[323] [325]Friedrich Rudolph Ludwig Freiherr von Canitz
Trauer-Gedichte

[325] [327]Klag-Ode über den Tod seiner ersten Gemahlin

Soll ich meine Doris missen? 1
Hat sie mir der Tod entrissen?
Oder bringt die Phantasey
Mir vielleicht ein Schrecken bey?
Lebt sie? Nein, sie ist verschwunden;
Meine Doris deckt ein Grab.
Schneid, Verhängniß, meinen Stunden
Ungesäumt den Faden ab!
Solt ich dich noch überleben!
Der ich mehr, als mir, ergeben,
Die ich in mein Hertz gedrückt;
Dich, die du mich so beglückt,
Daß die Welt mit Kron und Reichen
Mich zu keinem Neid gebracht,
Weil ich sie, dir zu vergleichen,
Niemahls groß genug geacht?
[327]
Doris, kanst du mich betrüben!
Wo ist deine Treu geblieben,
Die an meiner Lust und Gram
Immer gleichen Antheil nahm?
Du eilst zur bestirnten Strassen,
Und hast nun zum ersten mahl
Mich und unsern Bund verlassen;
Deine Wonne schafft mir Qvaal!
Was für Wellen und für Flammen
Schlagen über mich zusammen!
Unaussprechlicher Verlust,
Wie beklemmst du meine Brust!
Und wie kömmts? da ich mich kräncke,
Werd ich gleichsam wie ergötzt,
Wenn ich nur an die gedencke,
Die mich in diß Leid gesetzt.
Möchte mir ein Lied gelingen,
Sie nach Würden zu besingen:
Doch ein untermengtes Ach
Macht mir Hand und Stimme schwach;
Worte werden mir zu Thränen,
Und so muß ich mir allein,
In dem allergrösten Sehnen,
Der betrübte Zeuge seyn.
Ihr, die ihr mit Schrifft und Tichten
Könnt die Sterblichkeit vernichten,
Singt die Angst, die mich verzehrt,
Und der Doris ihren Werth;
Daß man sie, nach langen Jahren,
Mag bedauren, und auch mich.
Doch ihr könnt die Arbeit spahren;
Wer kennt beydes so, wie ich?
[328]
Ihrer edlen Seelen Gaben
Hielt sie zwar nicht als vergraben;
Nein, sie waren Stadt und Land
Meistens, mir doch mehr, bekannt.
Manches Weib wird hoch gepriesen,
Das kaum so viel Tugend zehlt,
Als die Seligste von diesen
Aus Bescheidenheit verhöhlt.
Daß sie wohl mit Gott gestanden,
Sieht man, da sie von den Banden
Dieses Lebens wird befreyt;
Seht, wie sie der Tod bedräut,
Aber selbst beginnt zu zittern!
Denn sie zeigt ihm lächlend an,
Daß, der die Natur erschüttern,
Ihren Schlaff kaum hindern kan.
In dem eiteln Welt-Gedränge,
Ward von der verführten Menge,
Die man allenthalben spührt,
Doris dennoch nie verführt,
Niemahls hatte sie erkohren
Einen Gifft, der Zucker hieß;
Weil ihr etwas angebohren,
Das so fort die Probe wieß.
Doch, in Worten und in Wercken,
Ließ sie einen Umgang mercken,
Der nicht fremdes Thun verhönt,
Und das Seinige beschönt.
Was für kluge Tugend-Sätze
Macht indessen nicht ihr Mund,
Und für ungemeinte Schätze
Noch vielmehr ihr Wandel kund!
[329]
Gütig jederman begegnen,
Lieb und Wohlthat lassen regnen,
Das war ihre beste Kunst.
Auch der höchsten Häupter Gunst, 2
Und ihr innerstes Vertrauen,
Hat sie nie zum Stoltz bewegt.
Wir und das, worauf wir bauen,
Sprach sie, wird in Staub gelegt.
Durch verstelletes Beginnen
Fremden Beyfall zu gewinnen,
War ein zu verächtlich Spiel,
Das ihr niemahls wohlgefiel.
Und was war es ihr vonnöthen?
Ihre Stirn, die nie betrog,
Machte so den Neid erröthen,
Als sie Hertzen an sich zog.
Von der Anmuth ihrer Sitten
Fand ich mich schon längst bestritten;
Doch in unserm Ehestand
Ward ich hefftiger entbrannt:
Weil ich so ein Hertz erlesen,
Das, wenn Unglück auf uns stieß,
Eben ein so sanfftes Wesen,
Als im Glücke spüren ließ.
[330]
Bey der liebsten Kinder Leichen 3
Gab sie kein verzagtes Zeichen.
Hof und Hauß vergieng in Glut, 4
Aber nicht ihr Helden-Muth.
Regung, Sinn und Wunsch zu brechen
Nach des weisen Schöpffers Rath,
Und mir tröstlich zuzusprechen,
Das war alles, was sie that.
Mit was lieblichem Bezeigen
Gab sie sich mir gantz zu eigen!
Und wie sehr war sie bemüht,
Biß sie meine Neigung rieth.
Alles das hab ich verlohren!
Ach! wie werd ich Traurens-voll!
Hat mein Unstern sich verschworen,
Daß ich sterbend leben soll?
Selbst das Pfand von unserm Lieben,
Das von allen übrig blieben,
Wenn ichs in der Unschuld seh,
Machet mir ein neues Weh;
Weil sein aufgeweckt Geblüte,
Seiner Mutter frohen Geist,
Und sein unverfälscht Gemüthe,
Ihren wahren Abdruck weist.
[331]
Was mir ehmahls wohlgefallen,
Schmeckt itzund nach lauter Gallen,
Und mich beugt der kleinste Wind,
Weil er mich verlassen findt;
Mir erweckt das Schau-Gerüste
Grosser Höfe nur Verdruß,
Und mein Hauß scheint eine Wüste,
Weil ich Doris suchen muß.
Ich durchirre Land und Seen,
In den Thälern, auf den Höhen,
Wünsch ich, wider die Gewalt
Meines Schmertzens, Auffenthalt.
Berg und Thal, samt See und Ländern,
Können auch zwar mein Gesicht,
Aber nicht mein Leid verändern;
Denn ich finde Doris nicht.
Euch, ihr Zeiten, die verlauffen,
Könt ich euch mit Blut erkauffen,
Die ich offt, aus Unbedacht,
Ohne Doris zugebracht!
Sonne, schenck mir diese Blicke!
Komm, verdopple deinen Schritt!
Eilt ihr Zeiten, eilt zurücke,
Bringt mir aber Doris mit!
Aber nein: Eilt nicht zurücke!
Sonst entfernen eure Blicke
Mir den längst begehrten Tod,
Und benehmen nicht die Noth.
Doch, könt ihr mir Doris weisen?
Eilet fort! Nein, haltet still!
Ihr mögt warten. Ihr mögt reisen.
Ich weiß selbst nicht, was ich will.
[332]
Helffte meines matten Lebens,
Doris! ists denn gantz vergebens,
Daß ich kläglich um dich thu?
Kanst du noch in deiner Ruh,
Die getreuen Seuffzer hören?
Rührt dich meiner Schickung Grimm?
Ach so laß dein Schlummern stöhren!
Sieh dich einmahl nach mir üm!
Zeige dich mit den Geberden,
Die so manches mahl auf Erden
Mich von Sorgen loß gemacht.
Gib mir noch, zu guter Nacht,
Nur mit Wincken zu verstehen,
Daß du meinen Jammer kennst,
Wenns der Himmel so versehen,
Daß du dich auf ewig trennst.
Laß in der Gestalt dich schauen,
Wie dich in den sel'gen Auen
Eine Klarheit nun erleucht,
Der die Sonne selbst nicht gleicht.
Oder scheint der Engel Freude
Nicht durch grober Sinnen Flohr;
Wohl! so stell, in meinem Leyde,
Dich auf andre Weise vor.
Dürfft ich küssend dich umfassen,
So, wie ich dich sah erblassen,
Wie der werthen Augen Paar
Dir zuletzt gebrochen war,
Und der Angst-Schweiß deine Wangen
Als mit Perlen angefüllt!
Denn so wäre mein Verlangen,
Sollt ich meynen, schon gestillt.
[333]
Ja, ob gleich die Träume trügen,
So will ich mich doch vergnügen,
Wenn du in der stillen Rast
Meinen Wahn befriedigt hast.
Ist denn dieses auch verboten,
Ey! so steht die Hoffnung fest,
Daß der finstre Weg der Todten
Mich zu dir gelangen läßt.
Denn will ich, nach langem Schmachten,
Dich in Sions Burg betrachten.
Brich, erwünschter Tag, herein!
Und mein sterbliches Gebein
Soll, biß künfftig unsre Seelen
Wieder in die Cörper gehn,
Nechst bey dir, in einer Höhlen,
Die Verwesung überstehn.
Wie geschicht mir? Darff ich trauen?
O du angenehmes Grauen!
Hör ich meine Doris nicht?
Die mit holder Stimme spricht:
Nur drey Worte darff ich sagen:
Ich weiß, daß du traurig bist;
Folge mir! Vergiß dein Klagen,
Weil dich Doris nicht vergißt.

Fußnoten

1 Die erste Gemahlin des Herrn von Canitz hieß Dorothea Emerentia, und war eine gebohrne von Arnimb.

2 Churfürst Friedrich erwehlte sie einsmahls, aus eigener Bewegniß, um mit Sr. Durchl. Gemahlin nach Hanover auf den Carneval, als Ober-Hofmeisterin, zu reisen. Von beyden aber ward sie jederzeit eines gantz besondern Vertrauens gewürdiget.

3 Von sieben in ihrer Ehe erzeugten Kindern blieb ihr nicht mehr als ein einiger Sohn im Leben.

4 Sein schönes Land-Gut Blumberg, welches 1695. fast gantz in die Asche gelegt ward.

[334] Sinn-Gedicht

Nach eben derselben Absterben.


Ich sagte, da mein Hertz mit Schmertzen war erfüllt:
Ich bin, erbarm es Gott! des Hiobs Ebenbild.
Doch, dacht ich, Hiob darf sich mehr, als ich, betrüben;
Mir ist mein halbes Gut, ihm keines, übrig blieben. 1
Ja, aller Kinder Tod beweint der krancke Mann,
Da ich doch einen Sohn gesund noch küssen kan; 2
Und unser Unglück ist nur darinn zu vergleichen:
Daß er sein Weib behält, und meines muß erbleichen.

Fußnoten

1 Nemlich sein Blumberg, welches ihm kurtz zuvor, wiewohl nicht gantz und gar, abgebrannt war. Uber diß hatte er, nach dem Absterben seiner Gemahlin, durch Diebstahl grossen Schaden erlidten.

2 Friedrich Philipp, sein eintziger Sohn, welcher damahls erst neun Jahr alt gewesen.

[335] Letzte Pflicht der Freundschafft, dem sel. Grasen Theodor von Dohna, auf derjenigen Stelle abgestattet, wo derselbe, wenig Wochen zuvor, den tödtlichen Schuß empfangen hatte

Laß, mein beklemmtes Hertz, der Regung nur den Zügel,
Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel,
Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt.
Auf dieser Stelle sanck der tapfre Dohna nieder, 1
Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder,
Als ein verfluchtes Bley die theure Stirn verletzt,
Das, eh der Sonnen Rad den andern Morgen brachte,
Ihn leider! gar zu bald zu einer Leiche machte!
Ach! lebte Theodor, wie wolt ich mit Vergnügen
Das stoltze Buda sehn in seiner Asche liegen!
Ich wolte manchen Ort, der bey der späten Welt
Berühmt verbleiben wird, mit Fleiß und Lust bemercken;
Dort, wo der Feind versucht die Seinigen zu stärcken,
Doch wie ein schüchtern Wild in Tod und Stricke fällt;
Hier, wo die Unsrigen zuletzt die Stadt ersteigen,
Wenn er nur alles das mir selber könte zeigen.
[336]
Jetzund betrüben mich die umgewühlten Mauren;
Nicht den verdienten Lohn des Mein-Eyds zu bedauren,
Den sich der Himmel selbst zu straffen ausgerüst;
Es müsse ferner noch der Hund dem Adler weichen!
Man jauchtzt mit gutem Recht bey diesem Sieges-Zeichen;
Ich weine, weil es dem ein Sterb-Mahl worden ist,
Den ich so sehr geliebt; und kan nicht, ohne Grauen,
Bey diesem grossen Glück mein gröstes Unglück schauen.
Mich deucht, daß er mir noch vor dem Gesichte schwebet,
Und daß sein froher Geist den Cörper noch belebet, 2
Daß ihm die Redlichkeit noch aus den Augen sieht;
Ich stelle mir noch vor die angenehmen Stunden,
Die in vertrauter Lust uns manches mahl verschwunden;
Daß Anmuth und Verstand auf seinen Lippen blüht,
Daß er, noch wie vorhin, mit dem, was er beginnet,
Den Beyfall und die Gunst von jedermann gewinnet.
Wohin erst mancher kaum, nach langem Schweiß, gediehen,
Da war ihm alles schon in erster Milch verliehen,
Es schien, als hätt er sich auf anders nichts gelegt,
Als durch sein höflich-seyn den Hof allein zu zieren; 3
Doch wer ihn sah das Volck in Stahl und Flamme führen,
Wo donnerndes Metall die Erd und Lufft bewegt,
Und wo er noch die Lebens-Krafft verlohren,
Der meinte, daß er bloß zu Waffen sey gebohren.
[337]
Drum ließ der Brennen-Fürst, dem nur und Gott zu Ehren
Der Graf verblichen ist, so tieffe Seuffzer hören; 4
Er und sein gantzes Haus begriffen den Verlust,
Den sie hierdurch erlebt. Die hohen Anverwandten, 5
Erstaunten, und die ihn als ihren Freund erkannten,
Was ach! was fühlen die in ihrer treuen Brust!
Ja! die ihn nur gekannt, befeuchteten die Wangen,
Als wenn der Ihrigen selbst jemand abgegangen.
Verhängniß! stehet es allein in deinen Händen,
Den Zeiger auf die Zahl des Todes hinzuwenden?
Und schaffest du, was uns hier unten wiederfährt?
Wilst du denn nicht gerecht in deiner Satzung heissen?
Wie liessest du so bald den Held zu Boden schmeissen?
Er war, vor tausenden, ein graues Alter werth.
Wie bist du so erzürnt, und forderst von der Erden,
Daß dir das reineste soll aufgeopffert werden?
War die Vollkommenheit so gleichgesinnter Brüder, 6
Das Kunst-Stück der Natur, nur dir allein zuwider?
Wie? oder irr ich mich? schien dir es gar zu viel,
Der schon verderbten Zeit diß schöne Paar zu lassen? 7
So muste ja vorhin der tapffre Carl erblassen.
Ein wiederholtes Ach! dient dir zum Freuden-Spiel.
Du reißst die Wunden auf, uns schärffer zu betrüben,
Warum ist Theodor uns nicht zum Trost geblieben?
[338]
Doch halt! es möchte mich der Schmertz zu weit verleiten.
Vernunfft ist viel zu schwach, und pfleget bald zu gleiten,
Wenn sie durch kühnen Trieb die Wolcken übersteigt,
Und, nach dem falschen Maaß der irrigen Gedancken,
Den Höchsten meistern will; da in dem engen Schrancken,
Der uns beschlossen hält, sich manches Wunder zeigt,
Um dessen wahren Grund recht künstlich auszuspühren,
Wir Zeit, und offtermahls die Sinne selbst, verliehren.
Ich will vielmehr den Schluß, in stiller Furcht, verehren,
Der nicht zu ändern steht, und fasse diese Lehren:
Reißt hier ein Augenblick so grosses Hoffen ein,
Rafft Gott so zeitig weg die edelsten Gemüther,
So müssen dieser Welt so hochgeprießne Güter,
Und unser Thun, vor ihm, ein schlechtes Wesen seyn;
Ist auch der letzte Stoß unmüglich zu vermeiden,
Warum betraurt man die, die wohl und rühmlich scheiden?
Viel haben Tod und Schmach zu einer Zeit erlitten.
Viel hat Verzweifelung und Raserey bestritten.
Wie mancher giebt den Geist in schnöder Wollust auf?
Wie manchen, der sein Grab mit Lorbeern denckt zu krönen,
Muß was verächtliches im Sterben noch verhöhnen?
Hier brach nichts schändliches solch einen schönen Lauff.
So, wie ein Wandel-Stern in Diamanten-Funcken
Von unserm Scheitel weicht, ist Theodor gesuncken.
Die Grabschrifft hat er sich mit eignem Blut geschrieben,
Ein Werck das ewig währt! Er ist im Sturm geblieben, 8
Wo Gott mit Mahomet um eignen Ruhm gekämpfft;
Daselbst hat er gesiegt, im Beyseyn vieler Helden,
Die in der halben Welt den frühen Fall vermelden.
[339]
Der Neid beklaget selbst, daß ihn der Tod gedämpfft;
Der Neid, der insgemein den Stachel zu beblümen,
Die Tugend in dem Sarg am liebsten pflegt zu rühmen.
Genug, mein Freund, ich muß nunmehr von hinnen eilen;
Nimm an zu guter letzt, die schlechten Trauer-Zeilen,
Die wahrer Freundschafft Pflicht an diesem Ort entwarff: 9
Ich schwere bey dem Glantz, mit dem du bist umgeben,
Dein Angedencken soll in mir so lange leben,
Und gleichsam heilig seyn, biß daß ich folgen darff.
Ich setze diß hinzu: Seit dem du mich verlassen,
Hab ich nur halbe Müh, die Eitelkeit zu hassen.

Fußnoten

1 Dieses geschah in dem grossen Sturme vor Ofen den 17ten Julii 1686. nachdem sein Bruder Carl Emil, einige Tage zuvor, nemlich den 4ten selbigen Monats, auch im Sturme daselbst durch eine Kugel geblieben. Wovon Pufendorff im Leben Friedrich Wilhelms p. 19. §. 26. Der ältere war im August 1658. der jüngere, nemlich Theodor oder Dietrich, im Herbst-Monat 1659. gebohren. Sie hatten eine sehr glückliche Erziehung. Im Jahr 1674. waren sie in Franckfurt an der Oder, der Wissenschafften und der ritterlichen Leibes-Ubungen halber. Gleich nach ihren zurückgelegten Reisen durch Franckreich, Holland und Engelland, dienten Sie Sr. Churfürstl. Durchl. von Brandenburg wider Franckreich, im Elsaß, am Rheine; und wider Schweden, mit grossem Ruhme ihres Wohlverhaltens, in Pommern. Vor dem letzten Feld-Zuge, den Sie in Ungarn gethan, wagte sich der ältere in Pohlen, und der jüngere mit den Kayserlichen vor Neuheusel, als Freywillige. Ihr Herr Vater Christian Albrecht, Burggraf, und Graf zu Dohna, dessen Mutter-Schwester an den Printzen von Oranien vermählt war, hatte eine Gräfin von Brederode zur Gemahlin, war Stadthalter des Fürstenthums Halberstadt, und starb 1677. den 14. Dec. als Churbrandenburgischer General- Feldzeugmeister, währender Belagerung vor Stettin, da er sich einer gefährlichen Kranckheit halber, nach Cüstrin, woselbst er Gouverneur war, wollen bringen lassen.

2 Der Graf war, wie sein älterer Bruder, ein Meister in sinnreichen Schertz-Reden, und beyde sehr lebhafft und aufgeweckt vom Verstande.

3 Einer wie der andere von diesen Brüdern war eine besondre Zierde des Berlinischen Hofes: beyde waren würckliche Obersten in Brandenb. Diensten, der ältere über ein Regiment zu Fuß, der jüngere aber über ein Regiment Dragoner, und beyde hatten mit besonderer Hertzhafftigkeit ihre eigne Regimenter vor Ofen angeführet.

4 Als Se. Churfürstliche Durchl. Friedrich Wilhelm, der Grosse, Nachricht erhielten, daß der ältere Bruder schon tödtlich verwundet sey, der jüngere aber sich so sehr in die Gefahr wage, schickten sie einen eiligen Befehl ins Lager, den Grafen nach Hofe zurück zu beruffen. Aber er war, noch vor Ankunfft des reutenden Bothens, den Tag zuvor bereits todtlich verwundet worden.

5 Er ward um so viel mehr betrauret, weil seine gantze Linie mit ihm ausgegangen, und alle seine Brüder, deren sechs oder sieben gewesen, gewaltsamen Todes gestorben.

6 Beyde Brüder liebten sich so zärtlich, daß der jüngste, nach des ältern Absterben, sich fast nicht trösten können, sondern den Tod gleichsam gesucht.

7 Beyde waren unverheyrathet, und dabey zween so schöne junge wohlgemachte und in allen Stücken so vollkommene Helden, daß sie nicht weniger am Hofe, und bey dem schönen Geschlechte, als im Lager, die Hertzen zu besiegen wusten.

8 Er ist einer von den jungen Obersten gewesen, von welchen der Herr geheime Rath von Besser in einer Anmerckung über sein Gedicht, auf den gleichfalls vor Ofen gebliebenen tapffern Hertzog, Alexander von Curland, erzehlet, daß sie mit dem selben um den Vorzug des Augriffs beym Stürmen gestritten, und, als solchen der Printz behauptet, dem ungeacht, mit in den Sturm gegangen, und alle mit ihm erschossen worden; weßwegen er gedachten Hertzog in demselben Trauer-Gedichte also redend einführet:

Ich fiel, wie Dohna fiel, und tausend andre mehr,

So der berühmte Sturm vor Ofen aufgerieben.

wobey er, in der angefügten Grabschrifft, diesen Umstand sehr sinnreich anzuwenden gewust, daß der ältere Dohna zuerst, hernach der Hertzog von Curland, und endlich der jüngere Graf Dohna im Stürmen tödtlich verwundet worden. Es kamen damahls verschiedene Lateinische Uberschrifften auf den Tod dieser beyden Brüder zum Vorschein. Die beste darunter aber war von dem berühmten Friedrich Benedict Carpzov in Leipzig: wiewohl davon nur ein paar Stücke, wie sie nemlich auf das Grabmahl in Marmor gehauen werden sollen, gedruckt worden; allwo er auch folgendes lateinische Sinn-Gedicht beysetzen lassen:

Ne Fratres porro Decios jactate, Quirites,

Hæc aliquid Deciis marmora majus habent.

welches auf teutsch ungefehr also klingt:

Rühm deine Decier, Rom, ferner nicht so sehr!

Ein Paar in dieser Grufft verdienet noch weit mehr.

9 Der Herr von Canitz hatte sich von Wien, woselbst er damahlen als Chur-Brandenburgischer Gesandter lebte, anderer Verrichtung halber, nach Ofen verfügt, und, bey solcher Gelegenheit, dieses Trauer-Gedicht daselbst verfertiget.

[340] Klag-Rede über das frühzeitige Absterben der Durchlauchtigen Chur-Printzeßin zu Brandenburg, Frauen Elisabeth Henrietten, gebohrner Land-Gräfin zu Hessen 1

1683


Fursten, sterben zwar eben so, wie alle Menschen; doch haben sie, zu solcher Zeit, vor andern ein grosses voraus. Was Ihr Tod nach sich ziehet, giebet nicht nur eine Veränderung in einem Hause oder Geschlechte, sondern auch zugleich in unzehlich vielen Seelen.

Man weiß, daß offt, durch das Absterben eines eintzigen hohen Hauptes, die Welt in solche Unordnung gesetzet worden, daß aller Menschen Klugheit und Macht dieselbe kaum wieder zu rechte [341] bringen können. Es sind die Zeugnisse davon in mehr als einem Reiche und Lande mit Blut und Thränen angeschrieben: und, wann es ungewiß ist, ob Gott, ihren Fall vorher anzudeuten, Cometen am Himmel aufstecket; so ist doch dieses gewiß, daß von ihrem Fall offt ein grosser Theil des Erdbodens erschüttert wird.

Sonderlich aber, macht Ihr Todt die Gemüths-Bewegung bey vielen tausenden lebendig.

Der Untergang eines Tyrannen erwecket insgemein ein solches Frolocken bey allen; daß auch so gar ein sterbender Herodes sein Testament zu einem Blut-Urtheile machen müssen, damit, wo nicht sein Abschied, doch zum wenigsten das Andencken seiner Grausamkeit, 2 nasse Augen verursachen möge. Da ist nichts gemeiners, als daß man die Lob-Schrifften und Ehren-Pforten mit Füssen tritt, daran Heucheley oder Zwang gearbeitet haben.

Hingegen mercket man ein durchgehendes Leidwesen, wenn getreuen Unterthanen ihre Schutz-Götter entzogen werden: und in solchen Fällen beweinet man nicht nur Fürsten, die allbereit in der That den Cörper des gemeinen Wesens beseelet, oder Fürstinnen, die würcklich an der Wohlfarth des Landes mitgearbeitet haben; sondern, selbst der Verlust einer blühenden und heranwachsenden Hoffnung ist unerträglich. Denn die Tugend entgehet uns allemahl zur Unzeit: und weil gemeiniglich, auf einen schönen Morgen, ein schöner Mittag folget; so giebt es ein trauriges Ansehen, wann die Sonne verdunckelt wird, ehe sie kaum halb über unsern Gesichts-Kreiß gestiegen.

Wolte Gott! daß mir jetzund kein Beyspiel eines so schmertzlich-beklagten Todesfalls einfiele, oder nur ein solches, das uns weniger, als dieses gegenwärtige, angienge! Wolte Gott! die Hochseligste Chur-Printzeßin wäre unsterblich gewesen; oder, da Sie nicht[342] unsterblich war, daß erst unsere Nachkommen im dritten oder vierdten Gliede, Ihr diese betrübte Aufwartung leisten dürfften!

Grosse Donnerschläge machen grossen Schrecken. Hier ist die Traurigkeit allgemein, hier weinet niemand aus Gewonheit oder aus flüchtigem Mitleiden; dann ein jeder ist überzeuget, daß er Ursache dazu habe.

Wer kan mit gleichem und unbewegten Muthe ansehen, daß der Sohn unsers Großmächtigen Chur-Fürstens, der theure Chur-Printz, 3 der Trost so vieler Länder, vor Schmertzen ausser sich selbst gesetzet ist, weil ihm der allerempfindlichste Zufall, der Tod seiner unvergleichlichen Gemahlin, zugestossen? Wer kan, ohne Bestürtzung und Mitleiden, anhören, daß die Durchlauchtigsten Schwieger-Eltern einer so gehorsamen Tochter, und das Hochberühmte Chur-Hauß eines so unschätzbaren Kleinodes unverhofft entbehren müssen?

Es ist bekannt, daß Ihr Gemüthe ein Aufenthalt aller Fürstlichen Vollkommenheiten war, und also eines von denen Werckzeugen, deren sich der Himmel sehr offt bedienet, wann er ein gantzes Land beglückseligen will. Wer hat nun so wenig Nachdencken, daß er nicht urtheilen solte, wie viel Gutes mit Ihr, in einem Augenblicke, verschwunden sey?

Ihr Leben war wie ein Licht, in welchem kein irrdisches Auge was unreines fand. Ihren andächtigen Sinn kennete Gott am besten! Dem eröffnete Sie das innerste Ihrer Seelen. So viel erinnern wir uns, daß die Lehrer selbst sich über ihre Wissenschafft verwundert, und daß auch die Unsträfflichsten, durch ihren Wandel, noch mehr erbauet worden.

Ihre weltliche Gedancken, deren sie sich nicht entschlagen konte, weil Sie auf Erden etwas weniger als ein Engel war, giengen weder auf die Erfindung noch Ausübung der Eitelkeit. Sie betrachtete diese niemahls anders, als eine unangenehme See-Lufft, welche [343] man in währender Schiffart, und ehe man das Land erreichet, nicht verändern kan.

Ihre meisten Anschläge waren vielmehr, wie Sie ihrem werthesten Gemahl gefallen wolte: und sie war hierinnen so glücklich, daß das Gedächtniß Ihrer beyderseitigen liebreichen Verbindung, ob solche gleich an sich selbst nicht so dauerhafft als Stahl und Marmor seyn konte, doch würdig wäre, in Stahl und Marmor eingegraben zu werden.

Jene gekrönte Häupter, die durch Entdeckung der neuen Welt so viel Reichthümer erlangten, daß sie fast die alte hätten an sich kauffen können, zehlet man unter die glückseligsten Fürsten ihrer Zeit. Doch bin ich versichert, wäre es möglich, und unserm Durchl. Chur-Printzen vergönnet, eine neue Welt, oder Seine Hochseligste Gemahlin erwehlen, er würde jene, für diese, fahren lassen. Ja, wäre es möglich, ich glaube, Er verwandelte jene Fabel in eine wahrhafftige Geschicht, und versuchte die Gefahr, den Geist seiner zu früh verblichenen 4 Eurydice wieder zu holen.

Denn Sie war von einem Werthe, gegen welchen das Gold viel geringer, als der Staub gegen das Gold, zu achten. Sie hatte viele Tugenden, deren jede absonderlich einen Thron und Scepter verdiente. Sie besaß sein gantzes Hertz, und doch gab sie sich so viel Mühe, als wann Sie es erst gewinnen müste. Seine Gegenwart und seine Vergnügung brachten Ihr Freude; seine Abwesenheit und seine Sorgen, lauter Unlust. Sie lernete bald Seinen Wincken mit der That vorkommen, und Seine Gedancken errathen.

So eine holdselige Gemahlin, als Sie ihrem Herrn war, so eine sorgfältige Mutter würde Sie auch dem einigen hinterlassenen 5 [344] Pfande Ihrer gesegneten Liebe gewesen seyn; welches, in so weit, für glücklicher zu halten, weil es, bey so zarter Kindheit, die mütterlichen Küsse annoch leichter, als bey reifferem Alter, vergessen kan.

Hessen, welches das Glück gehabt, Sie in 6 Ihrer Wiege zu sehen, kan den aufrichtigen Gehorsam nicht genugsam rühmen, den Sie, von Anfang ihres Lebens, gegen Ihre nunmehr auch Hochseligste Frau Mutter 7 blicken lassen; und die Marck Brandenburg, welche das Unglück hat, Sie im Sarge zu erblicken, kan denjenigen Eyfer nicht gnugsam preisen, mit welchem Sie, biß zum Ende ihres Lebens, darinn fortgefahren. Dann, als Sie kaum an sich selbst mehr gedencken konte, und, so zu reden, schon an der Thüre des Paradieses stunde, sahe Sie sich noch einmahl um, von derjenigen Zeitung zu erfahren, gegen welche Sie allemahl eine so kindliche Liebe und Ehrfurcht bezeuget hatte. Das Hertz sagte ihr eine böse Post, die Ihr sonst niemand sagen wolte; und wie es bißher geschienen hatte, als stürbe die Mutter, an statt der Tochter, um, mit ihrem Opffer das unerbittliche Verhängniß zu versöhnen; so hatte es, nach diesem, das Ansehen, als wann die Tochter desto mehr zum Sterben eilete, um die freudige Zusammenkunfft ihrer beyden Seelen nicht länger zu verzögern.

So bald Sie eine Tochter in diesem Chur-Fürstlichen Hause ward, machte Sie unter denen Hohen Eltern, die ihr die Natur oder das Glück gegeben, gantz keinen Unterscheid. Ihre Bezeugungen gegen Dieselben waren voll Ehrerbietung und ungefärbter Liebe, welche mehr aus einer heiligen Begierde, der göttlichen Satzung zu folgen, [345] als aus irgend einem eigennützigen Absehen, herflossen. Sie ergötzte sich an dem Aufnehmen des gantzen Geschlechts, an welches Sie durch ein doppeltes Band der Freundschafft 8 war verknüpffet worden. Denen, die Ihr an Hoheit gleich kamen, begegnete Sie freundlich; auch dem geringsten gnädig: beyden aber ohne falsch.

So ein kostbares Gefäß, als Ihr Hertz, konte keinen Gifft leiden: so edle Zuneigungen als die Ihrigen hatten keine betrügliche Maske zur Verstellung vonnöthen. Sie war nicht sonder Eyfer; aber Sie eyferte nur wieder die Verachtung des Heiligthums. Sie war nicht ohne Haß; aber sie hassete nur die Schmeicheley und Verläumdung, die sich mit einer so grossen Fürstin, wie Sie war, niemahls dürffen gemein machen. Alles Ihr Vornehmen ward auf Gerechtigkeit gegründet, und mit Sanfftmuth ausgeführet. Durch Demuth bekam unsre hochseligste Printzeßin eine unbeschränkte Macht über die Hertzen. Sie wuste, daß durch dieselbe ein grosses Glück, ein grosser Verstand, eine grosse Tugend noch grösser wird; und daß eine Fürstin, durch die Demuth, die schönen Nahmen der Fro ien, der Leutseligen, und der Wollust des menschlichen Geschlechts, gewinne.

Wie ungern erinnere ich mich ihrer Todes-Stunde! 9 Ich dürffte fast sagen, man solte Sie unter die verworffenen Tage in den Jahr-Büchern ansetzen. Aber selbst dieses Bittere dienet zur Stärckung, und wir nehmen dadurch Anlaß, unsere Heldin in ihrer Standhafftigkeit anzuschauen. Dann Ihr Thun und Wesen hatte noch mehr Beständigkeit als Glantz an sich, wie jene Hertzogin von Savoyen über einen Diamant geschrieben. 10

Daß vielen das Sterben schwer ankommt, davon mag dieses wohl [346] eine Ursache seyn, weil sie gewiß wissen, daß sie, vor dem Tode, leben; aber noch ungewiß sind, ob, oder wie sie, nach dem Tode, leben werden.

Hier war eine viel bessere und eine gantz sichere Erkäntniß. Sie hatte sich schon die meiste Zeit des Lebens geübet, diesen eintzigen und gefährlichen Schritt, der das Gegenwärtige von dem Zukünfftigen unterscheidet, ohne Fehltritt, zu thun. Ihr Sinn ward allemahl, gleichsam durch ein Gewichte, zu dem Mittel-Puncte des Todes getragen, den alle Zirckel und Linien des menschlichen Lebens zu ihrem Zwecke haben. Daher fand Sie einen Zufall nicht gar zu fremd, zu welchem Sie sich vorlängst bereitet hatte.

Es ist zu vermuthen, der Schmertz müsse durchdringend gewesen seyn, daß Sie Ihren liebsten Gemahl 11 nicht noch einmahl sehen können, da sie verscheiden solte; weil es Ihr schmertzlich fiel, wann Sie Ihn nicht sehen konte, da Sie gesund war. Es ist zu vermuthen, daß die Vorsorge für Ihre unerzogene Printzeßin 12 Sie am längsten aufgehalten, sich von den Bekümmernissen dieser Welt gäntzlich abzusondern; doch ward Ihre Gedult, durch diese Proben, und Ihr Sieg, durch diesen Streit, nur herrlicher gemacht.

Hat Sie aber überwunden, so wird es uns übel anstehen, Ihren Triumph mit Seufftzen zu stöhren. Hält Sie den Verlust ihres Lebens für einen Gewinn, warum können wir nicht auch damit zu frieden seyn? Wohnet Sie unter den Lilien, warum verlangen wir Sie unter den Dorn-Hecken? So gar ungütig ist offt unsere Wehmuth! So gar eigennützig sind alle unsere Wünsche!

[347] Der Durchlauchtigste Chur-Printz, welchen dieser Schlag am ersten und hefftigsten getroffen, wird uns mit seiner Großmüthigkeit vorleuchten. Er wird nicht ungedultig seyn, daß Sie sterblich gewesen, denn sonst hätte Er Sie schon bey Ihrem Leben betrauren müssen. Er wird nicht ungedultig seyn, daß Sie Ihm abgestorben, denn Er ist viel zu vernünfftig, als daß Er dem Höchsten wiederstreben, und ihm, einer Wunde halben, den Dienst und Gehorsam aufkündigen solte.

Hat Er ein Theil seiner selbst verlohren, so ist das andere desto höher zu halten, und dieses gehöret Ihm nicht allein zu: das Vaterland hat auch sein Recht daran.

Damit aber sein schöner Denck-Spruch: Einem jeden das Seinige, hier in acht genommen werde, so gebe Er seinen Kummer der höchstseligen Gemahlin mit in Ihre Grufft! 13

Er behalte für sich ihren Abdruck in seiner Einbildung! Er stelle Sie sich aber vor, nicht in der Gestalt einer Sterbenden, oder einer Leiche, dann diese Abbildung ist nunmehr falsch.

Er stelle Sie sich vor in der Gestalt einer himmlischen Königin, die, wann es Ihr Zustand zuliesse, etwas zu beklagen, anders nichts beklagen würde, als daß Sie der Vergänglichkeit nicht eher gute Nacht gegeben.

Alsdann wird aus Seiner Zufriedenheit die unsrige, und aus seiner Ruhe unsere Wohlfart entspriessen.


[348]
So schliessen wir den Sarg der werthen Henrietten!
Es konten Ihren Leib nicht Stand noch Jugend retten,
Nur Ihrer Gottesfurcht und Tugend wich der Tod,
So, daß ihr bester Theil vom Sterben frey geblieben:
Durch jene lebt Ihr Geist, befreyt von aller Noth,
Durch diese bleibt Ihr Lob den Hertzen eingeschrieben.

Fußnoten

1 Diese Rede ist nicht in der ersten Ausgabe der sogenannten Neben-Stunden zu finden, sondern erst der dritten im Jahr 1703. wie hernach einigen folgenden, und aus solchen auch dem zweyten Theile der Reden grosser Herren eingerücket worden; biß der Herr von Canstein, ein Schwager des Herrn von Canitz, in der letzten Ausgabe im Jahr 1719. solche, samt dem Anhange, von den Canitzischen Gedichten wieder abgesondert, und in der Vorrede ausdrücklich gemeldet, daß er sie nicht für seines Schwagers Arbeit halte: vielleicht, weil er solche unter den ererbten Canitzischen Schrifften nicht gefunden. Nachdem ich auch in dem gedruckten Ehren-Gedächtniße dieser Chur-Printzeßin zwar einige Leichen-Predigten und Gedichte, darunter eines von Ihrem gewesenen Ober-Hofmeister, dem Herrn Eusebius von Brand, und das von dem Herrn von Besser, nicht aber diese Rede gefunden, auch in der Beschreibung ihrer öffentlichen Leichen-Bestattung nichts von einer dabey gehaltenen Stand-Rede gedacht worden; so würde ich solche bey nahe auch in gegenwärtiger Auflage weggelassen haben, falls nicht der Herr geheime Cammer-Rath von Weise, ein sehr vertrauter Freund, ehemahliger Reise-Gefährte und Hofmeister des Herrn von Canitz schrifftlich versichert hätte, daß diese Rede gewiß desselben Arbeit sey, die er auch selbst zu erst, nach des Herrn Verfassers Tode, dem Verleger zur dritten Auflage mitgetheilet habe. Welches allein genug gewesen wäre, allen Zweiffel zu heben, wann man auch gleich nachgehends nicht durch andere Versicherungen darinn wäre bestärcket worden.

2 Herodes, der Grosse, war so blutdürstig, daß er auch noch auf seinem Todt-Bette, krafft seines letzten Willens, den grausamen Befehl ertheilte, die edelsten und verdientesten Leute zusammen zu beruffen, und nach seinem Absterben hinzurichten; damit sich niemand über seinen Tod erfreuen, sondern vielmehr das gantze Jüdische Volck, bey seinem Ableben, Ursache zu trauren haben möchte. Wie solches Josephus im XIV. Buche seiner Jüdis. Alterth. im 6. Capitel sehr umständlich erzehlet.

3 Der damahlige Brandenburgische Chur-Printz, nach der Zeit König in Preussen, Friedrich der erste, welcher diese seine erste Gemahlin in ihrem 22sten Jahre verlohren. Er hatte schon 1676. auf seiner Rückreise von Cleve selbst zu Cassel die Anwerbung um sie gethan, und das Jawort erhalten; wegen des damahligen Krieges aber und der Feldzüge, die er allemahl selbst mit seinem Herrn Vater that, verzog sich die Heimführung und das Beylager biß 1679. da es zu Potsdam im Junio vollzogen ward.

4 Orpheus, ihr Ehgemahl, war so betrübt über derselben frühzeitigen Verlust, daß er sich in den Abgrund wagte, und durch sein klägliches Singen den Höllen-Gott dermassen bewegte, daß er ihm, dieselbe wieder mit sich zu nehmen, erlaubte.

5 War Printzeßin Louisa Dorothea Sophia, damahls noch nicht 3. Jahr alt, und diejenige, welche nachmahls an Se. ietztregierende Königl. Maj. in Schweden, als Erb-Printzen von Cassel im Jahr 1700. vermählet worden, aber fünff Jahr hernach, ohne Leibes-Erben verstorben; worüber damahls der Herr geheimde Rath von Besser die schöne Trost-Ode an ihren Herrn Vater, den damahligen König von Preussen geschrieben, welche am 165. Bl. seiner Gedichte zu finden.

6 Sie war 1661. gebohren, und Sr. Durchl. des noch ietztlebenden Herrn Landgrafens von Hessen-Cassel, wie auch der Frau Mutter Sr. Königlichen Majestät in Dännemarck Friedrich des vierten Schwester, und kaum 2. Jahr alt, als sie auch schon, in so zarter Kindheit, ihren Herrn Vater verlohren.

7 Ihre Frau Mutter, mit welcher sie Wilhelm der vierte, Landgraf von Hessen-Cassel erzeugt hatte, war ein Muster einer vollko ienen, Gottsfürchtigen und tugendsamen Fürstin uñ eine Tochter George Wilhelms, Churfürstens von Brandenburg. Sie starb 14. Tage vor dieser ihrer Tochter, nemlich den 13. Jun. 1683. als Wittwe, in ihrem sechzigsten Jahre, auf dem Schlosse Wilhelmsburg zu Schmalkalden.

8 Weil nemlich ihre Frau Mutter eine Printzeßin aus dem Chur-Hause Brandenburg gewesen.

9 Sie war eine Printzeßin von ausnehmender Frömmigkeit, Tugend und Leutseligkeit, besaß auch viele fremde Sprachen und andere Weltgeschicklichkeiten. Sie starb den 27. Junii, und ward von den zwo geschicktesten Federn des damahligen Berlinischen Hofes, nehmlich dem Herrn von Canitz in dieser ungebundenen, und von dem Herrn von Besser in einer gebundenen Rede beklagt, die in seinen Gedichten auf dem 158. Bl. zu lesen.

10 Diese Fürstin, Christina von Bourbon, eine Tochter König Heinrichs des Vierten in Franckreich, hatte zu ihrem Sinn-Bilde einen Demant erwehlt, mit der Uberschrifft: Più di sodezza, che di splendore.

11 Sie kam mit demselben von dem damahligen Chur-Printzl. Lust-Schlosse Köpenick, den 20. Junii zurück, wurde dieselbe Nacht kranck in Berlin, und als den dritten Tag die Blattern sich zeigten, ihr Gemahl aber dieselben noch nicht gehabt hatte; war sie die erste, und auch die eintzige, welche ihn, nach langer Verweigerung, dahin bereden können, daß er sich, von Ihr, wieder nach Köpenick begab, und sich also, bey ihrem Absterben, nicht zugegen befand.

12 Sie hatte schon, ehe sie unpaß ward, sich einige Zeit her, ihren nahen Tod vorgestellt, und als in ihrer Kranckheit, die Trauer-Post von ihrer Frau Mutter Absterben kam, sagte sie ohne Bestürtzung: Ich werde bald bey ihr seyn. Gesegnete auch, von Stund an, ihre eintzige hinterlassene junge Printzeßin, und empfahl solche, auf das nachdrücklichste der Liebe ihres Gemahls zu einer sorgfältigen Erziehung.

13 Zween Tage, nach ihrem Tode, den 29. Jun. ward die Seeligverstorbene, in aller Stille, durch die Chur-Fürstl. Gallerien getragen, und in der Dom-Kirche in der Chur-Fürstl. Capelle so lange beygesetzt, biß den 7. November die öffentliche Leich-Begängniß, mit grossem Gepränge, vor sich gieng, und man die Leiche in die Chur-Fürstl. Grufft einsenckte. Doch ward dabey weder diese, noch eine andere öffentliche Stand-Rede gehalten, ob gleich gegenwärtige vielleicht dazu bestimmt gewesen; wegen gewisser damahligen Umstände aber hernach zurück behalten, und dem Durchlauchtigen Wittwer, bey welchem der Verfasser schon zu der Zeit in besondern Gnaden stand, nur schrifftlich übergeben worden.


Notizen
Erstdruck in: Fr. R.L. von Canitz, Neben-Stunden unterschiedener Gedichte, Berlin (Joh. Michael Rudiger) 1700.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Trauer-Gedichte. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A4E-5