Eduard von Bauernfeld
Bürgerlich und Romantisch
Lustspiel in vier Akten
Zum ersten Male dargestellt auf dem Hofburgtheater am 7. September 1835.

[289] Anmerkung des Verfassers

»Fortunat« war im März 1835 durchgefallen, und ich anfangs wie durchs Herz geschossen – allein bereits im Mai lag »Bürgerlich und Romantisch« fertig vor mir da – vielleicht mein populärstes Lustspiel. Saphir, der sich darin in der Figur des »Lohnlakei Unruh« angegriffen glaubte, sagte dem Stück wie dem Autor so viel Böses nach als er nur imstande war, und das war nicht wenig! Das Publikum benahm sich dabei höchst unparteiisch – das heißt, die Leute lasen mit dem größten Vergnügen, wie man mich heruntermachte, setzten sich aber mit demselben Behagen auf ihre Sperrsitze und in ihre Logen, um sich das geschmähte Stück gefallen zu lassen.

Personen

Personen.

    • Präsident von Stein.

    • Baron Ringelstern.

    • Rat Zabern.

    • Die Rätin.

    • Cäcilie.

    • Fritz.

    • Sittig.

    • Katharine von Rosen.

    • Ernestine.

    • Unruh.

    • Samuel.

    • Babette.

    • Kammerdiener des Präsidenten.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Die Rätin sitzt am Tisch bei der Arbeit. Rat Zabern daneben. Cäcilie strickt, Badkommissär Sittig sitzt neben ihr und liest die Zeitung.

SITTIG
lesend.
»Und so hat denn das Juste-Milieu fast alle seine Anhänger verloren –«
RAT.
Schade um das Juste-Milieu! Es war eine schöne Erfindung.
[289]
SITTIG.
Herr Rat, diese Ansicht kann ich nicht teilen.
RAT.
Ich weiß, Sie sind ein Radikaler, aber Sie werden einsehen lernen –
RÄTIN.

Zankt ihr schon wieder? Was radikal! Ich bitt' euch, bleibt mir mit der Politik vom Leibe. Nicht wahr, Cäcilie? Lesen Sie weiter, lieber Sittig.

SITTIG.
Nun kommen die Notizen.
RÄTIN.
Die sind mir das Liebste.
SITTIG
liest.
»Witterungskunde« –
RAT.
Wird überschlagen.
SITTIG
wie oben.
»Unglücksfälle« –
RÄTIN.
Davon will ich nichts hören.
SITTIG
wie oben.

»Neuangelangte Badegäste. Nachtrag vom 13ten. Minister von Birken, mit Familie; Geheimer Sekretär von Auerhahn; Frau Katharine von Rosen –«

CÄCILIE.
Wer ist das?
SITTIG.
Eine hübsche Frau. Sieht nach der Uhr.
CÄCILIE.
So?
RAT.
Ja, das ist wahr. Ich habe sie gesehen.
RÄTIN.
Sie, Herr Gemahl?
RAT.

Und gesprochen. Sie kredenzte mir gestern einen Becher am Brunnen. Ein munteres, gesprächiges Weibchen.

RÄTIN.
Das ist wohl dieselbe, Cäcilie, die ganz allein mit einem Mädchen reist?
SITTIG.
Allerdings, gnädige Frau. Sie ist eine Künstlerin. Sie malt ganz vortrefflich.
CÄCILIE.
Sie haben sie vermutlich auch gesprochen?
SITTIG.
Als Badekommissär muß ich –
RÄTIN.
Ein Frauenzimmer, welches ohne Mann in dieses Bad kommt – was sagst du, Cäcilie?
CÄCILIE.
Sie ist eine Künstlerin, Mama!
RÄTIN.
Eine reisende Malerin? Es klingt doch immer ein bißchen abenteuerlich.
SITTIG.

Ich glaube, Sie irren, meine Damen. Frau von Rosen scheint ein sehr sittsames, wohlerzogenes Frauenzimmer.

RAT.
Ja, ja, das ist sie. Gewiß, mein Schatz, du hast unrecht.
RÄTIN.
Die Herren gleichen sich; wo einer nur ein hübsches Lärvchen sieht – nicht wahr, Cäcilie?
SITTIG.
Um Vergebung! Ich meine nur, daß Frau von Rosen –
CÄCILIE.
Nun, lassen wir Frau von Rosen, ich bitte, lesen Sie weiter.
SITTIG
liest.
»Gestern, am 15ten. Baron Ringelstern, Gutsbesitzer.«
[290]
RÄTIN.
Ist der auch wieder hier?
RAT.
Ein medisanter Mensch!
RÄTIN.
Es ist wahr, er weiß eine Gesellschaft superb zu unterhalten.
CÄCILIE.
Aber sein Witz ist zuweilen zu boshaft.
RÄTIN.
Du hast recht, Cäcilie.
RAT.

Boshaft ist er, das ist wahr. Er hat mir einmal mit Vorsatz einen kleinen Slam vorgegeben; das werd' ich ihm nie vergeben.

SITTIG.
Verzeihen Sie, Verehrte, daß ich den Baron gegen Sie alle in Schutz nehmen muß. Er ist mein Freund.
CÄCILIE.
Wir können heute dem Sittig nichts recht machen, Mama –
SITTIG.

Bei einigen Übertriebenheiten ist Ringelstern gewiß ein vortrefflicher Mensch. Ich achte, ich schätze ihn, ohne alle Nebenrücksichten. Übrigens ist er ein Anverwandter des Präsidenten von Stein, den wir täglich hier erwarten, und in dessen Händen meine Beförderung liegt. Mein Freund wird ohne Zweifel bei Sr. Exzellenz zu meinen Gunsten sprechen.

RÄTIN.
Das ist ein anderes! Man muß die Menschen benützen, wenn sie uns auch zuwider sind.
CÄCILIE
zu Sittig.
Sie sehen schon wieder auf die Uhr?
SITTIG.

Ich habe versprochen, Ringelstern im Badegarten aufzusuchen. Die Stunde ist beinahe vorüber. Befehlen Sie noch etwas?

CÄCILIE.
Wir wollen Sie nicht aufhalten.
SITTIG.
So hab' ich die Ehre – Steht auf.
2. Szene
Zweite Szene.
Vorige. Fritz.

FRITZ.
Herr Sittig, schneiden Sie mir doch ein paar Federn.
RÄTIN.
Nicht doch, Fritzchen! Man sagt: ich bitte.
FRITZ.
Ich bitte! Hält im die Federn hin.
SITTIG.
Den ganzen Busch, lieber Fritz?
FRITZ.
Nur fünfe, sechse.
SITTIG.
So geben Sie her.
RAT.
Brav gelernt, Fritz?
FRITZ.
Ja, Papa!
RÄTIN.
Steh doch gerade! Wie hast du das Halstuch gebunden? Komm her!
SITTIG
leise zu Cäcilie, indem er Federn schneidet.
Sind sie böse, liebe Cäcilie?
CÄCILIE.
Was fällt Ihnen ein?
SITTIG.
So geben Sie mir die Hand.
[291]
CÄCILIE.
Wozu die Kindereien? Läßt ihm halb widerstrebend die Hand, die er küßt.
RÄTIN
zu Fritz.
Halte dich ruhig. Der Bursch ist Quecksilber.
FRITZ.
Sind die Federn fertig?
SITTIG.
Hier zwei, drei –
FRITZ.
Na, 's ist genug. Danke, Herr Sittig. Adieu, Mama! Adieu, Papa! Adieu, Schwester! Läuft ab.
SITTIG.
Nun will ich auch – Nimmt den Hut.
RÄTIN.
Adieu, lieber Sittig!
RAT.
Kommen Sie abends nicht zu spät zur L'hombre-Partie.
SITTIG.

Punkt sieben, Herr Rat. Wenn Sie es erlauben, mach' ich auch vor Tisch noch einen Sprung herüber. Empfehle mich gehorsamst – Ab.

3. Szene
Dritte Szene.
Rat. Rätin. Cäcilie.

RAT
steht auf, gähnend.

Ein seelenguter Mensch, der Sittig, seinen Liberalismus abgerechnet. Er wird dich einmal auf den Händen tragen, meine Tochter. – Erst neun Uhr! Was soll man nun den ganzen Vormittag machen?

RÄTIN
steht gleichfalls auf.
Bewegung, mein Schatz. Komm, wir begleiten dich. Nicht wahr, Cäcilchen?
CÄCILIE.
Ja, Mama! Steht auf.
RAT.

Diese ungeschickte Badekur! Da jagen einen die Ärzte vor fünf Uhr aus dem Bett, und nun kriegt der übrige Tag eine Länge und eine Langeweile –

RÄTIN.
Die dir sehr heilsam ist. Du siehst weit besser aus; deine Appetit wächst.
RAT.

Was hilft's? Die Bissen werden uns ja von den Söhnen Äskulaps so knapp zugeschnitten! Ich hungere wie ein Jagdhund.

RÄTIN.
Das ist ein gutes Zeichen.
RAT.
Das ist ein Zeichen, daß ich essen soll, aber ich kriege nichts.
RÄTIN.

In einer Stunde bekommst du eine Handvoll Kirschen und ein Stück Brot. Jetzt gehen wir langsam nach der Aussicht, und setzen uns in den Schatten. Du rauchst deine Pfeife, ich stricke, Cäcilie liest uns vor. Später spazierst du auf ein halbes Stündchen in das Kaffeehaus und dikurierst mit den Gästen; dann kommst du nach Hause und fütterst die Vögel. So wird es zwölf Uhr. Dann zu Tisch; hierauf wieder ein Pfeifchen, ein Schläfchen, dann die Promenade, der Milchkaffee, ein Spielchen, ein leichtes Nachtessen – um halb zehn Uhr zu Bette. So leben die vernünftigen Leute.

[292]
RAT.
Ja, und hungern ganz unmenschlich dabei, und ennuyieren sich zu Tode.
CÄCILIE.
Aber was haben Sie denn nur anderes in der Stadt?
RÄTIN.
Das sag' ich ja auch!
RAT.

O die Stadt! Das ist ganz was anderes! Erstens ist es – die Stadt. Und dann – kann ich aus dem Fenster sehen.

CÄCILIE.
Das tun Sie nicht im ganzen Jahr, Papa.
RAT.
Auch mache ich Besuche.
RÄTIN.

In der Einbildung. Du versäumst alle deine Bekannte. Glaube mir, nichts anderes liegt dir am Herzen als deine albernen Akten, die dich krank machen. Aber jetzt komm!

RAT.
Ja, ja, meine lieben Akten!
CÄCILIE.
Kommen Sie, Papa!
RÄTIN.
Komm! Komm!
RAT.
Wenn ich nur wenigstens vormittags auf ein paar Stunden ins Bureau gehen könnte! Alle ab.
4. Szene
Vierte Szene.
Badegarten. Rechts eine Laube.
Unruh allein, steht im Hintergrund und bürstet einen Rock aus.

UNRUH.

»Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und Wirkens – Rock-Ausbürstens! – Es ist nicht gar so süß, auch bin ich es noch nicht recht gewohnt. Aber ein Genie muß alles gewöhnen. Bürstet. Wer war Epiktet? Ein Lastträger. Wer bin ich? Ein Lohnlakei. Ich bin also eine weit vornehmere Person als Epiktet, der ein weit größerer Philosoph war, als ich durch Kleiderputzen jemals werden kann, obschon ich wieder, ehrlich gestanden, mehr Witz besitze als derjenige, dem dieser Rock gehört; denn der ist ein dummes Schaf, aber er ist reich – und ich bin arm! Da liegt's!


Nec cogitandi spatium, nec quiescendi
In urbe locus est pauperi.

Guter Martial! Was ist dir da ausgewischt? Der Arme hat nicht Raum zu denken? Gerade die Armen haben die reichsten Gedanken, aber sie müssen sie an die Gedankenarmen spottwohlfeil verkaufen. Klopft den Frack. Halt! Da ist was Hartes! Langt in die Tasche. Ein Silberstück. Die Münze hab' ich geschlagen, folglich gehört sie eigentlich mir. Aber ich bin ehrlich. Ich will das Geld zurückstellen, um es als Tugendprämie und Trinkgeld wieder zu bekommen.« Ab.

5. Szene
[293] Fünfte Szene.
Katharine von Rosen und Ernestine treten bei den letzten Worten im Vordergrunde rechts auf.

KATHARINE.
»Laß mich der neuen Freiheit genießen,
Laß mich ein Kind sein, sei es mit!« –
Nun, Ernestine, wie gefällt dir unsere neue Lebensweise?
ERNESTINE.
Nicht zum besten. Wir hätten in der Stadt bleiben sollen.
KATHARINE.
Du weißt ja, daß ich hier meine Freundin mit ihrem Gemahl zu finden hoffte.
ERNESTINE.
Aber wir haben sie nicht gefunden, und deshalb sollten wir umkehren.
KATHARINE.

Warum? Mir behagt es hier. Die großartige Natur, das Hochgebirg', die Wasserfälle, alles sagt meinem Sinne zu. Mein Gemüt findet hier reiche Nahrung, wie mein Talent. Die Zeichnung, die ich gestern nach der Natur entworfen, ist besser als alle meine früheren.

ERNESTINE.
Nun, das Bild könnten Sie in der Stadt bequemer ausführen.
KATHARINE.
In der Stadt? Ich bin einmal hier. Auch will ich den Präsidenten erwarten.
ERNESTINE.
Wer weiß, ob er diese Reise billigt.
KATHARINE.
Bin ich doch Herrin über meine Handlungen, seit das Gericht mich großjährig sprach.
ERNESTINE.
Ein Mädchen ist niemals großjährig!
KATHARINE.
Ein Mädchen? Du vergißt, daß ich eine Frau bin.
ERNESTINE.
Eine Frau – ohne Mann.
KATHARINE.

Wozu ein Mann? Ich will die Ehre der Frauen herstellen und der Welt zeigen, daß wir auf eigenen Füßen stehen können.

ERNESTINE.
Können wir das?
KATHARINE.

Wir sollen es können, und deshalb will ich es können. Wir armen Frauen! Warum sind wir die Unterdrückten? Haben wir nicht Verstand, Geist, Gefühl, so gut als die Männer? Besser als die Männer? Sollen sie Gesetze geben für uns und sie brechen gegen uns? Laß sie Gelehrte sein, Staatsleute und Soldaten, aber laß uns nicht ihre Sklavinnen werden. Ich habe keinen Vater, keinen Bruder, keinen Mann. Ich stehe allein in der Welt. Soll ich mich deshalb vor der Welt verbergen? Diese Sonne lacht uns allen, die Vöglein singen, Blumen und Blüten duften für alle. Laß uns die schöne Frühlingszeit harmlos genießen. Ist es ein so großes [294] Verbrechen, ohne männliche Begleitung spazieren zu gehen? Verlang' ich denn mehr? Und kann man weniger verlangen?

ERNESTINE.
Nun ja! Das sind Ihre überspannten Ansichten, Ihre romantischen Ideen.
KATHARINE.

Überspannt? Romantisch? Es ist bloß vernünftig. – Doch wie kommst du mir vor? Im Hause meiner Tante teiltest du meine Ansichten. Die gute Tante! Denkst du noch an ihre Morgengesänge, ihre drei Bologneser, ihre Kanarienvögel, ihren Stickhusten und ihre Strafpredigten? Erinnerst du dich noch an unsere tägliche, melancholische Promenade um die Stadtmauern, an die Rapuschpartien, an die tausend Romane und Schauspiele, die wir miteinander lasen? Sieh, die Poesie ist ins Leben getreten, der Käfig ist offen, die Vöglein flattern froh und frei in die weite Welt. Ach, mir ist zumut', wie einer von Shakespeares Personen. Ich bin Portia, du Nerissa; ich Rosalinde, du Celia. Oder soll ich mich lieber mit Goethes Lila vergleichen? Ja, dies ist Lilas Park; an bezauberten Ungeheuern fehlt es hier durchaus nicht.

ERNESTINE.
Leider! Leider! – Sie wissen nicht – dieser Badeort – man spricht mancherlei über uns.
KATHARINE.

Was kann man sprechen? Tun wir doch nichts Übles. Und werden wir nicht geehrt, ja ausgezeichnet? Die Table d'hote wimmelt von meinen Anbetern. Ein jeder bemüht sich, der jungen Witwe zu gefallen. Brachte mir der junge Engländer nicht erst diese Nacht ein Ständchen aus Entzücken über meinen echten Akzent?

ERNESTINE.
Aber Sie wissen nicht, was er mir brachte.
KATHARINE.
Nun!
ERNESTINE.
Erst eine volle Börse –
KATHARINE.
Das ist gut!
ERNESTINE.
Die ich zurückwies.
KATHARINE.
Das ist auch gut.
ERNESTINE.
Dann einen Liebesbrief für Sie.
KATHARINE.
In der Tat?
ERNESTINE.
Den ich nicht annahm.
KATHARINE.

Das war recht. Aber willst du ihm ein Verbrechen machen aus seiner Pflicht, die ja eben darin besteht, mich liebenswürdig zu finden? Das finden sie alle. Hast du gesehen, wie sogar der dicke Börsenspekulant im Salon mit mir tanzte? – Du hast es nicht gesehen? – Das muß ich dir zeigen. Sieh, er hielt mich so. Sein linker, gichtischer Arm erstrebte mit Mühe meine Linke, und nun hopste er, indem er Kopf und Nacken zurückbog, mit einer Ruhe und einem Anstand – beiläufig so. Der leibhafte Bär aus Lilas Park! Faites le serviteur, le joli seigneur! – Ist's nicht zum totlachen?

6. Szene
[295] Sechste Szene.
Vorige. Unruh der indessen kam und sich zu schaffen machte.

ERNESTINE.
Stille doch! Dort ist ein Mann.
KATHARINE.
Es ist nur ein Bedienter. – Sucht Ihr etwas, guter Freund?
UNRUH.

Ich räume auf. – Verzeihen Euer Gnaden – ich bin hier noch neu – Sie sind vermutlich eine Künstlerin?

KATHARINE.
Eine Künstlerin? Allerdings.
UNRUH.
Vielleicht von der Schauspielergesellschaft, die man erwartet?
KATHARINE.

Von der Schauspielergesellschaft? Hörst du, Ernestine? – Ganz recht, mein Freund. Ich bin eine Künstlerin – Er hat es erraten. Da ist etwas für sein glückliches Talent. Gibt ihm Geld.

UNRUH.
Danke gehorsamst.
ERNESTINE.
Gnädige Frau, dort kommen Herrn zum Frühstück. Wollen wir nicht auf unser Zimmer gehen?
KATHARINE.

Laß uns das Bad besuchen. Ich will dir tausend Possen erzählen, und alle deine finsteren Grillen zu Tode schwatzen. Beide ab.

7. Szene
Siebente Szene.
Unruh. Baron Ringelstern der die Abgehenden grüßte. Samuel.

UNRUH.
Das dacht' ich gleich, daß sie vom Theater ist; aber ihre Freigebigkeit nimmt mich wunder.
BARON
zurückblickend.

Welch eine niedliche Gestalt! Die wird vorgemerkt. – Aber wer schreibt uns da? Öffnet zwei Briefe. Betti – Rosalie – Liest flüchtig. Bravo! Beinahe im sechsten Stufenjahre und schon am zweiten Tage zwei Eroberungen. Wer soll nun ans Heiraten denken, wenn die Frauen selbst alles tun, uns daran zu hindern! Zu Samuel. War Kommissär Sittig noch nicht da?

SAMUEL.
Nein, Euer Gnaden.
BARON.
Ich will ihn hier erwarten. Geh nur!

Samuel ab.
8. Szene
Achte Szene.
Baron Ringelstern. Unruh.

UNRUH.
Befehlen Euer Gnaden sonst etwas?
BARON.
Nichts, mein Freund, als den Mangel deiner Gesellschaft.
[296]
UNRUH.
Ich bin der neue Lohnlokai, erst heute eingestanden.
BARON.
So?
UNRUH.
Betrachten mich der Herr Baron doch gefälligst ein bißchen.
BARON.
Nun?
UNRUH.
Kennen Sie mich denn gar nicht?
BARON.
Habe nicht die Ehre.
UNRUH.
Habe doch so manches Merkmal von Dero hochfreiherrlichen Gunst und Ungunst erfahren.
BARON.
Du?
UNRUH.

Allerdings. Erinnern sich Euer Gnaden des Knaben nicht mehr, den Ihr Herr Vater studieren ließ, und der, halb gewachsen und halb studiert, davonlief?

BARON.
Alle Wetter! Du bist –
UNRUH.
Heinrich – Heinrich Unruh.
BARON.
Mein Vater behauptete, du seist ein Genie.
UNRUH.
Das fürcht' ich leider auch.
BARON.
Ich hielt dich für einen Taugenichts.
UNRUH.
So ein Anschmack von beiden.
BARON.
Bursche, was ist aus dir geworden?
UNRUH.
Ein Philosoph.
BARON.
Und ein Lohnlakai?
UNRUH.
Philosoph für die Welt!
BARON.
Du hast Kopf. Du konntest etwas leisten.
UNRUH.
Ich nütze in meinem bescheidenen Wirkungskreise. Bürstet ihm den Rock ab.
BARON.
Wo triebst du dich bis jetzt herum?
UNRUH.
In halb Europa.
BARON.
Und was machtest du?
UNRUH.
Anfangs Schulden, dann Verse.
BARON.
Bravo! Du warst ein Dichter?
UNRUH.

Romantiker, zu dienen. Dann ward ich Schauspieler. Aber ich zeigte kein Talent zum Rollenlernen. Hierauf bildete ich mich zum Pädagogen aus.

BARON.
Du? Pädagog? Heiliger Salzmann und Pestalozzi!
UNRUH.
Über das Erziehungswesen hab' ich meine eigenen Ansichten.
BARON.
Das will ich glauben.
UNRUH.

Sehen Sie, gnädiger Herr, ich behaupte, ein weiser Mentor ist heutzutage gar nicht nötig. Unsere Jugend wird ernsthaft und altklug geboren und ebenso erzogen. Mit sechs Jahren lernen die Buben Griechisch und die Mädchen Englisch; mit acht Jahren spielen beide Geschlechter Whist, mit zwölf Jahren lesen sie [297] die Zeitung. Wenn die Jünglinge und Mädchen zusammenkommen, sei's auch im Mondenschein, so schwärmen sie längst nicht mehr; über Werther und Lotte machen sie sich nur lustig; dagegen diskutieren sie vom Kurs, von Militär- und Zivilbeförderungen, von Politik; bekümmern sich um jeden Ministerwechsel, wissen die neunundneunzig belgischen Protokolle auswendig. Diese leidige Politik tötet das Leben und verdirbt alle Lust an dummen Streichen, die nicht politischer Natur sind. Darum behaupte ich: die Aufgabe eines Hofmeisters heutiger Zeit ist es, in seinem ernsthaften politischen Zögling den ursprünglichen Hang zur Torheit, und so die rein menschliche Natur wieder zu erwecken. So zog ich denn als Kotzebuescher Edukationsrat überall im Lande herum; aber die Welt verkannte mein edles philantropisches Bestreben, und die Behörden ließen mich einsperren.

BARON.
Armer Reformator!
UNRUH.

Der Trieb lag einmal in mir. Da man mir die Jugend nicht anvertraute, machte ich mich über die ganze Menschheit her. Ich redigierte ein kritisches Journal, ich rezensierte.

BARON.
Ich ahne Schlimmes!
UNRUH.
Zuerst wurde Goethe beim Kopf genommen. Ich bewies, daß ihm der Mittelpunkt fehle.
BARON.
Was heißt das?
UNRUH.

Ich weiß es selbst nicht recht, aber die Leute nahmen es gut auf. Ich sprach ferner von Goethes verknöcherter Poesie, von dem Mangel einer höchsten Idee usw. Werther hieß mir ein Narr, Egmont ein Egoist, Iphigenie und Tasso waren kalt wie Eiszapfen.

BARON.
Glaubtest du denn an all' den Unsinn?
UNRUH.

Ich? Kein Wort. Aber ich kannte die Schadenfreude der Menschen. Sie haben nichts lieber, als wenn man sich über ihre Lieblinge lustig macht. Meine Blätter gingen ab wie warme Semmel. Das machte mich immer kühner. Da ich das Schimpfen einmal zu meinem Metier erwählte, so blieb kein berühmter Mann von mir unverschont. Aus Mangel an Stoff mußte ich endlich an die unberühmten rühren. Das gab mir den Todesstoß. Erst regnete es Antikritiken, dann – noch etwas. Diese schmerzlichen Erfahrungen und der Verlust meiner Abonnenten gaben mir Veranlassung, mich wieder ins Privatleben zurückzuziehen. Ein vornehmer Mann trug mir an, ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Es war ein recht freundschaftliches Verhältnis. Ich besorgte die Wirtshausrechnungen, die Pferde, machte sogar die Kleider und Stiefel meines Freundes rein –

BARON.
Das heißt: du warst sein Bedienter.
[298]
UNRUH.

So etwas dergleichen. Aber diese beschränkte Existenz sagte meinem Geiste nicht zu. Ich fühlte mich getrieben, mehr ins große, ins allgemeine zu wirken. Ich ward Lohnlakai. Das ist ein Amt, welches Kenntnis der Welt und hohe Bildung erfordert.

BARON.
Ein Lohnlakai! Das erste, was ich höre!
UNRUH.

Ganz gewiß. Denn sehen Sie, gnädiger Herr, ein großes Hotel ist eine Welt im kleinen. Da kommen Deutsche und Franzosen, Engländer und Spanier, Beamte und Kaufleute, Gelehrte und Müßiggänger, kluge Leute und Narren, ehrwürdige Matronen und lustige Dämchen – reich und arm, alt und jung, schön und häßlich, schlau und dumm – da gilt es: die Nationalitäten zu studieren, die Charaktere, Geschlechts- und Standesverschiedenheiten – jedes hat Absichten, Plane, spinnt Intrigen – alle wenden sich an den Lohnlakai – er ist die Seele dieses Mikrokosmus.

BARON.

Vortrefflich! Du solltest ein Buch schreiben: »Das Ganze des Lohnlakaitums«. – Aber jetzt, mein gelehrter Herr Studiosus, Romantiker, Schauspieler, Pädagog, Kritiker, Philosoph und Lohnlakai, entfernen Sie sich gefälligst, denn ich sehe dort eben den erwarteten Freund durch die Allee herbeieilen.

UNRUH.

Sehr wohl, Euer hochfreiherrlichen Gnaden. Vergessen Sie nur Ihren ergebensten Unruh nicht, der sich Ihnen hiermit bestens zu allen möglichen Diensten empfiehlt. Ab.

9. Szene
Neunte Szene.
Baron Ringelstern. Sittig.

SITTIG
eilig.
Verzeihung, bester Freund –
BARON.
Du ließest lange warten!
SITTIG.
Geschäfte hielten mich ab.
BARON.
Willst du frühstücken?
SITTIG.
Ich danke.
BARON.
Nun, was machst du, guter Junge?
SITTIG.
Man lebt eben so still fort –
BARON.
Du siehst nicht gar fröhlich aus.
SITTIG.
Ich? O, ich bin recht zufrieden.
BARON.
Wirklich?
SITTIG.
Ganz gewiß. – Deine Güter haben sich amelioriert, wie ich höre? Du bist sehr tätig –
BARON.

Allerdings. Ich setze Dampfmaschinen und Eisenbahnen in Bewegung, die großen Hebel unseres Jahrhunderts.

SITTIG.
Wirst du dich lange bei uns aufhalten?
BARON.

Vier Wochen. Wenn ich mich das ganze Jahr auf [299] meinen Gütern herumgeplagt, mit den Verwaltern gezankt und mit den Behörden gestritten, so schenk' ich mir hier Ferien, und gebrauche die Narrenkur. Gewöhnliche Gäste trinken den Brunnen, ich genieße die Narrheiten der Brunnentrinker.

SITTIG.

Du hast deine Erholungszeit gut gewählt. Du findest hier eine glänzende und geistreiche Gesellschaft.

BARON.

Geistreiche Gesellschaft? Wo ist denn die in unserm lieben Vaterlande zu finden? Ich kenne Eure feinen Cercles. Da wird beiläufig täglich dasselbe gesprochen. Ein paar ästhetische Ansichten, ganz fadenscheinig vom vielen Gebrauch, ein halb Dutzend Koteriespäßchen, sehr viel Tee und wenig Geist – das ist die deutsche geistreiche Gesellschaft.

SITTIG.
Du bist ungerecht. Wir zählen so viele verständige und kenntnisreiche Männer unter uns –
BARON.

Gewiß! Jeder einzelne ist vernünftig, aber wenn sie zusammenkommen, werden sie alle närrisch. Es ist nicht der rechte Boden für die Geselligkeit. Unser Geist gedeiht nur in der Einsamkeit. In den Treibhäusern der Salons verdorrt er und stirbt ab.

SITTIG.

Du magst in gewissem Sinne recht haben. Auch ich habe längst die Gesellschaft aufgegeben. Das stille bürgerliche Leben ist am Ende das beste.

BARON.

Das bürgerliche Leben? Du siehst in der Tat recht bürgerlich aus. Höre, Schatz, du hast dich überhaupt sehr verändert!

SITTIG.
Wieso?
BARON.

Es ist etwas in deinem Wesen, das mir, ehrlich gestanden, schon gestern abends nicht gefiel. Ich fürchte, ich werde dir den Text lesen müssen.

SITTIG.
Mir? Hab' ich dich beleidigt?
BARON.

Warum nicht gar! Du bist ein wackerer Mensch – ehrlich, bieder, voll Fähigkeiten, mein bester Freund, wenn wir auch in Jahren ungleich sind, ich liebe dich wie einen jüngern Bruder, aber du bist – Hält inne.

SITTIG.
Nun, was bin ich denn?
BARON.
Du bist ein braver, lieber, seelenguter Junge, doch du schwebst in höchster Gefahr –
SITTIG.
In Gefahr?
BARON.
Ein vollkommener Spießbürger zu werden, ein ganz unmenschlicher Philister.
SITTIG.
Ist's weiter nichts? Hättest du mich doch bald erschreckt!
BARON.

Weiter nichts? Mein Freund, es ist das Gefährlichste, was einem vernünftigen Menschen begegnen kann. Darum [300] ist es meine Freundespflicht, dich zu warnen. – Sieh! Ich kenne beiläufig deine Verhältnisse; du willst heiraten. Das ist eben dein Unglück. Wenn du heiraten willst, so tu den Schritt jetzt, in der Jugend, in der Leidenschaft. Jung gefreit, hat niemand gereut. Verliebe dich, womöglich in ein Mädchen, daß man dir nicht geben will, denn Hindernisse müssen da sein, die wecken den Mut, den Geist. Wenn mir die Mutter giftige Blicke zuwirft, wenn mir der Vater die Tür weist, wenn die Gouvernante keift, die Tanten schimpfen, die Bedienten drohen, die Hunde bellen – dann ist's ein Vergnügen. Wachsende Leidenschaft, verstohlene Zusammenkünfte, zugesteckte Briefchen – vielleicht eine Entführung, ein kleines Handgemenge – mit nichts angefangen, alle Kräfte zusammengenommen – das gibt eine glückliche Ehe.

SITTIG.

Das hört sich recht lustig an, aber es ist nicht mein Geschmack. Ich bin für das Ordentliche, das Solide. Das Exzentrische sagt meiner Natur nicht zu. Muß man denn eben seine Geliebte entführen? Nun ja, wenn man sie nicht anders bekommen kann! Aber ich darf meine Cäcilie täglich sehen, wir leben miteinander, gewöhnen uns zueinander, wir lernen alle unsere Neigungen kennen, wir wissen, daß wir füreinander bestimmt sind; das gibt eine gewisse Sicherheit, eine Ruhe, ja, das ganze Leben erhält dadurch eine behagliche Färbung. Das Wildleidenschaftliche verliert sich, nur der Segen einer warmen Neigung wirkt wohltätig weiter. Nein, nein, du magst sagen, was du willst, es ist ein schönes, zartes, inniges, reines Verhältnis.

BARON.
Wenn du wirklich Cäcilien liebst, wie du sagst –
SITTIG.
Ganz gewiß.
BARON.
Und – notabene – Cäcilie dich –
SITTIG.

O, du kennst sie nicht – du hast eine falsche Ansicht von ihr – so mancher hält sie für kalt, gefühllos – aber wer sie näher kennt – sie ist ein Engel.

BARON.
Ich zweifle gar nicht –
SITTIG.
Nein, du wirst mich wirklich böse machen, wenn du glaubst, daß Cäcilie –
BARON.

Versteh mich nur recht! Wenn ihr euch wirklich liebt, gut für euch. Ich kenne Cäcilien besser als du glaubst. Gewiß, sie ist zur braven Hausfrau geschaffen. Aber sie steht jetzt eben auf dem Punkt, in der Folge vielleicht dich, sich, euch beide unglücklich zu machen. – Brechen wir davon ab. Im ganzen billige ich deinen Wunsch, zu heiraten. Kann ich beitragen, euer Glück zu beschleunigen, so will ich's mit Freuden tun. Hier meine Hand: ich spreche mit meinem Onkel, und zwar so, als ob es für mich selber wäre.

[301]
SITTIG.
Liebster, bester Freund –
BARON.
Genug davon! – Apropos! Heute sollten wir doch den Tag über beisammen bleiben.
SITTIG.
Den ganzen Tag? Lieber Freund, das geht nicht. Ich habe nach Tisch Geschäfte.
BARON.

Nach Tisch? Nun gut! Aber gegen Abend könnten wir uns finden und uns auf die Berge ergehen. Dort oben spricht sich's besser von der Brust.

SITTIG.
Heute abend?
BARON.
Ja, wenn's kühler wird, so zwischen sechs und sieben.
SITTIG.
Heute abend? – Ja, ja – oder – wär' es dir nicht lieber: morgen abend?
BARON.
Nein, das wäre mir nicht lieber.
SITTIG.

Also gut: heute abend. – Es ist doch sonderbar, wie unbeständig die Witterung hier ist! Während wir sprechen, ziehen sich dort die Wolken zusammen –

BARON.
Wo?
SITTIG.
Sieh, dort gegen Norden.
BARON.
Ich sehe ein einziges, weißgraues Wölkchen, dort zwischen den beiden Bergen.
SITTIG.
Das ist das Wetterloch.
BARON.
So?
SITTIG.
Ich wette, wir bekommen ein tüchtiges Gewitter.
BARON.
So werden wir naß. Schadet auch nicht.
SITTIG.
Freilich! Freilich! Aber es kann einen eigentlichen Wolkenbruch absetzen. Sieht nach den Wolken.
BARON
nach einer Pause.
August –
SITTIG.
Lieber Karl –
BARON.
Sei aufrichtig! Du willst nicht mit mir gehen.
SITTIG.
Wie kannst du glauben –?
BARON.
Du hast versprochen, zu deiner Braut zu kommen, nicht wahr?
SITTIG.
Wenn ich es gestehen soll –
BARON.
Sprich ohne Scheu. Ich entbinde dich deines Versprechens.
SITTIG.

Nun sieh! Die alten Leute sind ihre L'hombre-Partie gewöhnt. Wenn ich ausbleibe, fehlt der dritte Mann –

BARON
schlägt die Hände zusammen.

L'hombre- Partie! Dritter Mann! – August, der Spießbürger ist fertig. Du wirst in deinem eigenen Hause der dritte Mann sein. Ich sehe dein ganzes Leben vor mir, ich sehe dich Zwirn abwinden, höre dich Tagesgeschichten erzählen, du mußt den Mops der Schwiegermama kämmen –

SITTIG.
Sie hat gar keinen Mops. Einen Spitz –
[302]
BARON.
Mußt die Vögel füttern –
SITTIG.
Das tut der Alte.
BARON.

August, um's Himmels willen, ermanne dich! Noch ist es Zeit. Ich wiederhole es: ich hab nichts gegen deine Liebe, ich bin kein Feind der Ehe, für den man mich ausschreit; aber ein vernünftiger Mann muß seine Frau lenken, nicht sie ihn.

SITTIG.
Glaubst du denn wirklich, daß ich –?
BARON.

Ich glaube nicht – ich weiß. Ich kenne solche Verhältnisse. Die Weiberchen spinnen ihre Fäden langsam und fein, aber sicher und fest. Wann aber einmal umsponnen ist, gibt's keinen Ausweg. Die Oberaufsicht über alle Handlungen des Mannes ist unwürdig, ja abscheulich. Erst gewöhnt die Frau den Mann an sich, er darf keinen Schritt aus dem Hause tun ohne ihr Wissen, darf mit keinem Freunde umgehen, der ihr nicht zusagt, darf kein schönes Mädchen schön finden. Kunst, Wissenschaft, Geselligkeit, heiterer Lebensgenuß sind verbannt, die Karten müssen alles ersetzen, eine tote Langeweile schleicht sich durch das Haus. Und was ersetzt dem guten, geduldigen Ehemanne den Verlust aller seiner Lebensfreuden? Die kalte, starre, viel gepriesene Tugend seiner Ehehälfte, die ängstliche Häuslichkeit, die an Hymens Fakel ihre Kochtöpfe erwärmt!

SITTIG.
Freund – wir sprechen weiter über diesen Punkt, heute abends, auf unserm Spaziergang.
BARON.
Wie? Du willst die L'hombre-Partie versäumen?
SITTIG.
Ich ziehe die Landpartie vor.
BARON.
Fräulein Cäcilie wird mich deinen Verführer schelten?
SITTIG.

Das wird sie nicht. Sie soll dich kennen lernen, du sollst sie kennen lernen. Ihr müßt euch gefallen.

BARON.
Ich bin zu allem erbötig.
SITTIG.
Wir sprechen noch darüber. Wo treffen wir uns?
BARON.
Ich denke, hier. Nach sechs Uhr.
SITTIG.

Gut. Punkt halb sieben. Umarmt ihn. Lebe wohl, bester Freund! Du sollst deinen Irrtum einsehen, du sollst erfahren, daß du dich in Cäcilien, in uns beiden geirrt hast. Adieu! – Aber du wirst sehen, wir werden naß – Ab.

10. Szene
Zehnte Szene.
Baron Ringelstern, dann Unruh.

BARON.
Dort flattert der Vogel, den Faden am Halse!

»Es ist der alte, frei geborne Vogel nicht,
Er hat schon jemand angehört.« –

Im Grunde ist er beneidenswert. Ich gäbe was darum, wenn [303] ich mich auch wieder einmal ganz ungeheuer verlieben könnte. Doch das ist zu spät. Des Lebens Mai blüht – ein paarmal und nicht wieder. – Holla! Jene schöne Gestalt kommt zurück.Lorgniert. In der Tat das Gesichtchen, der Wuchs, der Fuß – alles prima sorte – Unruh!

UNRUH
auftretend.
Gnädiger Herr?
BARON.
Kennst du jene Dame dort?
UNRUH.
Allerdings. Sie ist vom Theater.
BARON.
So?
UNRUH.
Ich glaube eine Tänzerin.
BARON.
Desto besser! – Frau oder Mädchen?
UNRUH.
Sie läßt sich gnädige Frau schelten.
BARON.
Schon gut! Trolle dich.

Unruh ab.
11. Szene
Elfte Szene.
Baron Ringelstern. Katharine. Ernestine. Katharine setzt sich in die Laube zum Stickrahmen, Ernestine steht bei ihr.

BARON
für sich.

Sie nahmen meinen Gruß freundlich auf, sie setzt sich, mir im Angesicht, in die Laube. Das ist eine offenbare Invite. Da wollen wir gleich ein bißchen plänkeln. Nähert sich den Frauen. Ist es einem neugierigen Fremdling vergönnt, das schöne Werk so schöner Hände zu betrachten?

KATHARINE.
Warum nicht? Doch ist die Arbeit kaum zur Hälfte fertig.
BARON.

Wie nett, wie geschmackvoll! Amor, den ein Mann mit der Tabakspfeife verscheucht – welch ein allerliebster Gedanke! Selbst erfunden?

KATHARINE.
Aus dem Leben gegriffen.
BARON.

Ich war von jeher ein Feind des Tabakrauchens. – Und wie vortrefflich die Farben gewählt sind! Hier das Grün, das Goldgelb – nur dort wünschte ich eine hellere Schattierung.

KATHARINE.
Wo?
BARON
indem er Ernestine sanft beiseite drängt, und sich im Gespräch zu Katharinen setzt.
Hier, sehen Sie, hier!
KATHARINE
macht Miene aufzustehen.
Meinen Sie?
BARON
der es nicht zuläßt.

Gewiß, gnädige Frau – ich verstehe mich auf weibliche Arbeit – das Gewand des Amor ist ein bißchen zu dunkel gehalten.

KATHARINE
etwas pikiert über seine Vertraulichkeit.
Das finde ich nicht –
BARON
schmeichelnd.

Vergeben Sie, gnädige Frau – aber – [304] das Auge des Fremden sieht deutlicher. Wie gesagt: Amors Gewand ist zu hell, der Mann mit der Pfeife präsentiert sich zu elegant. Zu Ernestine, indem er ihr winkt, sich zu entfernen. Nicht wahr, mein Kind?

KATHARINE.
Ernestine!
ERNESTINE.
Gnädige Frau! Stellt sich an ihre Seite.
KATHARINE
leise zu Ernestinen.
Was ist das für ein Mensch?
ERNESTINE
ärgerlich.
Das ist eben auch wieder einer, der Sie liebenswürdig findet!
BARON
leise zu Ernestinen.
Allez-vous-en!
ERNESTINE.
Gnädige Frau!
KATHARINE.
Was gibt's?
BARON
bedeutet Ernestinen, zu schweigen.
Liebes Kind, ich bitte um ein Glas Wasser.
KATHARINE
steht rasch auf.
Mein Herr, Sie werden sich irren. Diese Laube gehört zu meiner Wohnung, und das ist mein Mädchen.
BARON
etwas bestürzt, folgt ihr.
Um Vergebung, gnädige Frau – ich wollte Sie nicht beleidigen.
KATHARINE
stolz.
Das hoff' ich.
BARON
wieder gefaßt.
Ihre Schönheit scheint ganz der Sonne zu gleichen; sie brennt, wenn man sich ihr nähert.
KATHARINE.
So bleiben Sie im Schatten.
BARON.
Sehr gern: in Ihrem Schatten, und wenn Sie es erlauben, als Ihr Schatten.
KATHARINE.
Sie erlauben sich eine sonderbare Sprache gegen eine Dame, die Sie gar nicht kennen.
BARON.
Eine Dame? – Nun ja! Ein Dame, die ich gerne kennen lernen möchte.
KATHARINE.
Und welche Ihr Verlangen nicht teilt.Verbeugt sich kurz.
BARON.
Halt! Schöne Prinzessin!
KATHARINE.
Prinzessin?
BARON.
Oder Tänzerin –
KATHARINE.
Ha!
BARON.
Erste Tänzerin – primma donna – das sind Sie ja doch! Und ich bin primo amoroso.
KATHARINE.

Mein Herr! Sie mögen mich beleidigt haben aus Torheit oder bösen Willen – seien Sie versichert, daß ich wissen werde, mir Schutz und Genugtuung zu verschaffen. – Komm, Ernestine!Beide ab.

12. Szene
[305] Zwölfte Szene.
Baron Ringelstern allein. Dann Unruh.

BARON.

Was war das? Ich falle aus den Wolken! – So spricht keine Tänzerin. So beschämt fühlt' ich mich noch niemals. – Unruh! He, Unruh! Verdammter Unruh!

UNRUH
tritt auf.
Gnädiger Herr!
BARON.
Mensch, was hast du mir weis gemacht? Das ist keine Tänzerin!
UNRUH.
Nicht? Aber sie tanzte doch.
BARON.
Du bist ein Esel!
UNRUH.
Mit Vergnügen. Aber sagen Sie mir nur –
BARON.

Was soll ich tun? Wie meinen Fehler wieder gut machen? Ich will ihr nach, sie um Vergebung bitten, ihr den Irrtum aufklären –

UNRUH.
Was ist denn nur geschehen?
BARON.
Schweig – oder ich vergreife mich an dir! Denn du bist schuld an allem Unheil! Ab.

Unruh folgt ihm.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Der Garten.
Baron Ringelstern allein. Dann Samuel.

BARON.

Sie wollte mich nicht sehen? Nicht sprechen? Es ist ganz begreiflich. Ich war sehr unartig. – Gibt es doch kein bängeres Gefühl, als in den Angen derjenigen, denen wir unrecht getan, für schlimmer zu gelten als wir sind. Aber nun denkt sie wohl schon anders von mir. Mein Brief hat gewiß die erwünschte Wirkung gemacht.

SAMUEL
mit einem Brief.
Gnädiger Herr, Frau von Rosen hat den Brief nicht angenommen.
BARON.
Nicht angenommen? – Hast du ihr gesagt, wer ich bin?
SAMUEL.

Ich sprach nur mit dem Mädchen, sie war beauftragt, mir den Brief unerbrochen zurückzustellen; ich überredete sie zu einem zweiten Versuch, aber ohne besseren Erfolg. Man will durchaus von dem Herrn im Park nichts mehr wissen.

BARON.

War ich nicht ein Tor, mich so zu bemühen? Und [306] für wen? Für eine jener prüden Schönen, jener kalten Tugendheldinnen, die des Himmels Einfall befürchten, wenn man auf eine Sekunde den ihnen gebührenden Respekt vergißt. Gib nur den Brief her, ich will ihn in das Archiv meiner übrigen Torheiten legen.


Samuel ab.
2. Szene
Zweite Szene.
Baron Ringelstern. Unruh.

BARON.
Wohin so eilig?
UNRUH.
Zur gnädigen Frau, die keine Tänzerin ist.
BARON.
Und was dort?
UNRUH.
Einpacken helfen.
BARON.
Einpacken?
UNRUH.
Ich mußte Pferde bestellen.
BARON.
Zur Spazierfahrt?
UNRUH.
Nein, zur Abreise.
BARON.
Wie? Sie verreist?
UNRUH.
Augenblicklich.
BARON.
Und meinetwegen?
UNRUH.
Sehr vermutlich.
BARON.
Das darf nicht sein!
UNRUH.
Wie wollen wir's hindern?
BARON.
Sage, daß keine Pferde zu haben sind.
UNRUH.
Das wird sie nicht glauben.
BARON.
Es sind keine zu haben. Ich miete sie alle.
UNRUH.
Sie versprach mir einen Dukaten.
BARON.
Ich verspreche dir keinen, aber ich gebe dir zwei.
UNRUH.
Wirklich?
BARON.
Da sind sie.
UNRUH.
Sehr obligiert.
BARON.
Sie darf nicht reisen. Halte sie zurück. Sei klug!
UNRUH.
Wenn ich aber ein Esel bin?
BARON.
Kein Esel, aber auch keine Pferde! Nur kein falsches point d'honneur!
UNRUH.
Nun gut! Ich will meinen Witz anstrengen. – Still! Da kommt sie aus dem Hause.
BARON.
Ich will in der Nähe bleiben. Mach deinem Verstand Ehre. Zieht sich zurück.
3. Szene
Dritte Szene.
Baron Ringelstern versteckt. Unruh. Katharine von Rosen. Ernestine.

KATHARINE.
Wo bleibt er nur?
ERNESTINE.
Beruhigen Sie sich doch!
[307]
UNRUH
tritt vor.
Da komm' ich außer Atem –
KATHARINE.
Sind die Pferde besorgt?
UNRUH.
Ja, zwei prächtige Tiere. Sie rennen, daß es eine Freude ist.
BARON
tritt etwas vor.
Ist er verrückt?
KATHARINE.
Sind sie schon da?
UNRUH.
Noch nicht. Morgen mittags, Punkt zwölf Uhr, werden sie ihre Aufwartung machen.
BARON
tritt zurück.
Ach so –
KATHARINE.
Morgen? Ich will heute fort.
UNRUH.
Verzeihen Euer Gnaden, das geht nicht.
KATHARINE.
Warum nicht? Ich bezahle.
UNRUH.

Und wenn Sie ein Königreich für ein Pferd geben, es ist unmöglich. Es gibt nur zwanzig am Ort, zwölf bestellte der – Dingsche Gesandte, vier Se. Exzellenz der Herr Minister, sechs braucht die Post –

KATHARINE.
Das sind ja schon mehr als zwanzig!
UNRUH.
Eben darum! Wie gesagt, heute ist's unmöglich; aber bis morgen mittag zweifle ich gar nicht –
KATHARINE.

Er zweifelt nicht! – Gut, ich will morgen reisen. Aber am frühesten Morgen. Um vier Uhr, um drei Uhr, um zwei Uhr.

UNRUH.

Das geht wieder nicht an. Die armen Beste müssen ja auch schlafen. Und dann – wissen denn Euer Gnaden nicht? Morgen gibt der hohe Adel ein déjeûner dansant im Rosental, zwei Stunden von hier. Dazu ist wieder von vier an alles Vierfüßige pränumeriert. Darum zweifle ich, ob selbst bis Mittag –

KATHARINE.
Es ist zum Verzweifeln!
BARON
versteckt.
Der Schurke lügt zum Küssen –
KATHARINE.

Mein Freund, ich versprach ihm einen Dukaten, er hätte zwei, drei verdienen können; aber ich sehe, er ist ein Dummkopf!

UNRUH
leise zum Baron.
Drei Dukaten und ein Dummkopf! Bitte um Entschädigung.
4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Sittig.

ERNESTINE.
Da kommt der Herr Kommissär –
KATHARINE.
Den spickt uns der Himmel!
BARON
für sich.
Sehr ungelegen!
KATHARINE.
Herr Kommissär –
SITTIG.
Sieh da! Meine Gnädige –
[308]
KATHARINE.
Darf ich Ihre Güte in Anspruch nehmen? Ich bin in großer Verlegenheit –
SITTIG.
Befehlen Sie über mich.
KATHARINE.
Es liegt mir daran, heute noch abzureisen, jetzt, in dieser Stunde –
SITTIG.
Euer Gnaden kommen doch wieder?
KATHARINE.
Schwerlich.
SITTIG.

Wie? Sie sind kaum ein paar Tage hier? Welch ein Verlust für uns! Alles ist entzückt von Ihrer Gesellschaft –

BARON
für sich.
Ei, ei, Herr Bräutigam!
KATHARINE.
Sie sind sehr gütig. Aber können Sie mir Pferde verschaffen?
SITTIG.

Sehr ungern trag' ich bei, Sie von hier zu entfernen, aber da es Ihr Wunsch ist, erfüll' ich ihn mit Vergnügen.

KATHARINE.
Es gibt also Pferde hier?
SITTIG.
So viel Sie befehlen.
KATHARINE
zu Unruh.
Seht Ihr nun? Zu Sittig. Wann kann ich sie haben?
SITTIG.
Jeden Augenblick.
KATHARINE.
In einer halben Stunde denn –
SITTIG.
Werden Sie vor Ihrem Hause stehen.
KATHARINE.
Sie verbinden mich unendlich!
BARON
versteckt.
Der verdirbt uns den ganzen Spaß –
SITTIG.
Diese eilige Abreise –
KATHARINE.

Wichtige Gründe – ich kann mich nicht näher erklären. Nun wollen wir sogleich Anstalt treffen, Ernestine.

UNRUH.
Soll ich helfen, oder soll ich indessen den Paß besorgen?
KATHARINE.
Den Paß?
ERNESTINE.
Himmel! Wir haben gar keinen mitgenommen.
UNRUH
mit einem Blick auf Sittig.
Keinen Paß?
KATHARINE.
Wozu brauchen wir Pässe? Wir kommen aus der Residenz, die nur zwei Tagereisen von hier entfernt ist.
SITTIG.

Von Damen kann man keine Gesetzkenntnis verlangen; aber ich muß die Ehre haben, Euer Gnaden zu versichern, daß wir hier im Paßwesen etwas strengere Vorschriften haben, wegen der nahen Grenze. Es war eigentlich meine Pflicht, Euer Gnaden am zweiten Tage um Ihre Legitimation zu befragen, und ich wollte mir nächstens die Freiheit nehmen, Sie deshalb zu besuchen.

KATHARINE.
Was ist zu tun? Ich habe keine Papiere mitgenommen.
SITTIG.

Das tut nichts. Irgend ein Bekannter, in der Residenz ansässiger Mann wird für Sie gut stehen. Es ist nur der Formalität wegen. Dann geb' ich Ihnen die Entlaßkarte, ohne welche Sie unmöglich die Schranken passieren können.

[309]
ERNESTINE.
Mein Gott! Wer soll für uns gut stehen?
KATHARINE.

Sei ruhig! – Herr Kommissär, meine Bekannten sind neu, aus der Residenz ist niemand hier, der meine Verhältnisse kennt –

UNRUH.
Kein Paß und kein Bürge! Das ist sehr fatal.
SITTIG.
Das ist allerdings – etwas fatal – Fixiert sie. besonders, da Sie so plötzlich abreisen wollen.
ERNESTINE.
Sehen Sie, Fräulein – gnädige Frau – in welche Verlegenheit uns ihre Unvorsichtigkeit stürzt.
KATHARINE.
Laß dein Geschwätz! – Herr Kommissär, ich bin aus gutem Hause, die Tochter des Generals –
SITTIG
etwas kalt.
Ich zweifle gar nicht, aber –Zuckt die Achseln.
UNRUH.
Wenn nur der Paß da wäre!
BARON
versteckt.
Himmlischer Unruh! Ich lasse dich vergolden.
5. Szene
Fünfte Szene.
Babette. Vorige.

BABETTE.
Herr Kommissär –
SITTIG.
Babette! Was bringen Sie Gutes?
BABETTE.
Fräulein Cäcilie schickt mich –
BARON
versteckt.
Aha!
BABETTE.
Sie dachte, es sei Ihnen etwas zugestoßen. Sie hatten versprochen, Vormittag zu kommen –
SITTIG.

Es war mir unmöglich – ich wollte eben – jetzt – Sieht auf die Uhr. Gleich sechs Uhr! Da ich abends gleichfalls verhindert bin –

BABETTE.
So? – Na, das Fräulein wird Augen machen!
BARON
versteckt.
Sieh doch!
SITTIG.
Augen – Mademoiselle?
BABETTE.
Verzeihen Sie, Herr Kommissär – ich meinte nur –
SITTIG.
Schon gut. Sagen Sie dem Fräulein – oder sagen Sie ihr nichts – ich komme gleich nach.
BABETTE.
Sehr wohl, Herr Kommissär. Ab.
SITTIG
zu Katharinen.

Meine Gnädige – Sie sehen, man ruft mich eben. In einer Viertelstunde werde ich Sie selbst besuchen, oder jemand aus dem Amte senden. Ich hoffe, wir bringen die Sache in Ordnung. Machen Sie indessen keine Anstalten zur Abreise – Sie ersparen sich und mir Unannehmlichkeiten. Empfehle mich bestens. – Schon sechs Uhr! Cäcilie wartet – Karl wird warten. – Es täte not, sich zu zerstückeln – Eilt ab.

6. Szene
[310] Sechste Szene.
Baron Ringelstern versteckt. Katharine. Ernestine. Unruh.

BARON
versteckt.
Es geht ganz vortrefflich!
UNRUH.
Der fatale Paßmangel!
ERNESTINE.
Der abscheuliche Kommissär!
KATHARINE.
Er tut seine Pflicht.
ERNESTINE.
Was sollen wir anfangen? Wir sind wie gefangen! O, die Schande!
KATHARINE.

Ich will sogleich nach Hause schreiben. In vier, fünf Tagen kann Antwort kommen – bis dahin bleiben wir auf unserm Zimmer.

ERNESTINE.
Ach, wenn man erst erfährt, daß Sie – man bringt uns am Ende wirklich ins Gefängnis!
KATHARINE.
Sei keine Törin! Komm! Beide ab.
7. Szene
Siebente Szene.
Unruh. Baron.

BARON
kommt hervor.
Unruh, laß dich umarmen!
UNRUH.
Zu viel Ehre!
BARON.
Du bist das Muster aller feinen Spitzbuben.
UNRUH.
Talente gibt der Himmel.
BARON.

Aber die arme Frau dauert mich! Sie ist für ihre Prüderie doch zu hart bestraft. Ich will sie schützen. Komm, Unruh, du mußt eine neue Rolle spielen.

UNRUH.
Bravo! Die Intrigen gehen an – nun soll man einen geistreichen Lohnlakai kennen lernen.Beide ab.
8. Szene
Achte Szene.
Zimmer bei Rat Zabern.
Die Rätin. Cäcilie. Babette.

CÄCILIE
zu Babetten.
Er wird abends nicht kommen?
BABETTE.

So sagte er. Der Herr Kommissär war überhaupt sehr pressiert. Ich fand ihn eben im Gespräch mit der fremden schönen Dame –

CÄCILIE.
Hab' ich danach gefragt? Verlasse Sie uns.

Babette ab.
9. Szene
Neunte Szene.
Rätin. Cäcilie setzen sich schweigend zur Arbeit.

RÄTIN
nach einer Pause.
Du scheinst verdrießlich, Cäcilie?
[311]
CÄCILIE.

Nicht doch, Mama. – Die englischen Nadeln werden immer schlechter. Da ist mir wieder eine abgebrochen.


Pause.
RÄTIN.
Er wollte Babetten auf dem Fuße folgen – er könnte schon längst da sein.
CÄCILIE.
Ich glaube, es klingelt –
RÄTIN.
Du kannst ihm immer ein Wörtchen sagen. Ich will euch dann allein lassen.
10. Szene
Zehnte Szene.
Vorige. Sittig.

SITTIG.
Guten Abend, Frau Rätin – Fräulein –
RÄTIN
etwas gespannt.
Guten Abend.
CÄCILIE
neigt sich stumm und arbeitet.
SITTIG
wischt sich die Stirn.
Große Hitze heute –
RÄTIN.
Sehr!
SITTIG.
Wissen Sie schon? Der Präsident ist soeben angekommen.
RÄTIN.
So?
SITTIG.
Er wohnt im Badehause, etwas unbequem, mich wundert das –
RÄTIN
steht auf.
Ich will doch sehen, ob der Vater noch schläft. Wann willst du den Kaffee haben, Cäcilie?
CÄCILIE.
Wann Sie befehlen, Mama.
RÄTIN
mit Bedeutung.

Da wir heute kein Spiel haben, nehmen wir den Kaffee etwas später. – Strenge die Augen nicht zuviel an, Cäcilie. Ich komme wieder. Ab, indem sie ihr zuwinkt und ihn kalt grüßt.

11. Szene
Elfte Szene.
Cäcilie. Sittig.

SITTIG.
Was hat die Mama?
CÄCILIE.
Ich weiß nicht –
SITTIG.
Auch Sie scheinen übler Laune, Cäcilie?
CÄCILIE.
O nicht doch –
SITTIG
setzt sich zu ihr.
Blicken Sie auf – sehen Sie mich doch an! Will ihren Arm ergreifen.
CÄCILIE.
Lassen Sie mich!
SITTIG.
Sie legen die Arbeit weg – Sie senken den Kopf – Cäcilie – Sie weinen! – Was soll nun das heißen?
CÄCILIE.
Freilich, meine Tränen bedeuten nichts!
SITTIG.
Wie können Sie so reden? Sie wissen, das ärgert mich.
[312]
CÄCILIE
etwas frappiert.
Ärgert Sie? Ich denke, es sollte Sie schmerzen.
SITTIG
etwas heftig.

Grundlose Tränen sind nur ärgerlich. Steht auf, Pause. Ich konnte Vormittag nicht kommen. Den Abend bring' ich mit Ringelstern zu. Er erweist mir alle Freundschaft, ich hab' ihn seit Jahr und Tag nicht gesehen, ich denke, er kann mit Recht verlangen, daß ich ihm ein par Stunden widme, und wenn das der Grund Ihrer Tränen ist –

CÄCILIE.
Und wenn er es wäre? Der Baron ist kein Umgang für Sie.
SITTIG.
Warum nicht?
CÄCILIE.
Er ist ein Weltmann. Er hat keinen Sinn für Häuslichkeit, für Familienleben.
SITTIG.
Er hat Sinn für alles Gute.
CÄCILIE.
Ich weiß, er reizt Sie gegen mich auf.
SITTIG.
Im Gegenteil, er will für unser Glück wirken.
CÄCILIE.
Ich wünsche, daß wir unser Ziel erreichen, ohne fremde Einmischung.
SITTIG.
Sie sind ungerecht. Karl ist –
CÄCILIE.

Mag er sein, was er will. Er ist ein Spötter, ein Witzkopf. Er macht sich über unser Verhältnis lustig. Sie verteidigen ihn, hab' ich nun nicht Grund zu klagen?

SITTIG.

Hat jemand Grund dazu, so bin ich's. Mir das Mädchen nachzuschicken! – Ich schämte mich vor den Leuten, vor dem Mädchen selbst – das heimlich kicherte – ich bemerkte es wohl –

CÄCILIE.
Was Sie alles bemerken! – Wenn man um ihn besorgt ist – Steht auf.
SITTIG.
Besorgt? Ich bin kein Kind!
CÄCILIE.
Ich bitte, sprechen Sie etwas leiser, der Vater schläft.
SITTIG
sanft, dann heftiger, aber immer wieder leiser.

Wahrhaftig, ich tue alles, was ich Ihnen an den Augen absehe, ich denke und sinne, strebe und lebe nur für Sie; jede Viertelstunde, die ich meinen Geschäften abmüßige, bring' ich mit Ihnen und ihren Eltern zu. Mein Malen, mein Zeichnen, ja, meine Lektüre hab' ich vernachlässigt. Sie wissen selbst, wie sehr die Langeweile im Hause Ihrer Eltern herrscht; ich habe die Tanten und Muhmen und Kaffeeschwestern in der Residenz mit Geduld ertragen, ich wußte Ihr eigenes Unbehagen, Ihre Ungeduld mit diesen Verhältnissen zu beschwichtigen, wir litten und trugen miteinander, füreinander, bauten in den wenigen glücklichen Stunden, wo uns der Schwarm verließ, schöne Plane für die Zukunft eines froheren, freieren Lebens – aber ich fürchte, es wird bei den Planen bleiben. Dieser Landaufenthalt, von dem ich mir so viel Vergnügen versprach, bringt nichts als Verdrießlichkeiten. Die [313] Eltern fühlen sich hier unbequem, ich, der ich mich ohnedem aufopfere, soll alles entgelten, und die Geliebte, die mich erheben und aufrecht erhalten sollte, quält und martert mich täglich, stündlich mit tausend Rücksichten und Ausstellungen, die der Sinn eines Mannes nur kleinlich finden kann.

CÄCILIE.

Diese Vorwürfe hab' ich längst erwartet. So manches spitze Wort, daß Ihnen entschlüpfte, hat mich darauf vorbereitet. Die Bekanntschaft mit unserm Hause riß Sie aus einem etwas lustigen Freundschaftskreise, den Sie noch immer ungern entbehren. Ich dachte, meine Liebe sollte Sie für den Verlust jener munteren Gesellen entschädigen, aber es scheint nicht so. Kaum taucht einer wieder auf, und schwatz Ihnen den Kopf voll von Freiheit, Unabhängigkeit, was weiß ich, so stimmen Sie in das Lied ein.

SITTIG.

Ich weiß, worauf Sie zielen. Mein Zusammenhang mit Ringelstern ist Ihnen unangenehm. Aber Karl ist ein wackerer, ein ganzer Mensch, mir in vielen Stücken überlegen; er ist mein Freund, ich werd' ihn niemals aufgeben.

CÄCILIE.
Nach Belieben.
SITTIG.
Bleiben Sie, Cäcilie. Sie haben noch etwas gegen mich. Sprechen Sie.
CÄCILIE.
Was hilft es? Sie erklären sich so bestimmt –
SITTIG.

Nicht diese erkünstelte Kälte, diese ärgerliche Zurückhaltung! Sagen Sie offen, was Sie auf dem Herzen haben.

CÄCILIE.
Nun denn – Sie sprachen heute wieder mit Frau von Rosen.
SITTIG.
Cäcilie –!
CÄCILIE.
Sie ist eine Frau von zweideutigem Rufe.
SITTIG.
Törichte Eifersüchtelei!
CÄCILIE.
Leben Sie wohl. Ihre Unarten mag ich nicht anhören.
SITTIG.

Bleiben Sie! So geht es nicht länger. Ich traue Ihnen, Sie sollen mir trauen. Ich bin kein Kind. Ich bin ein Mann. Ich weiß, was ich mir, was ich Ihnen schuldig bin. Hatte ich Sie jemals mit einem Manne in Verdacht? Warum soll ich mit keinem Frauenzimmer sprechen? Ich will sprechen, ich muß sprechen, mein Geschäft erfordert es sogar. Übrigens steht es einem Mädchen übel an, Personen ihres Geschlechtes zu verdammen.

CÄCILIE.
Vortrefflich! Sie sprechen jener Abenteuerin das Wort.
SITTIG.
Sie ist keine Abenteuerin.
CÄCILIE.
Was ist sie denn?
SITTIG.
Gleichviel! Ich weiß, was ich zu tun habe.
CÄCILIE.
Immer besser!
SITTIG.
Sie sollen mir nicht vorschreiben. Am wenigsten die Mama.
[314]
CÄCILIE.
Ich Unglückliche!
SITTIG.
Nun kommen wieder die Tränen!
CÄCILIE.
Ihre Grausamkeit erpreßt sie mir –
SITTIG.

Ich bin nicht grausam; ich bin sanft, geduldig, man kann mich um den Finger wickeln, aber ich lasse mich nicht gängeln, nicht hofmeistern, nicht wie einen Knaben behandeln –

CÄCILIE.
Stille doch! Die Mama!
12. Szene
Zwölfte Szene.
Vorige. Die Rätin.

RÄTIN.
Kinder! Ihr werdet laut, der Vater schläft noch.
SITTIG.
Ich empfehle mich –
RÄTIN.
Halt, Herr Sittig! – Was ist vorgefallen?
CÄCILIE.
Nichts –
SITTIG.
Etwas – aber etwas, was nur für uns beide gehört.
RÄTIN.
Hoho! Herr Sittig!
CÄCILIE.
August!
SITTIG.
Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber in gewissen Dingen ist das System der Nichtintervention das beste.
RÄTIN.
Welche Sprache!
SITTIG.

Es muß einmal gesagt sein, was schon lange in mir gärt. Gnädige Frau, ich ehre, ich achte Sie, als Cäciliens Mutter, als eine Frau von vielen guten Eigenschaften; ich gehe für Sie durchs Feuer, wenn Sie es verlangen, ich lasse mir so manches Bittere gefallen, aber Sie sollen mir Cäciliens Herz nicht abwendig machen, sie nicht in ihrem Trotz, in ihren Launen bestärken.

RÄTIN.
Trotz? Launen? Sie ist das beste Herz von der Welt!
SITTIG.
Das ist sie, wenn man ihr nichts in den Kopf setzt.
RÄTIN.
In den Kopf setzt! Wer setzt? Das soll wohl ich sein? Mäßigen Sie sich, Herr Sittig.
SITTIG.

Ich bin ganz ruhig, ganz besonnen. Sie haben mich vorhin schnöde behandelt, und warum? Weil ich einmal von der L'hombre-Partie wegbleibe. Ich sagte kein Wort dazu. Aber nun schulmeistert mich Cäcilie. Ich sehe, es ist ein ganzes Komplott.

RÄTIN.
Komplott! Was das für Ausdrücke sind! Cäcilie, du sagst kein Wort.
SITTIG.
Sie sehen ja, sie weint. Das ist genug.
RÄTIN.
Sie weint? Armes Kind! Sei ruhig! Ich will dich schützen. – Herr Sittig, verlassen Sie uns.
SITTIG.
Sehr gerne.
RÄTIN.
Kommen Sie wieder, wenn Sie in besserer Laune sind. – Das arme Kind!
[315]
SITTIG.

Gnädige Frau, ich kam mit dem besten, dem liebevollsten Herzen; aber wenn man es zurückstößt, so kann ich gehen – gehen für immer.

RÄTIN.
Was war das?
SITTIG.

Ja, und wenn's mich mein Leben, mein Lebensglück kostet! Der ist kein Mann, der für das Weib seines Herzens nicht sein alles gibt; aber der verdient keiner zu sein, der für eine Weibergrille sein besseres Ich aufopfert.

RÄTIN.
Das versteh' ich nicht.
SITTIG.

Aber Cäcilie versteht mich. Sie denke nach, sie prüfe sich noch einmal genau; wenn sie mich wahrhaft liebt, so wird sie mir bei kälterem Blute recht geben. Bewegt. War ihre Liebe nur eine Täuschung, so mag sie lieber jetzt zerrinnen, als später: jetzt wird nur ein Herz verbluten, später würden es vielleicht zwei. – Leben Sie wohl, Cäcilie, wir sehen uns wieder. Ab.

13. Szene
Dreizehnte Szene.
Rätin. Cäcilie.

RÄTIN.

Der Mensch ist ausgewechselt. Da heißt es wohl: stille Wasser trügen. Aber er war immer exaltiert. – Hat er sich denn entschuldigt? Warum kommt er heut' abends nicht?

CÄCILIE
trocknet die Augen, gefaßt.
Ich habe ihn gereizt. Hätten Sie uns doch allein gelassen, Mama –
RÄTIN.
Du konntest ja reden – aber du sagtest kein Wort.
CÄCILIE.
Es war mir unmöglich. Auch hatte ich wirklich unrecht.
RÄTIN.

Ei was! – Man muß den Männern niemals das letzte Wort lassen. – Aber ich hätte mir nicht eingebildet, daß der sanfte, junge Mensch so heftig perorieren könnte.

CÄCILIE.
Er ist ein edler, ein vortrefflicher Mensch!
RÄTIN.

Aber ein Trotzkopf. Du wirst noch deine Not mit ihm haben. – Der Vater räuspert sich. Tu nichts dergleichen. Ich will ihm schon sagen, was er zu wissen braucht.

14. Szene
Vierzehnte Szene.
Vorige. Rat Zabern.

RÄTIN.
Nun, Zabern, hast du ausgeschlafen?
RAT.
Vollkommen. Ist der Kaffee fertig?
RÄTIN.
Bald, Alter.
RAT.
Ich hörte wie im Traume sprechen. War's nicht Sittig?
RÄTIN.
Ja, mein Freund.
RAT.
Er kommt doch später zum L'hombre?
[316]
RÄTIN.
Heute nicht.
RAT.
Nicht? Das ist schade! Ich hatte mich so darauf gefreut.
RÄTIN.
Heute muß Cäcilie herhalten.
RAT.

Die spielt schlecht, wenn er da ist, und noch schlechter, wenn er nicht da ist. Warum kommt er denn nicht?

RÄTIN.
Was weiß ich! Geschäfte –
RAT.
So, so! – Du, Frau!
RÄTIN.
Zaberchen –?
RAT.
Haben sie gezankt?
RÄTIN.
Es war nichts. Ein kleiner Liebeszwist.
RAT.

Das hat man vom Lande! In der Stadt kommt dergleichen nicht auf. Vormittag und Nachmittag die Bureaustunden, abends ein Spiel; alles friedlich und ruhig. Aber hier hat man Zeit zu allen Torheiten.

RÄTIN.
Dazu finden junge Leute allenthalben Zeit. – Willst du in den Garten gehen, Alter?
RAT.
Meinetwegen. Mit einem Seitenblick auf Cäcilien. Ich kann das Zanken nicht leiden.
RÄTIN.
Gehst du mit, Cäcilie?
CÄCILIE.
Ich komme nach, Mama.
RAT.
Nicht leiden kann ich's, das Zanken! – Sittig kommt doch morgen wieder?
RÄTIN.
Das versteht sich.
RAT.

Ich bin an den jungen Mann so gewöhnt, es geht mir was ab, wenn ich ihm nicht guten Abend sagen kann. – Cäcilie, was hat's denn gegeben?

RÄTIN.
Laß sie doch! Du siehst ja – – Komm in den Garten.
RAT.
Höre! Meinem Sittig laß ich nichts antun –
RÄTIN
nimmt ihn beim Arm.
Komm nur!
RAT
im Gehen.
Er ist sanft wie ein Lamm, bis auf die Politik. – Was ist denn eigentlich vorgefallen?
RÄTIN.
Ich will dir's hernach erzählen. Komm nur! Komm! Beide ab.
CÄCILIE
allein.

So ernst haben wir noch niemals gestritten. – Was liegt doch für ein Widerspruch in uns! Wie harte Worte hab' ich gesprochen, und wie ganz anders hab' ich dabei empfunden! Aber nicht um die Welt konnte ich so sprechen, wie ich fühlte. Das hätte er herausfinden sollen. Er war recht böse, recht aufgebracht. Aber sein Zorn ließ ihm gut. Er liebt mich gewiß; lieb' ich ihn nicht auch? – Wenn er doch heute noch einmal käme. Ich wollte ganz anders sprechen. – Ach, ich bin recht unzufrieden mit mir selbst. Ab.

15. Szene
[317] Fünfzehnte Szene.
Zimmer bei Katharine von Rosen. Ein offener Koffer im Hintergrunde.
Katharine von Rosen. Ernestine.

ERNESTINE.
Soll ich wieder auspacken?
KATHARINE.
Allerdings.
ERNESTINE.
Bleiben wir denn wirklich hier?
KATHARINE.
Man läßt uns ja nicht fort –
ERNESTINE.
Ich schwebe in einer wahren Todesangst –
KATHARINE.
Du bist nicht klug!
ERNESTINE.
Wie Sie nur so ruhig sein können!
KATHARINE.
Ruhig? In mir tobt es und gärt es. Die Beleidigungen jenes Abscheulichen –
ERNESTINE.
Ihr Scherz mit dem Lohnlakai gab ihm Veranlassung.
KATHARINE.
Gleichviel! Er hätte sich anders benehmen sollen.
ERNESTINE.
Die Männer sind alle gleich.
KATHARINE.
Ach, diese Ohnmacht unsers Geschlechts –
ERNESTINE.
Hab' ich Ihnen das nicht immer gesagt?
KATHARINE.
Ich möchte alle Männer vergiften!
ERNESTINE.
Besonders die, welche von uns Pässe verlangen.

Man hört klopfen.
ERNESTINE.
Himmel, es klopft!
KATHARINE.
Über deine alberne Ängstlichkeit! Mit erzwungenem Mute. Herein!
16. Szene
Sechszehnte Szene.
Vorige. Unruh.

ERNESTINE.
Es ist der Lohnlakai.
UNRUH.
Verzeihen Euer Gnaden –
KATHARINE.
Was bringt Ihr, mein Freund?
UNRUH.
Es ist jemand draußen, der mit Ihnen sprechen möchte.
KATHARINE.
Mit mir?
UNRUH.
Ein sehr feiner, artiger Herr.
KATHARINE.
Ich will nicht hoffen –
UNRUH.
Es ist jemand – vom Paßbureau.
ERNESTINE.
Vom Paßbureau? Wir sind verloren!
KATHARINE.
Willst du schweigen! Zu Unruh. Was verlangt die Behörde von mir?
UNRUH.

Ich weiß nicht. Allein, wie gesagt, es ist ein sehr [318] feiner Mann, und wenn Euer Gnaden ihn ein bißchen zuvorkommend behandeln –

ERNESTINE
dazwischen.
Nur ja recht zuvorkommend!
KATHARINE.
Spart Eure Ratschläge, mein Freund! – Laßt den Herrn kommen.
UNRUH.
Er wartet im Vorzimmer. Ich will ihn sogleich bedeuten – Öffnet die Tür.
ERNESTINE.
Gestehen Sie nur alles, Fräulein.
KATHARINE.
Sei ruhig! Wenn das Amt sich melden läßt, ist's nicht so schlimm.
UNRUH
hinaussprechend.
Gnädiger Herr, spazieren Sie nur herein. Ab.
17. Szene
Siebzehnte Szene.
Katharine. Ernestine. Baron Ringelstern.

ERNESTINE.
Der Herr von Vormittag!
KATHARINE.
Ist's möglich!
ERNESTINE.
Ich atme freier!
BARON
ernsthaft.

Meine Gnädige, verzeihen Sie, daß ich Ihr Zimmer betrete, allein die Amtspflicht – Kommissär Sittig sendet mich –

KATHARINE.
Ohne Entschuldigung! Was steht zu Ihren Diensten?
BARON.
Vorerst nur ein paar Fragen. Doch wir müssen allein sein.
KATHARINE.
Geh hinaus, Ernestine.
ERNESTINE.
Recht gerne. Leise zu Katharine. Ich denke, der wird mit sich handeln lassen. Ab.
18. Szene
Achtzehnte Szene.
Katharine. Baron.

BARON.

Bevor ich amtlich auftrete, müssen Sie mir erlauben, mich über einen Irrtum erklären und entschuldigen zu dürfen. Ich weiß nicht, wodurch der Lohnlakai des Hauses veranlaßt wurde, Sie für eine Tänzerin zu halten, und Sie mir in dieser Eigenschaft zu bezeichnen. Daher mein um so freieres Benehmen, je mehr Sie darauf bestanden, als eine Dame behandelt zu werden. Diese Erklärung war auch beiläufig der Inhalt meines Briefes, den Sie zurückwiesen.

KATHARINE.
Mein Herr, wenn ich wußte, daß – wenn Sie wußten – vergeben Sie!
[319]
BARON.

Beschämen Sie mich nicht, meine Gnädige! Ich bin zufrieden, wenn Sie mir verzeihen. Doch genug davon. – Jetzt zu den Amtsgeschäften. Setzt Stühle. Setzen sich. Sie erlauben mir einiges zu notieren. Zieht ein Portefeuille heraus. Ihr Name ist Frau von Rosen?

KATHARINE
etwas kleinlaut.
Katharine von Rosen.
BARON
als ob er schreiben wollte.
Frau Katharine von Rosen.
KATHARINE.
Ich bitte – Fräulein von Rosen.
BARON.
Fräulein?
KATHARINE
beschämt.
Ja.
BARON.
Es hieß doch –
KATHARINE.

Ein Zufall veranlaßte diesen Irrtum. Der Inhaber des Badehauses nannte mich gnädige Frau, und schrieb meinen Namen, ohne mein Wissen, mit dieser Bezeichnung in das Fremdenbuch. Die Badegäste machten mich gleich zur Witwe. Ich widersprach nicht geradezu –

BARON.
Vergeben Sie, allein das ist unerlaubt.
KATHARINE.

Was dachte ich daran! Was wußte ich von der Welt, von ihren Einrichtungen! – Meine Erziehung, mein Charakter bestärkten mich in mancher Sonderbarkeit. Sie müßten meine Lebensgeschichte wissen, wenn Sie mich ganz begreifen wollten.

BARON.

Lassen Sie mich immer einiges davon erfahren. Ich muß sogar von Amtswegen um die Mitteilung Ihrer Verhältnisse ersuchen.

KATHARINE.
Nun denn! – Mein Vater war General von Rosen –
BARON.
In unsern Diensten? Derselbe, der sich zuletzt in Hamburg niederließ?
KATHARINE.

Derselbe. Die Mutter verlor ich früh. Mein Vater galt für einen Sonderling. Er gab mir die Erziehung eines Knaben. Ich lernte reiten, schwimmen, klettern. Als der Vater vor vier Jahren starb – ich zählte kaum fünfzehn –

BARON
für sich.
Fünfzehn und vier macht neunzehn –
KATHARINE.

War ich mir selbst überlassen, denn es gehörte auch zu den Eigenschaften des sonst vorzüglichen Mannes, daß er mit niemanden vertrauteren Umgang pflog. Ein alter Diener brachte mich und das Mädchen, welches Sie sahen, in die Residenz dieses Landes zu einer alten Anverwandten, bei der wir jungen Kinder wie die Gefangenen lebten. Bücher waren unser einziger Trost. Zudem entwickelte sich bei mir ein geringes Talent für die Kunst, der ich mich mit Leidenschaft hingab. Ich zeichnete, ich malte, und vergaß die Welt um mich her. Mein Mädchen folgte ganz der Richtung meines Geistes. So bildete sich denn in unserm jungen[320] Gehirne eine romantische, ideale Welt, an deren wirkliche Existenz vor den Eisengittern unserer dunklen Fenster wir töricht glaubten. – Nun find' ich die Welt ganz anders! – Die Tante starb. Andere, böse Verwandte wollten mir mein Vermögen entreißen, allein mein Advokat und das Recht siegten. Der wackere Präsident von Stein, ein alter Freund meines Vaters, nahm sich meiner mit aller Wärme an –

BARON
beiseite.
Bravo, Herr Onkel!
KATHARINE.

Ich gewann den Prozeß. Zugleich erklärte mich das Gericht für großjährig. Nun waren wir wieder uns selbst überlassen. Zu jenen Verwandten wollte ich nicht ziehen, so sehr sie sich darum bemühen; eine Heirat, die man mir vorschlug, verabscheute ich. Teils um allen diesen Verhältnissen zu entkommen, teils um die Welt zu sehen, die mir in Glanz und Schimmer vor der Seele schwebte, beschloß ich eine Jugendfreundin aufzusuchen, die sich mit ihrem Gatten an diesem Badeort befand. Ich wollte sie überraschen, allein sie war bereits abgereist. Im jugendlichen Übermut blieb ich mit meinem Mädchen hier allein, wo meine phantastischen Träume vor der kalten Wirklichkeit verfliegen und verflattern sollten. Sie steht auf.

BARON
gleichfalls.

Ihr Betragen zeigte allerdings von Mangel an Weltkenntnis, mein Fräulein, allein Ihre Erzählung hat Sie in meinen Augen vollkommen gerechtfertigt. Ich erlaube Ihnen daher von Amtswegen, frei und ungehindert zu bleiben, oder zu reisen, wie es Ihnen gefällt.

KATHARINE.
Ich danke Ihnen, mein Herr.
BARON.
Beantworten Sie mir noch eine Frage: weshalb wollten Sie so plötzlich abreisen?
KATHARINE.
Soll ich aufrichtig reden?
BARON.
Ich bitte darum.
KATHARINE.
Nun denn: es war Ihretwegen.
BARON.
Meinetwegen?
KATHARINA.

Ja. Ich fühlte mich durch Ihr Betragen gekränkt. Niemals hatte sich mir ein Mann auf diese Art genähert. Ich war aufs tiefste gedemütigt, hilflos, verlassen. Meine lustige Laune war weg, meine Possen verstummten. Die Wut, mich zu rächen, und die Ohnmacht, es nicht zu können, kämpften in meiner Brust. Ich konnte nicht länger bleiben. Ich wollte fort, ich mußte fort.

BARON.
Mein Fräulein, diese Erklärung beschämt und entzückt mich zugleich.
KATHARINE.
Die Beschämung laß ich gelten, die Entzückung seh ich nicht ein.
[321]
BARON.

Sie wollten vor mir fliehen. Was man flieht, das ist uns nicht gleichgültig. Ihre Flucht ist also eine versteckte Schmeichelei für mich.

KATHARINE.
Eine sehr günstige Auslegung!
BARON.

Es läßt sich noch mehr hineinlegen. Zum Beispiel die Ähnlichkeit unserer Charaktere. Ich finde bei Ihnen dieselbe Neigung zum Sonderbaren, einen gewissen romantischen Anklang –

KATHARINE.
Sind Sie auch romantisch?
BARON.
Aufzuwarten.
KATHARINE.
Das hätt' ich nicht vermutet.
BARON.
Warum? Weil ich ein Mann bin?
KATHARINE.
Weil Sie – kein Jüngling mehr sind.
BARON.
Das war boshaft! – Mein Fräulein, Sie vergessen, daß ich Ihr Richter bin.
KATHARINE.
Sie, mein Richter? Wer sind Sie denn eigentlich?
BARON.
Ich? Ein Stück Badekommissär – eine Art Paßdirektor.
KATHARINE.
Wirklich? – Sind Ihre Geschäfte beendigt?
BARON.
Beiläufig – ja.
KATHARINE.
Nun denn, so danke ich für Ihre Gefälligkeiten, Herr Direktor.
BARON.
Was? Sie wollen die Kommission wegschaffen, die eigentlich bestimmt ist, andere Leute wegzuschaffen?
KATHARINE.
Bleiben Sie, so lange es Ihnen gefällig ist. Ich will nur auf mein Zimmer gehen.
BARON.

Halt, mein schönes, romantisches Fräulein! Nur noch zwei Worte! Ich kenne nun Ihre Lage, Sie brauchen eine Stütze, einen Schützer, nehmen Sie mich dazu an.

KATHARINE.
Was soll das wieder?
BARON.

Sie haben sich in mir getäuscht, ich mich in Ihnen. Sie hielten mich für einen Abenteurer, ich Sie für eine Tänzerin. Ich weiß jetzt, wer Sie sind, mögen Sie mich gleichfalls kennen lernen. Ich bin Baron Ringelstern, besitze ein Landgut und verschiedene Tanten, deren eine jede Sie mit Vergnügen in ihr Haus aufnehmen, und mir das Vergnügen verschaffen wird, Sie näher kennen zu lernen.

KATHARINE.
Baron? Gutsbesitzer? Erst waren Sie ja Paßdirektor.
BARON.

Das war Scherz. Ich bin gar kein Direktor; im Gegenteil, ich bin froh, wenn Sie mich dirigieren wollen.

KATHARINE.
Sie hatten also kein Recht, mich auszuforschen?
BARON.
Eigentlich nicht.
KATHARINE.
Und ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen alles zu erzählen!
[322]
BARON.
Es war eine Kriegslist.
KATHARINE.
Kriegslist? – Es ist abscheulich!
BARON.
Nicht doch! Es ist romantisch.
KATHARINE.
Was romantisch? Es ist die höchste Beleidigung. Verlassen Sie mich sogleich.
BARON.
Mein Fräulein –
KATHARINE.
Ich sage, verlassen Sie mich!
BARON.
Hören Sie doch meine Entschuldigung –
KATHARINE.
Es gibt keine. Mich zutraulich zu machen, Ihr Spiel mit mir zu treiben! Ich muß Genugtuung haben.
BARON.

Ich bin bereit. Degen oder Pistolen? – Aber hören Sie mich jetzt ruhig an. Mein voriger Antrag war ernsthaft gemeint. Sie sind ohne Schutz, ohne Stütze, die eine der besagten Tanten wird nächstens hier erscheinen –

KATHARINE.
Was kümmern mich Ihre Tanten! Wer sagt Ihnen, daß ich schutzlos bin? Auch ich erwarte mit nächstem –
BARON.
Eine Tante?
KATHARINE.
Nein!
BARON.
Einen Onkel?
KATHARINE.
Auch nicht. Ich erwarte einen Beschützer.
BARON.
Einen Beschützer? Einen Beschützer? Doch nicht –?
KATHARINE.
Und was, mein Herr?
BARON.
Einen Bräutigam?
KATHARINE.
Ja, ich erwarte einen Bräutigam.
BARON.
Wie? Sie haben einen Bräutigam?
KATHARINE.
Warum soll ich keinen haben?
BARON.

Einen wirklichen, einen veritablen Bräutigam? Das ist ein anderes. Warum sagten Sie das nicht gleich? Ich sehe schon, mein Antrag war vorschnell, meine Kriegslist ist unnütz; die Entzückung schwindet, und nur die Beschämung bleibt zurück.

KATHARINE.
Sehen Sie nun?
BARON.

Ich bekenne mich für besiegt, ja, für vernichtet, ich ziehe mich mit dem Verlust aller meiner Truppen zurück. Der Bräutigam hat meine ganze Armee in die Pfanne gehauen. Wie ein Cäsar, ein Alexander, wirkte dieser Bräutigam, dieser Bräutigam ohne Namen, dieser Bräutigam X. – Leben Sie wohl, mein Fräulein. Vergeben und vergessen Sie, was zwischen uns vorfiel. – Sollte aber dieser Bräutigam vielleicht nur das Spiel einer lebhaften Einbildungskraft sein, so, was man einen Popanz, eine Vogelscheuche nennt, fehlte ihm die Realität, wär' er nur eine Idee, »der Bräutigam, wie er sein soll«, etwa der Mann im Monde, – dann sind wir quitt: Maske für Maske, Kriegslist für Kriegslist – die Visiere sind gefallen, und ein neuer, offener Kampf beginnt auf Tod und Leben!Ab.

19. Szene
[323] Neunzehnte Szene.
Katharine allein, dann Ernestine.

KATHARINE.
Er verspottet, er verhöhnt mich – o, warum muß ich ein Mädchen sein! – Luft! Luft! Ich ersticke!
ERNESTINE
mit einem großen Schreiben.
Nun, alles ging gut, nicht wahr? Der Herr sah ganz munter aus.
KATHARINE.
Ganz munter!
ERNESTINE.
Er muß wohl was Großes sein.
KATHARINE.
Was Großes? Er ist ein Baron – ein Bösewicht – ein Mann! – Was hast du da?
ERNESTINE.
Einen großen Brief für Sie, mein Fräulein. Aber sagen Sie mir nur –
KATHARINE.

Gib her! – Aus der Residenz? Bricht hastig das Siegel. Von meinen Advokaten. Der Rechnungsabschluß. Sehr gelegen! Liest. »Se. Exzellenz, der Herr Präsident, haben die Gnade, den Brief selbst mitzunehmen.« – Der Präsident ist hier. Nun ist alles gut.

ERNESTINE.
Ich begreife nicht – da klopft es schon wieder.
KATHARINE.
Laß klopfen! – Herein! – Zu Ernestinen. Geh hinaus.
ERNESTINE
für sich.
Ich kenne sie gar nicht – Ab.
20. Szene
Zwanzigste Szene.
Katharine. Sittig.

KATHARINE
geht auf Sittig zu.
Herr Kommissär, lesen Sie – Gibt ihm das Schreiben.
SITTIG
durchsieht die Papiere.
Diese Schriftzüge sollte ich kennen – »Doktor Klaproth« – »Fräulein von Rosen« – Fräulein?
KATHARINE.
Das bin ich. Geht auf und ab.
SITTIG
liest.

»Hauszins – Obligationen – halbjähriges Erträgnis: zweitausend Taler – Seine Exzellenz, der Herr Präsident –« Ah, Seine Exzellenz!Liest im stillen.

KATHARINE.
Sind Sie nun über meine Person aufgeklärt?
SITTIG.

Vollkommen. Auf diese Papiere kann ich Ihnen mit gutem Gewissen den Entlaßschein ausfertigen. Auch stehen die Pferde bereit.

KATHARINE.
Ich danke. Ich reise nicht – ich bleibe.
SITTIG.
Wie es Ihnen gefällig ist.
KATHARINE.
Herr Kommissär, sind Sie verheiratet?
SITTIG.
Ich? O nein!
[324]
KATHARINE.
Das ist schade! Zwar – Sie könnten – Wollten Sie sich einer Verlassenen annehmen?
SITTIG.
Mit Vergnügen.
KATHARINE.
Wollen Sie –? Sieht ihn an, geht auf und ab.
SITTIG.
Was soll ich wollen?
KATHARINE.
Wollen Sie mich heute auf die Promenade begleiten?
SITTIG.
Auf die Promenade? Erklären Sie mir nur –
KATHARINE.

Ach ich bin schutzlos, beleidigt, verhöhnt von einem Grausamen, einem Spötter, einem Unwürdigen! Bricht in Tränen aus.

SITTIG
wird warm.

Wer hat Sie beleidigt? Nennen Sie den Mann. Ich schütze, ich räche Sie. Ich bin eben in der Laune, mit der ganzen Welt Händel anzufangen.

KATHARINE.

Lassen wir das. – Sie sind ein guter Mensch. So sollten die Männer sein! Auch ich bin gut. Denken Sie nichts Arges von mir. Und nun führen Sie mich vor allem Präsidenten.

SITTIG.

Recht gern, aber es wäre vergebene Mühe. Seine Exzellenz haben sich umgekleidet, sind ausgefahren, sind heute nicht zu sprechen.

KATHARINE.

Nun denn, morgen. Aber heute müssen Sie mich auf die Promenade begleiten. Sie werden den Präsidenten dadurch verbinden. Die Pferde stehen bereit, ich lasse meinen Wagen anspannen; ich hole meinen Hut, meinen Schal. Sie sollen alles erfahren. Erwarten Sie mich hier. Ab.

SITTIG
allein.

Sonderbares Mädchen! Kuriose Geschichte. Man wird nicht klug daraus. Was wird Cäcilie sagen? – Ich soll mit ihr spazieren fahren? Aber warum? Was hat sie davon? Ich begreif' es nicht.


Katharine mit Hut und Schal.
KATHARINE.
Herr Kommissär, ich bitte um Ihren Arm.
SITTIG
zögernd.
Mein Fräulein – wenn Sie befehlen –
KATHARINE
ergreift seinen Arm.
Kommen Sie! Kommen Sie.
SITTIG.

Ich mit einem Frauenzimmer auf der Promenade! Das wird ein ganzes Stadt- und Landgespräch – Beide ab.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Zimmer beim Präsidenten. Gestelle mit Blumen.
Präsident von Stein. Baron Ringelstern. Unruh. Letzterer mit Blumentöpfen.

PRÄSIDENT.
Stell Er die Blumen nur hieher. Hol Er Wasser.
UNRUH.
Sogleich, Exzellenz. Ab.
PRÄSIDENT.

Es freut mich, lieber Neffe, Sie wohl zu finden. Mit Vergnügen vernehme ich, daß Ihre Güter fast schuldenfrei sind.

BARON.

Es hat mich zehnjährige Arbeit gekostet und Entbehrungen mancher Art. Meine Bauern lebten im Grunde besser als ich. Aber nun sind alle Gläubiger meines Vaters befriedigt, und ich lebe auf meinem alten, ausgebesserten Schlosse, in meinen Wäldern und Gauen, wie ein König, und verlache die Torheiten der Welt.

PRÄSIDENT.

Brav! Brav! Glauben Sie mir, das ist das Beste. Der Staatsdienst hat am Ende, wenn man es noch so hoch bringt – – Unruh kommt zurück mit Wasser, und will gießen.

PRÄSIDENT.

Halt, mein Freund, das tu ich selbst.Nimmt die Gießkanne. Zum Baron. Meine alte Liebhaberei, lieber Neffe: die Blumen. Ich bin ein anderer Mensch, wenn ich hier auf dem Lande wohne. Da kenn' ich nichts als Berge und Blumen. Gleich gestern abends hab' ich einen tüchtigen Berg bestiegen und wacker botanisiert.

BARON.

Sie dürfen sich diese Erholung gönnen, Herr Onkel. Ein Mann, wie Sie, der durch elf Monate an den Aktentisch angeschmiedet ist –

PRÄSIDENT.

Jawohl, angeschmiedet! Nun, ich arbeite gern. Aber hier mag ich nicht daran denken.Zu Unruh. Mehr Wasser!


Unruh ab.
PRÄSIDENT.
Sehen Sie nur diese Ranunkeln, diese Levkojen! Welche Frische! Welche Farben! Welcher Duft!
BARON.
Kostbar!
PRÄSIDENT.

Die Natur ist doch das Schönste!Nimmt Unruh, der zurückkam, die Gießkanne ab. Nur her, mein Freund! Nun ist's genug. Unruh ab.

2. Szene
Zweite Szene.
Präsident. Baron Ringelstern.

PRÄSIDENT
bei den Blumen.
Seid ihr durstig? Nun wartet, ich gebe euch zu trinken. Gießt.
[326]
BARON
für sich.
Jetzt ist er in der rechten Stimmung. – Herr Onkel –
PRÄSIDENT.
Lieber Neffe –?
BARON.
Ich habe eine Bitte –
PRÄSIDENT.
Heraus damit.
BARON.
Es ist eine Angelegenheit –
PRÄSIDENT.
Nur nichts von Geschäften? Die gehören in die Stadt.
BARON.
Aber ich komme nicht in die Stadt, und da wir hier eben zusammentreffen –
PRÄSIDENT.

So sprechen Sie in's Himmelsnamen. Ihnen zuliebe will ich eine Ausnahme machen.Stellt die Gießkanne weg.

BARON.
Sie haben eine Stelle in Ihrem Bureau zu vergeben –
PRÄSIDENT.
Ja, sie verlangt einen tüchtigen Juristen und einen rechtlichen Menschen.
BARON.

Ich weiß einen solchen; einen wackern und ausgezeichneten jungen Mann. Er bekleidet einen Posten in der Residenz, der weder seinen Talenten, noch seinen Wünschen entspricht. Gegenwärtig ist er hier als Badekommissär.

PRÄSIDENT.
Badekommissär? Heißt er nicht Sittig?
BARON.
Ja.
PRÄSIDENT.
Hm! Der Mensch gefällt mir nicht.
BARON.
Kennen Sie ihn?
PRÄSIDENT.

Nicht von Person. Er mag Talent haben, das glaub ich auf Ihr Wort; aber steht er nicht in einem Verhältnisse –

BARON.
Mit der Tochter des Rat Zabern.
PRÄSIDENT.
So?
BARON.
Er will heiraten, das macht ihn eben die Beförderung wünschen.
PRÄSIDENT.
Will heiraten, und schleppt sich mit andern Frauenzimmern öffentlich herum.
BARON.
Mein Freund Sittig? Pure Verleumdung. In dem Punkt ist er völlig rein.
PRÄSIDENT.

Nein, nein! Das weiß ich besser. Ich speiste gestern an der Table d'hote, da wurde von nichts gesprochen, als von Sittig, und von einem Verhältnisse mit einer jungen, abenteuernden Witwe, mit welcher er in einer offenen Karosse spazieren fuhr.

BARON
beißt in die Lippen.
Ja so! Ich weiß von der Geschichte.
PRÄSIDENT.
Nun also?
BARON.
Der Schein ist allerdings gegen ihn, aber wer die näheren Umstände kennt, wie ich –
PRÄSIDENT.

Es soll mich freuen, wenn der junge Mensch besser ist als sein Ruf; aber wir Juristen durchschauen mit einem [327] Blicke alle Verhältnisse. Ich kenne Ihren Sittig nicht, doch ich wette, er ist ein kleiner Roué, eine Art Lovelace. Ich kann in meiner nächsten Umgebung nur unbescholtene Menschen brauchen. – Apropos, lieber Neffe! Wie steht es mit Ihrem Herzen? Haben Sie noch immer keine Lust zu heiraten?

BARON.

Sie kennen meine Ansicht über diesen Punkt. Als ich jung war, war ich arm. Man trug mir verschiedene, bedeutende Partien an, ich schlug jede aus. Ich war zu stolz, und vielleicht zu klug, um meine Umstände durch eine reiche Heirat zu verbessern. Ich hatte stets die Grille, ein armes Mädchen zu nehmen. Nun sind meine Verhältnisse geordnet; ich wäre in der Lage, mit einer Frau ein Leben nach meinem Sinne zu führen, aber – ich bin alt geworden.

PRÄSIDENT.
Alt? Warum nicht gar! Sie sind ein Mann geworden. Sie müssen heiraten.
BARON.

Und dann unsere Damen! Das ist die partie faible der Zeit. Es gibt im Grunde nur zwei Sorten: Ungebildete und Verbildete. Die einen vernähen und verwaschen ihren Geist, die anderen tanzen und konversieren sich um ihr Gefühl. Beide Teile betrachten eine Heirat wie ein Geschäft, eine Anstellung. Sie sind imstande, eine erste Liebe aufzugeben, wenn sich ein Epouseur meldet. Ich danke für beides. Ich mag weder der Verlassene, noch der Erwählte sein.

PRÄSIDENT.

Sie sprechen einem alten Junggesellen recht zu Gehör. Aber es gibt Ausnahmen. Alles wohl überlegt, Neffe, wissen Sie, daß ich für Sie eine Partie habe?

BARON.
Für mich?
PRÄSIDENT.

Ein Mädchen, frisch und schön wie der junge Tag, nicht arm, doch darüber können Sie jetzt wegsehen; natürlich, anmutig, herzensgut, ohne Prätensionen, ein bißchen bizarr, nicht ganz frei von romantischen Grillen – doch das wird Ihnen eben zusagen.

BARON.
Die Beschreibung ist anziehend genug. Wer ist der Phönix?
PRÄSIDENT.
Die Tochter eines alten Freundes, ein Fräulein von Rosen.
BARON.
Fräulein von Rosen?
PRÄSIDENT.

Sie ist hier, was mir nicht ganz recht ist. Ich wollte sie noch spät abends besuchen, aber sie war ausgefahren.

BARON.
Ausgefahren? – Wissen Sie, mit wem?
PRÄSIDENT.
Ich denke, mit ihrem Mädchen.
BARON.
Mit keinem Mädchen, mit einem Manne –
PRÄSIDENT.
Herr Neffe –
[328]
BARON.
Mit einem Wort: Fräulein von Rosen ist das Frauenzimmer, mit welchem Sittig spazieren fuhr.
PRÄSIDENT.
Ein Irrtum, lieber Neffe! Das war eine Frau von Rosen.
BARON.
Frau von Rosen und Fräulein von Rosen sind eine und dieselbe Person.
PRÄSENT.
Wie?
BARON.
Ihr Schützling gab sich hier für eine Frau aus.
PRÄSIDENT.
Wär's möglich! Wie hab' ich mich doch in dem Mädchen getäuscht!
BARON.
Sie hat romantische Grillen –
PRÄSIDENT.
Romanhafte wollen Sie sagen, wenn es keine schlimmeren Grillen sind.
BARON.
Sie ist ein bißchen bizarr –
PRÄSIDENT.

Sie ist – nun warte! Dir will ich den Text lesen. Sie ist leichtsinnig, exzentrisch – aber diese Handlung – ist das Mädchen verrückt geworden? Die ganze Welt weiß, daß sie an mich gewiesen ist. Hm! hm! Das ist mir sehr fatal. – Nun ist meine Promenadezeit. Wollen Sie mich begleiten, Neffe?

BARON.
Mit Vergnügen.
PRÄSIDENT.

Wenn ich es recht bedenke: Ihr Freund kann vielleicht die Anstellung erhalten, wenn er anders brauchbar ist.

BARON.
Dafür steh ich.
PRÄSIDENT.

Gut! Gut! Aber es hat eine Bedingung – er muß unbescholten sein – die Spazierfahrt muß ausgeglichen werden. – Das verwetterte Mädchen! Nein, nein, sie taugt nicht für Sie! Kommen Sie! Kommen Sie!

3. Szene
Dritte Szene.
Vorige. Kammerdiener.

KAMMERDIENER.
Exzellenz –
PRÄSIDENT.
Was gibt's?
KAMMERDIENER.
Es sind Leute draußen –
PRÄSIDENT.
Hab' ich nicht befohlen, niemand vorzulassen? Ich will ungestört sein. – Wer ist es denn?
KAMMERDIENER.
Badekommissär Sittig –
PRÄSIDENT.
So, so!
KAMMERDIENER.
Und Fräulein Rosen.
PRÄSIDENT.

Fräulein Rosen? Was sagen Sie Neffe? Zum Kammerdiener. Ich spreche niemand. Oder – sollen warten. Kammerdiener ab.

4. Szene
[329] Vierte Szene.
Präsident. Baron.

PRÄSIDENT.
Nun, was sagen Sie zu Ihrem Herrn Sittig? Er trennt sich gar nicht mehr von dem Fräulein.
BARON.

Vermutlich ein Zufall. Mein Freund glaubt mich hier zu finden, er will Ihnen seine Aufwartung machen –

PRÄSIDENT.

Seine Aufwartung? Wissen Sie, was er will? Ich durchschaue die ganze Sache! Er will die Rosen heiraten.

BARON.
Gewiß, Onkel, Sie irren –
PRÄSIDENT.

Wollen Sie wetten? Auch die Rosen liebt ihn. Ich kenne das Mädchen. Der junge Mann kam ihr entgegen, voll Feuer und Leidenschaft – die Romantik hat ihr einen Streich gespielt. Sie ist in ihn verliebt. Es ist ausgemacht.

BARON.
Aber lieber Onkel –
PRÄSIDENT.

Lassen Sie mich nur machen. Ich will zuerst den jungen Menschen aufs Korn nehmen. Ich danke für Ihre Begleitung, Neffe. Ich will den Spaziergang mit Sittig machen. Er soll an die Promenade gedenken.

BARON.
Aber das Fräulein –
PRÄSIDENT.
Überlasse ich Ihnen. Warten Sie! Warten Sie! Öffnet die Tür. Fräulein Rosen!
5. Szene
Fünfte Szene.
Vorige. Katharine von Rosen.

KATHARINE.
Herr Präsident –
PRÄSIDENT.
Fräulein Rosen! Sehr überrascht, Sie hier zu sehen.
KATHARINE.
Sie erwiesen mir gestern die Ehre – ich war ausgefahren –
PRÄSIDENT.
Weiß, weiß! Mit einem jungen Herrn.
KATHARINE.
Es war Kommissär Sittig. Ein vortrefflicher junger Mann.
PRÄSIDENT.
So, so!
KATHARINE.
Er hat mich auch hierher begleitet. Ich begab mich in seinen Schutz.
PRÄSIDENT.
Schutz?
KATHARINE.
Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen, Herr Präsident.
BARON
der indessen abgewendet stand, zum Präsidenten.
Sie erlauben, daß ich mich entferne.
KATHARINE
für sich.
Himmel! Der Baron!
PRÄSIDENT.
Bleiben Sie, lieber Neffe –
[330]
KATHARINE
wie oben.
Sein Neffe?
PRÄSIDENT.

Fräulein Rosen, das ist mein Neffe, Baron Ringelstern, er wird sich ein Vergnügen daraus machen, Sie nach Ihrer Wohnung zu geleiten. Erwarten Sie mich gefälligst zu Hause. Ich habe zuerst ein Wörtchen mit Herrn Sittig zu sprechen. Dann steh ich zu Ihren Diensten.

KATHARINE.
Herr Präsident, ich bitte nur um ein Wort –
PRÄSIDENT.

Später, mein Fräulein, später! – Adieu, lieber Neffe! Leise zum Baron. Hab' ich's erraten oder nicht? – Fräulein Rosen, auf Wiedersehen!Ab.

6. Szene
Sechste Szene.
Katharine von Rosen. Baron von Ringelstern.

KATHARINE.
Was hat der Präsident? So fremd, so förmlich war er noch nie.
BARON.
Hören Sie mich ruhig an, mein Fräulein –
KATHARINE.
Mit Ihnen soll ich sprechen? Nimmermehr!
BARON.

Mein Onkel wünscht es – ich bitte darum. – Vor allem muß ich Sie über das Vorgefallene um Vergebung bitten. Allein Sie nahmen den Scherz von gestern vielleicht zu hoch auf.

KATHARINE.
Scherz? Es war Spott, Verhöhnung –
BARON.

Gewiß nicht! Ich habe gestern den Ton verfehlt, weiter nichts. Sie schienen mir auf Witz und Scherz nicht ungern einzugehen, aber ich kann auch ernsthaft sein, wenn Sie es verlangen, ja unsere Lage verlangt es. Sind gewisse Mißverständnisse ausgeglichen, so wird sich die Heiterkeit von selbst wieder finden. – Der Präsident ist ungehalten auf Sie.

KATHARINE.
Und weshalb?
BARON.
Ihre Spazierfahrt mit einem jungen Manne, der als Bräutigam einer anderen bekannt ist –
KATHARINE.
Sittig?
BARON.
Allerdings. Er ist mit Rat Zaberns Tochter so gut wie verlobt.
KATHARINE.
Davon sagte er mir kein Wort.
BARON.

Der arme Mensch kam vermutlich nicht zur Besinnung; er ist gutmütig, dienstfertig, kann nichts abschlagen, was man mit Ernst von ihm verlangt. Nun ist der Präsident über ihn erzürnt, von dessen Gunst oder Ungunst Sittigs Beförderung abhängt; vermutlich hat auch die Braut bereits erfahren –

KATHARINE.
Ich will zu ihr, will sie aufklären –
BARON.
Lassen Sie das mir über. Die Sache ist im ganzen nicht so schlimm.
[331]
KATHARINE.
Meinen Sie?
BARON.

Wir sind auf dem Lande, wo die Formen der Gesellschaft nicht so strenge herrschen. Die Leute werden Glossen machen – was schadet's? Sieht man erst, daß die unmittelbar interessierten Personen bei guter Laune bleiben, so hat man keinen Grund, weiter etwas Arges zu denken –

KATHARINE.
Die Familie des Rats! In welchem Lichte werd' ich ihr erscheinen!
BARON.

Wie gesagt, lassen Sie mir über, diesen Knäuel zu lösen; ich bin ja an seiner Verwirrung schuld. Auch meinem Onkel will ich alles entdecken, ich will mich selbst bei ihm anklagen. – Und nun wiederhole ich meinen Antrag von gestern. Sie sehen, mein Fräulein, aus dem, was vorfiel, wie schwer sich eine Dame, bei allem Geist und Witz, in der Welt allein behaupten kann. Die Tugend und Sittsamkeit selbst sind vor bösen Zungen nicht sicher, wenn sie ohne Paß und männliche Begleitung reisen. Minna von Barnhelm und Sophie im Tom Jones, die tugendhaftesten Mädchen, die ich kenne, und die herrlichsten Geschöpfe einer dichterischen Phantasie, würden in der Wirklichkeit eine ziemlich zweideutige Rolle spielen, denn unsere Zeit und unsere Gesellschaft entbehrt leider aller Poesie und aller Romantik.

KATHARINE
nach einer Pause.

Sie haben meine Lage durchschaut, Sie haben mich richtig beurteilt. Aber wie sehr mußten Sie mich verkennen!

BARON.

Seit gestern Abend nicht mehr. Aber ich sehe, was Ihnen not tut. Erlauben Sie mir, Ihnen zu raten. Ich bin nicht zu jung dazu, wie Sie gestern selbstbemerkten. – Der Charakter eines Mädchens verflüchtigt sich in der Freiheit; Häuslichkeit und Sorge für andere bilden ihn erst aus. Sie stehen allein in der Welt, Sie müssen sich an eine Familie anschließen. Was sagen Sie, zum Beispiel, zu dem Hause des Rats? Es sind wackere Leute, wenn auch ein wenig prosaisch. Die Tochter ist ein sehr verständiges Mädchen; sie wird sich zu Ihrer Freundin eignen. Was halten Sie von meinem Vorschlag, Fräulein?

KATHARINE.

Ich will alles tun, alles. – O die Glücklichen, die an der Hand sorgsamer Eltern heiter und sicher durch das Leben wandeln!

BARON.

Der Rat kennt Sie; auf das Wort des Präsidenten nimmt er sie gerne auf. Ich will vorläufig mit Cäcilien sprechen, die, nebenbei gesagt, das Haus regiert.

KATHARINE.

Ich danke für Ihre Sorgfalt, Herr Baron. Sie sind sehr gütig, sehr freundlich, aber – warum bringen Sie mich nicht lieber zu Ihrer Frau?

[332]
BARON.
Zu meiner Frau? Ich habe keine Frau.
KATHARINE.
Man sagte mir doch –
BARON.
Wer sagte –?
KATHARINE.
Der Diener im Badhause –
BARON.

Unruh? – Was mochte der wieder für einen Grund haben –? Nein, liebes Fräulein, ich bin kein Ehemann. Aber Sie erwarten doch auch keinen Bräutigam?

KATHARINE.
Erinnern Sie sich nur: den Bräutigam haben Sie erfunden.
BARON.
Eine tolle Laune riß mich hin. Doch nun ist alles ausgeglichen, nicht wahr?
KATHARINE.
Vollkommen.
BARON.
Darf ich Sie jetzt nach Hause geleiten?
KATHARINE.

Ich danke. Mein Mädchen wartet draußen. Leben Sie wohl, Herr Baron. Ich war doch recht kindisch. Wissen Sie, daß ich die Nacht aus Ärger nicht geschlafen habe? So böse war ich über Sie.

BARON.
Nicht geschlafen? Ich Ungeheuer! Und ich war schuld?
KATHARINE.

Nein, nein! Ich selbst. Warum war ich so albern? Ich schäme mich. Noch eins: die Art, wie wir miteinander bekannt wurden, bleibt ein Geheimnis. Sind Sie es zufrieden?

BARON.
Liebes, vortreffliches Mädchen!
KATHARINE.

Leben Sie wohl, leben Sie wohl. – Das Mißverständnis war doch recht komisch. Wir werden viel darüber lachen; nicht wahr? Ab.

7. Szene
Siebente Szene.
Baron Ringelstern allein. Dann Unruh.

BARON
allein.

Einziges, herrliches, himmlisches Geschöpf – – nur gemach, Herr Baron! Sie haben noch Zeit genug übrig, wenn Sie sich verlieben wollen. – Verlieben? – Bin ich's denn noch imstande? Die Zeit des Lenzes, der Blüten ist vorüber – wir sind beinahe im Herbste unsres Lebens. Zwar – ich besitze einen Kirschbaum in meinem Garten, der erst im September blüht, und im Oktober Früchte trägt. Aber die Früchte schmecken auch nach Oktober. – Und doch behaupten die Leute, der September sei der schönste Monat im Jahr. – Was helfen alle Bilder und Gleichnisse! Was ist, das ist. Jenes junge lebensvolle Mädchen, und ich mit meinen Reflexionen, meinen Ansichten, meinen Erfahrungen! – Nein, nein, es wäre Torheit! Warum hab' ich sie nicht vor zehn Jahren kennen gelernt? Ja, auch vor fünf Jahren, vor drei, vor zwei Jahren – – ein paar Jahre machen's am Ende nicht [333] aus! Aber noch im vorigen Jahr war ich ein völliger romantischer Schwärmer, ja zeitweise ein Erzplatoniker, ein Erznarr – Mit Humor. und das kann ich im Notfalle jetzt auch noch werden.

UNRUH
tritt ein.
Gnädiger Herr, ein Brief an Sie –
BARON.

Ich kenne die Hand. Nimm ihn nur zurück. Derlei Briefe werden nicht mehr angenommen. – Unter andern, Monsieur Unruh! Bin ich verheiratet?

UNRUH.
Sie? Nicht im geringsten.
BARON.
Der Herr aber hat mich dafür ausgegeben.
UNRUH.

Ja, sehen Sie gnädiger Herr, damit hat es seine eigene Bewandtnis. Es gehört zu den Feinheiten unseres Standes, den Leuten immer dasjenige zu sagen, was sie gerne hören. Jene Dame fragte mich: »Nicht wahr, der Baron ist verheiratet?« – Auf ein solches »nicht wahr« gehört immer ein Ja.

BARON.
Dabei erhält die Wahrheit häufig eine Ohrfeige.
UNRUH.
Wahrheit? Was ist denn wahr? Man kann alles plausibel machen. Lesen Sie nur meine Theaterkritiken.
BARON.

Daß ich ein Narr wäre! – Bessere dich, wenn du kannst; übrigens – du bist entlassen, Muley Hassan – Fiesko braucht deine Dienste nicht mehr. Das sei deine letzte Arbeit. Geht ab, indem er eine Börse fallen läßt.

UNRUH
allein.

Hebt die Börse auf. Geld, holdes Geld! Animae dimidium meae! Wie gerne bück' ich mich vor dir, du, vor dem sich die ganze Welt bückt! – Ich soll mich bessern? Wozu? – Tu, was du willst, und es wird dich gereuen – sagt jener persische Weltweise, und ich sage: Bereue, was du willst, du mußt doch das tun, was du nicht lassen kannst. Also meine Rolle ist hier ausgespielt? Der Mohr kann gehen? Gut, ich bin Kosmopolit. Ich will mir einen andern Schauplatz aufsuchen. Ein pfiffiger Kopf geht nicht zugrunde, solange die Narrheit in der Welt nicht ausstirbt, und es ist nicht zu befürchten, daß der jüngste Tag sobald anbricht.


»Töricht, auf Beßrung der Toren zu harren,
Kinder der Torheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich's gebührt!«

Ab.
8. Szene
Achte Szene.
Bei Rat Zabern.
Die Rätin. Cäcilie. Dann Babette.

RÄTIN.
Fuhr mit ihm spazieren! Was sagst du zu der Geschichte, Cäcilie?
CÄCILIE.
Er will mir trotzen.
[334]
RÄTIN.
Er kam nicht zum Frühstück.
CÄCILIE.
Ich begreife ihn nicht.
RÄTIN.
Ich begreife ihn. Er ist ein Mann.
CÄCILIE.
Es ist wahr, die Schuld war auf meiner Seite –
RÄTIN.

Pah, Schuld! Was hast du denn getan? Ein bißchen geschmollt! Er aber tobte und lärmte, daß er fast den Vater aufweckte.

BABETTE
tritt ein.
Baron Ringelstern läßt fragen, ob er die Ehre haben kann, mit dem Fräulein zu sprechen.
CÄCILIE.
Baron Ringelstern?
RÄTIN.
Was führt den zu uns?
CÄCILIE.
Ist er hier?
BABETTE.
Nein. Er schickte seinen Bedienten herüber.
CÄCILIE.
Meine Empfehlung. Ich erwarte den Herrn Baron.

Babette ab.
9. Szene
Neunte Szene.
Rätin. Cäcilie.

RÄTIN.
Begreifst du, Cäcilie –?
CÄCILIE.
Mutter, Mutter –
RÄTIN.
Was hast du, mein Kind?
CÄCILIE.
Ach, August –
RÄTIN.
Was soll's mit ihm?
CÄCILIE.
Ich fürchte, er liebt mich nicht mehr.
RÄTIN.
Schwärmst du?
CÄCILIE.
Er gibt mich auf, will mich verlassen.
RÄTIN.
Was fällt dir ein?
CÄCILIE.
Der Baron kann jeden Augenblick kommen – ich bitte, lassen Sie mich allein, Mama.
RÄTIN.

Wie du willst, liebes Kind. Aber mach' dir keine Grillen. Im Abgehen. Ein abscheulicher Mensch, der Sittig! Ich will ihm kein gutes Gesicht mehr zeigen. Ab.

CÄCILIE
allein.

Er kommt nicht selbst – er sendet seinen Freund – will er mich demütigen? Das trüg' ich ja gern! Aber nein – er will nichts mehr von mir wissen – meine Kälte, meine Laune haben ihn vertrieben.

10. Szene
Zehnte Szene.
Cäcilie. Baron Ringelstern.

BARON.
Mein Fräulein, ein Nachbar nimmt sich die Freiheit, Sie zu besuchen.
CÄCILIE.
Herr Baron, es ist mir ein Vergnügen –
[335]
BARON
beiseite.

O weh! Sie macht ein saures Gesicht! Ein wenig Schmeichelei kann nicht schaden.Zu Cäcilien. Das Land schlägt Ihnen vortrefflich an. Sie sehen aus wie die Göttin Hygieia selbst.

CÄCILIE.
Ich bitte –
BARON.
Auch der Papa nahm sichtbar an Embonpoint zu.
CÄCILIE.
Herr Baron –
BARON.
Auch die Mama. Ich sah sie noch gestern auf der Promenade. Die Frau verjüngt sich jedes Jahr.
CÄCILIE.

Ich verkenne ihre Absicht nicht, mir das Unangenehme, das Sie mir zu verkünden haben, nach und nach, und auf eine milde Art mitzuteilen. Aber ohne weitere Einleitung! Ich weiß, was Sie hieher führt.

BARON.
Sie wissen –? Das ist unmöglich.
CÄCILIE.
Ich weiß alles. Ihr Freund sendet Sie –
BARON.
Welcher Freund?
CÄCILIE.
Sittig –
BARON.
Keineswegs. Ich komme aus eigenem Antrieb.
CÄCILIE.
Sind Sie nicht von ihm beauftragt?
BARON.
Auf Ehre, nein.
CÄCILIE.
Aber er sagte Ihnen doch –?
BARON.
Und was, mein Fräulein?
CÄCILIE.
Daß – – soll ich es wiederholen?
BARON.

Aha! Ich ahne. Ein kleiner dépit amoureux, nicht wahr? Seien Sie ohne Sorge, mein Fräulein. Sittig ist mein bester Freund, aber in solchen Dingen bleibt er verschlossen wie eine Mauer.

CÄCILIE.
Er klagte nicht über mich?
BARON.
Im Gegenteil, er sprach erst gestern morgens mit aller Wärme, aller Begeisterung von Ihnen.
CÄCILIE.
Gestern morgens? Aber seitdem –
BARON.

Fiel der Zwist vor? Für sich. Bravo! Meine Lehren haben schnell gefruchtet. Zu Cäcilie. Seitdem hab' ich ihn nicht gesprochen.

CÄCILIE.
Nicht? Sie hatten ja einen Spaziergang mit ihm beschlossen?
BARON.
So? Das wissen Sie auch? – Er ließ mich umsonst warten; er zog eine gewisse Spazierfahrt vor.
CÄCILIE.
Ich habe davon gehört.
BARON.

Haben Sie? – Liebes Fräulein, ich komme da zufällig hinter ein Geheimnis, und kann es nicht unterlassen, die Gunst des Zufalls zu benützen. Sie hielten mich bisher für einen Störefried, für den bösen Geist Asmodi, der die Ruhe der künftigen Ehe in vorhinein bedroht; – das bin ich alles nicht. Aber ich bin meinem [336] Freunde August aus ganzem Herzen zugetan, ich bin älter und reifer wie er, sehe klarer über manche Verhältnisse. August hat eine tiefe Neigung für Sie gefaßt. Er steht sein Glück nur in einer dauernden Verbindung mit Ihnen. Der Schritt, den er vor hat, ist der wichtigste in unserm bürgerlichen Leben. Der einzelne Mensch kann gut, kann zufrieden sein, niemand hindert ihn daran. Wenn er es nicht ist, ist es seine Schuld. Aber in der Ehe gibt es kein einzelnen Menschen. Beide Teile glücklich oder unglücklich. Es gibt kein drittes. Die Ehe tötet entweder den Egoismus oder sie tötet sich selbst. Darum ist sie eben das schönste menschliche Verhältnis, weil sie den einzelnen zwingt, sich selbst zu vergessen, und sein Glück in dem Glücke des andern zu suchen. – Sie lächeln freundlich? Darf ich weiter sprechen?

CÄCILIE.
Ich habe das nicht erwartet; aber man hört Ihnen gerne zu.
BARON.

Wenn's im Busche rauscht, fürchtet man oft eine Schlange, und ein unschuldiger Vogel fliegt heraus. – Meine Grundsätze auf Ihr Verhältnis angewendet, behaupte ich, daß ihr beide vortrefflich füreinander paßt, aber keines darf die Natur des andern verkennen. Daß Freund August Ihr Wesen vollkommen würdigt, davon bin ich überzeugt; aber Sie, liebes Fräulein – vergeben Sie meine Offenheit – Sie haben unsern Freund noch nicht nach seinem ganzen Innern aufgefaßt.

CÄCILIE.
Hab' ich gefehlt, so war es gewiß nur die Liebe –
BARON.

Die Liebe! So heißt es gewöhnlich. Man quält, man ärgert, man martert einen, man macht sich unglücklich, man wird am Ende gleichgültig – aus lauter Liebe. – Die Liebe macht heiter, offen, zuversichtlich; eine lauernde, verdrießliche, argwöhnische Liebe ist gewiß nicht die rechte. Sittig ist ein edler Mensch, durchweg sittlich, ohne Falsch, denen, die er liebt, ergeben bis zum Fehlerhaften. Er hat nur einen Hauptfehler: Mangel an Tatkraft; besonders, wenn man ihm Mißtrauen zeigt. Dann wird er unschlüssig, irre an sich selbst, und ist imstande, in Schwäche zu versinken, obschon er von Natur Kraft genug besitzt. Wie ich ihn kenne, kann er durch eine Frau zum vollkommenen Manne werden, oder er wird eben dadurch zu einem jener Dutzendmenschen herabsinken, denen kein warmes Gefühl, kein lebendiger Gedanke das ewige Einerlei ihrer Tage erhellt. August braucht eine klare, kluge, heitere Frau, eine Frau, die ihn ein bißchen gewähren läßt, die ihm geistige Erholung vergönnt, und in ihrem Mitgenuß Vergnügen findet. Launischem Schmollen und mißtrauischen Zweifeln wüßte er nichts entgegenzusetzen; das würde seine kindliche Seele nur beunruhigen. Doch ein etwas gehaltenes Benehmen mag seiner Frau immer anstehen; sie darf ihn auch ein klein wenig leiten und regieren, aber insgeheim,[337] ganz verstohlen, ohne daß er's merkt; kann ihn ein bißchen anspornen – das wird nicht schaden – kann auf ihn acht geben, daß er diese und jene wichtige Visite mache, daß er sich einen Moderock anschaffe, daß er nicht in die Hitze trinke – denn auch darin ist er wie ein Kind – kurz, sie soll und kann und wird – ganz so ein liebevolles, zärtliches, freundliches und etwas rechthaberisches Frauchen sein, wie ich es von unserer Freundin erwarte.

CÄCILIE
nach einer Pause.
Baron, Sie haben tief in mein Herz gegriffen –
BARON.
Verzeihen Sie, wenn ich vorlaut war; aber ich bin Sittigs Freund, und möchte der Ihrige werden.
CÄCILIE.

Das sind Sie, von diesem Augenblick. Sie sollen nicht vergebens gesprochen haben. Ja, ich sehe meine Fehler ein –

BARON.

St! Wer wird denn gleich bekennen? Und glauben Sie denn, daß er ohne Fehler ist? Nur Geduld! Die Reihe wird auch an ihn kommen. – Nach diesem Gespräch bin ich nun erst recht froh, daß ich Ihnen versichern kann: ich habe Sittig meinem Onkel empfohlen und er hat die Empfehlung gut aufgenommen. Ich glaube, er fühlt ihm eben jetzt auf den Zahn.

CÄCILIE.
Soll ich Ihnen denn in allem verpflichtet sein! – Wenn nur August hier wäre!
BARON.

Er wird nicht lange weg bleiben. Aber nun zuletzt, weshalb ich eigentlich kam. Ich habe ein Bitte an Sie –

CÄCILIE.
O, sprechen Sie –
BARON.

Können Sie nicht eine Kostgängerin brauchen? Ein Mädchen aus guter Familie, wohlhabend, von allerlei Qualitäten, eine Art Mündel des Präsidenten, gegenwärtig allein und schutzlos in der Welt.

CÄCILIE.
Die Eltern werden sich schwer herbeilassen –
BARON.
Der Papa kennt meinen Schützling bereits, er gefällt ihm.
CÄCILIE.
Wer ist das Mädchen?
BARON.
Ein Fräulein von Rosen.
CÄCILIE.
Doch nicht –?
BARON.
Dieselbe, die mit Sittig spazieren fuhr? Ja.
CÄCILIE.
Scherzen Sie?
BARON.

Keineswegs. Seien Sie ganz ruhig. Die Spazierfahrt war eigentlich auf mich gemünzt. Mein Ehrenwort, das Mädchen ist unbescholten. Im Vertrauen, sie ist mir nicht ganz gleichgültig.

CÄCILIE.
Wirklich? – Ich werde die Eltern zu bereden suchen.
BARON.
Danke, beste Freundin, aber – es ist ein Geheimnis.
CÄCILIE.
Ich bin doch neugierig, wie ein Mädchen aussieht, welches Ihnen gefährlich werden kann.
BARON.
Warum? Bin ich so schwer zu rühren?
[338]
CÄCILIE.
Oder so leicht!
BARON.
Ja so!
CÄCILIE.
Doch man irrt vielleicht. Man hält Sie für medisant. Sie können doch warm fühlen.
BARON.

Liebe Freundin, das Gefühl ist mein Galarock; den zieh' ich nur selten an, in wichtigen Lagen, für bedeutende Personen; der Witz ist mein Surtout für die Welt.

11. Szene
Elfte Szene.
Vorige. Sittig.

CÄCILIE
die ihn zuerst erblickt.
August –
BARON.
Da ist er ja!
SITTIG.

Cäcilie – mein Freund – ich suchte dich, ich vernahm, daß du hier seist – rate mir, hilf mir – ich bin verloren.

CÄCILIE.
Was ist denn geschehen?
SITTIG.

Ich mußte den Präsidenten begleiten; er sprach von Geschäften, es war eine Art Examen; ich weiß nicht, wie ich bestand. Plötzlich brach er ab und sagte: »Man sah Sie öffentlich mit Fräulein von Rosen; die ganze Welt hält das Mädchen für Ihre Braut; Sie müssen Ihren guten Ruf wieder herstellen.« Ich stotterte eine Antwort heraus; der Präsident sah mich finster an, sagte: »Wir sprechen noch darüber« – und entließ mich.

BARON.
Nun, und was weiter?
SITTIG.

Weiter? Nichts weiter! Ich werde dem Präsidenten schreiben. Mag die Stelle bekommen, wer will, mag das Mädchen heiraten, wer will! Was kümmert mich die ganze Sache! – Was weiter? Wie nur ein Freund so fragen kann!

BARON.

Bravo! Das ist resolut, das ist männlich. Das sieht aus, wie ein Entschluß. So hab' ich's gerne. Nun will ich mit meinem Onkel sprechen. Ihr habt euch wohl etwas mitzuteilen? Ich lasse euch allein. Ab.

12. Szene
Zwölfte Szene.
Cäcilie. Sittig.

SITTIG
halb für sich.
Wenn er doch seine Possen lassen könnte!
CÄCILIE
nähert sich ihm langsam.
August –
SITTIG.
Mein Fräulein –
CÄCILIE.
Haben Sie mir verziehen?
SITTIG
überrascht.
Cäcilie –
CÄCILIE.

Ich war töricht, launisch – Ihr Freund hat mich aufgeklärt – Wie Schuppen fiel's mir von den Augen, ich will mich [339] ändern – – nein! Ich will den fremden, kranken Stoff aus mir vertreiben, ich will völlig sein, was ich bin.

SITTIG.
Cäcilie! Diese himmlische Güte! Wie konnt' ich Sie verkennen, verletzen –
CÄCILIE
hält ihm die Hand an den Mund, die er küßt.

Stille, mein Freund! Ich hab' es nicht besser verdient; aber Sie konnten gestern immer ein wenig leiser sprechen.

SITTIG.
Ach, wie bin ich mit einem Ruck wieder glücklich, zufrieden, selig!
CÄCILIE.
Sind Sie das?
SITTIG.
Gewiß! Meine Teuerste, meine Geliebte, meine Braut!
CÄCILIE.
Lieber August!
SITTIG.
Meine liebe Braut! Will sie umarmen.
CÄCILIE
hält ihn sanft zurück.
Genug mein Freund! Gehen wir zur Mama.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Rat Zabern und die Rätin sitzen am Teetisch, Katharine neben der Rätin schneidet Figuren aus. Fritz steht neben ihr. Cäcilie sitzt am andern Ende und strickt. Sittig neben ihr, liest die Zeitung. An der andern Seite der Bühne steht Katharinens Stickrahmen.

SITTIG
indem er die Zeitung weglegt.
Das Blatt enthält fast gar nichts. Sendet sich zu Cäcilien.
RAT
gähnend.
Die Zeitung wird immer langweiliger.
RÄTIN.

Desto besser, mein Schatz! Ich wollte, die Zeitungen wären gar nicht erfunden. Was kümmern mich die Franzosen und die Engländer!

RAT.
Ei, mein Kind! Man muß doch den Weltlauf beobachten.
RÄTIN.

Fegte doch ein jeder vor seiner Türe und ließe die anderen gewähren! Das ist meine Politik. Nicht wahr, Cäcilie?

CÄCILIE
macht ihre Hand von Sittig los.
Ja, Mama.
KATHARINE.
Nun bin ich fertig. Sehen Sie, Fritzchen? Pferde und Wagen – die schönste Equipage!
FRITZ.
Prächtig! Nun fehlt noch der Kutscher.
RÄTIN.
Fritz, du wirst dem Fräulein lästig.
KATHARINE.
Nicht doch, Frau Rätin. Kommen Sie, Fritz, wir wollen gleich einen Kutscher machen.
[340]
RAT.

Sie werden den Burschen verderben, Fräulein, und uns mit ihm. Einen Tee haben Sie da komponiert, einen wahren Göttertrank! Ich möchte wohl noch um ein Schälchen bitten – Indem er seine Frau ansieht.

RÄTIN.
Nein, nein, es erhitzt dich.
KATHARINE.
Man kann Wasser zugießen. Darf ich, Frau Rätin? Ich mach' ihn recht schwach.
RÄTIN.
Eine halbe Schale denn –
KATHARINE.
Sogleich.
RAT.
Nehmen Sie den Dank eines halbverhungerten Menschen.
RÄTIN.
Du denkst an nichts als ans Essen!
RAT.

Ach, es ist ein so schöner Gedanke! Schlürft. Das schmeckt! Dort liegt ja ein Brötchen – Sie sind als ein wahrer Schutzengel in unser Haus gekommen, denn mein verliebtes Fräulein Tochter dort –

CÄCILIE.
Papa –
RÄTIN.
Herr Gemahl –
RAT.
Ich sage ja nichts. Aber Sie kommen mir vor, als ob Sie auch meine Tochter wären.
CÄCILIE.
Und mir, wie meine Schwester.
RAT.

Gestern abends, als Se. Exzellenz Sie zu uns brachte, und Sie so munter schwatzten und uns so vieles erzählten – ich bin sonst meine Partie gewohnt – aber ich will mich nie wieder satt essen, wenn Sie mich nicht besser unterhalten haben als die schönste L'hombre-Partie. Man fühlt sich gleich so heimlich, so behaglich, so vertraulich mit Ihnen.

CÄCILIE
leise zu Sittig.
Das haben Sie auch gefunden!
SITTIG
ebenso.
Reizen Sie mich nicht, sonst –
RÄTIN.
Sie bringen mir meinen phlegmatischen Herrn Gemahl in Feuer und Flammen, Fräulein.
KATHARINE.

Sie sind alle so gut, so freundlich! Aber lassen Sie dem wilden Mädchen nur Zeit, es wird sich nach und nach in das Ungewohnte finden.

2. Szene
Zweite Szene.
Vorige. Präsident. Baron Ringelstern.

PRÄSIDENT
im Auftreten zum Baron.
Sie mögen sagen, was Sie wollen, der Sittig hatte doch eine Art Verhältnis mit ihr.
CÄCILIE
zu Sittig.
Unser Freund –
SITTIG.
Und Se. Exzellenz!
RAT.
Se. Exzellenz! Alle stehen auf.
PRÄSIDENT.

Guten Morgen, Herr Rat! Gnädige Frau! Verzeihen [341] Sie, daß ich so früh komme, um mich nach dem Befinden meines Schützlings zu erkundigen. Zu Katharine. Wie geht es Ihnen, mein Fräulein?

KATHARINE.
Wie dem Fisch im Wasser.
PRÄSIDENT.

Nun, das freut mich. Zu Cäcilien. Und Sie, mein Fräulein, wie sind Sie mit Ihrer neuen Gesellschafterin zufrieden?

CÄCILIE.
Ich habe eine Freundin gefunden, die ich längst entbehrte.
PRÄSIDENT.

Das ist schön, das ist gut. – Herr Neffe, da hatten Sie einen klugen Einfall. – Herr Rat, Sie sprachen ja gestern von einem Glashaus, von seltenen Blumen –

RAT.
Aufzuwarten, Exzellenz. Das Glashaus befindet sich dort am Ende der Allee.
RÄTIN.

Wir werden die Ehre haben, Eure Exzellenz dahin zu begleiten. – Lieber Sittig, holen Sie den Schlüssel.

SITTIG.
Sogleich. Ab.
PRÄSIDENT.
Ein recht gefälliger junger Mann! – Neffe, gehen Sie mit?
BARON.
Ich?
PRÄSIDENT.
Sie scheinen etwas zerstreut. Soll ich Ihnen von Ihrer Braut erzählen?
SITTIG
kommt zurück.
Da ist der Schlüssel –
RÄTIN.
Exzellenz, wenn es gefällig wäre –
PRÄSIDENT.

Ich bitte – ich bin recht begierig. Sollten Sie wirklich eine Draco-Cephalum und Theobroma-Cacao besitzen? Die Spezies sind kostbar. Meine Gnädige – Reicht der Rätin den Arm. Auf Wiedersehen, meine schönen Fräulein!


Alle ab bis auf Katharine und Cäcilie.
3. Szene
Dritte Szene.
Katharine. Cäcilie.

CÄCILIE.
Ein liebenswürdiger Mann, der Präsident – so heiter, so gesprächig –
KATHARINE.
Ganz gewiß. Aber sein Neffe sah sehr ernsthaft aus.
CÄCILIE.

Gegen seine Gewohnheit. Warum bleibt nicht bei uns? Kümmert ihn das Draco-Cephalum, welches, glaub' ich, auf deutsch Drachenkopf heißt? Unsere Köpfe sind doch weit interessanter!

KATHARINE.
Wer weiß! Sein Onkel sagte etwas –
CÄCILIE.
Auch der Neffe war nicht stumm; seine Augen sprachen ganze Abhandlungen.
[342]
KATHARINE.
So? Ich hab' ihn kaum angesehen.
CÄCILIE.
Ich um so mehr. Wenn Sie den Mann ganz kennen würden! Ich hab' ihm viel zu danken.
KATHARINE.

Wirklich? – Liebe Freundin, wollen wir nicht das lästige »Sie« wegwerfen? Sie nannten mich vorhin Schwester. Schwestern pflegen sich »Du« zu nennen.

CÄCILIE.
Von ganzem Herzen.
KATHARINE.
Also – du.
CÄCILIE.
Du Schwester! Umarmen sich.
KATHARINE.
Schwester Cäcilie, was hast du denn dem Baron zu danken?
CÄCILIE.

Mich selbst, die Erkenntnis meiner Fehler; ich werde ein langes Gespräch nie vergessen, wo er mir alle meine Verkehrtheiten so lebendig und doch so schonend vorhielt; ich bin seitdem ganz verändert.

KATHARINE.

Sonderbar! Auch ich hatte ein ähnliches Gespräch mit ihm, aber es war ganz kurz. – Ich habe viele Fehler, ein Gespräch wird mich nicht bessern.

CÄCILIE.
Da läßt sich helfen, man spricht öfter.
KATHARINE.
Ich glaube, Sie lachen mich aus. Ist das recht?
CÄCILIE.
Du vergißt auf das Duzen. Du wirst Strafe zahlen müssen.
KATHARINE.
Wenn du boshaft bist, nehm' ich das Du ganz zurück.
4. Szene
Vierte Szene.
Vorige. Sittig.

SITTIG
eilig.
Cäcilie –
CÄCILIE.
Gemach, gemach! Was hat der Herr?
SITTIG
zu Katharinen.

Vergeben Sie, Fräulein. Zu Cäcilien. Der Präsident ist mit mir zufrieden, er hat meine Arbeiten gelobt, er nimmt mich ins Bureau – ein halb Jahr auf Probe – doch die Stelle ist mir sicher. Er kennt, er billigt unser Verhältnis. Nun geht alles rascher. Der Vater sprach schon von Verlobung. Vielleicht in einem Jahr sind wir Mann und Frau. Auch das haben wir dem guten Karl zu danken! – Aber Sie sagen kein Wort? Sie freuen sich gar nicht?

CÄCILIE.
Sie lassen mich ja nicht zu Worte kommen.
SITTIG.

Was braucht's da Worte? Ich möchte hüpfen und springen – ich möchte fliegen! – Doch ich muß zurück – ich bin dem Präsidenten nur entwischt. Adieu, Fräulein Braut! Läuft ab.

5. Szene
[343] Fünfte Szene.
Cäcilie. Katharine.

CÄCILIE.
Der unartige Mensch! Er grüßte dich gar nicht.
KATHARINE.
Der glückliche Mensch! – Aber er muß noch lange warten.
CÄCILIE.
Ich bin ihm sicher. Er kann warten. Ein Jahr ist nicht lange.
KATHARINE.
Ein Jahr ist eine Ewigkeit. – Schwester, wer ist denn der Karl, von dem er sprach?
CÄCILIE.
Ein gewisser Karl Freiherr von Ringelstern.
KATHARINE.
So? Der Baron?
CÄCILIE.
Heißt Karl. Ein hübscher Name, nicht wahr?
KATHARINE.
August gefällt mir besser.
CÄCILIE.

Warte. – Ich weiß ein Geheimnis. Aber nun sollst du nichts erfahren. Ich vergesse, daß ich das Fräulein vom Hause bin. Ich muß zur Gesellschaft. Gehst du mit?

KATHARINE.
Nein. Ich will arbeiten.
CÄCILIE.

Gut. Sei nur recht fleißig! Laß dich ja durch niemand stören. – Aber höre, wir tauschen die Rollen; ich bin munter und ausgelassen, du still und sinnend. Mit uns beiden ist etwas vorgegangen, Nun, lebe wohl! Ich darf meinen verrückten Herrn Bräutigam nicht ohne Aufsicht lassen, sonst macht er mir wieder Streiche. Ab.

KATHARINE
allein.

Sie weiß ein Geheimnis? Es läßt sich erraten. Der Präsident ließ ein Wort fallen – was kümmert's mich? – Cäcilie findet, ich sei nicht munter – sie irrt, ich bin recht munter, recht lustig. Und ich will noch lustiger sein als ich bin, wenn man das Gegenteil glaubt.

6. Szene
Sechste Szene.
Katharine. Baron Ringelstern tritt langsam auf.

BARON.
»Ein Schauspiel für Götter, zwei Liebende zu sehen,« sagt Goethe.
KATHARINE.
»Aber für Menschen höchst langweilig,« sagt Kotzebue.
BARON.

Nachdem die Menschen sind. Mich hat es gerührt. Ich will dem Onkel in den Ohren liegen, die Verbindung unserer Liebenden zu beschleunigen. Ich denke, im Herbst. Das ist so die rechte Jahreszeit zum Heiraten. Zwar ist es schade um den Brautstand, den sollte man billig verlängern, denn er ist die Veilchenzeit des Lebens. Da wandeln die Verlobten gleich Pamina und Tamino [344] durch Feuer und Wasser der prosaischen, bürgerlichen Existenz, und finden sich geläutert in Sarastros schimmerndem Palast der Poesie wieder. Mein Freund Sittig-Tamino sieht völlig verklärt aus, Präsident Sarastro will die Prüfungszeit abkürzen, Pamina denkt insgeheim schon an ein taugliches Quartier, und selbst die alte Königin der Nacht, die gute Rätin, spricht von nichts als von der Ausstattung.

KATHARINE.

Pamina denkt ans Quartier? Ich besitze ein Haus in der Stadt, Cäcilie muß eine Wohnung von mir nehmen.

BARON.
Ohne Zins?
KATHARINE.
Als den ihrer Freundschaft.
BARON.

Wenn doch mehrere Hausherren den Freundschaftsfuß zu ihrem Zinsfuß machten! – Aber wir wetteifern ordentlich, die beiden zu beglücken.

KATHARINE.
Es ist eine so reine Freude, zum Glück anderer beizutragen.
BARON.
Nur muß man sich selbst nicht vergessen.
KATHARINE.
Das tun Sie ja nicht!
BARON.
Ich?
KATHARINE.
Freilich. Ohr Onkel sprach von einer Braut –
BARON.
Ja, die Braut! Wir kennen uns kaum.
KATHARINE.
Was schadet das? Man kann sich plötzlich verlieben; denken Sie an Romeo und Julie.
BARON.
Zum Romeo bin ich zu alt, nicht wahr?
KATHARINE.
Warum? Das kommt auf die Julie an.
BARON.

Auf die Julie? Entfernt sich von ihr, geht auf und ab. Jawohl, auf die Julie! Sie haben recht, Fräulein; ich bin für keine Julie mehr. Meine Braut zählt kaum neunzehn Jahre. Sie wird ohne Zweifel lieber einen Romeo von vierundzwanzig wählen, als einen Merkutio von vierzig.

KATHARINE.
Vielleicht ist sie keine Julie.
BARON.
Ich will aber durchaus eine Julie haben.
KATHARINE.
Sie könnten immerhin mit einer Porzia, einer Rosalinde zufrieden sein.
BARON.
Einverstanden. Das sind nur Julien auf andere Manier.
KATHARINE.
Auch ich verlangte eben keinen Romeo –
BARON.
Die Sorte ist ohnehin etwas rar.
KATHARINE.
Doch auch ein Ifflandscher Liebhaber, bei all seiner Biederkeit, wäre mir zuwider.
BARON.
Sie haben recht. Ich möchte um alles in der Welt die Elise Valberg nicht heiraten.
KATHARINE.
Noch ich den guten wackern, aber etwas langweiligen Hauptmann Welling.
[345]
BARON.

Hm! Wie müßte denn zum Beispiel ein Mann beschaffen sein, Fräulein, den Sie mit Ihrer Hand beglückten?

KATHARINE.
Er müßte aussehen wie derjenige, den Ihre Braut wählen wird, wenn sie klug ist.
BARON.
Wenn sie klug ist – ja, wird sie mich da wählen?
KATHARINE.
Vielleicht. Wenigstens würden die Leute sagen, sie haben eine kluge Wahl getroffen.
BARON.
Und warum eine kluge Wahl?
KATHARINE.

Weil sie einen reifen Mann vorzog, und das ist das klügste, was man von einem unreifen Mädchen verlangen kann.

BARON
beiseite.

Einen reifen Mann – sie spielt immer auf mein Alter an. Zu Katharinen. Sie wollen mir entschlüpfen, Fräulein – aber im Ernst! Welche Eigenschaften müßte der Mann Ihres Herzens haben?

KATHARINE.
Erstlich: Tapferkeit –
BARON.
Wozu Tapferkeit?
KATHARINE.
Ist das nicht die schönste Zierde des Mannes?
BARON.
Doch sie gehört nur für den Krieg, die Ehe ist ein friedlicher Zustand.
KATHARINE.
Bei mir wäre sie das nicht. Ich müßte mit meinem Mann immer auf dem Kriegsfuß leben.
BARON.
So?
KATHARINE.

Schon beim Frühstück wird gezankt. Gibt er mir unrecht, so wird geschmollt bis zum Mittag – gibt er mir recht, bis zum Abend.

BARON.
Dann wird er Ihnen wohl immer unrecht geben.
KATHARINE.
Da müßte er auch den Witz dazu haben, denn ein Mann ohne Witz ist ein Schwert ohne Schneide.
BARON.
Sie scheinen einen witzigen Mann sehr hoch zu stellen, mein Fräulein.
KATHARINE.
Im Gegenteil, der Witz stellt seinen Mann hoch.
BARON.
Aber der Witz schickt sich nicht für eine Dame. Ihr Geschlecht soll kein Schwert tragen.
KATHARINE.
Aber eine Nadel – die Zunge.
BARON.
Das Herz sollte Ihre einzige Waffe sein.
KATHARINE.
Recht! Darum trag' ich mein Herz auf der Zunge.
BARON.
Das Gefühl ist Ihre schönste Zierde –
KATHARINE.
Das Gefühl? Ach ja, ich fühle!
BARON.
Das wußt' ich ja!
KATHARINE.
Fühle tief und warm –
BARON.
Nicht wahr?
KATHARINE.

Fühle – Sehnsucht nach einer guten Mahlzeit, wenn ich zwei Stunden gefastet habe; Mitleid – mit meinem [346] armen, hungrigen Magen, und Liebe – für den Koch, wenn er mir meine Lieblingsspeisen aufsetzt.

BARON.
Das ist zu arg! Sie verhöhnen das Gefühl! Wirklich, ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt.
KATHARINE.

Anders? Und wie anders? Vielleicht schwärmerisch, sentimental? O, das kann ich auch sein! Wenn nur gleich Mondschein da wäre! Ein paar zerrissene Silberwölkchen – blaue Gebirge im Hintergrunde – vorne ein See. Ich stehe, das Mägdlein, an Ufers Grün, und harre des Geliebten – Daphnis! Mein Daphnis! Kommst du noch nicht? Sieh, deine Chloe streckt ein Paar sehnsüchtige, runde Arme nach dir aus! Denk an Leander, spring in die Flut, und laß dich von des Meeres und der Liebe Wellen zu mir herübertragen! Scheue die kleine Erkältung und das bißchen Rheumatismus nicht!

BARON
der mit Ungeduld zuhörte.
Gehorsamer Diener, mein Fräulein!
KATHARINE.

Halt, Herr Baron! Wohin so eilig? Zu Ihrer Braut? – Hat meine wehmütige Szene die Sehnsucht nach ihr erregt?

BARON.
Im Gegenteil! Sie ist ganz abgekühlt.
KATHARINE.
Desto besser! So bleiben Sie. Ich will die Arbeit hier vollenden. Geht zum Rahmen.
BARON
folgt ihr.
Ach, dieser fatale Amor!
KATHARINE.

Fatal? Er machte uns miteinander bekannt. Wissen Sie was? Sie sollen den Amor zum Geschenk bekommen, wenn er fertig ist.

BARON.
Danke gehorsamst.
KATHARINE.

Es wird ein Kopfkissen. Was sagen Sie dazu? Amor, verurteilt, auf sich ruhen zu lassen, er, der uns so oft die Ruhe raubt!

BARON
für sich.

Ich werde nicht klug aus ihr. Ist das ihre natürliche Gestalt? Verspottet sie mich nur? Ich fürchte, Cäcilie hat sich getäuscht. Aber sie ist für jeden Fall bezaubernd.

KATHARINE
beim Rahmen beschäftigt.
Über das Unglück! Ich habe keine aufgerollte Seide mehr. – Lieber Baron –
BARON.
Mein Fräulein?
KATHARINE.
Wollen Sie gefälligst Ihre Arme ein bißchen ausstrecken?
BARON.
Meine Arme?
KATHARINE.
Ja; sehen Sie, so.
BARON
streckt die Arme aus.
So?
KATHARINE.
Ganz vortrefflich! Setzen Sie sich zu mir. Legt ihm die Seide über.
[347]
BARON.
Ei, mein Fräulein, soll ich –
KATHARINE.
Nur hübsch ruhig gehalten!
BARON.
In's Himmels Namen! Aber sehen Sie mich doch ein bißchen an.
KATHARINE.
Ich kann nicht, die Seide verrüttet sich.
BARON.
Nur ein bißchen!
KATHARINE.
Nun?
BARON.
Sie sind eine Heuchlerin.
KATHARINE.
Wieso?
BARON.
Sie wollen gefühllos scheinen – Ihr warmes, feuchtes Auge sagt das Gegenteil.
KATHARINE.
Vielleicht lügt es. Ich habe keine Ohren für meine Augen.
BARON.
Aber Ihre Augen haben eine Sprache für mein Herz.
KATHARINE.
Ohne Aktion, wenn ich bitten darf. Meine schöne Seide!
BARON.
Wissen Sie, wer die Braut ist, die der Onkel meinte?
KATHARINE.
Wie kann ich wissen –?
BARON.
Er meinte Sie.
KATHARINE
erschrocken, läßt die Hand sinken.
Mich?
BARON
streckt die Arme aus.
Ohne Aktion, wenn ich bitten darf. Wickelt rasch die Seide auf.
7. Szene
Siebente Szene.
Vorige. Cäcilie strickend, Sittig der den Strickkorb trägt.

SITTIG
der sich indessen mit Cäcilien genähert, klopft den Baron auf die Schulter.
Freund Karl –
BARON
erschrocken.
Wer da?
SITTIG.
Was machst du da?
BARON.
Ich leiste dem Fräulein Gesellschaft.
SITTIG
parodierend.

Mein Freund, ich muß dich warnen! Du schwebst in höchster Gefahr, ein Spießbürger, ein Philister zu werden – ich sehe dein ganzes Leben vor mir, sehe dich Zwirn abwinden –

BARON.
Es ist nur Seide –
SITTIG.
Du wirst Möpse kämmen und Vögel füttern –
BARON.
Schatz, du kommst mit deinen Späßen recht ungelegen!
CÄCILIE.
Sollen wir umkehren?
BARON.
Nicht doch! Aber tretet ein wenig beiseite.
CÄCILIE.
Recht gern. Tritt mit Sittig zurück.
BARON
zu Katharinen.
Sie schweigen, Fräulein? Hat Sie mein Wort beleidigt?
[348]
KATHARINE.
Wie könnte ein Scherz –?
BARON.

Es war kein Scherz. Der Onkel meint es ernsthaft, und ich meine es noch ernsthafter. Nicht wahr, Ihr Spott war nur Maske?

KATHARINE.
So etwas dergleichen.
BARON.
Sie haben Gefühl –?
KATHARINE.
Vielleicht mehr, als ich sollte.
BARON.
Und für mich?
KATHARINA.
Ich weiß nicht.
BARON.
Liebes Mädchen, wollen Sie meine Porzia, meine Rosalinde sein?
KATHARINE.
Und Ihre Julie dazu –
BARON.
Und mein Käthchen?
KATHARINE.
Und Ihr Käthchen!
BARON
küßt sie rasch.
Mein Käthchen! – Springt auf. Meine Freunde!
SITTIG
nähert sich.
Ist's vorüber?
BARON.
Ganz glücklich! Hier meine Braut, Katharine von Rosen.
SITTIG.

Gratuliere! Deutet auf Stickrahmen und Strickstrumpf. Seht ihr nun, ihr Romantischen, ihr macht's nicht anders, als wir Bürgerlichen.

BARON.

Vor Gott Amor sind wir alle gleich. Aber wir wollen uns doch das Wort geben, keine Spießbürger zu werden!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bauernfeld, Eduard von. Dramen. Bürgerlich und Romantisch. Bürgerlich und Romantisch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2045-B