[183] Wie das Schloß zu Azay erstand.

Johann war der Sohn des Simon Fourniez, genannt Simonnin, zu Tours, der es bis zum Amte des Silberbewahrers bei weiland König Ludwig dem Elften gebracht hatte, dann aber in Ungnade gefallen und mit seinem Weibe nach Languedoc geflüchtet war. Seinen Sohn ließ er aller Mittel entblößt in der Touraine zurück, also daß selbiger nur Leib und Degen zu Eigen hatte, was den Alten aber ganz genug dünkte. Wirklich beschloß auch der Bursch, seinen Vater zu retten und zudem sein eignes Glück am Hofe zu machen, welcher damals nach der Touraine übersiedelte. Gleich am nächsten Morgen verließ daher der Jüngling sein Haus, wickelte sich bis zur Nasenspitze in seinen Mantel und wandelte mit einem Magen, der nicht gerade unter Überladung zu leiden hatte, maßen er leer war, aufs Geratewohl durch die Stadt. Er ging in die Kirchen, staunte sie an, besichtigte die Kapellen, fing Fliegen auf den Gemälden und zählte die Wölbungen wie ein neugieriger Reisender, der viel Zeit und Geld totzuschlagen hat. Dann wieder richtete er, scheinbar in ein Gebet versunken, stumm-beredte Blicke auf die Damen, reichte ihnen an der Türe Weihwasser, folgte ihnen von weitem und suchte durch solche kleine Gefälligkeiten eine Gelegenheit zu erhaschen, die ihm, selbst wenn's unter Lebensgefahr wäre, zu einem Gönner oder einer anmutigen Gebieterin verhülfe. Er besaß noch zwei Dublonen, [184] die er mehr schonte denn seine Haut, sintemalen selbige sich mählig erneut, was Dublonen nicht zu tun pflegen. So erwarb er täglich nur ein Stück Brot und ein paar klägliche Äpfel, und begoß dies Mahl reichlich mit dem Wasser der Loire; und diese Lebensweise war nicht nur seinen Dublonen gar bekömmlich, sondern auch ihm selbst, der dabei frisch und hurtig blieb wie ein rechter Windhund.

So wandelte Jakob von Beaune, wie er sich nach seines Vaters Geburtsort nannte, eines Abends am Ufer dahin und verwünschte seinen Unglücksstern, sintemalen die letzte Doublone drauf und dran war, ihn schnöde zu verlassen. Da plötzlich wäre er an einer Straßenecke fast auf eine verschleierte Dame geprallt, von der eine wahre Wolke von Wohlgerüchen entströmte und ihm die Nase umsäuselte. Selbige Dame, die auf hohen Stöckelschuhen dahertrippelte, trug ein prächtig Gewand aus italienischem Sammet; durch ihren Schleier blinkte im Abendrot ein gar ansehnlicher Diamant zwischen einem Haargebäude, an dessen Löckchenzier sicher die Zöflein ihre drei Stunden gearbeitet hatten. Hinter ihr, der man anmerken konnte, daß sie mehr daran gewöhnt war, in einer Sänfte getragen zu werden, schritt ein bewaffneter Page: kurz, es war entweder die Buhle eines hochgestellten Herren oder eine Hofdame, schon nach der Art, wie sie ihren Rock etwas reichlich raffte und sich in den Hüften wiegte. Aber gleichgültig, ob Dame oder Dirne: Jakob spielte nicht den Wählerischen,[185] sondern faßte den verzweifelten Entschluß, ihr zu folgen, und ginge es in den Tod. Sie wandelte am Ufer entlang auf Plessis zu, und sog in tiefen Zügen die wasserfrische Luft ein. Der Page aber ward alsbald inne, daß Jakob der Dame auf Schritt und Tritt folgte, mit ihr stehen blieb und sie mit unverfrorener Selbstverständlichkeit anglotzte. Deshalb wandte er sich plötzlich wider ihn um und machte ein Gesicht wie ein bissiger Köter vorm Zuschnappen. Wohingegen der Jüngling sich sagte: kann ein Hund den Papst angucken, so darf wohl ein Christenmensch eine hübsche Frau bestaunen. Und so widmete er dem Pagen nur ein notdürftiges Lächeln und umschlängelte weiter die Dame, so da ruhig schwieg und den Himmel besah, der sich zur Nacht rüstete, die Sterne und was ihr sonst noch Spaß machte. Solchermaßen kamen sie gen Portillon, allwo die Dame einen Augenblick stehen blieb, den Schleier zurückwarf, um besser zu sehen, und den Gesellen sachverständig musterte, ob sie auch keinen Hereinfall zu gewärtigen habe. Nun sei gesagt, daß Jakob es wohl mit drei Ehemännern aufnehmen konnte und sicher auch einer Prinzessin keine Schande gemacht hätte; kühn und entschlossen schaute er aus, just so, wie's den Damen gefällt, und so schien ihm auch, daß der Blick, damit ihn jene spickte, wesentlich lebhafter war, als wenn sie ihr Gebetbuch angeschaut hätte. Er fühlte neue Hoffnung keimen, beschloß mählig bis zum Saum ihres Gewandes zu dringen und an weitere Erfolge selbst seine Ohren dranzuwagen, [186] und folgte ihr weiter durch Gassen und Straßen bis zu dem Platze, allwo heute der Palast von Crouzille steht und wo sie vor einem schönen Hause halt machte. Aber der Page klopfte, ein Diener öffnete und schloß dann hinter ihr wieder die Tür, und so stand der Herre von Beaune sprachlos und verdutzt da, so etwa wie der Heilige Dionys, bevor er auf den Gedanken kam, seinen abgehauenen Kopf von der Erde aufzuheben. Er wandte eine Nase nach oben, um festzustellen, ob nicht von dorten ein gnädiger Wink zu ihm gelangen würde; aber er sah nur ein Licht die Treppe emporsteigen und von Zimmer zu Zimmer wandern, bis es, offenbar im Gemache der Dame, halt machte. So verfiel er in trübes Sinnen, als jählings ein Fensterflügel kreischte; in neuer Hoffnung blickte er auf; aber nur eine Fensterbank schützte ihn vor einem reichlichen Guß eiskalten Wassers und den Scherben des Gefäßes, alldieweil nur der Henkel in der Hand jenes liebesfeindlichen Spaßvogels verblieb. Diese Gelegenheit ergriff Jakob fröhlich beim Schopfe und ließ sich stracks zu Boden sinken, indem er mit erlöschender Stimme rief: »Ich sterbe!« Und dann legte er sich zwischen die Scherben und stellte sich voller Erwartung tot. Schon kam angstvoll die Dienerschaft aus der Tür gestürzt und lud ihn auf, derweile er sich mühsam das Lachen verbiß. »Er ist schon kalt,« stammelte der Page. Der Hausmeister machte sich beim Betasten die Hände naß und sagte: »Wie das Blut trieft!« Der Schuldige [187] schluchzte: »Eine Messe stifte ich, wenn er am Leben bleibt.« Worob ein andrer meinte: »Wenn du nicht gehenkt wirst, kannst du froh sein. Du weißt, die Gnädige hat das Temperament ihres Vaters geerbt; und dieser hier ist sicher tot, denn er ist mordsmäßig schwer.« »Aha! eine hochgestellte Dame,« dachte Jakob.

»Riecht der Tote schon?« fragte der Unheilsstifter. Und so wurde Jakob von den Dienern der Regentin (denn es war König Ludwigs Tochter) mühsam die Treppe hinaufgehißt und voll Hoffnungslosigkeit im Saal auf den Boden gebettet.

»Holt einen Wundarzt!« befahl Frau von Beaujeu. Und während die einen die Treppe hinabjagten, schickte sie die andern nach Salbe, Verbandzeug, Branntwein, und endlich war sie mit ihm allein. Nunmehro bestaunte sie seine kraftvolle Gestalt und die schönen Züge des Verblichenen und sagte laut: »Wehe, Gott will mich strafen! Taucht da ein winziges Mal in tiefster Seele ein Begehren auf und schon entreißt mir mein Schutzpatron zürnend diesen schönsten unter den Jünglingen. Gottes Tod! alle Unheilsstifter werde ich hängen lassen!« »O, edle Frau!« rief Jakob und sprang flugs empor, »ich lebe, um Euch zu dienen und bin so wenig tot, daß ich Euch für heute Nacht so viele Freuden verspreche, wie das Jahr Monate hat.« Und weiter log er frisch drauflos: »Seit zwanzig Tagen schon bin ich wie toll in Euch verliebt, doch wagte ich Euch nicht zu nahen; und wie trunken ich von Euer königlichen Schönheit [188] bin, mag Euch dieser mein Einfall beweisen, der mir endlich erlaubt, Euch zu Füßen zu fallen.« Und damit küßte er selbige gar innig und schaute die Dame mit versengenden Blicken an. Nun stand die Regentin, sintemalen das Alter auch Königinnen nicht verschont, dazumal in ihrer zweiten Jugend, in welcher auch die tugendsamsten Frauen sich nach einer Liebesnacht umtun, damit sie nicht in Ermanglung gewisser Erfahrungen mit leeren Händen, leerem Herzen und was sonst leer sein könnte, ins Jenseits wandeln. So schien ihr auch des Jünglings Versprechen keineswegs verwunderlich, maßen Könige alles dutzendweise haben müssen. Vielmehr prägte sie sich das wohl ein (sei es in ihrem Hirne, sei es in ihrem Liebesregister, das sich schon im voraus wohlig gekitzelt fühlte): sie hob den Schlingel auf, und der fand den Mut, ihr entgegenzulächeln, die in der Pracht einer welkenden Rose vor ihm stund. Immerhin war sie wohl hergerichtet, und ihre Gestalt, der königliche Fuß, die schlanken Hüften ließen ihn verborgene Schönheiten erhoffen, die ihm zur Erfüllung seines leichtsinnigen Versprechens behilflich sein konnten.

»Wer seid Ihr?« fragte sie nunmehr, und sah dabei knurrig aus wie weiland der König.

»Alleruntertänigst Jakob von Beaune, Sohn des Silberbewahrers, der jüngst in Ungnade fiel.«

»Schnell, legt Euch,« rief sie darob. »Ich höre Schritte und will nicht, daß die Leute mich für Eure Mitwisserin in dieser Komödie halten.« Aber ihre Stimme klang [189] milde, so daß jener begriff, daß ihm seine ungeheure Liebe in Gnaden verziehen war. Und so legte er sich flugs und sehr zufrieden nieder. Die Regentin aber sagte zu den Zofen: »Dem Edelmanne gehts besser und er braucht weiter nichts mehr. Gott sei Dank, der mein Haus nicht mit einer Mordtat belasten wollte.« Dabei glitten ihre Hände durch das Haar ihres Geliebten, der ihr da vom Himmel in den Schoß gefallen war; sie rieb ihm die Stirn mit Branntwein, knöpfte dann sein Wams auf und untersuchte ihn, gleichalsob sie um sein Wohl bemüht sei, eingehend wie ein Inquisitor, wobei sie feststellte, daß der so vielversprechende Jüngling ein entzückend zartes Fellchen sein Eigen nannte. Die Dienerschaft war zwar erstaunt, aber solche Beweise wahren Menschlichkeit stehen königlichen Personen immer wohl an. Jakob richtete sich auf, als erwachte er aus tiefer Ohnmacht, dankte alleruntertänigst der Regentin und schickte die ganze schwarze Teufelsbande von Ärzten und dergleichen heim, da er wieder wohl sei. Dann nannte er seinen Namen und wollte fortgehen. Aber Frau von Beaujeu rief: »Nie werde ich das erlauben, nachdem meine Leute Euch so übel mitgespielt haben!« Und zum Hausmeister: »Der Herr von Beaune wird hier zu abend speisen. Der Übeltäter wird ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, dafern er sich gleich meldet. Andernfalls wird ihn der Hansprofoß finden und aufknüpfen.«

Alsbald trat der Page vor, der die Dame begleitet hatte. Aber Jakob sprach: »Hohe Frau, ich flehe Euch[190] an, ihm zu vergeben; denn ihm verdanke ich das Glück bei Euch speisen zu dürfen, vielleicht gar die Wiedereinsetzung meines Vaters.«

»Wohlgesprochen,« sagte die Regentin. Und zu dem Pagen: »Du sollst eine Rotte Bogenschützen bekommen; aber wirf künftig nichts mehr aus dem Fenster.« Und da ihr nach Beaune schon das Wasser im Munde zusammenlief, ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm in ihr Gemach geleiten, allwo sie plauderten, derweile das Essen gerichtet wurde. Jakob erwog inzwischen, daß es der Regentin etwas schwer fallen dürfte, alle Leute zu entfernen und hoffte bereits, ohne das verdammte Dutzend heil hinweg zu kommen. Immerhin beängstigte ihn der Gedanke, dennoch zahlen zu müssen, genügend, und oft tastete er nach und fragte sich in Gedanken: »Wird's auch langen?« Ähnliche Gedanken beschäftigten auch die Regentin. Sie befahl einen ihrer Sekretäre zu sich, auf den sie sich verlassen konnte, und hieß ihm, während des Essens eine falsche Nachricht für sie auszufertigen. Dann, als das Essen kam, ward sie von ihrem übervollen Herzen derart beengt, dasi sie kaum einen Bissen aß. Darüber kam der erwartete Bote und schon furchte sie grimmig die Stirn wie weiland der König und grollte: »Kann man denn in diesem Lande nicht einmal einen ruhigen Abend haben?« Sprang auf und tat majestätische Schritte: »Holla! meinen Zelter! Wo ist mein Stallmeister? In der Pikardie? D'Estonteville, Ihr trefft mich mit dem Gefolge im Schlosse[191] Amboise! Herr von Beaune, Ihr werdet mein Stallmeister sein. Kommt, wir brauchen treue Diener, um die Unzufriedenen niederzuwerfen.«

Im Handumdrehen war alles bereit und schon ging es trabtrab zum Schlosse Amboise. Kurz gesagt: der Herre von Beaune dort wurde fernab von allen Späherblicken kaum zwölf Klafter von der Regentin untergebracht. Vergeblich fragte sich das Gefolge, wo denn der Feind sei; der Dutzendmann wußte es sehr wohl. Da aber die Tugend der Regentin für uneinnehmbar galt, so fiel kein Verdacht auf sie. Als dann zur Nacht das Schloß in lautlose Stille versank, schickte Frau von Beaujeu ihre Zofen fort und rief ihren Stallmeister. Und die beiden machten es sich vor dem Kamin bequem. Mit zärtlicher Stimme fragte die Regentin neugierig: »Seid Ihr auch nicht abgespannt? Nach Eurem Mißgeschick soll Euch der lange Ritt arg ermüdet haben. Das macht mir Sorge und ich wollte nicht einschlafen, ohne Euch zuvor noch gesehen zu haben. Ihr leidet?«

»Vor Ungeduld!« rief der Dutzendmann, für den es nun kein Zurückweichen mehr gab: »Wie bin ich glücklich, wohledle Herrin, Gnade vor Euren Augen gefunden zu haben!«

»Schon gut, aber wenn Ihr nicht loget, daß Ihr mir schon oft anderorts begegnet seid, so wundere ich mich, solch mutvollen Jüngling erst heute bemerkt zu haben. Denn Ihr gefallet mir und ich will Euch wohl.« Damit hatte für Jakob das verteufelte Stündlein geschlagen [192] flugs kniete er nieder und küßte ihre Füße, Hände, alles, alles. Immerhin wollte sie, die sich für diese Nacht schon so reich geschmückt und mit Duftwässern begossen hatte, alle Verantwortung auf ihren Liebsten laden und widerstrebte, bis er sie auf ihr Prunkbette trug, allwo die beiden eine gar einträchtigliche Hochzeit feierten. Und beim Scheine der Nachtampel entschwand das Alter der edlen Fraue, also daß Jakob weitaus mehr Freuden erlebte, als etwa einer, der auf dem Wege zum Galgen dem Könige begegnet, und daher mutig seine Wette erneute. Voll Staunens versprach ihm die Regentin, gar wohl standzuhalten, und als Preis, im Falle sie unterliegen sollte, die Herrschaft Azay-le-Bruslé mit allen Beilehen und zudem die Begnadigung seines Vaters. Worob jener als guter Sohn bei sich sprach:

»Dies für meinen Vater! Dies für das Lehen, dies für die Wiesen, item für das Fischrecht ...« und so fort, bis daß er der Regentin elfmal in klaren, unzweideutigen Worten seine Ehrerbietung bezeugt hatte. Was nun den Schlußgesang betraf, so nahm er sich vor, ihn seiner Partnerin beim Erwachen mit Schwung vorzutragen, als eine Huldigung, wie sie dem Herren von Azay gegenüber seiner Königin wohl geziemt. Das war sehr nett gedacht; aber die Natur hat so ihre Mucken und so kam es, daß besagte Huldigung den blinden Salutschüssen aufs Haar glich, wie sie zu Ehren der Könige üblich sind. Als das Paar daher aufgestanden war und zusammen frühstückte, da hatte die Regentin [193] an dieser Stelle ein und meinte: er habe seine Wette verloren und somit auch deren Einsatz.

»Kreuzbombensabel!« fluchte Jakob. »Dicht genug war ich am Ziel. Aber mich bedünkt, wir beide können hierüber nicht entscheiden: es handelt sich hier um einen Allodialfall, der vor Euern Hohen Rat kompetiert, da Azay ein Königslehen ist.«

»Gottes Tod!« lachte die Regentin (was sie nicht oft tat!) »Ihr sollt mein Stallmeister bleiben, Eures Vaters Begnadigung, Azay und ein Amt beim Könige erhalten, wenn Ihr diesen Fall vortragt, ohne meine Ehre zu gefährden.« Denn da sie ihre schöne Nacht hinter sich hatte, lockte sie dieser kniffliche Fall mehr als der Vorschlag eines neuen Dutzends. Inzwischen waren die Räte, Schreiber und sonstigen Dienstleute ebenfalls auf dem Schlosse eingetroffen und erkundigten sich eifrig nach den Gründen des plötzlichen Abmarsches. Um allen Argwohn abzulenken, berief die Regentin sie alsbald zu sich und legte ihnen zunächst eine Reihe nichtiger Fragen vor, die sie voll tiefgründiger Weisheit beantworteten. Kam dann der neue Stallmeister, um seine Herrin zu geleiten; und als er sah, daß man die Sitzung just aufheben wollte, bat er keck um Lösung eines Streitfalles, der seine und des Königs Interessen beträfe.

»Hört ihn an,« sprach die Regentin. »Er sagt die Wahrheit.« Worob Jakob frisch heraus etwa so anhub:

»Hochedle Herrn, zwar werde ich nur von Nußschalen reden, doch bitte ich um sorgliche Aufmerksamkeit Einmal [194] kamen zwei Herrn, die selbander lustwandelten, zu einem Nußbaum, der da schön, kraftvoll, prächtig und herrlich-duftend dastund. Ob dieses Nußbaumes nun entstand zwischen den Herren ein kleiner Streit, und sie schlossen eine fröhliche Wette, wie das Freunde so zu machen pflegen. Der jüngere der beiden machte sich anheischig, zwölfmal seinen Stock in das Blattwerk zu werfen (einen Stock, so wie jeder von uns einen bei Spaziergängen in Parkanlagen zu haben pflegt), und jedesmal sollte eine Nuß zur Erde fallen. – So war doch der Kernpunkt der Rechtsfrage?« wandte er sich zur Regentin. Und die erwiderte voll Überraschung ob seiner Mundfertigkeit: »Ganz recht, ganz recht!« Worob Jakob fortfuhr:

»Der andere wettete also dagegen. Und nun geschah es, daß jener derart geschickt zu werfen anhub, daß beide ihre Freude daran hatten. Sicherlich gings den Heiligen ebenso, denn dank ihrem Beistande fiel bei jedem Wurfe eine Nuß, so daß wirklich zwölf zusammenkamen. Aber der Zufall wollte es, daß die zuletzt abgeschlagene Nuß hohl war und nicht, wie die anderen, einen Kern hatte, der beim Stecken einen neuen Baum hätte erstehen lassen. Hat nun der Mann mit dem Stock gewonnen? Dies der Fall, bitte richtet!«

»Der Fall liegt klar genug,« versetzte der Großsiegelbewahrer. »Dem andern bleibt nur ein einziger Ausweg..«

»Und was für einer?« fragte die Regentin.

[195] »Zu zahlen, hohe Frau.«

»Er ist gar zu schlau,« meinte sie und gab ihrem Stallmeister einen leichten Schlag auf die Wange. »Sicher wird er noch einmal an den Galgen kommen.«

Sie meinte zu spaßen, aber sie kündete sein Schicksal; denn ob der Rache einer alten Vettel und durch seines Schreibers Verrat fiel der Silberbewahrer des Königs später bei diesem in Ungnade und mußte am Galgen baumeln. Um aber auf sein Jugendabenteuer zurückzukommen, so erhielt er seine Wette voll ausgezahlt, und er wurde auch noch Freiherr von Semblançay und einer der höchsten Würdenträger. Für Ausbau des Schlosses Azay aber gab er ein wahres Vermögen aus, so daß es das prächtigste der Gegend wurde. König Franz, der Erste seines Namens, war dort bei ihm zu Gaste. Und als es beim Schlafengehen zwölf schlug, da meinte der greise Freiherr: »Zwölf Schlägen eines Hammers, der nunmehro allerdings kaum noch verwendbar ist, verdankte ich dies Schloß, meinen Reichtum und das Glück, in Euren Diensten zu stehen.«

Und da der König solche Geschichten liebte, erzählte er ihm den Fall. Franz fand sie über die Maßen drollig und lachte um so mehr darüber, als just seine Mutter an dem bewußten Wendepunkte ihres Lebens hinter dem Konnetabel von Bourbon her war, um etzliche Dutzend einzuheimsen. Aber das war die arge Liebe eines argen Weibes, denn sie brachte das Königreich in Gefahr und war schuld, daß der König gefangen genommen und, wie [196] schon gesagt, der arme greise Freiherr von Semblançay zu Tode gebracht wurde.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Balzac, Honoré de. Erzählungen. Die drolligen Geschichten. Wie das Schloß zu Azay erstand. Wie das Schloß zu Azay erstand. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1E56-1