Wie der wackere Herr Bruyn ein Weib nahm.
Einstens war der hochedle Herr Bruyn, der das Schloß zu Roche-Corbon-lez-Vouvray an der Loire erbaute, ein übler Kumpan. Schon als Kiekindiewelt jagte er den Jüngferlein nach und übte das ›Fensterln‹, und als gar sein Vater dahinschied, da ward er vollends ein Satansbraten, wie er im Buche steht. Ob der Art wie er [25] sein Geld verpraßte, verlumpte und verhurte, sah er sich bald von anständigen Menschen gemieden und auf die Freundschaft von Wucherern und Halsabschneidern angewiesen. Doch auch die wurden mordsmäßig widerborstig, als sich herausstellte, daß die ›Rupes Carbonis‹ als Königslehen unantastbar war, und somit nur die Herrschaft Roche-Corbon als Pfand dienen konnte. So war Bruyn auf dem besten Wege, sich zum Strauchdiebe zu entwickeln, hätte ihm nicht darob eines Tages sein Nachbar, der Abt von Marmoustier, grambeschwert ins Gewissen geredet: sicherlich wäre ja ein derartiges Leben ein erfreulicher Beweis ritterlicher Tugenden, doch wäre es am Ende immerhin würdiger, wenn er zum Preise Gottes wider die Muselmänner das Schwert zücke, die das heilige Land verschandelten. Dann würde er zudem einst reichbeladen mit Schätzen und Ablässen heimkehren oder aber ins Paradies eingehen.
Dem wackeren Bruyn ging der kluge Vorschlag gar trefflich ein und vom Kloster gewappnet, vom Abt gesegnet, machte er sich alsbald zur Freude seiner Nachbarn auf die Reise. Und nun ward gar manche Stadt in Asien und Afrika von ihm rücksichtslos gebrandschatzt und er metzelte nieder, was ihm unter die Klinge kam, gleichgültig ob Freund, ob Feind, Sarazenen, Griechen, Engelländer und anderes Volk. Solchermaßen war er für Gott, den König und sich selbst gar eifrig besorgt und schuf sich den Ruf eines guten Christen und getreuen Edelmannes. Schließlich aber bekam er die [26] Sache doch satt und kehrte zum allgemeinen Staunen, schwer beladen mit Gold und Schätzen von seinem Kreuzzuge heim. König Philipp machte ihn zum Grafen und Seneschall und nunmehr ward Bruyn allenthalben geliebt und geehrt, zumal er neben seinen sonstigen Tugenden auch seine Frömmigkeit durch die Gründung der Kirche von Carmes-Deschaulx bewies. Aus dem üblen Nichtsnutz war eben ein gesetzter Mann geworden, des Glatze mählig und in Würden wuchs. Die Säle seines wundervollen alten Schloßes am Ufer der Loire wurden mit königlichem Prunk ausgestattet und mit morgenländischem Hausrat, Schmuck und Ziergerät prächtig geschmückt. Die reichen Ländereien, Mühlen und Gewässer brachten nun überreiche Erträge und das Volk schwelgte fügsam in wohliger Ruhe, maßen er es vor den Wegelagerern und Schnappsäcken schützte, auf die er äußerst scharf war: denn er wußte ja aus eigner Erfahrung, was dieses verdammte Raubzeug für Schaden stiften konnte. Wenn er mal jemand aufknüpfen ließ, so geschah das also um der lieben Gerechtigkeit willen und selbst die Juden ließ er nur dann zur Ader, wenn sie bereits am erwucherten Gelde schier erstickten. Solchermaßen erwarb er sich natürlich die Liebe und Achtung von Groß und Klein.
Da begab es sich einmal, daß eine Bande Zigeuner in der Kirche St.-Martin heiliges Gerät stahl und obendrein zum Spott und Hohn für unseren wahren Glauben an der Stelle, da sich das Bild Unserer Lieben Fraue befunden [27] hatte, ein verflixt-schönes, blutjunges, splitterfaselnacktes Mädel zurückließ. Ob dieser unerhören Freveltat beschlossen gleichermaßen die Vertreter des Königs wie die der Kirche, daß die Maurin für alle andern mitbüßen und dieserthalben auf dem Marktplatze lebendigen Leibes verbrannt werden solle. Aber der biedere Herr Bruyn erwies in heftiger Widerrede, daß es bei weitem gottgefälliger sei, diese schwarze Seele für den wahren Glauben zu retten; und stäke wirklich der Teufel hartnäckig in diesem Mädchenkörper, dann würden ihm ja doch die Flammen des Scheiterhaufens nichts anhaben. Das fand der Herr Erzbischof über die Maßen fromm und christlich, also daß er ihm beipflichtete. Den Damen aber und den andern wohlgestellten Leuten, die da murrten, daß sie um solch schönes Schauspiel gebracht werden sollten, entgegnete der Seneschall: wenn die Heidin sanftselig in den Schoß der christlichen Kirche einginge, so gäbe das den Anlaß zu einem weitaus schöneren Feste, und er werde dann für wahrhaft königlichen Prunk sorgen, werde selbst Taufpate sein, und mit ihm eine holde Jungfrau als Gevatterin, maßen er ja selbst unbeweibt sei.
Die Maurin wählte nicht lange zwischen Taufe und Scheiterhaufen. Es dünkte ihr doch schöner, als Christin zu leben, denn als Zigeunerin verbrannt zu werden. Aber indem sie sich den glühenden Qualen weniger Augenblicke entzog, lieferte sie sich schlimmeren für ihr ganzes Leben aus: um nämlich ihrer Bekehrung ganz [28] sicher zu sein, steckte man sie in ein benachbartes Kloster und nahm ihr das Gelübde der Keuschheit ab. Die angekündigte Festivität aber fand im Palaste des Erzbischofes statt, allwo zum Preise des Erlösers getanzt, gesprungen und getafelt wurde, daß es nur so eine Freude war. – Der gute alte Seneschall hatte als Gevatterin die Tochter des edlen Herrn von Azay-le-Ridel erkoren, der fern vor Acre einem Sarazenen in die Hände gefallen war. Um das geforderte fürstlich-hohe Lösegeld aufzutreiben, hatte sein Weib ihr Hab und Gut verpfändet oder hingegeben und nun harrte sie ihres Gemahls in einer ratzekahlen Stadtwohnung, doch stolz wie die Königin von Saba. Just um ihr gleichsam unvermerkt unter die Arme zu greifen, hatte der Seneschall das Töchterlein als Patin erwählt, und so gedachte er, seiner holden Gevatterin eine schwere güldene Kette, die er in Cypern erbeutet hatte, um den Hals zu hängen. Als er aber besagte Blanche von Azay eine Pavane tanzen sah (denn obgleich die Maurin bei diesem letzten Tanze ihres Lebens sich im Wirbeln, Springen und Biegen schier selbst übertraf, trug Blanche doch durch, ihre jungfräuliche Anmut nach dem einstimmigen Urteil aller den Sieg davon), da blieb es nicht bei der Kette und Bruyn gab sich mit Gut und Habe, Haut und Haaren ihr zu Eigen.
Denn plötzlich ward er inne, daß seinem Heim ein Weib fehlte, und das warf ihn in tiefe Betrübnis. Was war denn ein Schloß ohne Schloßherrin? – ein Klöppel ohne [29] Glocke! Und stracks beschloß er, sie zu ehelichen, und das um so bälder, als er auf ein allzulanges Erdendasein kaum mehr hoffen konnte. Doch dachte er im Grunde wenig an die achtzig Jahre, die seines Lebens Baum schon genugsam entblättert hatten. Vielmehr fand er seine Augen klar genug, um seiner Gevatterin Reize sich darin spiegeln zu lassen. Und als selbige, so wie ihre Mutter es ihr geheißen hatte, sich ihm in Blicken und Gebärden gar zutunlich zeigte, da schlug er vollends alles in den Wind und hub an, zunächst ihre Hand zu küssen, und dann immer mehr, den Nacken und – Hals ... etwas tief, meinte der Erzbischof, der sie acht Tage später traute. Und die Hochzeit war schön, das schönste dabei aber war die Braut.
Blanche war wunderzart und frisch wie kaum eine; und dabei ein spiegelblinkes Jüngferlein, das von Liebesdingen auch nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, das sich nicht träumen ließ, wozu so ein Bett alles gut sein könne und vermeinte, daß die Kindelein vom Storch gebracht würden. Denn so hatte ihre Mutter sie in aller Unschuldigkeit erzogen. – Was nun diese betraf, so bekam sie nach der Hochzeit eine ansehnliche Summe, mit der sie sich stracks nach Acre auf den Weg machte. Und sie erwies sich auch als eine überaus getreue Gattin. Denn als sie ihren Mann losgekauft hatte, stellte es sich heraus, daß er aussätzig war: aber sie betreute ihn so wohl, daß er dank ihrer Pflege wieder gesundete.
[30] Als die Hochzeitsfeier (– die zur bassen Freude der Gäste drei Tage währte) zu Ende war, trug Bruyn sein junges Weib nach damaliger Sitte feierlich aufs Ehebett, das vom Abte gesegnet wurde. Alsdann streckte sich der neugebackene Ehemann ihr zur Seite hin.
Und wie er nun so salbenduftend bei ihr ruhte, da küßte er zunächst ihre Stirn, dann das blinke, zarte Brüstelein ... und weiter tat er nichts. Denn der alte Knickstiefel hatte sich weit überschätzt, als er geglaubt hatte, noch sonstiges leisten zu können. Zwar stärkte er sich mit dem Hochzeitstrunke, der dem Brauche gemäß, in güldenem Pokale neben ihm stund; aber der wärmte ihm nur den Magen, ohne seiner Manneskraft auf die Beine zu helfen. Blanche ahnte natürlich nichts von diesem Mangel ehelicher Pflichterfüllung, da sie von einer Heirat nichts anderes erwarten konnte als Prunk und Schmuck, Ehre und angenehme Stellung. Solchermaßen ergötzte sie sich baß an der reichen Pracht des Bettes, allwo ihre Jungfräulichkeit hätte begraben werden sollen, derweile jener zu spät seine Schuld begriff und törig auf die Zukunft vertraute, die doch nur Tag für Tag mehr von dem zerstören mußte, was heute schon nicht mehr den geringsten Ansprüchen gewachsen war. So füllte er einstweilen die Bresche mit lockenden Worten und versprach unter zartem Geplauder seinem Weiblein die Schlüssel für Kisten und Kasten, ja die unbeschränkte Herrschaft über Haus und Hof und alle Güter. Und sie hielt ihn darob für einen Musterehemann [31] und schwärmte noch frohgemuter über das schöne Brokatbett, derweile sie sich aufsetzte und ihn anlächelte. Als nun aber der gerissene Alte merkte, daß sie zärtlich werden wollte, ward ihm bänglich zu Mute. Denn Jungfern waren ihm noch nicht viele über den Weg gelaufen und seine Erfahrung erstreckte sich auf lockere Dirnen, deren Tätscheln, Küssen und Liebkosen ihm einstmalen recht wohl getan hatte, jetzt aber eiskalt gelassen hätte. Somit retirierte er sich angstvoll zum Bettrande und sagte zu seiner leckeren Bettgenossin: »Ja, siehst du, mein Schau, nun bist du Seneschallin, und was für eine!«
»Ach nein,« meinte sie.
»Wieso, nein?« bangte er, »Du bist doch mein Weib!« »Keineswegs ... Erst muß ich noch ein Kind haben.«
»Sahst du die Wiesen?« lenkte er ab, »die sind dein.« »Ei,« lachte sie, »wie werde ich dort Schmetterlinge haschen. Aber gebt mir doch auch einen Schluck von dem Trunk da, den uns der Schenk so sorglich gebraut hat.«
»Wozu denn, Liebchen! Der erhitzt dich nur.«
»Doch möchte ich,« schmollte sie, »denn ich will Euch schnellstens ein Kind bescheren und weiß sehr wohl, wozu der Trank gut ist.«
»Oho, du Kleinchen,« sagte der Seneschall, der hierin ihre engelsreine Unschuld erkannte, »dazu bedarf es zuvörderst Gottes Willen und zudem muß die Frau dazu reif sein.«
[32] »Und wenn werde ich dazu reif sein?« lächelte sie.
»Wenn es die Natur will,« lachte er zurück.
»Was kann man denn dafür tun?«
»O dazu gehört eine sehr gefährliche kabbalistisch-alchymistische Operation.«
»Aha,« meinte sie nachdenklich, »darum weinte auch meine Mutter beim Abschied so. Aber meine Freundin Bertha, die sich doch als Frau so wohlfühlt, meinte, das sei alles kinderleicht.«
»Das kommt aufs Alter an,« wand sich der greise Knabe. »Und zudem müssen beide Gatten vor Gott schuldlos dastehen, sonst wird das Kind ein arger Sündenlümmel. Darum lassen wir ja auch die Betten segnen, wie es hier der Herr Abt getan hat ... Hast du die Gebote der Kirche nicht übertreten?«
»O nein,« ereiferte sie sich, »vor der Messe bekam ich Absolution und seitdem habe ich nicht die kleinste Sünde begangen.«
»Ja siehst du, aber ich habe geflucht wie ein Heide.«
»Ach – aber weshalb denn?«
»Weil der Tanz kein Ende nahm und ich dich deshalb nicht hierher tragen und abküssen konnte.« Und damit nahm der alte Fuchs zärtlich ihre Händchen, die er drückte und schleckte, derweile er ihr unschuldige Schmeicheleien zuraunte, die sie erfreuten und ganz ablenkten. Dann aber machte sich die Müdigkeit vom Tanz und den Feierlichkeiten bei ihr geltend, also daß sie sich bequem [33] hinstreckte und nur sagte: »Morgen werde ich schon aufpassen, daß Ihr nicht mehr sündigt.« Und damit schlief sie ein.
Der alte Knabe aber genoß weiter den Rausch ihrer blinken Schönheit und zarten Anmut. Nur der Gedanke quälte ihn, wie er sie in ihrer Unschuld erhalten könne. Wohl ahnte ihm dunkel, daß die Sache einmal schlimm ausgehen würde, doch beschloß er, dies holde Kleinod nach Kräften zu hüten, und tränenden Auges küßte er ihr güldenes Haar, die Wimpern und den frischen, roten Mund – jedoch sachte, um sie nicht aufzuwecken. Und dann klagte er ob der Verwüstungen, die das Alter bei ihm angerichtet hatte und darüber, daß er nun eine Nuß knacken sollte, wo er doch keine Zähne mehr hatte, sie aufzubeißen.