70. Der Teufelsweg auf Falkenstein

Auf der Höhe, vier Stunden von Frankfurt a.M., erhebt sich auf fast unzugänglichem Fels die Burgtrümmer Falkenstein, die Wiege eines im Taunus und der Wetterau gar mächtigen Geschlechts, von dessen Sprossen einige sogar Erzbischöfe von Trier wurden.

Ein Ritter von Sayn minnte die Tochter eines Falkensteiners, aber der Vater war ihm abhold und wies des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab: Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegespons geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst. Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gang-und reitbaren Wege um – das ist mein Beding und mein Bescheid! – Unmögliches war begehrt, und hätten tausend und aber tausend Hände sich zugleich zerarbeitet an dem harten Felsgestein, es wäre nicht möglich gewesen, in solch kurzer Frist das Werk zu vollenden. Traurig zog der Ritter von Sayn, Kuno geheißen, von dannen, zog nach dem Heiligen Lande, focht tapfer in vielen Sarazenenschlachten, suchte den Tod, fand ihn nicht, blieb stets eingedenk seiner Minne und kehrte endlich in die Heimat zurück. Mit schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten Falkenstein, hätte gerne Kunde gehabt von seiner Geliebten – und starrte trübe die Felsen an, die mit ihrer Härte sein Geschick versinnbildeten. Hier hilft keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese Felsen zum Wege bahnen! seufzte der Ritter. Horch – da war es ihm, als höre er seinen Namen rufen – und wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner Kutte, eisgrau und mit verschrumpfeltem Gesicht, aus einer Felskluft herauf und redet ihn mit sondrer Stimme an: Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst unsre Ruhe? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt sehn? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein, die droben noch einsam um dich trauert, nach dir sich sehnt, dein nennen? Dann gelobe nur eins und schwöre, es zu halten. –

Dem Ritter war es seltsam zumute [63] bei dieser Erscheinung und Rede, und dachte, es möcht' etwa eine Versuchung des bösen Feindes, und was er geloben solle, möchte etwa seine Seele sein. Er fragte daher nicht ohne Zagen: Was ist dein Begehr? – Da sprach das Erdmännchen: Versprich mir auf dein ritterlich Wort, daß du morgendes Tages alle deine Gruben, Schachte und Stollen willst zuschütten lassen, die wir ohnedies, so wir wollten, ersäufen könnten, so wollen wir in heutiger Nacht noch die Felsen ebenen, daß du, wenn du getan, was ich heische, am lichten Tag hinaufreiten und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen kannst. – Des war der Ritter hocherfreut, er sagte gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und begab sich zur Ruhe. Als es Nacht geworden, regte sich's wunderbarlich um die Burg, es krachte, es polterte, es hackte, es schaufelte – tausend kleine Berggeister allzumal, obschon sie zwerghaft gestaltet waren, mit Riesenkraft begabt, förderten das verheißne Werk, und als der Hahn den Morgen ankrähte, war's vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen Spessart heraufstieg, da ritt schon Kuno von Sayn den neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, daß sich der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht wenig verwunderte, und noch mehr der Falkensteiner, doch freute er sich auch ob des so lang ersehnten Weges und hat sein Wort gehalten und die Liebenden vereinigt. Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen auch sein Wort, das er dem Zwerg gegeben, und ließ die Schachte, darin er nach Silber gegraben, zuwerfen und eingehen. Der Felsenpfad, den die Erdgeister bahnten, heißt heute noch der Teufelsweg; er zieht unten an der westlichen Seite des Altking, wo die Berggeister hausen, durch die Schärdter Höhle vorüber zur Bergeshöhe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 70. Der Teufelsweg auf Falkenstein. 70. Der Teufelsweg auf Falkenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-215A-8