen ...
Alle ...? Wir ...? Ich komme weit her des Landes ... und ich gehe weit und steh' in keines Königs Macht.
Schon viele kamen ... keinen sah ich ziehn ... Im Turme aber.. Herr, du weißt es nicht, was dir verhängt ist ...
Holz aus, fernem Wald ... Bedächtig hat des Nordens kühle Sonne der Heimaterde Kraft in dich gesogen, dich zögernd wachsen heißen, hart und schwer ... Ihr fechtet hier mit flinkem Waffen?
Du heiliger Stahl.. Du glühender ... Du hast den Stern getragen, der aus der Krone fiel. Du hast die Welt von einem Alp befreit, Gesegneter! Du Speer des Lichts ... Du Sonnenpfeil ... Du Strahl des einen, ersten Tages ...!
Die Arme auf! Das klang aus Reinem! Hast du's nicht gehört ...? Ein Osterruf! Du sollst im Feierkleid, im Kinderkleid mit Blumen gehen ... Komm!
Eine Wolke ...? Den Narren ansehend, plötzlich wie durchschauert. Ja ... eine Wolke. Zum erfahrenen Wächter. Dann sahst du ihn auf der Lanze näher kommen ...?
Ein Morgenleuchten ...Den Narren anfahrend. Was willst du sagen, Narr ...? Was lächelst du allwissender Schwächling?! Deine Augen sehen zu viel! Wärst du nicht ein Narr, ich müßte auch dir deinen Kreis begrenzen, wie denen unten im Turm. Tritt nach ihm. Du plappernder Feigling!
Doch er sah ihn niederfahren, den Stern ... und ... Sieht hinauf. Ich seh' Langsam, düster. keine Wolke ... und keinen Stern ... Plötzlich. Auf des Speeres Ende brannte er ...?
Schaff mir den Speer! Hörst du? Die Lanze des fremden Ritters! Den Speer, der den Stern getragen hat, ehe er kommt mit ihm ... Schaff' mir den Speer!
Dann ballt er beide Fäuste und schüttelt sie wütend nach oben. [237] Dann kriecht er langsam wie ein verwundeter Tiger die Stufen zum Thron empor. Dabei spricht er knirschend. Ich will dir des eigenen Speeres glühendes Eisen ins Auge brennen, du Sternenträger.
Ende? Was sollte es wohl für ein Ende geben, wenn uns die Fülle lacht? Du suchst nach Wolken, mein Kind ...
Ich weiß es nicht ... Wendet sich ihr zu, beinahe bittend. Marpalye, ich ließ dich rufen, dir einen Wunsch zu gewähren ...
Hab' ich nicht mehr? Ist Belian nicht der Herr aller flammenden Wünsche? Flackert die Gier nicht immer aufs neue nach allem, was mein ist, was ich errang? Nach Macht und Gold und nach dir, Marpalye, nach dir, nach deiner Lust?! Wieder ist einer herangeritten, die Sucht in unersättlichen Augen. Er soll mir nicht ohne Kampf von der Schwelle. Und diese Nacht ist, wie für jeden, eh' er das Messer warf, seine letzte im Licht. Du weißt, Marpalye, Kind, was dein Teil ist am Werk: Der schwüle Trank, den du zur Nacht ihm bietest. Drum wünsche den Lohn, sag' dein Begehren!
Ich seh' dich unruhvoll mit irren Blicken suchen und nach erträumten Gestalten tasten, die nirgends Wirklichkeit sind. Des Narren Lied, das Lied ohne Ende singt dir im Ohr. Doch Narren erdichten mehr, als die Erde zu geben hat. Hatte er Ziel und Kraft, was nahm er den Kampf nicht an, wie alle? Laß' dir, du Kind, doch nicht eines Narren Gedicht den Glanz der Erde verschatten. Sieh: Was mein ist, ist stark. Und alles ist dein zugleich. Die gaukelnden Narrenkönigreiche liegen in keinem Land und aller Lieder Ende ist, was du hier sehen und greifen kannst. Stark. Tod und Blindheit jedem, der daran rührt! Näher. Sei ihm der Rausch, Marpalye ...
Ein anderes ist nicht. Spare täubende Kräfte nicht, daß die Sinne ihm fließen, Blut seine Augen bedrängt, und die Pulse stoßen, hebt seine Rechte morgen den Dolch.
Willkommen, Fremdling. Belian und alle, die dienend ihn umgeben, grüßen dich und bieten dir sich selbst und alles, was du um dich siehst.
Erfüllung ihrer Fahrt ist diesen allen Belian. Sei du auch einer von den unsern. Jeder Weg von dieser Burg, wenn du selbst einen fändest, kann dich nur abwärts führen. Höher stieg noch keiner, als zu mir. Und trieb die Sucht wohl den und diesen, sich mir gleich zu heben, so bot ich ehrlich jedem Kampf.
Ich komme, du siehst es, unbewehrt und fordre nichts. Nur Gastrecht, Mensch dem Menschen, eine Nacht. Dann laß' mich ziehen. Auf Marpalye sehend. Weg ist alles.
Nein! So scheidet keiner, der in meine Grenzen den Fuß gesetzt. Wer mir nicht dienen mag, der herrsche über mich, oder er falle, versagen Hand und Auge ihm die Kraft. Ein Sklave scheinst du nicht. So ist der Kampf dein Teil. Nenn' deinen Preis.
Entscheide, Freund: Um Gold, um Herrlichkeit, um Weibes Süße kannst du die Schneide zücken. Auch um alles mit einem Wurf es wagen. Wenn ich dich beraten darf: Laß' ab. Es lohnt sich nicht zu kämpfen, wo man selbst als Sieger nur verlieren kann.
Was raunen sie dir zu, der weise Schwächling da, der Schwärmer dort, und hinter dir der väterliche Rabe? Nenn' deinen Preis, du Mann ...
Doch weiß nicht jeder, wieviel er hat. Um Gold und Macht und Lust rang ich mit Riesen, Drachen, bösen Alben im Anfang meiner Fahrt. Auf ihrer Höhe gilt Höherem mein Kampf. Nun hält dein Bann nicht nur, was dir bewußt und mich nicht müht: Dem Reinen, jenseits trüber Gier und Sucht, dem heilig Einen, dein, doch dir verhüllt, ihm heb' ich meine Waffe ...!
Ich hab' dein Wort. Der Morgen weckt uns zum Messerwurf. Steht auf; schnell zu Marpalye. Denk an den Trank ...! Zum erfahrenen Wächter. Es wird ein harter Kampf ... Schaff' mir den Speer ...!
Szene wie im vierten Bilde. – Nacht, Mondlicht, durchs Fenster hereinflutend, blinkt in der Spitze des Speeres, der dem Fenster gegenüber an der Wand lehnt.
Wie er in der Mitte steht, sieht er den Speer aufblinken, stößt einen leisen Ruf aus und geht, die Hände vorgestreckt, auf die Waffe zu. Blutes Glühen reißt mich zu dir, erlösend verwandtes, heiliges Licht! Berührt den Speer. Reines Gewalten, Bruder mir, aus allem Anfang einte uns Ewigkeit. Laß' mich an deinen starken Schaft mich binden, wie neues Grün sich rankt um der Eiche Stamm, flammend mich dein Zeichen entgegenfinden der Tat des einen, der beide uns führt. Du lichten Morgens befreiender Pfeil ...! Sturmfahne dem Werden ... Wie ich sein Teil ...!
Was Belian befahl. Ich wußte nicht, daß er auch dich gesandt. Es muß ihn mächtig plagen. Laß' es nur erst morgen sein. Dann ist der Spuk verflogen. Greift nach dem Speer. Komm' ...
Ist dir die Ehr' so hoch? Mir liegt nicht viel an solcher Tat, die Stehlen ähnlich ist, wie ich mir selbst. Trag' immer du das Ding zu Belian. Warst eher da.
Ei! Laß' sehen, Knabe ...! Lern' deinen Meister kennen ...! Morgen will ich dir die Rute geben, Fäntchen ... Entreißt ihm den Speer. So ...! Vorwärts und still jetzt!
Der Tollkopf ist betrunken! Oder steckt dir noch der Traum von heute nacht im Hirn? Ich will dir doch die Sterne aus dem Schädel schlagen. Da! Schlägt mit dem umgekehrten Speer nach ihm. Wie schmeckt der Stock, daran dein Herz sich fing und Sterne hangen bleiben? Hahaha ...! Jetzt geh'. Ich halte mich zu lange mit dir.
Laß' ... Es reicht kein Wort ... von dir ... zu mir ... Streckt die Hand gegen den Speer. Den Stern hat Blut verlöscht ... Weh dir ...! Bäumt sich mit letzter Kraft; stark. Fluch ihnen allen! Fluch ... die so wie du des Lichtes Waffen mörderisch geschändet ...! Bricht sterbend zusammen. Die Nacht ... zerfällt ... Das Neue ... Stirbt.
Wenn meine Wanderschaft nun hier ein Ziel aus Streit und Sieg und Neid gefunden hätte ... in enger, doch erfüllter Welt ...? O Freund, mein Blut, ich fühl' es, schwillt, ein Abendmeer, in breiten Wellen seinem Ufer zu.
Seit ich den Preis erschaut, verfielen Not und Weg. Was soll ein Kampf bedeuten, wo die Wahl geschah und Gott sich selbst bejahte? Dies erkennen ist schon dein Sieg. Und selbst ein Feind voll Haß kann reiner Kraft nur Weg zum Lichten sein.
Hier ... Nimm dein Schwert ... Solange die Sinne dir gehorchen, such' den Weg aus dieser Burg. Ich will dir Schild und Speer ... Sieht um sich. Wo ist dein Speer ...?
Ist es so gezielt, Herr Belian?! Dann lerne sehen, du blinder König über blinde Sklaven: Ein Arm, zu heiligem Kampfe frei erhoben, gilt mehr als tausend feile Söldnerspeere!
[245]Bist du von Sinnen? Nun erst glüht des Zornes Lust in mir! Nimm auch das Schwert, den Helm und Schild, den ganzen Sorgenkram, vor dem die Narren zittern, die nicht sehen, was einen Sieger macht! Reckt die Arme. Jetzt ist mir's frei und heiß wie vor dem ersten Drachen. Lachend. Geh', mein Rabe, geh' ... Ich furcht' den Teufel nicht, seit ich allein mir Waffe bin ...
Bist du aus Trug und Nacht ein Zeichen? Ein Traum aus des Tages Bild ...? Marpalye ... Königin ... Kind ...?
Innerlich widerstrebend, sagt sie in fremdem Ton. Trinke, Fremder, trink' den Becher süßer Lust ... Vergehen, Vergessen, Glut und Labe hält sein Gold. Nie ward dir ein Trunk, so voll, so schwer ... Trinke, Fremder, trinke ...
Gesehen, Kind ... Aus allem Licht erlauscht, das aus Heimatferne dich traf. Eines andern ist dein Wort, dir selber [246] feind ... Der Laut, der dein ist, hat sich dir nie entrungen, wenn er nicht klang, wie du leuchtest.
Wer heißt dich werben um mich und nach mir schlagen zugleich, du Feind ... Du Fremder ...? Ich weiß kein Wort als das eine: Nimm den Becher ... Trinke Lust ...
Kindersüße! Reine! Auferstandene! Schwesterchen aus allem Licht! Du Sternaugenprinzessin aus dem Märchenwald, Funkelkristall im neidischen Stein! Geht ein Lied von einem Stern. Mancher ihn leuchten sieht ... Nur der eine nicht, mit dem er zieht. Muß durch Wust und Feind wandern und wandern, bis sein Licht sich eint einem andern, dessen stiller Glast aus gleicher Heimat her zog durch Gier und Hast, einsam wie er. Wie viele von allen brennend in's Dunkel fallen, keiner ermessen mag ... Wenn aber zwei sich grüßen, dann ist es Tag! Dann brechen zwingende Mauern ein und begraben Götzen aus Gold und Stein. Wut und Lüge und Haß verweht ... Ein Kinderlied, ein Jubelgebet bannt Gift und Sucht aus allem Sein. Streckt seine Hand nach dem Becher aus. Gib mir den Becher ... Er ist rein in dieser Stunde.
Laß die Hand ...! Hebt den Becher, der im ersten Dämmern des Morgens aufblinkt, steht auf. Seinen falschen Glanz, seine blendende Schmach, halb wissend getragen, werf' ich der Nacht aus Blut und Gier jauchzend nach ...!
Sie müssen alle fallen ... Das schwärmende Gesindel ...! Nimmt eines der beiden Messer vom Kissen, wiegt es in der Hand. Diese Hand ist lange noch nicht lahm ... Legt das Messer wieder hin. Da. Plötzlich leicht beunruhigt. Marpalye sah ich noch nicht ...
Ein Narr bringt Glück ... Und Jugend doppelt Heil! Halblaut, schnell zu Marpalye. Trank er den Becher? Sie rührt sich nicht. Nein ...? Du gabst ihn nicht ...?
Der Speer ...! Gib ihn heraus, du feiger Dieb ...! Dringt wütend mit dem Schwert auf den Wächter ein. Krieger packen ihn und suchen den Rasenden festzuhalten. Laßt los, ihr Sklavenhunde! Verkaufte Krämer, goldberauschte, geile Verächter! Er stößt einige mit Fausthieben und Fußtritten nieder. Das für euch! Stürzt auf den erfahrenen Wächter los. Nun, Räuber, sprich dein Stoßgebet zum Teufel ...! Er zückt das Schwert gegen den Wächter, aber.
Ah ... Das traf im Rücken ...! Schmach der Hand, die so ... die Waffe führt ...! Dem Speer ... in ihrer Faust ... Der lichte Gott ... geschändet ... O, dürft' ich sterben auf der heiligen Erde, aus der er kam ... im Wald ... im reinen Norden.. Stirbt.
Knecht ...?! Zum Toten. Es fand nicht mehr dein Ohr, das Kerkerwort aus einer Sklavenwelt, dir unvertraut, die du mit einem Streich zerhauen wolltest. Hast du verzweifelt an der Tat, die auf sich wartet, bis der Mannheit sich're Kraft das jähe Schäumen ballt? Nur zögernd reift, was hart bestehen soll. Schlaf wohl, du Held, du Alter mit dem Sturm der Ungeduld im starken, jungen Herzen. Er erhebt sich aus seiner knienden Stellung und nimmt eines der beiden Messer vom Kissen. Deine Waffe, goldener Mörderkönig! Du hast sie selbst geschärft! Dein Gift in gleißender Schale, dein Raub, dein Dolch ... sie gaben den Zorn, der sie schwingt, den lachenden Zorn ...! Komm an!
Hart und fest zum Fremden. Du hast den ersten Wurf! Fehlt er, dann wähle zwischen meinem Dolch und meiner Herrschaft.
[250]Es wird rasch hell. Der blutrote Hintergrund ist verschwunden und man sieht das Szenenbild des Vorspieles, helle Sonne über dem Land. Der Turm rechts liegt in Trümmern, am neuen Hause links hinten arbeiten und singen die jungen Bauleute, wie im Vorspiel in fast zeitlosen Kostümen, an denen da und dort Volkstrachtelemente sichtbar sind. Der Fremde und Marpalye, einander umschlungen haltend, stehen vor der Landschaft.
Neuer Weg im alten Land ... Jeder Blick ein Sonnenstrahl ... Jeder Schritt ein Gebet ... Kinderhimmel ... Heimaterde ...!
Längst vergessene Blüte ... Verwehter Duft ... O, grüße mich wieder! Aus Stein und Erz lastender Finsternis ringt deine Hebe Seele, reiner Einfalt Spiegel, empor zum Licht.
Hat eine Mär sich zu uns getragen von einer Zwingfeste schwer aus fernen Tagen. Daß sie hier gestanden ... mag sein ... wo wir Gold und Eisen oft fanden im Stein. Singt in den rauhen Nächten der Sturm von Herren und Knechten im Turm, von süchtigen Blinden, berufen, doch nicht erlesen, den Tag zu finden ... Sind unsere Väter gewesen.
Müssen auch Mütter gewesen sein vor tausend Jahren in der Burg von Gold und Stein ... Wer weiß, wie sie waren ...
Mutter ist immer ein [253] Gleichnis aus Erde und Licht, bindet Welt und Welt über Pracht und Zerfall, urgründig vermählt dem Starken im All. Das Gleiche, befreit aus Ketten und Nacht, das reine Grüßen des ewigen »Ja!« haben wir ringend zu euch gebracht.Er steht mit Marpalye mitten unter den Bauleuten und nimmt einem den Hammer oder die Axt aus der Hand, die er hoch schwingt. Der Alp zerfloß ... Das Werk geschah ...!
Frisch dran! Es hat in die Spitze geschlagen ... Da unten steht noch alles fest ... Der Stein rückt weg, er dringt in den Turm. He ... du ...!
Seine Lippen lächeln. Eine Rose hält er in der Hand ... Sein letzter Traum mag schön gewesen sein ...