292. Der goldene Kegel

Bei Ärzen, zwischen Pyrmont und Hameln, liegt der Lüningsberg, auf dem haben über einen schönen grünen Rasen weiße Geister zur Nachtzeit mit goldenen Kugeln nach goldenen Kegeln geschoben. Das ist ein Rollen und Klingen gewesen, daß bisweilen die Vögel vom Schlummer erwachten und des Waldes Tiere gekommen sind und haben neugiervoll unter den Büschen hervorgelugt; die Menschen aber haben sich nicht herzugewagt, denn jedem, der dies hätte versuchen mögen, wandelte ein geheimes Grauen an. Ein kecker Webergeselle faßte sich aber endlich doch ein Herz, er meinte, solch ein goldener Kegel sei mehr wert wie ein hölzerner Webstuhl, und wollte sein Glück einmal mit den Geistern versuchen. In einer lauen Sommernacht erstieg er den Lüningsberg, trat in den Wald, kam an den Geisterrasen, sah des Berges kleine weiße Geister, wie sie eifrig Kegel schoben und keinen Kegeljungen dazu brauchten, denn die Kugeln rollten von selbst zurück, und die Kegel stellten sich von selbst wieder auf. Pfeilschnell und klingend rollten die Kugeln, mit tönendem Hall sanken die Kegel um, und die Tiere lauschten, und die Vöglein huschten im Gezweig. Hui, flog ein Kegel um, der rollte rasch zu dem Weberburschen hin, der ängstlich und bebend im Gebüsche lag, er hatte ihn in der Hand, wußte selbst nicht wie, und nun auf und davon. Alsbald, wie die Geister den Verlust ihres Kegels erblicken, setzen sie hinter dem Räuber her, der läuft schon über die Wiese am Bergesfuß, da fließt die Humme, und ein Baumstamm liegt über ihr als Brücke von einem Ufer zum andern. Wie der Webergeselle den morschen Stamm betritt, merkt er die Geister dicht hinter sich, verfehlt den rechten Tritt, springt in den Bach hinab. Da rufen Stimmen: Das war dein Glück! Im Wasser haben wir keine Macht! Hätten wir zu Lande dich erreicht, so hätten wir dir den Hals umgedreht! und schweben von dannen – der Bursche aber hielt den Kegel fest, kam glücklich heim, baute vom Golde des Kegels ein Haus, freite sein Mädchen und wurde glücklich. Noch zeigt man am Mühlbach das Haus, eine große Linde steht davor, noch zeigt man auch am Lüningsberge die Geisterkegelbahn, aber die Geister kegelten seitdem nicht mehr, da der neunte Kegel ihnen geraubt wurde.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 292. Der goldene Kegel. 292. Der goldene Kegel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2266-4