468. Der Wangenbiß

Albrecht, Heinrich des Erlauchten Sohn, nahm zur Gemahlin Margarethen, Kaiser Friedrichs II. Tochter. Da hallte nach langem lauten Lärm des Krieges die Wartburg von Freudenfesten wider. Es hatte aber die junge Landgräfin, die ihrem Gemahl mehrere Söhne schenkte, ihr Unglück selbst mit in das Haus gebracht in einem schönen Hoffräulein, das gefiel dem Mark-und Landgrafen nur allzuwohl und immer mehr, bis beide auf tückischen Verrat sannen, Margarethen aus dem Wege zu räumen. Der Knecht, welcher mit dem Wartburgesel täglich aus der Stadt mancherlei Bedarf heraufholte, ward heimlich gedungen, als ein Teufelsgespenst zur Nacht in das Gemach der Landgräfin zu treten und ihr das Genick zu brechen. Auch mußte er schwören, niemanden den Anschlag zu verraten. Aber diesem Knecht schlug das Gewissen, und traute sich nicht der ungeheuern ruchlosen Tat, eine unschuldige wehrlose Frau, die er nie anders als gütig gesehen, und die selbst ihn, den geringsten der Knechte auf dem Hofe, freundlich gegrüßt hatte, im Schlafe hinzumorden, zögerte daher und bedachte sich lange. Das merkte der Landgraf und fragte ihn eines Abends verblümt, aber streng: Hast du die Ernte geworben, die ich dir befohlen habe? – Des erschrak der Knecht und antwortete: Herr, ich will sie werben! – und dachte bei sich: Nun muß es geschehen – wie Gott will! – Und da es tiefe Nacht war, trat er in das Schlafgemach der Landgräfin, die ganz allein schlief, kniete an ihr Bette hin und rief: Gnädige Frau! Gnadet mir des Leibes! – Erschrocken fuhr Margaretha vom Schlummer auf und fragte: Wer ist da? Wer bist du? – Und da sagte der Knecht ihr alles an, daß sie auf das heftigste erschrak, doch sprach sie gefaßt: Rufe mir eilend den Haushofmeister, den Schenken Rudolf von Vargula! – Solches tat der Knecht, und Margaretha sprang vom Lager und kleidete sich eilend an. Und da der Schenk kam, fragte sie ihn heftig weinend um Rat. Den gab er ihr in Kürze. Sie solle an Gut und Geld einpacken, was tragbar sei. Dann wurden in aller Stille ihre Haushofmeisterin und eine ihrer Jungfrauen geweckt, die mußten eilend Bettgewand und Leinlaken in lange Streifen schneiden und aneinanderbinden, und Margarethe ging in Begleitung des Schenken auf das gemalte Haus bei dem Turme, wo ihre Söhne Friedrich und Diezmann schliefen, und fiel auf ihr Bette, und küßte sie unter heißen Tränen, und biß vor Liebe und grausamem Schmerz den ältesten, Friedrich, in die Wange, daß sie blutete, und fiel auf den zweiten, und wollte ihm auch also tun, doch der Schenk wehrte es ihr, und sie sprach unter strömenden Tränen: Ich will sie zeichnen, daß sie an dieses Scheiden gedenken, solange sie leben. – Nahm also den herzlichsten und schmerzlichsten Abschied von ihren Söhnen, davon Friedrich drei Jahre und Diezmann anderthalb Jahre alt war, und ward dann samt dem Knecht und den beiden Frauen von dem Gange am heutigen Ritterhause, das ist in der Vorderburg, wo des Kommandanten Wohnung ist, aus einem Fenster in dunkler Nacht die hohe steile Mauer hinabgelassen, und mußten den schroffen Felsenberg hinabklimmen und entwandern. Da gingen sie durch die Nacht und den grauenden Morgen südwestwärts durch die weiten Wälder, bis auf die Burg Krainberg bei Salzungen, die gehörte auch den Herren von Frankenstein, war aber jetzt halb dem Abte von Hersfeld, und dessen Burgmann nahm sie gastlich auf und ließ sie dann gen Fulda geleiten zu dem Abt; der empfing als der Kaiserin Erzkanzellar die Tochter seines Kaisers mit allen Ehren und geleitete sie gen Frankfurt in ein Frauenkloster, darin sie schon im nächsten Jahre vor Kummer und Herzeleid starb.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 468. Der Wangenbiß. 468. Der Wangenbiß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2697-3