182. Barbara.

Einst lebte eine heidnische Königstochter, die eben so schön als verständig war. Als sie einen Tempel besichtigte, [161] welchen ihr abwesender Vater erbauen ließ, sah sie durch sein einziges Fenster drei glänzende Sterne am Taghimmel stehen, deren Herkunft und Bedeutung sie zu erfahren wünschte. Da erschien ihr ein Engel und sprach: »Diese Sterne, wie das ganze Weltall, hat der eine Gott gemacht, der, wie sie andeuten, dreifaltig in Personen ist: Vater, Sohn und heiliger Geist.« Auf dieses wurde die Königstochter Christin und erhielt in der Taufe den Namen Barbara. Zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit ließ sie in dem Tempel zwei weitere Fenster anbringen und zertrümmerte die darin aufgestellten Götzenbilder mit eigenen Händen. Hierüber gerieth ihr Vater, nach seiner Heimkehr, in solche Wuth, daß er sie mit dem Tode bedrohte, wenn sie nicht das Christenthum verlassen und den heidnischen Fürsten, der sich um sie bewarb, heurathen würde. In der Nacht darauf floh Barbara mit ihrer Zofe und ihren Schätzen, die sie einem Maulesel aufgeladen, aus dem väterlichen Schlosse. Sie kamen in eine Wildniß, welche von mehreren Kapuzinern bewohnt wurde, bauten sich da auf einem Hügel eine Hütte und führten ein frommes Einsiedler leben. Später ließ Barbara, nach dem Rathe der Kapuziner, auf dem Hügel eine prächtige Kirche aufführen, zu deren Beschützerin sie die heilige Barbara wählte, und daneben ein kleines Schloß für sich erbauen. In der Kirche machte sie mit dem Finger drei Kreuze an die Steinwand, welche sich wie in weiches Wachs eindrückten. Auf einmal erschien Barbaras Vater, an der Spitze eines Kriegsheers, und nahm sie gefangen. Er hatte nach ihrer Flucht sie vergebens aufsuchen lassen und nachher für ihre Auffindung einen hohen Preis ausgesetzt. Dies war einem der Kapuziner, Barbaras Beichtvater, zu Ohren gekommen [162] und hatte ihn bewogen, ihrem Vater ihren Aufenthalt zu verrathen. Da der König sah, daß seine Vorstellungen sie nicht zum Heidenthum zurückbrachten, ließ er sie nackt durch zwei Reihen seiner Krieger Spitzruthen laufen; aber vom Himmel fiel ein weißes Gewand über sie und sie fuhr fort, den Gott der Christen als den allein wahren zu bekennen. Hierauf wurden ihr beide Brüste abgeschnitten, und als sie unerschütterlich bei ihrem Glauben blieb, enthauptete, bei der Kirche, ihr Vater sie mit eigenen Händen. In demselben Augenblick versank das kleine Schloß in die Tiefe der Erde. Barbaras Haupt rollte den Hügel hinab, und wo es liegen blieb, entsprang eine Heilquelle. (Andere sagen, die Quelle sei schon da gewesen und durch das Hineinfließen des Märtirerblutes heilkräftig geworden.) Den Leichnam ließ der Abt von Herrenalb unter dem Hochaltar der Barbarakirche beisetzen, welche, nebst der Quelle, nachher häufig von Wallfahrern besucht ward. 1

Fußnoten

1 Diese Sage, augenscheinlich gebildet nach der Legende der heiligen Barbara, beweis't, wie manche Erinnerung aus der katholischen Zeit dem lutherischen Volke geblieben ist.

Eine kürzere, etwas abweichende Erzählung der Sage findet sich in dem Schriftchen von Johann Kaspar Malsch: Noctium vacivarum Lucerna secunda, Seite 105–106

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 182. Barbara. 182. Barbara. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1827-0