XXII. Reue.

Es schleicht sich leisen Trittes die Reu zu Faustus hin,
Ihm naht mit dunklem Schleier die strenge Zauberin.
Sie windet schwarze Binden ums Haupt ihm unsichtbar,
Sie reicht ihm ihren Becher voll Kummerwermuth dar.
Einsam im weiten Zimmer geht er nun wild umher,
Auf seines Glückes Trümmer tiefseufzend blicket er,
Auf sein vergangnes Leben, das ihm so nichtig dünkt,
Und in die Nacht der Zukunft, die graunhaft drohend winkt.
»Fluch mir, und tausendfachen vernichtend ew'gen Fluch!
O dass kein Blitz des Himmels mich im Mutterleib erschlug!
O dass kein jäher Abgrund mich tief hinunter schlang,
Bevor ich hingewandelt solch gottverfluchten Gang!«
»Was hab' ich hingeopfert! Mein Selbst, der Sehnsucht Lust!
Das stille Glück der Hoffnung, den Himmel in der Brust!
Den Frieden meines Herzens, des Wissens ernstes Gut,
Die Freude, selbst zu finden, was unenthüllt geruht!«
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»Und ob ein flammend Sehnen mich aus den Schranken zog,
Ob meine Lust zur Qual ward, mich manche Hoffnung trog,
Ich war im Leid noch glücklich, ich war noch reich im Schmerz,
Noch drückte keine Blutschuld, kein Meuchelmord diess Herz!«
»An Deinem Mutterbusen lag ich, ein weinend Kind,
Natur! o jene Zeiten, dass sie vorüber sind!
Fluch sei dem Tag, an dem ich mich Deinem Pfad entfernt,
Und lieben, glauben, hoffen, und froh zu sein, verlernt!«
»Fluch sei dem Drang, den Hoffarth mir in die Brust gehaucht!
Fluch sei der Macht, zum Spielzeug für eitle Lust gebraucht!
Fluch, millionenfachen, dem, der die Formeln schrieb,
Mit denen ich Dämonen beschwur, und Gott vertrieb!«
»Und Fluch mir selbst, wenn förder mich gleicher Wahn bethört!
Wenn mein unreiner Wille das kleinste Glück zerstört!
O könnt' ich den erwecken, den meine Rache traf,
Könnt' ich statt seiner eingehn zum ew'gen Todesschlaf!«
»O gäb' es eine Sühne für das, was ich vollbracht!
Und fänd' ich noch Vergebung bei dem, der droben wacht!
Und wüsst' ich einen Ablass, verdient durch meine Reu,
Abliess ich von der Hölle, blieb stets dem Himmel treu!«
So klagt von Schmerz gefoltert Faustus am trübsten Tag,
Da prasselt durch sein Zimmer rollend ein Donnerschlag.
Von rother Gluthenlohe, die rings der Wand entquoll,
Von Schauer und Entsetzen der Hölle wird es voll.
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Und jenes Riesenantlitz, das flammend einst erschien,
Erscheint ihm heute wieder, und redet gegen ihn:
»So hältst Du Dein Versprechen, Wurm, den mein Hauch zerstört!!«
Ihm drohn die Kniee zu brechen, als er die Stimme hört.
»Du hast Dich uns verbunden, Thor, der sich selbst verflucht!
Du schlugst an unsre Pforten, Du hast uns aufgesucht!
Du hast Dich uns verschworen, erst kühn, und winselnd nun,
Und nennst Du Dich verloren, bist Du's durch eignes Thun!«
»Wir dienten Deinen Fragen, gehorchten Deinem Wort!
Wir haben Dich getragen, geführt vom Ort zum Ort.
Wir Deinen Sinn erfreuten, wir schufen Deinen Ruhm,
Und Du, für alle Zeiten, bist unser Eigenthum!!« –
Das Flammenantlitz schwindet, Nacht wird's vor Faustus Blick:
»Weh, weh mir, ewig wehe! so reisst es mich zurück!
Fahr' wohl, Du Hoffnungsschimmer, der trüglich mir gelacht!
Fahr' wohl, mein Glück, auf immer! Lusttraumbild, gute Nacht!«
»Und wollt Ihr fest mich halten an des Versprechens Band,
Dämonische Gewalten, und gilt kein Widerstand,
So will ich Euch, ihr Knechte, verderbenfrohe Schaar,
Solch zorngewaltger Herr sein, wie's Euch noch Keiner war!«
»Ha des hohnwerthen Thoren, der an Vergebung glaubt!
Der meint, der Himmel rette sein nachtgeweihtes Haupt!
Wahnsinn ist Buss' und Sühnung, und Einfalt ist die Reu'!
Ablass ist Pfaffentrugbild und Bessrung Narrethei!«
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»Nun will ich nicht den Himmel, der machtlos mich verliess!
Nun glaub' ich keinen Gott mehr, seit er mich von sich stiess!
Er will, dass wer ihn glaube, dem auch geholfen wird,
Ich glaubt' ihn, glaubt' ihn hülfreich, wie hab' ich mich geirrt!«
»Nun will ich Teufel werben, und stehen meinen Mann!
Will Seelen nun verderben, so viel ich immer kann!
Das Gute frech vernichten, des Unheils Saaten sä'n,
Gott und dem Himmel fluchend frohlockend untergehn!«
So wüthet Faust im Zimmer, des wilden Wahnsinns Raub!
Schlägt sein Geräth in Trümmer, und ist für Tröstung taub.
Ob Wagners Freundesreden zu sänft'gen ihn bemüht,
Sein Denken irrt in Oeden, die nie ein Strahl durchglüht.
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Lyrik. Faustus. Ein Gedicht. 22. Reue. 22. Reue. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-253C-C