XXI. Der Warner.

Es tönt von heilger Freundschaft die Sage wundervoll,
Von Freundschaft, die treusorgsam und rettend walten soll.
Es giebt ein schönes Sprüchwort; Heil, dem man's sagen kann:
»Du bist der treue Eckart, Du warnest Jedermann!«
Der treue Eckart folgte dem Herrn in Lust und Pein,
Er ging mit dem Tanhäuser zum Venusberg hinein.
Der treue Eckart sitzt noch am Zauberbergesschacht,
Und warnet wer hinein will, und hält gar ernste Wacht.
Der treue Eckart wandelt dem wilden Heer voran,
Das über Wälder hinbraust auf luftger Wolkenbahn.
Wer immer mag im Weg sein, wo's Heer vorüberwogt,
Zur Seite treten heisst ihn warnend der treue Vogt.
Zu Faustus, der verdüstert, die Stirne faltenkraus,
Der Mordthat nachsinnt, schreitet ein fremder Mann ins Hans.
Ein Greis, am Stabe schleichend, umlockt vom Silberhaar,
Und glaubhaft will uns dünken, dass er der Eckart war.
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»O Faustus, Hochgelahrter, erlaubt ein ernstes Wort,
Auf unheilvollem Pfade hineilt Ihr fort und fort.
Ein Wandrer, dem in Wüsten des Trostes Quell versiegt,
Ein Pilger, der gefesselt im Sünden-Kerker liegt.«
»Blickt nicht auf mich so zürnend, der solche Rede wagt!
Ich bin kein strenger Mahner, der Euch bei Gott verklagt,
Ich bin ein Mann des Friedens, der freundlich Euch erscheint,
Der Eure Kraft betrauert, und Euern Fall beweint.«
»O Faustus, nicht so finster rollt Euer Aug' nach mir!
Denkt, Eures Vaters Schatten der stände trauernd hier.
Denkt, Eurer Mutter Stimme sie töne niederwärts
Vom Himmel, und sie schmeichle sich zärtlich Euch ins Herz!«
»Denkt, Tiefgesunkner, Armer, ach, so beklagenswerth,
Es wäre der Erbarmer beim Sünder eingekehrt,
Und woll' Euch liebend heben aus der Versunkenheit,
Und woll' Euch Gnade geben, sofern Ihr nur bereut!«
»Und wär' es so, mein Faustus, und käm' Euch solches Glück,
Nicht wahr, Ihr kehrtet wieder zum rechten Pfad zurück?
Ihr liesset ab vom Bösen, vom Zauberwerk und Trug?
Liesst von den Höllengeistern – und diesen ihren Fluch?«
»O Faustus, dem als Jüngling ein Gott das Herz durchflammt,
Ihr habt in Euch ertödtet, was doch vom Himmel stammt!
Den Engel weggetrieben, der treulich Euch geführt,
Und denen Euch verschrieben, die nie ein Jammer rührt!«
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»Was Ihr so heiss ersehntet: Wahrheit und Wissenschaft,
Die konntet Ihr erwerben durch Fleiss und ernste Kraft.
Ihr hättet hellen Blickes der Wahrheit Reich durchschaut,
Jetzt blendet Euch mit Arglist die Macht, der Ihr vertraut.«
»Eu'r Name wäre ruhmvoll genannt von Land zu Land,
Rein wäre, frei von Blutschuld, geblieben Eure Hand.
Nie hätten Neid und Rachsucht das edle Herz befleckt,
Nie hättet Eure Hand Ihr zur Mordthat ausgestreckt.«
»Der Gaukler liegt erschlagen, weil Euch sein Thun misshagt;
Noch Viele werden wagen, was Jener hat gewagt.
Sie nehmen Euern Namen hin als willkommnen Raub,
Und was Ihr gross geträumet, ziehn sie tief in den Staub.«
»Kehrt um, o Faustus! Macht Euch der Höllenbande los!
Dem reuigen Sünder öffnet die Kirche mild den Schooss;
Des Sünders Rückkehr feiern dort Engel um Gottes Thron,
Für reuige Sünder starb einst am Kreuz der Menschensohn!«
»Und reu'n Euch Eure Sünden, seid Ihr der Frevel satt,
So darf ich Gnade künden, ein Priester, an Gottes Statt.
Die blutgen Stellen werden in Eurem Schuldbuch leer;
Ihr wandelt rein vor Gott hin, und sündigt nun nicht mehr!«
Er hört des Greises Rede; der längst entwohnte Klang
Solch treuer Warnungsstimme sein Innres tief durchdrang.
Ihm ist, als ob der Friede, der einst in ihm gelebt,
Aus tiefem Schlummer wieder sein Engelantlitz hebt.
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Versunkne Lenze tauchen aus der Zeiten Meer heraus;
Verstreute Blüthen einen sich ihm zum vollen Strauss.
Vergessne Lieder klingen melodisch in sein Herz;
Erneute Hoffnungsschwingen, ach, tragen's himmelwärts.
»O Traum von bessrer Zukunft, Dein Nahen fass' ich kaum!«
›Wenn Du bereuest, Faustus, dann siehst Du mehr, als Traum!‹
»O nenne mir die Quelle, aus der Vergebung fliesst!«
›Der Urborn ew'ger Gnade sich in die Herzen giesst.‹
»Dank, Dank Dir, treuer Warner, wer Du auch immer bist,
Der mir ein Stern des Trostes in Nacht erschienen ist.
Der mit Prophetenstimme mein starres Herz gerührt,
Der auf die Bahn der Reinen mich liebreich wieder führt!«
›Heil mir, wenn ich erweckte, was schon erstorben lag!
Heil Dir, wenn Deinem Innern aufglüht ein neuer Tag!
Gedenke mein – ich scheide froh mit erfüllter Pflicht,
Und willst Du Gott versöhnen, vergiss die Deine nicht!‹
Er geht, an seiner Stelle Mephisto schleicht herbei,
Und führt in Faustus Zelle schwarz die Melancholei.
Mephisto sieht dem Greis nach, und lacht so laut er kann:
»Du bist der treue Eckart, Du warnest Jedermann!«
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Lyrik. Faustus. Ein Gedicht. 21. Der Warner. 21. Der Warner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2461-B