611. Doktor Faust in Auerbachs Keller

Da Doktor Faustus, den man als Verfasser des Höllenzwanges nennt, welches Buch so viel Unglück angerichtet, so viele Menschen um den Verstand und um ihr Seelenheil betrogen hat, zu Wittenberg war, hatte er gute Kundschaft mit adeligen Studenten, welche viel Geld aufgehen ließen, fuhr mit ihnen da- und dorthin, und so auch einstmals auf einem schnellen Wagen nach Leipzig, allwo gerade Messe war, und brauchten zu dieser Fahrt nur wenige Stunden. Andern Tages besahen sie die Stadt und ihr Meßgewühl und sahen da gegenüber ihrem Wirtshause einen Keller, aus welchem die Weinschröter, auch Weißkittel genannt, etwa ihrer vier oder fünf ein volles Achteimerfaß heraufzuschroten sich bemühten, selbiges aber nicht vermochten, sondern abließen, bis ihrer mehrere dazukommen und helfen würden. Da sprach Faustus fast höhnisch zu den Schrötern: Wie stellt ihr euch doch so täppisch zu dem Faß! Könnt es nicht zwingen und seid doch eurer so viel! Könnt' es doch wahrhaftig einer allein, wenn er Geschick hat! – Diese Schröter nun waren handfeste Gesellen, mit dem Maul so derb wie mit ihren Fäusten, die kannten Faustum nicht und blieben ihm auf seinen Hohn die Antwort nicht schuldig. – Was kümmert der Herr sich unsrer Arbeit? fragten sie. Ist der [409] Herr so überstudiert, daß er solches Faß heben und die Treppe allein hinaufbringen kann, ei so lasse er seine Kunst sehen, so schrote er es hinauf in aller Teufel Namen! – Indem Faustus also mit der Höflichkeit der Schröter bedient wurde, kam der Wirt vom Auerbachskeller, wo sich dies Abenteuer zutrug, vernahm des Scheltens Ursache und sprach im Unwillen: Seid ihr so starke Riesen, daß einer von euch sich vermißt, dieses Faß allein hinaufzubringen, der mag es tun! Wer es kann, dem soll es eigen sein! – Unterdessen waren noch mehrere Studenten hinzugekommen und stehengeblieben, und Faustus rief diese zu Zeugen von des Weinkellerwirtes Rede an, stieg hinab, setzte sich auf das Faß, gleich als auf einen Bock, und sagte: Marsch! – und ritt das Faß die Treppe herauf zu jedermanns Verwunderung. Am meisten verwunderte sich der Wirt und schrie: Das geht nicht natürlich zu! – half ihm aber nichts, und ging hernach um so natürlicher zu, als Faustus und die Studenten das Faß anstachen und davon zechten, solange noch ein Tropfen aus dem Zapfen rann.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 611. Doktor Faust in Auerbachs Keller. 611. Doktor Faust in Auerbachs Keller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2896-4