XLII. Freundestrost.

Die Reue hinkt an Krücken, und kann nicht eilig sein;
Voran eilt That gar flüchtig, doch Reu schleicht hinterdrein.
Es ist ein' alte Mutter von vielem Weinen blind,
Von ihrem Kind geleitet, und Bessrung heisst ihr Kind.
Und wo mit ihrem Kindlein die lahme Reue geht,
Und an die Pforten anklopft, da kommt sie meist zu spät,
Und öffnet wer aus Mitleid auch noch dem Mütterlein,
Das Kind – ist schwer zu pflegen, sie lassen's ungern ein.
Da sie denn beide wandeln am Bettelstab durchs Land,
Die Blinde treu geleitet von ihrer Tochter Hand.
Und wer sie sieht, die Arme, gehn mit der blassen Maid,
Der flüstert still und schaudernd: Dort wandeln Reu und Leid. –
Mit Blicken tiefen Grames sitzt Faustus kummervoll;
Nicht eine Zähre lindernd aus seinen Augen quoll.
Nicht eine Hoffnung lächelnd durchleuchtet sein Gehirn,
Den Wolkenflor der Trauer durchblitzt nicht ein Gestirn.
[169]
Nacht ist um ihn, recht schwarze, recht schauerliche Nacht,
Und in ihm Nacht so graunvoll, wie tief im Bergesschacht,
Wo durch die feuchten Klüfte der Schwaden bläulich zischt,
Und von dem dunstgen Gifte des Steigers Licht erlischt.
Es geht ein grauer Berggeist durch manchen dunkeln Stollen,
Oft hört man in den Teufen ihn donnerähnlich rollen.
Oft warnt er treu vor Unglück die Knappen dann, die Guten,
Oft züchtigt er die Bösen mit unsichtbaren Ruthen.
Der Berggeist heisst Gewissen, wohnt in des Busens Schacht;
O hätten wir nur immer des treuen Warners Acht!
Doch weil er oftmals still scheint, und weil er lange schont,
Schreckt uns nicht mehr sein Mahnen; wir werden sein gewohnt. –
Nicht Klagen mehr hat Faustus, nicht Worte mehr des Leides;
Ach, Wort und Klage trösten, sein Schmerz versagt ihm beides.
Im Marmorsarg des Busens versteinert liegt sein Schmerz;
Stumm sitzt er, stumm und reglos, gleich einem Bild aus Erz.
Und Wagner naht, und mit ihm ein alter treuer Mann,
Der einst für bessre Regung des Magus Sinn gewann.
Dess Herz für jedes Leiden mit sanfter Wärme schlug,
Der mitleidvolle Tröstung für ihn im Munde trug.
»Nicht also Faustus, also nicht gebt Euch hin dem Gram!
Die Himmelslieb' errettet oft Sünder wundersam.
Ob Ihr auch tief versunken im Lasterelendspfuhl,
Hat doch Erbarmung inne den Weltenrichterstuhl.«
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»Sie giesst des Zornes Schalen nicht flammend auf die Welt,
Sonst würden, ach, wir alle Verdammten zugesellt.
Ob noch so schrecklich lohe der Höllenflammen Gluth,
Sie löscht den Brand der Hölle mit der Erlösung Blut!«
»Und allen Sündern tönet ja die Verkündigung:
Auf wahre Reu und Busse wird Euch Entsündigung!
Die Reue lass Dein Schwert sein das gen den Feind Du kehrst,
Mit dem Du seinen Angriff, den heftgen, von Dir wehrst!«
›Er hört Euch nicht!‹ spricht Wagner: »Fruchtlos bleibt Freundesmühn,
Aus seinem dumpfen Brüten den Geist emporzuziehn.
Er will nicht Tröstung, sucht nicht an Freundesbrust sein Heil;
Zu tief in seinem Busen sitzt der Verzweiflung Pfeil.«
Wohl gar ein köstlich Ding ists um Freudestrost im Harm;
Freundschaft küsst den Erstarrten an ihrem Busen warm.
Freundschaft träuft milden Balsam in manche wunde Brust,
Freundschaft scheut selbst nicht Opfer, bringt jedes dar mit Lust.
Wohl dem, den Freundesliebe in ihren Armen hält,
Ihn stützet, wenn er strauchelt, ihm aufhilft, wenn er fällt,
Ihn warnet, wenn er abirrt vom Pfad, der sicher führt,
Der Freundesstimme gern hört, gern Freundesrath erkürt.
Ein lautres Gold ist Freundschaft, ein seltner Edelstein;
Zwei Muschelschalen schliessen die Wunderperle ein;
Die Schalen sind zwei Herzen, die fest zusammen halten;
Wer ihren Hort will rauben, muss erst die Herzen spalten.
[171]
Das ist der Armen Aermster, der nimmer Freundschaft fand;
Denn Freundschaft ist dem Guten ein theures Heimathland.
Beweint den Heimathlosen, er irrt auf fremder Flur;
Uns reicht die schönsten Rosen Freundschaft und Heimath nur.
Freundschaft ist allen Reinen ein heiligreiner Geist;
Und der ist zu beweinen, der Freundschaft von sich weist.
Faust weist den Engel von sich, der liebreich vor ihn trat,
Der mit der Trostesfackel sich seiner Nacht genaht.
»Hinweg mit Euerm Wortkram! Mich – sühnet keine Welt!
Der wird nicht mehr erhoben, der so wie Faustus fällt!
Hinweg mit Buss' und Reue! – Ich kann nicht mehr bereu'n,
Die Reue hinkt an Krücken, die holt mich nimmer ein.« –
[172]

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Lyrik. Faustus. Ein Gedicht. 42. Freundestrost. 42. Freundestrost. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-26BA-8