1. Wie Bertha als Ehefrau ein Jüngferlein blieb.
Wohl so um die Zeit der ersten Flucht der Herren Kronprinzen, die unserem guten Herrn Karl dem Siegreichen so arge Verlegenheiten schuf, erlebte eine edle Familie des Tourer Landes, die jetzt erloschen ist, ein schlimmes Mißgeschick, das in dieser tieftraurigen Geschichte erzählt werden soll. Mögen dem Autor die heiligen Beichtväter, Märtyrer und die anderen himmlischen Mächte beistehen, [347] die im Verlaufe dieses Begebnisses eine so wichtige Rolle spielten.
Durch eine unglückselige Veranlagung hatte der Herr Imbert von Bastarnay, einer der mächtigsten Ansitzer und Edelleute unseres Tourer Landes, so gar kein Zutrauen zu der Frauen Wesen, das ihm ob ihrer Zappligkeit zu unbeständig schien. Vielleicht hatte er damit Recht. Jedenfalls blieb er bis in ein sehr, sehr reifes Alter hinein ein Hagestolz, und das ward ihm nicht zum Segen. Da er immer allein war, verstand er nicht, sich dem lieben Nächsten gegenüber liebenswürdig zu zeigen, zumal er sich früher nur auf Feldzügen und mit üblem Volk herumgetrieben hatte, wo er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte. Darum war er dreckig in seiner Kleidung, stank nach Schweiß vom Harnischtragen, hatte schwarze Hände, eine Affenfratze und repräsentierte kurz und gut das widerlichste Exemplar eines Christenmenschen, das heißt äußerlich, denn Herz, Kopf und sonstiges wies durchaus schätzenswerte Vorzüge auf. Glaubet mir: ein Bote Gottes hätte lange suchen können, ehe er einen wackerern Haudegen, einen fleckenloseren, treueren und ritterlicheren Ehrenmann gefunden hätte als ihn. Manche rühmten auch seine weisen Grundsätze und seine nützlichen Ratschläge, gerade als ob Gott die Menschheit damit hätte narren wollen, daß er einen so abstoßenden Gesellen mit solchen Vorzügen ausstattete. Schon sah er aus, als hätte er seine geschlagenen Sechzig auf dem Buckel, derweile er kaum fünfzig alt war, da beschloß er, sich ein Weib [348] auf den Hals zu laden, um Nachkommen zu haben; und wie er nun allenthalben nach einem geeigneten Wesen Umschau hielt, hörte er die verdienstlichen Vorzüge einer Tochter der angesehenen Familie von Rohan rühmen, eines Mägdeleins mit Namen Bertha. Als dann Imbert in das Schloß Montbazon kam, wurde er ob ihrer Schönheit und tugendsamen Unschuld von einem derartigen Liebesfeuer ergriffen, daß er sie voll Vertrauens auf ihre edle Abkunft und voraussichtliche Pflichttreue sofort zu seinem Weibe erkor. Und da der Herr von Rohan mit sieben Töchtern gesegnet und froh war, eine unter die Haube zu bringen (denn da mals zogen die Männer nur in den Krieg oder bemühten sich, ihre auf den Hund gekommenen Güter wieder in die Höhe zu wirtschaften), so fand die Hochzeit sehr bald statt und der wackere Bastarnay fand ein veritables Jüngferlein in seinen Armen, was für die gesunde und strenge Erziehung der Mutter ein löbliches Zeugnis ablegte. Er nahm sie so nachdrücklich in Besitz, daß er bereits nach zwei Monden zu seiner großen Freude hinreichende Beweise für das Keimen eines Sprößlings feststellen konnte. Und um diesen ersten Abschnitt der fraglichen Begebenheit zu beschließen, sei gesagt, daß wirklich ein Söhnlein zur Welt kam, welches hernach als Herre von Bastarnay durch die Gnade des sonst so gestrengen Königs Ludwig des Elften dessen Kanzler und später dessen Gesandter bei den Höfen Europas wurde und das herzliche Vertrauen desselbigen niemals täuschte. Diese Treue war [349] ein Erbstück seines Vaters, der dem Kronprinzen von vornherein anhing und mit ihm durch dick und dünn ging, selbst als er rebellierte, denn er hätte auf dessen Befehl selbst Christus ans Kreuz geschlagen, so groß war seine für damalige Zeiten gar seltene Ergebenheit. – Die holdselige Frau von Bastarnay wußte durch ihre schlichte Offenheit bald das düster-schwarze Gewölk zu verjagen, das im Geiste ihres Gemahles der Frauen Wert zu verdunkeln strebte. Und wie's so geht: sein Mißtrauen wich so grenzenlosem Vertrauen, daß er ihr die Herrschaft über sein ganzes Haus in die Hand gab, sich auf Schritt und Tritt von ihr leiten ließ und sie solchermaßen als Hüterin über seine Ehre, sein Greisentum, sein Alles machte und jeden unweigerlich erschlagen hätte, der über ihre spiegelblanke Tugend, die kein Hauch trübte, nur ein einziges Wörtlein gesagt haben würde. Ehrlich gesagt, trug viel zu dieser Tugend der kleine Bengel bei, um den seine schöne Mutter während sechs Jahren Tag und Nacht besorgt war; und wenn sie ihm ihre holde Brust darbot, daran er sich so eifrig festsog, dann ersetzte er ihr jeden Liebhaber, ja, er war für sie der zärtlichste Liebhaber der Welt. Sie kannte nur seiner zierlichen Lippen Schmeichelküsse, nur seiner kleinen Händlein Kosen, las in keinem anderen Buche als in dem himmelblauen Spiegel seiner Äuglein, hörte keine andere Musik als sein Kinderstimmchen, dessen Geschrei ihrem Ohr wie Engelsworte erklang. Und sie wiegte ihn, küßte ihn vom Morgen bis zum Abend, stand sogar nachts auf, um ihn zu liebkosen, [350] machte sich klein, so klein, wie er war, und zog ihn so nach den heiligen Grundsätzen der Mutterliebe auf; kurz, sie war die beste und glücklichste Mutter der Welt, worin natürlich für die Jungfrau Maria kein Vorwurf liegen soll: denn dieser ist ja die Erziehung unseres Heilandes nicht schwer gefallen, sintemalen er Gott selbst war. Dies alles zusammen mit der Abneigung Berthas für die engeren Ehepflichten freuten den Herrn Gemahl sehr, da er sich letzteren nicht über die Maßen gewachsen fühlte und im Hinblick auf ein etwaiges zweites Kind sparte. Als dann sechs Jahre um waren, mußte die Mutter ihr Söhnlein den Knappen und Schildmeistern überlassen, die ihn nach des Vaters Geheiß scharf anpackten, damit dem Stammhalter mit Namen und Besitz auch die Tugenden und Vorzüge, der Adel und Mut seines Hauses zu eigen würden. Bertha aber kam fortan aus dem Weinen nicht heraus: hatte man ihr doch ihr Glück entrissen; und die flüchtigen Stündlein, in denen sie ihren Liebling genießen durfte, wenn die anderen ihn von sich ließen, genügten ihrem Herzen wenig. Ob ihrer Trauer, ihrer Tränen bemühte sich der Herr Gemahl, ihr einen Ersatz zu schaffen, aber es gelang ihm nicht, und darob war die Ärmste sehr ungehalten, weil ihr, wie sie sagte, seine Bemühungen für ein zweites Kindlein äußerst unangenehm waren und zuviel Unzuträglichkeiten mit sich brachten. Und das kam so:
Der wackere Herr Bastarnay war kein geschmeidiger, zärtlicher Geilhannes; ihm war's ganz gleich, wie er [351] einen erschlug, wenn der andere nur auch wirklich erschlagen wurde, und so kam es ihm nicht darauf an, blindlings dreinzuschlagen, ohne überhaupt ein Wörtlein zu verlieren, ich meine im Handgemenge. Und mit derselben Gleichmut wie den Tod gab er auch das Leben, wenn es galt, in dem bekannten reizenden Öflein ein Kindlein zu backen. Von den tausenderlei einleitenden Maßnahmen, Vorbereitungen, Zwischenreden, Verzögerungen, vorsorglichen Verrichtungen, als da sind: Heizen des Ofens mit Holzspänen, duftenden Zweiglein und Ästelein, die man sorglich im Liebeswalde sammelt, und was es dergleichen Liebesdienste und Drums und Drans noch mehr giebt – von alledem hatte er keine Ahnung. Da schaut euch mal die Katzen an, wenn sie ihre süße Milch schlecken, oder die Frauen selbst, wenn sie essen: keine von ihnen (ich rede von wohlerzogenen, gebildeten Frauen) wird sich so kopfüber in die Schüssel stürzen und das Essen hinunterschlingen, wie's die Männer in ihrer ungeschlachten Art machen. Vielmehr wird sie zierlich in dem Gericht herumstochern, wird, wie ein Täublein eine Erbse, so ein Krümlein, das ihr besonders gefällt, herauspicken, wird von der Tunke schlecken und die dicken Happen liegen lassen, und wird mit Löffel und Messer spielen, als ob man sie zum Essen zwingt, weil es ihnen allen verhaßt ist, geradeswegs zum Ziele zu gehen, weil sie Umwege, Ziererei und Spielerei über alles lieben. In all diesen Dingen also war der Herr Imbert, dieser alte Haudegen, die Ahnungslosigkeit selbst, er stürmte das holde Venusgärtlein [352] wie eine belagerte Stadt, kümmerte sich den Teufel um das Geschrei der armen Einwohner, die in Tränen zerflossen, und das arme Kindel, die Bertha, die bei ihrer Hochzeit eben fünfzehn Jahr alt geworden war, hatte zwar in ihrer jüngferlichen Unschuld vermeint, diese abstoßende Roheit sei für ihr Mutterglück von Nöten, war aber solche Behandlung doch keineswegs gewöhnt. Und deshalb machte ihr die Ehe eben keinen Spaß und niemals forderte sie ihren Mann auf, sein Ehebündnis von neuem zu besiegeln. Und da er, wie gesagt, keineswegs auf der Höhe war, so lebte sie in strenger Enthaltsamkeit wie ein Nönnlein. Sie haßte Männergesellschaft und hatte keine blasse Ahnung, daß der Schöpfer just jene Pflichten, die ihr so unsägliche Pein geschaffen hatten, mit so holden Freuden versüßt habe. Und da ihr Söhnlein ihr vor seiner Geburt so teuer zu stehen gekommen war, so liebte sie ihn nur um so inniger. Das ist eben die alte traurige Geschichte so vieler unglücklicher Ehen, so vieler Frauen, die eines Tages die schlimmsten Torheiten begehen, weil sie irgendwie und viel zu spät erfahren, daß man sie getäuscht hat, und nun in einem Tage die verlorene Zeit einholen wollen, um voll und ganz auf ihre Rechnung zu kommen. Das ist allen Ernstes gesagt, lieben Freunde, und darum leset diese Zeilen recht sorgfältig und seiet fortan für eure Frauen, eure Liebsten und all die andern Frauen besorgt, die euch (Gott behüte!!) zufällig anvertraut werden sollten.
So war also Bertha, trotzdem sie Mutter geworden war, [353] im Grunde Jungfrau geblieben, als sie wie eine zarte Bläte so hold ihr einundzwanzigstes Lebensjahr erreichte. Sie ward durchs ganze Land hin ob ihrer Schönheit gerühmt; und ihr Ehegemahl hatte seine helle Freude an ihr, die so frisch und munter wie ein Fisch im Wasser, in herziger Unschuld, aber reich begabt und mit klarem Verstande ihren Hausfrauenpflichten lebte; und niemals unternahm er etwas, ohne sie um Rat zu fragen. Sie lebten damals auf seinem Schlosse unweit Losches und so kam es, daß sie einmal vom Könige aufgefordert wurden, ihn in Losches aufzusuchen, wo er sich damals mit seinem Hofe niedergelassen hatte und wo die Schönheit der Frau von Bastarnay in allen Tonarten besungen wurde. So kam also Bertha dorthin und wurde vom Könige mit Schmeicheleien überschüttet. Alle jungen Herrlein waren um sie herum, fraßen die holde Frucht mit gierigen Augen, und die alten Knacker wärmten ihr mürbes Gebein in der Sonne ihrer Schönheit. Jung wie alt wäre gern tausendmal des Todes verstorben, um nur einmal diese Zauberreize zu eigen zu haben, die einem die Augen blendeten und den Sinn verwirrten. Bald war in Losches mehr von Bertha die Rede, als in den Evangelien vom Lieben Herrgott, worob natürlich viele Damen vor Wut schier barsten, die nämlich, so bedeutend kärglicher mit Reizen versehen waren und gern diese so heiß umschwärmte Huldin in ihr Schloß zurückgejagt hätten, wenn sie auch dafür dem häßlichsten Manne des Erdenrundes zehn Liebesnächte hätten opfern müssen. Zumal eine junge [354] Dame geriet in argen Grimm, weil sie zu der unerbittlichen Erkenntnis kam, daß ihr Herzliebster sich in Bertha vernarrte. Und daraus entstand all das Unheil, das später über Frau von Bastarnay hereinbrach; daraus aber auch alles Glück, das ihr zuteil ward: die Entdeckungsreise in das ihr noch so unbekannte Land holdester Liebeszärtlichkeiten.
Nun hatte die erwähnte Dame einen Verwandten, der ihr gleich zu Anfang erklärte, er würde gern sterben, wenn er nur einen Monat mit Bertha alle Freuden der Liebe auskosten könne. Dieser Jüngling war schön wie ein Mägdelein, ein Milchgesicht von kaum zwanzig Jahren, dem jeder Feind Pardon gegeben hätte, wenn er nur dies Wort rief: so holdselig war seine Stimme. Zu diesem nun sagte sie: »Schöner Vetter, gehet hinweg und bleibet in Eurem Hause, dann will ich sorgen, daß Euer Wunsch in Erfüllung geht. Aber richtet es so ein, daß Euch weder sie erblickt noch jene Affenfratze, die durch einen Mißgriff der Natur christlichen Eltern in die Wiege gelegt ward und nun diese Zauberfee zu Eigen hat.«
Kaum war der schöne Vetter fort, da eilte die Dame schon auf Bertha zu, schleckte sie mit ihren Verräterlippen ab, nannte sie ›meine Holde, mein Schatz, mein güldener Stern!‹, riß sich schier die Beine aus, um sich bei ihr einzuschmeicheln, alles, um sich an der Ärmsten um so sicherer rächen zu können dafür, daß diese, ohne das Geringste zu ahnen, ihren Liebsten zu treulosen Gedanken verführt hatte (was bekanntlich für den Liebesehrgeiz [355] der Frauen schlimmer ist, als jede begangene Treulosigkeit!). Sie brauchte nicht lange mit Bertha zu plaudern, um herauszuspüren, daß selbige im Grunde ihrer Seele Jungfrau geblieben war; ja, sie brauchte dafür nur die lichten Augen, die spiegelglatte Stirn und Schläfe, dies schneeweiße Näslein zu sehen, darauf nicht das kleinste Sommersprößchen prangte: kurz, alle sonst immer unzweideutigen Anzeichen für erlebte Liebesschauer fehlten, die Unschuld sprach ihr aus dem Angesicht, und einige listige Fragen brachten der Verräterin die geahnte Bestätigung dafür, daß Bertha wohl Mutterfreuden, aber keinerlei Liebesfreuden kannte. Des freute sich die edle Seele für ihren Vetter, und sie hub nun an zu erzählen: in Losches gäbe es ein junges Edelfräulein von Rohan, die der Fürsprache einer angesehenen Dame bedürfe, um bei dem Herren Ludwig von Rohan wieder in Gnaden Aufnahme zu finden; wenn sie ebenso herzensgut wie schön sei, so wolle sie doch jene zu sich ins Schloß nehmen, dort sich ihres sittenreinen Lebenswandels vergewissern und dann eine Aussöhnung mit dem Herrn von Rohan herbeiführen. Bertha erklärte sich ohne Zögern dazu bereit, da sie das Mißgeschick jenes Mägdeleins kannte, doch nicht sie selbst, die Sylvia hieß und von der sie glaubte, daß sie außer Landes sei.
Hier muß eingefügt werden, weshalb der König dieses Fest zu Ehren des Herrn von Bastarnay veranstaltet hatte. Er argwöhnte nämlich die bevorstehende Flucht des Kronprinzen nach Burgund und wollte ihm einen [356] zuverlässigen Ratgeber zur Seite wissen. Und der Greis als getreuer Diener des Herren Ludwig hatte bereits stillschweigend seine Vorbereitungen getroffen. So führte er denn Bertha wieder zum Schloß zurück, die ihm bei dieser Gelegenheit unterbreitete, daß sie eine Gefährtin zu sich genommen habe, und ihm selbige zeigte: es war jener Jüngling, den seine Base in ihrer Eifersucht auf Bertha in Mädchenkleider gesteckt hatte, und von dem sie in ihrer Wut erhoffte, daß er selbige in den Abgrund der Wollust zerren würde. Imbert war erst ungehalten, da er wußte, was die richtige Sylvia für eine Person war. Aber die gute Bertha rührte ihn und so lobte er sie für ihren Vorsatz, das verirrte Lamm auf den rechten Weg zurückzuführen. Dann feierte er in der letzten Nacht einen nachdrücklichen Abschied von seiner lieben Frau, ließ ein paar Mann als Besatzung auf dem Schloß zu rück und folgte flugs dem Kronprinzen nach Burgund, ohne zu ahnen, daß er daheim einen Todfeind sitzen hatte. Da nämlich der betreffende Jüngling nur in die Gegend gekommen war, um den Hof des Königs anzuschauen, sonst aber bei dem Herrn von Dunois als Edelknappe diente, so war er dem Herrn Imbert von Angesicht nicht bekannt, und selbiger war ganz sicher, es sei ein Mägdelein, das er für sittsam und schüchtern hielt, weil der Bengel immer seine Augen gesenkt hielt, um sich nicht durch deren Feuer zu verraten. Als dann aber der Schloßherr mit seinen Mannen davonsprengte, da jubelte er in heller Freude auf, wie's eben jeder an seiner Stelle getan hätte. Aber [357] die Angst hatte ihm doch bis dahin so zugesetzt, daß er der Kathedrale zu Tours einen Pfeiler gelobte dafür, daß er alle Gefahren seines tollkühnen Unternehmens glücklich bestanden hatte. Und wirklich zahlte er fünfzig Mark, um Gott seine Erkenntlichkeit zu beweisen. Leider kam aber das Geld dem Teufel zugute, wie das folgende erzeigen wird.